Ursachen und Folgen von Harnwegsinfektionen bei Diabetes mellitus

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Ursachen und Folgen von Harnwegsinfektionen
bei Diabetes mellitus *
1
Reinhard Fünfstück, 2Lindsay E. Nicolle, 3Markolf Hanefeld, 4Günter Stein
(Nachdruck aus: Chemotherapie-Journal 2011: 6; 193 – 199. Mit freundlicher
Genehmigung des Verlages)
1
Klinik für Innere Medizin 1, Sophien- und Hufeland-Klinikum Weimar /
Deutschland
2
University of Manitoba and Health Science Centre, Winnipeg, Manitoba /
Canada
3
Zentrum für Klinische Studien, GWT, Technische Universität Dresden /
Deutschland
4
Klinik für Innere Medizin, Friedrich-Schiller-Universität Jena / Deutschland
* Herrn Prof. Dr. Dr. K.G. Naber zum 70. Geburtstag gewidmet
Korrespondenz:
Prof. Dr. Reinhard Fünfstück
Sophien- und Hufeland-Klinikum Weimar
Henry-van-de-Velde-Straße 2
99425 Weimar
Tel.: ++49 3643 571100
Fax: ++49 3643 571102
E-mail: [email protected]
Zusammenfassung
Diabetes mellitus ist eine weit verbreitete und folgenschwere Erkrankung.
Das Risiko, eine Harnwegsinfektion zu entwickeln, ist fast 20mal größer als
bei gleichaltrigen, nicht an Diabetes leidenden Menschen. Die Faktoren, die
eine Infektmanifestation begünstigen, sind vielschichtig. Das Lebensalter und
die Dauer der Diabeteserkrankung des betroffenen Patienten, dessen
metabolische
Situation,
das
Ausmaß
mikro-
und
makrovaskulärer
Folgeschäden sowie die mit einer diabetischen Zystopathie verbundenen
Komplikationen fördern die Prädisposition für eine Infektion. Der Verlauf der
Erkrankung wird weiterhin durch Störungen der Reaktionsfähigkeit des
Immunsystems und durch spezifische Virulenzeigenschaften uropathogener
Mikroorganismen
beeinflusst.
Eine
genaue
Charakterisierung
des
Krankheitsbildes ist für eine zielgerichtete Antibiose und damit für den
Therapieerfolg entscheidend. Die Behandlung einer asymptomatischen
Bakteriurie ist bei Patienten mit Diabetes mellitus nicht indiziert. Bei
symptomatischen
Infektionen
(Zystitis,
Pyelonephritis)
sollte
der
Schweregrad der metabolischen Störung die Therapiestrategie bestimmen.
Weitere klinische Studien zur Bewertung einzelner Therapieempfehlungen,
besonders bei Patienten mit einer instabilen Stoffwechselsituation im
Vergleich zu Fällen ohne Diabetes mellitus sind notwendig.
Schlüsselwörter:
Diabetes
mellitus,
Harnwegsinfektion,
Niereninsuffizienz, Behandlungsstrategie
asymptomatische
Bakteriurie,
Summary
Diabetes mellitus is a world wide spread disease. Urinary tract infection occurs with increased frequency and severity in patients with diabetes mellitus.
The risk for an infection in diabetic patients is 20times higher than in cases
with normal metabolic situation. General host factors enhancing risk for urinary tract infection include age, metabolic control, long term micro- and
macrovascular complications, primarily diabetic nephropathy and cystopathy.
Alterations in the innate immune system have been described and may also
contribute risk of urinary infections. Virulence properties of uropathogenic microorganisms influence the activity and the course of an infection. For an effective treatment strategy of urinary tract infection it is necessary to characterize the clinical risk of the disease. Treatment of asymptomatic bacteriuria
in diabetic patients is not indicated. Early diagnosis and prompt intervention
is recommended to limit morbidity of symptomatic infection. The quality of
glycaemic control as well as the risk of hypo- or hyperglycaemia determines
antimicrobic intervention. Clinical studies comparing management of urinary
tract infection in persons with diabetes compared to those without as well as
diabetic patients with good or poor glucose control will be necessary.
Key words:
Diabetes mellitus, urinary tract infection, asymptomatic bacteriuria, renal insufficiency, treatment strategies
Die Krankheit Diabetes mellitus erreicht weltweit dramatische Ausmaße. In
Deutschland sind fast 10 Millionen Menschen davon betroffen [21].
Im Verlaufe einer Diabeteserkrankung werden durch die metabolische
Störung
und
infolge
hämodynamischer
Veränderungen
Funktionen
lebenswichtiger Organe irreversibel beeinträchtigt. Klinische Beobachtungen
weisen auf Zusammenhänge zwischen Diabetes mellitus und Störungen
lokaler sowie systemischer wirtspezifischer Abwehrmechanismen hin [23]. Da
eine
erhöhte
Infektionsprädisposition
durch
verschiedene
Faktoren
beeinflusst wird, ist es problematisch, den Effekt einzelner Prozesse exakt zu
charakterisieren. Die Diabetesdauer, der Schwergrad der metabolischen
Veränderungen, aber auch das Ausmaß mikro- und makrovaskulärer
Folgeerkrankungen beeinflussen
Diabeteskranken
gegenüber
unter
anderem
pathogenen
und
die Anfälligkeit
fakultativ
des
pathogenen
Mikroorganismen.
Harnwegsinfektionen gehören bei Patienten mit Diabetes mellitus zu den
häufigsten
Infektionen.
Besonders
bei
einer
instabilen
diabetischen
Stoffwechsellage mit einem HbA1c-Wert > 8% sind diese Infektionen mit
komplizierten Krankheitsverläufen assoziiert [32]. Andererseits können
Harnwegsinfektionen bei Patienten mit Diabetes mellitus die pathogenetisch
bedeutsame Insulinresistenz verstärken und eine labile Stoffwechselsituation
verschlechtern [3].
Harnwegsinfektionen können als asymptomatische Bakteriurie,
akute
unkomplizierte Infektion bei Frauen (akute Zystitis oder akute nicht
obstruktive Pyelonephritis), als komplizierte Harnwegsinfektion bei Männern
und Frauen bei Abnormalitäten des Urogenitalsystems und als akute oder
chronische Prostatitis bei Männern auftreten. Die Infektionen neigen zu
rekurrierenden Verläufen, da die Krankheitserreger in der Lage sind, im
Urogenitaltrakt zu persistieren. Dadurch sind Mikroorganismen fähig, nach
Beendigung einer Therapie erneut eine Infektion zu initiieren.
Epidemiologie
Eine asymptomatische Bakteriurie tritt bei 8 – 20% der Frauen mit Diabetes
mellitus auf. Die Prävalenz liegt 2 – 3mal höher als bei Frauen ohne diese
Stoffwechselstörung [45]. Angaben zur Häufigkeit einer asymptomatischen
Bakteriurie bei Männern mit Diabetes mellitus sind nicht verfügbar.
Das Risiko, dass sich bei Diabetes mellitus eine symptomatische
Harnwegsinfektion entwickeln kann, ist bei Frauen fast 25mal und bei
Männern fast 20mal größer [30]. In einer kanadischen Untersuchung wurde
gezeigt, dass Frauen mit Diabetes mellitus 6 – 15 und Männer 3 – 17mal
häufiger wegen einer akuten Pyelonephritis hospitalisiert werden mussten
[30]. Komplizierte Krankheitsverläufe mit renalen und perirenalen Abszessen,
Papillennekrosen
oder
eine
emphysematöse
Pyelonephritis
sowie
Pilzinfektionen kommen bei Diabetikern häufiger vor als bei Personen ohne
Diabetes. Über 90% aller akuten Episoden einer emphysematösen
Pyelonephritis und über 67% aller Fälle mit einer emphysematösen Zystitis
treten bei Patienten mit Diabetes mellitus auf [38,40].
Diese epidemiologischen Daten bestätigen klinische Beobachtungen, dass
Harnwegsinfektionen vermehrt bei Patienten mit Diabetes mellitus auftreten
und dass bei diesen Personen ein erhöhtes Risiko für komplizierte
Krankheitsverläufe besteht.
Pathogenetische Effekte
Mikrobiologische Aspekte
Harnwegsinfektionen bei Patienten mit Diabetes mellitus werden am
häufigsten durch Escherichia coli (E.coli) verursacht. Aber auch andere
Mikroorganismen, wie Proteus species – Stämme, Klebsiella pneumoniae,
Staphylococcus aureus und Enterococcus species werden nachgewiesen
[45].
Nicht alle im Harntrakt auftretenden Mikroorganismen vermögen eine
Infektion
auszulösen.
verschiedenster
Bakterien
können
Virulenzmechanismen
die
durch
die
Aktivierung
Abwehrsysteme
eines
Wirtsorganismus überwinden. Uropathogene E.coli sind in der Lage,
verschiedene Toxine, wie Hämolysine sowie Speichersysteme für Eisenionen
zu bilden, und sie besitzen auch die Fähigkeit zur Hydroxamat- und
Aoerobactinbildung. Weiterhin können uropathogene Erreger verschiedene
Adhäsine oder spezifische O- und K-Antigene exprimieren. Zwischen
Mikroorganismen, die eine akute Harnwegsinfektion verursachen und jenen,
die bei einer asymptomatischen Bakteriurie vorkommen, gibt es sowohl
bezüglich
der
geno-
als
auch
ihrer
phenotypischen
Eigenschaften
Unterschiede [13]. E.coli, die aus dem Urin von Patienten mit einer
asymptomatischen Bakteriurie isoliert wurden, verfügen über weniger
genetische
Determinanten,
die
unter
anderem
die
Fähigkeiten
zur
Hämolysinbildung, zur Produktion des zytotoxisch nekrotisierenden Faktors
oder zur Expression von Typ1-Fimbrien kodieren. Diese Eigenschaften
lassen sich in typischer Weise bei Erregern nachweisen, die bei akuten
Infektionen auftreten [33,45]. Andererseits zeigten Untersuchungen bei
hospitalisierten
Patienten
keine
Differenzen
in
der
antimikrobiellen
Sensibilität zwischen Stämmen, die aus dem Urin von Personen mit und
ohne Diabetes gewonnen wurden [2, 35]. Allerdings fielen bei nicht
hospitalisierten Diabetikern im Vergleich zu nicht an Diabetes erkrankten
Patienten eine höhere Rate „extended spectrum betalactamase“ (ESBL)
bildender E.coli- und Klebsiella pneumoniae-Stämme auf [6]. Es gibt bisher
keine Studien, die nachweisen, dass Diabetes mellitus pe se ein
unabhängiger
Risikiofaktor
für
eine
erhöhte
Resistenz
gegenüber
antimikrobiellen Substanzen darstellt. Diese Feststellung gilt unabhängig
vom Alter des Patienten, von nachweisbaren anatomischen Abnormalitäten
im Harntrakt und von der vorausgegangenen antimikrobiellen Therapie.
Wirtspezifische Faktoren
Unter
normalen
Bedingungen
verhindern
die
wirtspezifischen
Abwehrmechanismen eine Kolonisation des Harntraktes durch pathogene
oder fakultativ pathogene Keime sowie deren Adhäsion am Uroepithel und
ihre Invasion in das Urogenitalsystem.
Urin ist ein Medium, das durch unterschiedlichste Substanzen wechselnde
physikochemische Eigenschaften aufweist. In seiner Zusammensetzung,
seiner Osmolalität und dem pH-Bereich verändert sich Urin in Abhängigkeit
verschiedenster Einflüsse, beispielsweise der Stoffwechselsituation des
Patienten oder infolge von Störungen glomerulärer Filtrations- und tubulärer
Reabsorptionsprozesse.
Die Erkenntnisse von in vitro-Untersuchungen zur Rolle des Mediums Urin,
sind wegen steter Veränderungen der Urinzusammensetzung nur mit
Einschränkung auf in vivo-Verhältnisse übertragbar. Infektionserreger wie
E.coli sind in der Lage, Abwehrfaktoren durch osmoprotektive Mechanismen
zu überwinden. Der Überlebensvorteil dieser Mikroorganismen ergibt sich
aus deren Fähigkeit zur Aufnahme von Glycin, Betain, Prolin, Glutamin,
Trehalose und Kalium. Diese Substanzen werden von den Erregern
intrazellulär
akkumuliert
und
schützen
sie
gegenüber
Dehydration.
Mikroorganismen, die nicht in der Lage sind Glycin oder Betain zu speichern,
besitzen schlechte Überlebenschancen im Harntrakt [4]. Bei Diabetes
mellitus begünstigt eine erhöhte Glukoseausscheidung im Urin die
Vermehrung uropathogener Keime. Glukosekonzentrationen zwischen 100
bis 1000 mg/dl (mäßige bis schwere Glukosurie) stimulieren unter in vitroBedingungen das Bakterienwachstum deutlich [16]. Aber auch bei geringen
Glukosekonzentrationen lassen sich unter in vitro-Bedingungen deutliche
Unterschiede im Wachstumsverhalten von E.coli nachweisen. Die Abbildung
1 zeigt das Wachstumsverhalten von E.coli ATC 25922 und E.coli DSM 787
in Abhängigkeit der Glukose- und Harnstoffspiegel im Urin verschiedener
Patienten. Die Untersuchungen belegen, dass ein glukosehaltiges Medium
im
Gegensatz
zu
einem
Milieu mit
erhöhtem Harnstoffgehalt
das
Bakterienwachstum begünstigt. Diese Situation erklärt u.a. die erhöhte
Infektanfälligkeit von Patienten mit Diabetes mellitus [12].
Der
Prozess
der
Adhäsion
uropathogener
Mikroorganismen
an
Uroepithelzellen ist notwendig, damit Keime den Harntrakt besiedeln und dort
persistieren können. Im Verlaufe der bakteriellen Zytoadhärenz erfolgt eine
Aktivierung des Immunsystems. Typ-1-Fimbrien (fimH) von E.coli sind ein
essentielles Merkmal von Erregern, die eine akute Zystitis verursachen.
Mikroorganismen mit diesen Fimbrien-Antigenen adhärieren stärker an
Uroepithelzellen von Frauen mit Diabetes mellitus im Vergleich zu jenen
ohne Diabetes [17].
Eine Schutzfunktion gegenüber der Aktivität uropathogener E.coli besitzt das
Tamm-Horsfall-Glykoprotein (THP). Es wird in den medullären und kortikalen
Abschnitten des aufsteigenden Teils der Henleschen Schleife gebildet und
zeichnet sich besonders durch mannosehaltige Rezeptorstrukturen aus. Dies
sind Liganden, durch die Typ1- und S-Fimbrien von E.coli gebunden werden
[37]. Durch die Bindung von E.coli an die THP-Moleküle wird die Adhäsion
der Mirkroorganismen an den Oberflächen der Uroepithelien eingeschränkt
[34]. Bei Patienten mit einer diabetischen Nephropathie ist eine verminderte
Ausscheidung von THP nachweisbar [1,37]. Ob diese Beobachtung
allerdings klinisch relevant ist, wurde bisher nicht bewiesen.
Die Interaktion zwischen den Krankheitserregern und den Uroepithelzellen
des
Wirtsorganismus
verschiedener
Zytokine
führt
zu
sowie
einer
zum
Aktivierung
Recruitment
und
von
Expression
Granulozyten,
Makrophagen, Monozyten und anderen immunregulatorischen Zellen am Ort
der bakteriellen Invasion. Die Wirksamkeit lokaler Abwehrmechanismen wird
besonders durch die Funktionsfähigkeit der Granulozyten geprägt. Eine
Dysfunktion der Zellen korreliert mit der Höhe der Hyperglykämie [8,27].
Weiterhin werden bei Diabetikern signifikant niedrige Urinkonzentrationen
von IL-8 und IL-6 gefunden. Eine verminderte Leukozytenexkretion im Urin
von Diabetikern ist mit diesem Phänomen erklärbar [15]. Ebenso wird bei
Diabetes mellitus durch eine erhöhte Konzentration von Advanced Glycation
Endproducts (AGE) die enzymatische Aktivität und die Potenz von Lysozy
und Lactoferrin zum bakteriellen „Killing“ gehemmt [25].
Zur Störung körpereigener Abwehrmechanismen bei Diabetes mellitus liegen
mehrere Studien vor, deren klinische Bedeutung allerdings durch weitere
Untersuchungen zu klären ist [7,8,27].
Diabetesspezifische Organkomplikationen
Das Risiko der Entwicklung einer Harnwegsinfektion im Rahmen eines
Diabetes mellitus wird durch zahlreiche Faktoren geprägt. Dazu zählen das
Lebensalter des Patienten, die Dauer der Diabeteserkrankung, das Ausmaß
der
metabolischen
Entgleisung,
Endothelfunktionsstörungen
sowie
die
eine
diabetische
Polyneuropathie,
progrediente
Inkontinenz,
zerebrovaskuläre Erkrankungen oder eine fortschreitende Demenz. Wichtige
prädisponierende Faktoren sind in Abbildung 2 zusammengefasst. Im Bezug
zur Inzidenz und hinsichtlich des Schweregrades einer Infektion sind die
einzelnen Komponenten nur unzulänglich charakterisiert. Allerdings ist davon
auszugehen, dass Diabetiker mit einer langen Krankheitsdauer auch ein
hohes Risiko für einen komplizierten Infektionsverlauf haben [14].
Eine Harnwegsinfektion wird durch die in Folge des Diabetes mellitus
aufgetretene Blasendysfunktion begünstigt. Über 50% der Frauen und
Männer mit Diabetes mellitus entwickeln eine diabetische Zystopathie [24].
Eine Harninkontinenz bei Frauen mit einem Diabetes mellitus ist mit einem
erhöhten Infektionsrisiko verbunden [36]. Die diabetische Zystopathie
entwickelt sich im Rahmen der autonomen Neuropatie. Sie ist durch einen
Verlust der Empfindlichkeit gegenüber einer Blasenfüllung mit Abnahme der
Miktionsfrequenz und einer Zunahme der Restharnmenge chrarkterisiert.
Blasendysfunktionen treten bei 26 – 86% der Frauen mit Diabetes mellitus
auf und sind mit einer deutlich erhöhten Infektionsrate verbunden [10]. Bei
etwa 30% der an Diabetes mellitus erkrankten Frauen begünstigen
Zystozelen sowie Zelenbildung in der Urethra und im Rektum eine
Erregerinvasion in den Urogenitaltrakt [9]. Die bei Diabetikerinnen häufig
auftretende Pilzbesiedelung der Genitalregion fördert ebenso die Aszension
und Invasion uropathogener Bakterien.
Diese Faktoren erklären nicht nur eine erhöhte Prädisposition an Diabete
erkrankten
Patienten
begünstigen
gegenüber
komplizierte
einer
Harnwegsinfektion,
Erkrankungsverläufen
mit
sondern
konsekutiven
Auswirkungen auf die diabetische Stoffwechselsituation.
Diagnostische Aspekte
Die klinischen Zeichen einer Harnwegsinfektion bei Patienten mit Diabetes
mellitus entsprechen prinzipiell jenen, die auch bei Patienten ohne diese
Stoffwechselstörung nachweisbar sind.
Aufgrund der peripheren und autonomen Neuropathie werden die Symptome
Dysurie und Strangurie sowie Blasentenesmen im fortgeschrittenen Stadium
des Diabetes mellitus nicht mehr ausreichend wahrgenommen. Gelegentlich
ist
der
Fieberanstieg
wenig
dramatisch.
Eine
Hämaturie
und
Flankenschmerzen können bei akuter Papillennekrose auftreten. Obwohl
deren Genese nicht geklärt ist, spielen durch die Infektion begünstigte
Infarzierungen
der
Papillen
sehr
wahrscheinlich
eine
Rolle
[18].
Differentialdiagnostisch sollte bedacht werden, dass Flankenschmerzen auch
bei einer emphysematösen Pyelonephritis auftreten können. Sie ist auf die
Anwesenheit von Mikroorganismen zurückzuführen, die in starkem Maße
Glukose fermentieren und Kohlendioxid bilden [22].
Die Untersuchungsbefunde des Urins, einschließlich der mikrobiologischen
Diagnostik sind zur Einordnung der klinischen Symptome von grundsätzlicher
Bedeutung.
Für
Therapieentscheidungen
sind
die
Urinkultur
mit
Keimzahlbestimmung, die Erregeridentifizierung und die Resistenztestung
gegenüber
den
antimikrobiellen
Chemotherapeutika
notwendig.
Die
Stoffwechselsituation, das Ausmaß der Entzündungsreaktion und die
Nierenfunktion sind zur Risikoabschätzung und zur Verlaufsbeobachtung
wichtig. Blutkulturen sollten sowohl bei Patienten mit einer Pyelonephritis und
bei Verdacht auf eine Urosepsis veranlasst werden.
Zur
frühzeitigen
Erfassung
Untersuchungsverfahren
von
wichtig.
Komplikationen
Die
sind
bildgebende
Ultraschalltomografie
ermöglicht
Aussagen über eine Harnstauung infolge einer Obstruktion. Sie ist zum
Nachweis akuter entzündlicher Veränderungen und zur Abschätzung der
Restharnmenge wichtig. Eine intravenöse Ausscheidungsurografie ist nur
selten
notwendig.
Die
Gefahr
eines
kontrastmittelinduzierten
Nierenversagens ist bei Patienten mit einer diabetischen Nephropathie hoch.
In kritischen Situationen, in denen die Ultraschalldiagnostik, röntgenologische
oder nuklearmedizinische Verfahren keine zufriedenstellenden Ergebnisse
erbringen,
sind
eine
Computertomografie
oder
eine
Magnetresonanztomografie indiziert.
Behandlungsstrategien
Die Therapieempfehlungen für Harnwegsinfektionen bei Patienten mit
Diabetes mellitus entsprechen jenen, die auch für Patienten ohne
Diabeteserkrankung akzeptiert sind. Wichtig ist es, das klinische Bild der
Infektion (asymptomatischen Bakteriurie, symptomatische Erkrankung) die
Lokalisation und die Nierenfunktion zu charakterisieren. Bedeutsam ist ferner
die Einschätzung der metabolischen Situation; eine klinisch manifeste
Infektion verstärkt die Neigung zu einer Stoffwechselentgleisung. Infektionen
können
den
Insulinbedarf
drastisch
erhöhen.
Faktoren,
die
eine
Therapieentscheidung bei einer Harnwegsinfektion bei Diabetes mellitus
beeinflussen sind in Tabelle 1 zusammengefasst.
Asymptomatische Bakteriurie
Die Behandlung mit Antibiotika bei einer
asymptomatischen Bakteriurie
bringt weder einen kurz- noch einen langfristigen Nutzen für die Patienten
[20,26]. Bei Patienten mit einer stabilen Stoffwechselsituation reduziert eine
derartige Therapie weder das Risiko der Entwicklung einer symptomatischen
Infektion noch die Häufigkeit eine Zystitis oder Pyelonephritis. Eine
Behandlung hat auch keinen Einfluss auf die Hospitalisierungsrate der
Patienten [29].
Eine asymptomatische Bakteriurie führt in der Regel nicht zu einer
Progression einer bereits manifesten Nierenfunktionsstörung oder zu einer
Verschlechterung der diabetischen Spätfolgen [26]. Demzufolge ist auch ein
Screening
zum
Nachweis
einer
asymptomatischen
Bakteriurie
Diabetikern mit einer stabilen Stoffwechselsituation nicht indiziert [29].
Symptomatische Infektionen
bei
Eine akute Zystitis bei Frauen mit einer stabilen Stoffwechselsituation ohne
diabetische Organkomplikationen kann in gleicher Weise behandelt werden,
wie es für Personen ohne Diabetes empfohlen wird; eine antimikrobielle
Kurzzeittherapie ausreichend. Die Empfehlungen entsprechend der S3Leitlinie „Harnwegsinfektion [43] finden sich in der Tabelle 2 wieder.
Patienten
mit
einer
Pyelonephritis
und
einer
moderaten
klinischen
Symptomatik können prinzipiell auch nach der Strategie, die in der S3Leitlinie zusammengefasst wurden, behandelt werden [43]. Alle Fälle mit
einer ausgeprägten klinischen Symptomatik mit Übelkeit, Erbrechen sowie
einer hämodynamischen und metabolischen Instabilität sollten hospitalisiert
werden. Im akuten Stadium ist eine parenterale Antibiotikatherapie
erforderlich. Die Empfehlungen zur Antibiotikatherapie bei diesen Patienten
sind in Tabelle 3 zusammengestellt.
Falls im Verlauf der Infektion Komplikationen wie renale bzw. perirenale
Abszessbildung oder eine emphysematöse Pyelonephritis auftreten, sind
eine kombinierte medikamentöse Therapie und eine chirurgische Intervention
erforderlich.
Auswahl der antimikrobiellen Substanzen
Das Ziel der antimikrobiellen ist die Sanierung der Infektion. Die
Behandlungsstrategien sollten auf der Grundlage evidenzbasierter Leitlinien
erfolgen [29,42]. Bei jeder Therapieentscheidung spielen die diabetische
Stoffwechselsituation und der klinische Schweregrad der Infektion eine
wichtige Rolle. Klinische Erfahrungen beim Umgang mit antimikrobiellen
Chemotherapeutika
und
Kenntnisse
über
die
Empfindlichkeit
der
Infektionserreger gegenüber den antimikrobiellen Substanzen sollten die
Grundlage jeder Entscheidung prägen.
Breitspektrumcepahlosporine und Gyrasehemmer sind vorrangig bei einer
Pyelonephritis einzusetzen. Alternativ kann der Einsatz von Carbapenemen
(Meropenem, Imipenem, Ertapenem) oder von Betalactamaseinhibitoren
(Piperacillin, Tazobactam, Ampicillin, Sulbactam), falls es die antimikrobielle
Resistenzanalyse erlaubt, erfolgen. Bei einem schweren Krankheitsverlauf
mit Entwicklung einer Sepsis oder eines septischen Schocksyndroms
müssen Breitspektrumantibiotika unverzüglich im Sinne einer kalkulierten
Therapie
eingesetzt
werden.
Mit
Kenntnis
der
mikrobiologischen
Testergebnisse sollte die Entscheidung überprüft und eventuell ein Wechsel
des Antibiotikums vorgenommen werden.
Bei
der
Verordnung
antimikrobieller
Arzneimittelinteraktionen,
Substanzen
insbesondere
zu
müssen
mögliche
Antidiabetika
und
Antihypertensiva beachtet werden. Vielfach erhalten die Patienten wegen
ihrer Multimorbidität zahlreiche unterschiedliche Arzneimittel, die mit einem
hohen Nebenwirkungsrisiko belastet sind.
In der Tabelle 4 sind einige Interaktionen antimikrobieller Substanzen auf den
Glukosestoffwechsel zusammengefasst [5]. Antibiotika mit nephrotoxischer
Wirkung, wie sie von Aminoglykosiden bekannt sind, sollten nur bei
strengster
Indikation
eingesetzt
werden.
Bei
Patienten
mit
einer
Einschränkung der Nierenfunktion kann diese durch die Kombination von
Cephalosporin und Furosemid weiter verschlechtert werden. Andere
Antibiotika wie Trimetoprim hemmen die tubuläre Sekretion von Kreatinin und
bedingen einen Kreatininanstieg im Serum. Tetracycline lösen besonders in
Fällen mit einer Niereninsuffizienz antianabole Reaktionen aus. Nitrofurantoin
sollte bei einer diabetischen Nephropathie nicht eingesetzt werden, da
dessen
Metabolite
akkumulieren
und
eine
periphere
Neuropathie
verursachen [19,29].
Um toxische Effekte einzelner Antibiotika zu vermeiden, ist bei einer
manifesten Niereninsuffizienz die Dosierung der Medikamente dem Grad der
Nierenfunktionsstörung anzupassen. Hierzu finden sich verschiedene
tabellarische
Zusammenstellungen,
Einschränkung
der
glomerulären
die
unter
Filtrationsrate
Berücksichtigung
der
Empfehlungen
zur
Arzneimittelverordnung ausweisen [11].
Chronische Infektionen
Die Behandlung rekurrierender bzw. rezidivierender Infektionsverläufe ist für
Patienten mit und ohne Diabetes mellitus ähnlich. Bei jungen Frauen ohne
diabetische Langzeitkomplikationen sollte eine rekurrierende/rezidivierende
Infektion zunächst im Sinne einer akuten unkomplizierten Zystitis behandelt
werden. Anschließend ist eine antimikrobielle Langzeittherapie mit einer
Verordnung
in
niedriger
Dosierung
vertretbar.
Eine
antimikrobielle
Prophylaxe nach dem Geschlechtsverkehr wird ebenfalls empfohlen [31].
Problematischer ist die Behandlung chronischer Infektionen bei Patienten mit
urologischen
Abnormalitäten
Niereninsuffizienz
(Stadium
oder
4
und
im
Stadium
5
nach
der
K/DOQI).
chronischen
Vor
einer
antimikrobiellen Langzeittherapie ist es notwendig, eventuelle urologische
Störungen zu diagnostizieren und möglichst zu beseitigen. Besonders bei
niereninsuffizienten Patienten oder bei Männern mit einer chronischen
Prostatitis können Bakterien im Nierengewebe oder in der Prostata längere
Zeit in Endosomen persistieren, ohne dass sie einer antimikrobiellen
Therapie zugänglich sind. Zum Einsatz von Immunstimulation (Urovac,
Strovac,
Univac)
oder
zu
anderen
Substanzen
(L-Methionin,
Cranberryprodukten) gibt es bei Patienten mit Diabetes mellitus nur
Einzelbeobachtungen. Kontrollierte Studien, die eine Empfehlung dieser
Behandlungsstrategien zulassen, sind nicht verfügbar.
Schlussfolgerungen
Durch die strikte Beachtung potentieller Risiken sind Exazerbationen
symptomatischer Infektionen der Nieren- und ableitenden Harnwege bei
Patienten
mit
Diabetes
mellitus
gut
beeinflussbar.
Bei
Stoffwechselentgleisungen (Hypo- oder Hyperglykämien), insbesondere nach
operativen Eingriffen besteht ein hohes Risiko für die Entwicklung einer
Harnwegsinfektion.
Eine
langfristige
normoglykämische
Stoffwechseleinstellung ist eine entscheidende Voraussetzung, die lokalen
Abwehrmechanismen
gegenüber
potentiellen
Infektionserregern
zu
stabilisieren. Obwohl auch bei Patienten mit einem Diabetes mellitus eine
Harnwegsinfektion nicht unmittelbar zu einer terminalen Niereninsuffizienz
führt, kann jede Infektion, besonders bei einer vorbestehenden diabetischen
Nephropathie den Nierenfunktionsverlust begünstigen.
Die Mechanismen, die zu einer Harnwegsinfektionen bei Patienten mit
Diabetes mellitus führen, sind nicht umfassend geklärt. Die Heterogenität der
an Diabetes mellitus erkrankten Patientenpopulation, die Krankheitsdauer bei
einzelnen Patienten oder der Schweregrad vorbestehender mikro- und
makrovaskulärer
Schäden
sind
Komponenten,
die
sowohl
eine
Infektprädisposition als auch den Krankheitsverlauf beeinflussen.
Kontrollierte klinische Studien zum Vergleich von Patienten mit und ohne
Diabetes mellitus sind erforderlich, um die Spezifik der therapeutischen
Handlung bei Patienten mit Diabetes mellitus zu klären.
Legenden
Abbildung 1:
Wachstumsverhalten von E.coli in Abhängigkeit von der Glukose- und
Harnstoffkonzentration im Urin
Abbildung 2:
Prädisponierende Faktoren für eine Harnwegsinfektion bei Patienten mit
Diabetes mellitus
Tabelle 1:
Faktoren für die Therapieentscheidung bei Patienten mit Diabetes mellitus
Tabelle 2:
Empfehlungen zur Antibiotikatherapie bei akuter unkomplizierter Zystitis bei
Patienten mit Diabetes mellitus (Strategie entsprechend der S3-Leitlinie
„Harnwegsinfektion“) [43]
Tabelle 3:
Empfehlungen zur Antibiotikatherapie bei einer akuten unkomplizierten
Pyelonephritis bei Patienten mit Diabetes mellitus (Strategie entspricht der
S3-Leitlinie „Harnwegsinfektionen) [43]
Tabelle 4:
Potentielle metabolische Effekte antimikrobieller Substanzen auf den
Glukosespiegel bei Patienten mit Diabetes mellitus
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