Verehrte Demonstrantinnen und Demonstranten, liebe Kämpferinnen und Kämpfer für Inklusion und Teilhabe von Menschen mit Behinderung, zum dritten Mal versammeln wir uns hier in Berlin, um auf unsere Rechte aufmerksam zu machen und diese mit Nachdruck einzufordern. Wir erinnern daran, dass die Bundesrepublik einen Vertrag unterschrieben hat, der verbindlich ist: die Konvention der Vereinten Nationen über die Rechte und Belange von Menschen mit Behinderung – die Behindertenrechtskonvention! Wir sind hier, um zu zeigen, dass wir uns nicht mehr mit leeren Worthülsen abspeisen lassen! Wir sind hier, um zu zeigen, dass wir es satt haben schönen Sonntagsreden zuzuhören und gleichzeitig nach wie vor von Verwaltungen und Sozialbehörden bevormundet und ignoriert zu werden! Wir sind hier, um unsere in der Behindertenrechtskonvention garantierten Rechte einzufordern! Zum dritten Mal müssen wir an diesem Ort feststellen, dass sich seit Inkrafttreten der Behindertenrechtskonvention nichts verändert hat. Die Bundesregierung hat es gerade mal 1 geschafft mit Verspätung einen Aktionsplan abzugeben. Der ist allerdings nicht einmal das Papier wert, auf dem er geschrieben ist! Wir finden dort keine konkreten Vorschläge, keine klaren Aussagen über notwendige Finanzierungsmaßnahmen, die für die Umsetzung unerlässlich sind. Menschenrechte für Menschen mit Behinderungen sind nicht umsonst zu haben! Und wo bleibt die in der Behindertenrechtskonvention geforderte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen bei politischen Entscheidungsprozessen, die von unmittelbarer Bedeutung sind? Teilhabe an politischen Entscheidungen sieht anders aus, als es die Bundesregierung zurzeit umsetzt. Stattdessen erleben wir z. B. bei der Öffnung des öffentlichen Personenverkehrs Reformen, die uns zurück in die sechziger Jahre katapultieren: die neue Fernbusrichtlinie wird Barrierefreiheit nicht vorschreiben! Das bedeutet, dass wir erneut ausgegrenzt und diskriminiert werden. Wieder müssen Menschen im Rollstuhl, Mütter mit Kinderwägen und andere vor den Türen eines öffentlichen Verkehrsmittels stehen bleiben und können dieses nicht nutzen. 2 Dieses Beispiel macht deutlich, dass die Wirtschaft eine bessere Lobby hat, als diejenigen, die seit drei Jahren auf die Umsetzung der Behindertenrechtskonvention warten. Gleichzeitig präsentiert die Deutsche Bahn, nicht weit weg von hier, ihre Zukunftsvisionen, in der Barrierefreiheit eine Rolle spielt. In diesen Minuten wird der Öffentlichkeit der neue ICE vorgestellt, der u. a. über fahrzeuggebundene Einstiegshilfen verfügt und ab 2016 eingesetzt werden soll. Kaum vorstellbar, aber die Deutsche Bahn überholt die Bundesregierung! Immer noch ist Behinderung ein Armutsrisiko! Für die Betroffenen selber, für ihre Lebenspartner und ihre nächsten Angehörigen. Wer auf Assistenz angewiesen ist und das Glück hat, dass sein Bedarf von den zuständigen Behörden anerkannt wird, der muss erst sein eigenes Vermögen einsetzen, bevor er Teilhabeleistungen erhält. Und wenn sich ein Mensch ohne Behinderung in einen von Assistenz abhängigen Menschen mit Behinderung verliebt, riskiert er mit in die Armut gerissen zu werden. 3 Wie viele Menschen in Deutschland müssen wegen einer Behinderung noch in Armut geraten? Es trifft ganze Familien. Eltern von Kindern mit Behinderung und behinderte Eltern. Jedem Menschen mit Behinderung wird in der Behindertenrechtskonvention das Recht auf Familie zugesprochen. Wenn nötig, hat der Staat die Pflicht notwendige Unterstützungsleistungen vorzuhalten. Aber Elternassistenz – ein Fremdwort für die deutsche Bundesregierung und Frau von der Leyen! Wie viele Menschen mit Behinderung können an der Arbeitswelt nicht teilhaben, weil sich Leistung für sie nicht lohnt! Von Chancengleichheit sind wir meilenweit entfernt! Leistung muss sich lohnen, aber für alle Menschen dieses Landes! Es kann nicht sein, dass Menschen mit Behinderung, die einen guten Job machen und machen wollen, auf Sozialhilfeniveau reduziert werden, weil sie auf Assistenz angewiesen sind. Das ist eine Diskriminierung! So, wie unser Sozialsystem organisiert ist, werden Menschen mit Behinderung von vorneherein ausgegrenzt und diskriminiert! 4 Wir, die Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben Deutschland fordern die Einführung eines Gesetzes zur sozialen Teilhabe! Mit vielen anderen Verbänden haben wir einen Gesetzesvorschlag erarbeitet und vorgelegt, der Teilhabeleistungen aus der Sozialhilfe herausnimmt. Fürsorge hat ausgedient! Setzen Sie diesen Gesetzesentwurf endlich um! Um die Finanzkrise zu bewältigen hat die Bundesregierung unglaubliche Summen mobilisiert. Wir sind ein reiches Land! Die Umsetzung der UN Behindertenrechtskonvention könnte die Bundesrepublik aus der Portokasse finanzieren. Allein der Wille fehlt! Beweisen Sie Ihren guten Willen: Streichen Sie als erste Sofortmaßnahme den Kostenvorbehalt zum Wunsch- und Wahlrecht im § 13 aus dem Sozialgesetzbuch XII. Jeder Mensch hat das Recht sich seinen Wohnort und sein Lebensumfeld selbst auszusuchen! Auch Menschen mit Behinderung! Nichts ohne uns über uns! 5