Auszüge aus: Naomi Klein: This Changes Everything – Capitalism vs. the Climate (2014) – frei übersetzt 1. Die Dringlichkeit des Klimaschutzes Als das 2-Grad-Ziel in Kopenhagen (2009) offiziell wurde, gab es leidenschaftliche Widerreden vieler Delegierter, die das Ziel als „Todesurteil“ für manche niedrig gelegene Inseln sowie für weite Teile Afrikas südlich der Sahara bezeichneten. Und wirklich bedeutet es ein großes Risiko für uns alle. … 2011 veröffentlichte die sehr seriöse Internationale Energieagentur (IEA) einen Bericht mit der Einschätzung, dass wir uns tatsächlich auf eine 6-Grad-Erwärmung zubewegen. [Das bedeutet] ganz einfach, dass die Klimakrise zu einer existenziellen Bedrohung für die Menschheit geworden ist. … Die IEA hat die erschreckende Warnung ausgesprochen, dass unsere ölgetriebene Wirtschaft eine extrem gefährliche Erwärmung zwingend nach sich ziehen wird, wenn wir unsere Emissionen nicht bis 2017 unter Kontrolle bekommen. 2. Klimawandel als gutes Geschäft Wie andere Krisen wird auch die Klimakrise von den Mächtigen dazu benutzt werden, noch weitere Ressourcen unter ihre Kontrolle zu bringen. Diese Entwicklung ist im Frühstadium bereits erkennbar. Auf der ganzen Welt werden kommunale Wälder privatisiert und zu Baumschulen und Reservaten erklärt, damit ihre Besitzer_innen Emissionsrechte erwerben können... Internationale Rückversicherer machen Milliardengewinne, zum Teil mit dem Verkauf neuartiger Versicherungen an Entwicklungsländer, die zwar so gut wie nichts zur Entstehung der Klimakrise beigetragen haben, aber besonders empfindlich von ihren Auswirkungen betroffen sind. Und mit bemerkenswerter Offenheit hat der riesige Waffenproduzent Raytheon erklärt, dass sich „mit hoher Wahrscheinlichkeit erweiterte Geschäftsmöglichkeiten ergeben werden, wenn Verhalten und Bedürfnisse der Verbraucher sich im Zuge des Klimawandels verändern.“ Diese Möglichkeiten beinhalten „Nachfrage nach unseren Militärprodukten und -dienstleistungen, weil Dürren, Überschwemmungen und Stürme erhöhte Sicherheitsbelange mit sich bringen können.“ Dürren und Überschwemmungen schaffen alle möglichen Geschäftsmöglichkeiten neben der erhöhten Nachfrage nach bewaffneten Männern. Zwischen 2008 und 2010 wurden mindestens 261 Patente für „klimaresistente“ Nutzpflanzen registriert... um die 80% davon stammen von sechs großen Agrarunternehmen, darunter Monsanto und Cargill. Nichts von all dem kommt als Überraschung. Das gegenwärtige System ist dafür gemacht, neue Wege zur Privatisierung der Allmende und der profitablen Nutzung von Katastrophen zu finden; auf sich gestellt, ist es zu nichts anderem in der Lage. 3. Emissionen als Begleiterscheinung des Neoloberalismus Unsere Regierungen haben dutzende Abkommen getroffen, die wichtige Aspekte einer soliden Klimaschutzpolitik illegalisieren... vom Würgegriff der Austeritätslogik, der Regierungen von den nötigen Investitionen in klimafreundliche Infrastruktur abhält... bis hin zum Verramschen der Stromversorgung an private Konzerne, die sich oft weigern, auf weniger profitable Erneuerbare umzusatteln. Eine der Schlüsselbestimmungen in fast allen Freihandelsabkommen betrifft die sogenannte „Inländerbehandnlung“, die es Regierungen verbietet, zwischen lokaler und ausländischer Produktion zu unterscheiden. Somit wird die Bevorzugung regionaler Industrien zur illegalen „Diskriminierung“. … Das größte Problem an dieser Logik ist die Vorstellung, dass es einen freien Energiemarkt gäbe, der vor Verzerrungen zu schützen wäre. Nicht nur, dass Ölkonzerne weltweit jährlich 775 Milliarden bis eine Billion Dollar an Subventionen erhalten – sie zahlen auch nichts für das Privileg, unser aller Atmosphäre als gratis-Müllkippe behandeln zu dürfen. … Vor fast zehn Jahren hat ein Vertreter der Welthandelsorganisation WTO behauptet, die Organisation ermögliche Schritte gegen „beinahe jede Maßnahme zur Reduktion von Treibhausgasen.“ ... [Infolge der Liberalisierung der Weltmärkte] befinden wir uns in einer sehr schwierigen und etwas ironischen Situation. Aufgrund der Jahrzehnte der intensiven Emissionen stehen die notwenigen Klimaschutzmaßnahmen nicht länger nur im Widerspruch zum spezifischen deregulierten Kapitalismus der 80er Jahre. Sie stehen heute im Widerspruch zum fundamentalen Grundsatz, der den Kern unserer Wirtschaft ausmacht: Wachse oder stirb. Unsere einzige Hoffnung, die Erwärmung unterhalb der international vereinbarten 2 Grad Celsius zu halten, ist eine Verringerung der Emissionen der reichen Länder um circa 810% pro Jahr. Der „freie“ Markt kann diese Aufgabe schlichtweg nicht erfüllen. Vergleichbare Reduktionen der Emissionen hat er bislang nur im Zusammenhang mit tiefen Wirtschaftskrisen hervorgebracht. … Die Essenz des ganzen lautet: Unser Wirtschaftssystem befindet sich im Krieg mit unserem Planeten. Oder, genauer gesagt: Unsere Wirtschaft ist im Krieg mit vielen Lebensformen auf Erden, inklusive der menschlichen. … Wir stehen also am Scheideweg: Entweder wir lassen zu, dass der Klimawandel unsere komplette Welt verändert. Oder wir verändern so ziemlich alles an unserem Wirtschaftssystem, um diesem Schicksal zu entgehen. Einer Tatsache müssen wir uns dabei bewusst sein: Weil wir jahrzehntelang die Fakten verdrängt haben, stehen uns keine graduellen, schrittweisen Optionen mehr zur Verfügung. 6. Klimawandel und Privilegien Es gibt eine klare Verbindung zwischen der Weigerung, die Ergebnisse der Klimawissenschaft anzuerkennen, und sozialen und ökonomischen Privilegien. Überwiegend sind Klimaskeptiker nicht nur konservativ, sondern auch weiß und männlich... und sie sind ihrer Sache sicherer als andere Erwachsene. ... Es ist bekannt, dass wirtschaftliche Interessen in der Öl- und Gaswirtschaft die Wahrscheinlichkeit erhöhen, die Realität des Klimawandels zu verleugnen, unabhängig von der politischen Einstellung. … Wie Upton Sinclair schon feststellte: „Es ist schwierig, einen Mann zum Verständnis einer Sache zu bringen, wenn sein Gehalt davon abhängt, dass er sie nicht versteht!“ Während sich die Welt erwärmt, wird uns gerade die Ideologie, die wirksamem Klimaschutz entgegen steht – die uns glauben macht, jede_r kämpfe für sich allein, Opfer verdienten ihr Schicksal, und wir könnten die Natur beherrschen – an einen Ort sozialer Unterkühlung führen. Und es wird noch kälter werden, wenn rassistischer Überlegenheitswahn ein glorreiches Comeback feiert. In der von krasser Ungleichheit geprägten Welt, zu der diese Ideologie so viel beigetragen hat, ist dieser Wahn unverzichtbar: Er liefert die nötige Rechtfertigung für die Herzenskälte gegenüber den größtenteils schuldlosen Opfern des Klimawandels im globalen Süden und den vorwiegend afroamerikanischen Städten wie New Orleans, die zu den Hauptbetroffenen im globalen Norden zählen. Stephen Pacala, dem Direktor des Umweltinstituts der Universität von Princeton zufolge... sind die 500 Millionen reichsten Menschen der Welt für ungefähr die Hälfte der weltweiten Emissionen verantwortlich. Das betrifft die Reichen in jedem Land der Erde... sowie weite Teile der Mittelklassen in Nordamerika und Europa. … Deshalb ist der so oft bemühte Kampf gegen die vermeintliche Überbevölkerung keine Lösung der Klimakrise, sondern ein Ablenkungsmanöver in eine moralische Sackgasse. Wie die Forschung zeigt, ist die Hauptursache der Emissionen nicht etwa das Fortpflanzungsverhalten der Armen, sondern vielmehr das Konsumverhalten der Reichen. 2. Misstraut Euren Führern! Die hierarchische Ordnung war derart eindeutig, dass die Klimaverhandlungen von Anfang an ihre Unterwürfigkeit gegenüber dem Welthandelssystem erklärten. So stellte das UNO-Klimaabkommen des Erdgipfels von Rio 1992 klar, dass „Klimaschutzmaßnahmen, auch unilaterale, niemals versteckte Handelsbeschränkungen darstellen sollten.“ (Ähnliche Regelungen finden sich im Kyoto-Protokoll.) 2013 waren die weltweiten Kolhendioxidessissionen 61% höher als 1990, also in dem Jahr, in dem die ersten wirklichen Klimaverhandlungen begannen. In der Zwischenzeit hat der jährliche Weltklimagipfel mehr und mehr Ähnlichkeit mit einer kostspieligen und emissionsintensiven Gruppentherapiesitzung, in der die Repräsentant_innen der vom Klimawandel am stärksten betroffenen Länder ihrem Zorn Luft machen, während die niederrangigen Entsandten der für die Tragödie verantwortlichen Nationen betreten zu Boden schauen. … Wir sind auf uns selbst gestellt und jeder glaubwürdige Quell der Hoffnung wird in dieser Krise von unten kommen müssen. 7. Von der Wichtigkeit radikaler Oppositionen Nein zu sagen reicht nicht aus. Wenn Oppositionsbewegungen mehr sein wollen als spektakuläre, aber kurzlebige Strohfeuer, dann brauchen sie eine umfassende Vision dessen, was anstelle unseres versagenden Systems treten soll – ebenso wie ernstzunehmende politische Strategien zur Erreichung dieses Ziels. Kevin Anderson, Vizedirektor des Tyndall-Zentrums für Klimawandelforschung, erklärt: „Vielleicht hätte das 2-Grad-Ziel zur Zeit des Erdgipfels in Rio oder auch noch zur Jahrtausendwende innerhalb der herrschenden politischen und wirtschaftlichen Ordnung erreicht werden können. Aber die Herausforderung des Klimawandels wächst dynamisch an. … Heute, nach zwei Jahrzehnten der Bluffs und Lügen, erfordert das verbleibende 2-Grad-Budget eine revolutionäre Veränderung der politischen und ökonomischen Hegemonie.“ Die „Gemäßigten“, die den Klimaschutz ständig als etwas leichter Verdauliches verkaufen wollen als er ist, fragen sich: Wie kann man Veränderungen herbeiführen, ohne dass die Verantwortlichen der Krise sich durch ihre Lösung bedroht fühlen? Wie, fragen sie sich, versichert man der aufgeschreckten megalomanischen Elite, dass sie immer noch die Welt beherrscht, wenn alle Fakten dagegen sprechen? Die Antwort ist: Man tut es nicht. Man stellt sicher, dass man genügend Leute auf seiner Seite hat, um die Machtverhältnisse zu den eigenen gunsten zu verändern und es mit den Verantwortlichen aufzunehmen. Jegliche Klimaschutzmaßnahmen, die Aussicht auf Erfolg haben, kennen nicht nur Gewinner_innen, sondern auch eine nennenswerte Anzahl an Verlierer_innen – Industrien, die nicht in der Form weiterexistieren können, und Arbeiter_innen, deren Jobs verschwinden. Es gibt wenig Hoffnung, die Ölkonzerne für eine grüne Gesellschaftsveränderung zu gewinnen; die Profite, die dabei auf dem Spiel stehen, sind schlichtweg zu groß. Das gilt allerdings nicht für die Arbeiter_innen, deren Löhne aktuell von der Gewinnung fossiler Brennstoffe abhängen. Wir wissen eines: Gewerkschaften werden auch die dreckigsten Jobs mit Zähnen und Klauen verteidigen, wenn es die einzigen erhältlichen Arbeitsplätze sind. Andererseits: Wenn die Arbeiter_innen der schmutzigen Wirtschaftszweige gute Arbeit in sauberen Branchen geboten bekommen, wenn sie eine aktive Rolle im grünen Wandel spielen, dann kann der Fortschritt in Windeseile vor sich gehen. Es ist kontraproduktiv, Menschen zur Arbeit in Bereichen zu nötigen, die einzig und allein der Konsumsteigerung dienen. Wie Alyssa Battistoni, Redakteurin des Magazins Jacobin, schreibt: „Leute in Scheißjobs zu drängen, damit sie ihren Lebensunterhalt 'verdienen', war schon immer widerwärtig. Heute scheint es darüber hinaus suizidal.“ … Der Kampf gegen Ungleichberechtigung an allen Fronten und mit vielfältigen Mitteln muss als eine zentrale Strategie im Kampf gegen Klimawandeln gesehen werden. 8. „Grüner“ Konsum reicht nicht mehr aus Auch wenn grüne Technologien enorme Potentiale zur Emissionsverringerung beinhalten, bedingt der Umstieg den Neubau ausgedehnter Strom- und Beförderungsnetze... selbst wenn wir noch heute zu bauen anfingen, würde es realistischerweise viele Jahre, vielleicht Jahrzehnte brauchen, bis die neuen Systeme fertiggestellt würden. Und weil unsere Wirtschaft noch nicht mit sauberer Energie läuft, würde der Ausbau klimafreundlicher Infrastruktur riesige Mengen fossiler Brennstoffe bennötigen – ein unumgänglicher Prozess, aber eine, der unsere Emissionen nicht schnell genug verringert. Tiefe Einschnitte in den Treibhausgasausstoß der reichen Nationen müssen sofort beginnen. Das heißt, dass wenn wir auf die [Wundertechnologien] warten, bringt es zu wenig zu spät. Was tun wir also bis dahin? Nun, wir tun, was wir können. Und was wir tun können,... ist jetzt sofort weniger zu konsumieren. Eine Politik, die die Leute zur Konsumverringerung anregt, fällt unserer politischen Klasse erheblich schwerer als eine, die zum grünen Konsum anregt. Gründer Konsum bedeutet, einfach eine Energiequelle durch eine andere zu ersetzen, ein Modell mit einem effizienteren. Der Grund, weshalb wir derzeit alles auf grüne, effiziente Technologien setzen, ist, dass diese Veränderungen weit innerhalb der Marktlogik rangieren – tatsächlich ermutigen sie uns, loszugehen und neue, effiziente, grüne Autos und Waschmaschinen zu kaufen. Weniger zu konsumieren hingegen heißt, an der eigentlichen Menge der benötigten Energie anzusetzen. … Eine Menge Leute versuchen, ihr Alltagsleben in Richtung eines verringerten Konsums zu gestalten. Aber wenn diese Emissionsminderungen auf der Nachfrageseite auch nur annähern die nötigen Ausmaße erreichen sollen, dann können sie nicht auf der Stufe von Lifestyle-Entscheidungen wohlmeinender Städter_innen stehenbleiben, die gern am Samstagnachmittag in upcyclingKlamotten zum Wochenmarkt flanieren. Wir werden umfassende Strategien und Programme benötigen, die klimafreundliche Optionen für alle praktisch und erreichbar machen. Vor allem müssen diese Strategien gerecht sein, sodass Menschen, die bereits am Existenzminimum leben, nicht zusätzliche Opfer abverlangt werden, um den exzessiven Konsum der Reichen auszugleichen. 9. Positive Potentiale Der Klimawandel könnte eine elektrisierende Wirkung auf die Menschheit entfalten... Dies ist eine Vision, in der wir die Krise kollektiv zu einer sprunghaften Entwicklung nutzen, die uns in eine bessere Welt führt. Denn das Ding mit solch großen, allumfassenden Krisen ist, dass sie alles verändern. … Das bedeutet, dass es eine ganze Menge vermeintlich unmöglicher Dinge gibt, die jetzt sofort geschehen müssen. Können wir das schaffen? Alles, was ich weiß, ist, dass nichts feststeht. Nichts, außer dass der Klimawandel alles verändert. Und für einen sehr kurzen Zeitraum liegt die Gestaltung dieser Veränderung noch in unseren Händen. 10. Gerechter Klimaschutz Ein Gefühl der Fairness – dass die gleichen Regeln für alle Spieler_innen gelten, groß oder klein – hat unseren kollektiven Klimaschutzmaßnahmen bislang völlig gefehlt. Jahrzehntelang wurden gewöhnliche Leute ermahnt, das Licht auszumachen, im Winter Pullis anzuziehen und Prämium-Preise für ungiftige Reinigungsprodukte und erneuerbare Energie zu zahlen – um dann zuzusehen, wie die größten Umweltverschmutzer_innen ungestraft ihre Emissionen ausbauen. … Nachdem die Öffentlichkeit mit Einschnitten im Bildungssystem, in der Gesundheitsversorgung und in der Sozialhilfe die Krise der Banken bezahlen musste ist es kein Wunder, dass sie keine Lust hat, den Ölkonzernen aus einer Krise zu helfen, die sie selbst verursacht haben und tagtäglich verschlimmern. … Die Lehre aus alldem ist nicht, dass die Leute keine Opfer zum Wohle des Klimas bringen würden. Nur haben sie genug von unserer Kultur der einseitigen Opfer, in der Individuen hohe Preise für angeblich grüne Güter bezahlen sollen während große Konzerne jedes Schlupfloch der Regulationen ausnutzen und sich nicht nur weigern, ihr Verhalten zu ändern, sondern ihre umweltschädigenden Aktivitäten sogar noch ausweiten. … Wir sollten uns der Art der Herausforderung bewusst sein: Es ist nicht, das „wir“ pleite wären oder keine Optionen hätten. Es ist unsere politische Klasse, die vollkommen unwillens ist, das Geld dort zu holen wo es ist, … und die Kapitalisten sind felsenfest entschlossen, ihren Anteil nicht zu zahlen.