03.07 Bioindikatoren (Ausgabe 1996)

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Senatsverwaltung für Stadtentwicklung,
Umweltschutz und Technologie
03.07 Bioindikatoren (Ausgabe 1996)
Problemstellung
Als Bioindikatoren werden Organismen oder Organismengemeinschaften bezeichnet, die auf
Schadstoffbelastungen mit Veränderungen ihrer Lebensfunktionen reagieren bzw. Schadstoffe
akkumulieren (Arndt et al. 1987). Durch ihre spezifische biologische Wirkung werden Erkenntnisse
gewonnen, die technisch-analytisch ermittelte Immissionsdaten ergänzen können. Die wichtigsten
Gründe, Bioindikatoren einzusetzen, sind:
 direkte Ermittlung biologischer Wirkungen,
 Feststellung synergistischer und antagonistischer Wirkungen durch mehrere Schadstoffe im
Organismus,
 Früherkennung von Pflanzenschäden, von ökosystemaren Belastungen oder von humantoxischen
Gefährdungen und
 vergleichsweise geringe Kosten im Vergleich zu technischen Meßverfahren.
Den erheblichen Möglichkeiten bei der Umweltüberwachung mit Bioindikatoren stehen oft methodische
Schwierigkeiten gegenüber, die sich aus der Verwendung "lebender Meßinstrumente" ergeben. So
können die Wirkungen von Umweltbelastungen nicht immer eindeutig von natürlichen Streßfaktoren
unterschieden werden. Auch erschwert die teilweise noch geringe Praxiserfahrung bei bestimmten
Indikatoren eine sichere Interpretation von Befunden, insbesondere wenn keine vergleichenden
Immissionsmessungen zur Verfügung stehen.
Infolge intensiver Forschungen in den letzten Jahrzehnten stehen heute jedoch zahlreiche
Bioindikatoren zur Verfügung, die den Anforderungen an leichte Handhabung, Standardisierbarkeit,
Kosten und Auswertbarkeit weitgehend entsprechen (vgl. Arndt 1987, Zimmermann u. UmlauffZimmermann 1994).
Unterschieden werden Akkumulationsindikatoren, die Schadstoffe anreichern, ohne mit
nachweisbaren Veränderungen im Stoffwechsel zu reagieren, und Reaktionsindikatoren, die bereits
nach Aufnahme geringer Schadstoffmengen Zellveränderungen oder sichtbare Schadsymptome
aufweisen.
Wenn zur Bioindikation Organismen, Organismengemeinschaften oder Teile von Organismen
verwendet werden, die einen natürlichen Bestandteil von Ökosystemen bilden und spontan dort
vorkommen, wird dieses Verfahren als passives Biomonitoring bezeichnet. Unter dem Begriff
aktives Biomonitoring werden alle Methoden verstanden, die das Ausbringen von Organismen unter
kontrollierten Bedingungen an einen Untersuchungsort beinhalten.
Immissionsökologisches Wirkungskataster
Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie führt seit 1991
umfangreiche Untersuchungen zur Erfassung von Immissionswirkungen durch, wobei das
Schwergewicht auf den für Ballungsgebiete typischen Schadstoffkomplexen liegt (SenStadtUm 1993a).
Alle eingesetzten Bioindikationsverfahren verfügen über Vor- und Nachteile, so daß in der Praxis
entsprechend der jeweiligen Fragestellung nicht nur einzelne Bioindikatoren, sondern möglichst
aufeinander abgestimmte Fächer von Indikatororganismen eingesetzt werden. Dieser systematische
Einsatz von Bioindikatoren ist Gegenstand des immissionsökologischen Wirkungskatasters im
Rahmen des Monitoringprogramms Naturhaushalt in Berlin. Die so gewonnenen Ergebnisse stellen
wichtige Ergänzungen zu den Daten der Luftüberwachung dar, wie sie vor allem mit dem Berliner
Luftgüte-Meßnetz (BLUME) nach dem Stichprobenmeßprogramm seit Jahren erfolgt.
Der erhebliche Umfang der bisher im Rahmen des immissionsökologischen Wirkungskatasters
gewonnenen Daten und Erkenntnisse erfordert bei der Darstellung im Umweltatlas eine Beschränkung
auf Ergebnisse, die eine Differenzierung von Belastungsbereichen zulassen, die bereits hinreichend
abgesichert sind und die als Planungsgrundlagen von besonderer Bedeutung sein können.
1
Die Darstellung im Umweltatlas berücksichtigt in nahezu gleichem Maße aktive und passive
Bioindikationsverfahren sowie Akkumulations- und Reaktionsindikatoren (vgl. Abb. 1). Die
ausgewählten Ergebnisse ermöglichen sowohl einen Überblick über die allgemeine
Immissionssituation in Berlin, wie sie durch Wirkungen auf natürlich vorkommende und exponierte
Flechten deutlich wird, als auch auf spezielle regionale Belastungsmuster, wie sie durch die
Akkumulation bestimmter Stoffe in Kiefernnadeln, Weidelgras und Grünkohl indiziert werden.
Abb. 1: Bioindikationsverfahren des immissionsökologischen Wirkungskatasters
Weitere Ergebnisse der Untersuchungen des Wirkungskatasters, die hier nicht vorgestellt werden (vgl.
Abb. 1) sind den entsprechenden Gutachten und Veröffentlichungen zu entnehmen (vgl. Literatur).
Bei der Bewertung von Untersuchungsbefunden kann in einigen Fällen auf frühere Forschungsarbeiten
zurückgegriffen werden, durch die ein zeitlicher Vergleich allgemeiner Immissionswirkungen und
bestimmter stofflicher Belastungen ermöglicht wird (vgl. Cornelius et al. 1984). Derartige
Referenzdaten stellen für die Bewertung der Belastungssituation in Berlin heute wertvolle Maßstäbe
dar, da so auch Veränderungen der Luftqualität während des letzten Jahrzehnts dokumentiert werden
können.
Untersuchte Schadstoffe
Die Auswahl der analysierten Schadstoffe berücksichtigt human- und phytotoxische sowie
ökosystemare Aspekte. Die gewonnenen Informationen können somit zu einer übergeordneten
Betrachtung der Umweltbelastung im Berliner Raum genutzt werden. Im Mittelpunkt des
immissionsökologischen Wirkungskatasters stehen die folgenden Schadstoffe:
Verhältnismäßig hohe Schwefeldioxid- und Staubimmissionen kennzeichneten die Berliner Luft
besonders während der Wintermonate bei austauscharmen Wetterlagen noch bis zum Ende der 80er
Jahre. Hierfür war insbesondere der erhebliche Anteil schwefelhaltiger Braunkohle bei der
Wärmeerzeugung in Altbauwohngebieten verantwortlich (vgl. Karte 03.01, SenStadtUm 1994).
2
Hohe SO2-Gehalte in der Luft, die als Gas oder in wässriger Lösung in die Pflanzenzelle eindringen,
können pflanzenschädigende Wirkungen hervorrufen. Durch weitere Reaktionen von SO2 entstehen
Säuren, die als Niederschlag in den Boden eingetragen werden und indirekte Schäden, wie
Nährstoffmangel und Säurestreß, auslösen können. Die Konzentrationsgrenzen für eine direkt
schädigende Wirkung liegen für Pflanzen deutlich unter denen für Menschen und Tiere. Hohe
Schwefeldioxidkonzentrationen führen zu den als Rauchschäden bekannten Schadsymptomen an
Nadelbäumen, die sich durch unspezifische Chlorosen, Nekrosen, Wachstumsdepressionen und
Beeinträchtigungen der Reproduktion bemerkbar machen.
Das Schwermetall Blei ist aufgrund seiner Toxizität von besonderer Umweltrelevanz. Hauptquelle ist
immer noch das verbleite Benzin. Da Bleipartikel fast vollständig auf der Oberfläche von Blättern
verbleiben, kann nur ein geringer Anteil physiologisch wirksam werden und Pflanzen schädigen.
Allerdings kann auf diesem Wege eine Anreicherung des Stoffes in der Nahrungskette erfolgen, so
daß toxische Auswirkungen bei Weidetieren oder beim Menschen nicht auszuschließen sind.
Fluor wird bei verschiedenen industriellen Prozessen, bei der Abfallverbrennung sowie bei der
Energieerzeugung aus fossilen Brennstoffen freigesetzt. Fluorwasserstoffschädigungen bei Pflanzen
treten vornehmlich an Blatträndern und -spitzen als Nekrosen auf. Fluoride werden in Pflanzen
akkumuliert und führen zu Blattschäden und Wachstumshemmung.
Polycyclische Aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) werden hauptsächlich bei unvollständiger
Verbrennung (u.a. in Verbrennungsmotoren und Heizungsanlagen) emittiert, gelangen jedoch auch
durch Abwaschungen von teer- und bitumengedeckten Flächen in die Umwelt. Die Aufnahme in den
menschlichen Organismus erfolgt vorwiegend über Atmung, aber auch über Nahrung und Hautkontakt.
Aufgrund der erheblichen kanzerogenen und mutagenen Potenz der Stoffgruppe stehen
humantoxikologische Aspekte gegenüber phytotoxischen Wirkungen im Vordergrund. Hierbei gilt
insbesondere Benz(a)pyren (BaP) als wesentliche Leitkomponente von PAK-Gemischen.
Polychlorierte Biphenyle (PCB) sind in der Umwelt heute ubiquitär verbreitet. Trotz der Einstellung
der Produktion des Stoffes in Deutschland im Jahr 1983 erfolgen weiterhin erhebliche diffuse
Emissionen aus Mülldeponien, der Altöl- und Abfallverbrennung sowie aus Leckagen. Durch
Anreicherung in der Nahrungskette gelangen PCB vorzugsweise durch tierische Nahrung in den
menschlichen Organismus. Während die Akkumulation in Pflanzen von geringer phytotoxischer
Bedeutung zu sein scheint, muß der Exposition der Bevölkerung angesichts fruchtschädigender und
des begründeten Verdachts auf kanzerogene Wirkungen große Beachtung geschenkt werden.
Polychlorierte Dibenzodioxine (PCDD) und Polychlorierte Dibenzofurane (PCDF) sind
unerwünschte Nebenprodukte, die bei chemischen und thermischen Prozessen unter Beteiligung von
Chlor und seinen Verbindungen entstehen und in die Umwelt gelangen. Hauptemissionsquellen in
Berlin sind Industriebetriebe, Müllverbrennungsanlagen, Kraftwerke, Metallrecyclinganlagen, KfzVerkehr, Hausfeuerungen und kontaminierte Flächen als Sekundärquellen. Die als "Dioxine" bekannt
gewordene Stoffgruppe reichert sich in der Nahrungskette an und gelangt vorwiegend über fetthaltige
Lebensmittel tierischer Herkunft in den menschlichen Organismus. Insgesamt ist sowohl das Verhalten
dieser Stoffe in der Umwelt als auch die Toxizität für den Menschen noch ungenügend bekannt. Die im
Rahmen des immissionsökologischen Wirkungskatasters durchgeführten Untersuchungen stellen
deshalb einen wichtigen Beitrag zur Umweltrelevanz dieser Stoffe in Berlin dar.
Darüber hinaus wurden die Wirkungen Leichtflüchtiger chlorierter Kohlenwasserstoffe sowie von
Photooxidantien (Ozon) und Stickoxiden mit Hilfe von Bioindikatoren untersucht. Diese Ergebnisse
werden nicht dargestellt, sondern können den entsprechenden Fachgutachten entnommen werden.
Bioindikationsverfahren
Die Karten 03.07.1 bis 4 enthalten Erkenntnisse, die seit 1991 mit Hilfe von Bioindikatoren über
Immissionswirkungen in Berlin gewonnen werden konnten. Hierbei ist zwischen der Feststellung
biologischer Effekte durch einen Komplex allgemeiner, summativ wirkender Luftbelastungsfaktoren
und dem analytischen Nachweis spezifischer Schadstoffe zu unterscheiden.
So können schadstoffbedingte Reaktionen des Flechtenorganismus im Rahmen eines "screening" als
erste Hinweise auf das Vorliegen einer Belastungssituation genutzt werden (Karte 03.07.1). Zur
Differenzierung kleinräumiger Belastungsmuster in Gebieten, in denen eine artenreiche natürliche
Flechtenvegetation nicht mehr existieren kann, wird die Exponierung von Hypogymnia physodes
eingesetzt (Karte 03.07.2). Neben diesen Befunden können relevante Schadstoffe mit geeigneten
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Akkumulationsindikatoren isoliert und im Hinblick auf human- und phytotoxische sowie ökosystemare
Wirkungen bewertet werden (Karten 03.07.3/4).
Flechtenkartierung
Dieses Verfahren läßt integrierende Aussagen über die allgemeine Immissionsbelastung innerhalb
längerfristiger Zeiträume zu. Wenn auch urbane Schadstoffkomponenten, wie Schwefeldioxid und
Stäube, in der Vergangenheit die wesentlichen Streßfaktoren für die Flechtenvegetation waren,
müssen heute auch Abgase des Kfz-Verkehrs, die Ozon-Belastung und Nährstoffeinträge als relevante
Einflußgrößen gesehen werden, deren Umfang durch Flechten indiziert werden kann.
Je nach Höhe der Luftschadstoffbelastung kann eine spezifische Flechtenvegetation nachgewiesen
werden. In Reinluftgebieten herrschen artenreiche Bestände in großer Häufigkeit vor, während in stark
belasteten Gebieten Artenzahl und Deckungsgrad stark abnehmen bzw. weitgehend flechtenfreie
Räume entstehen. In stärker belasteten Gebieten sind die Möglichkeiten zur räumlichen
Differenzierung von Schadstoffwirkungen aufgrund des Fehlens natürlich vorkommender Flechten
begrenzt, daher werden Exponierungsverfahren eingesetzt.
Die Durchführung von Flechtenkartierungen zur Ermittlung der Luftgüte wird in der VDI-Richtlinie 3799
Blatt 1 geregelt, so daß eine weitgehende Vergleichbarkeit der ermittelten Daten gewährleistet ist. Die
Auswertung von Untersuchungsergebnissen läßt keine unmittelbaren Rückschlüsse auf phyto- oder
humantoxische Einflüsse zu, sondern kann nur orientierende Hinweise über die allgemeine
Immissionsbelastung erbringen, insbesondere wenn gegenüber früheren Kartierungen eine Zu- oder
Abnahme von Flechtenbeständen festgestellt wurde. Ein dringender Bedarf zur Verbesserung der
lufthygienischen Situation ist in Bereichen gegeben, in denen eine "extrem hohe" Belastung ermittelt
wurde. Derartige Bereiche sind durch Vorkommen der toxitoleranten Krustenflechte Lecanora
conizaeoides gekennzeichnet. In "stark belasteten" Gebieten, die durch diese Flechte indiziert werden,
besteht für die Bewohner ein erhöhtes Risiko zu Atemwegserkrankungen (Rabe u. Beckelmann 1987).
Flechtenexponierung
In Untersuchungsgebieten, die keine ausgeprägte natürliche Flechtenvegetation aufweisen, dient die
Exponierung der Blattflechte Hypogymnia physodes zur Ermittlung der Gesamtwirkung von
Immissionsfaktoren. Als Wirkungsmaßstab wird in der betreffenden VDI-Richtlinie 3799 Blatt 2 der
Absterbegrad des Thallus, d.h. des Flechtenkörpers, am Ende der Exponierungszeit bestimmt. Ein
unmittelbarer Rückschluß auf die Höhe von Schadstoffeinträgen ist anhand der
Untersuchungsbefunde in der Regel nicht sicher möglich, da neben SO 2 auch andere Faktoren auf
den Flechtenorganismus einwirken. Allgemein ist aus den ermittelten Absterbegraden abzuleiten, daß
sich mit Zunahme der beobachteten Wirkungen auch Schädigungen bei anderen Pflanzenarten
verstärken und in Ökosystemen Artenausfälle zu erwarten sind.
Analyse von Kiefernnadeln
Die Waldkiefer ist eine in Berlin und Brandenburg heimische und weit verbreitete Baumart, die als
immergrüner Baum für Untersuchungen mit langen Zeitreihen im passiven Monitoring sehr gut
geeignet ist. Im Rahmen des immissionsökologischen Wirkungskatasters wurden Kiefernnadeln
beprobt, da sie sich durch gute Akkumulations- und Reaktionseigenschaften auszeichnen. Anders als
das in 14tägigen Intervallen ausgewechselte Weidelgras sind die Kiefernnadeln den herrschenden
Immissionen das ganze Jahr über ausgesetzt. Entsprechend repräsentieren die analysierten
Elementgehalte einen längeren Zeitraum und integrieren damit saisonale Schwankungen von
Immissionen zu einem mittleren Belastungsniveau. Besonders die hohe winterliche SO 2-Belastung
kann durch die Bestimmung der Schwefelgehalte in Kiefernnadeln untersucht werden, die über eine
sommerliche Weidelgrasexponierung nicht erfaßt wird.
Da keine verbindlichen Bewertungsgrundlagen für die Elementkonzentrationen in Kiefernnadeln
vorliegen, erfolgte eine umfassende Sichtung vorliegender Vergleichsuntersuchungen, so daß
Klassengrenzen für "geringe", "mittlere" und "erhöhte" Konzentrationen für den Berliner Raum
abgeleitet werden konnten. Diese Konzentrationsbereiche kennzeichnen das vorherrschende
ökosystemare Belastungsniveau durch Einträge über den Luftpfad sowie bodenbürtige Faktoren. Sie
geben daher Hinweise für die Belastung der natürlichen Umwelt (z.B. von Wäldern), sind aber nicht mit
Schwellenwerten zum Schutz von Nutzpflanzen oder der menschlichen Gesundheit gleichzusetzen.
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Standardisierte Weidelgraskultur
Weidelgras (Lolium multiflorum) ist eine im landwirtschaftlichen Futterbau häufig verwendete Pflanze
und steht als Akkumulationsindikator repräsentativ für andere Nahrungs- und Futterpflanzen, wird aber
auch für die Einschätzung der Belastung der natürlichen Vegetation eingesetzt. Das Gras wird
innerhalb der Vegetationszeit exponiert, um eine Schadstoffanreicherung über den Luftpfad zu
erfassen. Die Elementgehalte im Weidelgras zeigen an, ob eine Kontaminationsgefahr durch den
Verzehr von Pflanzen aus dem Untersuchungsgebiet besteht.
Da
kein
bundeseinheitliches Bewertungsverfahren vorliegt, wurden auf
Basis von
Vergleichsuntersuchungen Toleranzwerte bestimmt, die toxische Wirkungen kontaminierter Pflanzen
über die Nahrungskette auf Weidetiere und Menschen (vgl. BGA 1986, FMV 1990) oder bei der
natürlichen Vegetation (vgl. Scholl 1974) nicht erwarten lassen.
Grünkohlexponierung
Grünkohl ist als Standardpflanze zur wirkungsbezogenen Ermittlung von organischen Luftschadstoffen
anerkannt und wird auch im Routinebetrieb eingesetzt. Aufgrund seiner hohen Frosttoleranz kann
Grünkohl (Brassica oleracea acephala) im aktiven Monitoring im Herbst und im Winter eingesetzt
werden, wenn andere Expositionspflanzen nicht zur Verfügung stehen und die Belastung mit
Luftschadstoffen ansteigt. Besonders geeignet ist Grünkohl zum Nachweis organischer Schadstoffe,
da diese meist lipophilen (fettlöslichen) Substanzen von der Wachsschicht der Blätter stark
angereichert werden.
Das Verfahren zur Anzucht des Pflanzenmaterials, die Exponierung sowie Ernte, Bonitierung und
Analyse der Testpflanzen ist weitgehend festgelegt und erprobt (vgl. Arndt et al. 1987, Rademacher u.
Rudolph 1994, TÜV-Umwelt Berlin-Brandenburg 1995). Da keine bundesweit gültigen Grenz- und
Richtwerte für organische Verbindungen in pflanzlichen Lebens- und Futtermitteln existieren, wurde zur
Definition der Belastungsstufen "gering", "mittel" und "hoch" auf Erfahrungswerte anderer GrünkohlUntersuchungen in der Bundesrepublik zurückgegriffen. Die definierten Abstufungen sind ein
empirisches Hilfsmittel, die toxikologische Gesichtspunkte überwiegend nicht berücksichtigen, sondern
nur allgemeine Hinweise auf das Belastungsniveau im Hinblick auf die menschliche Gesundheit
zulassen.
Datengrundlage
Flechtenkartierung
Im passiven Flechtenmonitoring wurde die an freistehenden Bäumen natürlich vorkommende
Flechtenvegetation im Jahr 1991 untersucht und hinsichtlich der auftretenden Arten und deren
Häufigkeit ausgewertet (Linders 1991, SenStadtUm 1993b). Das Basismeßnetz des
immissionsökologischen Wirkungskatasters wurde um vier Transekte erweitert, so daß ca. 12 000
km2 des Großraumes Berlin und des weiteren Umlandes zur Ermittlung von Daten zur
Hintergrundbelastung repräsentativ bearbeitet werden konnten. Hierbei wurde der Flechtenbewuchs an
64 Meßstellen jeweils von zehn Bäumen hinsichtlich vorkommender Arten, Deckungsgrad, Frequenz
und Vitalität ermittelt.
Die Erfassung erfolgte als rasterpunktorientierte, standardisierte Vegetationskartierung zur Ermittlung
des "Index of Atmospheric Purity" (vgl. De Sloover u. LeBlanc 1968) und parallel dazu als
flächenorientierte, floristische Stichprobenkartierung. Nach Herausgabe des Entwurfs der VDIRichtlinie 3799 Blatt 1 "Flechtenkartierung zur Ermittlung des Luftgütewertes" im August 1993 konnte
nachträglich eine Ermittlung von "Luftgüteklassen" im Sinne der Richtlinie vorgenommen werden.
Flechtenexponierung
Im aktiven Flechtenmonitoring sind 1981 an 15 Standorten West-Berlins (Cornelius et al. 1984) und
1991/92 bzw. 1993/94 an den 48 Punkten des Basis-Meßnetzes Exemplare der Blattflechte
Hypogymnia physodes der Immissionsbelastung ausgesetzt worden (Mezger 1992, 1995,
SenStadtUm 1993b). Während der fünf- und zwölfmonatigen Exponierungszeit wurde der Zustand der
Flechten
monatlich
fotografisch
dokumentiert,
so
daß
der
zeitliche
Verlauf
von
Schädigungsereignissen nachzuvollziehen ist. Neben der Feststellung des Absterbegrades wurde seit
1991 mit der Bonitierung der Flechtensorale (Organe zur vegetativen Vermehrung) ein empfindlicheres
5
Merkmal zur Bestimmung von Immissionseinflüssen genutzt (vgl. Mezger 1992). Durch Analyse des in
dieser Zeit akkumulierten Schadstoffes Schwefel können mögliche Belastungsursachen räumlich
differenziert werden.
Analyse von Kiefernnadeln
Einjährige Kiefernnadeln wurden nach dem Ende der Nadelschütte Ende Oktober/Anfang November
1991 von 25- bis 30jährigen Kiefern (Pinus silvestris) gewonnen, die im Nahbereich der Schnittpunkte
des Basis-Meßnetzes an gut durchlüfteten und nicht unmittelbar emissionsbeeinflußten Stellen
wuchsen. Da an der Meßstelle "Mitte" in der Nähe des Alexanderplatzes keine Kiefern der Art Pinus
silvestris zu finden waren, konnten Proben nur von 47 Stellen gewonnen werden. Zur Bestimmung der
Inhaltsstoffe wurden die Zweigabschnitte aus allen Exponierungsrichtungen zu Mischproben vereinigt.
Standardisierte Weidelgraskultur
Die Exponierung der Weidelgraskulturen erfolgte innerhalb der Vegetationszeit von Mai bis Oktober
1981 an 15 Meßpunkten in West-Berlin (Cornelius et al. 1984) und von Juni bis September 1993 an 48
Meßpunkten (Kuznik 1993). Aufzucht, Kultur und Exponierung der Weidelgraskulturen erfolgte in
Anlehnung an VDI 3792, wobei statt der empfohlenen zehn bis zwölf Exponierungsserien nur sechs
Exponierungen durchgeführt wurden.
Grünkohlexponierung
Innerhalb des Basismeßnetzes wurde ein 64 km langer Transekt in West-Ost-Ausrichtung bestimmt, in
dem entlang eines vermuteten Schadstoffgradienten zwischen der Innenstadt und dem weniger
belasteten Umland ausgewählte organische Schadstoffe durch achtwöchige Exponierung von
Grünkohlpflanzen im Oktober/November 1993 und im Juli/August 1994 ermittelt wurden (vgl. Karte
03.07.4). Die Meßpunkte dieses Transektes weisen Rasterabstände von vier bzw. acht km auf. Die
erfaßte Fläche beträgt ca. 260 km 2.
Zur Bestimmung des Kfz-Einflusses, einer der Hauptquellen für PAK, wurde die "Kfz-Maßzahl"
eingesetzt (TÜV-Umwelt Berlin-Brandenburg 1995). Sie basiert auf einem Mittelwert der Herbst- sowie
der Sommerexposition.
Methode
Flechtenkartierung
Die Darstellung der Ergebnisse der Flechtenkartierung basiert auf den Vorgaben der VDI-Richtlinie
3799 Blatt 1. Dieses Verfahren beinhaltet eine bundeseinheitliche Belastungsskala (vgl. Tab. 1), die
unmittelbare Vergleiche mit Untersuchungen in anderen Regionen Deutschlands zuläßt (vgl.
Kirschbaum & Windisch 1995). Sie basiert auf einer Bewertung des Vorkommens und des
Deckungsgrades der verschiedenen Flechten.
Tab. 1: Bewertung der allgemeinen Immissionsbelastung anhand der Flechtenvegetation (nach
VDI 3799 Blatt 1)
Die in Karte 03.07.1 dargestellten Flächen stellen interpolierte Werte dar, die sich aus den zur
besseren Übersicht ebenfalls wiedergegebenen Meßdaten der einzelnen Meßpunkte ergeben. Es ist
6
zu berücksichtigen, daß die in der VDI-Richtlinie 3799 Blatt 1 vorgesehenen Bereiche "sehr geringer",
"geringer" und "mäßiger" Belastung im Untersuchungsbereich nicht vorhanden sind und die
kartografische Darstellung infolgedessen nur einen Ausschnitt der möglichen Belastungsklassen
umfaßt.
Flechtenexponierung
In der kartografischen Darstellung der Flechtenexponierung wurden Daten aus den Jahren 1981/82
und 1991/92 berücksichtigt.
Flächenhaft ist der Absterbegrad von Soralen dargestellt, da hierdurch Wirkungen der Luftbelastung
relativ kleinräumig differenziert werden können. Es handelt sich um ein Verfahren, das im Rahmen der
Arbeiten zum immissionsökologischen Wirkungskataster entwickelt wurde und aufgrund noch
fehlender allgemeiner Standards nur orientierenden Charakter hat.
Der an den Rasterpunkten wiedergegebene Absterbegrad des Thallus läßt Vergleiche über die
Verbesserung der Luftqualität innerhalb einer Dekade zu und dokumentiert gleichzeitig den aktuellen
Status im gesamten Untersuchungsraum. Die Skalierung der Werte basiert auf dem durch VDI 3799
Blatt 2 vorgegebenen Rahmen (vgl. Tab. 2) und enthält eine Abschätzung des Gefährdungsgrades
höherer Pflanzen durch die nachgewiesene Luftschadstoffbelastung.
Tab. 2: Flechtenabsterbegrade als Maß für die Gefährdung höherer Pflanzen (VDI 3799 Blatt 2)
Die ergänzende Angabe der Schwefelkonzentrationen im Jahr 1991/92 ist als qualitative Information zu
interpretieren, die Hinweise auf räumliche Belastungsbereiche gibt, jedoch nicht im Hinblick auf die
Belastungshöhe zu bewerten.
Analyse von Kiefernnadeln
Von den in Kiefernnadeln analysierten Schwermetallen, Halogenen und Nichtmetallen mit Nähr- und
Schadstoffcharakter (Kratz 1991, Markan 1992) werden kartografisch nur die Konzentrationen der
Elemente Blei, Fluor und Schwefel dargestellt, da deren Anreicherung deutliche räumliche
Unterschiede der Belastung dokumentiert. Die Befunde der übrigen Stoffe lassen nur geringe
Unterschiede zwischen der Stadt Berlin und ihrem Umland erkennen, so daß eine kartografische
Abbildung nicht sinnvoll ist.
Da keine verbindlichen Richtwerte zur Einschätzung der nachgewiesenen Konzentrationen vorliegen,
werden die Ergebnisse im Sinne einer Orientierung über Belastungsschwerpunkte genutzt. Zusätzlich
werden aus der Literatur Vergleichswerte für Überernährung bzw. starker oder toxischer
Immissionseinfluß angegeben (vgl. Tab. 3).
7
Tab. 3: Stoffgehalte in Kiefernnadeln (1991) in mg/kg TS (nach Kratz 1991, Markan 1992,
SenStadtUmTech 1996a)
Standardisierte Weidelgraskultur
Als relevante Immissionskomponenten, die durch die Weidelgrasexponierung nachgewiesen wurden,
sind die Konzentrationen der Elemente Blei und Fluor in Karte 03.07.3 dargestellt worden. Die
Skalierung der Einzelwerte berücksichtigt die Häufigkeit der ermittelten Konzentrationen. Da die
ökotoxikologisch relevanten Richt- bzw. Toleranzwerte für Blei (8 mg/kg Trockensubstanz [TS]) bzw.
Fluor (30 mg/kg TS) (vgl. BGA 1986, FMV 1990) im Rahmen der durchgeführten Untersuchungen
nicht erreicht wurden, dient die Skalierung vornehmlich der räumlichen Differenzierung der
Immissionssituation (vgl. Tab. 4).
Tab. 4: Stoffgehalte in Weidelgras 1993 im Vergleich zu Richt- bzw. Grenzwerten (in mg/kg TS)
(nach Kuznik 1993)
Grünkohlexponierung
Karte 03.07.4 gibt die Konzentrationsbereiche der untersuchten Stoffgruppen sowie eine
dimensionslose Maßzahl für den Kfz-Einfluß im Bereich des analysierten Transektes wieder. Da für die
behandelten Schadstoffe keine Grenzwerte vorliegen, bilden die definierten Belastungsstufen einen
orientierenden Bewertungsrahmen zur Kennzeichnung von Immissionsschwerpunkten, der aus dem
Vergleich mit anderen Untersuchungsergebnissen als "gering", "mittel" und "hoch" klassifiziert wurde.
Kartenbeschreibung
Karte 03.07.1: Kartierung der Flechtenvegetation
Die Karte gibt die Ergebnisse der Flechtenkartierung entsprechend der Bewertungsskala der VDIRichtlinie 3799 Blatt 1 wieder (vgl. Tab. 1). Die Stufe "extrem hoher" Belastung (Luftgüteklassen 1 und
2) ist durch das weitgehende Fehlen einer natürlichen Flechtenvegetation gekennzeichnet. In diesen
Bereichen kommt nur die außerordentlich toxitolerante Krustenflechte Lecanora conizaeoides häufig
vor. In der Zone "sehr hoher" Belastung (Luftgüteklassen 3, 4 und 5) kommen neben Lecanora
conizaeoides nur wenige, meist geschädigte Blattflechten in geringer Anzahl vor. Etwas höhere
Artenzahlen und Deckungsgrade sind erst in der Zone "hoher" Belastung (Luftgüteklassen 6, 7, 8 und
9) nachzuweisen. Die in der o.a. VDI-Richtlinie definierten Bereiche mit "mäßiger", "geringer" und "sehr
geringer" Belastung sind innerhalb des Untersuchungsgebietes, das u.a. den gesamten Raum nördlich
8
von Berlin bis zur Landesgrenze Brandenburgs zu Mecklenburg-Vorpommern umfaßt, nicht
vorhanden. Innerhalb der drei Hauptbelastungszonen, die farblich differenziert sind, konnten neun
Luftgüteklassen unterschieden werden, die u.a. eine besondere Belastung im innerstädtischen Bereich
deutlich machen (Luftgüteklasse 1). Dort war selbst die toxitolerante Flechte Lecanora conizaeoides in
Häufigkeit und Vitalität deutlich beeinträchtigt.
Neben der Erfassung der Flechtenvegetation an standardisierten Trägerbäumen erfolgten umfassende
Stichproben-Untersuchungen der Flechtenflora des Gebietes. Die ermittelten Daten unterstreichen
die o.a. Befunde in eindrucksvoller Weise. So können nur ca. 20 % der nachgewiesenen Arten als
häufig bezeichnet werden. Es besteht ein offensichtliches Ungleichgewicht zwischen wenigen
toxitoleranten Arten, die weit verbreitet sind, und einer großen Zahl empfindlicherer Arten, die nur
vereinzelt nachzuweisen sind.
Die in Karte 03.07.1 dokumentierten Belastungszonen finden ihren Ausdruck auch in der Verbreitung
der einzelnen Arten. Potentiell häufige Arten, wie die Strauchflechte Evernia prunastri, können im
Untersuchungsgebiet nur in den geringer geschädigten Gebieten nördlich von Berlin existieren (vgl.
Abb. 2). Mäßig empfindliche Arten, wie die in Deutschland sehr häufige Blattflechte Parmelia sulcata,
sind auch im Untersuchungsgebiet weit verbreitet, können jedoch die städtischen Bereiche, deren
Randzonen und insbesondere den stärker immissionsbelasteten Süden von Berlin nur sporadisch
besiedeln.
Abb. 2: Verbreitung von Flechten [Evernia prunastri (a), Parmelia sulcata (b)] im Raum
Berlin/Brandenburg 1991 (Linders 1991)
Zusammenfassend ist festzustellen, daß sich der größte Teil des Untersuchungsgebietes unter dem
Einfluß erheblicher Schadstoffimmissionen befindet. Die Ausprägung einer natürlichen
Flechtenvegetation ist insbesondere südlich der Linie Neuruppin - Angermünde nicht möglich. Damit
unterliegen die gesamte Stadt Berlin und ihr näheres Umland einer lufthygienischen Belastung, die
gemäß VDI 3799 Blatt 1 mit "sehr hoch" bzw. "extrem hoch" zu kennzeichnen ist. Innerhalb der
Innenstadtbezirke Berlins ist die Ausprägung einer besonders belasteten Zone festzustellen (vgl. Rabe
u. Beckelmann 1987).
Der Norden des Untersuchungsgebietes ist trotz der relativen Artenvielfalt keineswegs als
Reinluftgebiet zu bezeichnen. Die hier nachgewiesenen Flechtenvorkommen bilden spärliche Relikte
einer früher reichhaltigeren Vegetation. Sie befinden sich unter dem Einfluß von Fernimmissionen, die
bei empfindlichen Arten zu makroskopisch sichtbaren Schäden führen und eine Reproduktion nur an
besonders günstigen Wuchsorten zulassen.
Besonders hervorzuheben ist das großräumige Gefälle der lufthygienischen Situation zwischen dem
geringer belasteten Norden und dem stark belasteten Süden sowie der Mitte des
Untersuchungsgebietes. Der ermittelte Luftqualitätsgradient scheint nur teilweise auf den Einfluß des
Berliner Ballungsraumes zurückzugehen, da zwischen dem Stadtzentrum und dem Umland vor allem
im Süden nur geringe Unterschiede festzustellen sind. So muß vielmehr angenommen werden, daß
die Flechtenvegetation im Berliner Umland zusätzlich durch Fernimmissionen erheblich beeinträchtigt
wird.
Im Vergleich zu einer methodisch vergleichbaren Kartierung des Landes Hessen (Kirschbaum u.
Windisch 1995) fällt auf, daß dort keine Bereiche "extremer Belastung" ermittelt wurden, daß jedoch
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mehr als zwei Drittel aller Untersuchungsstationen den im Berliner Raum ausschließlich vertretenen
Belastungsstufen "sehr hoch" und "hoch" zuzuordnen sind. Große Teile des Berliner Umlandes können
aufgrund der Flechtenvegetation deshalb lufthygienisch mit dem Rhein-Main-Gebiet und Nordhessen
verglichen werden.
Es ist hervorzuheben, daß die Beurteilung der natürlichen Flechtenvegetation vor allem Aussagen über
die Immissionsbelastung der jüngeren Vergangenheit ermöglicht. Da Flechten trotz der Verbesserung
der Luftgüte das Berliner Gebiet nur langsam wiederbesiedeln, wird durch die vorliegenden Daten eine
Situation dokumentiert, die der aktuellen Schadstoffbelastung nicht mehr entspricht. Es ist
anzunehmen, daß mit der gegenwärtigen Verminderung der Emissionen mittelfristig eine Erholung der
Flechtenbestände eintritt, sofern nicht neue Emissionsquellen an Bedeutung gewinnen. Um derartige
Wiederbesiedlungsprozesse und die damit verbundene Verbesserung der Luftqualität nachvollziehen
zu können, sind regelmäßige Nachkartierungen erforderlich.
Karte 03.07.2: Exponierung von Hypogymnia physodes
Die Blattflechte Hypogymnia physodes weist in der Untersuchungsperiode 1991/1992 Absterberaten
des Thallus von 0 - 19 % auf. Da Anfang der 80er Jahre bei einer vergleichbaren Untersuchung in
West-Berlin noch Absterberaten von 42 - 87 % ermittelt worden waren (vgl. Cornelius et al. 1984),
kann von einer deutlichen Verbesserung der lufthygienischen Situation innerhalb der letzten Dekade
ausgegangen werden (vgl. Abb. 3).
Abb. 3: Thallus-Absterberate von Hypogymnia physodes im Stadtgebiet von Berlin seit 1981/82 (nach
Cornelius et al. 1984, Mezger 1992, Mezger 1995)
Anhand der Absterberaten der Sorale von Hypogymnia physodes im Bereich von 3 - 94 % wird
jedoch deutlich, daß im Stadtgebiet weiterhin eine relevante Immissionsbelastung vorliegt. Die
niedrigsten mittleren Vitalitätseinbußen wurden 1991/1992 mit 27 % im Umland Berlins verzeichnet,
während in der Stadt Berlin mittlere Absterberaten der Sorale von 66 % auftraten.
Diesem räumlichen Muster entsprechen weitgehend die in den exponierten Flechten nachgewiesenen
Schwefelgehalte. So treten die Höchstwerte der Schwefelbelastung 1991/1992 mit 2,3 g/kg TS in den
innerstädtischen Bezirken mit hohem Anteil an Ofenheizungen auf. Allerdings bestehen zwischen den
Meßpunkten in der Stadt Berlin mit 1,9 g/kg TS und dem Umland mit 1,8 g/kg TS nur sehr geringe
Unterschiede. Ein Vergleichsstandort ca. 70 km nördlich von Berlin wies mit 1,4 g/kg TS eine geringere
Hintergrundbelastung auf.
Für die gegenüber SO2 im Vergleich mit dem Flechtenthallus wesentlich empfindlicheren Sorale
Hypogymnia physodes sind deutliche Immissionswirkungen nachzuweisen. Erhöhungen
Schwefelgehaltes von Hypogymnia physodes in Berlin belegen den nachteiligen Einfluß
Schwefelverbindungen auf die Vitalität der Flechte. Zwischen den Konzentrationen von SO 2
Schwebstaub in der Luft einerseits und dem Vitalitätsgrad von Soralen bzw. dem Schwefelgehalt
Flechtenthallus andererseits bestehen hochsignifikante Korrelationen (Mezger 1992).
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von
des
der
und
des
Während in Berlin hohe Schwefelanreicherungen im Flechtenthallus mit hohen Schädigungsgraden
der Sorale zusammentreffen, fällt auf, daß im Umland bei ebenfalls hohen Schwefelgehalten meist nur
eine geringe Schädigung auftritt. Diese wenig ausgeprägten räumlichen Unterschiede der
Schwefelgehalte von Hypogymnia physodes lassen zwei unterschiedliche Quellen von Schwefel
vermuten: Die erhöhten Schwefelgehalte im Flechtenthallus an Standorten in Berlin können auf höhere
SO2-Immissionen zurückgeführt werden, wohingegen die höheren Schwefelgehalte der Flechten im
Umland durch Ammoniumsulfateinträge aus der Landwirtschaft verursacht sind. Unmittelbar toxisch
wirkt auf Hypogymnia physodes jedoch nur die gasförmige Belastung durch SO2, so daß im Umland
trotz hoher Schwefeleinträge aus Düngern während der Expositionszeit eine vergleichsweise hohe
Vitalität der Flechten verzeichnet werden kann.
Nach VDI 3799 Blatt 2 sind Schäden an Blättern bzw. Nadeln von höheren Pflanzen dann zu erwarten,
wenn der Flechtenthallus Absterbegrade von 10 - 35 % aufweist (vgl. Tab. 2). Dieser Schwellenwert
wurde 1991/1992 noch an vier Meßstationen im Stadtgebiet von Berlin überschritten. An folgenden
innerstädtischen Meßpunkten ist demnach eine Gefährdung von Nutz- und Zierpflanzen durch
winterliche Immissionen möglich gewesen: Mariendorf, Karlshorst, Friedrichshain und Hellersdorf.
Die ausgeprägten Schädigungen der Sorale an Meßpunkten der höchsten Schädigungsklassen lassen
immer noch eine starke Beeinträchtigung der Reproduktion von Hypogymnia physodes im Stadtgebiet
von Berlin vermuten, so daß sich diese im Umland verbreitete Art in der Stadt nicht ansiedeln kann.
Karte 03.07.3: Akkumulation anorganischer Schadstoffe in Kiefernnadeln
und Weidelgras
In der Karte werden die Stoffgehalte von Blei und Fluor in Kiefernnadeln (1991) sowie in exponierten
Weidelgrasproben (1993) dargestellt. Die Angabe der Schwefelkonzentrationen bezieht sich nur auf
die Anreicherung in Kiefernnadeln (1991). Die Werte belegen immissionsbedingte Anreicherungen der
Stoffe im gesamten Untersuchungsgebiet, wobei die innerstädtischen Meßpunkte in der Regel erhöhte
Konzentrationen aufweisen. Die Anreicherungen im Weidelgras erreichen 1993 allerdings keine
Schwellenwerte, die ökotoxikologisch problematisch sind (vgl. Tab. 4).
Die Bleigehalte in Kiefernnadeln zeigen mit einer Wertespanne von 2,0 mg/kg TS am Standort
Neuseddin bis zu 15,2 mg/kg TS in Blankenburg eine deutliche Differenzierung. Damit sind nur drei
Meßstellen im Umland als unbelastet einzustufen, während das Untersuchungsgebiet insgesamt ein
mittleres Belastungsniveau aufweist. Die Zunahme der Gebietsmittelwerte unterstreicht die Zunahme
der Konzentrationen vom Umland (6,2 mg/kg TS) über die Außenbezirke der Stadt Berlin (6,9 mg/kg
TS) zu den innerstädtischen Meßstellen (8,3 mg/kg TS). Damit ist die Belastung durch dieses
Schwermetall trotz der Einführung bleifreien Benzins weiterhin von Bedeutung.
Die Fluorkonzentrationen in Kiefernnadeln liegen zwischen 0,7 mg/kg TS am Flughafen Tegel und
30,6 mg/kg TS in Blankenburg. An 64 % der Meßpunkte wurden geringe (< 10 mg/kg TS) und an 8 %
erhöhte Fluorkonzentrationen (> 20 mg/kg TS) festgestellt, während die übrigen Werte im mittleren
Bereich lagen. Der Teilgebietsmittelwert der Innenstadtbezirke liegt mit 11,6 mg/kg TS über dem
Gesamtgebietsmittelwert von 9,6 mg/kg TS. Die Außenbezirke sind etwa durchschnittlich und das
Umland ist unterdurchschnittlich belastet. Im Umland tritt jedoch die größte Variationsbreite unter den
Teilgebieten auf, was auf lokale Emissionsquellen schließen läßt. Hinsichtlich der regionalen
Verteilung ist insgesamt ein deutlicher Unterschied zwischen der östlichen und der westlichen Hälfte
des Untersuchungsgebietes festzustellen: Sowohl im Stadtgebiet als auch im Umland zeigt sich der
Ostteil stärker belastet; möglicherweise ist dafür der hohe Anteil von Braunkohle im Hausbrandbereich
verantwortlich. Legt man die von Kreutzer (1978) beschriebene phytotoxische Wirkschwelle von 10
mg/kg TS Fluor zugrunde, so liegen die Werte an 36 % der Meßstellen oberhalb dieses Wertes.
Die Schwefelgehalte in Kiefernnadeln liegen im Untersuchungsgebiet zwischen 1 270 mg/kg TS am
Standort Siethen und 2 190 mg/kg TS in Zehlendorf. Der Teilgebietsmittelwert der Innenstadt weist mit
1 905 mg/kg TS ein deutlich höheres Niveau als die Außenbezirke (1 744 mg/kg TS) und das Umland
(1 621 mg/kg TS) auf. Der Gesamtgebietsmittelwert befindet sich mit 1 725 mg/kg TS bereits im
erhöhten Konzentrationsbereich. Regionale Belastungsschwerpunkte sind vor allem in der Innenstadt
und in der östlichen Stadthälfte auszumachen. Trotz sich teilweise widersprechender Literaturangaben
über die Bewertung der Schwefelkonzentrationen kann festgestellt werden, daß an 83 % der
Meßstellen ein Immissionseinfluß zu erkennen ist, während an 11 % sogar nachhaltige Schäden in
Form von Zuwachsreduktionen nicht auszuschließen sind.
11
Die Bleigehalte in Weidelgras weisen eine immissionsbedingte Anreicherung mit hoher räumlicher
Variabilität auf. Der Gesamtgebietsmittelwert lag 1993 bei 1,5 mg/kg TS. Mit 1,6 mg/kg TS besteht in
den Innenstadtbezirken gegenüber dem Umland (1,3 mg/kg TS) eine etwas höhere Belastung. Vor
allem die östlichen Bezirke Berlins sind von erhöhten Bleiimmissionen betroffen. Der Richtwert von 8
mg/kg TS (vgl. Tab. 4) wird jedoch an keiner Meßstelle erreicht, so daß derzeit keine unmittelbare
Gefährdung vorliegt.
Die Fluorgehalte in Weidelgras erreichten 1993 im Untersuchungsgebiet Werte zwischen 3,0 mg/kg
TS am Meßpunkt Brieselang und 11,2 mg/kg TS am Flughafen Tempelhof. Der
Gesamtgebietsmittelwert liegt bei 5,2 mg/kg TS, die Mittelwerte der Meßpunkte im Umland bei 4,6
mg/kg TS, während die Belastung der Innenstadt mit 5,5 mg/kg TS deutlich erhöht ist. Der Grenzwert
von 30 mg/kg TS wird nicht erreicht.
Der Vergleich der aktuellen Anreicherung von Schadstoffen in Weidelgras mit Untersuchungen zu
Anfang der 80er Jahre (Cornelius et al. 1984), zeigt deutlich, daß die Immissionsbelastung der Stadt
Berlin bei bestimmten Stoffen wesentlich abgenommen hat (vgl. Abb. 4). So liegen die ermittelten
Maximalkonzentrationen der Bleibelastung 1993 bei 43 %, der Fluorbelastung bei 28 % und der
Schwefelbelastung bei 67 % der Werte von 1981. Die Minimalkonzentrationen erreichen 1993 44 %
der Fluor-, 73 % der Blei- und 72 % der Schwefelgehalte von 1981. Während 1981 die jeweiligen
Schwellenwerte der Schadstoffbelastung noch erreicht bzw. überschritten wurden, liegen die
Konzentrationen 1993 auf einem wesentlich niedrigeren Niveau.
Abb. 4: Schadstoffgehalte in Weidelgras an ausgewählten Meßpunkten im Stadtgebiet von Berlin 1981
und 1993 (nach Cornelius et al. 1984, Kuznik 1993)
Trotz der generell verminderten Schadstoffbelastung sind die Immissionsfaktoren Blei und Schwefel
hinsichtlich potentiell öko- bzw. phytotoxischer Wirkungen weiterhin von Bedeutung. Auch durch das
Element Fluor können an bestimmten Meßpunkten noch Belastungen von Pflanzen entstehen.
Karte 03.07.4: Akkumulation organischer Schadstoffe in Grünkohl
Die Karte zeigt die relative Belastung des Untersuchungsgebietes mit organischen Schadstoffen
entlang eines West-Ost-Transektes im Herbst 1993. Die Konzentrationen der untersuchten Stoffe
unterstreichen eine erhöhte Belastung der innerstädtischen Bereiche, wobei auch einige Meßpunkte
des Umlandes Spitzenwerte aufweisen. Die ebenfalls in den inneren Stadtbezirken erhöhten KfzMaßzahlen zeigen einen erheblichen Anteil des Autoverkehrs an der Gesamtbelastung durch PAK.
Die durchschnittliche PAK-Anreicherung war - bezogen auf das Frischgewicht - im Herbst 1993
zwölffach höher als im Sommer des darauffolgenden Jahres, wohingegen die Relationen zwischen den
einzelnen Meßpunkten im Sommer 1994 ähnlich wie im Herbst 1993 waren, allerdings auf wesentlich
niedrigerem Niveau und ohne die lokalen Maxima. Es läßt sich feststellen, daß im Winterhalbjahr
während des Betriebes von Heizungsanlagen die Gefährdung besonders hoch ist und die Auswirkung
der herbstlichen hohen Belastung auch in den äußeren Stadtbereichen bzw. dem Berliner Umland zu
bemerken war.
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Während die PAK-Summenkonzentrationen insgesamt als weniger bedenklich eingestuft werden
können, sind die Benz(a)pyren-Gehalte (BaP) kritischer zu bewerten. Bei einer mittleren
Konzentration von 12,8 µg/kg TS im Herbst 1993 ist die Belastung für das Gesamtgebiet hoch. Selbst
Standorte in einiger Entfernung von der Berliner Stadtgrenze (Falkensee, Seeburg, Altlandsberg,
Neuenhagen, Rüdersdorf) zeigten Werte, die in Süddeutschland industriellen Ballungsgebieten
zugeordnet werden und an einigen Stellen mehr als doppelt so hoch wie an vergleichbaren Standorten
in der Münchener Innenstadt liegen (LfU Bayern 1995). Das hohe Benz(a)pyren-Niveau während der
Herbstmonate ist mit der Heiztätigkeit in den Haushalten zu erklären.
Die ermittelten Kfz-Maßzahlen lassen die Unterscheidung von Stationen mit stärkerer und
schwächerer Beeinflussung zu. Während der Quotient am Stadtrand und im Brandenburger Umland
den Wert von 0,6 nicht überschreitet, treten im inneren Stadtbereich Werte zwischen 0,7 und 1,0 auf.
Die höchste Maßzahl wurde mit 0,99 im Sommer 1994 an der Station Charlottenburg in unmittelbarer
Nähe der Stadtautobahn ermittelt, die hier von über 150 000 Kraftfahrzeugen pro Tag befahren wird
(vgl. Karte 07.01, SenStadtUmTech 1996b).
Die gemessenen PCB-Konzentrationen belegen insgesamt ein mittleres Belastungsniveau für das
Untersuchungsgebiet. Die dargestellten Stationswerte zeigen eine fallende Tendenz von der
Innenstadt zur Stadtgrenze und besonders im östlichen Bereich eine weitere Abnahme zu den
ländlichen Gebieten. Das Mittel der Stationen im Stadtgebiet liegt mit 13,9 µg/kg TS fast doppelt so
hoch wie das Mittel der Umland-Meßpunkte mit 7,8 µg/kg TS. Es treten jedoch teilweise ausgeprägte
Belastungsunterschiede auf. So erreicht die Konzentration am Standort Charlottenburg mit 90 µg/kg
TS das Vierzigfache des Minimumwertes (Standort Falkensee 2,3 µg/kg TS) und das Dreifache des
direkt benachbarten, ebenfalls hoch belasteten Standorts Tiergarten (30,8 µg/kg TS). Als mögliche
Ursache wird ein Einfluß der Müllverbrennungsanlage Ruhleben vermutet. Neben Charlottenburg sind
auch die Stationen Tiergarten und Mitte durch ein erhöhtes Anreicherungsniveau gekennzeichnet, das
auf unmittelbar vorbeiführende Hauptverkehrsstraßen zurückgeführt wird.
Die ermittelten PCDD/PCDF-Konzentrationen lassen eine ganzjährige immissionsbedingte
Anreicherung bei einer insgesamt mittleren Belastungssituation erkennen, wobei der Schwerpunkt auf
den Wintermonaten liegt, in denen dreifach höhere Werte auftreten. Die Konzentrationen im Sommer
sind weniger kritisch einzuschätzen, weisen aber ebenfalls auf immissionsbedingte Anreicherungen
hin. Lokale Belastungsschwerpunkte mit I-TEQ-Werten (= Internationales Toxizitätsäquivalent) über
3,0 ergaben sich im Herbst 1993 in Haselhorst, Wedding, Hohenschönhausen, Seeburg, Lichtenberg,
Hellersdorf und Rüdersdorf. Die Analyse einzelner Dioxin-Verbindungen, die auf spezifische
Emittenten hindeuten, ergab einen erhöhten Hausbrandeinfluß an den Meßstellen Tempelhof und
Marienfelde sowie Elstal und Kartzow am Westrand des Transektes und ein Überwiegen
verkehrsbedingter Dioxin-Immissionen an den Meßstellen Wedding, Weißensee, Hohenschönhausen,
Neuenhagen und Werder.
Autobahn-Transekt
Reichweite und Höhe von Straßenverkehrsimmissionen sind an einem Transekt an der Autobahn A
115 südöstlich von Potsdam beispielhaft untersucht worden (vgl. Abb. 5). Entsprechend der Definition
der Belastungsstufen ist das 500 m lange Transekt hinsichtlich der PAK-Anreicherung im Grünkohl
hoch belastet. Der Mittelwert der PAK-Summe aller zwölf Stationen liegt mehr als 25 % über dem
oberen Eckwert der mittleren Belastung (400 µg/kg Frischsubstanz [FS]). Die unerwartet geringe
Abnahme der Konzentrationen mit zunehmendem Abstand von der Fahrbahn kann neben der
möglicherweise weiten Verfrachtung von Kfz-Abgasen auch mit der Überlagerung durch lokale
Emissionsquellen und durch Fernimmissionen erklärt werden.
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Abb. 5: PAK-Summe, Benz(a)pyren und Kfz-Maßzahl im Bereich eines Autobahn-Transekts bei
Potsdam im Herbst 1993 (nach TÜV-Umwelt Berlin-Brandenburg GmbH 1995)
Der Mittelwert von Benz(a)pyren in zwei bis fünf Meter Entfernung beträgt mit 30 µg/kg FS das
Dreifache des oberen Eckwertes der mittleren Belastungsstufe. Der Anteil dieser kanzerogenen
Leitkomponente am PAK-Gesamtgehalt liegt im Durchschnitt aller zwölf Meßpunkte bei 4,3 % und
somit über dem Mittelwert aller Stationen im West-Ost-Transekt während der Herbstexposition 1993.
Die auffällig hohen in den Pflanzen angereicherten Benz(a)pyren-Konzentrationen über das gesamte
500 m lange Autobahnprofil lassen neben der Einwirkung von Autoabgasen möglicherweise auf
unvollständige Verbrennungsprozesse durch Einzelfeuerung aus umliegenden Ortschaften schließen.
Der Anteil der Verkehrsimmissionen kann mit Hilfe der Kfz-Maßzahl verdeutlicht werden, deren
grafische Darstellung die fahrbahnnahe Belastung besonders deutlich macht (vgl. Abb. 5).
Die Ergebnisse der Grünkohlexponierung haben eine Bedeutung für die menschliche Gesundheit, da
es sich bei dem verwendeten Indikator um eine Nahrungspflanze handelt. Unter Betrachtung der
"worst-case-Annahme", d.h. einer vollständigen Eigenversorgung mit pflanzlicher Kost aus dem
Gebiet, ist der Mensch in der Stadt Berlin einer mittleren bis hohen Belastung durch organische
Schadstoffe ausgesetzt. Die ubiquitäre Grundbelastung mit lufttransportierten Schadstoffen wird
deutlich überschritten. Diese Belastung bewegt sich aber im Normalfall vermutlich noch im Bereich der
toxikologisch tolerablen Aufnahme.
Die Immissionen des Straßenverkehrs bilden einen besonderen Belastungsfaktor in Berlin. An stark
frequentierten Straßen besteht ein Wirkungsgradient atmosphärisch verbreiteter organischer
Schadstoffe, der im Nahbereich dieser Linienquellen besonders ausgeprägt ist. Für die menschliche
Gesundheit bedeutet dies ein erhöhtes Gefährdungsrisiko in direkter Umgebung von stark befahrenen
Straßen und Autobahnen.
Die ermittelten Daten des immissionsökologischen Wirkungskatasters aus den Jahren 1991-94
können mit Hilfe eines einfachen Verfahrens zu einer Gesamtbewertung der untersuchten
Meßpunkte zusammengefaßt werden. Hierbei werden Stoffgehalte bzw. Bonitierungen entsprechend
der gemessenen Minimal- und Maximalwerte "normiert" und zu einem Einzelwert gemittelt. Aufgrund
der Vergleichbarkeit gehen nur ausgewählte Parameter der Flechten- und Weidelgrasexponierung, der
Analyse von Kieferninhaltsstoffen sowie der hier nicht erläuterten Bonitierung von Kiefernnadeln und
der Exponierung von Tabak und Pintobohne in die Berechnung ein (vgl. SenStadtUmTech 1996a). Die
grafische Darstellung der Daten zeigt einige Grundmuster, die die Einzelergebnisse bestätigen (vgl.
Abb. 6).
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Abb. 6: Gesamtbewertung der Bioindikationsergebnisse
Auffallend ist, daß sich die Mittelwerte der Teilgebiete "Innenstadt", "Außenbezirke" und "Umland" zwar
erwartungsgemäß unterscheiden, daß diese Differenz jedoch nicht stark ausgeprägt ist. Dies liegt zum
einen im insgesamt mäßigen Belastungsniveau der Innenstadt und zum anderen an teilweise
deutlichen Belastungen der Außenbezirke und des Umlandes. So erreichen einige Meßstellen des
Umlandes Belastungswerte, die denen der Innenstadt durchaus nahekommen. Es besteht offenbar
eine großräumig wirksame Hintergrundbelastung des Umlandes, die im Einzelfall durch lokale
Emissionen noch verstärkt wird.
Literatur
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Immissionsgebieten, in: Staub-Reinhalt, Luft 34, 89 - 92.
[11] SenStadtUm (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz Berlin) (Hrsg.)
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Naturhaushalt, Heft 1, Berlin.
[12] SenStadtUm (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz Berlin) (Hrsg.)
1993b:
Bioindikation mit Flechten 1991 und 1992, Monitoringprogramm Naturhaushalt, Heft 2, Berlin.
[13] SenStadtUmTech (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Umweltschutz und
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Bundesgesundheitsblatt (29): 22-23.
[16] FMV 1990:
Futtermittelverordnung. Stand November 1990, Berücksichtigung der 8. ÄVO zur FMV vom
22.11.1990, (BGBl- I).
[17] VDI 1989:
Messen der Wirkdosis, Verfahren der standardisierten Graskultur - VDI 3792, Blatt 1 (Juli 1978).
VDI-Handbuch Reinhaltung der Luft, Reg. Nr. 2.
[18] VDI 1989:
Messung und Beurteilung phytotoxischer Wirkungen von Immissionen mit Flechten. VDI 3799,
Blatt 2 (Entwurf Jan. 1989), VDI-Handbuch Reinhaltung der Luft, Band 1.
[19] VDI 1995:
Ermittlung und Beurteilung phytotoxischer Wirkungen von Immissionen mit Flechten,
Flechtenkartierung zur Ermittlung des Luftgütewertes (LGW) - VDI 3799, Blatt 1 (Jan. 1995),
VDI-Handbuch Reinhaltung der Luft, Band 1.
Karten
[20] SenStadtUm (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz Berlin) (Hrsg.)
1994:
Umweltatlas Berlin, aktualisierte und erweiterte Ausgabe, Bd. 2, Karte 03.01 Schwefeldioxid Emissionen und Immissionen, 1 : 200 000 / 1 : 300 000, Berlin.
[21] SenStadtUmTech (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Umweltschutz und
Technologie Berlin) (Hrsg.) 1996b:
Umweltatlas Berlin, aktualisierte und erweiterte Ausgabe, Bd. 3, Karte 07.01 Verkehrsmengen, 1
: 50 000, Berlin.
16
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Wirkungskatasters im Auftrag der Senatsverwaltung für
Stadtentwicklung und Umweltschutz Berlin
[22] Kratz, W. 1991:
Analyse und immissionsökologische Bewertung der regionalen Belastung durch Schwermetalle
(Cadmium, Blei, Kupfer, Zink), Chlor und Fluor in einjährigen Nadeln von Pinus sylvestris L. im
Monitoringprogramm Naturhaushalt Berlin und Umland.
[23] Kuznik, Ch. 1993:
Untersuchungen zur Belastung durch Schwermetalle, Fluor und Schwefel auf der Grundlage der
standardisierten Graskulturen nach VDI 3792 Blatt 1 im Jahr 1993.
[24] Linders, HW. 1991:
Rasterorientierte Kartierung epiphytischer Flechten.
[25] Markan, K. 1992:
Schwefelkonzentration in einjährigen Nadeln der Waldkiefern (Pinus sylvestris).
[26] Mezger, U. 1992:
Flechtenexponierung in Anlehnung an VDI-Richtlinie 3799 inklusive Akkumulationsindikation.
[27] Mezger, U. 1995:
Flechtenexponierung nach VDI-Richtlinie 3799 inklusive Vitalitätsbestimmung der Sorale und
Akkumulationsindikation.
[28] TÜV-Umwelt Berlin-Brandenburg GmbH 1995:
Exponierung von Grünkohl (Brassica oleracea acephala) als Indikator für eine Belastung durch
die organischen Schadstoffe PAK (Polycyclische aromatische Kohlenwasserstoffe), PCB
(Polychlorierte Biphenyle) und Dioxin inclusive immissionsökologischer Bewertung.
17
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