Berufbedingte HIV-Infektion durch Blutspritzer ins Auge Einleitung von Dr. Bettina Heese Ein 27jähriger Laborpraktikant zog sich bei seiner Tätigkeit durch einen Blutspritzer ins Auge eine HIV-Infektion zu, die als Berufskrankheit anerkannt wurde. Die infektiöse Blutprobe stammte von einer thailändischen Patientin, die an einem fortgeschrittenen Stadium der HIV-Erkrankung litt. Kasuistik Der 1972 geborene Koch, der sich im zweiten Jahr der Umschulung zum medizinisch-technischen Laborassistenten befand, bereitete im Rahmen eines berufsbegleitenden Praktikums in einem Krankenhauslabor für klinische Chemie Blutproben für die Analyse vor. Er hatte dabei keine Möglichkeit zu erkennen, ob es sich bereits um bekannt infektiöse Untersuchungsmaterialien handelte, da diese nicht besonders gekennzeichnet wurden. Beim manuellen Öffnen eines Vacutainer-Röhrchens spritzte ihm dabei Blut ins Auge. Obwohl als ausgebildeter Rettungssanitäter über Sofortmaßnahmen nach Kontakt mit potentiell infektiösen Materialien gut informiert, unterblieben diese, da die Situation subjektiv nicht als gefährlich eingestuft wurde. Der Versicherte litt zu diesem Zeitpunkt durch das regelmäßige Tragen von Kontaktlinsen an einer leichten Kontaktkonjunktivitis. Eine im Rahmen des Praktikums zu Übungszwecken abgenommene Blutprobe ca. sechs Wochen nach dem Unfallereignis zeigte einen schwach positiven Anti-HIV/1 Test (Elisa), der acht bzw. 15 Wochen später bestätigt wurde (positiver Elisa, positiver HIV/1Immunoblot). Durch Subtypisierung wurde eine HIV/1E-Infektion nachgewiesen. Eine daraufhin durchgeführte Untersuchung einer zufälligerweise ca. fünf Wochen vor dem Unfallereignis eingefrorenen Blutprobe des Versicherten ergab einen negativen HIV-Suchtest. Es stellte sich heraus, dass die Blutprobe, aus der sich der Versicherte den Augenspritzer zugezogen hatte, von einer thailändischen Patientin stammte. Diese wurde zum Zeitpunkt des Unfallereignisses wegen eines fortgeschrittenen Stadiums der HIV-Erkrankung auf der Intensivstation betreut. Gutachterliche Stellungnahme In einem fachinternistischen Gutachten aus der medizinischen Fakultät der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, Institut für medizinische Mikrobiologie (Professor L. Gürtler), wird es in einem sehr hohen Maße für wahrscheinlich gehalten, dass sich der Versicherte im Rahmen seiner Tätigkeit als Praktikant die HIV-Infektion zugezogen hat. Dafür spricht der zeitliche Ablauf der Serokonversion. Die Nukleinsäure-Sequenzierung ergab bei analytischer Betrachtung des pylogenetischen Baumes, dass das HIV/1 des Versicherten unter die thailändische HIV/1E-Variante fällt. Dabei zeigte sich eine sehr enge Verwandtschaft zwischen den Viren des Versicherten und denen der thailändischen Intensivpatientin. Unter 350 sequenzierten Nukleotiden fanden sich nur drei Basenaustausche. Es wird als sicher angesehen, dass sich der Betroffene mit dem HIV-Blut der Patientin infizierte. Andere Übertragungswege, wie Stichverletzungen oder sexuelle Kontakte, scheiden nach glaubhaften Aussagen des Versicherten aus. In dem hier beschriebenen Versicherungsfall wurde gewerbeärztlicherseits eine Berufskrankheit (Nr. 3101 der Anklage der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) "Infektionskrankheiten wenn der Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laborium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war") zur Anerkennung vorgeschlagen. Bei subjektiver Beschwerdefreiheit des Betroffenen liegt eine Minderung der Erwerbsfähigkeit derzeit nicht vor. 1 Diskussion Nach Wissen der Autorin gibt es Deutschland bisher keinen publizierten Fall einer berufsbedingten HIV-Infektion durch Benetzen der Conjunktiva mit HIV-haltigem Material. Aus Italien liegt eine entsprechende Kasuistik bei einer Krankenschwester vor. Das Max-von-Pettenkofer-Institut hat in den letzten fünf Jahren sieben Fälle, bei denen es zu Kontakt der Conjunctiva mit Blut von HIV-positiven Patienten gekommen ist, analysiert. In keinem Fall hat sich eine HIV-Infektion entwickelt, möglicherweise weil stets sofort eine intensive Spülung des Auges erfolgt ist (Mitteilung Prof. Gürtler). Die hier beschriebene Kasusitik zeigt einmal mehr die Notwendigkeit auch bei nicht invasiven Kontakt mit möglicherweise infiziertem Material über Erste-Hilfe-Maßnahmen im Sinne einer Infektionsprophylaxe intensiv aufzuklären. Darüber hinaus gibt sie Anlass, über die Notwendigkeit der Kennzeichnung bekannt infektiösen Materials und des Tragens einer Schutzbrille bei derartigen Tätigkeiten zu diskutieren. Spekulativ bleibt, ob in diesem Fall die bestehende Konjunktivitis das Angehen einer HIV-Infektion erleichtert hat. Korrespondenzadresse: Dr. Bettina Heese Gewerbeaufsichtsamt München-Stadt Lotte-Branz-Str. 2 80939 München (Quelle: Erstabdruck in "Arbeitsmedizin Sozialmedizin Umweltmedizin", 34. Jahrg., S. 533-534, Heft 12, Dezember 1999, Gentner Verlag Stuttgart, Postfach 101742, 70015 Stuttgart) 2