Datum: 13. Juni 2007 Thema: Allergien – das Immunsystem auf Abwegen Referent: Univ.-Prof. Dr. Bernd-Rüdiger Balda Department für Klinische Medizin und Biotechnologie, Donau-Universität Krems Der menschliche Organismus muss sich zeitlebens mit seiner Umwelt auseinandersetzen. Um dabei keinen Schaden zu nehmen, bedient er sich dazu verschiedener, auch ineinandergreifender Strukturen und Funktionsabläufe, unter denen das Immunsystem eine Hauptrolle spielt. Auch wenn sich schädigende Umwelteinflüsse an allen Organen bemerkbar machen können, so sind doch die Haut, die Lunge/ der Atemtrakt und der Verdauungstrakt die eigentlichen Ziel-, weil Grenzflächenorgane. Aus klinischer Sicht kommt der Haut dabei eine gewisse Signalfunktion zu, denn neben eigenen krankhaften Reaktionen können sich dort z.B. auch Nahrungsmittelallergien als Nesselsucht oder Arzneimittelallergien als verschiedene Formen von Hautausschlägen äußern, und der Nachweis von allergischem Asthma oder Heuschnupfen lässt sich an der Haut erbringen. Als Allergien werden heute krankmachende Überreaktionen des Immunsystems bezeichnet. Sie sind abzutrennen von den weniger bedeutsamen sog. pseudoallergischen Reaktionen, die zwar in ihrer sichtbaren Symptomatik ähnlich ablaufen, jedoch keinen immunologisch nachweisbaren Hintergrund haben, sondern auf anderen Mechanismen beruhen. Normalerweise kommt dem Immunsystem die Aufgabe zu, zwischen gefährlichen und ungefährlichen Umweltstoffen zu unterscheiden und den Organismus vor ersteren zu schützen. Zu diesem Zweck patrouillieren ständig spezialisierte Zellen (dendritische Zellen) insbesondere die Grenzflächenorgane, wo sie Fremdstoffe aufnehmen, verarbeiten (prozessieren) und zu den regionalen Lymphknoten transportieren. Auf diesem "Marktplatz" wird nunmehr die "Beute" Interessenten (T-Zellen) präsentiert und mittels direkten Zellkontakts oder durch Austausch von Botenstoffen in jedem Einzelfall entschieden, ob die T-Zellen aus dem Verkehr zu ziehen sind (Immuntoleranz) oder sich zu Abwehrzellen u.a. des Typs TH1 oder TH2 entwickeln sollen. Bei erneutem Kontakt mit demselben Allergen wird dann entsprechend der einmal getroffenen Festlegung die vorbestimmte Zellart vermehrt produziert, was sich letztlich in jeweils typischen allergischen Krankheitsbildern äußert. Die bei Gesunden vorhandene Balance zwischen beiden Zellarten wird also gestört, und es resultiert im Falle des TH1-Musters eine zelluläre entzündungsgeprägte Typ-IV-Reaktion (Ekzemtyp- oder Spätreaktion) bzw. bei TH2-Dominanz eine stimulierte Antikörperproduktion (Typ-Ioder Sofortreaktion), die allergisches Asthma, Heuschnupfen oder Insektengiftallergien auszeichnet. Aus dieser Kenntnis der Basismechanismen allergischer Krankheiten leiten sich auch das diagnostische und therapeutische Vorgehen ab. Bei allen Typ-IV-Reaktionen wird der verdächtigte Stoff unter definierten Bedingungen auf die Haut aufgebracht (Patch- oder epikutaner Läppchentest). Im bestätigenden positiven Fall entsteht dann an dieser Stelle ein Mini-Ekzem. Die therapeutische Konsequenz besteht momentan allerdings noch in lebenslangem Meiden der Kontaktsubstanz, was gegebenenfalls nur sehr schwer realisierbar ist (z.B. Berufswechsel). Bei Typ-I-Reaktionen können dagegen die Allergene durch den Nachweis von Antikörpern im Blut erkannt und/oder nach Einbringen in die Haut (z.B. Pricktest) identifiziert werden. Durch eine Hyposensibilisierung, bei der das verursachende Antigen/Allergen in allmählich ansteigender Menge verabreicht wird, können diese Erkrankungen sehr erfolgreich behandelt werden. Diese Therapie führt nämlich zu einer Verschiebung des Reaktionsmodus von TH2 nach TH1. Wie komplex und damit kompliziert sich jedoch im Einzelfall Diagnostik und Therapie gestalten können, wird am Beispiel des atopischen Ekzems (Neurodermitis) deutlich. offensichtlich ist die akute Krankheitsphase TH2-, die chronische TH1-Zell-dominiert. Hinzu kommen erbliche und Umwelteinflüsse. Schließlich soll nicht unerwähnt bleiben, daß trotz der bereits hohen Erkrankungsrate an Allergien nach vorliegendem statistischen Zahlenmaterial ein weiterer Anstieg zu verzeichnen ist. Dafür sind nach bisherigem Wissensstand in erster Linie Umweltschadstoffe wie Stickoxide, Kohlenmonoxid, Ozon, Rußpartikel, Zigarettenrauch u.a. verantwortlich zu machen. Sie schädigen direkt die Grenzflächenorgane (Lunge), erleichtern das Eindringen von Allergenen oder modifizieren diese sogar, so daß sie eine höhere Aggressivität erlangen. Ferner wird das Immunsystem auf vielfältige Weise geschwächt und in seiner Funktion gestört (z.B. Erhöhung der Produktion des Antikörpers IgE). Weitere Informationen: Univ.-Prof. Dr. Bernd-Rüdiger Balda Department für Klinische Medizin und Biotechnologie Donau-Universität Krems Email: [email protected]