AG Klinische und Experimentelle Audiologie Leiter Prof. Dr. Sebastian Hoth Mitarbeit Priv.-Doz. Dr. I. Baumann, Dr. Sabine Liebler Mitglieder Erika Hecker; Gertrud Kreutz; Linda Mohr; M.; H. Rupp-Waibel; Antje von Schickfus; Karin Vogel; Marion Wendlandt Kooperationen Institut und Poliklinik für Arbeits- und Sozialmedizin (Direktor: Prof. Dr. G. Triebig) Deutsches Zentrum für Musiktherapieforschung im Victor Dulger-Institut (Direktor: Prof. Dr. V. Bolay) Psychologisches Institut der Universität (Direktor: Prof. Dr. H.-W. Wahl) Zielsetzung Die Forschungsaktivität des Audiologischen Labors ist auf die Erprobung neuer Wege in der Diagnostik von Hörstörungen und ihre Umsetzung in der praktischen und klinischen Audiologie fokussiert. Hierbei spielen die objektiven Hörprüfmethoden traditionell eine Schlüsselrolle. Das gemeinsame Ziel der Projekte besteht in der Verbesserung der Sicherheit bei der Objektivierung und Differenzierung von Hörstörungen, insbesondere vor dem Hintergrund der Früherkennung kindlicher Hörstörungen, der Prävention von Lärmschäden des Ohres und der Erkennung und Beschreibung von neuralen und zentralen Funktionsdefiziten des Hörsystems. Zentrale Hörstörungen und binaurale Interaktionspotentiale In der audiologischen Diagnostik besteht dringender Bedarf an Verfahren, die zur sicheren Feststellung, im optimalen Fall zur Objektivierung umschriebener Funktionsdefizite bei auditiven Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen (AVWS) beitragen können. Diese Störungen des zentralen Hörsystems sind durch Einschränkungen bei höheren Diskriminationsleistungen trotz normaler Funktion des peripheren Hörorgans gekennzeichnet. Die Betroffenen klagen typischerweise über Unsicherheiten bei der Lokalisation von Schallquellen sowie über Schwierigkeiten beim Telefonieren und beim Sprachverstehen im Störgeräusch. Im Kontrast zum häufig etwas diffusen, von psychischen Faktoren überlagerten anamnestischen Bild lassen sich diese Diskriminationsdefizite relativ exakt definieren und diagnostisch abgrenzen. Als subjektive Methoden stehen hierfür der Richtungshörtest sowie die Messung der binaural masking level difference (BMLD) und der binaural intellegibility level difference (BILD) zur Verfügung. Zusätzlich kann mit Hilfe der binauralen Differenzpotentiale (BDP) eine elektrophysiologische Messgröße gewonnen werden, die in einer engen Beziehung zur Verarbeitung der Richtungsinformation im Hirnstamm steht. Die Zusammenhänge zwischen Richtungshörtest und BDP sind von uns in einer kürzlich veröffentlichten Studie an Normalhörenden untersucht worden. Nach Erweiterung der Testbatterie um BMLD und BILD ist die Fortführung der Untersuchungen an Patienten mit einschlägigen Beschwerdebildern vorgesehen. Altersabhängigkeit der otoakustischen Emissionen In der Literatur wird die Frage, ob die otoakustischen Emissionen (OAE) im Laufe des Lebens auch bei unbeeinträchtigter Hörleistung an Amplitude verlieren, seit vielen Jahren intensiv diskutiert. Einheitlich wird über eine Abnahme der OAE-Amplitude mit zunehmendem Lebensalter berichtet, die Einflüsse von Alter und altersbedingtem Hörverlust sind jedoch bisher nur unzureichend getrennt. Daher wurden die im Audiologischen Labor der Univ.-HNO-Klinik Heidelberg in den Jahren 1993 bis 2005 erhobenen OAE-Daten retrospektiv in Hinblick auf die wechselseitigen Zusammenhänge zwischen OAE-Amplitude, Lebensalter und Hörverlust ausgewertet. Ausgehend von über 5000 Patienten im Altersbereich von 3 bis 87 Jahren, bei denen Messungen der transitorisch evozierten OAE (TEOAE) und der otoakustischen Distorsionsprodukte (DPOAE) vorlagen, wurden alle Fälle mit zweifelhaften tonaudiometrischen Angaben sowie Schalleitungsschwerhörigkeiten, Hörstürzen und Hörstörungen mit neuraler oder zentraler Beteiligung von der Auswertung ausgeschlossen. Weiterhin wurden nur Messungen ausgewertet, bei denen der Emissionspegel signifikant über dem Pegel des Restrauschens liegt. Für die Auswertung der Altersabhängigkeit verblieben nach dieser Auswahl noch 1783 Patienten. Unter diesen fanden sich insgesamt 2273 normalhörende Ohren, darunter noch 168 in den Altersklassen über 60 Jahre. Innerhalb einer Altersklasse nehmen die OAE-Amplituden mit zunehmendem Hörverlust ab. In allen Hörverlustklassen ist mit zunehmendem Lebensalter eine Abnahme der TEOAE- und DPOAE-Amplitude zu beobachten. Dies gilt insbesondere auch für die Ohren mit annähernd normalem Hörvermögen. Wird die Altersabhängigkeit der OAE-Amplitude bei festem Hörverlust durch eine Regressionsgerade approximiert, so beträgt die Abnahme ca. 6 dB vom 5. bis zum 80. Lebensjahr (Halbierung der Amplitude). Aus diesem Ergebnis kann geschlossen werden, dass die OAE-Amplitude nicht nur mit dem altersbedingten Hörverlust, sondern auch ohne Hörminderung mit zunehmendem Alter abnimmt. In der Praxis muss daher bei der Abschätzung des Hörverlustes aus der gemessenen OAE-Amplitude das Alter des Patienten berücksichtigt werden. Messqualität, Reproduzierbarkeit und Signifikanz Das Ziel der Untersuchung von Fakten und Zusammenhängen aus der numerischen Signalbeschreibung besteht darin, zu einem sachgerechten Umgang mit Parametern wie Restrauschen, Reproduzierbarkeit und Signal/Rausch-Verhältnis beizutragen. Diese Parameter erweisen sich als nützlich zur Beurteilung von verrauschten Signalen, wie sie in der objektiven Audiometrie allgegenwärtig sind. Mit ihrer Hilfe können Aussagen über die Präsenz und Signifikanz physiologischer Reizantworten statistisch untermauert werden. Insbesondere bei Annäherung an die Reizantwortschwelle beruht der Nachweis transienter und stationärer otoakustischer Emissionen (OAE) und akustisch evozierter Potentiale (AEP) auf ihrer Reproduzierbarkeit und dem Signal/Rausch-Verhältnis. Diese zwei Parameter sind unter den in der praktischen Audiometrie vorliegenden Bedingungen miteinander gleichwertig. Ohne Hinzunahme weiterer Größen, wie der Standardabweichung des Restrauschens, gibt ihr numerischer Wert alleine noch keine Auskunft über die statistische Sicherheit des Signalnachweises. Darüber hinaus ist bei transienten, im Zeitbereich detektierten Reizantworten zu beachten, dass die Ergebnisse von der Relation zwischen dem erfassten Zeitbereich und dem für die Reizantwort relevanten Zeitfenster beeinflusst werden. Die konsequente Berücksichtigung der hier untersuchten Zusammenhänge erhöht die Sicherheit bei der Unterscheidung zwischen nicht vorhanden Reizantworten und solchen, die sich dem Nachweis entziehen. Eingangs/Ausgangsfunktion der akustischen cochleären Reizantworten Die Messung der otoakustischen Emissionen (OAE) zählt zu den wichtigsten objektiven Diagnoseverfahren in der Audiologie. Bisher ist mit Hilfe der OAE jedoch lediglich eine qualitative Einschätzung des Hörvermögens möglich, obwohl eine quantitative, idealerweise auch frequenzspezifische Beurteilung wünschenswert wäre. Üblicherweise wird zur Messung der transitorisch evozierten otoakustischen Emissionen (TEOAE) der nonlinear mode verwendet. Dabei werden jedoch nicht die vollständigen TEOAE erfasst, sondern nur die DNLR (derived nonlinear response). Daher wurden die TEOAE sowohl im linear mode als auch im nonlinear mode an normalhörenden Probanden in einem Reizpegelbereich von etwa 84 dB SPL bis 27 dB SPL gemessen. Für die Auswertung wurde jede Messung in vier Zeitbereiche zerlegt, um die Beziehungen zwischen Latenzzeit, Emissionsfrequenz und frequenzbezogener Hörschwelle aufzuklären. Die Ergebnisse zeigen, dass die Messung im linear mode erwartungsgemäß sehr viel besser dazu geeignet ist, Reizantworten in der Nähe der Hörschwelle nachzuweisen: Im linear mode besteht zwischen der subjektiven Hörschwelle und der objektiven Nachweisschwelle der TEOAE ein hoch signifikanter Zusammenhang, im nonlinear mode lediglich ein signifikanter Zusammenhang. Die Zuordnung zwischen Latenz der OAE und audiometrischer Prüffrequenz ist jedoch nur sehr unscharf, da die Laufzeiten der cochleären Wanderwelle wesentlich kürzer sind als das analysierte Zeitfenster. Somit besteht der Nutzen der im linear mode gemessenen TEOAE darin, dass sie für die Bestimmung der Reizantwortschwelle besser geeignet sind. Ob zwischen Latenz und Reizfrequenz ein diagnostisch verwertbarer Zusammenhang besteht, lässt sich erst durch Messungen an schwerhörigen Patienten feststellen. Die Ergebnisse dieser Arbeit stellen hierfür das Fundament dar. Frequenzspezifische Objektivierung der Hörschwelle bei Kindern Eines der vorrangigen aktuellen Probleme der praktischen Audiometrie besteht in der objektiven und frequenzspezifischen Bestimmung der Hörschwelle bei Kindern. Mit Hilfe der akustisch evozierten Potentiale (AEP) konnte bisher trotz intensiver Bemühungen keine befriedigende Lösung gefunden werden: Die frühen transienten AEP sind zwar bereits beim Neugeborenen ausgereift, sie sind aber von einer hohen, mit frequenzspezifischen Reizen nicht erzielbaren neuronalen Synchronisation abhängig; die späten transienten AEP (SAEP) hingegen können mit schmalbandigen Reizen ausgelöst werden, sie hängen aber empfindlich von der erst sehr spät abgeschlossenen organischen Reifung des Hörsystems ab. Ein Ausweg besteht möglicherweise in der Anwendung der stationären AEP (auditory steady state responses, ASSR). Diese Potentiale werden perstimulatorisch als elektrophysiologische Antwort des Hörsystems auf amplitudenmodulierte Dauertöne gemessen. Bei bestimmten Modulationsfrequenzen können Komponenten isoliert werden, die in höheren Hirnstammregionen entstehen und nur in geringem Maße von Reifung und Vigilanzzustand abhängen. Der Signalnachweis erfolgt automatisiert mit Hilfe von Algorithmen, die auf die Erkennung der durch ihre Frequenz identifizierbaren Reizantwort optimiert sind. In einer Studie an normalhörenden und schwerhörigen Probanden unterschiedlichen Alters wird die Zuverlässigkeit und Genauigkeit dieser neuen Methode untersucht. Die Validierung erfolgt anhand der tonaudiometrischen Hörschwelle und den konventionellen SAEP als Vergleichsstandard. Hören im Alter Das Hörvermögen kann mit zunehmendem Alter in mehrfacher Hinsicht eingeschränkt sein. Die Ursachen hierfür liegen sowohl in organisch bedingten Funktionsdefiziten des Innenohres als auch in funktionellen Leistungsverlusten der beteiligten cortikalen Areale. Typische Anzeichen dieser zwei Einbußen sind die herabgesetzte Empfindlichkeit (bzw. angehobene Hörschwelle) für hohe Frequenzen und das erschwerte Sprachverstehen im Störgeräusch oder im Stimmengewirr. In Zusammenarbeit mit dem Psychologischen Institut der Universität werden Freiwillige im Alter über 75 Jahre ausführlich hinsichtlich ihrer Hörprobleme befragt und mit Hilfe einer für diesen Zweck zusammengestellten Palette subjektiver und objektiver Hörtests (Tonaudiogramm, otoakustische Emissionen, Sprachaudiogramm, Dichotischer Test nach FELDMANN, binaural intelligibility level difference) eingehend audiologisch untersucht. Die Ergebnisse dieser Erhebung geben Auskunft über das Ausmaß einer peripheren sensorischen Schädigung und über die Fähigkeiten zur zentralen Bewältigung komplexer auditiver Diskriminationsaufgaben. Nach Abschluss der Studie ist mit konkreten Vorschlägen zur Verbesserung der Hörsituation älterer Menschen zu rechnen. Publikationen Hoth S (1991) Veränderungen der Frühen Akustisch Evozierten Potentiale bei Akustikusneurinom [Alterations of the auditory brainstem responses in acoustic neuroma] HNO 39: 343-355 Hoth S (1993) Computer Aided Hearing Threshold Determination from Cortical Auditory Evoked Potentials Scand Audiol 22: 165-177 Hoth S, Bönnhoff S (1993) Klinische Anwendung der transitorisch evozierten otoakustischen Emissionen zur therapiebegleitenden Verlaufskontrolle [Clinical use of transitory otoacoustic evoked emissions in therapeutic follow-up] HNO 41: 135-145 Hoth S, Lenarz T (1993) Otoakustische Emissionen – Grundlagen und Anwendung Thieme, Stuttgart ISBN 3-13-127601-1 Hoth S, Heppt W, Finckh M (1994) Verhalten der evozierten otoakustischen Emissionen bei retrocochleären Hörstörungen Otorhinolaryngol Nova 4: 128-134 Hoth S, Lenarz T (1994) Elektrische Reaktions-Audiometrie Springer, Heidelberg ISBN 3-540-57667-3 Hoth S (1995) Experimentelle und klinische Untersuchungen am gesunden und pathologischen Ohr mit Hilfe der evozierten otoakustischen Emissionen Habilitationsschrift, Heidelberg Hoth S (1996) Der Einfluß von Innenohrhörstörungen auf verzögerte otoakustische Emissionen (TEOAE) und Distorsionsprodukte (DPOAE) Laryngol Rhinol Otol 75: 709-718 Hoth S, Lenarz T (1997) Otoakustische Emissionen – Grundlagen und Anwendung 2. Auflage. Thieme, Stuttgart ISBN 3-13-127602-9 Hoth S (1998) Die Messung später elektrisch evozierter Potentiale des auditorischen Systems bei CI-Patienten HNO 46: 739-747 Hoth S (1999) Medizinische Akustik und Audiologie In: Bille J, Schlegel W (Hrsg) Medizinische Physik. Band 1 Springer, Heidelberg (305-427) ISBN 3-540-65253-1 Hoth S, Lochmann H (1999) Dual response audiometry: A time-saving technique for enhanced objective auditory assessment Audiology 38: 235-240 Hoth S, Buller G, Suchandt S, Weber FN, Lochmann H (2001) Die Problematik der Bewertung transitorisch evozierter otoakustischer Emissionen (TEOAE) durch Experten und Expertensysteme Z Audiol 40(2): 48-61 Hoth S, Weber FN (2001) The latency of evoked otoacoustic emissions: Its relation to hearing loss and auditory evoked potentials Scand Audiol 30: 173-183 Hoth S, Lohaus M, Waldmann B (2003) Messung der frühen akustisch evozierten Potentiale bei direkter mechanischer Stimulation der Gehörknöchelchenkette HNO 51: 550-557 Hoth S (2005) On a possible prognostic value of otoacoustic emissions. A study on patients with sudden hearing loss Eur Arch Otorhinolaryngol 262(3): 217-224 Hoth S (2005) Die Rekonstruktion der Hörschwelle aus den otoakustischen Distorsionsprodukten: Ein Vergleich verschiedener Ansätze Z Audiol 44(3): 120-133 Argstatter H, Nickel AK, Rupp A, Hoth S, Bolay HV (2005) Musiktherapie bei chronischem Tinnitus. Pilotstudie zur Entwicklung und Überprüfung einer neuartigen Behandlungsmethode Musik-, Tanz- und Kunsttherapie 16(1): 1-6 Hoth S, Gudmundsdottir K, Plinkert P (2006) The effect of aging on otoacoustic emissions studied in 10284 ears from 0 to 90 years ICAud 2006, Innsbruck, 3 – 7 September 2006 Hoth S, Polzer M (2006) Qualität in Zahlen: Signalnachweis in der objektiven Audiometrie [Quality measures of noisy signals. Response detection in objective audiometry] Z Audiol 45(3): 100-110 Hoth S, Neumann K (2006) Das OAE-Handbuch. Otoakustische Emissionen in der Praxis. Thieme, Stuttgart ISBN-10: 3 13 142561 X / ISBN-13: 978 3 13 3142561 4 Hoth S (2006) Audiometrie. Die Untersuchung des Gehörs und seine technische Versorgung In: Kramme R (Hrsg) Medizintechnik 3. Auflage S. 193-246 Springer, Heidelberg (2006) ISBN-13: 978-3-540-34102-4 Hoth S, Neumann K (2006) Die diagnostische Aussagekraft der otoakustischen Emissionen Praktische Arbeitsmedizin 6: 18-24 Hoth S (2007) Indication for the need of flexible and frequency specific mapping functions in cochlear implant speech processors Eur Arch Otorhinolaryngol 264(2): 129-138 Leitel T, Hoffmann J, Hoth S, Triebig G (2007) Expositionsstudie zur Ototoxizität von Styrol in arbeitsplatzrelevanten Konzentrationen und in Verbindung mit Lärm Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 42(5) 274-281 Hoth S, Gudmundsdottir K, Plinkert P (2007) The impact of aging and age related hearing loss on otoacoustic emissions 8th EFAS conference, Heidelberg, 6 – 9 Juni 2007 Hoth S, Benz M (2007) Zur Beziehung zwischen den Binauralen Differenzpotentialen und dem Richtungshörvermögen [On the relation between binaural difference potentials and directional hearing] HNO 55(6): 447-456 Hoth S, Polzer M, Neumann K, Plinkert P (2007) TEOAE amplitude growth, detectability, and response threshold in linear and nonlinear mode and in different time windows Int J Audiol 46: 407-418