Bilanz zum missio-Pharma-Appell „Thandi darf nicht - i

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Bilanz zum missio-Pharma-Appell „Thandi darf nicht sterben“
Kinder mit HIV/Aids haben heute bessere
Chancen auf Behandlung
Dissens mit der Pharmaindustrie bei Patenten
Hat die HIV-infizierte „Thandi“ heute bessere Aussichten auf Zugang zu lebensrettenden
Medikamenten und Behandlung? Hat der missio-Pharma-Appell, den 33.946 Menschen
unterzeichnet haben, etwas bewirkt? Im östlichen und südlichen Afrika werden heute
dreimal so viele Kinder mit den virushemmenden antiretroviralen Arzneimitteln behandelt
wie im Jahr 2007, dem Beginn der missio-Kampagne. Dies ist das erfreuliche und Mut
machende Ergebnis einer umfangreichen Untersuchung, die die
Weltgesundheitsorganisation WHO, und die Fachorganisation der Vereinten Nationen
UNAIDS im Oktober 2009 veröffentlichten (http://data.unaids.org/pub/Report/2009/20090930
tuapr 2009 en.pdf). Die Daten stammen aus 139 von 149 Ländern mit niedrigen und mittleren
Einkommensverhältnissen.
Im Bereich der Diagnostik im Kleinkindalter gibt es allerdings nur geringe Fortschritte.
Immerhin kommen nun – wie von missio gefordert – in vielen Ländern sog.
„Trockenbluttests“ (Filterpapierverfahren) zum Einsatz. Einen Dissens mit der
Pharmaindustrie gibt es nach wie vor bei der Frage der Durchsetzung der Patentrechte.
missio kritisiert, dass der Umgang der Arzneimittelindustrie mit den gegenwärtigen
Patentrechten letztlich das Menschenrecht auf Zugang zu unentbehrlichen Medikamenten
für die Ärmsten erheblich erschwert bzw. verhindert.
Wie steht es nun konkret mit der Umsetzung der missio-Forderungen?
1. missio-Forderung: Entwicklung von geeigneten HIV-Tests für Kleinkinder!
Die Diagnostik einer HIV-Infektion im Kleinkindalter hat nur geringe Fortschritte gemacht. Da der
Nachweis von HIV-Antikörpern nicht verlässlich ist, kommen dazu vorrangig gentechnische Verfahren in
Frage, durch die das Virus direkt nachgewiesen wird. Diese als PCR bezeichneten Verfahren sind weiterhin
teuer und es gibt weltweit nur wenige Anbieter dieser Hochtechnologie. Um die wenigen Laborgeräte
möglichst wirksam auszulasten, werden in nahezu 70% der oben genannten Länder Proben auf Filterpapier
gesammelt und zentral untersucht. In Sambia werden zur Zeit 30% aller exponierten Kinder so
diagnostiziert. Dies kann aber nur eine Übergangslösung sein und schränkt den universellen Zugang auf die
Untersuchung ein. Erforderlich ist, Analyseverfahren zu entwickeln, die auch in weit entfernten
Behandlungseinrichtungen eingesetzt werden können.
Noch fehlt es an erkennbaren Initiativen der Hersteller von Diagnostika, sogenannte ‚point of care‘
Technologien zur HIV-Diagnostik zu entwickeln, d.h. Geräte und Verfahren, die die Untersuchung von
Proben an Ort und Stelle erlauben. Für die Überwachung des Funktionierens des menschlichen
Abwehrsystems durch Bestimmung der sogenannten Helferzellen – CD4-Zellen – gibt es mittlerweile eine
wachsende Zahl von kostengünstigeren Alternativen. Große Fortschritte zeichnen sich auch in der
Verbesserung der Diagnostik der Tuberkulose ab.
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2. missio-Forderung: Verbesserung der HIV/Aids-Therapie für Kinder!
In Zeiten der wirtschaftlichen Krise zeigt der o.g. Bericht von WHO, und UNAIDS, was dank der
Mobilisierung der Weltgemeinschaft für die schwer benachteiligte Gruppe der Kinder mit HIV
erreicht werden konnte. Die Zahl der Behandlungszentren hat sich in den letzten vier Jahren auf
nahezu 11.000 verdoppelt. Zu Beginn der Kampagne wurden gerade einmal 60.000 Kinder
therapiert, meist in wohlhabenden Staaten. Die Anzahl der behandelten Kinder weltweit stieg
allein im Jahr 2008 von 200.000 auf 280.000. Das ist eine Wachstumsrate von fast 40%! Die
höchsten Zuwachsraten sind in den Ländern des südlichen und östlichen Afrika zu verzeichnen. In
Ländern wie Botswana, Swasiland oder Namibia werden heute über 80% aller Kinder, die eine
Behandlung brauchen, medizinisch versorgt.
Gründe für die enorme Steigerung der Anzahl der Kinder, die Zugang zu einer Behandlung haben,
sind die nachhaltige weltweite Anwaltschaft für die lange Zeit vernachlässigte Gruppe von HIVinfizierten Kindern, die wachsende Bereitschaft von betroffenen Staaten, sich zu engagieren, das
wachsende Angebot von kinderfreundlichen Zubereitungsformen bekannter Wirkstoffe und die
Verringerung der Kosten u.a. durch wachsende Konkurrenz oder Organisationen, die
Masseneinkäufe ermöglichen. Seit den Gesprächen mit missio im Rahmen der Kampagne
veröffentlicht und aktualisiert der Verband der Forschenden Arzneimittelhersteller in Deutschland
(VFA) auf einer Internetseite die zur Zeit von forschenden Arzneimittelunternehmen angebotenen
Wirkstoffe, die zur Behandlung von HIV-infizierten Kindern eingesetzt werden
(www.vfa.de/kinder-aids-medikamente). Erfreulich ist zu sehen, dass weitere Wirkstoffe in
Entwicklung sind bzw. auf ihre Zulassung durch die europäischen Behörden warten. Die WHO
macht aber seit 2008 darauf aufmerksam, dass eine Reihe von Zubereitungen von bekannten
Wirkstoffen weltweit nicht auf dem Markt sind (s. Tabelle im Anhang).
In der oben erwähnten Studie wird aber dargestellt, dass weit über 90% der Kinder weltweit nur
mit einem sogenannten Grundschema behandelt werden. Dafür werden zurzeit lediglich fünf
verschiedene Wirkstoffe miteinander kombiniert. Erfreulich ist, dass für diese als ‚first line
regimen‘ bezeichnete Therapie kinderfreundliche Minitabletten, Granulate oder Sirups zur
Verfügung stehen. Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass die Preise auf durchschnittlich US $ 105
für den Medikamentenbedarf eines Jahres gefallen sind. Leider sind immer noch erhebliche
Preisschwankungen von einem Land zum anderen bekannt, die nur schwer wirtschaftlich zu
begründen sind. Deutlich teurer sind aber weiterhin flüssige Zubereitungen mit im Durchschnitt
US $ 141 pro Jahr.
In dem Maße, in dem mehr Kinder länger behandelt werden, steigt der Bedarf für
Behandlungsalternativen, d.h. von Wirkstoffen, die in fester Dosierung miteinander kombiniert
sind. Um solche Wirkstoffkombinationen zu entwickeln und auf den Markt zu bringen, müssen
Unternehmen besser zusammenarbeiten. Patente auf Arzneimittel spielen dabei eine ganz wichtige
Rolle. Einige Unternehmen haben die Schaffung sogenannter ‚Patent Pools‘ in Aussicht gestellt.
Weiterhin bestehende Herausforderungen und Probleme
Doch trotz der beschriebenen Fortschritte: Die Herausforderungen und Probleme im Kontext der
Therapie der betroffenen Kinder sind groß und wachsen weiter. Immer noch - ähnlich wie bei
Erwachsenen - übersteigt die Zahl der neu behandelten Fälle die Zahl der neu infizierten. Nahezu
450.000 Kinder werden pro Jahr mit dem Immunschwächevirus HIV angesteckt. In 90% kommt es
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dazu durch eine Übertragung des Virus während der Schwangerschaft, unter der Geburt und durch
das Stillen. Ihr Anteil gegenüber Erwachsenen nimmt weiter zu. Familien, speziell Müttern mit
einer HIV-Infektion, wird immer noch zu selten ein Angebot für Beratung und Tests gemacht, nur
in 21% der Fälle. Zu wenige Mütter bekommen oder entscheiden sich für eine Vorbeugung der
Mutter–Kind–Übertragung durch Medikamente (nur in 45% aller Fälle). Die Mehrheit der Kinder
bekommt während der Stillzeit keine vorbeugenden Medikamente.
Jüngste Untersuchungen bestätigen die Vermutung, dass HIV-positive Kinder ein sechsmal
höheres Risiko haben, im ersten Lebensjahr zu sterben, als Kinder, die das HI-Virus nicht haben.
Weiter ergaben die Studien, dass die häufigste Todesursache in Afrika die Tuberkulose ist. Daraus
folgt, dass beide Erkrankungen im ersten Lebensjahr erkannt und erfolgreich behandelt werden
müssen. Beides ist keine leichte Aufgabe und ohne Labor kaum zu bewältigen, da Kinder unter
Umständen rasch sterben, ohne schwerwiegende oder eindeutige Krankheitszeichen zu entwickeln.
Die Weltgesundheitsorganisation hat ihre Empfehlungen für die Behandlung von HIV-infizierten
Kindern im ersten Lebensjahr in 2008 diesen Erkenntnissen angepasst. Kinder, bei denen im ersten
Lebensjahr eine HIV-Infektion nachgewiesen ist, sollen mit antiretroviralen Arzneimitteln (engl.
cART – combination antiretroviral therapy) behandelt werden. Dies erhöht die Zahl der Kinder,
die Behandlung brauchen.
Es ist zu bedenken, dass in den letzten Jahren bekannt wurde, dass die Verstoffwechselung von
Wirkstoffen vor allem bei Kindern in den ersten Lebensmonaten mit einem hohen Risiko von
Schwankungen im Blutspiegel einhergehen. Damit drohen Resistenzbildung und
Therapieversagen. Deshalb setzt sich missio dafür ein, dass die Grundlagenforschung in den
betroffenen Ländern selbst stattfinden muss, da der Stoffwechsel auch durch genetische Faktoren
beeinflusst wird. Die Pharmaindustrie sollte daher verstärkt mit Herstellern in den
ressourcenarmen Ländern zusammenarbeiten. Diese Hersteller müssten gegenüber der WHO die
Qualität ihrer Produkte darstellen, die dazu Qualifizierungslisten erstellt. Die Durchschnittskosten
für sogenannte „Second-Line-Präparate“ lagen 2008 bei 300 US $ für Produkte für Kinder unter 5
kg und bei 400 US $ für Kinder über 10 kg. Diese Preishürde stellt augenblicklich eine Sperre
zum Zugang zur Therapie dar, wenn die Erstbehandlung unwirksam geworden ist.
Ein weiteres Problem besteht darin, dass es entscheidend an Grundlagenforschung zu einem
sogenannten „therapeutischen Arzneimittel-Monitoring“ fehlt. Dies ist ein Verfahren, das
Wirkstoffspiegel im Blut mit dem klinischen Erfolg einer Behandlung in Beziehung setzt.
Dissens mit dem VFA bei Patenten
Der nach wie vor größte Dissens mit dem Verband der Forschenden Arzneimittelhersteller (VFA) besteht in
Fragen des Patentrechts. VFA-Vertreter betonen nachdrücklich die Bedeutung der Patentregelungen aus
Urheberrechtsgründen, aus Verantwortung für medizinische Standards und aus ökonomischen Gründen.
Der Patentschutz ist aus Sicht des VFA die einzige Handhabe zur Sicherung einer qualitativ hochwertigen
Medikamentenproduktion und zur Fälschungsbekämpfung. Ferner wird immer wieder darauf verwiesen,
dass alle Originalhersteller bereits seit langem eine an den wirtschaftlichen Möglichkeiten der Zielländer
orientierte Preisdifferenzierung praktizieren und – wo möglich und sinnvoll – freiwillige Lizenzen für
lokale Fertigung erteilen würde.
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missio hat demgegenüber dargelegt, dass der Umgang mit den gegenwärtigen Patentregelungen dazu führt,
dass diese Politik in armen Ländern die Preise in die Höhe treibt, den Ausbau der Generikaproduktion
(Nachahmerpräparate) erschwert und letztlich das Menschenrecht auf Zugang zu unentbehrlichen
Medikamenten verhindert. missio stellt des Weiteren ein sehr unterschiedliches Verhalten bei den
Unternehmen der Forschenden Arzneimittelindustrie im Rahmen der Durchsetzung von Patenten fest.
missio fordert daher den VFA angesichts der katastrophalen Folgen der HIV-Pandemie für Kinder auf, die
Verantwortung für das Menschenrecht auf Zugang zu unentbehrlichen Medikamenten vor die Durchsetzung
von Marktinteressen zu setzen.
Fazit und Ausblick:
Die missio-Kampagne „Thandi darf nicht sterben“ hat einen wichtigen Beitrag geleistet, dass das Thema
„Aids & Kinder“ auf der Agenda von Pharmaunternehmen und der Politik steht. Es hat inzwischen wichtige
Verbesserungen für die betroffenen Kinder gegeben. Thandi hat in einigen Ländern des östlichen und
südlichen Afrika eine Chance auf Behandlung. Doch sollte sie in West- oder Nordafrika leben, dann gehört
sie vermutlich zu der Gruppe, die nur in 2%-15% der Fälle eine Therapie bekommt. Der Anspruch von
missio, allen Menschen – vor allem auch den von HIV betroffenen Kindern – gemäß der Botschaft Christi
ein „Leben in Fülle“ zu ermöglichen, ist noch ein erhebliches Stück von der Realisierung entfernt und
erfordert daher weiter unseren Einsatz.
Aachen/Würzburg im Dezember 2009
Dr. Klemens Ochel
Missionsärztliches Institut
Karl-Heinz Feldbaum
Leiter der missio Aktion Schutzengel
Anhang:
Bericht über Zugang zur Behandlung für Kinder unter 15 Jahren
ART in low- and middle-income countries,
by region, children (<15), December 2007–2008 *
Number of
people
receiving ART
December
2007
Number of
people
receiving ART
December
2008
Increase
in one
year
158 000
235 000
49%
132 000
26 000
205 000
30 000
55%
15%
Latin America and the
Caribbean
15 000
16 000
7%
East, South and South-East
Asia
21 000
30 000
43%
Europe and Central Asia
2 000
4 100
105%
North Africa and the Middle
East
<200
<500
>100%
Geographical region
Sub-Saharan Africa
- Eastern and Southern Africa
- West and Central Africa
Total
* Final data to be published in September 09
196 000
285 000
[176 000 –
216 000]
[265 000 –
305 000]
45%
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Schwer zu erhaltende aber dringend benötigte Zubereitungen von Wirkstoffen,
zur Behandlung von Kindern
Beispiel der Beobachtung von Preisentwicklungen von Wirkstoffkombinationen
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