- HSF - Human Social Functioning

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HUMAN SOCIAL FUNCTIONING
Adlolfo Pablo Dörr
(bearbeitet von Jürgen Nimz)
Das Human Social Functioning (HSF) ist ein Konzept methodischen Vorgehens in der
Sozialarbeit, dessen Schwerpunkt auf den gegenwärtig ablaufenden, subjektiven Erfahrungen des
Klienten liegt, speziell auf dem Muster seiner Befriedigungen und Frustrationen.
Obwohl Heimlers1 Konzept des HSF seine theoretische Grundorientierung aus den
psychodynamischen Theorien bezieht, liegt bei ihm das Hauptinteresse auf dem „Hier und Jetzt“.
Dabei werden vergangene, frustrierende Erfahrungen als brauchbare Bestandteile der Gegenwart
und potentiell befriedigende Elemente der Zukunft eingeordnet.
Das Konzept des Human Social Functioning bietet durch seinen integrativen Ansatz eine
effektive und praktikable Möglichkeit zur Behandlung von Schwierigkeiten im intrapersonellen
Bereich für die Sozialarbeit.
1.
Die theoretischen Grundlagen der HSF
Der Begriff des „social functioning“ wurde von einer ganzen Reihe Wissenschaftler angewandt
(Bornom 1958/3, Geismar und Ayres 1959/4, Perlman 1957) bevor Heimler es in seinem
Konzept systematisierte. Dazu : „Die Idee des sozialen Funktionierens – worum es mir im
Grunde ging – war wahrhaftig nicht neu, sondern ist in den letzten beiden Jahrzehnten von einer
ganzen Reihe von Autoren diskutiert worden. Tatsächlich wurde das Grundkonzept in
jahrelangen Experimenten und Untersuchungen und aus der Praxis der Sozialarbeit entwickelt.
Ich war jedoch auf einen vorwiegend praktischen Ansatz aus, der Methode und Theorie in einer
eigenen Praxisform integriert würde.“
Je mehr Ausdrucksformen der Mensch zur Verfügung hat, umso mehr psychische Energie wird
freigesetzt und somit gebrauchsfähig.“ (1972, S. 25)
Sicherlich wird der psychodynamische Begriff der psychischen Energie erweitert „Meine Idee
war an sich nicht neu, sondern vielmehr ein Versuch, verschiedene psychotherapeutische
Methoden zu einer neuen Einheit zu integrieren.“ (HEIMLER 1975, S. 20). Der Anstoß zu dieser
Entwicklung kam für HEIMLER aus verschiedenen Quellen, aus:
a) HEIMLERS persönlichen Erfahrungen der Existenz unter extremen
Bedingungen in den Konzentrationslagern des nationalsozialistischen
Deutschlands.
b) Der Konfrontation mit Randgruppen: psychisch Kranken, Arbeitslosen
(Hendon-Experiment), Ungarn-Flüchtlingen etc.,
c) der Auseinandersetzung mit den Theorien vom Menschen und dem Versuch,
die Unterdrückten zu befähigen, (zunächst) zu einer befriedigenden Lösung
ihrer eigenen Problematik zu gelangen. Und sie so in die Lage zu versetzen,
ihre Erfahrung auf die Umwelt zu übertragen und zur Schaffung einer
gerechteren Gesellschaft beizutragen.
Der Begriff HSF bezieht sich, so HEIMLER, „ ..... auf eine bestimmte Praxis, Methodik und
Theorie, die zum Ziel hat, den Menschen zu befähigen, seine Erfahrungen zu integrieren und auf
neue und befriedigende Weise nutzbar zu machen.“ (1971, S.1)
Unter „funktionieren“ versteht HEIMLER die
Lebenserfahrungen umgehen zu können.“ (1971 S. 7)
Fähigkeit,
„mit
den
alltäglichen
Das HSF ist in folgende Thesen aufgebaut:
a)
Verteilung der psychischen Energie
b)
Interaktion von Befriedigung und Frustration
c)
Interaktion der Zeiten
1.1
Verteilung der psychischen Energie
Die Heimlersche Konzeption distanziert sich – wie C.G. JUNG – von der überwiegend
sexuellen Auffassung der Libidotheorie. „... Man kann die Bezeichnung Libido fallen
lassen oder als gleichbedeutend mit psychischer Energie überhaupt gebrauchen.“ (FREUD
1969 S. 109)
C.G. JUNG (1962, S. 212) betrachtet „ ... die menschlichen Triebe als Manifestationsform
energetischer Vorgänge und damit als Kräfte analog der Wärme, dem Licht usw. Wie es
dem heutigen Physiker nicht einfallen würde, alle Kräfte z.B. lediglich aus der Wärme
abzuleiten, so wenig ist es in der Psychologie zulässig, alle Triebe dem Begriff der Macht
oder demjenigen der Sexualität unterzuordnen.“
Wenn HEIMLER von psychischer Energie spricht, gebraucht er diesen Betriff im Sinne
von C.G. JUNG. Er geht davon aus – und stützt sich dabei auf Untersuchungen von
FULTON FISHER (Biologe an der British Columbia University) und MARGRET MEAD
- , dass der zivilisierte Mensch nur einen Bruchteil (etwa 5-10 Prozent) seiner physischen
und psychischen Möglichkeiten gebraucht. Eine Ahnung davon geben die erstaunlichen
Fähigkeiten, die Menschen unter Hypnose zu entwickeln in der Lage sind.
Davon ausgehend, dass Energie zum großen Teil blockiert ist, unterscheidet HEIMLER
zwischen nutzbarer („usable“) und blockierter („nonusable“) Energie, wobei sich die
nutzbare in konstruktiver, die blockierte in destruktiver Weise äußert. Diese Destruktion
kann sich vielfältig in intra- und interpersonalen Störungen äußern: in Aggression
gegenüber sich selbst (Depression, Krankheit, Suizid) oder in dissozialem Verhalten
verschiedener Art (Delinquenz usw.).
FROMM (in „Der Spiegel“, 9’75, S. 122): „Die Zerstörung ist die Kreativität des
Hoffnungslosen und Verkrüppelten, sie ist die Rache, die das ungelebte Leben an sich
selbst nimmt.“
Die noch weithin ungelöste Frage, wie dieses blockierte Potential an psychischer Energie
erschlossen werden kann, versuchen verschiedene therapeutische Schulen, wie z.B. die
Primärtherapie, Gestalt-Therapie, Encounter- Gruppen etc. zu erproben
Auch HEIMLER versucht – durch die Konfrontation mit den eigenen Erfahrungen, die
dadurch an Bedeutung gewinnen und in das eigene Lebensmuster integriert werden
können – eben dies zu erreichen.
Menschliches soziales Funktionieren, so HEIMLER, „ ... ist abhängig von einer
angemessenen, ökonomischen Verteilung der Energie auf mehr als nur einen
Lebensbereich und auf mehr als nur ein signifikantes Verhaltensmuster.
1.2.Interaktion von Befriedigung und Frustration
Die Interaktion von Befriedigung und Frustration stellt den Hauptkern der Theorie des
HSF dar. Heimler geht davon aus, dass „ ... Quantität und Qualität von Frustration und
Befriedigung, die irgendwann einmal durch das Individuum erfahren wurden, Erfolg oder
Versagen im gesellschaftlichen Funktionieren bestimmen.“ (1971, S. 124)
Befriedigung wird dabei verstanden als die subjektive Wahrnehmung des Individuums,
dass es von seinen Möglichkeiten („potentials“) guten Gebrauch machen kann; während
Frustration gleichbedeutend ist mit der Unfähigkeit, die eigenen Möglichkeiten in
befriedigende Lebenserfahrung umzusetzen.
Dabei unterscheidet HEIMLER zwischen vorgegebenen Möglichkeiten („given
potentials“), z.B. physischen und psychischen Anlagen, und erworbenen Möglichkeiten
(“acquired potentials“), z.B. Ausbildung, Beruf, Status etc.
Beide Möglichkeiten werden entscheidend durch die Sozialisationsbedingungen
des Individuums beeinflusst: - dazu Heimler: „Die moderne zivilisierte demokratische
Gesellschaft bestimmt immer noch, wem erlaubt werden kann, menschlich zu werden und
wem nicht. Arbeitslosigkeit wird sogar in industriellen Gesellschaften, wo sie
unvermeidlich ist, als Sünde angesehen. ... das Gefühl der Nutzlosigkeit (zerstört)
Generationen von Menschen, denen niemals Gelegenheit geboten wurde, andere
‚Lebensaufgaben’ (um ADLERS Terminologie zu benutzen) zu finden, die ihnen das
Gefühl geben, gebraucht zu werden.“ (1975, S. 12) Dieser Selektions- und
Entfremdungsmechanismus unserer Gesellschaftsform schafft Frustrationen, die –
subjektiv erfahren – häufig in ihrem Gesamtzusammenhang nicht erkannt und als
subjektive Defizite eingestuft werden. Eine Möglichkeit wirksamer Auflösung dieses
Selektionsverfahrens sieht HEIMLER nur auf politischem Wege.
Da dieser Prozess bekanntlich mühsam und langwierig ist und dem betroffenen, leidenden
Menschen nicht unmittelbar helfen kann, war es HEIMLERS Ziel, eine Methode zu
entwickeln, die „ ... dem Klienten helfen (kann), seine eigenen Erfahrungen zu integrieren
und zu gebrauchen, aber auf eine Art und Weise, die von ihm als neu und kreativ erlebt
wird.“ (a.a.O., S.20) Im Mittelpunkt des therapeutischen Bemühens steht dabei der
konstruktive Umgang mit Frustrationen. HEIMLER geht von der Notwendigkeit aus, den
Menschen mit seinen „dunklen“ Seiten zu konfrontieren, um den Prozess der Integration
voranzutreiben und das Feld der ihm eigenen Möglichkeiten deutlicher zu machen: „Die
Konfrontation mit dem, was der jeweilige Mensch selbst als negativ erlebt, oder was die
Gesellschaft als negativ einordnet, kann die Schleusen öffnen für bisher verborgene
menschliche Fähigkeiten, die genau in den Bereichen aufgestaut sind, die wsir bisher
gewöhnlich modifizieren, verändern oder interpretieren wollten.“ (a.a.O., S. 25)
Frustration ist in diesem Kontext also nicht zu verstehen als eine Erfahrung, die nur
behindert, sondern vielmehr als ein Potential für Befriedigungen, das nutzbar gemacht
werden muss, wenn die Zukunft keine endlose Wiederholung der Gegenwart und
Vergangenheit sein soll.
1.3 Interaktion der Zeiten
Die Theorie FREUDS, dass Konflikte der frühen Kindheit trotz Verdrängung überall
gegenwärtig sind und in das Erwachsenendasein hineinwirken, hat in bezug auf das
Zeitelement in den nachfolgenden Schulen verschiedene Resonanz gefunden. Bei FREUD
ist die Therapie darauf ausgerichtet, Unbewusstes aus der Vergangenheit mit Mitteln der
freien Assoziation, der Interpretation, der Übertragungsbeziehung der Traumdeutung
bewusst zu machen.
Die Schulen der Neopsychoanalyse (SCHULTZ-HENCKE, ERICH FROMM, KAREN
HORNEY, H.S. SULLIVAN etc.) gehen von der Theorie FREUDS aus, messen
allerdings – entsprechend den Untersuchungen der anthropologischen Forschung von
MALINOWSKY und M. MEAD u. a. – der Auseinandersetzung mit dem gegenwärtigen
interpersonalen Bereich des Klienten immer mehr Bedeutung zu.
ALFRED ADLER (Individualpsychologie) distanzierte sich relativ früh (1912) von
FREUD und behauptet, dass der Lebensstil des Individuums zwar von der Vergangenheit
beeinflusst wird, für eine Therapie sei dagegen die Gegenwart und die
Zukunftsbezogenheit von Bedeutung. Für die „Adlerianer“ offenbart sich in der
Zielgerichtetheit (Finalität) die gesamte Persönlichkeit des Individuums.
HEIMLER geht über den Ansatz FREUDS insofern hinaus, als er nicht nur die Gegenwart
unter dem Einfluss der Vergangenheit annimmt, sondern auch den quasi umgekehrten
Prozessablauf sieht, nämlich, dass die Erfahrung der Gegenwart die Art und Weise
bestimmt, wie die Vergangenheit erlebt wird:
„Es scheint so, als ob die Handlungen des Menschen in der Gegenwart, die
Befriedigungen verheißen oder verschaffen, auch Kanäle sind, durch die man die
verschiedenen Erinnerungen an die Vergangenheit auswählen kann.“ (a. a. O., S. 7)
Im Mittelpunkt des Interesses und der therapeutischen Bemühungen steht daher
konsequenterweise nicht die Frage, warum jemand etwas tut oder fühlt, sondern vielmehr
was und wie er es tut und wie er diese Erfahrung nutzbar machen kann. Dieser
phänomenologische Ansatz erleichtert vor allem den Zugang zur Unterschicht, da er von
konkret beobachtbarem Verhalten ausgeht und durch den Verzicht auf Interpretationen die
Abstraktionsmöglichkeiten des Klienten nicht überfordert, dabei aber dessen
Aufmerksamkeit auf sein Erleben lenkt.
Durch den Prozess der Entfremdung, dem wir alle unterliegen, besteht die Gefahr, dass
wir unser Leben als eine Folge unzusammenhängender Ereignisse erleben: Erfahrung
wird von Verhalten isoliert. Dazu HEIMLER (a.a.O., S. 64): „In der Situation, unser
‚Gestern’ verleugnet zu haben, finden wir nicht den Zugang zum Augenblick, der uns am
‚Heute’ begegnet, und hoffen verzweifelt auf die bessere Chance, die das ‚Morgen’ bieten
soll.“
HEIMLER geht es in seiner Methode darum, diese Isolation aufzulösen und vergangene
Erfahrung, so schmerzlich sie auch sein mag, wieder in das Leben zu integrieren. Dieser
Akt der Integration ist ein Ausdruck von Kreativität; sie setzt blockierte psychische
Energie frei und ermöglicht so eine lebendigere Zukunft.
2
Übersicht über die methodischen Mittel des HSF
2.1 Entstehung und Aufbau der Skala
Nach mehrjähriger praktischer Arbeit im Auftrag der britischen Gesundheitsbehörde mit über
tausend Klienten (Arbeitslosen, Obdachlosen, psychisch Kranken, Patienten von praktischen
Ärzten und Kontrollgruppen wie Kirchgängern und Nicht-Kirchgängern, Supermarktbesuchern
etc.), bekannt in der englischen Fachliteratur als „Hounslow-Projekt“, entstand die „Heimler
Scale of Social Functioning“ (im weiteren Kontext „Skala“ genannt). Sie ist seit 1967
urheberrechtlich geschützt und bedarf zur Anwendung in der Praxis einer zusätzlichen
Ausbildung und Genehmigung. Der Skala liegt die Hypothese zugrunde, .... dass es niemals
Befriedigung gibt ohne gleichzeitige Frustration oder umgekehrt Frustration ohne gleichzeitige
Befriedigung“ (Heimler 1971, S. 25) und „ ... dass ein zu niedriger Befriedigungsgrad und zu
viele Frustrationen den einzelnen als Teil der Gesellschaft völlig blockieren konnten.“ (Heimler
1975, S. 19). Um die subjektive Erfahrung von Befriedigung und Frustration in einem
Individuum zu einem gegebenen Zeitpunkt objektiv messen zu können, entwickelte HEIMLER
die Skala (in deutsprachigen Ländern auch als „Heimler-Skala“ bekannt). Die Skala ist in einen
Index A, der Befriedigung, in einen Index B, der Frustrationen, sowie eine „Synthese“ gegliedert.
Der Index A enthält mindestens 25 Fragen, die auf 5 wesentliche Lebensbereiche aufgeteilt sind:
1.
2.
3.
Arbeit
Finanzen
Freundschaft
(work and interests)
(finance)
(friendship)
4.
5.
Familie
Persönliches
(family)
(personal)
Der Index B hat 25 Fragen und ist ebenfalls in 5 Bereiche unterteilt:
1.
2.
3.
4.
5.
Aktivität
Körper
Soziale Erfahrung
Seelisches Befinden
Reaktionsweisen
(activity)
(somatic)
(persecution)
(depression)
(escape routes)
(Die Überschriften in der deutschen Fassung wurden neutraler gehalten, da die
Erfahrung in der Praxis gezeigt hat, dass die Übersetzung der klinischen
Terminologie bei Klienten in Deutschland Irritation hervorruft.
Während die Indices A und B überwiegend das Verhältnis von Befriedigung und
Frustration erheben, reflektiert die „Synthese“ in 5 Fragen „die Interaktion der
Zeiten“, die Gesamtschau, die der Klient von seinem bisherigen Leben und seinen
Zukunftsaussichten hat.
2.2
Auswertung der Skala und Diagnose
Die Skala kann auf zwei Arten ausgewertet werden, die sich gegenseitig kontrollieren und
ergänzen:
a)
b)
die numerische Auswertung
die inhaltliche Auswertung
Zu a) Für jede Frage der beiden ersten Teile der HSF-Skala gibt es drei
Antwortmöglichkeiten: „Ja“, „Nein“ und eine dritte antwort, die weder ja noch nein
bedeutet („vielleicht“, „ich weiß nicht“, „manchmal“, „es kommt darauf an“, „je nach
dem“ und ähnliches).
Die Übersetzung dieser drei Antwortmöglichkeiten in Zahlen (ja = 4, vielleicht usw. = 2,
nein = O) ergibt, übertragen auf das Deckblatt der Skala einen ersten, allgemeinen
Hinweis auf den Gesamtzustand des Klienten . Eine genaue Beschreibung der Bedeutung
einzelner Zahlenkombinationen würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen; wir
beschränken uns daher auf die Grundwerte von Frustration und Befriedigung.
Aufgrund der Untersuchungen im Hounslow-Projekt ergab sich folgende Normverteilung
sozialen Funktionierens:
1) Eine Gesamtpunktzahl über 60 im Index A bedeutet, dass der
Klient ohne fremde Hilfe innerhalb der Gesellschaft funktionsfähig
ist.
2) Eine Gesamtpunktzahl zwischen 36 und 60 im Index A zeigt an,
dass der Klient dringend Hilfe benötigt.
3 Eine Punktzahl unter 36 im Index A deutet auf eine schwerere
Krise mit der Gefahr eines Zusammenbruchs des Klienten hin.
Massive Hilfe, nötigenfalls innerhalb einer Institution, ist dabei
häufig angezeigt.
Über diese hier angedeuteten Schritte hinaus werden dann im Laufe der weiteren statistischen
Auswertung noch zuverlässige Aufschlüsse darüber gewonnen, inwieweit der Klient zu Rigidität
und Starrheit in seinem Urteilen, seinem Erleben und Handeln neigt, ob er – immer im Vergleich
zu der sozial funktionsfähigen Kontrollgruppe – gewöhnlich Frustrationen leugnet oder
verdrängt, ob er zu Unentschiedenheit, Unsicherheit und Unbestimmtheit neigt, in welchem
Maße er seine Welt eher realistisch, optimistisch-euphorisch oder pessimistisch-depressiv sieht.
Auch recht zuverlässige Hinweise auf eine eventuelle Selbstmordgefährdung sind zu erwarten.
Darüber hinaus ist bereits aufgrund der numerischen Auswertung allein eine grundsätzliche
Beschreibung der Problematik des Klienten möglich.
Zu b) Die inhaltliche Auswertung der insgesamt mindestens 55 Antworten auf die Fragen
der gesamten HSF-Skala erfordert eine streng logische und sehr disziplinierte Vorgehensweise,
um spekulative und aus den gegebenen Antworten nicht sachlich abzuleitende Interpretationen
auszuschließen.
Dabei hat sich folgende Vorgehensweise bewährt:
Die einzelnen Antwortenbereiche der Skala werden zunächst jeder für sich untersucht, was der
Klient darin über sich selbst aussagt. Sodann wird festgestellt, ob sich innerhalb der einzelnen
Bereiche Übereinstimmungen oder Widersprüche ergeben. Das gleiche wird danach im Vergleich
der Bereiche mit einander getan. Auch hier werden Ergänzungen und Widersprüche vermerkt.
Am Ende der Gesamtauswertung steht eine ausführliche Diagnose. Dabei hat sich herausgestellt,
dass eine solche Diagnose von einem in der HSF-Methode ausgebildeten Fachmann genauso
zuverlässig ist, wie eine Diagnose, die aufgrund einer mehrwöchigen psychiatrischen
Beobachtung oder einer mehrtägigen psychologischen Untersuchung erstellt werden kann. Sie
unterscheidet sich lediglich dadurch, dass die Diagnose mit der HSF-Skala einschließlich dem
mindestens dafür erforderlichen Eingangs-Interview (siehe Seite .... ), der Anwendung der Skala
und ihrer quantitativen Auswertung nur ca. 3 bis 5 Stunden erfordert. Bei Anwendung der Skala
muß jedoch folgendes unbedingt berücksichtigt werden:
Sie darf nur dann angewendet werden, wenn der Klient die Überzeugung gewonnen hat, dass dies
in seinem Interesse geschieht, damit ihm besser geholfen werden kann. Um dies zu erreichen,
wurde das zur Methode gehörende Eingangsinterview entwickelt.
1.
Bei der Diagnose dürfen nur Informationen verwendet werden, die der Klient durch
seine Antworten in der Skala tatsächlich gegeben hat. Deutungen – wie in anderen
Verfahren – werden nicht verwendet. Allerdings sind zwingende Schlussfolgerungen,
deren Zuverlässigkeit durch psychologische Forschung erwiesen ist, selbstverständlich
zugelassen.
2.
Wie auch bei psychologischen Tests (z.B. dem Rohrschach-Test) können zuverlässige
Diagnosen nur von Fachkräften erarbeitet werden, die in der Methode des HSF und
der Verwendung der Skala als Diagnose-Instrument eine besondere Ausbildung
erhalten haben.
2.3
Methodische Gesprächsführung im Konzept des HSF
Wir möchten uns hier auf die Beschreibung der drei hauptsächlichen Gesprächsarten im
therapeutischen Prozess des HSF beschränken:



Eingangsinterview
Skalainterview
Fragmenta vitae
Das Eingangsinterview
Das Eingangsinterview steht im therapeutischen Prozess am Anfang und soll zunächst die Basis
schaffen für die Beziehung Klient – Sozialarbeiter. Es soll den Klienten mit den spezifischen
Vorgehensweisen in den Gesprächsformen des HSF sowie mit seiner eigenen Rolle und der des
Therapeuten vertraut machen.
Das Eingansinterview unterscheidet sich von den beiden anderen Gesprächsformen insofern, als
es in keiner vorgegebenen äußeren Struktur abläuft:
Der Klient spricht, worüber er sprechen will.
Wichtig ist, dass der Sozialarbeiter eine entspannte Atmosphäre schafft, in der es dem Klienten
möglich wird, „ .. sich als verantwortlicher Erwachsener zu fühlen, zu benehmen und
entsprechend zu handeln, auch wenn dies zeitweise für beide schwierig ist.“ (HEIMLER 1975, S.
30)
Dies ist nur möglich, wenn der Sozialarbeiter nicht vorgibt, mehr über den Klienten zu wissen als
dieser selbst, und wenn er sich in seiner Menschlichkeit zu erkennen gibt – oder, um Rogers’
Terminus zu gebrauchen, wenn der Sozialarbeiter „Echtheit und Selbstkongruenz“ verwirklicht
und dem Klienten mit „positiver Wertschätzung“ begegnet.
Das Eingangsinterview legt das Fundament für eine kreative Reorganisation des Lebens, die der
Klient selbst mit Hilfe des Sozialarbeiters aktiv betreibt.
Der Gesprächsprozess kann in Phasen beschrieben werden, die ineinander übergehen und nicht
als starre Abfolge zu verstehen sind:
1.Der Sozialarbeiter bleibt in dieser Phase lediglich ein freundlicher Zuhörer, der nur eingreift,
wenn der Klient große Schwierigkeiten hat, sich mitzuteilen. Zeigt der Klient Angst,
Beschämung oder anderes affektives Verhalten, so beweist der Sozialarbeiter durch spontane
affektive Reaktion, dass er nicht nur zuhört, sondern auch mitfühlt.
2.Der Sozialarbeiter fasst das Gesagte zusammen, so wie er verstanden hat, was der Klient
beschrieb. Diese Zusammenfassung bezieht sich nur auf den Inhalt, nicht auf die dabei zu
beobachtenden Affekte. Zweck dieser Zusammenfassung ist es, dem Klienten zu demonstrieren,
dass seine Aussagen von einem anderen verstanden werden können und dass sie einen Sinn
ergeben. Der Klient wird gebeten, den Sozialarbeiter zu korrigieren, falls dieser etwas falsch
verstanden hat.
3.Ist der Klient nach der zweiten oder dritten Zusammenfassung in der Lage, den Sozialarbeiter
zu korrigieren, ist damit der erste wichtige Schritt im therapeutischen Prozess getan: Der Anfang
einer partnerschaftlichen Beziehung („peer relationship“), die Möglichkeit einer Stärkung des
Selbstwertgefühls des Klienten und damit verbunden ein Abbau der Regressionen.
Der Klient lernt durch den Sozialarbeiter, seine Aussagen jeweils in kurzen, bedeutungsvollen
Zusammenfassungen zu wiederholen, die aufgeschrieben werden.
Hat der Klient den Punkt erreicht, dass er den Sozialarbeiter korrigiert, so ist er gewöhnlich auch
in der Lage, selbst seine Aussagen kurz und prägnant zu wiederholen. Der Zweck dieses
Vorgehens ist es, den Klienten Selbstbeobachtung und Reflexion seiner Aussagen üben zu lassen
(dazu ist das Festhalten auf Papier wichtig).
4.Der Klient beginnt, sich selbst zu beobachten, indem er die Zusammenfassung auf ein
Grundthema reduziert. Diese Selbstbeobachtung ist wichtig, um den Klienten mit seinen
positiven und negativen Erfahrungen in Kontakt zu bringen, sich mit ihrer Bedeutung für ihn
auseinander zu setzen und sie zur Bewältigung der gegebenen Situation nutzbar zu machen.
Diskussion der unmittelbar möglichen Aktionen, um die frustrierende Situation zu verändern.
Die im vorigen Punkt beschriebene Auseinandersetzung mit der eigenen Erfahrung bringt
gewöhnlich die Erkenntnis, dass dieses Leben nicht nur aus Versagen bestanden hat und dass die
einzelnen zusammengefassten Erfahrungen insgesamt einen Sinn ergeben. Dies wiederum weckt
die Hoffnung und den Drang, etwas zu verändern. Es ist wichtig, dass der Sozialarbeiter eine
Vorstellung davon hat, was der Klient vorhat, um bei eventuell destruktiven Lösungen, die den
Klienten in neue Schwierigkeiten bringen könnten, alternative konstruktive Lösungen mit ihm
durchdenken zu können.
Das Skaleninterview
Die innere Grundstruktur bleibt bei allen Gesprächsformen des HSF die gleiche, jedoch ändert
sich der äußere Bezugsrahmen. Während im Eingangsinterview (und in Folgeinterviews) der
Klient diesen unbeeinflusst selbst absteckt, ist er im Skaleninterview vorgegeben durch den
Einsatz der Skala. Die Skala ist bisher das einzige diagnostische Instrument, das gleichzeitig
aktiv in der Therapie eingesetzt wird. „Im Behandlungsabschnitt ist die Skala also nicht für den
Therapeuten, sondern für den Patienten da. Er soll sie seiner Betrachtung unterziehen, soll ihr
seine eigenen Erkenntnisse entnehmen, soll aus ihr heraus selber handeln.“ (HEIMLER 1975, S.
45)
Die Konfrontation mit den Aussagen der Skala geschieht dadurch, dass der Klient die Skala –
nach dem Ausfüllen und Übertragen au das Deckblatt – in die Hand bekommt (vorausgesetzt,
dass das Befriedigungs-Frustrationsprofil nicht vollkommen depressiv ist) und gebeten wird, sich
einen Bereich auszuwählen, über den er reden möchte. Die Art, in der dies geschieht, bleibt dem
Klienten überlassen, wichtig ist dabei jedoch, dass der Sozialarbeiter durch seine Interventionen
den Klienten veranlasst, die erlebnismäßige Bedeutung seiner Aussagen deutlich zu machen. Die
Tatsache, dass der Klient seine Situation selbst verdeutlichen kann, vermindert seine Regression
und verstärkt seine Bereitschaft zur Selbstexploration.
Die Skala als Gesprächsunterlage ermöglicht es dem Klienten, an seinem eigenen Antworten
weiterzudenken und zusammenhänge herzustellen zwischen den einzelnen Lebensbereichen. Mit
der Skala hat er ein Mittel in der Hand, das es ihm erlaubt, die wichtigen Bereiche seines Lebens
nach- oder nebeneinander zu betrachten. Die Struktur ist überschaubar. Auf sie können sowohl
der Sozialarbeiter als auch der Klient zurückkommen, um ein Thema nach verschiedenen
Richtungen zu durchdenken. Diese Betrachtung des eigenen Lebens löst Assoziationen aus, die
sich nicht nur auf die Gegenwart, sondern auch auf die Vergangenheit beziehen, und der Klient
lernt in diesem Prozess, „ ... die Vergangenheit von der Gegenwart zu trennen, und schließlich
durch sein Handeln beide erneut zu integrieren.“ (a.a.O., S. 63)
HEIMLER hält eine wirksame Anwendung der Skala in der Therapie nur für möglich, wenn
Klient und Sozialarbeiter in einer möglichst gleichrangigen Beziehung zueinander stehen. Dann
kann „... der Wunsch des Patienten nach einem Übertragungsverhältnis vom Therapeuten
abgelenkt und auf Personen oder Ziele außerhalb des Beratungsraums gerichtet werden, und
auch dadurch, dass der Patient durch gekonntes und diszipliniertes methodisches Vorgehen in die
Lage versetzt wird, zum Beobachter seiner Lebenssituation zu werden.“ (a.a.O., S. 63)
Das Skaleninterview setzt den Prozess der Selbstbeobachtung fort, der im Eingangsinterview
begonnen wurde, und weitet ihn auf die Gesamtheit der Lebensbereiche aus. Da auch in diesem
Prozess der Klient der Hauptakteur ist und durch die Interventionen des Sozialarbeiters ermutigt
wird, nach eigenen Erklärungen und Lösungen zu suchen, erfahrt er sich als aktiv, was seinen
Zustand der Hilflosigkeit abbaut und damit eine Stärkung seines Ichs begünstigt.
Das Fragmenta vitae
Diese Gesprächsform unterscheidet sich von den beiden ersten insofern, als hier der
Sozialarbeiter präzise den Rahmen absteckt, innerhalb dessen der Selbstbeobachtungsprozess des
Klienten abläuft. Während die beiden anderen Gesprächsformen eine Problemsituation oder
bestimmte Lebensbereiche zum Inhalt haben, wird hier eine umgrenzte Zeitspanne aus den
letzten 24 Stunden analysiert und in Beziehung zu Vergangenheit und Zukunft gesetzt.
Ausgehend von der These, dass unsere Gegenwart auch unsere Vergangenheit enthält, wird der
Klient gebeten, einen Zeitabschnitt von ca. 10 bis 15 Minuten aus den letzten 24 Stunden so
genau wie möglich, zu beschreiben. Dabei ist wichtig, dass er nicht nur den Ablauf der Fakten
berichtet, sondern sich seine Gefühle, Stimmungen und Gedanken in Beziehung dazu
vergegenwärtigt – dabei kann eine Tonbandaufnahme mitlaufen. Er wird dann aufgefordert, das
Band abzuhören und es zu stoppen, sobald ihm etwas dazu einfällt oder ihm eine Beobachtung
oder Reaktion dazu wichtig erscheint. Diese Assoziationen werden auf Papier festgehalten und
dienen als Material, das Grundthema, die Grundproblematik herauszufiltern. Ist dieses
Grundthema klar herausgestellt, wird der Klient gebeten, sich an seine Kindheit zu erinnern und
zu erzählen, was ihm als erstes Bild einfällt. Die Erfahrung hat gezeigt, dass diese Episode aus
der Kindheit immer in einem Zusammenhang mit dem Ereignis steht, das der Klient aus der
Gegenwart erzählt hat. Das Grundthema gewinnt an Deutlichkeit, die Vergangenheit einen
unmittelbaren Bezug zur Gegenwart. Aus unzusammenhängenden Ereignissen wird ein
sinnvolles Ganzes.
HEIMLERS Postulat, dass gegenwärtiges Handeln den Einfluss der Vergangenheit verändern
und damit auch den Verlauf der Zukunft modifizieren kann, liegt dem nächsten Schritt zugrunde.
Der Klient wird gebeten, sich in seiner Phantasie in die Zukunft zu versetzen und darüber
nachzudenken, wie er sein Problem „damals überwunden hat“. Damit wird er angeregt,
konstruktiv innerhalb eines klar umrissenen Raumes (d.h. innerhalb des herauskristallisierten
Grundthemas) über Lösungen nachzudenken. Damit er das kann, muss er sich zunächst von
seiner chaotischen Gegenwart lösen, um seine Erfahrungen aus der Vergangenheit effektiver
einzusetzen. Dazu HEIMLER: „Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in Verbindung zu
bringen zu einem Ereignis, ermöglicht einen Integrationsprozess, und der Klient kann
Verbindungen herstellen sowohl während als auch speziell nach dem Interview.“ (a.a.O., S. 74)
Darüber hinaus wird der Klient dazu angehalten, sich das Ziel, das er erreichen will, und den
Weg, den er zur Erreichung dieses Zieles gehen kann, sehr konkret und detailliert vorzustellen.
Dies ist eine der wichtigsten Voraussetzungen zur Erreichung eines Zieles. Damit wird der Klient
gleichzeitig darauf eingestellt, dass er – um seine Probleme zu bewältigen - a k t i v werden
muss. Die Anregung zur sinnvollen Aktivität in der Gegenwart ist ein wesentlicher Aspekt des
Human Social Functioning.
Anwendungsmöglichkeiten im Praxisfeld Sozialarbeit
Der Klientenkreis in der Praxis der Sozialarbeit rekrutiert sich überwiegend aus Angehörigen der
sozialen Unterschicht, während die meisten Interventionstechniken der Sozialarbeit bisher aus
anderen Disziplinen stammen und zum großen Teil an den Normen und Regeln der Mittelschicht
ausgerichtet sind. Es gilt als nachgewiesen, dass Sprecher des restringierten Kode (Unterschicht)
Aussagen im elaborierten Kode (Mittelschicht) nur sehr schwer verstehen können.
Das Verdienst des Heimlerschen Konzepts liegt darin, dass seine methodischen Schritte im
spezifischen Praxisfeld der Sozialarbeit aus der Arbeit mit Randgruppen entwickelt worden sind
und daher auch innerhalb desjenigen Personenkreises anwendbar sind, der die Klientel der
Sozialarbeit vor allem bildet.
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