Universidad del País Vasco/Euskal Herriko Unibertsitatea

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Cristina Jarillot Rodal
C/ Nieves Cano 29, esc. Izda., 1º C
01006 Vitoria-Gasteiz
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DAS SPRICHT BÄNDE!
KONSUM, SEXUELLE IDENTITÄT UND POLITIK IM BERLINER
KABARETT DER WEIMARER REPUBLIK
CRISTINA JARILLOT RODAL
Universidad del País Vasco/Euskal Herriko Unibertsitatea
Esta contribución pretende presentar una de las manifestaciones culturales más
destacadas de la República de Weimar: el cabaret. El cabaret, importado de Francia a
inicios del s. XX, se diferencia de sus precursores (el Music Hall, los Cafés Concert y el
Varieté) por el contenido frecuentemente crítico de sus números, que van más allá de la
simple voluntad de entretener que caracterizaba este tipo de espectáculos. Los números,
mayoritariamente breves, eran de carácter heterogéneo y abarcaban todo tipo de
temáticas. El “Conférencier”, que presentaba los distintos números y frecuentemente
entraba en diálogo con el público sobre temas de actualidad, daba consistencia a un
espectáculo que con frecuencia no presentaba ningún hilo conductor temático. A través
del análisis de siete números de cabaret se pretende no sólo esbozar la evolución de esta
forma durante los años veinte, sino mostrar cómo se reflejaba en sus letras la convulsa
realidad de la primera república alemana
Der folgende Beitrag beschäftigt sich mit einer der prominentesten
Manifestationen der Unterhaltungskultur der Weimarer Republik: das Kabarett. Das
Kabarett, aus Frankreich amfang des 20. Jahrhunderts importiert, unterscheidet sich von
seinen Vorläufern (Music Hall, Café Concert, Varieté) durch den häufig zeitkritischen
Inhalt seiner Nummer, die über den puren Unterhaltungswillen hinausgingen. Die meist
kurzen Nummern waren ziemlich heterogen und behandelten eine große Vielfalt von
Themen. Der Conférencier leitete die verschiedenen Nummern an, trat häufig mit dem
Publikum ins Gespräch über Tagesthemen und hatte eine bindende Funktion zwischen
den sonst locker verbundenen Nummern. Durch die Analyse von sieben
Kabarettnummern soll nicht nur die Entwicklung dieser Unterhaltungsform während der
zwanziger Jahre skizziert werden, sondern es soll auch aufgezeigt werden, wie die
gespannte Wirklichkeit der Weimarer Republik in ihren Texten ihren Niederschlag
fand.
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Kabarett . Weimarer Republik . Berlin . Unterhaltungskultur
Cabaret . República de Weimar . Berlín . Manifestaciones culturales
Im
folgenden
Beitrag
soll
eine
der
prominentesten
Manifestationen
der
Unterhaltungskultur „goldenen Zwanzigern" in Deutschland vorgestellt werden: das
Kabarett. Ausgehend von sieben Beispielen, werden wir nicht nur die Geschichte des
Kabaretts, die verschiedene Kabarettsorten, die in ihnen angesprochene Thematik
kennen lernen. Sie werden uns vor allem Einblicke ins bewegte Leben der ersten
deutschen Republik gewähren.
Obwohl die Bezeichnung „Kabarett“ schon sehr viel länger existierte, war das
1881 gegründete Pariser Chat Noir das erste Kabarett im heutigen Sinne. Der Ursprung
dieses Kabaretts lag in den öffentlichen Veranstaltungen einer “Goguette” - einer Art
proletarischem Singverein -, “Les Hydropathes” genannt. Neben dem Inhaber,
Rodolphe Salis, waren die Stars im Chat Noir der ersten Stunde die Sängerin Yvette
Guilbert, Maurice Mac-Nab und vor allem Aristide Bruant. Musiker wie Debussy oder
Erik Satie traten oft im Chat Noir auf.
Die Mode der Kabarette wurde von Montmartre rasch begeistert nach
Deutschland importiert, wie z.B. durch den Baron Ernst von Wolzogen. Bald darauf gab
es Kabaretts in den wichtigsten deutschsprachigen Hauptstädten. 1901 wurden
verschiedene
Kabarettbühnen
gegründet:
In
Berlin
konkurrierten
Wolzogens
„Überbrettl" und Max Reinhardts „Schall und Rauch", in München spielten „Die Elf
Scharfrichter" und in Wien das „Jung-Wiener Theater zum lieben Augustin".
Das Kabarett wurde von Salis nicht aus dem Nichts gezaubert; es stand in der
Tradition der englischen Music Halls, der französischen Café-Concerts und der
deutschen Varietés. Diese populären Unterhaltungssparten der zweiten Hälfte des 19.
Jahrhunderts mischten Gesang- und Tanzdarbietungen mit Artistik. Die ersten Pariser
Kabaretts unterschieden sich von diesen ausschließlich der Unterhaltung dienenden
Veranstaltungssorten durch den oft zeitkritischen Inhalt der vorgetragenen Lieder. Diese
zeitkritische Haltung macht auch den besonderen Reiz der Texte des Berliner Kabaretts
der Weimarer Republik aus.
Das Berliner Kabarett der zwanziger Jahre muss man sich vorstellen als einen
kleinen Raum mit Tischen und einer kleinen Bühne, der physischen Kontakt zwischen
Darsteller und Publikum erlaubte. Der Conférencier leitete die verschiedenen, meist
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kurzen Nummern an, machte Witze, bezog sich auf das Tagesgeschehen. Er hatte eine
bindende Funktion zwischen den sonst locker verbundenen Nummern. Diese waren
ziemlich heterogen: sentimentale aber auch derb sexuelle Lieder, Musikstücke,
humoristische Monologen und Einaktern, Parodien, Tänze, Pantomime, Kurzfilme ...
Auch die Themen, die im Kabarett angesprochen wurden, waren bunt durcheinander
gemischt: Liebe und Sexualität, das Leben der unteren und oberen Klassen, die neuesten
Moden und der Konsum, die Politik, soziale Fragen ... Ein Beispiel für diese
thematische Vielfalt sind zwei Lieder eines Potpourris aus der Nelson Revue „Das
spricht Bände!" (1929), die gleich analysiert werden sollen.
Schallplatten, die große Mode,
Die schwarze Matze,
Ein jeder kauft se, ein jeder hat se.
Schallplatten, die kleinen bill’jen,
Die teuren starken,
Mann kann sie tauschen wie Briefmarken:
Man tauscht zum Beispiel zwei Klemperer-Platten
Für eine Tecker,
Drei Jolsons gibt man für eine Rienzi,
So sind die Geschmäcker.
Wer “Stille Nacht, heilige Nacht” doppelt hat,
Tauscht gegen “Kol Nidre” von Rosenblatt.
Wer will zwei Schaljapins?
Mir sind sie zu grell!
Gefragt sind die Revellers, von wegen sexuell!
Leg auf das Ding und knips die Lampe aus,
Am schönsten doch erötelt sich’s zuhaus.
Spar dir den Sekt, verlaß dich auf die Scheibe,
Wenn die sich dreht, erwacht das Viech im Weibe!
Du ahnst ja nicht, indem du leicht gesiegt,
Daß sie dich mit den Revellers betrügt.
Text: Friedrich Hollaender · Musik: Rudolf Nelson
(Bei uns um die Gedächtniskirche rum …1996, 42)
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In der ersten Nummer wird der Konsum von seiner heiteren Seite gezeigt. Die
Massenproduktion von Radioempfänger und Grammofone sorgt für eine enorme
Popularisierung der Musik, die nicht mehr der Elite der Konzertgeher vorbehalten
bleibt. Wie oft in der Werbung, wird der Kauf von einer Ware, in diesem Fall, die
Schallplatte, mit der Sinnlichkeit in Verbindung gesetzt. Man braucht nicht mehr die
begehrte Frau zu einem teuren Tanzlokal einzuladen, auch zu Hause lässt sich die
Verführung vollbringen. Es werden die Musikfavoriten der Zeit genannt, sowohl aus der
Klassik (Fjodor Tschaljapin, Otto Klemperer) wie aus dem Jazz (The Revellers und Al
Jolson, der die Titelfigur des ersten Tonfilms, „The Jazz Singer“, spielte).
Die zweite Nummer schlägt aber eine weit kritischere Note:
Sie bekomm’ von mir’n Anzug
Und der ist direkt geschenkt
Auf Abzahlung, auf Abzahlung!
Erst wenn Sie ihn nicht mehr tragen
Und kein Aas mehr daran denkt,
Kommt die Abzahlung, kommt die Abzahlung!
Sie bekomm’ von uns ein Auto
Und ’n Tisch und Parkett
Und wir wolln von Ihn’ kein Geld
Und wir machen Sie komplett
Und Sie kriegen ‘ne Parzelle
Mit’m Haus und ‘n Dach
Und wir schicken ‘n Vertreter
Und wir laufen ihnen nach,
Denn Sie sind uns ja Bekannt,
Sie sind uns ja Bekannt,
Und wir wissen ja, mit wem wir es zu tun haben.
Aaaaaaaber...
Wenn das Auto kaputt ist
Und der Tisch und das Parkett
Die Parzelle und das Haus
Und Sie setzen eines Tages mit dem Rate aus –
Dann erscheinen wir, dann sind wir da
Und liebenswürdig sind wir auch nicht mehr!
Wollten wir was von Ihnen?
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Oder Sie was von uns?
Haben wir nicht geliefert?
Haben sie nicht bestellt?
Also bitte, also bitte, also bitte, also bitte!
Also bitte, also bitte: Wo ist Geld?
Das ist der Song vom Stottern.
Wenn einer nicht reden kann.
Dann kommen die klugen Ottern
Und drehen Dir Wahren an.
Wir haben’s Ihnen ja nicht nachgeschmissen!
Das hat man vom Entgegenkommen
Und von der Dämlichkeit!
Ja, das hätten Sie sich eben vorher überlegen müssen!
Tut mir leid, tut mir leid!
Tja – tut mir leid!
Text: Friedrich Hollaender · Musik: Rudolf Nelson
(Bei uns um die Gedächtniskirche rum …1996, 42-43)
Diese
Nummer
zeigt
die
negative
Seite
des
Konsums
auf.
Neue
Zahlungsmöglichkeiten, die gerade Unvermögenden die Türen der Einkaufsparadiese zu
öffnen scheinen, werden als heimtückische Fallen entlarvt. In der unsicheren
wirtschaftlichen Konjunktur der 20er Jahren, in der Arbeitslosigkeit eine ständige
Bedrohung für viele kleine Angestellte war, konnte der Kauf auf Abzahlung von
Konsumwaren der erste Schritt zur unüberwindlichen Verschuldung werden
Diese Nummern stammen aus einer der populärsten Kabarettrevuen der
zwanziger Jahre. Die von Rudolf Nelson nach dem Krieg ins Leben gerufene
Kabarettrevue war eine literarisch-musikalische Veranstaltung, die kleiner war als die
später in Mode kommenden Revuen. Im Gegensatz zum Nummer-Kabarett, deren
Darbietungen thematisch keinen Zusammenhang hatten, kreisten die Kabarettrevuen um
ein Thema oder spielten an einem bestimmten Schauplatz. In den großen Revuen, die
vor allem in der Zeit der ökonomischen Stabilisierung populär wurden, wirkten
Kabarettisten und Chansonnieren mit, aber Vorrang hatten die visuellen Effekte:
Beeindruckende und exotische Bühnenbilder, glänzende Kostüme, geometrische
Choreografien ... Tanzdarbietungen, aber vor allem die aus England importierten „Tiller
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Girls" machten Furore: Es handelte sich um eine Gruppe von uniformierten Mädchen,
die in Reihen und exaktem Tempo tanzten. Obwohl sich die Revueimpresarios
öffentlich von der zu dieser Zeit populären Nackttänzen distanzierten, spielte die
öffentliche Zurschaustellung des nackten weiblichen Körpers, in Form von lebenden
Tableaux, eine große Rolle. Da es z. T. bis sechzig verschiedene Nummern pro Abend
gab, war es nötig, alle denkbaren Darbietungsarten zu verwenden. Auch die Anzahl der
Darsteller vermehrte sich. Im Gegensatz zu den Kabarettrevuen, die von einem einzigen
Komponisten und Texter geschaffen wurden, nahmen die musikalischen Nummern jetzt
mehrere Komponisten und Texter in Anspruch.
Das Kabarett war eine der prominentesten Manifestationen der Weimarer
Unterhaltungskultur. Die enorme Popularisierung des Films, Kabaretts und der
Musikdarbietung im Allgemeinen - zugänglich gemacht durch Radioempfänger und
Grammofone - wurde erst durch verschiedene sozialgeschichtliche Umstände dieser
Zeit ermöglicht. Die Einführung des 8-Stunden-Arbeitstages bedeutete, dass für die
Arbeiter zwei Stunden am Tag frei wurden, die man der Zerstreuung widmen konnte.
Gleichzeitig ermöglichte die Industrialisierung die Entstehung eines wirklichen
Massenkonsums, der sich auch auf kulturelle Güter ausdehnte. Die als Folge der
deutschen Niederlage im I. Weltkrieg auftretende Inflation hatte jedoch verheerende
Folgen für die Bevölkerung, vor allem für die Schicht der Wenigverdiener. Es gab aber
ein paradoxer Einfluss der Inflation auf die Unterhaltungskultur: Die oberen Schichten
verloren jede Neigung zur Sparsamkeit, denn die massive Entwertung der Reichsmark
sorgte dafür, dass die Bereitschaft zur Geldausgabe für Unterhaltungszwecke schnell
zunahm.
Als Nächstes werden wir uns nun mit einem Lied beschäftigen, das als ein
typisches Beispiel der tonangebenden Nummer im politisch-literarischen Kabarett
dieser Periode gelten kann: „Raus mit den Männern aus dem Reichstag". Das politischliterarische Kabarett erlebte eine Blütezeit zu Anfang der Zwanziger Jahren, aber die
wirtschaftliche Normalisierung ab 1924 brachte einen Umschwung im Geschmack des
Publikums, der zunehmend nach der leichten Unterhaltung der Varietés verlangte. Von
den zahlreichen Kabaretten, die in den ersten Jahren der Republik gegründet wurden,
wie Max Reihardts zweites „Schall und Rauch", Rosa Valettis „Cabaret Größenwahn"
oder Trude Hesterbergs „Wilde Bühne", überlebte nur sogar noch bis tief in die Nazizeit
das 1924 gegründete „Kabarett der Komiker" (KadeKo), vor allem weil in seinen
Veranstaltungen das Politische eher zurückgedrängt wurde zugunsten der Unterhaltung.
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Als die Lage sich Ende des Jahrzehnts wieder zuspitzte, entstanden mehreren
kurzlebigen Kabarettunternehmen der kritischen Sorte, wie Rosa Valettis „Larifari",
Werner Fincks „Katakombe" oder Hollaenders „Tingeltangel".
Es handelt sich um ein engagiertes und zeitkritisches Kabarett, in dem zu
politische und gesellschaftliche Fragen Stellung bezogen wird. Dabei wird aber die
Unterhaltung nicht vernachlässigt. Die thematisch nicht zusammenhängenden
Nummern werden von Vortrag des Conférenciers eingeleitet. Häufig sind in den
unmittelbaren Nachkriegsjahren die Darstellungen des proletarischen Milieus, auch
unter Verwendung des Berliner Dialekts.
Es weht durch die ganze Historie
Ein Zug der Emanzipation.
Vom Menschen bis zur Infusorie –
Überall will das Weib auf den Thron.
Von den Amazonen bis zur Berliner Range
Braust ein Ruf wie Donnerhall daher:
Was die Männer können, können wir schon lange
Und vielleicht’ne ganze Ecke mehr!
Raus mit den Männern aus dem Reichstag!
Und raus mit den Männern aus dem Landtag!
Und raus mit den Männern aus dem Herrenhaus,
Wir machen draus ein Frauenhaus.
Raus mit den Männern aus dem Dasein
Und raus mit den Männern aus dem Hiersein,
Und raus mit den Männern aus dem Dortsein,
Sie müßten schon längst fort sein!
Ja, raus mit den Männern aus dem Bau,
Und rein in die Dinger mit der Frau!
Es liegen in der Wiege und brüllen
Die zukünft’gen Männer ganz klein.
Die Amme, die Meist’rin im Stillen,
Flößt die Kraft ihnen schluckweise ein.
Von der vielen Flößung aus Flasche, Brust und BecherAch, wir dummen Frauen sind ja schuld! –
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Wer’n se immer stärker, wer’n se immer frecher,
Da verliert man schließlich die Geduld.
Raus mit den Männern aus dem Reichstag...
Die Männer haben alle Berufe,
Sind Schutzmann und sind Philosoph.
Sie klettern von Stufe zu Stufe;
In der Küche stehn wir und sind doof.
Die bekommen Orden, wir bekommen Schwielen Liebe Kindern, es ist eine Schmach!
Ja, sie traun sich gar, die Politik zu spielen,
Aber na, die ist ja auch danach!
Raus mit den Männern aus dem Reichstag...
Text und Musik: Friedrich Hollaender
(Bei uns um die Gedächtniskirche rum …1996, 36-37)
Diese Nummer, von Friedrich Hollaender für die damals sehr beliebte Chansonnière
Claire
Waldoff
geschrieben,
bezieht
sich
ironisch
auf
die
damaligen
Emanzipationsbestrebungen der Feministinnen. Deren Rhetorik wird subtil persifliert,
was aber nicht bedeutet, dass der Autor - und noch weniger die Darstellerin - sich nicht
mit deren Zielen identifizieren. In der letzten Strophe wird auch eine gewisse
Enttäuschung über die Politik sichtbar.
Den Hintergrund zu diesem Lied liefert die damals aktuelle Frage der
Frauenemanzipation. Vor allem während der allgemeinen Mobilmachung während des
1. Weltkrieges hatten sich Frauen massiv im Arbeitsmarkt eingegliedert. Sie besetzten
Posten, die bis zu dieser Zeitpunkt Männer vorbehalten waren. Dazu kam das
Wahlrecht, das ihnen durch das Grundgesetz garantiert wurde. Diese Fortschritte dürfen
uns aber nicht über die reale Benachteiligung der Frau in allen Lebensbereiche hinweg
täuschen. Das Phänomen der Frauenemanzipation führte zur Entstehung von Konzepten
wie die "Girlkultur" oder die "Neue Frau": Junge Angestellten, ökonomisch unabhängig
und selbstsicher, die in der Öffentlichkeit rauchten, modische Frisuren trugen und ihre
Beziehungen frei bestimmten. Dieses Bild entsprach aber nicht die Wirklichkeit von
den schlecht bezahlten, mit Überstunden beladenen Sekretärinnen oder Verkäuferinnen,
die häufig Opfer sexueller Belästigung am Arbeitsplatz waren.
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Das Lied „Ich bin von Kopf bis Fuß" stammt ursprünglich nicht aus einer
Kabarettveranstaltung, sondern aus einem Film, „Der blaue Engel", der aus Marlene
Dietrich
einen
Star
und
aus
Friedrich
Hollaender
einen
der
beliebtesten
Filmkomponisten seiner Zeit machte. Es kann aber als typisch für die sentimentalen
Lieder gelten, die im Kabarett der zwanziger Jahre so populär waren.
Ein rätselhafter Schimmer,
Ein “je ne sais pas quoi”
Liegt in den Augen immer
Bei einer schönen Frau.
Doch wenn sich meine Augen
Bei einem Vis-a-Vis
Ganz tief in seine saugen,
Was sprechen dann sie?
Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt,
Denn das ist meine Welt
Und sonst gar nichts!
Das ist, was soll ich machen, meine Natur:
Ich kann halt lieben nur
Und sonst gar nichts!
Männer umschwirrn mich, wie Motten um das Licht,
Und wenn sie verbrennen, ja dafür kann ich nicht!
Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt,
Ich kann halt lieben nur
Und sonst gar nichts!
Was bebt in meinen Händen
In ihrem heißen Druck?
Sie möchten sich verschwenden,
Sie haben nie genug!
Ihr werdet mir verzeihen,
Ihr müßt es halt verstehn:
Es lockt mich stehts von neuem,
Ich finde es so schön!
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Text und Musik: Friedrich Hollaender
(Bei uns um die Gedächtniskirche rum …1996, 46)
Das Hinaustreten der Frauen aus traditionellen Verhaltensmustern wie Passivität,
Mütterlichkeit und Hausfrauendasein führt zu ihrer neuen Wahrnehmung als sinnliche,
manipulative Geschöpfe, die sich in den Klischees Femme fatale, Männerfresserin oder
Vamp kristallisieren. In diesem Falle wird uns das Modell der naiven, ihren Instinkten
folgenden Frau vorgestellt, die unwissend Männer ins Verderben stürzt. Es ist ihre
animalische Natur, die sie zur sexuellen Unverbindlichkeit führt. Was die sexuelle
Freizügigkeit der so genannten „goldenen Zwanziger Jahre" betrifft, war sie häufig
nicht eine freie Entscheidung, sondern Folge der prekären wirtschaftlichen Lage. Viele
Frauen sahen sich zur Prostitution gezwungen, die eine relativ sichere Einnahmequelle
darstellte.
Das Kabarett und sein Einfluss waren auch in anderen kulturellen
Manifestationen dieser Zeit deutlich erkennbar. So im Fall solcher Filme, in dem viele
Kabarettisten als Darsteller oder als Musikkomponisten tätig waren. Die Anzahl der
Filme, die sich direkt mit dem Thema Kabarett befassten, war aber beschränkt. In
„Varieté“ (1925) z. B. wird kein echtes Kabarett gezeigt, sondern ein Varieté mit einer
starken artistischen Komponente. Aber einige der Schauspieler kamen aus der
Kabarettszene: Trude Hesterberg und Kurt Gerron. Regie führte Ewald André Dupont.
„Der blaue Engel“ (1930), der Film, welcher Marlene Dietrich zum
internationalen Durchbruch verhalf, zeigt eine Kabarettbühne an einem Ostseehafen.
Die Regie führte Josef von Sternberg und unter den Mitwirkenden waren viele bekannte
Namen aus der Kabarettszene, wie z.B. Rosa Valetti oder Kurt Gerron. Die Musik
komponierte Friedrich Hollaender.
Man darf aber auch nicht den Einfluss des Kabaretts auf Brechts episches
Theater vergessen, in dem kabarettartigen Songs eine wichtige Rolle als verfremdende
Elemente spielten. Die Musik dazu lieferten prominente Komponisten der so genannten
ernsten Musik, Kurt Weill und Hans Eisler. Der Einfluss der damals modischen
Tanzrhythmen aus Jazz und Tango führte zu Werken, in denen die anspruchsvollen
Arrangements der hohen Musik mit der Sinnlichkeit und Lebendigkeit der
Populärmusik verschmolzen.
Die nächste Nummer, „Maskulinum – Femininum“, spielt auf die sexuelle
Zweideutigkeit an, die für die Weimarer Republik typisch war.
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War ein Maskulinum und ein Femininum,
Hatten beide sich so gern!
Sprach das Maskulinum zu dem Femininum
„Ich vertrau dir etwas ganz intern!“
Du bist Femininum, doch sehr maskulinum,
Ich bin Maskulinum doch sehr femininum.
So ein Maskulinum und ein Femininum
Die sind heutzutage streng modern!
Darum liebes Femininum, sei mein Maskulinum,
Ich dein Femininum und dann,
Was uns beiden fehlte,
Was uns beide quälte, ist vorbei.
Und das Femininum ging als Maskulinum,
Trug 'nen Frack und einen Stock,
Und das Maskulinum ging als Femininum,
Trug die Haare lang und einen Rock.
Und das Femininum kämpft' fürs Maskulinum,
Und das Maskulinum kocht' fürs Femininum
Doch das Maskulinum und das Femininum
Schossen beide einen Bock
Ja, ja, denn das Femininum bleibt fürs Maskulinum
Doch das Femininum
Und schwupps, was beiden fehlte,
Was sie beide quälte,
War vorbei.
Denn ein Femininum bleibt ein Femininum,
Wo es weiter keiner sieht!
Und ein Maskulinum bleibt ein Maskulinum
Mit den Männern stets in Reih' und Glied!
Und das maskuline starke Femininum
Schenkt dem femininen schwachen Maskulinum
Etwas schwaches, starkes masku-feminines,
Einen kleinen Hermaphrodit!
Ja, ja, ein neutrales Neutrum
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Ein fatales Neutrum
Ein totales Neutrum.
O Gott, wie dieses Maskulinum
Macht das Femininum nutt, nutt, nutt.
Text und Musik: Marcellus Schiffer
(Lemper 1996, 42-43)
Obwohl hier nicht direkt die Rede von Homosexuellen ist, sondern nur von der
Modeerscheinung der Verwechselung der sexuellen Rollen, bildet die Homosexualität
den Hintergrund zu diesem Lied. Die Homosexualität, obwohl gesetzlich noch strafbar,
wurde in der Weimarer Republik zu einem öffentlich debattierten Thema und die
Präsenz der Homosexuellen wurde sichtbarer. In Berlin war die homosexuelle Szene
besonders stark vertreten, es gab viele spezifisch schwulen Lokalen, wie das
„Eldorado", und es wurde zur Mode, dass Männer als Frauen bekleidet und Frauen als
Männer bekleidet in der Öffentlichkeit auftraten. Trotzdem hatte die Homosexualität
nicht nur diese frivole Komponente. Magnus Hirschfeld versuchte in seinem Institut für
Sexualforschung alle sexuellen Orientierungen wissenschaftlich auf den Grund zu
gehen und es wurden Kampagnen gestartet, um den Paragrafen 175, der die
Homosexualität kriminalisierte, abzuschaffen.
Als Nächstes soll ein Beispiel des engagierten Kabaretts analysiert werden, das
„Lied des Arbeitslosen":
Keenen Sechser in der Tasche,
Bloß’n Stempelschein.
Durch die Löcher der Kleedasche
Kiekt de Sonne rein.
Mensch, so stehste vor der Umwelt
Jänzlich ohne was;
Wenn dein Leichnam plötzlich umfällt,
Wird keen Ooge naß.
Keene Molle
Schmeißt der Olle,
Wenn er dir so sieht –
Tja, die Lage sieht sehr flau aus,
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Bestenfalls im Leichenschauhaus
Haste noch Kredit.
Stellste dir zum Stempeln an,
Wird det Elend nich behoben –
Wer hat dir, du armer Mann,
Abjebaut so hoch da droben?
Und so kieken dir de Knochen
Sachte aus der Haut,
Und du bist in wen’jen Wochen
Völlig abjebaut.
Und du koofst dir een paar Latten
Für’ne letzte Mark,
Denn für eenen dünnen Schatten
Reicht een dünner Sarg.
Nur nicht drängeln,
Zu den Engeln
Kommste noch zur Zeit –
“Holde Rationalisierung”,
Singt dir de Jewerkschaftsfürung
Sinnig zum Jeleit.
Stell dir vorsichtshalber dann
Jleich zum Stempeln an auch oben –
Denn du bleibst als armer Mann
Abjebaut auch hoch da droben.
Text: David Weber · Musik: Hanns Eisler
(Bei uns um die Gedächtniskirche rum …1996, 47)
In diesem Lied wird das Schicksal eines Arbeitslosen ironisch in starkem Berliner
Dialekt geschildert. Das ist nicht nur im Vokalismus oder der Verwechselung zwischen
Dativ und Akkusativ bemerkbar, sondern auch in der Verwendung von spezifisch
berlinerischen Wörtern wie Kleedasche für Klamotten. Nach einer Phase der
angeblichen Stabilisierung – zum großen Teil durch amerikanische Kredite – stürzt der
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Crash an der Wall Street im Jahr 1929 die deutsche Wirtschaft erneut in eine tiefe Krise.
Die Zahl der Arbeitslosen wächst ständig und erreicht die 6 Mio. Sie fühlen sich von
den Gewerkschaften nicht unterstützt. Die Destabilisierung der wirtschaftlichen Lage
und
die
Massenarbeitslosigkeit
trieben
viele
Arbeiter,
die
aus
Tradition
Sozialdemokraten waren, zu den radikalsten Angebote auf der linken und rechten Seite
des politischen Spektrums.
Kommunistisch gesinnte Künstler wie Erich Wienert und Ernst Busch, der „Das
Lied des Arbeitslosen" popularisierte, gaben ihren Vorstellungen in bürgerlichen
Kabaretten einen engagierten, radikalen Ton. Sie waren auch immer bereit, in
Veranstaltungen
der
KPD
aufzutreten.
Aber
eine
spezifische
Form
des
kommunistischen Kabaretts schaffte zum ersten Mal Erwin Piscator 1924 mit seiner
„Revue Roter Rummel". Ihr Erfolg führte zum Wuchern von Arbeitergruppen, die
allmählich die Form der roten Revue verließen zugunsten von an einem Thema nicht
mehr gebundenen Agitprop-Veranstaltungen.
Die düstere Stimmung der letzten Jahre der Weimarer Republik schlägt sich in
Hollaenders „Münchhausen" nieder:
Ich habe einen Baum gesehn,
Der war so stachlig wie Kakteen.
Es hingen rote Rosen dran und Früchte,
Die man essen kann.
Er war so hoch, daß man erblindet,
Bevor man seinen Wipfel findet;
Die Blätter, die bei Tag gerollt,
Falln nachts herab und sind aus Gold.
Und aus der Rinde, ei der Daus,
Fließt schöner heißer Kaffee raus.
Lüge, Lüge, Lüge, Lüge, Lüge, Lüge!
Aber schön wär’s, das ist klar,
Wäre nur ein bißchen wahr!
Lüge, Lüge, Lüge, Lüge, Lüge, Lüge,
Alles was der Mann gesehn,
Aber er erzählt so schön!
Um die Illusion sich nicht zu rauben,
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Möchte man ihm alles, alles glauben.
Ich habe einen Film gesehn,
Da brauchte niemand stramm zu stehn;
Nicht eine Uniform war drin,
Das Publikum ging trotzdem hin.
Er spielt' in keiner Garnison,
Und die Besucher klatschten schon,
Obgleich die Helden, wie kurios,
Gemeine Zivilisten bloß!
Der Film ging durch die ganze Welt
Und war in Deutschland hergestellt!
Lüge, Lüge, Lüge, Lüge, Lüge, Lüge! Usw.
Ich habe ein Gericht gesehn,
Das schien aus Menschen zu bestehn.
Der Richter war aus Fleisch und Blut,
Er unterschied nicht Christ und Jud'
Er unterschied nicht arm und reich,
Ihm warn alle lieb und gleich;
Von keinem dachte er was Schlecht's
Er trat nicht links und kniet' nicht rechts.
Er kannte, weil sein Herz noch jung,
So etwas wie Verantwortung.
Ich habe eine Frau gesehn
Die hatte schon der Kinder zehn.
Und Brot und Geld, die reichten nicht
Und jetzt ein elftes gar in Sicht.
Da ging die Frau zum Doktor hin
Und sprach: „Sieh her, wie arm ich bin!
Die Wiege steht und steht nicht leer,
Ich darf kein Kindlein haben mehr“.
Da sprach der Arzt: „Ich helfe dir,
Denn das Gesetz erlaubt es mir!„
Lüge, Lüge, Lüge, Lüge, Lüge, Lüge! Usw.
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Ich hab 'ne Republik gesehn
Da darf nur eine Fahne wehn!
Die Fahne, die ist schwarz-rot-gold,
Und keine andre wird entrollt!
Sie duldet nicht - es wär' ihr Tod -,
Etwa die Fahne schwarz-weiß-rot.
Und nirgend sieht man, ich bestreit's,
Wie heißt das Ding? So'n Hakenkreuz.
Die Kinder selbst am Ostseesand:
Nur schwarz-rot-gold der ganze Strand!
Lüge, Lüge, Lüge, Lüge, Lüge, Lüge! Usw.
Ich habe auch ein Land gesehn,
Das will in keinen Krieg mehr gehen.
Es schmelzt die ganzen Waffen ein,
Macht betten draus für Kinderlein.
Auf Kreuzern, die ganz umgestellt,
Fahrn frohe Menschen in die Welt,
Die bringen nach andern Ländern frei,
Das Lied, wie süß der Friede sei.
Ein solches Schiff, gar bunt bemannt,
Es wird das Friedensschiff genannt!
Lüge, Lüge, Lüge, Lüge, Lüge, Lüge! Usw.
Text und Musik: Friedrich Hollaender
(Lemper 1996, 48-50)
In diesem Lied macht Hollaender seiner Enttäuschung über die politische und
soziale Lage der Weimarer Republik Luft, indem er sich auf verschiedene Themen
bezieht: den Militarismus in der Gesellschaft, insbesondere in der Filmproduktion, die
Kontinuität der wilhelminischen Gesinnung in den Institutionen, vor allem in der Justiz,
die wirtschaftliche Misere und das Abtreibungsverbot ... Er weist auf die Gefahren für
die
Republik
durch
die
Macht
der
alten
Konservativen
und
der
neuen
Nationalsozialisten hin. Auch den verschiedenen Regierungen der Republik bleibt die
Kritik nicht erspart: Die geheimen Rüstungspläne, die, trotz der Bestimmungen des
Versailler Vertrages, sogar von sozialistischen Regierungen weitergetrieben werden,
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werden in der letzten Strophe bloßgelegt. In dieser Strophe druckt sich der militante
Pazifismus einer durch den ersten Weltkrieg traumatisierten Generation aus, zu deren
prominentesten Vertreter Erich Maria Remarque zählte. Der Refrain drückt die
Desillusionierung des Autors aus. Er hält zwar an den Werten der Republik fest, die
Kluft zwischen Ideal und Wirklichkeit ist aber zu groß. Dieser Zwiespalt wird anhand
der Figur des liebenswürdigen Lügners Baron von Münchhausen gezeigt.
Die Bedrohung des republikanischen Lebensstils durch den aufsteigenden
Nationalsozialismus ist das Hauptthema unseres letzten Beispiels, des „Bücherkarrens“:
Ich baue meinem Karren um, weil ich so langsam spüre,
Der Felix Dahn kriegt Publikum, nach rechts geht die Lektüre.
Den Emil Ludwig stelle ich weg, der hat nun ausgejodelt,
Jetzt kommt die Karre aus dem Dreck, wir werden umgemodelt!
Wie sag ich’s meinen Lesern gleich:
Wir kriegen jetzt das Dritte Reich!
Wenn ich wüßte, was der Adolf mit uns vorhat,
Wenn er erst die Macht am Brandenburger Tor hat?
Müssen wir dann alle braune Kragen tragen?
Darf dann niemand mehr das Wörtchen “nebbich” sagen?
Wird ein Vollbart unsere Heldenbrust bedecken?
Werden wir zum Gruß die dürren Arme recken?
Rufen wir dem Adolf „Heil“?!
Oder auch das Gegenteil?
Bald gibt es keine Mollen Bier, nur Met gibt ist zu trinken,
Und bei Kempinski rollen wir aufs Brot den Bärenschinken.
Statt Girls tanzt ein Walkürenchor bei Hermann Haller balde,
Das Kadeko macht Kabarett im Teutoburger Walde.
Habe ich das richtig vorgeahnt?
Ich weiß ja nicht, was Adolf plant!
Wenn ich wüßte, was der Adolf mit uns vorhat,
Macht er aus Berlin nur eine Münchner Vorstadt?
Wird das Tageblatt Fraktur nun schreiben?
Wird der Kreuzberg ohne Haken bleiben?
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Darf sich Reinhardt nur noch Goldmann nennen?
Oder wird man ihn trotzdem verbrennen?
Trifft ins Herz uns Adolf Pfeil?
Oder nur ins Gegenteil?
Text: Hellmuth Krüger · Musik: Willi Kollo
(Bei uns um die Gedächtniskirche rum …1996, 50)
In dieser Nummer beschäftigt sich der Autor mit der Kulturpolitik, die man zu erwarten
hat, wenn die Nazis an die Macht kommen, insbesondere auch mit der Zukunft des
Kabaretts. Das konservative Geschichtsbild der Nationalsozialisten und deren Fixierung
auf einer angeblich glorreichen germanischen Vergangenheit, ihr Provinzialismus, die
Lächerlichkeit der Selbstinszenierung der SA und der Antisemitismus werden an den
Pranger gestellt. Der spielerische Ton der Nummer zeigt aber, dass die Bedrohung des
liberalen Kulturklimas der Weimarer Republik durch die Nazis als nicht unmittelbar
eingeschätzt wurde.
Dass diese Bedrohung aber ernst war, und gerade auch für das Kabarett, hat uns
die Geschichte gezeigt. Die Anzahl der Kabarettisten, die 1933 Deutschland fluchtartig
verlassen mussten, ist beeindruckend hoch. Viele von ihnen waren Juden, einige hatten
ihre politische Stellung zu deutlich öffentlich gemacht. Es gab aber durchaus
Kabarettisten, die in Deutschland blieben und sich mit den Beschränkungen der Zensur
abfanden, schließlich sogar einige, die sich auf der Seite der Nazis stellten, wie Trude
Hesterberg (cf. Jelavich 1993, 228). Das Schicksal der jüdischen Kabarettisten, die
entweder das Land nicht verließen oder während der Eroberungskampagnen der Nazis
in ihren Zufluchtsländer ergriffen wurden, war meistens das KZ. Diejenigen, die noch
genug Lebensmut aufbringen konnten, organisierten Lagerkabarette, um ihren
Mitgefangenen, aber häufig auch die SS-Offiziere bei Laune zu halten. Es entstanden
Kabarettbühnen
in
Dachau,
Buchenwald,
im
holländischen
Westerbork,
in
Theresienstadt. Kurt Gerron, der im Vorzeigelager Theresienstadt das Kabarett
Karussell leitete, ließ sich von den Nazis anspannen, um einen Propagandafilm mit dem
zynischen Titel „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt" zu drehen. Nach Beendigung
der Dreharbeiten wurde er nach Auschwitz geschleppt und vergast.
Nach
der
Niederlage
des
Nationalsozialismus
konnte
auf
die
alte
Kabaretttradition zurückgegriffen werden und es entstanden zahlreiche neue Kabarette.
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Die Vielfalt der Inhalte des Weimarer Kabaretts verschwand aber zugunsten einer
Einschränkung auf politisch-gesellschaftlichen Themen.
BIBLIOGRAPHIE
1996. Bei uns um die Gedächtniskirche rum … Berlin Cabaret. Friedrich
Hollaender und das Kabarett der zwanziger Jahre in Originalaufnahmen (CD). Berlin:
Akademie der Künste, "edel" Gesellschaft für Produktmarketing.
Budzinski, Klaus und Reinhard Hippen. 1997. Metzler Kabarett Lexikon.
Stuttgart / Weimar: J. B. Metzler.
Gill, Anton. 1993. A Dance between Flames. Berlin between the Wars. London:
John Murray.
Jelavich, Peter. 1993. Berlin Cabaret. Cambridge (Mass) / London: Harvard
University Press.
Kühn, Volker. 1993. Die zehnte Muse. 111 Jahre Kabarett. Köln: Vgs
Verlagsgesellschaft.
Lemper, Ute (Darstellerin). 1996. Berlin Cabaret Songs. (CD) Decca. (Entartete
Musik. Music suppressed by the Third Reich).
Otto, Rainer und Walter Rösler. 1977. Kabarettgeschichte. Abriß des
deutschsprachigen Kabaretts. Berlin: Henschelverlag.
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