Zeichen (mit Leertasten): 758.994 Albert F. Reiterer ENTGRENZUNG UND BEGRENZUNG Intellektuelle, politische Eliten, der Staat und die Nation: Aspekte des Nationenaufbaues und nachnationaler Politik in Österreich "Es geht uns also nicht um den Nachweis, daß (etwa) das österreichische Volk tausend Jahre 'alt' sei. Sondern um ein möglichst vielfältiges, buntes, durchaus nicht widerspruchsfreies Bild Österreichs." Sammelmappe Österreichische Länderausstellung Neuhofen – St. Pölten Inhaltsverzeichnis Vorwort ......................................................................................................................................... 4 0. Voraussetzungen .......................................................................................................................... 5 0.1 Perspektive.............................................................................................................................. 5 0.1.1 Arbeitsweise .................................................................................................................... 7 1 Nationenbau: Integration als politisches Projekt .................................................................... 10 1.0.1 Historiographie und nationale Orientierung .................................................................. 20 1.1 Intellektuelle – Begriffsklärung ............................................................................................ 33 1.1.1 Intellektuelle und 'Universalismus' ................................................................................ 39 1.1.2 Beamte und Bürokratie ................................................................................................. 40 2 Die österreichische Entwicklung ............................................................................................... 45 2.1. Methodische Überlegungen ................................................................................................. 45 2.2. Über den Zusammenhang politischer und wirtschaftlicher Entwicklung ............................ 48 2.3. Österreich im Rahmen einer Zentrum-Peripherie-Logik ..................................................... 52 2.3.1 Bernard Bolzano (1781 – 1848) – der traditionale Rebell des Vormärz ....................... 58 2.4. Das 19. Jahrhundert – Die Zeit bis zum ersten Weltkrieg ................................................... 59 2.4.1 “Biedermeier” – Malerei als verordnete Ideologie 61 2.4.2 Die Romantiker und ihre “Österreich”-Begeisterung 62 2.5 Das Jahr 1848 ...................................................................................................................... 63 2.5.1 Ein “48er” ..................................................................................................................... 64 2.5.2 Strukturelle Gegebenheiten ........................................................................................... 66 2.5.1 "Altösterreicher" und ihre Gegner................................................................................. 72 2.5.1.1 Adalbert Stifter 73 Peter Rosegger 74 Und die Stadt? 77 2.5.2 Lösungen? ..................................................................................................................... 78 2.6 'Ausgleich' ............................................................................................................................. 86 2.7 Fin de siècle .......................................................................................................................... 88 2.8 Zur Diskussion um die Nation .............................................................................................. 92 2.8.1 Ignaz Seipel................................................................................................................... 92 2.8.2 Karl Renner und Otto Bauer ......................................................................................... 93 2.8.3 Oszkar Jaszi .................................................................................................................. 97 2.8.4 Tomás G. Masaryk ........................................................................................................ 98 2.8.5 Theodor Herzl ............................................................................................................. 101 3 Das neue Österreich: 1918 und die Folgen ............................................................................. 103 3.1 Die Situation ....................................................................................................................... 103 3.1.1 Anomie ........................................................................................................................ 109 3.1.2 Siegmund Freud und seine Religion – die Psychoanalyse........................................... 110 3.2 Österreichs Staatsgründung ............................................................................................... 111 3.2.1 "Kulturnation" ............................................................................................................. 111 3.2.2 Die erste Nachkriegszeit und die Staatskonstruktion .................................................. 113 3.2.3 Die nationale Orientierung .......................................................................................... 115 3.2.3 Heimat Partei .............................................................................................................. 119 3.3 Die Zweite Republik ............................................................................................................ 122 3.3.1 Parteikulturen – die SPÖ ............................................................................................. 132 3.3.2 Einige Probleme der Nachkriegs-Rhetorik.................................................................. 133 3.3.2 Symbolik ..................................................................................................................... 135 3.3.3 Die nationale Selbstverständlichkeit: Kreisky ............................................................. 136 3.4 ÖVP, SPÖ, "Drittes Lager" - ein Rollentausch? ................................................................ 138 4 Nationale Identität? .................................................................................................................. 145 4.1 Intellektuelle "Vergangenheitsbewältigung" ...................................................................... 148 4.2 Provinzialismus versus Offenheit oder Zentrum gegen Peripherie? .................................. 155 4.2.1 Anschlußgelüste heute in der BRD und der Nachvollzug in Österreich ...................... 155 4.2.2 Die Frage der Sprache ................................................................................................. 156 4.2.3 Burgtheater – Großmythos und Kulturkampf .............................................................. 158 4.2.3 Personalisierung: Robert Menasse oder Erwin Ringel – eine Alternative? ................. 159 2 4.2.4 Die Gegenstimmen ..................................................................................................... 162 4.2.5 Reflexion und Konsequenzen ..................................................................................... 163 4.3 Großmachtträume versus Kleinstaatenrealität .................................................................. 163 4.3.1 Die ideologische Grundlage ....................................................................................... 165 4.3.2 Intellektuelle und Macht - ein eindeutiges oder ein dialektisches Verhältnis? ........... 165 4.3.3 Noch einmal ein Rückblick ......................................................................................... 167 4.3.3.1 Der ideologische Hintergrund - Hegels Staatsmythos 170 4.3.4 EG-Anschluß 173 4.3.5 Anton Pelinka 1990 oder Anton Pelinka 1994/1996? 176 4.4 Grenzenloses Österreich? Über die demokratiepolitische Unentbehrlichkeit nationaler und staatlicher Grenzen .................................................................................................................................... 177 4.4.1 "Integrationsschock"? ................................................................................................. 180 4.4.2 Europäische Ideologie ................................................................................................ 181 4.5 Neuorientierung worauf? ............................................................................................... 183 4.5.1 Abfahrtslaufnationalismus? Nationalstolz? ................................................................ 186 4.5.2 Die Neutralität und der NATO-Anschluß ................................................................... 188 4.5.3 Personalisierung: Günther Nenning vs. Rudolf Burger? ............................................. 192 5 Nachnationale oder nationale Politik im übernationalen Sttaatenverband? Die Zeit seit 1995 193 6 Ausklang ............................................................................................................................... 194 Literatur ................................................................................................................................... 213 3 Vorwort Diese Arbeit begann als eines jener "Millenniums"-Projekte, mit welchen die österreichische Bundesregierung der erstmaligen Dokumentation des Namens Österreich 996 gedenkt. Dieser Anlass ist selbst bereits wieder Gegenstand dieser Arbeit, auf den wir im Verlauf der Studie eingehen. Denn die Arbeit handelt in ihrer Weiterführung vom Aufbau des nationalen Systems in Österreich und ist in diesem Sinn auch Teil eines lang angelegten persönlichen Projekts: Ich versuche, in einem Neuzugang zu einer Theorie der Nation, deren allgemeine Ansätze nicht in dieser Arbeit zu finden sind, möglichst viele konkrete Fälle durch zu arbeiten. Das bedeutet, nach den Fragen von gesellschaftlicher und politischer Entwicklung in konkreten Analysen und konkreten Situationen zu fragen. Es geht um die Herstellung von Traditionen und Ideologien. Das ist ein dialektischer Prozess, und von Dialektik wird in diesem Text viel die Rede sein: Die Widersprüche der österreichischen Entwicklung als eines Beispiels sozialen Wandels sind aufzuzeigen. Zu den Tugenden liberaler Demokratie sollte es auch gehören, Widersprüche bestehen zu lassen und sie nicht unbedingt und um jeden Preis ausbügeln zu wollen. Zumindest ist dies eine der Lehren, die uns das großartige Werk von John Rawls vermittelt. Der Autor ist Sozialwissenschafter, folglich vor allem an jenen Prozessen interessiert, welche Österreich nicht zu einem Sonderfall, sondern zu einem Paradigma machen. Deutlicher: Die vorliegende Arbeit ist eine Studie zur Nationenwerdung, die – wie schon gesagt– an einem Beitrag zu einer Theorie der Nation interessiert ist. Die manchmal stark erkennbare theoretische Stilisierung ist somit beabsichtigt. Wir betreiben hier Nationentheorie am Fall Österreich. Von dieser Arbeit wurden Teile bereits in einer ganzen Reihe meist längerer Aufsätze veröffentlicht (Reiterer 1996, 1999, 2001, 2003). Sie sind als integrale Teile der Arbeit zu verstehen. Ihre Leitgedanken wurden meist in kurzer Form hier nochmals ausgeführt wenn auch die Materialien schon aus Platzgründen nur in vereinzelten Fällen nochmals übernommen werden. Was aber noch fehlt, ist das mittlerweile zentrale Kapitel 5 über die Entwicklung seit 1995. Wien, Anfang 2009 4 0. VORAUSSETZUNGEN Kurz vor der österreichischen EG-Volksabstimmung 1994 hatte der Verfasser auf einer Tagung von Bibliothekaren der österreichischen Arbeiterkammern ein Referat zum Thema Nation und Nationalismus zu halten. Es konnte zu diesem Zeitpunkt nicht ausbleiben, dass auch über das Verhältnis von Europaorientierung und österreichischer Identität diskutiert wurde. Dabei nahm ein westösterreichischer Teilnehmer sinngemäß etwa folgend Stellung: "Mir geht es wirklich nicht um Österreich. Es reicht mir, wenn ich in einer Demokratie lebe." Das klingt nüchtern und abgeklärt-rational. Doch lässt sich eine solche Haltung aufrecht erhalten? Hat ein abstraktes Bekenntnis zur Demokratie wirklich nichts mit nationaler Zugehörigkeit im allgemeinen und mit der Frage der österreichischen Nation im besonderen zu tun? Sehen wir uns einmal das Umfeld an! "Die österreichische Nation war eine ideologische Missgeburt, denn die Volkszugehörigkeit ist die eine Sache und die Staatszugehörigkeit die andere" (Jörg Haider im TV-Inlandsreport, laut Wiener Zeitung vom 19. August 1988). Dieser Satz eines Irrlichts der österreichischen Politik der Gegenwart könnte jedoch genauso gut von sozialdemokratischen Emigranten in London 1945, nach der Befreiung und Wiederverselbständigung Österreichs, stammen. Fritz Adler und Julius Braunthal waren konsequent genug, in dieses ihnen verhasste Österreich erst gar nicht zurückzukehren. Karl Czernetz hingegen, aus dem selben Umfeld, spielte in der Zweiten Republik eine gewisse Rolle. Er war zum "Chefideologen" der SPÖ geworden, dokumentiert durch eine enorme Anzahl von Artikeln in der "Zukunft" von 1946 bis 1966 sowie anderswo. Wie konnte er das mit seiner früheren Stellung zu Österreich vereinbaren? Die Lösung lautete, um eine Aussage aus der Zwischenkriegszeit zu paraphrasieren: Deutschland durfte er nicht sagen, Österreich wollte er nicht. Also sagte er "Europa" und erklärte sich zum enthusiastischen "Europäer". Das war eine Lösung dieser persönlichen Probleme, die gerade in der Sozialdemokratie häufig war. In der deutschnationalen Tradition der österreichischen Sozialdemokratie von Viktor Adler – im Grunde seit den Anfängen der mitteleuropäischen Arbeiterbewegung lange vor Adler – bis Otto Bauer und seinen Adepten war alles, was österreichisch war, dunkel. Nur die deutsche Orientierung verkörperte den Fortschritt. Einige wenige versuchten vorerst, diese deutsche Linie auch nach dem Krieg beizubehalten. Das Ergebnis ist kennzeichnend: Ein sich ursprünglich links einordnender sozialdemokratischer Spätnachkömmling dieser Haltung, der sie stets mit dem Hinweis auf Otto Bauer legitimierte, ist mittlerweile im rechtsextremen Umfeld gelandet. Wie kam es, dass ausgerechnet jene, die sich als Linke in der Sozialdemokratie sahen, in diesem Punkt so verwechselbar mit den übelsten Figuren des diskreditierten Deutschchauvinismus wurden? Hat das Bekenntnis zur Demokratie und die Zugehörigkeit zu Österreich also wirklich nichts miteinander zu tun? 0.1 Perspektive Es gibt eine Dialektik zwischen allgemeinen Strukturen der Realität und ihren besonderen Erscheinungsformen. Jede soziale und politische Entwicklung kann man als Beispiel eines allgemeinen Musters betrachten; und jede kann als einzigartiger Sonderfall beschrieben werden: “No historical or political analysis can be written without the unse of general concepts in which some notions of uniformity are necessarily implied” (Deutsch 1979, 14; vgl. auch Seth 1999). Diese Studie wählt grundsätzlich die Perspektive des allgemeinen, mit anderen geteilten Musters, nicht jene des "Sonderfalls Österreich". Hier wird somit nicht etwa die "Abweichung" des Falles Österreich als typisch oder auch untypisch 5 beschrieben. Zumindest den Analytikern des Nationenbaues ist heute klar geworden: Es gibt keine "nationalstaatliche Normalität", die z. B. in Westeuropa von Frankreich oder England verkörpert würde, während Mittel- oder Osteuropa abweichende Fälle darstellten ein Bild, ein Gemeinplatz, der bei theoretisch ambitionierten Historikern noch immer eine gewisse Beliebtheit hat.1 Wenn dies mehr als ein Gemeinplatz sein soll, muss es in seinen Voraussetzungen sorgfältig analysiert werden. Wir können sagen: Vor allem Großbritannien war ein ökonomisch-industriell fortschrittliches Land. Es musste daher auch neue politische Formen entwickeln. Die Nation mit ihrer vergleichsweisen Homogenität der Oberklassen war ein solches. Wie sehr dabei allerdings andere Probleme ausgeblendet werden, zeigt, dass das Problem Irland in Fragestellungen zum englisch-britischen Nationenbau kaum zur Sprache kommt. Und doch war dies ein Musterfall einer alles andere als mit der Gesamtnation “homogenen” Peripherie, mit enormen Rückwirkungen auf das Zentralsystem. Ähnliches, und vielleicht stärker noch, gilt für Frankreich. Das Problem des Südens (Okzitanien) und der Ränder gerät erst heute wieder langsam ins Blickfeld. Wir können ohne Furcht vor Übertreibung sagen: Das Bild der “nationalen Homogenität” in Westeuropa ist eine intellektuell-verzerrte Sicht der Dinge, die unreflektiert den Blickwinkel der zentralen Eliten übernommen hat. Gerade für den Nationenaufbau in Österreich überwiegt dagegen die Perspektive des "Sonderfalles" in erdrückendem Ausmaß und gleichzeitig im gerade abgelehnten Sinn einer "Anomalie". Vergleichende Ansätze gibt es nur in wenigen Studien, am ehesten bei Bluhm (1973) und Katzenstein (1975). Deren Fragestellungen wirken mehr als zwei Jahrzehnte nach ihrem Erscheinen nicht mehr immer völlig geglückt oder aktuell. Ein Sozialwissenschafter wird von seiner Wissenschaftskultur her dazu neigen, die strukturellen Linien nachzuvollziehen. Damit kann er auch einen Beitrag zu einer allgemeinen Theorie sozialer Entwicklung liefern, z. B. einer Theorie des Nationenbaues. Das bedeutet sicher nicht, dass die Perspektive des konkreten Einzelfalles weniger legitim wäre, wenn sie selbst wiederum als Perspektive eines allgemeineren Prozesses verstanden wird, und gewiss auch nicht, dass sie weniger fruchtbar wäre. Es ist zu einem Gutteil eine persönliche Entscheidung des einzelnen Wissenschaftlers, welchen Zugang er wählt. Allerdings möchte der vorliegende Beitrag, als sozialwissenschaftliche Studie, die noch immer überwiegende Haltung in der österreichischen Geschichtsschreibung vermeiden, die man in anderen Zusammenhängen etwas abfällig "blank descriptivism" und "mindless empiricism" genannt hat. Damit ist keine Historikerbeschimpfung beabsichtigt: Die Wissenschaftskultur dieses Faches ist anders als jene der theoretischer gerichteten Sozialwissenschaften und oft von einer erfrischenden Konkretheit. Auch gibt es immer mehr Historiker, die theoretisches Interesse zeigen: Im Zusammenhang der österreichischen Nationenbildung gehört dazu Ernst Bruckmüller (). Wir fragen mit Blick auf übernationale Integrationsvorgänge auch nach dem Verhältnis von Demokratie, Nation und Nationalismus. Zu erinnern ist an das Motto der Vielfalt, unter welcher diese Arbeit geschrieben wurde: Somit gilt das Interesse den widersprüchlichen Entwicklungen der österreichischen Gesellschaft und Politik. Vergessen wir nicht: Häufig 1 Wenn man diese Art von Analysen liest, wird man unwillkürlich an die ironischen Sätze von Marx über die naiv-spekulativen Philosophen erinnert, welche die “Frucht” als das wahre Wesen, die Substanz von Äpfel und d Birne usw. erklären, dem das ganz unwesentliche wirkliche Dasein dieser Dinge gegenüber stehe (MEW 2, 60 f.). 6 hat etwas, was gestern als demokratisch und progressiv galt, heute einen völlig anderen Stellenwert. Wer sich im 19. Jahrhundert einen "48er" nannte, wollte seine radikal demokratische Haltung betonen. Wer diesen Begriff heute noch zur politischen Charakterisierung anwendet, ist regelmäßig ein reaktionärer Deutschnationaler. Diese Verschiebung ist keine österreichische Eigenheit. 0.1.1 Arbeitsweise Demokratiebewegungen wollen Mit- und Selbstbestimmung für möglichst viele Menschen – für alle, die jenseits von Einschränkungen durch Alter (man denke an das Wahlalter) oder vergleichbaren Tatbeständen überhaupt dazu in der Lage sind. Doch Demokratiebewegungen wurden in der Moderne stets von Intellektuellen geführt, von Menschen also, die unmittelbar selbst weniger oder gar nicht vom gesellschaftlichen Ausschluss betroffen waren. Insbesondere war und ist der Nationenaufbau eine Angelegenheit intellektueller Eliten. Im Mittelpunkt des Interesses hier steht somit der Intellektuelle in einem Gramsci' schen Sinn. Die Schlüsselrolle von Intellektuellen im Aufbau der Nation wird auch von anderen Arbeiten mittlerweile gewürdigt: So fragt das umfangreiche "Projekt Norwegische Identität" (Leiter: Øystein Sørensen) schon in seinem ersten Zugang ausdrücklich, "to what extent, and in what way, the Norwegian national identity was created from above, by an elite". Nun könnte man meinen, dass in einer essentiell politischen Fragen die Aussagen von aktiven Politikern die geeignetere Grundlage wären. Doch in modernen parlamentarischen Systemen sind Politiker von ihren Stimmenmaximierungsinteressen ebenso wie von ihrer politischen Sozialisierung her auf größtmöglichen Konsens gedrillt. Ihre Stellungnahmen werden in heiklen Fragen dazu tendieren, weniger klärend als die Positionen verwischend zu sein. Zum anderen sind sie auch Pragmatiker, sie sind auf die unmittelbare Tagespolitik orientiert; oft genug interessiert sie der ideologische Aspekt ihrer Stellungnahmen nicht. Damit unterscheiden sie sich deutlichst sowohl von den Politikern autoritärer Systeme, aber auch noch von jenen der Frühzeit parlamentarischer Demokratie: Diese lebten und argumentierten aus ihrer Ideologie heraus und waren meist selbst ausgewiesene Ideologen sie waren Intellektuelle, welche den Sprung in die Politik gemacht hatten. Daher waren sie noch vom Habitus des Intellektuellen gekennzeichnet, und auch von ihrem charismatischen Charakter im Gegensatz zum Bürokratismus der status quo-Politiker. Dies gilt insbesondere von den Vertretern aufsteigender Schichten, Bewegungen und Parteien. - Die Stellungnahmen von Berufspolitiker sind daher in einer halbwegs gesicherten nationalen Situation meist nicht von hohem Interesse. Dazu kommt, dass diese Fragen für die eigentlichen Wendezeiten der österreichischen Geschichte gut dokumentiert sind (Reiterer 1984, 1986 und 1988; Filla 1984). In noch stärkerem Maß gilt diese Aussage für offizielle Dokumente, wie sie Regierungserklärungen und andere bürokratische Schriftstücke sind. Hier findet man zwar Grundlinien über die Handlungs-Absichten für die nächste Zeit. Kaum einmal wird jedoch eine explizite Stellungnahme zu nationalen Fragen in umfassenden Sinn abgegeben. Allerdings ist in diesem Zusammenhang auch eine selbstkritische Warnung angebracht: Intellektuelle tendieren häufig dazu, hämisch auf die nach ihrer Ansicht plumpe und naive Sprache von Politikern hinzuweisen. Doch damit demonstrieren sie vor allem Autozentriertheit. Im Grunde verlangen sie ja nichts anderes, als dass sich Politiker, ihrer – der Intellektuellen – Sprache verwenden sollen. Über die Qualität von Gedanken und Konzepten sagt die nichtintellektuelle Sprache der Politiker von vorneherein gar nichts. 7 Politiker unterscheidet allerdings von Intellektuellen im Alltagssinn, und das gibt ihnen ihre wesentlich über die Intellektuellen hinausreichende Bedeutung, daß sie professionelle, "hauptamtliche Legitimatoren" (Berger/Luckmann 1969) für die Erhaltung bestehender Sinnwelten sind. Sie sind dies in einer von der Bevölkerung formal legitimierten Weise, welche jeder ihrer Wortmeldungen eine völlig andere, wesentlich verbindlichere Qualifikation gibt als jenen von jeweils nur einer abstrakten Öffentlichkeit - und das heißt: niemandem als ihrem eigenen Über-Ich – verpflichteten Intellektuellen. Während Lebenswelten und ihr Aufbau eine stark spontane und selbstverständliche Komponente haben, arbeiten die hauptamtlichen Legitimatoren in zielgerichteter und überlegter Weise an politischen Entwürfen. Diese Elitenkonkurrenz wird ein ständiges implizites Thema dieser Arbeit sein. Man könnte sagen: Im Unterschied zwischen der alltäglichen Bekräftigung der überkommenen und doch stets aufs Neue konstruierten Lebenswelten des Alltags einerseits und der Legitimation einer bestimmten soziopolitischen Ordnung andererseits finden wir den kennzeichnenden Unterschied zwischen Ethnizität und Nation. Trotz der - für unsere Thematik – inhaltlichen Kargheit der Wortmeldungen von Politikern liegt diesem Beitrag daher notwendigerweise eine systematische Sichtung von Aussagen von Angehörigen der politischen Parteien in der Zweiten Republik zugrunde. Hier stellt sich das Problem der Auswahl. Die Funktionärs-Zeitschriften z. B. sprechen den Kernbereich ihrer Basis an. Zum anderen aber haben sie bei aller tagespolitischen Gebundenheit mehr Freiheit, als es die unmittelbar "zum Gebrauch" bestimmten Äußerungen der täglichen parteipolitischen Auseinandersetzung haben. Auch Parteiprogramme werden immer stärker zu PR-Angelegenheiten in Wahlzeiten und enthalten daher wenig, was über den Tag hinaus Gültigkeit hat. Darüber hinaus werden sie faktisch auch kaum von einer nennenswerten Öffentlichkeit zur Kenntnis genommen wird. Weiters wurden Publikationen von Politikern, insbesondere autobiographisches Material, systematisch herangezogen. Solche Autobiographien sind gerade deswegen von Wert, weil sie in ihrem Bestreben nach Konsistenz im Nachhinein mehr über die ideelle und ideologische Zielrichtung aussagen als tagespolitische Dokumente: Als “Umwandlungen polythetischer Konstitutionen in monothetische Gegenständlichkeit”, wie Schütz (1981, 93) die Sinngebung von Handlungsabläufen beschreibt, sind sie das gerade Gegenteil von Tagespolitik (“politics”), welche als Kampf unterschiedlicher Interessen nie “monothetisch”-einsinnig begriffen werden kann. Der gerade bei Politikererinnerungen so frappante Eindruck nicht sosehr der Re-Konstruktion des Abgelaufenen, sondern der Konstruktion ist nur ein spezifisches Beispiel für historiographisches Vorgehen überhaupt. Der Unterschied liegt nur im Grad und in der Aktualität. Hier ist auf die Belege an den entsprechenden Stellen zu verweisen. - Schließlich liegt es in der Natur sozialwissenschaftlichen Arbeitens, daß der eigentliche Grundstock des Materials die bisherige Diskussion und Literatur ist, wobei die Analyse und Interpretation den entscheidenden Punkt bildet. Der "Kampf um die nationale Identität" findet in seinen strittigen Punkten viel heftiger zwischen verschiedenen Intellektuellengruppen als zwischen Politikern statt. Darüber hinaus hat deren jeweilige Rolle einen erheblich anderen Charakter: Wenn auch die österreichische Situation nicht so ist, dass eine besonders lebhafte nationale Auseinandersetzung stattfand, so wäre doch das Thema potentiell uferlos. Wichtiges Material bilden somit die auch Publikationen ausgewählter Personen aus dem österreichischen Geistesleben. Dabei muss man sich vor einigen Fallen hüten: Intellektuelle kreieren Mythen. Nun sind diese Mythen Teile der sozialen Wirklichkeit, sobald sie von einer relevanten Gruppe aufgegrif8 fen werden. Doch sie sind eine Wirklichkeit für sich, ein Symbolsystem, nicht unbedingt, meist überhaupt nicht, verlässliche Beschreibung einer sozialen (strukturellen) Wirklichkeit. Wenn man soziale und politische Entwicklungen von einem ideen- oder geistesgeschichtlichen Blickpunkt verfolgt, muss man sich oft durch Elaborate philosophischen Charakters durchquälen, wo sich unweigerlich die Frage stellt: Steht sich die Lektüre dieser oft bösartigen, oft auch nahezu schwachsinnigen Auseinandersetzungen wirklich dafür? Doch wenn man Intellektuelle als soziale Kategorie für bedeutsam hält, lässt sich dies nicht umgehen. Es zeugt auch dafür, wie sehr Begriffe in ihrer Tradierung von einer Generation zur anderen eine Autonomie und Eigendynamik entwickeln. In diesem Sinn ist Philosophie oder vergleichbare Salon- oder Stammtischdebatten ebenso wichtiges Material für politische Untersuchungen wie historische Dokumente. Bei einem so stark behandelten Gebiet wie es die österreichische Identität und ihre Entwicklung ist, wird die Darstellung zu einer zentralen methodischen Frage. Eine Fokussierung auf einzelne Bereiche ist notwendig. Es geht um die sozialwissenschaftliche Analyse einzelner wichtiger Problematiken, nicht um die Dokumentation. Die Aufmerksamkeit wird also einigen grundsätzlichen Themen gelten, die für das politische Projekt Österreich den dimensionalen Rahmen vorgeben: die Kleinstaatlichkeit; die Frage der Zukunftsorientierung, abgehandelt nicht zuletzt am Vergleich mit der BRD; die internationale Positionierung Österreichs; und schließlich den regionalen Unterschieden. Dabei stellt sich auch die Frage, wie diese Problematiken am besten verständlich zu machen sind. Die "Personalisierungen" in der folgenden Darstellung sind Versuche, in einem so stark personenorientierten Feld, wie es die Frage von "Intellektuellen" darstellt, Konturen stärker und prononcierter herauszuarbeiten, als es mit der reinen Strukturanalyse möglich wäre. Der Stil bewegt sich daher zwischen der Fachsprache der Sozialwissenschaft und einem manchmal auch politisch engagierten Essayismus, ohne dass damit weitreichende literarische Ambitionen verbunden wären. 9 1 NATIONENBAU: INTEGRATION ALS POLITISCHES PROJEKT Nationalismus, das ist in Zentraleuropa ein anrüchiges Wort geworden. Doch Nation ist – wie Nationalismus als verhaltensrelevante Mentalität der Moderne – ein wahrhaft dialektisches Phänomen. Ethnistische Politien ("Staaten") gab es im Verlauf der Geschichte ständig. Nationen als spezifische Ausdrucksformen des Verhältnisses Staat – zivile Gesellschaft als Legitimierung der staatlichen Machtausübung durch die Erklärung, einer bestimmten Gesellschaft – der “Nation” – zuzugehören, bedurften aber mehrerer Voraussetzungen und entstehen aus zwei konvergierenden Prozessen. 1) Den einen formt die Kraft des Faktischen infolge administrativer Integration. Das allerdings macht hauptsächlich den Aufbau des modernen Staates aus, d. h. eines politischen Apparates, der Autonomie gegenüber den sozialen Strukturen und insbesondere auch die stilbildende Herrschaftsschicht gewonnen hat. Mit dieser Autonomie konnte er eigene Ziele setzen und zumindest den chancenreichen Versuch wagen, diese auch zu implementieren. Im Feudalismus z. B. war dies noch nicht der Fall, weil soziale und politische Herrschaft personalisiert war, für alle ununterscheidbar im Grundherrn zusammen fiel. Dieser Wandel der politischen Macht zur autonomen Struktur ist unentbehrlich für die Nation, stellt aber noch nicht den Nationenbau selbst dar. Missverständlicher Weise hat man dies für eine spezifische Form der Nation gehalten und entsprechend klassifiziert: Es ist in der Essenz das, was man das "westeuropäische Modell" genannt hat. Wir können dies auch als die top down-Perspektive bezeichnen. Nationenaufbau beginnt somit als Staatsaufbau, als Prozess von oben. Als frühen und erfolglosen Ideologen dieses Staatsaufbaus müssen wir etwa Machiavelli betrachten. Erst wenn dieser Prozess in gewissem Ausmaß Erfolg zeitigte, konnte er, paradox und dialektisch, zum Aufbau auch einer (Zivil-) Gesellschaft führen, damit Aspekte eines Prozesses “von unten” annehmen. “Unten” aber war nicht “ganz unten”. Es waren nicht etwa die grassroots. Es war eher das, was man heute noch völlig mystifizierend die Basis nennt: Kleine militante Gruppen wurden zu Trägern einer Anspruchsrevolution. 2) Die zweite Voraussetzung müssen wir als ein Legitimationsproblem bezeichnen. Denn dieser neue staatliche Apparat mit seinen herrschaftlichen Strukturen musste gegenüber der eigenen Bevölkerung Legitimität erhalten; dieser neue Staatsapparat musste sich den eigenen Untertanen gegenüber in seiner Existenz rechtfertigen, weil er auf ihre Loyalität zu setzen begann, zumindest auf die Loyalität von Teilen der Bevölkerung. Die Frage stellte sich also: Wer ist der Souveränitätsträger? Die Aufklärer gaben zur Antwort: das Volk. Wer oder was aber ist "das Volk"? Der Hinweis auf die Aufklärung zeigt schon, dass es die neue ("bürgerliche") Intellektuellenschicht war, die sich ihrerseits durch diese Bezeichnung rechtfertigte. Es gilt, den Nationenbau als sozialen Prozess der Identitätsbildung und der gemeinschaftlichen Ausdrucksweise eines gesellschaftlichen Sachverhaltes sorgfältig vom Aufbau des bürokratischen Apparates zu unterscheiden. Dieser stellt die spezifische Wirklichkeit des Staates dar. Es geht somit um Herrschaft und ihre Rechtfertigung. Staaten bauen, in Michael Walzers (1998) Worten, ein politisches Lokalmonopol auf. Nationen formen sich, indem bestimmte Bevölkerungssegmente darum kämpfen, ein solches Lokalmonopol begründen zu können. Nationen müssen einen Staat oder eine annähernd gleichwertige politische Struktur erreichen, wenn sie Nationen werden (oder u. U. auch bleiben) wollen. Dies scheint mir aus sowohl der funktionalen wie aus einer stärker ontologischen, die Identität betonenden Auffassung der Nation her definitorisch gültig zu sein. Es ist die 10 Selbstbestimmung, die sich nach außen hin als Grenzziehung und nach innen als partizipatorische Demokratie ausprägt, welche den Staat erst vergesellschaftet. Dies kann nur über den Aufbau des Bewusstseins gehen, eine gesellschaftliche Einheit darzustellen, über den Aufbau einer sozialen Identität somit. Nationen treffen also auch eine Zugehörigkeitsaussage über jene, welche dieses Lokalmonopol aufbauen dürfen oder sogar sollten. Ethnonationalismus formuliert diese Aussage askriptiv derart, dass als zugehörig nur jene gelten sollen, welche - allen weiteren Beiwerkes entkleidet – eine bestimmte Gebürtigkeit aufweisen. Als Indikator der richtigen Gebürtigkeit wurde im Europa der letzten zwei Jahrhunderte gewöhnlich die Muttersprache betrachtet. Das, was ich politischen Nationalismus nannte (Reiterer 1988) und was heute meist “Bürgernationalismus” genannt wird, legt für Beitrittswillige (nicht für Zugehörige schon durch Geburt in einem bestimmten Gebiet oder von bestimmten Eltern) Beitrittskriterien fest. Diese können sehr unterschiedliche Merkmale beinhalten (z. B. auch Spracherlernung), werden aber i. a. ihren Schwerpunkt in Wertorientierungen haben (vgl. den BRD-Ausdruck “Verfassungspatriotismus”). Zum Staatsaufbau kommt somit im erfolgreichen Nationenaufbau die Formung eines gesamtgesellschaftlichen Identitätsbewusstseins, welches seinen Ausgang zuerst von “primordialen" Zugehörigkeiten ableitet, diese gemeinschaftlichen Elemente jedoch auf großgesellschaftliche Einheiten überträgt. Nation geht in diesem Aspekt hervor aus der politischen Organisierung eines verallgemeinerten und vereinheitlichten ethnischen Bewusstseins. Der Erfolg des Nationenaufbaues hängt davon ab, ob - bzw. wie - der politisch-administrative Aspekt mit dem kommunitären und sozietären zur Deckung kommt. "Social boundaries are given objectively and democracy normatively requires corresponding political ones" (Bauböck 1994, 183). Nur das ist der theoretische Grund des sogenannten Nationalstaatsprinzips, welches eine Deckung zwischen Nation und Staat fordert. Es ist die ins Normative gekehrte Aussage, dass gesellschaftliche bzw. politische Einheiten eine gemeinschaftliche Struktur vonnöten haben, um legitim und stabil zu sein. In diesem Sinn gilt das “Nationalstaatsprinzip” heute für alle demokratisch verfassten Staaten, mögen sie unter einem anderen Gesichtspunkt, etwa der Sprache, auch als “Nationalitätenstaaten” zu bezeichnen sein. Der Nationalstaat ist also das politische Paradigma der Gegenwart schlechthin. Das ist das Prinzip der Nation als Legitimierungsgröße für den modernen demokratischen Staat; in fetischisierter Form wird es zum Prinzip des Nationalismus: Fetischisiert nenne ich es deswegen, weil dieser gewöhnlich den Abgrenzungsindikator, am häufigsten die Sprache, für das allumfassenden Merkmal selbst hält. Doch das Prinzip, die Übereinstimmung einer mit gemeinschaftlichen Zügen ausgestatteten Gesellschaft mit dem politischen System, ist unter demokratisch-normativen Gesichtspunkten gültig. Nationenbau ist daher grundlegend der gleichzeitig mit dem Aufbau des Staatsapparates einhergehende Aufbau eines Demos, welcher durch die verallgemeinerte Partizipation von 'Demo'-kratisierungsprozessen ensteht; und eines über die bisherigen kleinräumigen ethnischen und regionalen Einheiten hinausreichenden Ethnos, der nur ein anderer Aspekt des Demos ist. Eine solche Grundwertegemeinschaft mit einer gemeinschaftlichen Komponente kann nur entstehen, wenn freiwillige Partizipation2 die Erfahrung des Bürgers im Umgang mit politischen Insti- 2 Das Wort "freiwillig" mag auf dem ersten Anblick in dieser Kombination mit Partizipation seltsam wirken. Doch es gibt auch genügend Formen der rituellen Partizipation, denen das Element der Freiwilligkeit abgeht. Man denke hierbei an die Wahlrituale des seinerzeitigen "Realsozialismus", aber auch anderer 11 tutionen ebenso wie in der Gleichheit der Staatsbürgerrolle ermöglicht. Ist die staatliche Einheit nicht von vorneherein schon gegeben, so handelt es sich um einen mehrstufigen Prozess, wie er im deutschen und im italienischen Bereich zu beobachten war. Der Unterschied zwischen dem "westeuropäischen" und dem "mittel- und osteuropäischen Modell" ist übrigens im wesentlich größeren Ausmaß einer der offiziell gepflegten Ideologien als der sozialen Wirklichkeiten. Möglicherweise ist er einer der sozialen Phasenverschiebung. Kennbar gemacht wird dieser Prozess durch politische Symbole, die im übrigen oft wandern und von einer Gesellschaft zur anderen oft angelernt werden. Eine Fahne, eine Nationalhymne, oder auch eine Nationalsprache als Zeichen der Einheit ist schließlich keine anthropologische Konstante: Hat sie aber einmal eine Gesellschaft eingesetzt, insbesondere wenn es eine politisch dominierende ist, so übernimmt sie die nächste. Die Sprache des Nationalismus besteht also aus zwei Grundkomponenten: aus der Sprache der Vergangenheit (Mythen, etc.), welche die eigene Identität durch Rekurs auf eine lange Kontinuität absichert; und aus der Sprache des nationalen (politischen) Konkurrenten, welche die eigene Stellung im Gesamtsystem, im 'internationalen' System anzuzeigen hat. Wir können diese Linie als die bottom up-Perspektive kennzeichnen. In diesem Beitrag wird weniger der politisch-administrative Aspekt "top to bottom" (Nationenbildung als Herrschaftsanspruch eines Hegemonialstaates nach preußischem Muster) betrachtet, sondern viel stärker der Prozess der Bildung einer nationalen Identität. Das ist eine reichlich komplizierte Angelegenheit mit ihren Wechselwirkungen mit der Top down Wirkrichtung: Ist doch Nationalismus nicht zuletzt die Ideologie einer Gegenelite. Dieser Aufbau geht nun in mehreren Phasen vor sich. Wir sollten den Anspruch einer Sequenzanalyse ernst nehmen: Gerade im politischen System sind gewöhnlich nicht Ereignisse an sich interessant, sondern die spezifischen (zeitlich gereihten) Folgen von Ereignissen bestimmen das Ergebnis. Das gilt insbesondere für Konflikte, und Nationenbau ist ein konfliktualer Prozess. Die erste Stufe dieses Prozesses weist bürgerlichen Intellektuellen eine Schlüsselfunktion zu. Die Qualifikation "bürgerlich" ist hier grosso modo für die soziale Herkunft, vor allem aber für die soziopolitische Funktion ("civil") gebraucht. In einem Prozess der Elitenkonkurrenz mit und gegen Kräfte eines ancien régimes entdecken sie innerhalb ihres eigenen Kreises Kultur- und Sprachähnlichkeiten. Das Bestehen auf einer partikulären nationalen Kultur war überhaupt erst möglich, als sich eine Verallgemeinerung und damit Vereinheitlichung des Wertesystems sowohl im Inneren als auch im Äußeren durchsetzte. Dieses einheitliche Wertesystem führte zu einem im wesentlichen festgeschriebenen und einheitlichen politischen Modell, dem Nationalstaat, idealtypischer Weise organisiert als parlamentarisch-demokratisches Regime über eine ethnisch homogene Bevölkerung. Nationenbau bedeutet also immer einen Appell an das “Volk”. Doch kann dies sehr Unterschiedliches bedeuten. Bei aller Unterschiedlichkeit des möglichen Konzeptes von “Volk” ist im Begriff jedenfalls ein sozialer Universalismus eingebaut, welcher Eigendynamik entwickelt. Daraus leitete man das Postulat seitens der Intellektuellen ab, eine "Nation" als politisches Projekt zu entwerfen, einen entsprechenden Staat zu bilden und selbst die Führungskräfte dieser Nation und ihres Staates darzustellen. Eines der ideologischen Mittel ist die Hypostasierung der präsumptiven Nation zu einer Art zivilen Religion. Die “(quasi-) autoritärer politischer Systeme, in der durch verpflichtende Partizipation politische Identität gefördert werden sollte - mit nicht übermäßigem Erfolg. 12 religiöse Struktur” des Nationalismus, so oft evoziert, besteht eigentlich aus einer recht gewöhnlichen Fiktion. Die Systemeinheit, welche eine Gesellschaft (und ein Staat) darstellt, wird externalisiert und mental fetischisiert: Ist es bei der Religion die Gottheit, welche die Verkörperung der Gesellschaft darstellt, so ist es in der halbsäkularisierten Welt mancher Nationalismen der “Volksgeist” oder der “Nationalcharakter”. Dazu kommt dann eine Wertehierarchie, welche die so ontologisierte soziale Einheit über das Individuum stellt. Es ist dies der Traditionalismus des Nationalismus, den er, d. h. seine Ideologen, bewußt herzustellen sucht, weil er die Tradition sucht und nachahmt. Hier wiederum sollten wir auf eine grundlegende Dialektik der Moderne nicht vergessen: Traditionalismus ist ein moderner Zug - im Unterschied zur Tradition. Er versucht nämlich in reflektierende Weise die Tradition zu konstruieren und zu rekonstruieren. Ebenso wie der Gegensatz zwischen Person und Gesellschaftssystem ist jener zwischen vergesellschaftetem Individuum und modernen Staat real, in einem gewissen Sinn sogar unüberbrückbar. Pragmatisch wird er allerdings immer "aufgehoben", d. h. z. B.: Momentaner Dissens hat keine Folgen; oder: er führt durch Transformation des Systems zu einer neuen, konsensualen Integration; usw. Die Frage stellt sich also nicht, ob das politische System die Oberhand behält – sonst würde es zerfallen – sondern mit welchen Mitteln bzw. mit welcher Legitimität. Der ideologische Kniff der Intellektuellen in diesem Stadium ist gewöhnlich, dass sie die Nation als eine personifizierte Entität (mit einem "Nationalcharakter") darstellen. An sich ist gegen diesen Trick wenig einzuwenden. Auch Juristen sprechen von juristischen "Personen", wenn sie Systeme meinen. Eine ganz andere Frage ist allerdings jene nach der Qualität der Zugehörigkeit von Einzelmenschen oder Gruppen zu solchen Systemen. Man könnte die Frage faktisch betrachten. In der Regel wird sie allerdings normativ aufgefasst, und zwar i. S. einer Zuschreibung, der sich die Einzelnen verpflichtend zu unterwerfen hätten. Damit beginnen die politischen Probleme, auf die wir im konkreten später noch eingehen werden. Denn Intellektuelle nehmen sowohl an den bottom up- wie auch an den top down-Prozessen teil. Überwiegt letzterer, weil sie sich in einen administrativen Apparat inkorporieren, so hören sie damit allerdings auf, "Intellektuelle" zu sein. Man kann es auch verdeutlichen und sagen: Intellektuelle verkörpern "Gesellschaft", nicht "Staat", wollen aber den Staat nach ihren Vorstellungen und Interessen gestalten. Insofern sind sie die Scharniere, die strategische Gruppe im Nationenaufbau. In dieser ersten Phase ist die Nations-Werdung noch ein ganz auf intellektuelle und und einen Teil der elitären Kreise beschränkter Vorgang. Er berührt die übrige Bevölkerung praktisch gar nicht. Schon Benedetto Croce hat darauf hingewiesen, dass die Träger der neuen italienischen Idee nicht das Volk, sondern die Intellektuellen waren, während das Volk eher die Rolle des Duldenden zugewiesen bekam. Im aktivsten Falle konnte man es für kurze Rebellionen aktivieren, wenn die von den neuen Nationalisten so genannte "Fremdherrschaft" ihre Schikanen überzog, wie in den habsburgischen Besitzungen Norditaliens (Candeloro 1984), oder aber in bestehende Verhältnisse zu brüsk eingriff, wie in Tirol 1809. Doch was Croce für ein italienisches Spezifikum hielt, ist ein allgemeiner Prozess der Nationenbildung. "Die aktiven Kräfte einer nationalen, wirtschaftlichen und politischen Mobilisierung sind Eliten, die sich die Gunst erwerben, indem sie ihre Ansprüche auf wirtschaftliche Ressourcen mit den Appellen zur politischen Unterstützung verbinden. Die Appelle zur politischen Unterstützung erfordern die Ausformung entsprechender Symbole und Verhaltenscodes... Das wettbewerbsorientierte Zusammenspiel der Eliten untereinander und mit den Gruppen der potentiellen Anhänger schafft jenes kulturelle 13 System, das wir Nation nennen" (Cole/Wolf 1995, 366). Der nationale Konflikt reduziert sich somit keineswegs auf einen reinen Verteilungskonflikt um begrenzte Ressourcen. Hervorgegangen aus einer Agglomeration ethnischer Strukturen, ist die Nation auch dem Ethnozentrismus verhaftet, obwohl ein solcher in unterschiedlichen Sinnschichten auftreten kann. Im zweiten Schritt gelingt es diesem Kreis – im Falle einer erfolgreichen Weiterentwicklung – durch eine in langwierigen Kämpfen sich ständig erweiternde politische Partizipation immer mehr Menschen in die präsumptive Nation zu integrieren. Der Leitprozess dafür ist die Wahlrechtserweiterung, ohne dass sich der nationalisierende Prozess darin erschöpfen würde. "Penetration" besteht vielmehr auch im Anbot des Staates an die Bevölkerung, eine gesellschaftliche Infrastruktur sicherzustellen. Entscheidend auf dieser Stufe ist eine möglichst umfassende regionale Repräsentation, damit die regionalen Eliten an der Formung und an der Nutzung der Ressource "Symbole der Macht" teilhaben können. Dem wird in Einzelstudien der ganze zweite Teil dieser Arbeit gewidmet sein. Nur durch diese umfassende regionale Repräsentation erwerben die auf zentraler Ebene aktiven Intellektuellen und in der Folge die demokratischen Politiker die "Fähigkeit, Symbole der lokalen Struktur in Symbole einer umfassenderen Struktur umzuwandeln" (Cole/Wolf 1995, 367). Bleibt ein Gebiet vollständig unvertreten, ist dies der erste Schritt zum nationalen Dissens (vom Regionalismus bis zu Sezessionsbestrebungen). Im österreichischen Zusammenhang stellte sich dieses Problem auch noch in der Republik in der regionalen Schwerpunktbildung der unterschiedlichen politischen Kräfte und damit deren Nationenprojekte. Der dritte und entscheidende Schritt ist die Ablösung des Identitätsbildungsprozesses von der ursprünglichen Führungsgruppe. Nun wurde der Prozess umgedreht: Die gesamtstaatlichen Symbole der Macht und der Identität, die Symbole folglich einer umfassenderen Struktur, müssen so beschaffen sein, dass sie sich in den Symbolen der lokalen und regionalen Struktur wieder erkennen lassen, bzw., dass diese lokalen Symbole gleichzeitig als die umfassenderen Symbole interpretiert werden können. Nationale Identität verselbständigt sich auf diese Weise und wird selbstverständlich i. S. jener "natürlichen Haltung", wie sie z. B. Schütz unter dem Begriff der alltäglichen Lebenswelt beschrieben hat. Die in den letzten Jahrzehnten in Österreichs populärhistorischer Literatur manchmal anzutreffende Umkehrung der Phrase vom "Staat, den keiner wollte" zum "Staat, den alle wollen" kennzeichnet diesen Schritt nicht schlecht. Denn das signalisiert die Nations-Qualität auf Massenbasis, dass eine grundsätzliche Übereinstimmung besteht, in einem politischen System existieren zu wollen, Renans "désir de vivre ensemble". Zu fragen bleibt, wie sehr nun 'Nation' von der politischen Klasse instrumentalisiert für ihre eigenen Zwecke wird. Hier geht es nicht um die Herstellung von Konsens nach innen, sondern um ein Thema, welches im Verlauf dieser Arbeit immer wieder aufgegriffen wird, weil es in der Geschichte der österreichischen Nationenbildung eine wesentliche Rolle spielt. Es geht um die Frage der internationalen Machtverhältnisse, die sich recht unterschiedlich äußern kann. Wir werden auf die aktuellen Ausprägungen dieser Frage noch zurückkommen. Doch sehen wir uns vorerst die historischen Umstände an! Es geht um die Verbindung zwischen Nationalismus und Imperialismus. Ende des 19. Jahrhunderts erschien in den Vereinigten Staaten das Buch eines Admirals, der sich theoretisch mit einem Thema auseinander setzte, welches er "Seemacht" nannte (Mahan 1967). Alfred Thayer Mahan ist zuerst und vor allem ein Theoretiker, vielmehr ein Ideologe des Imperi- 14 alismus. Man hat ihn manchmal mit Clausewitz verglichen. Dieser Vergleich ist völlig unberechtigt und in die Irre führend. Clausewitz ist ein sehr ernst zu nehmender politischer Theoretiker. Mahans Buch hingegen ist eine Geschichte des Imperialismus, den er eben unter dem Blickwinkel der militärischen Machtentfaltung zur See betrachtet. Was hat dies nun mit Nationalismus zu tun? Die Verbindung liegt in der Großmachtauffassung von Nation, welche "weltumspannende" Aktionen verlangt, die wiederum entsprechende Machtentfaltung zur See voraussetzen. Mahan betrachtet zwar vor allem die Rolle Englands in den letzten 200 Jahren. Doch es ist sonnenklar, dass sein Interesse seinem eigenen Land, den USA, gilt. Was aber auch klar wird, ist zugleich eine Kontinuität und ein Wechsel um Charakter des Imperialismus. Es scheint, als ob der alte Imperialismus vor dem 19. Jahrhundert in einem bestimmten Sinne "rationaler" gewesen sei als der folgende, der viel stärker an Prestigeüberlegungen orientiert war. Er war sehr viel stärker Kosten- / Nutzen-orientiert. Dieser alte, interessensgeleitete Imperialismus, vertreten vor allem von England und bis nahe an die Gegenwart von den Niederlanden, ging nun nahtlos in einen neuen, vorwiegend von der Idee des nationalen Prestiges geleiteten Imperialismus über, für den sich z. B. die Jagd nach Kolonien, welche die angestrebte Weltherrschaft fetischisiert darstellten, verselbständigte. Vertreten wurde diese Politik nach 1870 von allen Mächten, paradigmatisch aber vom Wilhelminischen Deutschen Reich. Für das Deutsche Reich selbst als Staat brachten die kolonialen Erwerbungen nicht nur nichts, sondern waren eine finanzielle Last. Trotzdem war man immer wieder bereit, für irgendeine osbkure Landbesitzung an den Rand des Krieges zu gehen. Die Träger dieses Imperialismus waren eine seltsame Koalition der alten, sich an der Macht festklammernden Eliten mit neu in die politische Arena eintretenden bürgerlichen, nicht zuletzt intellektuellen Schichten. Sozial sind diese je nach Land höchst unterschiedlich zu charakterisieren. Waren es im Deutschen Reich eher tatsächlich bürgerliche Kreise, so waren es in den USA eher proletarische Schichten, die Arbeiteraristokratie. In dieser Phase des Imperialismus wird somit die nationale Integration nach außen gekehrt. Mahans Buch ist kennzeichnend für diese Art des "weltumspannenden Denkens", welche "Fragen der inneren Politik" nur als "unwichtige Parteiangelegenheiten" (S. 138) zu sehen vermag, während sich der nationale Konsens am Außenfeind aufbauen soll. Damit wird das Instrument als solches immer wichtiger: "Kriegsmarinen allein oder Handel allein haben sich als nie ausreichend erwiesen. Erst in der Kombination beider liegt Stärke und Wirkung einer Seemacht" (S. 92). Und die ist deswegen vorrangig, weil "das Meer in erster Linie eine große Straße oder besser ein Feld (ist), über welches man nach allen Richtungen gehen kann", um seinen Interessen nachzukommen (S. 21). "Nationalismus" ist heute ein Begriff, der insbesondere bei liberalen Intellektuellen einen schlechten Klang hat. Als politische Orientierung scheint er eine für viele verstörende und lästige Eigenschaft zu besitzen – er ist nämlich überaus widersprüchlich. "National" nannten sich gerade im Europa des 20. Jahrhundert Regime, die weit rechts standen. Wollen wir einmal die im strengen Sinne faschistischen Regime beiseite lassen, so wurde der Begriff national doch besetzt von Cliquen wie der Putsch-Obristen in Athen, der Franco- und Salazar-Diktatur auf der iberischen Halbinsel oder – bis in die Gegenwart – durch Parteien wie Alleanza nazionale in Italien. Und doch war Nationalismus zuerst einmal eine Demokratiebewegung und ist dies in der Dritten Welt teilweise noch immer. 1834 gründete Mazzini in der Schweiz das “Junge Europa”. Es setzte sich aus einer Reihe von nationalen Sektionen zusammen, “Junges Polen”, “Junges Italien”, usw. Es war nichts anderes als eine radikaldemokratische Internationale der Nationalismen. Das ist ebenso bedeutsam, als daß diese Internationale nur zwei Jahre lang hielt, und daß die einzig bedeutsame Komponente, das Junge Italien, nur als nationalistische Bewegung ihr geschichtliche Rolle spielte. Wie reimt sich das zusammen? Erinnern wir: Nation ist ein politisches Projekt. Doch dieses Projekt gibt vor, auf eine kommunitäre Struktur aufzusetzen oder strebt jedenfalls die Schaffung einer solchen an. Das bedeutet aber, dass Nation 15 einen ethnischen Grundbau hat und in der Regel eine ethnische Vereinheitlichung anstrebt. Wir wollen diesen, im übrigen in einer modernen Gesellschaft illusionären, Versuch einer gemeinschaftlichen Organisierung analytisch nicht als Nationalismus, sondern als Ethnizismus bezeichnen.3 Nationalismus in einem engeren, stärker auf das politische System ausgerichteten Sinn ist dann die politische Selbstbestimmung und die Partizipation einer Bevölkerung am gemeinsamen Staat aufgrund gemeinsamer Grundwerte. Die oft unentwirrbare Verquickung dieser beiden analytisch so leicht trennbaren Prozesse erzeugt das Janus-Gesicht des aus dem politischen Alltag bekannten Phänomens Nationalismus mit seiner Doppeleigenschaft von emanzipatorischer Selbstbestimmung und herrschaftlichen Ambitionen. Ethnizismus ist also als rückwärtsgerichtetes politisches Projekt zu sehen, welches gewöhnlich Modernisierung überhaupt zu vermeiden strebt, oder aber sie selektiv einengen will auf den technisch-organisatorischen Bereich. Die sozialen und politischen Beziehungen sollen ausgespart werden. Dieser Ethnizismus hat sich bisher mit Vorliebe als "Nationalismus" bezeichnet. Das erklärt auch die kennzeichnende Doppeldeutigkeit, welche dem Begriff der Nation auch gegenwärtig wieder, nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus mit seinem zumindest ideologisch vertretenen internationalistischen oder überethnischen Integrationsparadigma, bestimmt: Wir sprechen von der slowakischen Nation und meinen damit alle Bürger des slowakischen Staates. Doch gleichzeitig bezeichnet dieser Ausdruck auch nur jenen Teil der Bevölkerung, welcher slowakisch als Muttersprache spricht und sich als zugehörig zu den Slowaken identifiziert. Diese Doppeldeutigkeit ist in der Wirklichkeit angelegt und nicht zu umgehen. Vor allem ist sie keineswegs nur eine Sprachenfrage. Es mag sein, daß einzelne Sprachen, z. B. das Englische, das Französische und seit einiger Zeit auch das Deutsche, die erste Bedeutung favorisieren; andere (“narod”, “nacija”) die zweite. Doch wenn eine Nation ein Volk ist, welches die Kontrolle über die politischen Mittel autoritativer Zielsetzung anstrebt oder schon erlangt hat, dann kann es im Rahmen von durch Mehrheitsprinzip ausgeübter Volkssouveränität sehr wohl passieren, daß dieses “Lokalmonopol” von einem Teil der Bevölkerung für sich allein angestrebt wird, wenn dieser Teil zu einer dauernden politischen Mehrheit in der Lage ist. Dieser versucht dann, sich selbst exklusiv als Anspruchsberechtigten auf die Volkssouveränität zu konstruieren. Es ist damit auch kennzeichnend für die Nation als politisches Projekt, daß bei hartem politischen Wettbewerb zwischen unterschiedlichen politischen Konzepten immer wieder Koalitionen einer Grundrichtung bereit sind, zur Durchsetzung ihres Konzepts auch die politischen Vertreter der ethnonationalen Minderheit(en) an der Ausübung der Staatsmacht zu beteiligen (Slowakei, Rumänien, Bulgarien, ...). Österreich weist den Sonderzug auf, dass sich dieser Ethnizismus, der anderswo im nationalen Gewand auftrat, sich hier eher in regionalistischer Art kleidet. Die alten Konservativen rufen eher "Kärnten" oder "Vorarlberg" als Österreich. Selbst die ersten Bewegungsversuche des politischen Konservatismus auf dem Gebiet der nationalen Eigenständigkeit fielen erkennbar regionalistisch aus; und in der Gegenwart kehrt er wieder zu 3 Ohne näher auf das Problem der Terminologie in diesem minenreichen Feld der sozial- und politikwissenschaftlichen Forschung einzugehen, möchte ich doch darauf hinweisen, dass ich als Stütze für diesen Vorschlag einen verwandten Terminus aus dem Intercocta Glossary “Ethnicity” von Fred Riggs (1985) anführen könnte. 16 diesen Ursprüngen zurück. Voraussetzung dafür war eine Dualisierung der Gesellschaft, wie sie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts grundgelegt wurde: Eine alte hegemoniale Schicht (Hof und Aristokratie) wehrte sich gegen die Ambitionen neu aufsteigender Gruppen mit Konkurrenzprogrammen.4 In Österreich wollten diese alten Schichten daher auch gar nicht national sein. Anderswo, in Preußen z. B., nahmen sie den attraktiven Begriff für sich in Anspruch. Das Paradoxe daran ist, dass dieser Nationalismus analytisch als vornational diagnostiziert werden muß, weil er auf den Idealtypus der sozialen Zuschreibung, nicht auf das moderne Prinzip des Erwerbs (von Status ebenso wie von ethnonationaler Zugehörigkeit) setzt. Diesem Nationalismus stellte sich ein "Internationalismus" gegenüber. Zuerst als Konkurrenzprojekt gegen das reaktionäre Prinzip der Festschreibung sozialer Strukturen unter der Maske der Gemeinschaftlichkeit gerichtet, wandelte sich der Begriff allerdings nach der stalinistischen Transformation der Lenin'schen Revolution zu einem Code-Wort für die nichtpartizipative Politik einer Nomenklatura, welche nicht an die eigene soziale sowie nationale Basis zurückgebunden sein wollte. Es scheint, als ob sich gegenwärtig ein weiterer, vierter Schritt anbahnte. Die Auffassung der Nation als ein politisches Projekt macht es zwar erforderlich, insbesondere auf den großen Bruch der neueren österreichischen Geschichte einzugehen, auf die Gründerzeit der Republik. Mit dem EG-Beitritt ist jedoch eine entscheidende Zäsur für alle diese Fragen erreicht. Die nationale Debatte der Gegenwart geht kaum in die herkömmliche Begrifflichkeit des Nationalen, obwohl im Rahmen der EG / EU-Debatte sowohl von Pro als auch von Contra von Zeit zu Zeit die Frage der "österreichischen Identität" angesprochen wurde. Sie geht viel stärker um die politischen Teilprojekte, um die Politiken. Das ist durchaus ein rationaler Zugang, denn nur darin konkretisiert sich das politische Projekt. Doch es entbehrt wiederum des integrierenden Konzeptes, welches mit dem Schlüsselwort der nationalen Identität angesprochen wird. Es fehlt gewissermaßen der "Wegweiser". Wenn es in der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft überhaupt eine generelle Tendenz gibt, ist es jene zur Differenzierung der Institutionen und Komplexitätssteigerung. Auch die Entwicklung der Nation muß somit einem Gesetz der Differenzierung gehorchen. Die Systeme werden größer, die sozialen Beziehungen extensiver. Das ist nur möglich, wenn sich Gesellschaft weiter differenziert. Das aber muss Folgen für die sozialen Identitäten in diesen Systemen haben. Wenn Rollen weiter ausdifferenzieren, müssen auch Identitäten sich verändern. Welche unter diesen sozialen Identitäten nun die Leitidentität ist, wird damit noch stärker als bisher zur Frage der Option. Damit muss sich der Charakter der nationalen Identität als zugeschriebener Status noch mehr ausdünnen. Allerdings ist das ein besonders stark schichtenspezifischer Prozess. Das lässt sich gegenwärtig u. a. im Verhältnis zwischen politischen Eliten in Westeuropa und ihrer jeweiligen Basis beobachten. Für die politische Klasse wird die Loyalitätszumutung zu einer Nation brüchig. Wir können von neuen Loyalitätsvermutungen ausgehen. Ihr Focus findet sich wahrscheinlich nicht mehr in der Nation. Das wäre von enormer Bedeutung. Dass dies keine reine Spekulation ist, zeigen die Argumentationen in Österreich rund um die EG / EU herum. Vor der Volksabstimmung ging es noch darum, die Basis mit dem Versprechen billigerer Preise 4 Sehr viel klarer als für Österreich wurde dieser Sachverhalt im Rahmen der Habsburgermonarchie für die ungarischen Verhältnisse der gleichen Zeit analysiert. Die Modernisierungsversuche wurden als "fremd" und "nichtungarisch" denunziert. Auch war der ungarische Versuch einer Weiterführung dieser Politik durch das Horthy-Regime der Zwischenkriegszeit viel unverschleierter als der gleichzeitige in Österreich. 17 und damit auch höherer Realeinkommen zu gewinnen. Ausdrücklich wies man jede Idee einer Verschiebung nationaler Identität weit von sich. Das war der Sinn hinter dem berüchtigten Schlagwort von SP-Ederer: "1000 Schilling pro Monat". Man behauptete also, der Interessensaspekt lege für jeden Einzelnen eine stärkere politische Integration nahe. Davon würde im übrigen der Identitätsaspekt nicht berührt. Nach der Abstimmung, insbesondere auch nach der Desillusionierung der Bevölkerung infolge der völlig anderen als versprochenen Entwicklung hinsichtlich des materiellen Wohlstandes, lautet die Argumentation nun anders: "Europa besteht nicht in einigen hundert Schilling mehr in der Tasche" (der damalige Abgeordnete des LIF, -Frischenschlager). Die unterschiedliche Parteizugehörigkeit ist natürlich keine Zufälligkeit, obwohl sich in diesen Fragen die Grenzen verwischen. – Friedrich Heer, in dessen Gedankenwelt der pathetische, moralische und vielleicht auch ein wenig altmodische Begriff des "Verrates" eine gewichtige Rolle spielte, hätte diese Kategorie vermutlich zur Beschreibung dieser neuesten Phase ins Spiel gebracht, obwohl er selbst gerne mit der Ideologie "Europa" spielte. Bei ihm hatte sie allerdings die Funktion einer Weltöffnung, nicht jene, eine mangelnde demokratische Legitimation zu überspielen. Was nun das eigentliche politische / ideologische Paradigma der EU ist, ist heute noch keineswegs klar. Wie gerade angedeutet, gibt es einen verdeckten Paradigmenstreit. Für die politische Klasse scheint das derzeit hegemoniale Paradigma die übernationale Ausweitung des Nationalstaatsparadigmas zu sein (“USE”), am ehesten in der Form des britischen Paradigmas, wo England, Schottland, Wales und Nord-Irland nur vergleichsweise unbedeutende regionale Einheiten waren. Doch dieses Modell ist selbst in der Krise. Doch in der gegenwärtigen Realität scheint dies bereits an seine Grenzen zu stoßen und kaum in einem Bereich wirklich zu funktionieren. Volkssouveränität als nationale Souveränität ist mittelfristig (1 - 2 Generationen) nicht beliebig manipulierbar. Das beweisen u. a. die vielen gescheiterten nationalen Pan-Ideologien (Pangermanismus, Panslawismus, ...). Die Pan-Europa-Ideologie (hier ist nicht etwa die monarchistische Sekte gemeint, die sich so nennt, sondern der Hauptstrom) ist nur ein weiteres Beispiel. Im Unterschied zu den früheren Pan-Ideologien ist sie allerdings noch stärker von oben her konzipiert, während die Pannationalisten zumindest in ihrer Ideologie volkssouverän dachten - die Praxis mit ihren gerade dort starken kemalistischen Tendenzen war freilich eine andere Frage. Ein nationales – oder doch wohl viel eher ein postnationales Ideologem und Paradigma? 18 Der Aufbau einer Nation bedeutet so die Entwicklung eines umfassenden politischen Projektes, welches die "Behausung" einer integrierten Gesellschaft darstellen will. Das trifft zu, wenn er glückt. Glückt er nicht, so lässt sich dies vor allem daran ablesen, dass sich keine eigenständige nationale Identität entwickelt hat. Auf dieser Ebene muss man das Vorhandensein einer nationalen Ideologie als eines der wesentlichen Kriterien betrachten, welches die Nation von einer traditionellen ethnischen Einheit unterscheidet. Die nationale Ideologie, wie rudimentär und intellektuell unbefriedigend ausgeformt sie immer sein mag, ist die symbolische Zusammenfassung einer politischen Zielvorstellung umfassender Art mit sowohl kognitiven wie emotiven Komponenten und als solche Voraussetzung einer nationalen Politik. Ausformuliert wird sie im wesentlichen von jener Personengruppe, die wir als Intellektuelle kennzeichnen. Nationalismus ist ein Sorel’scher Mythos vor allem kleinbürgerlicher Intellektueller, ein trvialisierter Mythos allerdings. Im Nationalismus setzen sich die My(s)tiker gegen die Rationalisten durch, wenn man dies als zwei intellektuelle Ideal- und Grundtypen sehen will. Die sogenannten nationalen “Ideen” – den Ausdruck finden wir z. B. in der “megali idea” des griechischen Nationalismus – sind nicht viel mehr als der in Hegel’scher Manier verallgemeinerte und idealisierte politische Anspruch dieser Gruppe. Wenn man heute von “Europa” (gemeint ist fast immer einfach die EU) oder gar der “Weltgesellschaft” nicht nur als einer in vielen Bereichen empirisch feststellbaren Strukturtatsache spricht, sondern mit einem normativen Hintergrund, lauert der “Weltgeist” kaum mehr verhüllt schon um die Ecke. Da dies eine zu spezifisch intellektuelle Angelegenheit war, konzentriert sich die nationale Ideologie im Begriff des "Nationalcharakters". Der durchschlagende Erfolg dieses Konzeptes ist der Ausdruck jenes grundlegenden menschlichen Bedürfnisses, sich eine Ordnung zu schaffen, um die Dinge und Menschen klassifizieren zu können. Diesem Orientierungsbedürfnis steht ein ästhetisches Bedürfnisses nach Ordnung um ihrer selbst willen an der Seite. Die Grenzziehung wird bekanntlich von allen neueren Theoretikern der Ethnizität und somit auch jenen, welche dem Ethnischen eine Rolle in der Konstitution von Nationen beimessen, als grundlegende, oft sogar als einzige Funktion betrachtet. Sie bekommt im "Nationalcharakter" die Trivialform gesicherten Alltagswissens, welches nicht mehr nachgeprüft werden muss. Ist das Bedürfnis nach "Differenz" eine menschliche Universalie, so ist dann die ethnonationale Identität eine spezifische Ausdrucksform, und der "Nationalcharakter" die ideologische Gestalt davon. Alle weiteren Kriterien – die Sprache, die Religion, die Esskultur – gehorchen nur mehr dem Bedürfnis nach einer Konkretisierung dieser "Differenz", die es geben muss. Man kann die Frage auch analytisch angehen: Gibt es wirklich jeweils für bestimmte Nationen spezifische Charaktere? Norbert Elias (1989) hat zurecht darauf hingewiesen, dass dieser Begriff vorwissenschaftlich sei. Doch ist es mit einer reinen Umformulierung in "nationaler Habitus" oder auch "nationale Mentalitäten" (Blomert u. a. 1993) nicht getan, wenn nicht die Begriffsstruktur gründlich umformuliert wird. Schließlich ist der "Nationalcharakter" selbst nur eine durchsichtige Umformulierung der "Volksseele". Alle diese Begriffe dienten zur Fetischisierung der Gesamtrolle, jenes Bündels von Erwartungen, welche jede Gesellschaft an ihre Mitglieder richtet. Sie sind 19 Nachfolgekonzepte früher religiöser Vorstellungen, welche die soziale Einheitlichkeit einer bestimmten Gruppe verkörperten. Sie konnten mit anderen Merkmalen verknüpft sein, etwa der Territorialität. Wenn wir eine Beschreibung des Erdgottes der Shang und Chou-Zeit lesen, so ist dieser Repräsentationscharakter deutlich: "Seine Funktion im Götter-Pantheon Altchinas war der Schutz eines umgrenzten Territoriums... Jede der Herrschaften, vom Gesamtreich über die großen und kleinen Lehensterritorien bis zu den Landgemeinden, hatte einen eigenen Erdgottaltar" (Franke / Trauzettel 1968, 49). Einen frühen rationalen Zugang zu dieser Begrifflichkeit schaffte vor zweieinhalb Jahrhunderten David Hume (Of National Charakters – Hume 1985, 198, 197): "A nation is nothing but a collection of individuals... Some particular qualities are more frequently to be met with among one people than among their neighbours." Und warum? Weil die Nation eine politische Einheit ist, welche eine Kommunikationsgemeinschaft bilden. Damit hat der nüchterne Empirizist gleichzeitig eine theoretische Erklärung gefunden, auf deren Wieder-Auftauchen man etwa zwei Jahrhunderte warten wird müssen. Dementsprechend wird die Frage heute, wenn sie überhaupt noch ernsthaft debattiert wird, meist nach dem “modalen Charakter” (Inkeles 1997, 3), der häufigsten Ausprägung, gestellt. Wenn dann allerdings im selben Satz auch die “Grundstruktur der Persönlichkeit” genannt wird, sind wir bereits im Übergang zu einem neuen Ansatz. Der Ausdruck "politisches Projekt" als Kennzeichnung für die nationale Ideologie könnte das Missverständnis erzeugen, als handle es sich hierbei um einen rationalen, von Anfang an im Detail ausgearbeiteten und nur mehr technokratisch zu implementierenden Plan, man würde sich fragen: wessen? Doch Sinn dieses Ausdruckes ist es im Gegenteil, die Ungerichtetheit und Unbestimmtheit, die Offenheit des politischen Prozesses zu betonen. Es gibt keine von vorneherein feststehende nationale und auch keine solche ethnische Einheit, die mit Naturnotwendigkeit zur Nation geworden ist. Der Entwurf eines politischen Projektes, genannt Nation, ist ein Prozess, in dem sich unterschiedlichste Interessen gegeneinander stellen und ihre jeweilige Sicht der Dinge autoritativ, d. h. politisch und sozial verpflichtend, zu machen versuchen. In nationaler Sicht gibt es immer einen Kampf um eine zur Diskussion stehende nationale Identität, die zum Deckblatt des jeweiligen Projektes wird oder werden soll. Träger dieses Kampfes sind gewöhnlich mittelständische Intellektuelle, welche damit ihre Machtaspirationen verfolgen. Ist diese Schicht anders orientiert oder möglicherweise gar nicht vorhanden, können andere funktionsgleiche Schichten an ihre Stelle treten, wie man es besonders in Lateinamerika beobachtet hat. Der "Kampf um die österreichische Identität" (Heer 1980) war ausgeprägt ein Kampf um die politische Zukunft und ist als solcher zu decodieren. Doch die österreichischen Intellektuellen waren bis zur Zweiten Republik aus unterschiedlichen Gründen in ihrer Mehrzahl nicht auf eine eigenständige Nation orientiert. Sie glaubten an eine größere, umfassendere deutsche Nation. Die politische Klasse spielte hier eine größere Rolle als anderswo, wenn auch diese nicht eindeutig war und sich eng an die politischen und sozialen Interessen der unterschiedlichen Strömungen anlehnte. Der Beginn der Auseinandersetzung um die nationale Zugehörigkeit der Österreicher und zwar vor allem jener, die deutsch sprachen, lag vor 150 Jahren; ein vorläufiger Schlusspunkt deutet sich gerade an mit der Konversion der letzten bedeutsamen und in der FPÖ politisch repräsentierten Schicht des organisierten Deutschnationalismus zum ÖsterreichPatriotismus und damit absehbar auch zur österreichischen Nation. 1.0.1 Historiographie und nationale Orientierung Dieses Projekt über nationale Identität entstand in seinen Grundzügen aus Anlass des "Millennium" 1996. Es ist angebracht, diesen Anlass zu reflektieren. Das Millennium, das 20 Tausend-Jahre-Jubiläum der erstmaligen Erwähnung des Namens Österreich in einer Urkunde, baut an einem speziellen Mythos. Zuerst einmal frappieren die 1000 Jahre. Die Nation Österreich besteht seit 1945. Sie wäre erstmals möglich geworden durch den Zerfall des Habsburgerreiches 1918. Ein nationales Jubiläum sollte also an diesen Jahren ansetzen. Doch offenbar passt der Symbolwert dieser Jahre wesentlichen politischen Kräften nicht ins Konzept. Darauf werden wir beim Nationalfeiertag und seiner Auswahl noch kommen. Warum hat man weder 1918 noch 1945 als den eigentlichen nationalen Gedächtnistag gewählt? Beide Daten bedeuten den Abschied von einer Großmachtillusion – 1914/1918 erzwungen durch die historische Fehlkalkulation einer verantwortungslosen politischen Klasse zusammen mit der Dynastie; 1945 als gelungener Versuch, sich von einer moralischen und politischen Katastrophe jener Deutschen abzukoppeln, von denen man eben noch als zugehörig vereinnahmt gewesen war. Scheiterte die Erste Republik nicht zuletzt am Unvermögen der Elite, sich als selbständige kleine Nation zu begreifen (sie wollte nicht den österreichischen, sondern den "zweiten deutschen Staat"), so wurde die Zweite Republik ein unerwarteter Erfolg: Man begriff diesmal die eigene bescheidene Existenz als Chance und akzeptierte sie. Damit stellt sich die Frage erst recht: Wozu einen nationalen Gedenktag, welcher sogar historisch umstritten ist? Warum hat eigentlich Geschichte diese überragende Bedeutung im Diskurs des Nationalen? “Gedächtnis” und “Erinnerung” hat jeder Mensch und auch jede Gemeinschaft. Doch Geschichte ist die sozial und politisch umkämpfte und staatlich beeinflusste bis gelenkte Form der Rekonstruktion von Vergangenheit, welche eine der wichtigsten Formen ist, in der sich intellektuelle Hegemonie darstellt. “Geschichte vereinigt in unserer Sprache die objektive sowohl als subjektive Seite und bedeutet ebenso gut die historiam rerum gestarum als die res gestas selbst ... Geschichtserzählung [erscheint] mit eigentlich geschichtlichen Taten und Begebenheiten gleichzeitig... Der Staat erst führt seinen Inhalt herbei, der für die Prosa der Geschichte nicht nur geeignet ist, sondern sie selbst mit erzeugt” (Hegel 1995, 83). Niemand hat wohl in affirmativer Weise stärker klar gemacht als Hegel: (Welt-) Geschichte ist Herrschaftsgeschichte. Man nennt Herodot den Vater der Geschichtsschreibung. Doch das ist er nur als Berichterstatter über die Perserkriege. Die andere Seite seines Werkes, die langen Berichte über die unterschiedlichsten Völkerschaften der damaligen Welt, werden nicht umsonst als “Ethnographie” eingeordnet. Sie berichten “nur” von den Alltagslebenswelten der Betroffenen. Als schließlich im europäischen Früh- und Hochmittelalter wieder Geschichtsschreibung in Form von Chroniken neu entstand, da waren es Berichte über Dynastien und kirchlichen Bürokratien. Die erste Weltchronik in deutscher Sprache, die Vorauer Kaiserchronik (1953), “chundet uns da von den bae[p]sten und von den chunigen”. Und wenn die Geschichte nicht mit den Erwartungen an sie über einstimmte – umso schlimmer für die Geschichte: “Nicht immer konnten [die Präzedenzfälle in der Vergangenheit] in den heiligen Schriften und den alten Chroniken gefunden werden. Dann wurde die Vergangenheit geändert, durch Ergänzungen, Erklärungen und manchmal auch durch direkte Fälschungen ...” (Schwarz 1991, 70, über die Legitimierung Moskaus und seines Anspruchs auf Kontinuität zu Kiew im 15. Jahrhundert). Geschichte, Historiographie, war im Europa der letzten zwei Jahrhunderte jene intellektuelle Disziplin, welche es unternahm – im eigenen Antrieb wie aus einem Bedürfnis seitens der politischen Führung – für politischen Sinn zu sorgen. “Nur für den rückschauenden Blick ... gibt es wohlunterschiedene Erlebnisse. Nur das Erlebte ist sinnvoll, nicht das Erleben” (Schütz 1981, 69). Obwohl es durchaus gefährlich ist, aus solchen Analyseansätzen, welche sich auf den Einzelmenschen und seine Erlebnisweisen beziehen, auf ein soziales 21 System zu schließen oder überzugehen, liegt hier doch der Anfangsbestand einer Theorie der Geschichte, die i. S. des methodologischen Individualismus schließlich doch im Verhalten des Einzelnen fundiert werden muss. Erst der Rückblick (die “Reproduktion” im Gegensatz zur “Retention”) ermöglicht den Aufbau von Sinnzusammenhängen. Geschichte wird so zur Konstruktion der Identität einer sozialen Einheit, mithin auch der eines “Volkes”. Mithin ist sie wesentlich mehr als Begriffs- und Alltags-Konstruktion. Sie wird als Tätigkeit von Historiographen ebenso wie als autonomes Konstrukt anonym und verallgemeinert, mit der Autorität des Staates im Rücken weitergegeben in Bildungsinstitutionen als Kern des ideologischen Curriculums und so selbst zum historisch-politischen Wirkstoff. Allerdings unterscheidet sich moderne Gesellschaft in einem Punkt wesentlich von quasistatischer traditionaler Gesellschaft. Denn moderne Gesellschaft und ihre Geschichte bezieht sich nicht auf Selbsterlebtes. Geschichte unterscheidet sich fundamental dadurch von Zeitgenössischen, dass sie intellektuelles Erleben von bloß symbolisch Repräsentiertem ist. Das macht sie denn auch zum Spezialgebiet einer eigenen Gruppe von Intellektuellen, nämlich der Historiker. Allerdings ist Geschichte für viele Historiker selbst zu einem fetischartigen Wesen geworden. Sie selbst „erklärt“ und wird zur wirkenden Ursache. „Hier kann man die Eigenstaatlichkeit nur mit der Geschichte begründen“ (Ziegler 2002, 58 f.), also nicht etwa mit gewissen politischen Strukturen oder mit Entscheidungen … Ähnlich (a.a.O., 71): „Es liegt vor allem in der Geschichte begründet, …“. Wir können die Historiker die Ideologen der Kontinuität nennen. "Indem der Historiker Fragen aus den Tendenzen seiner Zeit aufgreift, indem er an Kausalzusammenhänge heranführt bis an den aktuellen Erlebnisbereich, nimmt er Einfluss auf den laufenden, auch Zukunftsfragen einbeziehenden Orientierungsprozess der Gegenwart" (Plaschka / Stourzh u. a. 1995, 7f.). Doch den Kontinuitäten kann jeweils ein unterschiedlicher Sinn unterlegt werden – je nach dem eigenen Standpunkt. Es gibt ja nicht nur eine einzige soziale Struktur. Aber man bedarf irgendeiner Struktur, um einen "Sinn", eine verstehbare Ordnung, zu erkennen. Geschichte ist verwalteter Sinn. Der eine sieht die Geschichte als eine Geschichte von Klassenkämpfen. Doch Klasse ist vor allem synchrone Struktur innerhalb von Gesellschaft, und so kann es wenig verwundern, dass Weltgeschichte als Geschichte der Klassenkämpfe bislang noch nicht wirklich geschrieben wurde. Natürlich haben an einem solchen Blickwinkel auch die hegemonialen Klassen, welche Geschichte verwalten, nicht das geringste Interesse. Die moderne Geschichtswissenschaft und mit ihr die moderne Geschichte ist dagegen im 19. Jahrhundert als Nationalgeschichtsschreibung entstanden. Die Identifizierung von Historiographie und Geschichte ist hier weder zufällig noch fahrlässig. Denn Geschichte ist ein Text, der sich allerdings in den Augen seiner Autoren von anderen Texten literarischer Art als Wirklichkeitsbeschreibung in einer naiven Abbildtheorie empfiehlt. Nation bietet sich für diesen Text besonders an. Ihr Anspruch ist gerade Kontinuität. Insofern ist es zumindest politisch zweifelhaft (wenn auch für eine neue Geschichte in ihrem Willen zur Wissenschaft berechtigt), ob die Unterscheidung zwischen “Gedächtnis” (“memory”) und “Geschichte” (“history” – Pierre Nora) Gültigkeit hat. Denn auch die historischen Mythen und die Volkserzählungen, die angeblich das “Gedächtnis” darstellen sollen, sind nahezu ausschließlich Produkte von identifizierbaren Einzelpersonen, und zwar oft eben von Historikern (vgl. später). Man begann also, die Geschichte von "Nationen" ab ovo zu schreiben. Die Historiker damals und nicht wenige auch in ihrer Tradition heute kamen gar nicht auf die Idee, zu 22 fragen, was sie da eigentlich beschreiben. Stellen wir zumindest das Problem, wenn es hier auch noch nicht gelöst wird! Ich würde meinen, das bislang noch nicht völlig gelöste Hauptproblem einer Theorie der Nation ist, die Nation weder als vom Himmel gefallen, noch als ewig zu betrachten. Kontinuität der Zusammengehörigkeiten über die Generationen hinweg kann nur ideell hergestellt werden. Und doch gibt es auch dabei riesige Unterschiede zwischen verschieden strukturierten Gesellschaften. Bis zu 10 oder sogar 12 Generationen, d. h. also: 200 bis 300 Jahre zurück müssen Nuer ihre genealogischen Verhältnisse kennen, denn diese haben Einfluss auf ihren Alltag (Hutchinson 1996, 200 ff.): Sie bestimmen den Kreis der möglichen Gattinnen. Und doch gibt es bei ihnen keine “Geschichte”. Die für Gesellschaft und für den Einzelmenschen und seine persönliche Sinngebung so wichtige Kontinuität wird also von ihnen erfahren, ohne dass sie sie als zeitliche Struktur substanzialisieren und reifizieren. Ich würde meinen, dass an diesem Beispiel einer der wichtigsten Unterschiede zwischen originärer Ethnizität als Erfahrung von Lebenswelten und ihrer Kontinuität auf der einen Seite, nationaler Identität mit ihrer abstrakt gelernten Kontinuität aufeinander folgender Generationen, die jedoch über die Gesellschaft hin kaum miteinander verbunden sind, besteht. Ethnizität wird also erfahren, Nation gelernt. Für moderne ethnische Identität allerdings ist dieser Unterschied nicht mehr gültig. Hier ist sicher der Erfahrungszusammenhang von Nation wichtiger, weil praktisch bestimmend.5 Niemand hat eine Erfahrung, welche über zwei bis drei Generationen hinauswirkt. Das sogenannte "kollektive Gedächtnis" ist meist nichts anderes, als was Kindern in der Schule in ideologischer Absicht beigebracht wurde. Doch solche Indoktrinationen sind dann aber u. U. enorm wirksam (Schumpeter 1975, 100: “Nothing is so retentive as a nations memory”). Nationalismen sind zuerst solche kontinuitätsorientierte Ideologien, bevor sie Handlungssysteme werden. Die Berufung auf "serbische Gräber" und das "Land Abrahams" bekommt aber erst im davon mitmotivierten Handeln unmittelbare Realität. Der Streit um die Vergangenheit wird so zum Kampf um die Zukunft. Hier geht es vorerst um den strukturell-analytischen Gesichtspunkt, das politische Problem wird später noch angesprochen. Ganz deutlich werden diese Gegenüberstellung von realen und ideellen Kontinuitäten sowie ihr Auseinanderklaffen an der Entstehung, der Genese großethnischer Einheiten durch Fusion vieler kleiner, originärer Ethnien. Die weiterwirkende Tradition wird in der Regel durch einen sozialen und politischen Traditionskern hergestellt, welcher die Ethnogenese herrschaftlich gelenkt hat und die neue, größere Ethnie dominiert. Es werden also Namen, gleich bleibende Worte und nicht sosehr Begriffe auf recht unterschiedliche Strukturen angewandt. Die wissenschaftliche Disziplin, in welcher dies geschieht und unterschiedlich dargestellt wird, ist die Historiographie. Doch Geschichtsschreibung kann in unterschiedlichster Weise vor sich gehen. Sie hat nach dem großangelegten Rationalisierungsprozess im Gefolge der Aufklärung heute eine andere Gestalt, als das, was man auch Geschichtsschreibung in früheren Gesellschaften nennt. Da gibt es einige kennzeichnende Züge, die eine kleine Abschweifung in einen ganz anderen Zusammenhang wert sind. Die altchinesische Historiographie wurde bis ins 20. Jahrhundert herein ausschließlich in einer Sprache festgehalten, welche allen außer sehr wenigen "Gebildeten" unverständlich war. Dies zeigt geradezu grell, für wen sie bestimmt war. Sie sollte für die Dynastie(n) und die sie stützenden 5 Hier könnte eine Ursache des im Alltag unausrottbaren Missverständnisses sein (man kann es sogar bei Sozialwissenschaftern u. U. noch antreffen), dass Ethnizität eine “Eigenschaft” von Minderheiten sei. 23 Oberschichten bzw. deren Apparat legitimierende Traditionen aufbauen. "Ihre konfuzianische Indoktrinierung ließ die Historiker in jeder Hinsicht den Standpunkt der Oberschicht einnehmen" (Franke / Trauzettel 1968, 15). Kennzeichnend waren die Stilmittel, die in solchen bürokratischen und bürokratisierten Vorhaben eingesetzt wurden. Das vielleicht wichtigste davon war die "angemessene Verschweigung", die in einer anderen Tradition, der römischen, damnatio memoriae hieß. Das wesentlichste positive Stilmittel war eine entsprechende Topik bei wiederkehrenden Anlässen. Der letzte Vertreter einer Dynastie, die von einer anderen abgelöst wurde, musste z. B. verkommen und korrumpiert sein, sonst wäre ja die neue nicht legitim gewesen... Ähnliches gilt für ziemlich alle vormodernen Historien, sobald sie von einem dem Mandarinat ähnlichen Personal (von Mönchen z. B.) verfasst wurden. Wenn man sich die altserbischen DaniloChronik mit ihren Herrscherbiographien ansieht (Hafner 1976), erhält man den überwältigenden Eindruck einer vollständigen Abhängigkeit der Schreiber von der byzantinischen Kultur. Die Viten der serbischen Könige sind reine Ikonen. Außer der Regierungszeit erscheint kaum etwas als individuell. Und doch sollten sie dazu dienen, die serbische Selbständigkeit gegenüber auch dem byzantinischen Kaiser zu rechtfertigen. Damit liegt der eigentlich historische Wert dieser Biographien in ihrer puren Existenz bzw. ihrem Stil, keineswegs in ihrem erzählerischen Inhalt. Der Byzantinismus ist überwältigend und byzantinischer als in Byzanz selbst. Diese Hagiographie wirkt heute grotesk, wenn man den gar nicht so frommen Inhalt mitberücksichtigt: In diese Sammlung von Bibelzitaten ist gelegentlich eine historische Bemerkung eingeblendet; gewöhnlich bringt in diesem Fall ein Sohn seinen Vater um oder dieser lässt "betrübt" seinen Sohn blenden. Die Identität zwischen Herrscher und Gottgesandten steht außer Zweifel. Es ist alles höchst archaisch; im Vergleich dazu ist der etwas früher lebende byzantinische Geistliche Michael Psellos stark säkularisiert. Bürgerliche Geschichtsschreibung in Europa ab dem Beginn des 19. Jahrhunderts, also etwas vor der historischen Zäsur, in der bürgerliche Partizipation politisch wirksam wurde, hat dagegen einen deutlich anderen Charakter. Sie ist individualistisch, verzichtet aber deswegen keineswegs darauf, ideologisch zu sein. Sie legt zwar die Sicht eines Einzelnen nieder, versucht dieser Sicht aber "Gültigkeit", Verbindlichkeit und Hegemonie zu verschaffen. Sie ist damit ein typisches Produkt und ein Werkzeug moderner Intellektueller. Die Tradition wird in diesem Stadium nicht mehr – oder noch nicht – hierarchisch gelenkt und verwaltet, wohl aber politisch genutzt. Dementsprechend ist das Hauptstilmittel die Diskussion neuen Materials, die Interpretation von "Quellen". Es gibt einen (wissenschafts-) politischen Kampf um die Gestaltung bzw. um die Kreation einer Tradition, wobei diese nationalen, religiösen, auch klassenspezifischen oder sonstigen Charakter haben kann. Wenn man immer wieder Leopold Ranke als den "Vater" dieser Art von Geschichte benennt, so ist dies zwar ein interessanter Hinweis, muss aber näher ausgeführt werden. Ranke stand wie Hegel bewusst in Abhängigkeit und im Dienst des preußischen Absolutismus und Autoritarismus. Für ihn hatte er (in der "Preußischen Geschichte") die historische Legitimierung zu liefern, wie Hegel die philosophische nach schob. Der Weltgeist wurde zum berühmtesten Fetisch der Moderne, und hat auf eine fatale Weise auch die politischen Gegner Hegels beeinflusst: Marx etwa sprach von der Philosophie und den Philosophen, welche die Welt verändern sollten. Damit übernimmt er Hegel’sches Gedankengut, das er nicht durchschaut und auch nicht durchschauen will, weil sie seine eigene Legitimation gefährden könnte. Der gerade auch von Engels so reklamierte Fortschritt des Sozialismus von der Utopie, d. h. dem deklarierten politischen Programm, zur “Wissenschaft”, d. h. der behaupteten Notwendigkeit (das erinnert nicht umsonst an den “Sachzwang”) wurde so zu einem Mittel im Kampf der Intellektuellen um die Hegemonie. 24 Auch wenn Ranke in technischer Hinsicht bereits als Innovator hervorsticht, ist der noch nicht bürgerliche Intellektuelle hier ganz und gar Fürstendiener, also noch keineswegs organischer Intellektueller seiner eigenen Schicht. Im Gegenteil – seine Aufgabe ist gerade jene des Kampfes gegen das aufsteigende Bürgertum, welches eine Gefahr für die Dynastie und den autoritären Militärstaat darstellte. Inhaltlich war die bürgerlich-intellektuelle Geschichtsschreibung mit wenigen Ausnahmen eindeutig Nationalgeschichte. Das Muster dazu lieferte im deutschen Sprachraum hauptsächlich der zum Preußen gewordene Badener Heinrich Treitschke mit seiner „Deutschen Geschichte im 19. Jahrhundert“, der Historiograph des preußischen Staats in der Nachfolge Rankes seit 1886. Wenn je der Stil ein Werk bestimmte, dann hier. Man möchte sagen, Treitschke übertraf in seinem – für heute nahezu unerträglichem – Pathos selbst Gustav Freytag und Genossen (s. u.). Sein Lieblingswort ist „sittlich“, oder auch „Gesittung“, meist bezogen auf einen preußischen König oder Politiker, „kerndeutsch“ kommt auch häufig vor. Überraschend leitet er seine Darstellung ein: „Die deutsche Nation ist trotz ihrer alten Geschichte das jüngste unter den großen Völkern Westeuropas“ ((o. J.; [seit 1879], 3). Aber das ist Stilistik, um seinen Organizismus einerseits, und seine Preußenorientiertheit andererseits vorzubereiten. Mit einer analytischen Einsicht hat edies nichts zu tun, wie die nächsten Worte beweisen: „Zweimal ward ihr ein Zeitalter der Jugend beschieden, zweimal der Kampf um die Grundlagen staatlicher Macht und freier Gesittung. Sie schuf sich vor einem Jahrtausend das stolzeste Königtum der Germanen und musste acht Jahrhunderte nachher den Bau ihres Staates auf völlig verändertem Boden von neuem beginnen …“ (a.a.O., 3). Gegen Treitschke ist Sybel wahrhaft ein nüchterner Schreiber – der aber auch in die Treitschke’sche Sprache kommen konnte, wenn er wollte –, selten hat ein Historiker vor den Nazis solche Tiefen der Ideologie erreicht. Entstand die moderne Geschichtswissenschaft schon als Nationalgeschichtsschreibung, so hat sie diese Ausrichtung bis in die Gegenwart fast ungebrochen durchgehalten. Und auch die Alternativanbote entziehen sich dieser Logik nicht, sondern greifen nur auf andere Inhalte zurück, die sie dann dementsprechend interpretieren. Dabei können durchaus Inkonsistenzen auftreten. So ist in esoterischen Zirkeln und davon beeinflussten Kreisen das Kelten-Paradigma beliebt. Es dient als Goldenes Zeitalter des neuen Irrationalismus und seiner Fluchtphantasien. Doch interessanterweise wird dies teils universalistisch, teils aber ganz entgegengesetzt, nämlich ethnistisch, aufgefasst. “Der moderne Nationalismus, die Kleinstaaterei und der Dezentralismus sehen im Partikularismus der Kelten einen Gegenentwurf zu zentralistischen und imperialistischen Machtblöcken. Wunschvorstellungen des politischen und gesellschaftlichen Alltags, wie die von der europäischen Einheit und vom Matriarchat, werden auf die Kelten projiziert” (Birkhan 1997, 4). Die Ironie an diesen durchaus richtigen Sätzen besteht darin, dass der Autor sein äußerst umfangreiches Buch ohne vergleichbare Vorstellungen gar nicht hätte schreiben können, denn er selbst geht von einer keltischen Einheit aus (“... eine relativ einheitliche materielle ... und immaterielle Kultur...”), die ganz und gar nicht gesichert ist ... Das geben mittlerweile – unter dem Eindruck neuer ideologischer Anforderungen – sogar die zunftmäßigen Historiker zu: "Noch ist auch in Mitteleuropa die klassische Konzeption des Historikers die der nationalen Vergangenheit, sein klassisches Objekt die Geschichte der Nation... Waren die europäischen, nicht zuletzt die mitteleuropäischen, Nationen bis vor kurzem noch in der Vorstellung verfangen, der wesentliche Sinn ihrer Geschichte liege in der Hervorhebung ihres eigenen Weges und in der Kennzeichnung der damit verbundenen nationalen Eigenart, so setzt sich gerade auch in diesen Nationen nun zunehmend die 25 Erkenntnis durch, dass keiner ihrer Wege ein ganz getrennter, ein ganz isolierter gewesen sei, sondern dass die Wege wie Eigenarten in überraschend hohem Maße übergreifende und übereinstimmende Wege und Eigenarten sind" (Plaschka / Haselsteiner u. a. 1995, XI). Nur einige wenige, die eher in die politische Theorie hinein gehören (z. B. Alexis de Tocqueville), wurden nicht müde, auf die erstaunliche Gleichartigkeit der europäischen Strukturen seit dem Hochmittelalter hinzuweisen. Trotzdem ist es kennzeichnend, daß dieser Gedanke - die strukturelle Gleichartigkeit Europas vom Atlantik bis an die Grenze des eigentlichen Osteuropas, für die man manchmal die Religionsgrenze katholisch - orthodox einsetzt – im 19. Jahrhundert wenig Chancen hatte. Er wird von der Geschichte erst unter dem politischen Impetus der Gegenwart wieder auf gegriffen. Von außen war dies offenbar leichter festzustellen: Rabindranath Tagore (1992 [1917], 88) vergleicht z. B. die seiner Ansicht nach überwältigende Diversität Indiens mit der Einheitlichkeit Europas. "India is too vast in its area and too diverse in its races. It is many countries packed into one geographical receptacle. It is just the opposite of what Europe truly is: namly, one country made into many." Schließlich zeigt sich ein weiteres subtiles Problem: Durch die Art der Durchführung unterschiedlichster Veranstaltungen wird dieses Millennium schließlich zu einem sinnentleerten folkloristischen event. Damit geht auch seine potentielle politisch brisante Aussage verloren, nämlich jene der Eigenständigkeit Österreichs. Vom Wissensstand her wäre das also vor 100 Jahren auch schon möglich gewesen: Man vgl. dazu die frühen Arbeiten von Otto Hintze!6 Heute gibt es hier eine neuerlich Wende: "Europa" tritt ins Blickfeld der Öffentlichkeit und der Aufmerksamkeit auch der Historiker, weil Maastricht-Europa, sprich die EG, ihr Bedürfnis nach einer historisch-ideologischen Fundierung entdeckt hat. "Faire l'Europe", "Europa bauen", "The Making of Europe", heißt nun die Devise. Das schießt nun oft genug auch wieder übers Ziel. "Europa" wird nun geradezu ein teleologischer Punkt. Wie mittlerweile hinlänglich bekannt, gab es politische Einigungsideen in Westeuropa schon seit langem (Neisser 1993). Doch von der mittelalterlichen Idee des Universum catholicum über Kants "Ewigen Frieden" bis zur Gegenwart sind die Typen zu verschieden, vor allem auch aufgrund der völlig unterschiedlichen Gesellschaftsstrukturen, als dass man seriöser Weise eine einheitliche Tradition aufbauen könnte. Trotzdem versucht man gerade das mit fast religiösem Eifer in einer Art Novalis’scher Tradition. Das wird von heutigen Exponenten dieser Idee völlig übersehen. Und doch gibt es eine einheitliche Struktur im Hintergrund. Man kann ihr mit den Begriffen des "Kulturbezirks" innerhalb von "Kulturkreisen" nahe kommen. Ein solcher Kulturkreis bzw. eine "Super-Ethnizität" bildet Europa, und innerhalb Europas wiederum jeweils West- und Osteuropa. Das hat gerade für Intellektuelle eine spezifische Bedeutung. Bürokratische Geschichte, geschrieben von Beamten, gibt es auch heute noch. Sie ist allerdings eher in den Vorbereich dessen abgedrängt, was allgemein als Geschichtsschreibung verstanden wird. Doch auch in Österreich ist der "Staatsarchivar" oder auch der Landesarchivar eine strategische Stelle und Person, an der schon manche historiographische Pro6 Man vgl. auch folgende Bemerkung in der NZZ, 5. Oktober 1993: Symbiose von Kunst und Zweck – Henry van de Velde im Museum für Gestaltung in Zürich: "Aktualität kann die Schau auch insofern beanspruchen, als sie – mit Blick auf die Vereinigungsbemühungen in der Alten Welt – versucht, über das reine Werkmonographische hinaus van de Veldes Rolle als Integrationsfigur der damaligen europäischen Kultur in den Blickpunkt zu rücken." Dazu fällt natürlich auch eine Ausstellung im Sommer 1993 im Pariser Musée d'Orsay "Europe 1893 – 1993" mit exakt derselben Absicht ein. 26 jekte, in Kärnten z. B., gescheitert sind. Doch es ist der Anlass, aus dem diese Arbeit entstand, welcher einen kennzeichnenden Zug des Aufbaues und des Kampfes um die Formierung nationaler Identität zeigt: Das "Millennium", die erstmalige dokumentarische Nennung des Namens Österreich ("Ostarrichi") in einer Privaturkunde, wurde zum Anlass einer umfassenden Positionsbestimmung. Die unterschiedlichsten Programme und Feierlichkeiten – vom wissenschaftlichen Projekt bis zur Festsitzung der Vertretungskörperschaften – sollen unterschiedlichen Gruppen die Gelegenheit bieten, ihre Auffassung von "Österreich" darzulegen. Insofern kann man dem Millennium einigen politischen Wert abgewinnen. Hier haben viele unterschiedliche Gedanken Platz. Vom "Grenzenlosen Österreich" bis zur "Bedrohten Vielfalt" reichen die Titel von Veranstaltungen, welche unter dem Mantel des Millenniums Schutz suchen. Hier spielt sich also auch jener Kampf um die Identität ab, der für die nationale Entwicklung kennzeichnend ist. Der Anlass des Jubiläums mag zufällig sein: Manche Mittelalter-Historiker können sich nicht genug alterieren über die angebliche Sinnlosigkeit des gewählten Datums - die Erregung lässt schon wieder fragen, was sie eigentlich ausgelöst hat. Denn sie übersehen damit unbewusst oder vielleicht auch bewusst den springenden Punkt: Der Bezug auf die Vergangenheit dient in nationalen (oder auch nationalistischen) Debatten immer dazu, gegenwärtige und zukunftsbezogene politische Entwürfe liturgisch einzukleiden. Dazu gehören u. a. auch Reliquien: Der Erwerb eines außerordentlich teuren Manuskriptes, in diesem Fall des Evangeliars Heinrich des Löwen um einen Kaufpreis von DM 32 Mill. zu einer Zeit, wo anderswo im Staatshaushalt angeblich der Imperativ der Sparsamkeit herrscht, wird so zum Erwerb eines nationalen Reliquiums. Der Festredner hat Ironie (?) genug, diese Parallele selbst zu ziehen und noch darauf hinzuweisen, dass sich manche mittelalterliche Herrscher an Reliquien arm gekauft haben (Fuhrmann / Mütherich 1986, 20 ff.). Millennien und ähnliche Gedenktage sind so die Totemtage von nationalen Gesellschaften. Diese Feste und Riten haben als Hauptfunktion die Verstärkung des Zusammenhaltes durch Erinnerung an die gemeinsame mythische Abstammung. Sie dienen also der rituellen Herstellung von Identität durch die Behauptung einer gemeinsamen langen Tradition. Sie konstruieren so, nur ganz leicht verschleiert, eine politische Abstammung im mythischen Gewand, das seine religiösen Ursprünge noch erkennen lässt.7 Nationale Mythen sind auch nicht von vorneherein aggressiv, wie sich gerade an diesem Beispiel zeigt. Wenn man also ironisch, ja ein bisschen abfällig von der "mangelnden Feierlust" (Brandstaller 1996, 122) anlässlich dieser historischen Festlegung spricht und meint, das Millennium sei eine "lustlose Pflichtübung" (Löffler 1996, 114), so mag schon sein, dass daran etwas ist: "Als tiefere Ursache bietet sich Österreichs aktuelle Verunsicherung über den Fortgang seiner inneren und äußeren Angelegenheiten an" (Brandstaller 1996, 122). Nur sollten hier auch jene genannt werden, welche diese Unlust spüren oder zumindest äußern: Es sind die Intellektuellen. Der Großteil der Bevölkerung dürfte trotz tatsächlicher Verunsicherung über die Zukunft, die eigene wie die der österreichischen Gesellschaft, in diesem Punkt deutlich weniger defaitistisch sein und solche Anlässe weder überschätzen noch mit 7 "Toute fête, alors même qu'elle est purement laïque par ses origines. a ses charactères de cérémonie religieuse, car, dans tous le cas, elle a pour effet de rapprocher les individus, de mettre en mouvement les masses et de susciter ainsi un état d'effervescences, parfois même de délire, qui n'est pas sans parenté avec l'état religieux" (Durkheim 1994, 547). 27 so besonderem Unbehagen betrachten. Möglicherweise nimmt sie das Millennium überhaupt nur am Rand zur Kenntnis. Denn wer sind die Akteure und gleichzeitig die Nutznießer? Die hauptsächlichen Konstrukteure mythisch-ideologischer Konstruktionen des Nationalismus sind nationalistische Schriftsteller, und ihnen folgen die Historiker. Es war im deutschen Sprachraum vor allem die romantische Literatur, welche den Aufbau eines nationalen und bald nationalistischen Mythos begann. Kennzeichnend für die tatsächliche Rolle von Intellektuellen dabei war eines der meistzitierten und heute sicherlich am wenigsten gelesenen Werke, eine Lyriksammlung, “Volkslieder”: “Des Knaben Wunderhorn”. Dieses Opus ist tatsächlich paradigmatisch für eine kulturnationalistische Interpretation der Tradition und die Funktion von Intellektuellen einer bestimmten Kategorie: Zwar stammen tatsächlich fast alle Gedichte dieser Sammlung irgendwie aus einer mehr oder minder fernen Vergangenheit. Doch kaum ein Stück blieb unbearbeitet. Wir haben also die “alten deutschen Lieder” keineswegs in ihrer Originalfassung vor uns. Sie sind alle von Achim vorn Arnim bzw. von Clemens Brentano in ihre aktuelle Fassung gebracht worden. Diese Fassung unterscheidet sich oft drastisch vom Original. Manchmal werden Gedichte miteinander verschmolzen, manchmal der ursprüngliche Sinn ins Gegenteil verkehrt. Es ist also nicht die authentische Tradition, die zählt. Es ist vielmehr ihre intellektuelle Interpretation. Dies gilt in mehreren Schichten: (a) Zuerst interpretieren die Herausgeber und schreiben die gefundenen und ausgewählten Stücke in dem Sinn um, der ihnen zusagt. (b) Dann interpretieren unmittelbar nach dem Erscheinen einflussreiche Intellektuelle. Goethe etwa kommentiert praktisch jedes Gedicht in einer Rezension 1806. (c) Schließlich machen sich die “Kärrner” an die Arbeit, die fleißigen, aber durchschnittlichen Literaturhistoriker; die Lehrer in den Schulen; die Leser und Distributoren. Was herauskommt, ist Literatur im Ricoeur’schen Sinn, eine Folge von Texten, welche aufeinander bezogen sind und zusammen die neue Tradition ausmachen. Gustav Freytag nannte sein literarisches Hauptwerk nach der Gründung des preußischdeutschen Reiches "Die Ahnen", und zur Verdeutlichung setzte er den Untertitel bei: "Bilder aus der deutschen Vergangenheit" (1872 – 1880). Dort konstruiert er literarisch – im Englischen wäre der Ausdruck "als fiction" weitaus aussagekräftiger – die Geschichte(n) der "Deutschen" als Familiengeschichte seit der Römerzeit bis in seine Gegenwart. Wichtig ist die "Familienstruktur" dieser umfangreichen Episodenfolge, denn diese Bilder-Serie aus einer angeblichen "deutschen" Vergangenheit wurde nicht als fiction, sondern als authentische Darstellung von Vergangenheit und Gegenwart gelesen. Diese Wirkung, welche das umfangreiche Werk zu einer Pflichtlektüre insbesondere für Bürgersöhne machte – und die ganze Art der Darstellung ist durchaus von einem spezifisch bürgerlichen Habitus geprägt – , machte die Konstruktion erst zum Erfolg. Interessant ist nun, dass das Schema der Romanfolge in starkem Ausmaß Misserfolg und Opfer darstellt. Bereits im ersten Roman, jenem aus der späten Römerzeit („Im Jahr 357“ steht über diesem Roman), geht Ingo letztlich zugrunde, und nur sein kleiner Sohn überlebt. Ähnliches wiederholt sich fast 400 Jahre später, wobei diesmal der Tod des Helden, Ingraban, als christliches Martyrium zusammen mit Winfried / Bonifatius stilisiert wird. Die nächste Episode, 300 Jahre später, ist ambivalenter, doch bereits die wieder in der nächsten kann sich der Held vor einer (historischen) Frühinquisition nur retten, in dem er sich dem Deutschen Orden zur Eroberung Ostpreußens anschließt. Der Protagonist der Episode aus dem Dreißigjährigen Krieg wird nach dem Friedensschluss von einem persönlichen Feind samt seiner Frau erschossen, und nur das Kind überlebt – ähnlich wie in der Ingo-Geschichte. Usw. Kennzeichnend ist schließ28 lich sein neurotischer Franzosenhass. Diese „verhasste Nation“, diese „fremde Nation und ihr gottverfluchter Kaiser“ (VI, 1880, 210) wird in Ausdrücken benannt, die nur mehr aus dem manichäisch-religiösen Denksystem abgeleitet werden kann, etwa auch, wenn die Phrase: „Noch einmal drang der böse Kaiser ins Land … “ ganz offensichtlich in der biblischen Sprache vom „bösen Feind“, also dem Teufel, ihr Vorbild hat. (Nebenbei: Das erinnerte an die zeitgenössische politische Sprache jenseits des Atlantiks.) Ganz abgesehen davon, dass unterschlagen wird, dass die Koalitionskriege fast immer durch Angriffe oder Kriegserklärungen an Frankreich begannen, liegen hier die Wurzeln jener Haltung, die bereits im preußisch-französischen Krieg, dann aber in großem Maßstab im Ersten Weltkrieg zu Kriegsverbrechen führten, welche man eher im Zweiten Weltkrieg vermuten würde. Freytag war damit nicht der einzige Literat dieser Art. Auch Hermann Löns lässt 1910 seinen "Wehrwolf" – man beachte die Rechtschreibung: üblicherweise schreibt man dieses Fabelwesen "Werwolf" – mit einem kurzen Rückgriff beginnen, welcher die Familie seines Helden bis zur Schlacht im Teutoburger Wald zurückführt. Nicht umsonst wird Löns wenig später von den Nazis als ihr Literat hochgejubelt werden. Nationalistische Rhetorik: Streit um die Zukunft in den Mythen der Vergangenheit - nicht nur in Österreich (Ausschnitt zu 1100 Jahre Ungarn) 29 Gegen diesen dumpfen Mystizismus sticht markant ein italienisches Gegenstück ab, Lampedusas "Gattopardo". In der Form ebenfalls ein Familienroman, lässt er die italienische Nation nicht nur beginnen, als sie wirklich eben entstand, nämlich um 1860 herum. Er führt auch die realen Motive und manche der gar nicht so heroischen Abläufe in einer analytischen Weise vor, welche diesen Roman und einige seiner Kernstücke zu einem Fundstück für den Theoretiker des Nationenbaus und für den Interessierten an italienischer Politik überhaupt macht. Aus Italien stammt auch ein Stück Literatur, welches über allen Zweifel beweist, dass im Grunde alles zum nationalistischen Symbol werden kann. Man hat von Silvio Pellicos “Kerkern” (Le mie prigioni) gesagt, es sei den Habsburgern teurer zu stehen gekommen als eine verlorene Schlacht. Doch der Leser findet nur eine frömmelnde, oft peinliche Erzählung, deren Autor erklärt, er wolle die Politik draußen lassen, und dies in aller Konsequenz tut. Das einzige, das man überhaupt erfährt, ist, dass er wegen “Karbonarismus” verhaftet und verurteilt wurde. Jede Gesellschaft ist darauf angewiesen, in irgendeiner Form Gemeinsamkeit herzustellen. Der Symbolname Ostarrichi soll dazu dienen, die nationale Selbständigkeit abzubilden – und wohl deshalb wenden sich Mediävisten aus der großdeutschen Schule der Zwischenkriegszeit auch gegen entsprechende Gedenktage. Das spricht ein spezifisch österreichisches Muster an: Die Historiker in Österreich verstanden sich bis ins dritte Viertel des 20. Jahrhunderts überwiegend als Deutsche. Felix Kreissler hat am Beispiel Srbik auf die verhängnisvolle Rolle hingewiesen, welche solche Historiker durch ihre intellektuelle Hegemonie für die „Lebensunfähigkeits“-These gespielt haben. Das ist die eine Seite. Die zweite Seite besteht darin, dass sie in ihren Konzepten völlig daneben griffen, dass sie, um es ohne Umschweife auszudrücken, aus ihrem politischen – nationalen – Interesse heraus schlechte Historiker waren. Ihre persönlichen Probleme waren irgendwo in der Mentalität des integralen Nationalismus angesiedelt, sie haben diesen jedoch ins Katholische verbogen. Die Charakterisierung, die Srbik von seinem Großvater gibt (zit. bei Fellner 2002, 331), spricht Bände: „vom geborenen Tschechen zum Kulturdeutschen“. Zum Jahrtausend des ersten Nachweises der Babenberger auf heutigem österreichischen Gebiet erschien in einem nicht unumstrittenen, aber doch angesehenen Verlag eine Übersichtsdarstellung (Lechner 1976). Es ist wert, hier in extenso aus der Edinleitung zu zitieren: Der Autor stellt „den Aufstieg eines deutschen Fürstengeschlechts im Südosten des Reichs … als typisches Beispiel eines deutschen Fürstentums [dar]. … Eines sei hier abschließend unmissverständlich ausgesprochen: Wir werden diese Mark, dieses Herzogtum, dieses Land nie allein, auf sich gestellt, betrachten dürfen, sondern immer hinein gestellt in ein größeres Ganzes, in die verfassungsmäßige Entwicklung des Römisch-Deutschen Reiches, in die Verbindung mit der deutschen Königs- und römischen Kaiserpolitik und der Ostpolitik des Reiches, als sein bedeutsames, aber auch stets gefährdetes und umhegtes Grenzland, als seine Mark und späteres Reichsfürstentum sehen. … Mögen hier je nach politischer Einstellung im einzelnen auch Gegensätze gesehen worden sein, mag die jeweilige Haltung ‚kleindeutsch’, ‚großdeutsch’ oder ‚gesamtdeutsch’ politische Parteiungen hervorgerufen haben, der Historiker darf sich – abgesehen davon, dass diese Gegensätze heute als überwunden erscheinen – dadurch nicht beeinflussen lassen. … Wir können auch das immer stärkere Hineinwachsen dieses Geschlechts und seiner Glieder in die Reichspolitik verfolgen und nicht – wie politische Tendenzen das manchmal wollten – das Herauswachsen aus dem Reich“ (13 30 und 15). Die teils nationalistischen, teils dynastischen Ideologien aus dem 19. Jahrhundert werden somit evoziert, um gentil-feudale Geschichte des Hochmittelalters zu erläutern. Der damals weitgehend sinnlose Begriff „deutsch“ kommt in Fülle vor, und der ganze Ductus erinnert an die Geschichtsschreibung in einem anderen Reich. Das „Reich“ ist überhaupt ein Begriff, der eine unrühmliche Rolle gespielt hat, und heute, auf andere Weise wieder spielt, diesmal im angelsächsischen Sprachbereich. In der Zwischenkriegszeit proklamierte Srbik bereits 1927 ein Drittes Deutsches Reich. Dieses Dritte Reich war zwar nicht so ganz das Hitler’sche, aber zufällig war die Wortwahl auch wieder nicht. Denn das „Reich“ wurde in der österreichischen Zwischenkriegszeit zu einer geradezu mystischen Kategorie, welche in etwa der Nation bei integralen Nationalisten entspricht. Österreichische Historiker verstanden unterschiedliches darunter, je nachdem sie – in ihrer übergroßen Mehrzahl – deutschnational und „gesamtdeutsch“ orientiert waren, oder zur Außenseitergruppe der katholischen Monarchisten gehörten. Für die Ultramontanen war das „Reich“ eine politisch-religiöse Kategorie, an dem sie ihr fundamentalistisches Konzept des politischen Katholizismus entwickeln konnten. Für die Deutschnationalen hingegen war es ein Vehikel der Versöhnung zwischen ihren Nostalgien nach einer „besseren Vergangenheit“ und ihren nationalistischen Neigungen. Der Begriff stand auf halbem Weg zur Säkularisierung, er sollte eine Sinngebung des langen historischen Ablaufs bieten. Dass die nationalen Wurzeln in eine entfernte Vergangenheit verlegt werden, ist die Standardtechnik nationalistischer Ideologie, ein allgemein benutztes Verfahren, welches gar nichts Österreichspezifisches hat. Jedoch, "the process of negotiating such symbols ... is rarely discussed" (Bendix 1994). Und das ist auch ein Problem an diesem Millennium: Jubiläen treffen eine Auswahl jener Traditionen, welche man als Symbol in den Blickpunkt der Aufmerksamkeit stellen will. Vielleicht wird dies anderswo noch deutlicher als in Österreich: Die Schweiz feiert 1998 150 Jahre Bundesstaat, weiters 200 Jahre Helvetik. Doch ihre politische Klasse hat sich weitgehend erfolgreich geweigert, ein anderes Jubiläum auch nur anzusprechen, das mindestens ebenso wichtig für den Bestand der Schweiz ist: 350 Jahre Exemptio ab imperio. Doch die politische Klasse empfindet die Erinnerung an 1648 und die damalige Verselbständigung der Eidgenossenschaft als nicht opportun in einer Zeit, wo sie gegen den Mehrheit des Volkswillens vor allem den Anschluss an die EU anstrebt. So deutlich wird der aktuelle politische Gehalt und der Auswahlcharakter von Jubiläen auch wieder nicht so oft. Was bedeutet also das Millennium? Selbstkritisch gestehen die Autoren eines Begleittextes zur "Österreichischen Länderausstellung" des Jubiläumsjahres ein: "Die Urkunde von 996 ist in der Tat wenig jubiläumsverdächtig. Sie bezeichnet ganz bestimmt kein Datum einer Staatsgründung... 1996 ist auch nicht Jubiläum einer Landnahme." Was dann? Die Aussage ist doch wohl: Österreich feiert 1996 tausend Jahre seines Bestehens. Seines Bestehens? Seines Namens möglicherweise. Das Millennium ist so im besten Fall aus einem Kompromiss geboren, weil man die schärfer konturierten Daten mit ihrem Symbolwert einem Teil der Bevölkerung nicht zumuten zu können glaubte. Es entstand aus dem Rückgriff auf ein politisch wie theoretisch überholtes Verständnis von Nation, den Versuch der langen Tradition, der als Herstellung einer nationalen Tradition heute eigentlich nur mehr eine Erinnerung an ein vorwissenschaftliches Stadium sein sollte. Die Autoren des schon zitierten Textes schreiben weiter: "Es war die junge Zweite Republik, die im Erinnern an 996 einen historischen Anhaltspunkt für ihr neues Selbstbewusstsein finden wollte. Dieses Österreichbewusstsein setzt sich deutlich von den bis 1945 so überaus starken deutschnationalen Mustern ab, die die Erste Republik geprägt hatten. Aber der Rückgriff auf 996 und damit ein kleines Kernland um Neuhofen, aus dem erst später das Land Österreich werden sollte und noch später ein Staat gleichen Namens, bedeutet auch Distanzierung von der habs31 burgischen Geschichte Österreichs. Er symbolisiert erstmals eine Bejahung der Kleinstaatlichkeit, unter Zurückdrängung aller Großstaat- und Großmachtphantasien, die noch das Bewusstsein der Österreicher in der Ersten Republik und im autoritären Ständestaat mitgeprägt hatten." Dies ist trotz des Verweises auf die erstmaligen Feiern dieses Jahres zum 950-Jahre-Jubiläum nicht völlig aufrichtig. Zwar war die Möglichkeit gegeben, damals in dieses neue Jubiläum unterschiedliche Inhalte hinein zu interpretieren – keine unnütze Tugend vieler nationaler Jubiläen. Doch die Erörterungen sowohl zu den Staatssymbolen (vgl. 3.2.3) wie auch zum Nationalfeiertag (vgl. 3.3.2) werden zeigen, dass diese Akzeptanz bei maßgeblichen politischen Kräften eben nicht so eindeutig vorhanden war und heute erst recht wiederum in Frage gestellt wird (vgl. 4.5.2). "Welche Wesensdifferenz besteht zwischen einer Versammlung von Christen, welche die Hauptereignisse im Leben Christi, oder Juden, welche den Auszug aus Ägypten oder die Gesetzgebung feiern, und einer Zusammenkunft von Bürgern, welcher der Einsetzung einer neuen moralischen Charta oder irgendeines großen Ereignisses des nationalen Lebens gedenken?" Durkheim 1994, 610. Möglicherweise ist diese Auseinandersetzung um diese subtile Symbolik überflüssig. Es scheint, als ob die Bevölkerung das Jubiläumsjahr stärker akzeptiert als die intellektuelle Öffentlichkeit, welche sich vorwiegend äußert. In einer Boulevard-Zeitung – deren Geheimnis darin besteht, der Stimmung ihrer zahlreichen Leserschaft nachzufühlen und ihr gegebenenfalls ein wenig auf die Sprünge zu helfen – wird die Entdeckung einer Leserin viel Platz gegeben, dass die Post schon einmal, 1976, mit einem Satz von Sondermarken 1000 Jahre Österreich gefeiert hat. Dieses Datum, dass jedenfalls historisch sehr viel mehr Sinn machen würde, wird nun in dieser Ausgabe mit Datum des Nationalfeiertages als "falsch" und das gerade gefeierte Jahr autoritativ als "richtig" erklärt – dann muss es wohl so sein. ... Das widerspricht allerdings einem anderen Eindruck: Nicht zuletzt, aber nicht nur durch mehrfache Umfragen bei Anfänger-Studenten der Soziologie habe ich den Eindruck gewonnen, dass die historische Begründung von und das historische Raisonnement um die Nation zumindest in Österreich in der Tendenz jede Relevanz verliert. Wie jedoch eben ausführlich dargelegt, hat (Ethno-) Nation seit ihrer Entstehung immer auch in hohem Maß die „historische Tiefe“ gesucht. Nationalistische Intellektuelle haben behauptet, in Burke’ scher Manier eine Gemeinschaft der Lebenden, der schon Verstorbenen und der noch Kommenden zu sein. Nation hat ihr Pathos nicht zuletzt aus der behaupteten langen Dauer bezogen. Geht dieser ideologisch-historische Charakter verloren, so wandelt sich Nation. Was tritt aber an ihre Stelle? Was bedeutet diese Verkürzung des nationalen Bewusstseins für die soziale und politische Stabilität? Die Dimension der Gemeinschaftlichkeit für die Legitimität des politischen Systems – wird sie wirklich überflüssig? Auf diese Punkte werden wir noch mit Bezug auf die EU zurück kommen. Möglicherweise bilden diese beiden Feststellungen – die Freude am historischen Jubiläum in der Bevölkerung und die Skepsis gegenüber dem überkommenen Pathos an der Gemeinschaft bei Studenten – gar keinen Widerspruch. Die Leserschaft des Boulevards, wie er von der „Krone“ repräsentiert wird, ist im Schnitt alt. Es könnte einfach ein Generationenunter32 schied sein. Dann stellt sich die Frage, ob dies nur einen Alters-Effekt oder aber einen Kohorten-Effekt darstellt. Verständlicher: Ob die heute jungen Studenten beim ÄlterWerden schließlich wieder in ein „historisches Bewusstsein“ hinein wachsen. Aus ähnlichen Überlegungen und Untersuchungen würde ich vermuten, dass der Kohorten-Effekkt ausgeprägt sein dürfte, dass sich also ein realer Wandel im Nations-Bewusstsein abzeichnet. Dann aber sind die Fragen des vorigen Absatzes wieder relevant. 1.1 Intellektuelle – Begriffsklärung Gesellschaft ist ein Kommunikationsverbund. Geistesgeschichte ist daher immer Kommunikationsgeschichte. In lokal und regional beschränkten Kleingesellschaften sind die Teilhaber dieses Kommunikationsprozesses tatsächlich alle Mitglieder der Gesellschaft. (Hier gibt es allerdings sofort Probleme, wenn wir die Kategorie Geschlecht vernachlässigen, die in diesem Punkt einen Qualitätsunterschied zu markieren scheint.) Großgesellschaften hingegen – und Nation ist eine staatlich organisierte Großgesellschaft – können nur entstehen und sich erhalten, wenn die sich differenzieren. Auch die Kommunikation durchläuft einen solchen Differenzierungsprozess. Kommunikation wird also zur Aufgabe bestimmter Personengruppen, wie auch spezifische Aufgaben der Kommunikation, die Reflektion über Sinngebung etwa. Damit ist aber auch die Problematik des Einzelnen angesprochen. Elie Kedourie (1986 [1960]) stellt uns in seinem bekannten Werk zum Nationalismus Kant als den Schöpfer einer Ideologie der Selbstbestimmung vor. Der Intellektuelle hebt den Intellektuellen in den Rang des artifex. Es soll keineswegs bestritten werden, dass die eigentliche Leidenschaft der Intellektuellen die Strukturgestaltung ist. Man kann aber mit gutem Recht die Betrachtungsweise umdrehen. Kant wie auch andere seiner Zeitgenossen brachten eine Hauptströmung des allgemeinen intellektuellen Diskurses ihrer Zeit zum Ausdruck. Dem Mentalitätswandel der beginnenden Moderne entsprach der Individualismus. Nun ist aber weiter dazu zu sagen: Die Sichtweise vom einzelnen Intellektuellen her ist durchaus auch berechtigt. Es ist der Einzelmensch der denkt und raisonniert, nicht der „Weltgeist“ oder der Nationalgeist. Allerdings muss man sich der strukturellen Bedingungen und Voraussetzungen bewusst sein, und hier mangelt es meist bei denen, welche diese Art von Ideengeschichte betreiben. Die strukturelle Voraussetzung aber war für Kant zum einen eine Jahrhunderte, ja Jahrtausende alte Tradition der Weltbewältigung in einer ganz spezifischen Begrifflichkeit; zum anderen aber auch die neue Interpretation dieser Begrifflichkeit im Rahmen neuer gesellschaftlicher und politischer Anforderungen und Prozesse. Kommunikation wird in arbeitsteiligen, machtstrukturierten Gesellschaften asymmetrisch, weil sie entlang von Herrschaftsbeziehungen abläuft. Es wird also mehrere soziale Netze mit unterschiedlichen kommunikativen Beziehungen geben. Die lokalen / regionalen Netze bleiben bestehen. Über ihnen werden sich aber auch weitere, gesamtgesellschaftliche Netze bilden. Eine moderne, nationale (d. h.: überregionale) Gesellschaft kennzeichnet sich u. a. dadurch, dass die überregionalen Netze auf eine spezifische Weise mit den lokalen / regionalen verknüpft sind. Für den sogenannten Universalismus traditionaler Intellektuellen in z. B. feudalen Gesellschaften hingegen ist kennzeichnend, dass ihre Verbindung mit den lokalen Netzen gewissermaßen zufällig und nicht "organisch" (notwendig für die Systemerhaltung) waren. Dabei ergeben sich es Probleme, auf die wir im Einzelnen hier nicht eingehen können (Geistliche und ihre Beziehung zur Kirchenhierarchie). Antonio Gramsci verwendet dementsprechend den Begriff des "Intellektuellen" i. S. von Personen mit maßgeblichem Einfluss auf die kulturelle und die politische Entwicklung. Sie geben im Rahmen der gesellschaftlichen Arbeitsteilung die kulturellen Codes und damit das entscheidende Symbolsystem der Gesellschaft vor. Ihre eigentliche Aufgabe ist der 33 Aufbau von Hegemonie. Intellektuelle sind also nicht sosehr durch eine spezifische Tätigkeit gekennzeichnet, als vielmehr durch eine Funktion (Gramsci 1975, 1516). Da Gesellschaft und Struktur sich im Bewusstsein der Menschen konstituieren, sind Intellektuelle als die professionellen Entwickler und oft auch Verwalter (wörtlich stimmt letzteres für Lehrer) der maßgeblichen Begriffe, d. h. der “Wahrheit”, für die Frage mitentscheidend, wie sich diese Struktur konkret darstellt. Hegemonie ist nichts anderes als der erfolgreiche Aufbau solcher struktureller “Wahrheiten”. Dass es immer einen oder vielmehr viele Konflikte darum gibt, sollte selbstverständlich sein. Erstaunlicher ist schon eher das Gegenteil: Dass nämlich Intellektuelle sich in der Regel sehr wohl auf hegemoniale Grundbegriffe und mentale Grundstrukturen verständigen, innerhalb derer dann ihre Auseinandersetzung vor sich geht. Inhaltlich und hinsichtlich der von ihnen vertretenen Interessen werden sie durchaus auf unterschiedlichen Standpunkten stehen. Sie können z. B. antikapitalistisch-revolutionär, prokapitalistisch-apologetisch, oder aber reformistisch sein. Als Gruppe sind sie funktional für die Systemerhaltung, da sich unter ihnen jene längerfristige Diskussion, jenes soziale “Probehandeln” abspielt, welches über die unmittelbaren Interessen der gerade dominanten Schichten hinausgeht. In diesem Sinn stellen sie einen braintrust der Gesellschaft dar, der allerdings weniger technisch, als vielmehr ideell bzw. ideologisch orientiert ist. Es gibt einen ständigen Kampf um die Hegemonie, bei denen die erfolgreichen Intellektuellen immateriell, aber auch materiell viel gewinnen können. Intellektuelle sind eine Gruppe, welche im Rahmen eines Standard-Curriculums ein ihnen gemeinsames Begriffs- und Argumentationssystem, nämlich “Bildung” nach einem bestimmten Kanon,8 und damit einen entsprechenden Kommunikationsstil erhielten. “Bildung” ist vor allem die Fähigkeit, sich in den ideologischen Komplexen der eigenen Zeit geläufig und gewandt zu bewegen. In diesen Zusammenhang gehört auch der Begriff des “Werkes”. Die Bedeutung eines “Werkes” hängt nicht in erster Linie von seinem intrinsischen Wert ab. Der entscheidende, und auch ästhetisch entscheidende Punkt ist, ob es angenommen wird und damit weiter wirken kann – heißt doch aisthesis nichts anderes als Wahrnehmung. Das Argumentationssystem wiederum schlägt sich vor allem in einem bestimmten Jargon nieder, der teilweise modeorientiert ist und am ehesten das wiedergibt, was man oft “Zeitgeist” nennt. Dabei wird es je nach Subkultur natürlich unterschiedliche Ausdrucksweisen geben. Ideologische Komplexe gibt es eine ganze Anzahl, und sie bzw. ihre Vertreter, konkurrieren um die Hegemonie. Das betrifft sowohl die Inhalte, als auch die ihnen assoziierte Stile, Darstellungsweisen und Diskursformen. Im Übergang von der Klassik zur Romantik etwa gab es die Konkurrenzsituation des biblisch-religiösen, des klassisch-antiken, und des frühnational-historischen Komplexes. Der erste ist in Europa nahezu verschwunden, dafür kam ein szientistisch-naturphilosophischer sowie ein individualistisch-psychoanalytischer dazu. Jeder dieser Komplexe bedeutete den Hegemonieanspruch bestimmter Schichten, 8 “Zum sozialen Zusammenhang einer Gesellschaft gehört so etwas wie ein Bildungskanon. Sonst können wir gar nicht miteinander kommunizieren”, meint der deutsche Bundestagspräsident Thierse (NZZ, 27./28. Feber 1999: Ein Haribo von Goethe. Die Zukunft des Zitierens). Die Gestaltung dieses Kanons für alle obliegt nun den Intellektuellen, und nicht zuletzt an diesem Kanon spielt sich der Kampf um die Hegemonie ab. Gerade die erbitterte Auseinandersetzung in den USA um “European Studies” oder “African Studies” zeigt dies besonders klar. Dazu kommt für Intellektuelle die Meta-Ebene ihres eigenen schicht- und funktionenspezifischen Kanons. 34 wobei teils Überschneidungen stattfanden. Uns wird in Hinkunft vor allem der nationalhistorische sowie die letzteren zwei interessieren. Dazu kommt, dass es bestimmte nahezu standardisierte Themen als Ausdrucksmittel gibt. In der Zeit, von der wir eben sprachen, war etwa im deutschen Sprachraum der “Künstler” das beliebte Selbstbild des Intellektuellen. Der nichtetablierte Kleinbürger mit seinem gegenüber der bisherigen Gesellschaft devianten Lebensstil stilisierte sich als Künstler, d. h. als ein besonders “Begabter” und wollte damit von vorneherein eine Legitimation für seine Aspirationen besitzen. Er grenzte sich aufs heftigste gegen den „Philister“, den Kleinbürger, ab. Der gewöhnliche Mensch muss sich vor allem um seinen Lebensunterhalt kümmern, und er tut dies nicht zuletzt, in dem er die Strukturen der Gesellschaft bejaht und sich in ihren Werten einrichtet. Damit erscheint er dem Dichter als ein Mensch ohne Transzendenz und ohne Vision, im besten Fall lächerlich, im schlimmeren der Feind. Die sogenannten Entwicklungsromane dieser Zeit sind Künstlerromane, ob dies „Wilhelm Meister“ (Goethe), „Heinrich von Ofterdingen“ (Novalis), oder aber „Der Goldene Topf“ (E. T. A. Hoffmann) ist. Gesellschaftskritik wurde hier zur Kunsttheorie. Es spielt eine Portion Weltflucht mit, wie gerade aus diesen Romanen zu erkennen ist, aber es ist erstrangig ein platonischer Machtanspruch. In Frankreich und in England derselben Zeit war dieses Bild kaum verbreitet, wiewohl der Machtanspruch dort nicht weniger gestellt wurde. In Mitteleuropa hat es für Teile der Intellektuellen bis heute etwas von seiner ehemaligen Faszination behalten. Zu den Intellektuellen gehören Intellektuelle im Alltagssinn, d. h. eine sich durch hohe formale Bildung legitimierende Gruppe mit der Absicht öffentlicher Intervention. Formale Bildung grenzt sie von Autodidakten ab, die selten die Selbstverständlichkeit des intellektuellen Diskurses als Habitus erwerben, da dies ein langes Training in einem entsprechenden Alter erfordert. – Dazu gehören in einem weiteren Sinn auch Journalisten, auch wenn hier aus pragmatischen Gründen der Großteil auszuklammern ist und lediglich einige bekanntere Namen, die sich aus den einen oder anderen Gründen durchsetzten, zu nennen sind. Damit sollte klar sein: Das Wort "Intellektuelle" ist kein Werturteil. Zu den Intellektuellen gehören auch politische Führungspersönlichkeiten, wenn sie das Kriterium der Geschichtsmächtigkeit erfüllen. Das heißt andererseits aber auch: Dazu gehören keineswegs von vorneherein Spitzenpolitiker, die oft genug zwar große tagespolitische Ausstrahlung haben, jedoch historisch-praktisch spurenlos bleiben. Näher an den üblich verwendeten Begriff heran rückt die Bezeichnung "Sinnproduzenten".9 Allerdings kommt dies analytisch in die Nähe des wesentlich weniger geschätzten Begriffes des "Ideologen". Der weitere Begriff ist jenem der "Elite" sehr ähnlich; doch wollte Gramsci mit seiner Konzeptualisierung gerade den elitistischen Charakter dieses Begriffes vermeiden. Da Intellektuelle in einem ständigen Kampf um die Hegemonie begriffen sind, müssen sie eine Schlüsselrolle im Aufbau von Nationen spielen, der doch vor allem ein Kampf um eine spezifische Legitimierung des politischen Systems ist. Die Politik der Moderne, dass ist das Drama der Intellektuellen, im übertragenen und oft auch im wörtlichen Sinn. Es war 9 Heinz Abosch, Zwischen Denken und Demagogie. Die schwierige Intelligenz. NZZ, 29. Mai 1995. Shils (zit. bei Dahl 1989, 333) definiert Intellektuelle folgend: “Intellectuals are the aggregate of persons in any society who employ in their communication and expression, with relatively higher frequency than most other members of their society, symbols of general scope and abstract reference, concerning man, society, nature, and the cosmos.” 35 vor allem das Drama von Nationalisten und Sozialisten. In wesentlich geringerem Maße traf dies auf die Konservativen zu, auch auf die christlich-demokratische Schattierung. Gerade diese pflegte oft einen ziemlich kruden Anti-Intellektualismus. Denn das eigentliche Drama der Intellektuellen besteht im Wandel, in seiner mentalen Erfassung und Verarbeitung, im Versuch, ihn zu gestalten. Niemand hat dies deutlicher zum Ausdruck gebracht als Karl Marx in seiner 11. These über Feuerbach: Es kommt darauf an, die Welt zu verändern. Das aber war es gerade, was die Konservativen nicht wollten. Trotzdem: Auch auf sie wirkte politische Macht wie ein Narkotikum. Tatsächlich könnte man Nationalismus als eine Ideologie von Intellektuellen auf dem Weg der Modernisierung bzw. beim Aufbau des modernen Staates kennzeichnen. „“In Europa, wo die nationale Idee geboren wurde, waren die Intellektuellen, und insbesondere die Historiker die Hohen Priester der nationalen Ideologien“ (Schnapper 2003, 35). Das gilt für das 19. und die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts. Nationalismus ist heute – um dies vorweg zu nehmen – nicht mehr die Ideologie modernisierter Menschen. Das intellektuelle Gepäck dieser frühen Modernisierer bestand weitestgehend in politischem Klassizismus. Die Inhalte waren bestimmt durch einen halbierten, oft aber durch radikalisierten (Rousseau!) Individualismus. Die Form war ebenso wichtig. Sie bekam ihre Gestalt durch den Bezug auf antikes Schrifttum, auf griechische und vor allem lateinische Klassiker in Prosa und Dichtung. Selbstverständlich ging dies nicht ohne Widersprüche. Langsam wechselte man zudem in das Lager nicht nur der Privilegierten, sondern sogar der Herrschenden. Das ging Hand in Hand mit der Stärkung askriptiver Züge in der Ideologie. Der Endpunkt war die “Rasse”: Analytisch ist dies Askriptivität in Reinkultur, und zwar auf einer wertenden Skala, die im Grunde auf eine Dimension nichtmenschlich – menschlich aufgespannt ist. Doch schon in ethnischen Zusammenhängen spielen traditionale Intellektuelle des jeweiligen Kulturhorizontes eine bedeutende Rolle. Man bekommt tatsächlich den Eindruck, daß soziale Identität als politische Kategorie vor allem ein intellektuelles Anliegen ist, wenn sie über die selbstverständliche Alltagsidentität hinausgeht – letztere ist für alle Menschen unabdingbar erforderlich, weil sie nichts als der Ausdruck intelligiblen Menschendaseins ist. Als bewusstes Bedürfnis leitet sich diese Frage der Intellektuellen von der, schon bis ins karikaturhafte ausgewalzten Fragestellung ab: “Wer sind wir? Woher kommen wir? ...“ In nationalen Kontext kommt dazu jedoch die Frage der Macht und ihre Legitimation. Warum sollte es einem Einzelmenschen eigentlich ein Anliegen sein, dass “China stark ist” (Sun Yatsen 1974, 73 ff.)? Warum sollte er “stolz” sein, ein Deutscher / Österreicher / usw. ... zu sein? Von einem individualistischen Standpunkt, jenem, den Intellektuelle sonst bevorzugt einnehmen, wäre es wesentlich rationaler, selbst stark und reich sein zu wollen, auf sich selbst und seine Errungenschaften stolz zu sein. Wenn ich mich allerdings sehr stark mit einem Kollektiv identifiziere, bekommen diese Haltungen allerdings auch eine gewisse Rationalität. Die Frage verschiebt sich dann: Warum identifiziere ich mich so stark mit einer abstrakten Kategorie, sodass dies entscheidend für meine eigene Identität wird? Lassen wir einmal die Diskriminierung, das Minderheitendasein beiseite, wo ich in eine solche Identifizierung von außen hineingedrängt werde. Jenseits dieser aufgedrängten Identität gibt es vor allem zwei Gründe für eine politische Identifizierung dieser Art: 1) Ich will die Gruppierung “vertreten” in einem Weber’schen Sinn, d. h. sie führen. Damit wird erhöhtes Prestige aus der sozialen Kategorie insgesamt auch unmittelbar mein eigenes Ansehen erhöhen. 2) Als Intellektueller ist man gewöhnlich zu einer hohen Abstraktionsleistung befähigt. Dazu werden sie erzogen und sozialisiert. Das kann jenseits der reinen Machtambitionen durchaus auch die Fähigkeit erhöhter Empathie bedeuten. Doch auch 36 diese Mitmenschlichkeit wird einen Gestaltungswillen umfassen. – Der Unterschied zwischen diesen intellektuellen Identifizierungen und dem “Abfahrtslaufnationalismus” vorzugsweise von Unterschichten besteht im wesentlichen in der politischen Dimension, die beim Intellektuellen zum aktiven Machtanspruch führt, und der stärker sozial charakterisierten Form der Alltagszugehörigkeit. Intellektuelle versuchen ihre nationale Rolle als Träger einer "nationalen Kultur" zu legitimieren. Nun wissen wir mittlerweile: "Kultur" dient in aller Regel als ein Deckbegriff für politische Verhältnisse, die nicht ausgesprochen werden wollen (vgl. Reiterer 1996). Wir werden in der Folge sehen, dass die Berufung auf Kultur gerade auch im Aufbau der österreichischen Nation eine wesentliche Rolle spielte. Doch hat es überhaupt einmal eine nationale Kultur gegeben, dann war sie immer das ideologische Leitbild von Intellektuellen, welche ihre eigene kulturellen Zielvorstellungen zu den hegemonialen machten und diese "national" nannten. Das ist übrigens das Spiegelbild von Nation schlechthin in einem bestimmten Stadium (vgl. unten), eine ziemlich allgemeine Erfahrung, und keineswegs, wie es deutsche Nabelschau nach dem Zusammenbruch des Ostens und dem Anschluss der DDR and die BRD gerne meint, eine deutsche Spezialität (Giesen 1993, 9: “... die Intellektuellen als Erfinder der deutschen Identität”). Als erfahrbare Realität war sie vor dem Zeitalter der Massenpartizipation auf die Intellektuellen und die ihnen angeschlossenen Gruppen beschränkt. Die Propagierung der Hochkultur – die ihn ihren Inhalten seit Jahrhunderten in Europa keineswegs regional, sondern kontinental war und heute international ist – als Nationalkultur ist nur ein Ausdruck der bekannten nationalen Dialektik: National in der Form, international im Inhalt. In der Auseinandersetzung mit dem Phänomen Nation hat der Begriff der "geschichtslosen Völker" eine unrühmliche Rolle gespielt. Geprägt von Hegel (1995), der als Ideologe der Herrschaft darunter Völker ohne Staat verstand, wurde er durch Engels prominent, der Hegel für einen “grundgelehrten Kopf” hielt. Interessanterweise scheint es übrigens keine "geschichtslosen Ethnien" zu geben, wenn man die bezügliche Literatur ansieht. Im Grunde geht es beim Begriff der "Geschichte" in diesem Zusammenhang um den bewussten Aufbau einer Legitimationstradition. Nationen als politische Projekte brauchen diesen Aufbau, nicht aber Ethnien als identitäre Einheiten. Damit löst sich dieser scheinbare Widerspruch denn gerade Ethnien leben aus der Kontinuität - auch schon auf. Es geht um unterschiedliche ideologische Prinzipien, welche von unterschiedlichen sozialen Gruppen verwirklicht werden. Nation braucht eine nationale Intelligenz als ausdifferenziertes Schichtsegment, als Teil eines nationalen Bürgertums. Großethnien, zu Großgesellschaften verschmolzene lokale ethnische Gruppierungen brauchen natürlich auch eine Elite. Aber das können nach gesellschaftlicher Entwicklungsphase ganz unterschiedliche Personen oder Gruppen sein. In vormodernen Phasen sind dies möglicherweise Chiefs, Geistliche, Kleinadelige (aber nie höfische Adelige – vgl. Raeff 1993). In der Moderne werden auch ethnische Einheiten gewöhnlich von einer bürgerlichen Intelligenzschicht dominiert. Der Prozeß der Modernisierung ist geradezu gekennzeichnet vom Aufbau einer Konkurrenzelite, die aus Intellektuellen besteht. Sie werden sich bewusst sehr stark von der traditionellen Elite abzuheben versuchen. Das nimmt nicht selten sogar die Form eines Kampfes um das Aussehen an: Im Südsudan verzichten die “schoolboys”, die “bull-boys”, bewusst auf die Zeichnung mit den Narbenmustern im Prozess der Initiation, die sie als Angehörige ihres spezifischen Volkes kennzeichnet. Mit diesem Verzicht auf die Initiation stellen sie die 37 bisherige Struktur ihrer Gesellschaft in Frage: Ihr Speer ist das “Papier” von Verwaltung und formalisierter Bildung Sie setzen also Intellekt und politisches Geschick10 gegen die körperzentrierten Tugenden der bisherigen Gesellschaft. – Freya Stark (1992) wiederum beschreibt die “Effendies” der arabischen Welt als die Intellektuellenschicht, die nach Ablösung der alten Elite strebt. Sie konnten sich dort allerdings bisher nicht gegen eine andere neue Konkurrenzelite durchsetzen, nämlich die Militärs. Was unterscheidet die ethnische von der nationalen Elite? Es ist der bürgerlich-moderne Staat, in dem sie situiert sind – in der Vormoderne existiert er nicht. In der Moderne ist er nicht der zentrale Focus allen Bestrebens der ethnischen Elite, insofern diese im Unterschied zu nationalen Eliten nur beschränkte Ambitionen mit meist regionalem Bezug hat. Um die Unterschiede in der Begriffsbildung und ihre Folgen zu erläutern, genügt eine Beobachtung in einem Einzelfall: Im Sommer 1972 starben annähernd zur selben Zeit der ehemalige Bundeskanzler Gorbach und Ernst Fischer. Kennzeichnenderweise war etwa der NZZ damals der Tod des österreichischen Alt-Bundeskanzlers nur eine kurze Notiz von ein paar Zeilen wert; Ernst Fischer dagegen, der sich in seinen letzten Lebensjahren als KP-Dissident profiliert hatte, wurde auf derselben Seite in einem langen Nachruf gewürdigt. Zwischen Politikern und Intellektuellen gibt es jene "Expertenkonkurrenz", von denen Berger / Luckmann (1969, 134 ff.) sprechen. Wir dürfen vielleicht die weiteren Ausführungen dieser Autoren nicht ganz zum Nennwert nehmen: Intellektuelle sind sicherlich aus der Sicht der Politiker oft genug "unerwünschte Experten", weil sie Konkurrenten um die Macht, potentielle Gegeneliten sind. Sie jedoch "gesellschaftliche Randexistenzen" zu nennen, ist eher ein Ausfluss aus der Selbststilisierung, die viele Intellektuelle – nicht zuletzt in Österreich (vgl. später) – für nötig halten: Sie wünschen, mit dem Pathos des Tragischen und des Leidens ihre eigene Bedeutung zu steigern, indem sie sich bewusst oder unbewusst in die christliche Tradition der Erlösung durch Leiden stellen. (In moderneren, oft auch zynischen, entsäkularisierten Zusammenhängen tritt das Happening an die Stelle des Erlöser-Leidens.) Die Konkurrenz zu den Politikern besteht allerdings zumindest teilweise. Sie ist Ausdruck einer größeren Autonomie des Intellektuellen gegenüber jener der Politiker, wobei diese Autonomie durchaus nicht immer genutzt wird. Intellektuelle müssen sich dem "Sachzwang" in doppelter Hinsicht weniger strikt unterwerfen als Politiker: Sie haben die Freiheit, über die gegenwärtigen strukturellen Gegebenheiten (die jedoch auch sozial und politisch geschaffen sind, oft vor durchaus kurzer Zeit) weiter hinaus zu denken und damit diese Strukturen selbst zu transzendieren. Sie unterliegen weiters nicht denselben gruppenpsychologischen Zwängen, die Politiker aufgrund ihrer Solidarität zur Gruppe, welche ihnen ihr Amt verschuf, empfinden. Vielleicht noch wichtiger ist: Intellektuelle unterliegen nicht den politisch-administrativen Rekrutierungsverfahren, sie bewegen sich außerhalb dessen. Genauer gesagt: Das Rekrutierungsverfahren von Intellektuellen unterliegt anderen Kriterien, ist wenig formalisiert und in seinem Ablauf auch oft genug schwer durchschaubar und schwer nachvollziehbar. Bürokratien - und Politiker sind in Normalzeiten eine Unterklasse davon – mit ihren extrem formalisierten Routinen können solche Vorgänge nur mit größtem Misstrauen betrachten und sie als Bedrohung ihrer übersichtlichen Welt auffassen. Sie denken dabei, wie es ein Intellektueller, der selbst einen Abstecher in die Politik machte und dabei gründlich scheiterte, formuliert hat: Manche Intellektuelle entwickelten im 10 “The government is divinity” – Hutchinson 1996, 297. 38 Kapitalismus als mögliche Gegenelite “a vested interest in social unrest” (Schumpeter 1975, 146).11 Der Elitenpluralismus ist allerdings eine allgemeine Erscheinung des Nationenaufbaus, keine österreichische Spezifität. Es geht eben immer um die Frage, was eben die legitimen Grundlagen von Herrschaft sind. Unterschiedliche Programmentwürfe haben auch unterschiedliche Gewinnsituationen für verschiedene Elite-Gruppen zur Folge. (Besonders ausgeprägt ist dies sicherlich in den neuen Nationen der Dritten Welt, wo nicht zuletzt die Frage der Einordnung in die Weltordnung zur Debatte steht, s. u.). Wie nun methodisch "Intellektuelle" ausgewählt und von "Nicht-Intellektuellen" getrennt werden, ist ein pragmatisches Problem. In dieser Arbeit wurde es einfach dahingehend entschieden, dass jede kohärente öffentliche Wortmeldung in einer nicht spezifisch beruflichen Angelegenheit einen Intellektuellen definiert. Wenn der Bundeskanzler in einer Regierungserklärung, einer Pressekonferenz oder in einem Interview eine Aussage macht, so ist dies die Aussage des Regierungschefs. Schreibt Dr. Franz Vranitzky einen Artikel in der "Zukunft" bzw. lässt er unter seinem Namen einen schreiben, so hat sich hier ein "Intellektueller" geäußert. 1.1.1 Intellektuelle und 'Universalismus' Überall in hochkulturellen Entwicklungen versuchte man, innerhalb eines gegebenen Kulturkreises für Intellektuelle und Oberschichten einen "Universalismus", d. h. nichts anderes als einen einheitlichen Bezugsrahmen auch in der Sprache durchzusetzen. Dieser Universalismus war sehr relativ und beschränkt. Die Rolle des Lateins ist so bekannt, daß es zum Topos dafür geworden ist. Doch die Sprache war nur der Ausdruck für ein bestimmtes teleologisches, "ökumenisches" Geschichtsverständnis: Wie bei den antiken Schriftstellern die ganze Geschichte auf das Imperium Romanum hingearbeitet war, so dann im Mittelalter auf das, was man Christentum nannte und den westeuropäischen Kulturkreis ausmachte. Dieser Art des Universalismus wurde in schon etwas säkularisierterer Form wenig später, allerdings in etwas anderen Schichten (Aristokratie, Diplomatie) vom Französischen verkörpert. Die heutige Tendenz zur Mondialisierung, die nicht zuletzt eine Durchsetzung des okzidentalen Modells ist, hat ihren sprachlichen Träger im Englischen gefunden. Die geistige Abstammung ist ein wenig kompliziert. Humanismus und schon viel weniger Renaissance waren eine Übergangserscheinungen. Auf der einen Seite polemisieren die neuen Intellektuellen schon gegen das korrupte und verdorbene Mönchslatein, und damit im Grunde gegen eine ihnen nicht mehr adäquat erscheinende Lebensund Denkform. Sie streben danach, ein besonders gutes, "reines" Latein in Anlehnung an die goldene und silberne Latinität wieder herzustellen. Sie sehen darin die wahre Kultur und die wahre Universalität verkörpert. Nicht zuletzt dies eröffnete eine auf die Intellektuellen beschränkte Epoche, die ein halbes Jahrtausend dauern sollte, und nicht nur ideologisch die Grundlagen westeuropäischer Identität bildete. Die Kirchensprache war zur säkularen Intellektuellensprache geworden. Die Auflösung dieser engen und konservativen westeuropäischen Identität spiegelt sich wiederum in der weiteren Entwicklung beim Gebrauch des Lateins. Bis vor wenigen Jahrzehnten, 11 In ihrer Verallgemeinerung ist diese Schumpeter’sche Aussage so grob, dass sie falsch genannt werden muss. Was ist z. B. mit ihm selbst? Derart plakative Behauptungen sind nicht hilfreich für eine Analyse. Denn der größere Teil der Intellektuellen ist mit Sicherheit sehr systemkonform. Es ist kennzeichnend, dass er in späteren Teilen dieses Buches immer wieder glaubt, qualifizieren zu müssen, indem er einen Teil der Intellektuellen mit dem Wort “responsible” belohnt. Die Gramsci’schen Ansätze mit ihrer Differenzierung sind mit Abstand fruchtbarer. 39 in einzelnen Gebieten bis vor wenigen Jahren wurde tatsächlich Latein noch als Sprache des kirchlichen Apparates und auch als Erziehungssprache des priesterlichen Nachwuchs (in den "Seminarien") eingesetzt. Und heute schließlich ist diese Sprache noch immer das (bildungs-) stilbildende Merkmal einer konservativen Gruppe in vor allem zentral- und südeuropäischen Mittelschichten. Die westeuropäische Super-Ethnizität bedarf dessen nicht mehr. Doch ist der schichtenspezifische kulturelle Anspruch auf "den feinen Unterschied" (Bourdieu) noch immer stark genug, um die "lateinische Kultur" z. B. für die Abgrenzung gegen Osteuropa einzusetzen. Wir sprachen eben von der Rolle des Lateins für die Identität Westeuropas. Südost- und Osteuropa hat ähnliche Traditionen. Das hellenistische Griechisch und das Kirchenslawische spielten dort strukturell eine ähnliche Rolle. "Damit die Einheit der Sprachmittel (antike Zitate und Neubildungen in einem einzigen Satz) erhalten blieb, wachte auch die Kirche über die Reinheit der Hoch- und Kunstsprache, die letztlich noch das hellenistische Griechisch der Koiné war und wiedersetzte sich dem Einfluss der Volks- und Umgangssprache" noch im 10. und 11. Jahrhundert (Belting 1991, 298). Sie schuf eine gemeinsame Identität für außerordentlich dünne Schichten, die sich selbst zu Recht als überlokal und -regional definierten. Dies ist die eigentliche Bedeutung der "Universalität" des Lateins im westeuropäischen Mittelalter (von der – missverstanden – Andersons 1983 ganze Argumentation der "nationalen Fragmentation" lebt). Mit einem riesigen Schritt gehen wir jetzt ins 19. Jahrhundert. Der Universalismus der Intellektuellen drückte sich jetzt nicht mehr in der gemeinsamen Bildungs-Sprache aus. Es war eher ein gemeinsamer Rekurs auf einheitliche theoretische Vorstellungen, welche sich erheblichst von den Alltagsorientierungen nichtintellektueller Volksschichten unterschieden. “Philosophie” als damaliger Begriff für Theorie bildete die gemeinsame Grundlage für Intellektuelle unterschiedlichsten Typus’, von jenen, die sich auf “Besitz und Bildung” beriefen bis zu den Revolutionären, die im Namen eines bestimmten Zieles der Weltgeschichte auftraten. Unter diesen Gruppierungen erlangten bald jene Hegemonie, die sich um den Begriff der Nation sammelten. 1.1.2 Beamte und Bürokratie Es gibt eine Gruppe, deren Rolle gesondert betrachtet werden muss. Wenn man im 19. Jahrhundert zu Beginn der parlamentarischen Vertretungen von "Besitz und Bildung" als den Fakten sprach, welchen politische Partizipation gewährt werden sollte, da war "Besitz" eindeutig als die klassische Bourgeoisie zu identifizieren. Ein bisschen unklarer ist für uns heute die soziale Identifizierung der "Bildung". Für die Zeitgenossen dürfte es hingegen ziemlich klar gewesen sein, dass der Hauptharst dieses Pfeilers die Beamtenschaft im weiteren Sinn darstellte. Und doch müssen wir mit einer gewissen Verwunderung feststellen, dass wir die Beamten kaum in die aktiv nationalisierenden Schichten12 und nicht in den Begriff des Intellektuellen aufnehmen können. Doch erschienen sie durch ihre soziale und politische Funktion geradezu prädestiniert für eine solche Rolle. Wie erklärt sich dieser Widerspruch? Wir haben bereits dargelegt, wie Nation aus zwei antiparallelen Prozessen entsteht, aus Staatsaufbau einerseits und ethno-nationaler Vereinheitlichung mit dem Ziel einer gemeinsamen nationalen Identität andererseits. Nationenbau ist eine revolutionäre Angelegenheit. Doch diese revolutionäre Phase setzt auf der traditionalen Struktur der Ethnizität auf. Sie ändert in der Folge die sozialen und politischen Verhältnisse der betroffenen Gesellschaft 12 Bismarck spricht allerdings in seinen Erinnerungen (1998, I, 62) von den „Sympathien der [preußischen] der höheren Beamtenschichten theils für die liberale, theils für die nationale Seite der Bewegung“, fügt allerdings hinzu: „ein Element, das ohne einen Impuls von oben wohl hemmend, aber nicht tatsächlich entscheidend in’s Gewicht fallen konnte“ [nämlich für die aus seiner Sicht versäumte radikale Niederschlagung der Revolution]. 40 von Grund auf. In diesem Sinn kann Nationenbau als eine Facette der bürgerlichen Emanzipationsbewegung gesehen werden. Das hat zur Beachtung jener Akteure geführt, welche die revolutionäre Seite verkörpern. So fiel der charismatische Führer ins Auge, denn Charisma ist eine der wichtigen umstürzlerischen Faktoren in der Geschichte. Ein Akteur geriet bisher kaum ins Blickfeld der Aufmerksamkeit. Doch wenn wir das politische System in den Vordergrund stellen, kann man die Bürokratie kaum überschätzen. Die Bürokratie ist die eigentliche und reale Verkörperung des Staates. Es gibt einen mittelalterlichen Ablauf, der zeitweise in besonderem Maß in der deutschen Geschichtsschreibung nationalistisch umstritten war, der jedoch gerade unter dem Aspekt der Herausbildung der Intellektuellen von hohem Interesse wäre: der sogenannte Investiturstreit. Mitte des 11. Jahrhunderts kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen der Römischen Kirche und dem okzidentalen Kaisertum, den mittelfristig die Kirche gewann. Die Kirche war bis damals ganz selbstverständlich in die rudimentären politischen Strukturen einbezogen gewesen („Reichskirche“). Unter dem Stichwort des Kampfs gegen die Simonie (kirchlicher Ämterkauf) und auch dem Impuls volksreligiöser Bewegung begann nunmehr eine intellektuell-bürokratische Bewegung um die politische Macht. Humbert von Silva Candida weitete den Begriff der Simonie in seiner Schrift „Contra simoniacos libri III“ um 1058 auf die sogenannte Laieninvestitur aus, die Einsetzung von Bischöfen durch den König. Doch diese kirchliche Reformbewegung, dieser Kampf um die „Freiheit der Kirche von allem Laieneinfluss“ (Jordan, in: Gebhardt I 1954, 254) war nichts anderes als der politische Wille der damaligen Intellektuellen zur Macht. Es war politischer Platonismus pur. Es sollte „der freie Geist wirken“ (so die Formulierung bei Kempf, in Jedin III/1 1966, 407). Geist kommt nur innerhalb der Intellektuellengruppe vor. Sie muss sich selbst autonom organisieren. Das Ziel der Eigenverantwortlichkeit war in dieser Konstellation ein Herrschaftsanspruch ohne jede Kontrolle. Der Anspruch und die Phantasie der klerikalen Intellektuellen – andere gab es damals nicht – war schlicht Allmacht. Besonders deutlich wird dies in der politisch entscheidenden Figur, den römischen Bischof Gregor VII. Er muss wahrscheinlich, zusammen mit Leo IX., zum ersten Mal im analytischen Sinn als Papst bezeichnet werden. Er war Ideologe und hochgradiger Fanatiker. Das führte zu seinem persönlichen Scheitern (römischer Bischof 1073 – 1085), wogegen politisch geschicktere Nachfolger den Kampf im wesentlichen für sich entschieden. Im „Dictatus papae“ erhob Gregor politische Allmachtsansprüche. Doch was dort niedergeschrieben ist, wurde bis zur Gegenwart innerhalb der Römischen Kirche selbstverständliche Wirklichkeit. Das intellektuelle Konzept wurde zur bürokratischen Wirklichkeit, allerdings nur in einem eingeschränktem Bereich nichtstaatlicher Vereinsorganisation. Die grobe Dichotomie zwischen "traditionalen" und "modernen" Gesellschaften wird hier ungenügend. Das, was wir traditionale Gesellschaft nennen, ist immer eine Gesellschaft vor unserer eigenen Moderne. Sie kann peripher-bürgerlich, feudal oder auch gentil sein. Jeder dieser Gesellschaften entspricht eine andere Struktur der Politik. Mit Poulantzas (1978) können wir etwas vergröbert sagen, dass erst bürgerliche Gesellschaften (eventuell auch orientalisch-despotische) einen Staat entwickelten, denn erst diese brachten einen autonomen Staatsapparat zuwege – die Bürokratie eben. Doch auch vorher hat es politische Gemeinschaften gegeben. Die ersten Wurzeln der Bürokratie finden wir so in der abendländischen Entwicklung auch schon im Feudalismus. Das "falsche" und das "richtige" Jubiläum 41 Erst als langsam eine dünne bürgerliche Schicht entstand und gleichzeitig dieses seltsame Gebilde des Heiligen Römischen Reiches zur formalen Hülse verkam, wurden auch die Bürokratien etwas größer. Gleichzeitig wechselte auch der Personenkreis, der sie trug. Aus den Klerikern wurden damit "clercs" – Beamte. Die Ausbildungsstätte war für sie von Anfang an die Universität, welche ihnen auch ihre intellektuelle Identität lieferte. Damit profilierte sich die Universität, die zuerst die Ausbildungsstätte der Kleriker gewesen war, zur Wurzel der modernen Bürokratie. Nie aber war sie bisher Ort des Adels, gegen den sie in bestimmten Ausmaß in ihrer mittelalterlichen wie in ihrer neuzeitlichen Form gerichtet war. Sie war immer der Ort einer Gegenelite und ist dies – bis auf kurze Augenblicke (so in Mitteleuropa etwa in der Zwischenkriegszeit) – auch bis in die Gegenwart geblieben. So wird es denn auch nicht erstaunen, dass schließlich die Universität zu der Pflanzstätte des Nationalismus wird. 42 Doch es gibt eine andere bürokratische Institution neben den Zivilbeamten. "Mächtiger als die Bekehrungssucht christlicher Priester hat ein anderes Element zur Zerstörung der alten Ideenwelt beigetragen: die Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht, die hier erst sehr spät erfolgt ist. Denn während ehemals die kriegstüchtige Mannschaft vom Heeresdienst durch Reklamation großteils befreit wurde, wird sie jetzt unweigerlich unserer Marine einverleibt. Dadurch verändert sich mit einem Schlag der ganze Gesichtskreis des eingestellten jungen Mannes. War bisher ein einziges Dorf der Nehrung seine Welt, so tut sich ihm jetzt die Erde in ihrer ganzen Größe auf.. Er lernt Kameraden aus anderen Gegenden seines Vaterlandes sowie Leute aus fremden Ländern und deren Anschauungen kennen. Aufgeklärt kehrt er in den Kreis der Seinen zurück. Seine Interessen haben sich erweitert." Der Freiherr Julius von Negelein spricht so 1902 über die Kuren und HaffLitauer in Ostpreußen (Rudolph 1989, 17). Knapp 30 Jahre vorher hat ein anderer Beobachter dasselbe festgestellt: "Viele von den Söhnen gehen auf die Kriegsmarine, kehren nach wenigen Jahren als vollkommene Deutsche zurück und führen diese Sprache gar wohl in der Familie ein... Die Kuren haben kaum ein Bewusstsein ihrer Nationalität und noch weniger das Verlangen, sie zu bewahren. Das Deutsche vertritt ihnen die Kultur, die Vornehmheit, und so verschwinden die beiden Nationalitäten jährlich mehr und mehr" (Passarge 1878, in: Rudolph 1989). Auch in nichtnationalen Zusammenhängen war völlig plausibel in bürokratischen Apparatstaaten bereits das Militär ein mächtiges Instrument ethnischer Vereinheitlichung. Wir stellten schon fest, dass Nationen-Bildung auch ein Prozess von Oben nach Unten ist. In diesem Prozess spielt das Militär als strukturierte Organisation eine wichtige Rolle. Wir sehen nun, daß diese Institution einfach durch ihre Alltagswirkung auch erhebliche Effekte ethnischer Vereinheitlichung haben kann, wobei ethnische Vereinheitlichung in wesentlich stärkerem Ausmaß (aber keineswegs ausschließlich) auch von unten nach oben verläuft. Hier ist nicht zu vergessen, dass gerade in dieser Zeit das Heer auch ein Kanal für einen bescheidenen Aufstieg ländlicher Unterschichten, in bescheidenerem Ausmaß auch des städtischen Proletariats war. Sie konnten bei entsprechenden Anstrengungen Unteroffiziere werden. Das ist für die Habsburger-Monarchie und das Zarenreich einigermaßen bekannt. An diesem Punkt hätte Anderson wesentlich fruchtbarere Überlegungen zur Nationalisierung ansetzen können, als an seinem Lieblingsbeispiel der mittelalterlichen Pilgerfahrten, die damals angeblich Universalität hergestellt hätten. Wir kommen hiermit auf eine interessante Spur: Bürokratie - Beamte und Militär - sind den Strukturen des Staates, nicht jenen der Gesellschaft verpflichtet. Unter bestimmten Umständen können kurzfristig insbesondere Militärs Ersatzfunktionen im Nationenbau und der Modernisierung übernehmen, wenn z. B. ein autoritäres Regime der Bevölkerung jeden Zugang zur Staatsmacht versperrt. Sie haben ja die Macht zu intervenieren. Doch wenn sie der Versuchung der Macht unterliegen und selbst die politische Klasse bilden wollen, zeigt sich ihr Kastencharakter. Als die Verkörperungen des top down-Prozesses stehen sie politischen Partizipationsprozessen regelrecht entgegen. Wie sehr nun auch die institutionalen Strukturen des Staatsaufbaues von Bedeutung für den Nationenbau sein mögen, setzt die nationale Identität als das gesellschaftliche Scharnier zum Staat doch auf einer anderen Ebene an. Das Bewusstsein von gleichen Einzelnen und von Gruppen ist hier von überragender Bedeutung. Um ein solches aufbauen zu können, ist die Möglichkeit positiver Identifikation unabdingbar. Doch Bürokratie ist in der frühen Phase und bis zum Beginn des Hoch-Nationalismus vor allem Instrument des Gewaltapparates Staat, fordert also nicht zur Identifikation, sondern allenfalls zum Widerstand heraus. Das ist mit Blick auf ihre 43 Klientel, die Untertanen, gesagt. Doch auch die Beamten selbst hatten wenig Möglichkeit zu einer positiven kollektiven Identifikation, welche über ihre engsten Standesinteressen hinausging. Es war ihnen üblicherweise (im Habsburgerstaat formell) verboten, nicht nur sich politisch zu organisieren, sondern auch nur politische Überzeugungen haben zu dürfen. Heindls (1990) Motto über ihre Arbeit zur Bürokratie bis 1848 aus einer Grillparzer' schen Travestie der "Zauberflöte" markiert dies nicht schlecht: "Beschäftigt meine Beamten mehr, denn ich höre, ... sie lesen", sagt da die Königin der Nacht. Auch der manchmal ins Vorbild stilisierte Josephinismus wurde bald zum Symbol dieser Art von Beamtenmentalität. Selbst wenn heute noch ab und zu ein Beamter sich selbst "Josephiner" nennt – und diese Selbstetikettierung kommt einem erstaunlicherweise in der Gegenwart immer wieder einmal unter – , dann ist dies gewöhnlich ein Hinweis auf einen sich aufklärerisch gerierenden Autoritarismus. Es ist einfach der Anspruch, etwas besser zu wissen als die von der Amtshandlung betroffene Bevölkerung. Die Beamten als Schicht sind daher funktional nichtintellektuell und als nationale Sprecher außerordentlich schlecht geeignet. Es war kein Zufall, dass in der österreichischen Geschichte nur solche ehemalige Beamte eine innovatorische Rolle spielten, welche diesem Stand schließlich den Rücken zudrehten. In der Zeit der Monarchie, vor allem im Vormärz, gab es eine Reihe von Literaten oder auch von Musikern, welche ihr Amt lediglich als Versorgungsstelle nutzten. Doch auch sie waren entweder völlig monarchiefromm (Grillparzer) und a- bis antinational, oder aber sie mussten ihre Stelle schließlich verlassen. Da sich die Beamten, wenn überhaupt, mit den Strukturen des Staates und nicht der Bevölkerung identifizierten, waren sie im Habsburgerstaat natürlich die letzten, von denen man die Rolle nationaler Sprecher erwarten konnte. Sie dienten der Machterhaltung. Intellektuelle als Gegenelite zielen gewöhnlich auf Veränderung. Hier sind allerdings einige Unterschiede zu machen. Auch Lehrer oder Professoren sind ihrer arbeitsrechtlichen Stellung nach Beamte. Sie aber wurden nach 1848 auf der regionalen und lokalen Ebene häufig zu den Distributoren nationalen Gedankengutes. Doch dabei sind Einschränkungen vorzunehmen. Dies gilt vorrangig für "deutsche" Lehrer, also Angehörige der dominanten Nation Cisleithaniens. Sie und nur sie waren einigermaßen geschützt gegen Pressionen und Sanktionen von oben, wenn sie ihren Nationalismus nicht übersteigerten. 44 2 DIE ÖSTERREICHISCHE ENTWICKLUNG Die Nation ist eine spezifische Form des historischen Blocks. Sie stellt ein bestimmtes und historisch lokalisiertes Verhältnis von ziviler Gesellschaft zum Staat dar. Folglich müssen die sozialen Grundbeziehungen und insbesondere auch das wirtschaftliche System als Einflussgrößen auf die politischen Institutionen die Nationen-Entwicklung in starkem Maße gestalten. Wir müssen uns also um die wirtschaftlichen Grundlagen sowie um den politisch-administrativen Staatsaufbau als Voraussetzungen des Aufbaues von Nation bzw. des modernen Staates in Österreich kümmern. Man könnte sagen: Wir betreiben Entwicklungstheorie am Beispiel Österreich. Der Kapitalismus, die Marktwirtschaft, sollte der liberalen Theorie nach die räumlichen Strukturen vereinheitlichen. Doch das ist keineswegs der Fall. Zumindest bisher hat er, im Weltmaßstab wie auch auf der nationalen Ebene selbst, die regionalen Ungleichheiten eher verschärft. Gegenwärtig könnte sich in hochentwickelten Ländern ein etwas anderer Prozess anbahnen. Doch aus dieser bisher i. a. wachsenden Ungleichheit zwischen den Regionen als den räumlichen Abbildern regionaler Gesellschaften erwuchsen Konflikte. Jede soziale und politische Mobilisierung von Interessen braucht auch einen Identitätskern. Dieser mag sich ethnisch, kulturell, religiös oder sprachlich kleiden. Welche Erscheinung immer er auch annimmt, er ist funktional als Träger sozialer Ungleichheit einerseits, als Träger einer Gleichheitsbestrebung andererseits zu sehen. Ökonomische Entwicklung muß also immer in irgendeiner Weise auch die nationale Bewußtseinsbildung beeinflussen. Allerdings ist bisher keineswegs klar, wie und in welcher Weise. Damit gilt es, wesentliche Grundsätze einer solchen auch ökonomisch orientierten Analyse zu benennen. Es stellt sich die Frage: Können wir die Verbindung dieser Basisstrukturen zur Entwicklung nationaler Identität nicht nur postulieren, sondern analytisch und damit im nächsten Schritt auch empirisch modellieren und herstellen? Welche Zwischenglieder, welche Rahmenbedingungen spielen eine Rolle? 2.1. Methodische Überlegungen Es gibt keine "ehernen Naturnotwendigkeiten" der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung. Dieser Punkt ist in größtmöglicher Deutlichkeit herauszustellen. Ohne dies wirklich zu begreifen, wird es nie eine wirkliche Entwicklungstheorie geben. Beachtet man jedoch den probabilistischen Charakter von Entwicklung und Geschichte, so entgeht man auch den vielen sterilen Auseinandersetzungen, wie sie gerade die Entwicklungspolitik prägen. Diese ist geprägt – man ist versucht zu sagen: verunstaltet - von der Frage nach der einzig richtigen Entwicklungsstrategie. Allerdings ist die absurde Art, wie man uns in Schulen Geschichte beibringt, nicht dazu angetan, den differenzierten Blickwinkel auszubilden. Man könnte sogar sagen: Wir müssen vorerst einmal Deterministen werden, um Abläufe verstehen zu lernen. Erst dann können wir uns wieder den Luxus gestatten, zu einer befriedigerenden, nämlich probabilistischen, Sicht zurückzukehren. Eine bestimmte Politik kann günstige oder ungünstige Voraussetzungen für den Entwicklungsprozess schaffen. Eine Garantie für das Gelingen wird sie aber nie bieten können. Zu jedem gelungenen Prozess im Anschluss an eine bestimmte Politik werden sich Gegenbeispiele des Scheitern finden lassen. Die scholastischen Auseinandersetzungen, in der Gegenwart vor allem um die Frage liberal-freihändlerischer oder planend und oft protektionistischer Politik geführt, beachten den wichtigsten Punkt nicht: Gesellschaft ist eine multiple Struktur aus verschränkten Teilnetzen. Eine prinzipiell zielführende Wirtschaftspolitik kann daher sehr wohl durch Wirkungen anderer Strukturen zu Fall gebracht werden. Umgekehrt kann auch eine wahrscheinlich wenig günstige Politik einmal Erfolg haben, wenn 45 glückliche äußere Zufälle mitwirken. So ist es ziemlich wahrscheinlich, dass die Schweizer Industrieentwicklung ohne die Kontinentalsperre gescheitert oder zumindest verzögert worden wäre: Dabei war diese äußere Beschränkung von den Schweizern ganz sicher nicht geplant und gewollt, ganz im Gegenteil (Menzel 1988). Ihr Glück – aus der Sicht im nachhinein – wurde ihnen von außen aufgezwungen. Weiter geht es hier um die politischen Bedingungen der wirtschaftlichen Entwicklung, und nicht nur dieser. Es ist einer der gröbsten vulgärmarxistischen Fehler, die Analyse einfach entlang von Wachstumsraten zu führen. Leider ist diese "ökonomistische Irrlehre" (Polanyi 1977) in der Entwicklungspolitik aller Schattierungen gang und gäbe, auch und heute gerade in der liberalen. Nicht unschuldig sind an diesem Zustand die marxistischen Klassiker. Kennzeichnend ist die Polemik Marx` gegen Friedrich List (Karl Marx über Lists Buch "Das nationale System der politischen Ökonomie" in: List 1982, 439 ff.). Sie wurde von seinen Nachfolgern, etwa auch Rosa Luxemburg, ziemlich gedankenlos nachgeplappert. Dabei war es Marx nicht gelungen, mental der logischen Eleganz einer "Wertökonomie" englischer, vor allem ricardianischer, Prägung zu entkommen. Dies ist umso ironischer zu sehen, als etwa Marx selbst in der Rede über den Freihandel diese als Betrügerei bezeichnet hatte, ohne allerdings eine politische Alternative (außer einer sehr abstrakten Revolution) anzubieten. Diese Themen haben heute alle noch ihre Aktualität, auch in Österreich. List war keineswegs ein Nationalist im Sinne des 19. Jahrhunderts. In seiner berühmten Schrift über das Eisenbahnwesen (o. J. [1833]) versuchte er allerdings implizit durchaus nationale Politik zu betreiben, nämlich als Nationenbau im Bereich der Infrastruktur, insbesondere des Verkehrswesens. Das ist ein unentbehrlicher Aspekt eines nationalen Projektes, allerdings nur einer unter mehreren, und ein eher technischer. Ein infrastrukturell integriertes System kann ohne weiteres entstehen, ohne dass deswegen eine Nation entsteht. Das wird gerade im 19. Jahrhundert das Problem “Österreichs”, nämlich Cisleithaniens sein. Umgekehrt ist es schwer vorstellbar, dass eine Nation entstehen könnte, ohne dass sie auch ein Infrastruktursystem entwickelt. Stilistisch und von der Anlage her ist Lists Schrift über das Eisenbahnwesen eine Feasibility-Studie; jedoch eine Feasibility-Studie mit weitreichendem Anspruch auf Entwicklung der Volkwirtschaft durch Verkehrsinfrastruktur. Dabei findet sich interessanter Weise in der ganzen Schrift kaum ein politischer Hinweis, außer den obligaten und werbemäßigen eingesetzten Behauptung über ein größeres “National”produkt. Wie stark der politische Aspekt den ökonomischen tatsächlich überwog – man könnte eine Parallele zu Identität und Interesse ziehen – , zeigt die Frage der Zentren beim Staatsaufbau. Entgegen Deutschs (1979, 19) Behauptung war eine politische Konkurrenz mehrerer Zentren (im deutschen Sprachgebiet z. B. zwischen Wien und Berlin bei Existenz kleinerer Zentren wie München) geradezu eine Garantie für das Scheitern eines Nationalstaatsaufbaus. Anders hingegen stellt sich die Lage bei einer Konkurrenz zwischen politischen und wirtschaftlichen Zentren (Italien: Rom gegen Milano und Torino; Spanien: Madrid gegen Barcelona und Bilbao; Vereinigtes Königreich: London gegen Glasgow und Birmingham/Liverpool; ...). Dies scheint zumindest in einer früheren Phase den nationalen Aufbau nicht behindert zu haben. Möglicherweise steht dies mit den unterschiedlichen Schichten als Träger von Politik (Adel und Bürokratie) und Wirtschaft (Bourgeoisie) in Verbindung. Abgrenzungen der sozialen Identitäten sind bekanntlich immer bezogen auf “Andere”. Wenn sich also Nationalismus selbst durch Bezüge auf Außen definiert, muss die Stellung einer bestimmten Nation in der politischen wie wirtschaftlichen Struktur des Weltsystems 46 mitgedacht und -analysiert werden. Insbesondere die Nation ist eine internationale Struktur, welche aus dem Einzelfall heraus überhaupt nicht verstanden werden kann. Wie wirkte sich nun die internationale Struktur auf die Entwicklung von Österreich-Bewusstsein aus, wie reagierten die Intellektuellen darauf? Allein die Periodisierung lässt bereits erkennen, dass sie eine überragende Rolle spielte. Wir können in etwa folgende Abschnitte erkennen: 1. Die Frühzeit im Aufbau eines nationalen, und zwar bei den Eliten klar deutsch gerichteten, Bewusstseins – bis 1848 bzw. noch einschließlich des Neoabsolutismus – war bestimmt von einer Reihe von sich überschneidenden Tendenzen, die jedoch insgesamt ein gesamtdeutsches Bewusstsein der potentiellen Gegeneliten ergaben. Die Großmacht Habsburg stand am Beginn des 19. Jahrhunderts dem napoleonischen Frankreich gegenüber. Die seit Friedrichs Eroberung Schlesiens akute Konkurrenz mit Preußen war kurzfristig etwas in den Hintergrund gedrängt. 2. Die "deutsche Tendenz" in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ergab sich nicht zuletzt aus der preußischen Hegemonie seit 1866/1871, wobei die Nationalitätenkämpfe im Inneren Cisleithaniens ein deutsches Bewusstsein fast zwingend nahe legten. Hier lässt sich eine interessante Frage stellen: Könnte man die nationale Entwicklung der deutschsprechenden Österreicher im 19. Jahrhundert als eine politische Ambivalenz zwischen der (deutsch-) nationalen Orientierung des Großteils der Intellektuellen einerseits und einer ethnischen Strukturierung eines Großteils der Bevölkerung, welche auf die Länder oder eventuelle auf eine Art deutschösterreichischer Identität bezogen war, sehen? 3. Die erste Republik sah einen Kleinstaat, dessen Bewohner großteils diesen Status nicht akzeptieren wollten und daher, anfällig für Revanche, auf die wiederaufsteigende deutsche Großmacht nebenan schielten. Erst in dieser Epoche wird eines ganz klar: Die NationenKonzeption des 19. Jahrhunderts war im wesentlichen eine Großmacht-Konzeption. Die deutschsprechenden Österreicher hatten dies völlig verinnerlicht, als Teil der „führenden Völker“13. Die neue und für das 20. Jahrhundert kennzeichnende Erscheinung der „kleinen Nationen“ wurde von den nichtdeutschsprachigen Nachfolgestaaten voll und ganz akzeptiert, nicht aber von den Verlierern im nationalen Status. 4. Die Zeit von 1945 – 1991/94 lässt sich in zwei Unterabschnitte gliedern: 4.1 Die Vernichtung der deutschen Dominanz für gut ein Jahrzehnt und die Teilung der Großmacht führte zu neuem, teils instrumentellen, teils echten, Selbstbewusstsein in Österreich. 4.2 In den 60er Jahren stellte sich auf gemäßigte Weise eine, vor allem kulturelle, Dominanz der BRD wieder her – man denke als Indikator nur an die Verhältnisse auf dem Büchermarkt, wo 4/5 der Produkte aus dem “Reich” kommen. Trotzdem war bewusstseinsmäßig nicht der größere Nachbar nebenan politisch, kulturell und wirtschaftlich entscheidend, sondern die Supermacht jenseits des Ozeans. So stellte sich zum ersten Mal in der österreichischen Geschichte eine nationale “Normalität” her. 5. Die neue deutsche Großmacht seit 1991 und der Anschluss an die EU hat Konsequenzen, die im Augenblick noch gar nicht absehbar sind. Um die teils gegenläufigen Tenden- 13 1933 erschien im Deutschen Reich eine „Geschichte der führenden Völker“, hg. von Heinrich Finke, in welchem Hugo Hantsch einen Beitrag über Österreich schrieb, dem einer über den Aufstieg Preußens gegenüber gestellt wurde. 47 zen zu beobachten, wäre es etwa interessant, die Episode des Boykotts der informellen EUMinisterräte infolge der Sprachenfrage zu beobachten. Diese Überlegungen haben Parallelen mit M. Hrochs (1985) Untersuchungen zur Rolle von Intellektuellen Untersuchungen zur Nationenbildung. Hrochs Arbeit wiederum könnte als eine sorgfältige (“europäische”) Ausarbeitung von Gedanken gesehen werden, welche Ende der 60er Jahre schon S. Huntington (1967) geäußert hatte, leider in der bei ihm gewohnten Grobheit und Undifferenziertheit. Nichtsdestoweniger lässt sich an beide anknüpfen und großer Nutzen aus ihren Analysen ziehen. Lassen sich diese entscheidende Prozesse der nationalen Entwicklung in Österreich mit abgrenzbaren Etappen des sozialen Wandels parallelisieren? Ich denke hier insbesondere an einen Vergleich von Kondratieff-Zyklen in Österreich und eventuellen Zyklen des politischen Prozesses. Dies wäre eine Fragestellung von höchster theoretischer Wichtigkeit. Es geht um eine gegenseitige Bedingtheit von strukturellen und Bewusstseinsprozessen. Immerhin wird Nationen-Bildung als Modernisierungsprozess verstanden. Geht dieser Prozess nicht nur von oben vor sich, sollte man gegenseitige Dependenzen erwarten können. Man könnte immerhin mit einer gewissen Logik z. B. argumentieren: Je höher die Wachstumsrate, umso höher ist die Beteiligung von Menschen mittelständischer Herkunft an formaler Bildung. Diese Menschen sind aber in einer traditionalistischen Umgebung die eigentlichen Träger der Nationalismus. Also müsste bei hohem Wirtschaftswachstum nationalistische Bewegungen aufblühen. So konzipiert, wäre dies von einem flachen Mechanismus und wohl kaum zu belegen. "Es scheint keinen Beweis zu geben, daß der Nationalitätenkonflikt, der den gemeinsamen Markt im frühen 20. Jahrhundert zerstört hat, auf wirtschaftlichen Hintergründen beruhte" (Komlos 1985, 24)14. 2.2. Über den Zusammenhang politischer und wirtschaftlicher Entwicklung Nation bezieht sich immer auf den modernen Staat. Der moderne Staat entstand nie aus einem einzigen Klasseninteresse heraus. Er entsprang stets einem (gewaltsamen) Ausgleich deinem Interessen mehrerer Klassen durch einen jeder gegenüber autonomen, wenn auch auf die wichtigsten herrschenden Interessen gestützten Apparat, verkörpert von einem Herrscher oder einer Dynastie. Dieser Punkt ist von überragender Wichtigkeit für jede Staatstheorie. Er zeigt überzeugend, dass Staat, die moderne politische Struktur, nicht einfach nur ein Anhängsel "der" herrschenden Klasse ist, wie es der Vulgärmarxismus, aber auch Lenin will. "Daß der Staat das Organ der Herrschaft einer bestimmten Klasse ist" (Lenin 1974, 399), ist schon recht vergröbernd. Doch Lenin beißt sich am Wort "Versöhnung" fest, wird vollkommen sophistisch und macht damit eine weitere Argumentation beinahe unmöglich. Es geht – neben einer immer wieder auch vorhandenen Befriedungsfunktion von Herrschaft in einem Hobbes’ schen Sinn - um die Autonomie der politischen Struktur, die den modernen Staat auszeichnet. Er entstand aus einer multiplen Herrschaftsstruktur heraus. Der europäische Absolutismus, den wir gewöhnlich als Klassengleichgewicht (nämlich zwischen Adel und 14 Es ist nicht unnötig, nach diesem zustimmenden Zitat zu erwähnen, dass gerade dieser Autor von ausgeprägt ökonomistischer Grundhaltung ist: "Der politische und rechtliche Überbau wurde [in dieser Studie] nur flüchtig erwähnt.... Ich kam zu der Überzeugung, dass politische Ereignisse letzten Endes das langfristige Wachstum nicht beeinflussten... Meine Untersuchung hat dazu geführt, die wirtschaftlichen Errungenschaften durch Mechanismen des anonymen Marktes begreifen zu können... Kurz: Ich suchte die treibenden Kräfte der Wirtschaft nicht in der Regierungspolitik, sondern in der Wechselwirkung der Marktkräfte" (Komlos 1985, 23 f.). 48 Bürgertum) interpretieren, verwirklicht in diesem Sinn auch eine schiedsrichterliche Idee, zum Nutzen des absoluten Herrschers und seiner politischen Machtansprüche. Da er eine gewisse Schwächung des Feudaladels bedeutete, muss er sich in irgendeiner Weise auch für die Unterschichten ausgewirkt haben. Noch anders verhält es sich mit traditionaler Politik. Auch hier müsste empirisch untersucht werden (mit welchen historischen Methoden?), ob diese Politik reine Ausbeutung war, oder ob sie in irgendeiner Weise auch Steuerfunktionen hatte. Ein Hinweis könnte die zwar sicherlich naive Hoffnung bäuerlicher Schichten darstellen, welche den "guten König" (den kralj Matjaz der Slowenen, ...) zu einer ihrer Symbole erhoben haben. Es ist die Personalisierung der Hoffnung auf eine schiedsrichterliches Wirken des "Staates", d. h. jener Machtinstanzen, welche über der unmittelbaren lokalen oder regionalen Schicht der Herrschaftsträger und Ausbeuter liegt. Das könnte man aber den Kernpunkt des modernen Staates nennen. Aus diesem Punkt ist auch der emanzipative Aspekt des frühen Zentralismus zu verstehen, der immer dort auftritt, wo noch eine völlig undifferenzierte, Politik und private Ausbeutungsbeziehungen nicht auseinanderhaltende Herrenschicht Gewalt ausübt. Das Zentrum musste sich in seinem eigenen Interesse gegen die regionalen / lokalen Herrschaftsträger stellen und damit offenbar i. S. einer gewissen Belastung der lokalen Unterschichten einschalten. (Das war in China und in traditionalen Apparatstaaten des Typus der Orientalischen Despotie meist anders, vgl. Franke / Trauzettel 1968, 95). Die Entwicklung des Kapitalismus ging nicht stetig vor sich. Seit Beginn des 19. Jahrhunderts fielen den Ökonomen die regelmäßigen und zeitlich umgrenzten Folgen von Krisen und dazwischen liegenden Wachstumsperioden auf (Schumpeter 1961). In der typischen, naturalistischen Denkweise des Jahrhunderts versuchte man zuerst, sie als Erscheinungen der Natur zu deuten. Jevons entwickelte etwa eine "Sonnenfleckentheorie" (vgl. Schmölders 1967): Der Sonnenfleckenzyklus entscheide über die Ernteergebnisse der Landwirtschaft, und damit auch über die Performanz der Gesamtwirtschaft. Dabei konnte er sich auf gewisse Daten des Astronomen Herschel über Getreidepreise stützen, die dieser 1801 zusammengestellt hatte, und die ihrerseits wieder über das Wetter mit den Sonnenfleckenzyklus zusammenzuhängen schienen. Nun ist Wetter in einer agrarischen Gesellschaft sicherlich nichts, was man vernachlässigen kann. Ob man allerdings wetterbedingte Missernten überhaupt unter das Konzept des modernen Konjunkturzyklus subsumieren kann, ist etwas ganz anderes. Jevons vor allem hatte schon mit einer industrialisierten Gesellschaft zu tun. Die erwünschte Aussage war: Konjunkturen sind also nicht gesellschaftlich (wirtschaftlich) bedingt, sondern von unbeeinflussbaren Naturereignissen abhängig. Diese Ideen entsprachen zwar ganz dem Zeitgeist im Wunsch, soziale und wirtschaftliche Abläufe als ewige Kreisläufe zu diagnostizieren, widersprachen aber nicht nur dem zweiten Wunsch nach einer dynamischen Wirtschaft, sondern zu offensichtlich auch dem langsam zunehmenden Wissen. Man ließ sie daher bald als absurd fallen. Dafür kam der Gedanke auf, nach anderen und langfristigeren Wachstumsmustern zu suchen. Krisen besitzen für Ökonomen sozialistischer Observanz eine besondere theoretische Bedeutung: Nicht zuletzt durch sie setzt sich das "Wertgesetz" durch, werden also Ungleichgewichte korrigiert. Anfang der 20er Jahre unseres Jahrhunderts wurde die Existenz "langer Wellen" (50 bis 70 Jahre) behauptet und plausibel, aber keineswegs über alle Zweifel erhaben, vorgerechnet (Kondratieff 1926). Von einer Reihe von Wissenschafter (oft mit demographischen Einschlag) wurden - nicht immer mit besonderer Überzeugungskraft - noch bedeutend längere Rhythmen behauptet, die "logistics" (Cameron 1992) etwa. 49 Die logistischen Kurven der Bevölkerungsentwicklung sind kaum zu bestreiten, und gerade die Bevölkerung auf dem Gebiet der heutigen Republik Österreich bietet ein gutes Beispiel dafür, wenn man den Schätzungen glauben kann. Doch die Cameron'sche Behauptung geht weit darüber hinaus. Sie behauptet einen zyklenhaften Ablauf der wirtschaftlichen und damit auch der Gesamtentwicklung der Menschheit. „Das Abendland breitete sich während jeder Phase beschleunigten Bevölkerungswachstums kulturell, ökonomisch und auch geographisch weiter aus... Auffallend ist, daß Europa in jeder Phase beschleunigten Bevölkerungswachstums zunächst von intellektueller und künstlerischer Schöpfungskraft übersprudelte und anschließend allerorts monumentale Bauten errichtet wurden" (Cameron 1991, 37f.). Interessanterweise kommt er damit einem ziemlich reduzierten historischem Materialismus näher als er vermutlich selbst dies wahrnehmen möchte, zumal er sich noch davon als "simplifizierend" distanziert (a. a. O., 28f.). Diese Version sollte man allerdings eher "Technologismus" nennen, weil sie auf "epochale Innovationen" setzt, um die Zyklen zu erklären. Damit sind in erster Linie technologische Innovationen gemeint, obwohl der Frage der Institutionen in den einleitenden Sätzen immer auch einige Lippenbekenntnisse gewidmet werden. Hier kommen wir in ein Problem hinein. "Kliometrie" nennt sich eine neue historische Forschungsrichtung, welche allerdings zwei Anliegen mischt, die miteinander nicht notwendig etwas zu tun haben. Das eine Anliegen besteht in der lang überfälligen Erkenntnis, dass quantitative Verhältnisse fundamentale Erkenntnisse der Geschichte allgemein und der Wirtschaftsgeschichte im besonderen vermitteln. Die zweite Annahme besagt jedoch etwas ganz anderes: "Kliometrie ist die Anwendung moderner Wirtschaftstheorien in der Geschichtsforschung" (Komlos 1985, 11). Unter "moderne Wirtschaftstheorien" werden die neoklassischen Grunddogmen verstanden. Nun ist deren Brauchbarkeit schon für die aktuelle Wirtschaftsforschung von begrenztem Wert, und sie werden in der Ökonometrie nur selektiv benutzt. Die Erfahrung des letzten Jahrzehnts in den Transformationsländern hat zudem sichtbar gezeigt, dass sie eine Reihe kulturspezifischer Annahmen treffen, die bislang nur in Seitenströmen von Minderheiten reflektiert wurden (z. B. der property rights-Ansatz, die Neue Politische Ökonomie, u. a.). Was ist nun das Problem? Es besteht nicht zuletzt in der sauberen Trennung von ökonomischen und sogenannten außerökonomischem Verhalten. In vergleichsweise traditionalen Gesellschaften geht die soziale Differenzierung wesentlich weniger in die Tiefe als in stärker modernisierten. Anders ausgedrückt: Der Mensch ist in höherem Ausmaß totale soziale Realität, der seine Handlungen nicht nach unterschiedlichen Handlungslogiken (das ist nur ein anderes Wort für: soziale Institutionen) unterscheidet. Wenn man daher die Institutionen außer acht lässt und naiv Theoreme aus der Gegenwart überträgt, wird die Erklärung problematisch werden. Dies ist für unsere Thematik von überragender Bedeutung: Bedeutet doch Nation, wie weiter vorne besprochen, dass Gesellschaft eine ziemlich klaren Differenzierungsprozess durchlaufen hat – Nation ist in diesem Sinne eine Integrations-Strategie, welche diese Differenzierung bewältigen muss. 50 Langfristige Bevölkerungsentwicklung auf dem Gebiet des heutigen Österreich 9.000.000 8.000.000 7.000.000 5.000.000 4.000.000 Einwohner 6.000.000 3.000.000 2.000.000 1.000.000 0 900 1100 1300 1500 1700 1900 Quelle: ab 1869 Volkszählungen, ab 1526 Klein 1973, vorher Bruckmüller 1985, Sandgruber 1995 Was lag nun näher als der Versuch, ökonomische und politische Entwicklung synoptisch zu sehen, zu koordinieren, und zwischen beiden eine Beziehung herzustellen? Der Grundgedanke heißt: Hegemoniezyklen, Zyklen des Auf- und Abstiegs von Großmächten, folgen den langen Wellen und (was allerdings analytisch eine zweite Aussage ist) sind von ihnen bedingt (Bousquet 1979). Ein wenig übersehen und manchmal explizit verneint wurde ein Gedanke, der sich nahezu zwingend aus eben diesen Überlegungen ergibt: Wenn es eine économie-monde (völlig unzulänglich mit “Weltwirtschaft” übersetzt – Braudel 1986) gibt, muss es gerade nach marxistischen Gedankengängen auch ein politisches Weltsystem geben. Dass Nationalstaaten miteinander konkurrieren, ist kein Gegenargument, sondern eine Bestätigung für die Handlungslogik. – Der Gedanke ist bestechend. Der Nachweis ist bisher allerdings nicht recht geglückt (Wallerstein 1979). Teils liegt dies an einer zu ökonomistischen Auffassung des Problems, also an einer zu einseitigen Konzeption der Wirkrichtung von der Wirtschaft zur Politik, wie sie oben gerade kritisiert wurde. Doch gelingt es, sich davon frei zu halten, so ist der Gedanke, dass es erkennbare Zusammenhänge zwischen ökonomischer und politischer Hegemonie (in beide Richtungen) ein wertvolles Forschungsprogramm, welches wichtige Erkenntnisse verspricht. Allerdings ist dazu der Gedanke zu modifizieren. Die Anziehungskraft von zyklischen Entwicklungsmodellen in der neueren Geschichte ist darin begründet, dass solche Zyklen ein wesentlicher Ausdruck eines sozialwissenschaftlich-nomologischen Denkens sind. Der Grundgedanke verliert allerdings deutlich von seiner Faszination, wenn man realisiert, auf was die meisten dieser Modelle (neben Wallerstein z. B. Kindleberger 1996 oder Olson 1982) hinauslaufen: Die Aussage besteht nämlich hauptsächlich darin, dass Hegemonien oder Dominanzen zwischen den Ländern oder politischen Mächten zirkulieren. Das ist aber wohl eher eine Trivialität als eine Erkenntnis. Man kann allerdings auch dieser Fragestellung einen Sinn abgewinnen: Aus welchen sozialen, politischen oder wirtschaftlichen Gründen werden Gesellschaften hegemonial, oder umgekehrt: fallen in ihrer Bedeutung zurück, nachdem sie einmal hegemonial gewesen waren? 51 Wir gehen hier davon aus, dass die Kondratieff-Zyklen Entwicklungsschübe in bzw. Phasen der kapitalistischen Entwicklung darstellen. Doch die Wirtschaftsentwicklung ist in politische Zusammenhänge eingebettet und von ihnen mitbestimmt. Die wichtigste soziopolitische Entwicklung der letzten zweihundert Jahre war der Aufbau von Nationalstaaten bzw. des Nationalstaats-Modells selbst. Wenn man einen Zusammenhang zwischen Schüben und Phasen der Entwicklung in den Strukturen des internationalen politischen Systems feststellen kann, dann ist dies für Österreich von vorrangiger Bedeutung. War doch das Gebiet der heutigen Republik politisches und wirtschaftliches Zentrum der Habsburgermonarchie bis 1918. Diese wiederum war sicher als Großmacht Europas zu betrachten. Warum hat sich dann die Bevölkerung dieses Gebietes so spät zur Nation entwickelt? Allerdings lag die Hegemonialphase der Monarchie vor der eigentlichen kapitalistischen Entwicklung Europas, die wir mit dem Beginn der Industriellen Revolution in England (der Bequemlichkeit halber um 1775 zu datieren) beginnen lassen wollen. 2.3. Österreich im Rahmen einer Zentrum-Peripherie-Logik Der Raum des späteren Österreich wurde im 1. Jahrhundert v. u. Z. zur wirtschaftlichen, kulturellen und bald auch politischen Randzone des römisch beherrschten Mittelmeers. Es fand eine bescheidene Urbanisierung statt. Damit bildeten sich lokale und kleinregionale Zentren aus, die als Relais nach außen dienten und die Entwicklung des Gebiets gestalteten. In diesen Zentren kam es offenbar auch zur Alphabetisierung der Oberschichten. Wir finden Ansätze einer ganz spezifischen Warenwirtschaft. Letztlich entstand eine spezifische römische Identität, welche sich ständig änderte. Diese peripher-römische Identität war im 5. Jahrhundert zu einer christlichen geworden (Eugippius, etc). Das „römische Österreich“ ist also ein legitimer Begriff, wenn man Österreich als Raum versteht. Die norische Oberschicht hatte sich offenbar rasch assimiliert. „Einer ganzen Reihe von keltischen nobiles wurde schon in augustäischer Zeit das römische Bürgerrecht verliehen“ (Gassner u. a. 2002, 77). Selbst die nördlich der Donau gelegenen Länder des heutigen Österreich waren schließlich weitgehend romanisiert (siehe Ausgrabungen an den Leiser Bergen). Was aber heißt „romanisiert“? Da waren einmal die kultischen Elemente aus Rom und aus dem ganzen Imperium. Die provinzrömische Kultur war natürlich in Noricum eine andere als in Syrien. Doch es gab einen administrativen und kommunikativen Verbund, der eben Noricum ebenso einschloss wie das östliche Mediterraneum. Beide Peripherien bezogen sich aber nicht aufeinander, sondern im wesentlichen auf das Zentrum, auf Rom. Der Einfluss dürfte somit indirekt gewesen sein. Somit war der spätere österreichische Raum Teil eines politisch organisierten großregionalen Systems. Der heutige Rückbezug darauf, der zumindest eine Zeit lang zur nationalen österreichischen Identität der Mittelschichten gehörte, fiel allerdings der spätantiken-frühmittelalterlichen Zäsur zum Opfer. Das beste Symbol dafür ist nochmals Eugippius: Der Leichnam des Heiligen Severin wurde beim Exodus der römischen Oberschichten mit nach Süditalien transportiert. Man muss nun fragen, was diese Zäsur tatsächlich bedeutete. Es war keineswegs eine Entvölkerung. Der größere Teil der Bauern, auch ein Teil der Städter, sind offenbar verblieben. Wir wissen, dass es in Wien eine Siedlungs-Kontinuität gab. Was hat dies nun für Relevanz? Was es jedenfalls nicht gab, war eine Kontinuität der sozialen Identität. Die Penetration der Welt durch die kapitalistische Warenwirtschaft vollzog sich in Entwicklungsschüben, in denen manche Gesellschaften zu Peripherien gemacht wurden, während es anderen gelang, den Status von Zentren oder zumindest von Subzentren zu errin52 gen. Die Industrielle Revolution hat in den westeuropäischen Ländern zu sehr verschiedenen Zeiten eingesetzt und ist mit höchst unterschiedlicher Geschwindigkeit verlaufen. Insbesondere aber kann auch schon in dieser Frühphase die Entwicklung eines Landes keineswegs als unabhängig von jener der anderen betrachtet werden. Jede Wachstumstheorie, welche dieses Entwicklungsmuster nicht beachtet, muss scheitern. Insbesondere lässt sich die Entwicklung einer Wirtschaft nicht unabhängig von einem globalen System betrachten. Aus diesem Grunde wirken auch die Versuche, der österreichischen Wirtschaftsentwicklung die Rostow`sche Etappenfolge (Rostow 1960, 1973 und 1976) aufzudrücken, im besten Fall aufgepfropft (Gross 1973). Im schlimmeren lenken sie von den wirklichen Problemen ab. Das heißt nicht, dass diese Interpretationsversuche völlig nutzlos sind. Sie können durch einen kritisch zu benutzenden "Take-Off"-Begriff auf wichtige Problemlagen aufmerksam machen. Vor allem geht es dabei um den Punkt, wo nicht jede kleinste Erschütterung die Entwicklung aus dem Gleis wirft und zum Zusammenbruch führt. Doch gerade die österreichische Entwicklung bietet sich für eine Untersuchung nach dependenzanalytischen Konzepten, nach einer Zentrum-Peripherie-Struktur, an. Im politischen Bereich liegt es dann nahe, vor allem die Entwicklung der einzelnen Nationen innerhalb des Habsburgerstaates mit dieser Struktur in Zusammenhang zu bringen: Das Konzept des inneren Kolonialismus hat dabei schön höchst wichtige Erkenntnisse vermittelt und bleibt eine zentrale Interpretation (Hechter 1975). Nationalitätenkämpfe sind für Auseinandersetzungen innerhalb dieser Struktur ein Ausdrucksmittel. Gibt es ein österreichisches Ethnos? Damit wäre eine sich als ethnische Einheit verstehende Identität gemeint, welche quasi als Vorläuferin der österreichischen Nation betrachtet werden könnte. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts verstand man unter „Österreicher“ – wenn man von der Bevölkerung und nicht der Dynastie oder der Regierung sprach – ausschließlich die Nieder- und Oberösterreicher. Weiters gab es die Steirer, die Tiroler, die Kärntner und die Salzburger, natürlich nicht die Burgenländer und auch nicht die Vorarlberger. Hier tritt in der herkömmlichen Historiographie nun ein Problem auf: Es wird sehr wohl ständig von den „Deutschen“ gesprochen, und die deutschsprechenden Österreichern werden ihnen ohne weiteres zugezählt. Die Österreicher hätten sich von den Deutschen „abgespalten“, lautet eine Formulierung. Schon um 1000 u. Z. herum hatte in Europa die wichtigste politische Transformation endgültig stattgefunden, die von einer Stammespolitie zu Territorialherrschaften. Die Mittelaltergeschichte spricht davon unter dem Begriff des "Landesausbaus". Dies und auch die folgenden Entwicklungen gingen mit einer starken Bevölkerungsentwicklung Hand in Hand. Insbesondere bildete sich ein Netz von Städten, wobei quantitativ die Entwicklung vor allem im 13. Jahrhundert einen Sprung machte. Diese Städte bildeten in Hinkunft zuerst neben und dann vor den Klöstern die eigentlichen Standpunkte einer neuen Intellektuellenschicht. Die folgende Entwicklung erlebte einen sozialen und wirtschaftlichen Rückschlag durch die große Krise Mitte des 14. Jahrhunderts, welche man gewöhnlich durch die Pestepidemie in Europa 1347 und in den Folgejahren kennzeichnet. Sie dürfte einen Bevölkerungsrückgang um ein Drittel zur Folge gehabt haben. Allerdings bedeutete dieser in der Wirtschaftsgeschichte eher unter dem Stichwort der "Agrarkrise" abgehandelte Einschnitt keinen dauerhaften Rückschlag. Auch in unserer Region dürfte bereits nach wenigen Jahrzehnten das frühere Niveau wieder erreicht worden sein. Nun begann wiederum eine Kommunikationsverdichtung. Sie wird diesmal nicht mehr vorrangig durch eine Gründungswelle von Städten signalisiert. "Während sich das Netz der Städte kaum 53 verdichtet hatte, sind im Spätmittelalter viele Marktorte und dörfliche Siedlungen durch Ortserweiterungen angewachsen" (Klein 1980, 108). Dabei verschob sich der Siedlungsschwerpunkt im künftigen Österreich immer mehr in den Osten. In der frühen Neuzeit begann sodann die Ausdifferenzierung der politischen Struktur zu einem eigenem Apparat und damit potentiell die Ablöse der direkten Abhängigkeit der Politik von den gesellschaftlichen (z. B. wirtschaftlichen) Herrschaftsverhältnissen. Dieser Punkt ist der wichtigste Schritt in der politischen Entwicklung überhaupt, weil er den Schritt zum modernen Staat bedeutet. Götz von Berlichingen hat uns eine Biographie hinterlassen. Er schrieb sie in hohem Alter, schon über der Mitte des 16. Jh. Diese Schrift besteht aus einer endlosen Aneinanderreihung von Geschichten und Erzählungen über Fehden und Streitereien, wo er sich jedenfalls "im Recht" gegenüber seinen Gegnern sah. Aber dieses Recht wollte er immer höchstpersönlich durch Waffengewalt durchsetzen. Das war in der frühen Neuzeit jener "bellum omnium contra omnes" in der Realität. Er machte das primitivste menschliche Anliegen, die Selbsterhaltung, zum reinen Zufallsspiel. Es war ein allgemeines Anliegen, diesen Zustand zu ändern. Krisenhafte Situationen waren auch hier – wie schon bei den Usurpationen der Tyrannen – Gelegenheiten für die Sieger, die Entwicklung weiter zu treiben. Die Reformation fand zuerst gerade auch in Österreich einen fruchtbaren Boden, und es schien, als ob die habsburgischen Länder eine solide Stütze für die neue Konfession würden. Die Gegenreformation setzte dem ein Ende und damit dem ersten Ansatz einer unabhängigen intellektuellen und politisch-bürgerlichen Entwicklung. Der vollständige Sieg dieses roll back wird die Entwicklung Mitteleuropas noch auf mehrere Jahrhunderte hinaus bestimmen bzw. beeinträchtigen. Im heutigen Österreich wurde damit die beginnende Moderne coupiert und bis nahezu an das Ende des 19. Jahrhunderts verschoben. Als der 30jährige Krieg ausbrach, nutzen die Habsburger die Gelegenheit: "Der Kaiser war entschlossen, seinen Sieg [in der Schlacht am Weißen Berg am 8. November 1620] bis zum Äußersten zu nutzen... 30.000 Familien sollen in der Folge das Land verlassen haben... Zwei Drittel allen Grundbesitzes wurde von der Konfiskation erfasst. In Mähren wechselte fast die Hälfte aller Herrengüter den Besitz.... Der Grundbesitz der Herren, des Hochadels, verdoppelte sich fast in der nächsten Generation, aber es war eine neue Herrenschicht: es waren nicht mehr die Verfechter einer ständestaatlichen Oligarchie, sondern es waren habsburgtreue Herren aus allen Landen, Spanier und Italiener, Flamen und Deutsche, Kroaten und natürlich auch Tschechen, die die Gunst der Stunde zu nutzen wussten, nachdem sie sich 16220 auf der habsburgischen Seite gehalten hatten." Die Verneuerte Landesordnung von 1627 war die "Verfassung" dieser neuen Epoche: "Auf die ständische Renaissance folgte das absolutistische Barock... Die böhmischen Länder [sanken] ... endgültig in die Rolle von Nebenländern, von Provinzen herab" (Seibt 1993, 177 f.). Später als in vergleichbaren Nationenbildungen in Westeuropa begann ein zentralisierender Prozess in den deutschsprachigen habsburgischen Kernländern. Nach einer frühen Verselbständigung der österreichischen Kernländer (Privilegium Minus 1256 – Appelt 1983) stockte die politische Integration über ein halbes Jahrtausend lang. Der springende Punkt für die Nationenbildung ist, dass diese Länder staatsrechtlich nie eine Einheit bildeten. Sie hatten z. B. auch keine Generalstände, sondern waren in Personalunion unter den Habsburgern versammelt. "Das Prinzip der Unteilbarkeit des ganzen Bestandes der Länder brach sich nur langsam und unter wiederholten Rückfällen Bahn" (Bernatzik 1911, 3). Ein eher später 54 staatsrechtlicher Einigungsversuch, die sogenannte Pagmatische Sanktion 1703/ 1713 (Texte bei Bernatzik 1911, 1 – 48), mit der die Unteilbarkeit der Erblande bzw. des gesamten Länderkomplexes statuiert wurde ("ohnzertheilt"), zeigte kaum Wirkung. Zusätzlich darf man nicht vergessen, dass es daneben noch das "Heilige Römische Reich" gab, über dessen Kaisertitel die Habsburgerherrscher ihr höchstes formales Prestige bezogen. Mittlerweilen ist es bekannt genug, dass dieses "Reich" trotz seines Mangels an irgendwelchen positiven Impulsen, negativ noch immer eine Struktur war, welche zu allen anderen Rückständigkeiten hinzu ein nicht unwichtiges Hindernis der Nationenbildung in diesem Raum war. Es ist insofern nicht uninteressant, wenn zu dieser Zeit ein junger schlesischer Dichter, Johann Christian Günther nämlich, in einem 500 Zeilen langen Gedicht der Marke Lob und Hudel (“Auf den zwischen Ihro kaiserl. Majestät und der Pforte An. 1718 geschlossenen Frieden”), ausgerechnet auf den Prinzen Eugen bzw. teils auch auf Karl VI., plötzlich einen frühen deutschen Nationalismus demonstriert: Das Wort deutsch kommt hier ein halbes Dutzend Mal vor, und auch Hermann taucht plötzlich als “Ahnherr” auf (wessen? des Prinzen Eugen? doch wohl eher Karl VI. oder vielleicht auch der Mannschaft). Im übrigen darf man auch nicht vergessen, in welchem Zusammenhang die Pragmatische Sanktion entstand: Es war der Spanische Erbfolgekrieg, welcher die Verwundbarkeit einer rein dynastischen Konstruktion zeigte, zumal, wenn diese noch eingeengt durch Auffassungen war, wie sie etwa die eindeutige Priorität der männlichen Erbfolge war. Als dieses dynastische Regelwerk 1713 in seinen wichtigsten Dispositionen verabschiedet wurde, waren die Habsburger gerade im Begriff, trotz ursprünglicher massiver Überlegenheit ins Lager der Verlierer dieses Krieges abgedrängt zu werden. Das war sicherlich zum einen politische Unfähigkeit. Doch dazu kam ein Quentchen Pech: Der Tod des für die mitteleuropäischen habsburgischen Länder sowie für die Kaiserstellung vorgesehenen Prätendenten warf die bisherigen Interessen der Verbündeten über den Haufen. Sie hatten kein Interesse an einer Personalunion zwischen Spanien und den habsburgischen Erblanden mit Zubehör. Aus dieser Konstellation ergab sich übrigens noch etwas, was im Augenblick von geringer Bedeutung war, langfristig sich jedoch als entscheidend erweisen würde: Aus dem Erbfolgekrieg ging auch Preußen nicht nur gestärkt, sondern mit neuer Legitimität (Königstitel) hervor und wird nun eine europäische Macht, mit der man bald rechnen wird müssen. Wenn man etwa bedenkt, dass die englisch-schottische Parlamentsunion etwa zur gleichen Zeit (1707) durchgeführt wurde, zeigt sich grell der archaische Charakter des Versuches, über eine rein dynastische Regelung die Einheit dieses Länderkonglomerates herzustellen. Mindestens ebenso kennzeichnend ist, dass die späten Versuche einer Umstrukturierung der Monarchie sich bis ins 20. Jahrhundert hinein noch immer ganz formal auf die Pragmatische Sanktion beriefen. Doch die Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert bedeutete für Österreich trotzdem den Übergang von einem Staat auf mittelalterlich-feudaler Rechtsgrundlage mit teilweise noch personalistischen Bindungen zu einem territorialen Flächenstaat mit autonomem Staatsapparat. Der Prozess verlief langsam und graduell. Wirtschaftspolitisch und fiskalisch drückte er sich in einem ständigen und schließlich qualitativen Bedeutungsverlust der Regalien und Kronländer als Quelle der Staatsfinanzierung aus. "Die Auffassung, dass Staatseinkünfte das Privateinkommen des Herrschers waren, das er nach Gutdünken ausgeben konnte, ließ sich nur sehr schwer ausrotten" (Miller 1983, 226). Privatvermögen des Kaisers und Staatsvermögen wurden schließlich getrennt. Zunehmend übernahmen Steuerein55 nahmen die Finanzierungsfunktion. Diese waren vom Rechtsstandpunkt dieser Zeit Eingriffe in das Privatvermögen. Die Stände, vor allem der Adel, mussten diese daher erst bewilligen. Dieser mühsame und oft wenig ergiebige Prozess war somit gleichzeitig ein Aufbau des (modernen) Staates auf Kosten bisheriger Rechtsträger – ich vermeide das Wort "Souveränitätsträger", obwohl es berechtigt wäre, weil es heute so stark belastet ist. Die Dynastie bemühte sich, ihre Finanzquellen auf andere soziale Schichten zu verlagern, vor allem das Bürgertum. Dazu musste dieses aber erst einmal in der Lage sein. Die logische Folge war eine gewisse Förderung des Bürgertums. Der Hof unterstützte Manufakturgründungen durch Privilegien, gründete solche teils auch selbst (Mikoletzky 1966). Dies ist der konkrete Inhalt der abstrakten Formel, der Absolutismus ist die (frühbonapartistische) Politik des Klassengleichgewichts. In der Habsburgermonarchie ist diese Politik mit dem Namen des Hofkammerpräsidenten Thomas Gundacker von Starhemberg verbunden (Holl 1976, Berenger 1984). Diese Förderung des Bürgertums war ein höchst widersprüchlicher Prozess. Er zeitigte auch nicht so schnell Wirkung wie erwünscht. Daher gab es Tendenzen, der Staat möge die wirtschaftliche Entwicklung selbst in die Hand nehmen, wie die schon erwähnten Manufakturgründungen. Damit traten mit dem Merkantilismus im mitteleuropäischen Raum zum ersten Male Begriffe wie Volkswohlfahrt und Nationalkapital in Erscheinung (Kellenbenz). Man könnte den Merkantilismus vielleicht überhaupt als Ausdruck einer protonationalen Wirtschaftspolitik sehen. Allerdings ist damit nur eine Dimension des nationalen Phänomens erfasst, wenn man auf die Zentralisierung in administrativer Art abzielt. Diese und die wirtschaftliche Penetration eines Gebietes geht im Hochabsolutismus natürlich noch nicht Hand in Hand mit der Suche nach einer Legitimation der Herrschaft durch Volkssouveränität – und damit dem Versuch, der Politie einen gemeinschaftlichen Charakter wenn schon nicht zu geben, so doch zumindest vorzuspiegeln. Insgesamt war diese Politik nicht allzu erfolgreich (Srbik 1907). Sie wurde zu wenig konsequent betrieben. Das lässt sich an einem Detail als Indikator anschaulich darstellen. Der moderne Staat und konsequenterweise auch schon der sich modernisierende bedarf systematischer Information über seine Bewohner und deren Verhältnisse. In diesem Sinne ist die amtliche Statistik richtigerweise als ein wesentliches Kenzeichen dieses Staates bezeichnet worden (Giddens 1987, 179 ff.). Wir dürfen darüber hinaus nicht vergessen, dass eine der Leitwissenschaften (oder Ideologien?) der Moderne, die Ökonomie, aus dem Bemühen entstand, die Ressourcen von Staaten systematisch abzuschätzen, einerseits, um eine relativ rationale Besteuerung durchführen zu können, andererseits um die Kräfteverhältnisse zwischen frühmodernen Staaten (insbesondere Frankreich und Großbritannien) auf eine reale Basis zu stellen. So entwickelte Sir William Petty (1986) Mitte des 17. Jahrhunderts die Grundbegriffe der politischen Ökonomie. Wir sehen dabei, dass der Begriffsbestandteil “politisch” alles andere als Zufall war. Das waren allerdings damals noch private Bemühungen, ebenso, wie Datensammlung und Datenaustausch der ersten demographisch interessierten Intellektuellen. Doch in dieser Zeit begannen auch schon die systematischen Versuche seitens der Staatsapparate, Daten insbesondere in Hinblick auf ihre “Peuplierungspolitik” zu sammeln, vor allem mittels Volkszählungen. Hier müssen wir nun feststellen, dass die Maria-Theresianische Volkszählung von 1754 ähnlichen Unternehmungen in anderen Staaten in der Qualität in nichts nachstand. Bald aber kamen vergleichbare Bemühungen im Habsburgerstaat nahezu zu einem Stillstand. Erst für das Jahr 1828, um kurz vorzugreifen, haben wir ein Statistisches “Handbuch” für den Habsburgerstaat – und zwar in sechs handgeschriebenen (!) Exemplaren. (Es soll weitere 94 Kurzfassungen gegeben 56 gaben – Zeller 1979, 20.) Die gesammelten Daten etwa über Steuereinnahmen und Staatsausgaben waren nur für die Staatsspitze, und in verringertem Umfang für die oberste Gruppe der Bürokraten bestimmt; alle anderen sollten sie nichts angehen, wie es im Vorwort dieser – man ist versucht zu sagen – Kuriosität ziemlich deutlich heißt. Joseph II. schließlich versuchte sich im Staatsaufbau von oben herab – heute würden die US-abhängigen Sozialwissenschafter wohl sagen; „nation-building“. Er wurde zum Idol der Bürokraten schlechthin, weil er selbst als der oberste Bürokrat auftrat. Das unterschied ihn auch von seiner Mutter, Maria Theresia, die viel stärker dem Typus der barocken absoluten Herrscher entspricht. Der moderne Staat aber ist bürokratisch-einheitlich, und das strebte Josef an. Aus verschiedenen Gründen scheiterte er. Erst die napoleonischen Kriege bedeuteten einen wesentlichen Schritt zur vollen Durchsetzung ungeteilter staatlicher Souveränität, auch auf fiskalischem Gebiet. Überhaupt lässt sich verallgemeinernd sagen, dass Kriege immer einen Quantensprung der "Staatsquote" (um diesen heutigen Begriff zu benutzen). Sie geht nachher nie dauerhaft auf das alte Niveau zurück. "Staatliche Ausgaben nach einem Krieg ... (pendeln) sich auf höherem Niveau als in der Vorkriegszeit ein" (Schissler 1982, 377). Diese Staatsquote kann aber in diesem Zeitraum und bis in die Gegenwart durchaus als Modernisierungsindikator betrachtet werden: Nach Deutsch (1953) hat Nation als eine ihrer Hauptfunktionen bei der nationalen Integration Umverteilung zu besorgen. Dafür muss sie über einen erhöhten Teil des Nationalproduktes verfügen. Wie sie zu dieser Verfügungsmacht kommt, ist allerdings eine andere Sache – es geht praktisch immer nur auf dem Weg des "Staatsnotstandes". In den USA war der Krieg zumindest zweimal ein Wendepunkt im Aufbau eines zentralisierten Staates. Weil als unabdingbare Notwendigkeit erschien, was vorher nur eine kleine Gruppe von Politikern und Intellektuellen vertreten hatte, stärkte er entscheidend die Zentralgewalt gegen die Einzelstaaten. Krieg macht eine in der Tendenz totalitäre Politik für die Bevölkerung plausibel. Das beginnt bereits im Frieden mit der allgemeinen Wehrpflicht: Liturgische Leistungen sind mit dem Zugriff auf die menschliche Person direkt verbunden und deswegen von ihrem Charakter her bereits total. Von hier ist der Schritt zum Totalitären nicht nur sprachlich sehr kurz. - Schon der Erste Weltkrieg war für die USA nicht von derselben Bedeutung wie für Europa. In Europa war er für die kriegsführenden Staaten eine Angelegenheit auf Leben und Tod. Er hat schließlich tatsächlich die Vorkriegsordnung zum Einsturz gebracht. Für die USA war er hingegen ein klassischer Krieg, wenn auch in etwas größerem Maßstab. Doch er blieb ein wenn auch kostspieligerer imperialistischer Krieg, in den die USA auch nur eher kurz verwickelt waren. So waren denn auch die Rückwirkungen im Inneren nicht zu vergleichen mit denen, welcher dann der Zweite Weltkrieg für die USA brachte. Typischerweise entstand der militärisch-industrielle Komplex mit dem jetzt starkem staatlichen Interventionismus während des Zweiten Weltkrieges und nicht schon ein Viertel Jahrhundert zuvor. In diesem Zusammenhang ist es sicher lehrreich, das nachzulesen, was Lenin über die deutsche Kriegswirtschaft des Ersten Weltkrieges schrieb. Überhaupt sind die Quantensprünge der Staatsquote in Kriegen zu beachten! Kriegswirtschaft ist auf einem Gebiet das, was Staatsinterventionismus vorgibt, auf allen Gebieten zu wollen. Es war jedenfalls eine starke Regierung des big business. Mit diesem Komplex – und nicht etwa schon während des New Deal – entstand schließlich der starke Staat (dazu vgl. auch p. 68 der "Federalists"). Letzteres gilt auch für die soziale Komponente, die man üblicherweise allein dem New Deal zuschreibt (vgl. Adams 1976, 19 f.). Übrigens realisierten die Behörden zur selben Zeit, welche sozialen und politischen Folgen mit beschleunigter wirtschaftlicher Entwicklung gewöhnlich verbunden waren: Der Ruf nach Partizipation und Selbstbestimmung wurde laut. Er wurde in den Jakobinerprozessen blutig unterdrückt. So bahnte sich jene Politik an, die für den Vormärz kennzeichnend wer57 den sollte. 1802 wurde die Einstellung der Errichtung von Fabriken in Wien und in den Vorstädten angeordnet. Nach dem Staatsbankrott 1811 wurde die Vorschrift gelockert. Sobald die Lage leidlich konsolidiert war, folgten 1822 neue Beschränkungen. Nach einem kurzem liberalen Zwischenspiel (1827 f.) kam 1831 neuerlich eine Gewerbesperre. In der Folge nahm die Staatsgewalt jede Gelegenheit wahr, dem "Liberalitätsprinzip" einen Schlag zu versetzen. Dies alles brachte den bisher recht gut entwickelten österreichischen Ländern den ersten schweren Rückschlag ihrer wirtschaftlichen (und sonstigen) Entwicklung. Erst nach dem Tode Franz I. (1835) begann sich die Situation etwas zu entspannen. Die reaktionäre Wirtschaftspolitik dieses Monarchen hatte in der instinktiven Furcht vor den geahnten gesellschaftsumgestaltenden Folgen einer raschen wirtschaftlichen Entwicklung gewurzelt. Franz hasste den "Industrialismus" als Nährboden des Liberalismus (Zenker 1897, 309 f.): "Die Staaten, welche etwas von der Gefahr der vollendeten freien Industrie, der vollendeten freien Moral und dem vollendeten menschenfreundlichen Handel ahnen, suchen die Kapitalisierung des Eigentums – aber vergeblich – aufzuhalten" (Marx 1953, 309). Mit diesen Behinderungen und Schikanen orientierten sich die deutschsprachigen Bewohner der Monarchie allerdings erst recht nach außen. Der Vormärz wurde auf diese Weise zur Geburtsstunde des Deutschnationalismus im Habsburgerstaat. 2.3.1 Bernard Bolzano (1781 – 1848) – der traditionale Rebell des Vormärz Der Josephinismus hatte weitreichendere Folgen für die intellektuelle Entwicklung als für die wirtschaftliche und politische. Allerdings erwies er sich in seiner Beschränkung als Sackgasse. Die Tradition brach schließlich ab, ohne wirklich geschichtsmächtig zu werden. Das ist mehr als nur für die österreichische Entwicklung interessant. Denn im Grunde waren “die Josephiner” dieselben Typen, wie sie später Max Weber (1981) als kennzeichnend für den frühen Kapitalismus und geradezu schicksalhaft für seine Entwicklung beschrieb. Im Habsburgerstaat wurden sie aber nicht unbedingt zu erfolgreichen Unternehmern, sondern zu Beamten und Privatgelehrten. Die Lebensgeschichte Bernard Bolzanos, geboren in einer Kaufmannsfamilie, gleicht in seinen fast karikaturhaft trocken-rationalistischen Charakterzügen, besonders der Kindheit und Jugend, zum Verwechseln jenen des Benjamin Franklin, welche Weber als das Musterbild des puritanischen Menschen analysiert hat. Er war ein “pedantisch-puritanischer Geist, ... von ausschließlichem Interesse für Nützlichkeit und Allgemeinwohl, ... mit ethischem Rigorismus”, der in seinen Tagebüchern “jede kleinste Ausgabe [verzeichnet] und über jede Stunde des Tages Rechenschaft [ablegt]” (Winter u. a. 1967, 9 f.). Allerdings wird er nach einigen Überlegungen katholischer Priester und Professor an der Prager Universität. Als Rationalist wird er der katholisch-reaktionären Restauration des Kaisers Franz bald verdächtig. Doch anfangs schützt ihn noch sein Beziehungsnetz, da selbst der hohe Klerus teils noch aus Josephinern besteht. Wenn sich allerdings “Papst und Kaiser vereint um [seine] völlige Vernichtung” bemühen (a. a. O., 16), hilft das letztlich auch nichts mehr. Er wird relegiert, kann aber dank des noch immer vorhandenen Schutzes einflussreicher Kreise in bescheidenen Verhältnissen weiter seinen Interessen nachgehen, nämlich der Logik und der Philosophie. Für die politischen Verhältnisse interessiert er sich nur ganz theoretisch. Der angeblich republikanisch und demokratisch Gesinnte ist völlig außerstande, die Prozesse seiner Zeit zu verstehen. Kurz vor seinem Tod geht die revolutionäre Welle 1848 durch Europa – er steht ihr nicht nur verständnislos gegenüber, sondern lehnt sie sogar ab. Ebenso verständnislos steht der Sohn eines zugewanderten italienischen Kunsthändlers, der in Prag nahezu ausschließlich in deutschsprachigen Kreisen verkehrt, den nationalen 58 Bestrebungen überhaupt, nicht nur der Tschechen, gegenüber. Das ganze Leben Bolzanos ist geradezu ein frappantes Gegenbeispiel zur Weber-These. Es zeigt, dass es mindestens ebenso sehr die soziale und politische Struktur ist, welche über die Wirkung des Rationalismus und der rechenhaften Lebensführung entscheidet, als umgekehrt. An Bolzano lässt sich aber auch die Isolierung “österreichischer” Intellektueller von der intellektuellen Entwicklung im deutschsprachigen Raum ebenso wie in Westeuropa erkennen. Hegel bestimmte das politisch-philosophische Denken im deutschen Sprachraum außerhalb Österreichs – in Österreich war er weitgehend unbekannt. Der Habsburgerstaat fürchtete ihn offenbar. Das ist geradezu lächerlich, denn Hegel wäre nicht zuletzt für die Habsburger gut verwendbar gewesen. Doch da waren die Junghegelianer. Diese Revolutionäre bestimmten offenbar das Hegel-Bild, sodass ausgerechnet der Ideologe eines machtorientierten radikalen Konservatismus in "Österreich” unerwünscht war. Ganz zufällig war dies natürlich nicht. Denn Hegel war in seiner Art – trotz seines Staatsmythos, ein Rationalist. Deswegen konnten ihn die Junghegelianer denn auch so leicht “vom Kopf auf die Füße” stellen. Der Habsburgerstaat aber war beherrscht von klerikaler Bigotterie und von Willkür. 2.4. Das 19. Jahrhundert – Die Zeit bis zum ersten Weltkrieg Der josephinische Wunsch, eine von Sprachkriterien unabhängiger habsburgischer Übernation aufzubauen, war gleichzeitig utopisch und reaktionär, weil er die sich an der Sprache entwickelnde Partizipation des Volkes, seine "Souveränität", nicht zur Kenntnis nehmen wollte. Er blieb weitgehend folgenlos, hatte aber noch einmal ein Echo gegen Ende der Metternich-Ära, als Alternativprogramm zum demokratisch orientierten Deutschnationalismus (vgl. Rumpler 1997, 271). Denn schon seit Anfang des 19. Jahrhunderts begann sich die dünne Intellektuellenschicht auf die deutsche Nation hin zu orientieren. Nach gewissen Indizien dürfte das Volk diesen Nationalismus kaum geteilt haben. Doch diese deutschnationalen Kräfte standen später am Ursprung aller österreichischen Parteien, insbesondere auch der Sozialdemokratie. Es gelang ihnen daher, die Frage der österreichischen Identität und Nation offen zu halten. Es ist durchaus interessant, wie in einem deutschen Reiseführer aus Leipzig die Wiener Gesellschaft um 1840 herum charakterisiert wird. Zum einen wird eine gewisse Polyzentrizität bemerkt – nicht völlig überraschend in dieser Sammlung von Ständestaaten: "Es ist kein Zweifel, dass Wien als der Brennpunkt des geistigen Lebens in den deutschen Bestandteilen der Monarchie betrachtet werden darf, wiewohl es nicht – wie Paris die bewegenden Kräfte ganz Frankreichs verschlingt und sozusagen alle Individualitäten in einen einzigen lebendigen Organismus verwandelt – die Strebungen in den deutschen Provinzen in gleicher Weise an sich zieht; die letzteren sowohl als die Hauptstädte der nicht deutschen des Kaiserstaats wirken wohltätig auf das geistige Leben in Wien zurück, und auf solche Art erhält sich ein großartiger Wechselverkehr zwischen den Nationalitäten" (Duller o. J., 109 f.). Der intellektuelle bürgerliche Reiseführer betont schließlich die intellektuelle Hegemonie des Adels und der "Geldaristokratie". Das Bürgertum ist erst im Aufstieg begriffen, und die mittlere Bürokratie kommt schlecht weg, wird als beschränkt und dünkelhaft charakterisiert. Eine historische Arbeit der neuesten Zeit bekräftigt dies: "Das neue Berufsethos des Beamtenstandes war ... spezifisch 'mittelständisch' (und mittelmäßig) und unterschied sich wohl überall in Europa grundsätzlich von den aristokratischen Idealen" (Heindl 1990, 236). Über Russland hat man Mitte des 19. Jahrhunderts gesagt: “Jetzt ist klar ersichtlich, dass der innere Prozess der bürgerlichen Entwicklung in Rußland nicht 59 früher als zu jenem Moment beginnt, da sich der russische Adel der Bourgeoisie zuwendet” (Belinski an Annenkow, zit. bei Plechanow 1975 [19895], 405). Wortwörtlich dasselbe hätte man auch über das vormärzliche Österreich sagen können – und über das habsburgische Österreich bis 1918 überhaupt. Auch die Frage, was eigentlich schlimmer sei: der Kapitalismus oder das Fehlen, die mangelnde Entwicklung des Kapitalismus, hätte man für Österreich stellen können, und tat dies später dann auch. Von Interesse ist auch, wie etwa die Fronleichnamsprozession als der Höhepunkt aller kirchlichen Feste als das religiös-politische Zeremoniell schlechthin beschrieben wird, an dem alles, was in der Stadt irgend Rang und Namen hat, teilnimmt. Sie ist gewissermaßen spätbarockes "Großes Welttheater". Doch die Beschreibung der kirchlichen Feste geht völlig bruchlos und unvermittelt in jene sonstiger Faschings-Vergnügungen in Musikgärten und Strauß'schen Konzerten über. Es ist diese Art von Wien- und Österreichbild, das Phäaken-Stereotyp, welches bis in die Gegenwart nicht völlig verschwunden ist und noch immer das österreichische Image bei Nichtösterreichern prägt. Was der Reiseführer allerdings nicht erzählt, ist der Hass, den dieser Metternich'sche Staat damals sowohl im Ausland als auch bei seinen eigenen Untertanen, sofern sie versuchten, die Augen ein wenig offen zu halten erweckte. Damals wurde zum ersten Mal die Grundlage eines nationalen Selbstbewusstseins beinahe irreparabel beschädigt: Alle jene, welche deutsch sprachen und die habsburgische Knute nicht als das höchste der Gefühle sehen konnten, begannen sich zu diesem Zeitpunkt auf Deutschland zu orientieren. So glaubten die Eliten des 19. Jh. fast durchwegs, sie seien Deutsche. Die demokratische Bewegung der Monarchie wird sich über alle Gegensätze hinweg deutschnational ausrichten. Das war umso leichter, als ein politisches Deutschland gar nicht existierte, man sich also sehr leicht ein Traumland zurechtzimmern konnte. "Deutschland" wurde so für einen Teil des intellektuellen Bürgertums zur politischen Utopie. Man könnte meinen, dies sei ideal für eine Projekt-Auffassung der Nation. Wie wenig dies daraus folgt, zeigt die Stellung Franz Schuselkas. Schuselka (1843) kann als ein früher integraler Nationalist beschrieben werden. Sein ganzes Selbstwertgefühl bezog er aus dem erhebenden Gefühl, „Deutscher“ zu sein – obwohl sein Name auch nicht gerade „urdeutsch“ (mehrfach in seinen Schriften) klingt. Doch er steckt auch in einem gewissen Dilemma. Denn, überzeugt davon, dass „alle kleinen und isolirten Staaten zur Ohnmacht, zum langsamen Absterben verdammt sind“ (62), ist er staatsfromm und dynastietreu. Obwohl „Liberaler“, ordnet er doch sein politisches Programm dem ethno-natioalen Wunsch unter, welchen er trotz aller auch nationaler Unterdrückung bei den Habsburgern aufgehoben sehen wollte. Dafür ist er bereit, seine Augen vor jeder Realität zu schließen bzw. diese seinen Wünschen nach zurecht zu biegen und zu interpretieren. In einigen Zügen kann er aber durchaus für den Typus des deutschen Nationalisten heran gezogen werden. Seine Sprache ist religiös: „Aber Gott verlässt die Deutschen nicht, und wenn er sie züchtigt, ist er ihnen am gnädigsten“ (3). Deutschland – was das ist, ist wieder nicht ganz klar, gewöhnlich meint er bürokratisch damit den Deutschen Bund – , Deutschland ist also Israel, das auserwählte Volk. Der Gedanke einer österreichischen Eigenständigkeit wurde jedoch von den meisten mit den verhassten Habsburgern verbunden. Das bis heute klassische literarische Zeugnis für diesen Hass bildet eine Schrift. die einen ungeheuren Einfluss auf das Image des Habsburgerreiches gerade auch im übrigen Europa ausgeübt haben dürfte, geschrieben von einem aus Brünn geflohenen Mönch, der als Schriftsteller bekannt wurde: Charles Seals60 field (1994). Karl Postl (1793 – 1864), wie er ursprünglich hieß (vgl. auch Grünzweig 1986), empfand jenen Hass, von dem er selbst schreibt, und der sich nicht zuletzt gegen die Person des Kaisers Franz selbst richtet, der bei ihm in den schlimmsten Charakterzügen erscheint. Er hat das Bild geprägt, das wir dann Jahrzehnte wiederfinden, das "deutsche China" (MEW 9, 97), wie sich Marx verächtlich ausdrückte. "Kaiser Franz ist eigentlich in allem und jedem das Vorbild der Österreicher. Sie betrachten ihn wie einen Vater oder eigentlich wie einen Aufseher, dem sie sich jederzeit nähern dürfen, und dem sie sich in allem unterwerfen. Ihre Gemütart entspricht sosehr der des Kaisers, daß aus dieser Seelenverwandtschaft das beste Einverständnis zwischen dem Österreicher und seinem Herrscher entstehen müßte.... Dieses Volk, trotz seines Hanges zum Essen und Trinken, sicher eines der besten und gutherzigsten auf Erden, wird merkwürdigerweise allgemein verachtet. Dafür gibt es zwei Gründe: Der eine ist der blinde Gehorsam gegen den Herrscher, welcher die Österreicher dazu führt, im Augenblicke, wo sie es mit der Regierung zu tun bekommen, aus Liebedienerei noch mehr zu leisten, als ihnen befohlen wird... Der zweite Grund ist der Mangel an jeglichem nationalen Selbstgefühl oder an Tugenden, welche dieses erweckt... Der Kaiser kann nichts dafür, wenn die Österreicher noch nicht das geworden sind, was sie sein werden, wenn sein System noch zehn Jahre fortwirkt: die niedrigsten und treulosesten Menschen auf dem Erdenrund" (Sealsfield 1994, 156, 158, 176). Es war natürlich nicht die Person Franz I., die entscheidend war, obwohl in einem absolutistischen Regime selbstverständlich persönliche Defizienzen zu systematischen werden. Es war das Regime. Es war sein Nachfolger, der schwachsinnige Ferdinand, der mitten im 19. Jahrhundert. tatkräftig vom Provinzadel unterstützt, nochmals eine Protestantenvertreibung inszenierte. Aus dem Tiroler Zillertal wurden 1837 ein knappes halbes Tausend von Protestanten vertrieben, weil sie angeblich eine Gefahr für die Tiroler „Landeseinheit“ bildeten. 2.4.1 “Biedermeier” – Malerei als verordnete Ideologie Bäuerliches Elend und Beschränktheit wird zur Idylle, zum bewusst ideologisierten Leitbild vom "einfachen Leben" und der Bescheidung: Es sind die Städter welche dieses Bild erträumen, welches Ferdinand Georg Waldmüller und etliche seiner Zeitgenossen in die Malerei umsetzten. Biedermeier nennt man nicht nur die Periode, sondern seit etwa einem Jahrhundert auch diese Malerei. Es hat keinen guten Ruf, trotz mancher Versuche einer Wiederbelebung heute (vgl. Frodl / Schröder 1992). Verlogenheit und süßliche Schilderungen bis zur unfreiwilligen Satire und Karikatur bei handwerklich oft meisterlicher Durchführung ist ein Markenzeichen. Was sie weiters besonders charakterisiert, ist ihre eindeutige Verankerung in der Vormoderne. Während man in Paris bereits die Autonomie der Kunst proklamierte und der Impressionismus entstand, bramarbisiert F. G. Waldmüller in Wien noch von der “läuternden Moral” und der “echten Religiosität” als den wahren Aufgaben der Kunst – und wird dafür ein halbes Jahrhundert später zum “Rebellen” empor stilisiert (Frodl 1987, 1f.). Man kann daran den Abgrund ermessen, welcher diese Personengruppe in seinem abgeschlossenen Reich von der neuen Zeit trennte. Es kommt einem der Slogan der gleichzeitigen deutschen Religionskritik in den Sinn: “Religion – hier müsste es sinngemäß heißen: “Kunst” – ist Opium für das Volk.” Was so besonders auffällt, ist die Obrigkeitshörigkeit dieser Malergruppe, die nicht umsonst vom Kaiserhaus enorm gefördert und geschätzt wurde: Ein erheblicher Anteil unter ihnen malte nicht nur ständig die Angehörigen des Hofs, sondern war auch sehr 61 direkt vom Hof abhängig, als Beamte im Kunstbetrieb ihrer Zeit (Johann Peter Kraft, Peter Fendi, Albert Schindler, usw.). 2.4.2 Die Romantiker und ihre “Österreich”-Begeisterung “Natur / Landschaft” auf der einen Seite, “Geschichte” auf der anderen waren bei den Romantikern geradezu unlösbar assoziiert. Sie sahen beide als etwas ohne die Beeinflussung durch den einzelnen Menschen Gewordenes, als Schicksal somit. Sie sind in diesem Sinn beide “Struktur”, in welche sich erst episodenhaft aufgefasstes historisches Geschehen einschreibt, ob dies die dynastische Propaganda von der Frömmigkeit Rudolf von Habsburgs ist, oder aber Alltags- und Volksfestgeschehen. Landschaften, das war in der vorher gehenden Malerei nur Kulisse für den Auftritt der (dynastischen) Kulturheroen. Die Historienbilder hatten die ideologisch hochstilisierten Topoi der Geschichte darzustellen. Nun hat sich der Schwerpunkt verschoben. Die Landschaft wird nun selbst zur Trägerin der Transzendenz, nicht mehr zur festgefrorenen Bühne für die Mythologie. Das alte Dorf und die Burg, oft als Ruine, ist schließlich jener Topos, welches den Übergang von Natur und Geschichte ebenso wie den Ablauf der Geschichte symbolisiert. Schließlich ist im Vergleich zum vorhergehenden Klassizismus zu beachten: Die Vergangenheit heißt jetzt nicht griechische oder römische Klassik, sondern “Mittelalter”, das Codewort für die angeblich eigene Geschichte, die eigene Vergangenheit. Sollte man die Romantiker, die einen Bezug zum Habsburgerstaat hatten, charakterisieren, so fällt ihre enge Allianz mit den Herrschenden auf, die sich trotzdem stark von den Biedermeiern unterscheidet: Waren jene einfach brave Untertanen, so müssen die Romantiker eher als religiöse Fundamentalisten gekennzeichnet werden, wenn man eine Parallele heute sucht. Allerdings waren sie obrigkeitsfromme Fundamentalisten. Sie glaubten, in den Habsburgern die Garanten ihrer Art des Katholizismus gefunden zu haben. Sie irrten sich nicht im antimodernen Affekt der Dynastie, übersahen aber völlig, dass für diese die Religion vor allem instrumentellen Wert besaß. Das hinderte viele unter ihnen nicht an persönlicher Frömmelei. Den Anti-Rationalismus teilten sie mit diesen Alliierten allemal. So waren habsburgischen Romantiker eine typische Intellektuellenbewegung. Doch im Gegensatz zu ihren deutschen Kollegen konnten sie kaum auf eine Mobilisierung im Volk zählen. Das also war der Ausgangspunkt für die Bildung der Moderne. Es gab in der neueren Geschichte dieser Gesellschaft einige Paradigmenwechsel im Legitimationsschema. Das kann nicht verwundern, wenn der Bruch in der politischen Geschichte in Rechnung gestellt wird. Es konnte durchaus vorkommen, daß Autoren völlig konträr zu ihrer seinerzeitigen Intention verwendet wurden. Das passiert in allen nationalen Mythenbildungen. Als Albrecht von Haller 1729 die “Alpen” schrieb, da betrieb er Rousseauismus avant la lettre: Es ging ihm um Kulturkritik und um ein Gegenbild zu seiner städtischen Gesellschaft. Er selbst dürfte nicht im Traum auf die Idee gekommen sein, hier ein Loblied auf eine “Schweizer Nation” zu schreiben. Wer dieses lange Gedicht (490 Verse!) liest, ist eher erstaunt von der - wenn auch von Sympathie getragenen Distanz: Ohne nähere Informationen käme man kaum auf die Idee, daß hier ein Berner über einen Teil des Kantons Bern schreibt. Man denkt . und das ist sicher beabsichtigt - eher an die edlen Wilden eines fremden Erdteils. Nichtsdestoweniger wird er ein Jahrhundert später als Kronzeuge des Schweizer Nationalcharakters angerufen werden (vgl. Zimmer 1998). Versuchen wir eine Übersicht: 62 1) In der Monarchie lagen zwei Paradigmen, möglicherweise auch drei (was den rationalen Untergrund zur sogenannten ”Lagertheorie” der neueren österreichischen Historiographie bilden könnte), miteinander im Wettstreit, verkörpert von den entsprechenden Intellektuellengruppen: a) Auf der obersten politischen Ebene und entsprechend der politischen Wirklichkeit finden wir den a-nationalen Rechtfertigungsdiskurs der Konservativen, welcher den bestehenden Staat rechtfertigen sollte. Er war in der faktischen Kräfteverteilung dominant, weil er die Grundlage des Staates und der Dynastie darstellte. Geistesgeschichtlich finden wir unter ihnen allerdings wenig Profil. b) Dazu in Konkurrenz stand bereits der großdeutsche und der deutschnationale Entwurf der kommenden neuen Eliten, welche politische vor allem im Reichsrat vertreten waren. Sie bildeten die eigentliche politische Konkurrenz der Konservativen, da sie auf ihre Ablösung abzielten, und bestimmten weitgehend das Bild der Monarchie in der Endzeit. “Besitz und Bildung” sollte die Voraussetzung für politische Partizipation sein. Die politische Kultur, die tatsächlich “Bildung” in einem bestimmten Sinn voraussetzt, und diese wiederum Ressourceneinsatz für eine bestimmte Elementarbildung, wurde in einen Ausschließungsmechanismus verwandelt. c) Ursprünglich ein Teil dieser Nationalliberalen, übernahmen später die Progressisten, und unter ihnen vor allem die Sozialdemokraten die Hegemonie des nichtkonservativen Lagers. Folge war allerdings, daß die Nationalliberalen sich weitgehend den Konservativen anschlossen, sodass erst wieder nur zwei Hauptströmungen übrigblieben. Ausgehend vom Linkshegelianertum - das, wie der Hegelianismus überhaupt, in Österreich nur in Spuren zu finden war, waren doch Kant und Hegel auf den österreichischen Hochschulen verpönt übernahmen sie bald marxisierende Phrasen. Das wurde schließlich sogar zum eigentlichen Identitätsmerkmal. Ihrer Ohnmacht im Realen entsprach die kompensatorische These vom zwangsläufigen Ziel der Geschichte. Der intellektuellen Anmaßung entsprach die Vorgabe, in einem angeblich “objektiven Interesse” der niedrigeren Klassen zu sprechen. 2) In der Ersten Republik verblich langsam der a-nationale Diskurs, obwohl er sich im Ständestaat nach der Zerschlagung der Ersten Republik noch in der Gestalt der "österreichischen Mission" hielt. Doch dominant war vorerst eindeutig der deutschnationale Diskurs, der im späteren Stadium sich mit dem Diskurs der österreichischen Mission mischte und zu verbinden suchte: Die Österreicher seien die "besseren Deutschen", welche die Aufgabe hätten, die Barbarei des Nazitums zu überdauern. 3) Zwischen 1945 und 1990 war nach gewissen Anfangsschwierigkeiten völlig und unbestritten der Diskurs der österreichischen Nation dominant. Die zahlenmäßig nicht unbeträchtlichen Teile der Bevölkerung, welche dem deutschen Diskurs noch nachhingen, waren politisch an den Rand gedrängt und verstummt. 4) Nach dem Beitrittsgesuch der österreichischen Regierung zur EG gibt es Neuansätze zu einem neuerlichen übernationalen Diskurs, der faktisch eine antinationale (anti-österreichnationale) Stoßrichtung hat. Dieser Diskurs kommt noch nicht so recht durch, obwohl ihn insbesondere die konservativen politischen Kräfte und die mit ihnen verbundenen Presseorgane nach Kräften fördern wollen. 2.5 Das Jahr 1848 Die Revolution von 1848 als nationale wie als demokratische Revolution scheiterte nicht nur in den Ländern der Habsburgermonarchie, darunter im späteren Österreich, sondern 63 auch in Deutschland, Italien, und Frankreich. Das Scheitern der Revolution in Österreich brachte auch die nationalen Emanzipationen der nichtdeutschen Bevölkerungsteile kurzfristig zum Scheitern. Hier zeigte sich in einzelnen Episoden, dass die nationalen Egoismen bereits gemeinsame Interessen überspielen konnten. Die Koalitionen im konstituierenden Reichtag verliefen oft bereits nach nationalen Grenzen. Als die Habsburger und ihre Büttel schließlich siegreich waren, war dies für einige Gruppen auch aus der Bevölkerung Anlass zu einer ganz spezifischen Freude: "Der [in Prag] siegreiche Feldmarschall Windischgrätz bekam eine Dankadresse von den Deutschen aus den böhmischen Randgebieten, und fortan brach sich unaufhaltsam die nationale Trennung im Lande Bahn, ... um die Jahrhundertwende mit einer uns heute verblüffenden Desintegration der beiden Nationen. Die österreichische Nationalitätenpolitik war außer Stande, diesen Desintegrationsprozess zugunsten einer höheren Staatsidee an sich zu ziehen" (Seibt 1993, 213). Der erbitterte nationale Kampf im letzten halben Jahrhundert vor dem ersten Weltkrieg war nur der Höhepunkt dieser zuerst von der Dynastie nicht ungern gesehenen Entwicklung. Der Einsatz war die politische Dominanz in der Monarchie. Es war, wie Karl Rennner 1902 ein Buch betitelte, "der Kampf der österreichischen Nationen um den Staat". 2.5.1 Ein “48er” Hans Kudlich, der in manchen Schulbüchern als “Bauernbefreier” erscheint, war eine der kennzeichnendsten Figuren des demokratischen Militanten dieser Jahre. Sohn eines vergleichsweise wohlhabenden, wenn auch robottpflichtigen Bauern aus Schlesien, erzählt er aus seiner Kindheit, wie stolz nicht nur die Dorfkinder, sondern die Dörfler insgesamt waren, “Österreicher” und nicht etwa “Preußen zu sein: “Slawisch und preußisch waren uns idente Begriffe ... Merkwürdig, daß wir deutschen Buben, obwohl uns im strengen nationalen Gegensatz zu den Slawen fühlend, nicht die mindeste Ahnung von einem Deutschland besaßen” (Kudlich 1873, I, 5 und 7). Das passt bestens zu Roseggers Aussage vier Jahrzehnte später, dass den Bauern die Frage der nationalen Zugehörigkeit höchst gleichgültig sei (wofür er dann von der deutschnationalen Presse schwer geprügelt wurde). Wir müssen uns überhaupt immer wieder mit der Stellung der Bauern im Nationenaufbau auseinandersetzen – ein Thema, das trotz Moore noch immer ziemlich vernachlässigt ist. Es wird uns im Verlaufe dieser Arbeit begleiten. Gerade in den (im Hroch’schen Sinn) „kleinen Nationen“ war diese Klasse – vielmehr dieser Klassenverband – von erheblicher Bedeutung, stellten die Bauern doch in all diesen Nationen die übergroße Mehrheit der Bevölkerung. Allerdings waren die Sozialstrukturen in der Landwirtschaft zwischen den unterschiedlichen Gesellschaften und Ländern deutlichst verschieden. Im heutigen Österreich fand die persönliche Befreiung der Bauern erst unter Joseph II. statt und war eine stille Revolution von oben. Schließlich initiierte Kudlich die Grundablöse. Trotz der Gegenrevolution wurde dieses Projekt im Neoabsolutismus weiter geführt und vollendet. Nunmehr aber war die Absicht dahinter transformistisch. Die Krone und die alte Elite suchte die Unterstützung einer kulturell-konservativen Kraft, die noch dazu, wie schon erwähnt, die breite Mehrheit der Bevölkerung stellte. Man bedurfte ihrer als Verbündeter gegen das liberale Bürgertum und die radikalen Intellektuellen. Die gegenrevolutionäre Absicht tat sowohl kurz- wie auch langfristig ihre Wirkung. Die österreichischen Bauern wurden auch politisch konservativ und bleiben es bis heute, wo die Klasse als solche langsam verschwindet. Wir werden auf dieses Thema aus Anlass des Austrofaschismus noch zurück kommen, der seine Hauptstütze ebenfalls in den Bauern fand. 64 Damit nahm die ursprüngliche Akkumulation in Österreich auch eine spezifische Form an. Diese Reform war schließlich die einzige von Gewicht, welche der Neoabsolutismus nicht rückgängig machte. Für die Grundbesitzer, zumindest den aufgeklärten Teil von ihnen, war sie langfristig durchaus von Vorteil: Es half zumindest Teilen unter ihnen, das nötige Kapital für den Übertritt in die Industrie aufzubringen. Ein Vergleich – den wir hier nicht im Detail durchführen können – mit der Rolle der Bauernschaft z. B. in Norwegen und Dänemark ist äußerst aufschlussreich. Die dortige Tradition der freien Bauern hat die dänischen und norwegischen Gesellschaften und politischen Systeme bis heute geprägt. In Dänemark fand der Prozess der Grundablöse bereits in den dortigen Agrarreformen von 1784 – 1788 statt. Es war nicht nur ein Vorsprung von über sechs Jahrzehnten. Die dortige Revolution von oben – denn auch dort lief die Entwicklung im Rahmen des allerdings viel liberaleren aufgeklärten Absolutismus ab – war als Entwicklungsschub gedacht und wirkte auch so. Eine selbstbewusste Bauernschaft entstand, welche in ihrem wohlhabenderen Teil zwar zahlenmäßig nicht besonders stark war, jedoch für längere Zeit zum Rückgrat des dänischen Nationenbaus und nie faschisiert wurde. Nicht unähnlich lief die Entwicklung in Norwegen ab. Es ist wohl kein Zufall, dass beide Entwicklungen in Kleinstaaten stattfanden, auch wenn der eine, Dänemark, der Rest eines Reichs, der andere, Norwegen, ein sich emanzipierender kleiner Nationalstaat war. Der politische Unterschied zum archaisierenden Habsburgerstaat mit seinen Reichsphantasien auch im liberalen Bürgertum, wo sich das ancien regime nochmals durchsetzte, ist deutlich. Allerdings sollte man auch die Unterschiede wieder nicht überbetonen. Für Kudlich selbst wurde die nationale Frage bald von übergroßer Bedeutung. Bereits als Gymnasiast in Troppau wurde er von seinem älteren Bruder, der schon die Rechte studierte, deutschnational indoktriniert. In seinem überaus lesenswerten Erinnerungswerk taucht dann das Vokabel “deutsch” an jeder möglichen und unmöglichen Stelle auf, sodass der Text für einen heutigen Leser manchmal schwer erträglich ist. Was aber bei ihm mustergültig herauskommt, ist eine nationale Interpretation der modernen Geschichte im allgemeinen und der Revolution im besonderen. Er sieht die nationalen Zugehörigkeiten durchaus explizit als politische Projekte, während im Text selbst vor allem der Kampf um diese Projekte sehr deutlich wird: “Deutsch” ist für ihn nämlich das, was die “deutsche Linke” im konstituierenden Reichtag vertrat, ein demokratisches Projekt, das nicht weit vom Republikanismus entfernt war. Sein manchmal fast schon pathologischer Tschechenhass, der noch seinen Antiklerikalismus überstieg, verhinderte allerdings, dass er dieses Projekt in den Zielsetzungen der damaligen Tschechen auch sah. So wird aus dem rationalradikalen Ansatz ziemlich unvermittelt und ganz unreflektiert ein Deutsch-Chauvinismus, die es den Nazis später leicht machte, ihn ideologisch zu vereinnahmen. Denn er sieht im damaligen Österreich nur eine einzige “Cultur-Nation”, die Deutschen nämlich. Es ist in diesem Sinn kein Wunder, wenn in Österreich die Geschichtsschreibung über 1848 noch heute im wesentlichen von der reaktionären Grundstimmung geprägt ist, wie sie Kudlich selbst für das Ende des 19. Jahrhunderts diagnostiziert: Der Deutschnationalismus hat es der Konservativen leicht gemacht, die damaligen progressiven Protagonisten zu übergehen. Dass sich vereinzelt authentische Linke des Themas annahmen (Fischer 1948), hat dem eher noch Vorschub geleistet. Dabei kommt in Kudlichs Erinnerungswerk, in seiner ausführlichen Schilderung der Agierenden und der Geschehnisse, nichts deutlicher heraus als der Kampf um die Hegemonie über die Deutschsprachigen, die sich eben keineswegs alle als Deutsche empfanden. 65 Gerade sein Kampf gegen den “Sumpf des Centrums” (II, 26), die er als die eigentlichen Schwarzgelben bezeichnet, und welche die Linke zahlenmäßig übertrafen, macht dies klar. Damit hat er zwar recht, wenn er den Misserfolg der Revolution mit auf den schon damals entflammenden Nationalitätenkampf auch im Reichtag zurückführt, ist aber außerstande, seinen eigenen Beitrag zu sehen: Dass er und seine Gesinnungsgenossen mit ihrer nationalistischen Rhetorik es verabsäumten, sich für die gemeinsamen politischen bzw. sozialen Anliegen Bundesgenossen bei den Demokraten anderer Nationen zu suchen, die sich in nationalen (d. h.: Selbstbestimmungs-) Anliegen schließlich in ihrer Kurzsichtigkeit bei den “Schwarzgelben” besser aufgehoben glaubten – bis ihnen von diesen selbst die Augen geöffnet wurden; doch dann war es zu spät. 2.5.2 Strukturelle Gegebenheiten Doch "Österreich" damals, jetzt nämlich i. S. der Habsburgermonarchie, war in der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Entwicklung von seiner eigenen Dynastie in jenem kritischen Zeitraum gebremst worden, als anderswo die Industrielle Revolution den großen wirtschaftlichen und die nationalen Revolutionen den großen politischen Sprung nach vorne einleiteten. Als daher der Neoabsolutismus mit aller Gewalt versuchte, die Großmachtposition Österreichs in Mitteleuropa zu erhalten, war dies längst ein vergebliches Vorhaben. Es sollte nur die latente Finanzkrise verschärfen und die wirtschaftliche Entwicklung weiter behindern. Zu dieser Zeit hatte Preußen die Hegemonierolle schon längst übernommen und brauchte sie nur mehr zu konsolidieren und nach außen hin darzustellen. Mit den industriellen Leitprodukten Chemie, Maschinenbau und (später) Fahrzeuge war es wirtschaftlich bereits dem Habsburgerstaat weit überlegen. Mit der politischen Leitidee der Nation drängte es die eben noch dominante Monarchie in eine periphere Stellung. Österreich als Gesamtstaat hinkte in allem nach. Wenn eine Entwicklung "im Schatten" einem Land und seiner Bevölkerung die Chance gibt, vergleichsweise wenig gestört ökonomische und politische Modelle auszuarbeiten - aber Österreich war nie im Schatten gewesen – , so behindert eine periphere Entwicklung in der kapitalistischen Weltwirtschaft wahrscheinlich immer den Nationenaufbau. Die Kommunikationsstruktur der peripheren Entwicklung ist nicht in das integrierende Netz mit Zentralknoten, sondern der außengleitende Stern. Es findet also nur eine Integration mit dem Subzentrum statt, keine vollständige Integration und Penetration. Dies wäre sogar noch der positivere Fall. Im schlimmeren werden aus einem politisch umschriebenen System (von Staatsgrenzen umschlossenen Gebiet) Teilnetze herausdefiniert und direkt an andere, extranationale Zentren angehängt. Die strukturelle Integration wird auf diese Weise vollends behindert, und diese ist allemal die Grundlage von kulturell-bewusstseinsmäßiger Integration, der Identitätsbildung, auch wenn diese einen hohen Grad an Autonomie besitzt: Wenn das kulturelle System als Steuermechanismus für eine Gesellschaft aufgefasst wird, so muß zumindest ein zu steuerndes System vorhanden sein. Die Voraussetzung für den Aufbau einer Österreichischen Nation im 19. Jahrhundert waren also von der strukturellen Seite her denkbar ungünstig. Das habsburgische Österreich, das in der Frühneuzeit in Europa dominant gewesen war, hatte mit dieser Dominanzposition seinen Länderkomplex von der Wirtschaftsentwicklung teilweise abzukoppeln versucht. Es war aber nicht hegemonial, schon wegen des Verzichtes auf die Reformation: Diese bedeutete gleichzeitig einen Verzicht auf den Anspruch auf Souveränität, das unverzichtbare Mittel des modernen Staatsaufbaues. Die Industrielle Revolution setzte hier wesentlich später ein als in Westeuropa, aber auch in Preußen. Neue 66 Entwicklungen im wirtschaftlichen und politischen Gebiet werden eben nicht von jenen Kräften gefunden und implementiert welche eine Epoche dominieren: Die würden dabei in der Regel verlieren. Möglicherweise sind wichtige soziale und politische Neuerungen nur von Gesellschaften durchführbar, die in ihrer Zeit und im Vergleich zur dominanten Struktur eine periphere Situation, aber wiederum nicht eine allzu periphere Position, einnehmen. Hier ist "Peripherie" als formales Kriterium aufgefasst. Außerdem ist diese Stellung allein sicher keine hinreichende Bedingung. Als solche muss eine bestimmte Beziehung zum Zentrum gelten, die etwa als "wohlwollende Nichtbeachtung" zu benennen ist. Dies gilt auch für die Institution der Nation. Bis 1850 war das habsburgische Österreich jedenfalls ein politisches Zentrum in Europa, wenn auch eines, das schon im Abstieg war. Die sogenannte „Abspaltung“ vom Monstrum des alten deutschen Reichs (Pufffendorf) war im Grunde der Ansatz einer eigenständigen Staatsbildung. Für ein zentrales Gebiet wäre dies nur naheliegend gewesen. Dieser Ansatz blieb allerdings bereits bei Joseph II. stecken oder jedenfalls im Vergleich zu West- unjd Mitteleuropa deutlich zurück. In Westeuropa, aber auch im Rheinland und in Preußen schuf ein vereinheitlichender politischer Wille die strukturellen Grundlagen des Nationalstaates. Die Habsburgermonarchie hingegen blieb bis 1848 ein "europäisches China". Zwar hatte auch hier der Absolutismus versucht, die administrative Vereinheitlichung voranzutreiben. In den österreichischen Ländern wurde zur Zeit Maria Theresias das Maßwesen vereinheitlicht und auf die Wiener und niederösterreichische Norm ausgerichtet. 1775 wurden diese Länder schließlich ein einheitliches Zollgebiet. Doch diese Integrationsschritte waren meist zu kurz und zu zögernd: Dem politischen Willen, sie durchzusetzen, fehlte die Kontinuität. So wurden z. B. auch Tirol und Vorarlberg erst 1878, als das metrische System durchgesetzt wurde, in diese Vereinheitlichung einbezogen. Tirol (und mit ihm Vorarlberg) hatte lange nicht einmal zum österreichischen Währungssystem gehört. Dort war bis 1858 die "Reichswährung" im Umlauf. Nur Zahlungen an amtliche Stellen mussten in W.(iener) W.(ährung) oder C. (onventions) M. (ünze) geleistet werden. “Gutes Geld” oder “schlechtes Geld” war auch im übrigen Gebiet eine ständige Frage, wenn eine Zahlung fällig war. Wenn man bedenkt, welch hohen symbolischen Wert gerade das Geldsystem für die territoriale Identität in der Moderne besitzt, braucht man sich für die geringe Identifizierung mit einem bisher rechtlich gar nicht und wirtschaftlich nur diffus existierenden Österreich nach dem Ersten Weltkrieg nicht zu wundern. 67 Wachstumsraten Cisleithaniens sowie des Gebietes der Republik Österreich, 1830 - 1913 a) in Zehnjahresdurchschnitten 3,00 2,50 in % 2,00 1,50 1,00 0,50 1910 - 1913 1900 - 1910 1890 - 1900 1880 - 1890 1870 - 1880 1860 - 1870 1850 - 1860 1840 - 1850 1830 - 1840 0,00 Jahrzehnt Gebiet der Republik Cisleithanien Quelle: errechnet aus den Datenreihen bei Kausel 1979 Die politisch-territoriale Entwicklung erfolgte damit stark verzögert. Die Integration ging nicht von einem einheitlichen Kern, sondern von mehreren aus, die erst spät gekoppelt wurden. Allerdings fand sie schließlich doch statt, und zwar in den letzten Jahrzehnten vor der Jahrhundertwende. Doch das war zu spät. Mentale Änderungen sind nicht mechanisch an eine äußere Entwicklung gekoppelt. Es braucht gewöhnlich eine Generation, bis sich strukturelle Neuformierungen als Selbstverständlichkeiten im Verhalten des Menschen wiederspiegeln. Vergleicht man diese Prozesse international, so findet sich die Monarchie in Europa in den Indikatoren meist vor Rußland und gewöhnlich knapp nach Italien an letzter Stelle. Die Datenreihen zur Entwicklung der österreichischen Wirtschaft wurden bis 1830 zurückgerechnet. Die Wachstumsraten als wichtigsten Indikator wollen wir in Hinblick auf unsere Zentrum-Peripherie-These kurz untersuchen. Methodische Bemerkungen: Diese Daten sind nicht unbestritten, und es gibt konkurrierende Schätzungen, wie überhaupt seit einiger Zeit eine erstaunlich lebhafte Debatte um die Wirtschaftsgeschichte der Habsburgermonarchie geführt wird. Unglücklicherweise gibt der Autor nicht den geringsten Hinweis auf das Verfahren, wie er zu seinen Daten kam. Eine persönliche Erkundung ergab, daß er einfach mit geschätzten Zuwachsraten von 1913 nach hinten rechnete (die Basis 1913 ergibt sich aus Kausel / Nemeth / Seidel 1965). Dieses schon wieder geradezu unglaubliche Vorgehen dürfte seinen Ursprung in seiner Berufskultur haben: Er war damals Vizepräsident im ÖSTAT und vorher Abteilungsleiter im Bereich VGR. Trotz intensiver interner Diskussion jeder technischen Einzelheit war es dort nicht üblich, methodische Überlegungen in Publikationen zu reflektieren. Man steht also vor der Tatsache, nur sagen zu können: Ich glaube es oder ich glaube es nicht. Da aber seine Ergebnisse meist von hoher Qualität waren, möchte man ihm Glauben schenken. 68 b) Durchschnitte in den Kondratieff-Zyklen 3,00 2,50 in % 2,00 1,50 1,00 0,50 1896 1913 1874 1896 1850 1873 1830 1850 0,00 Zeiträume Gebiet der Republik Cisleithanien Quelle: errechnet aus den Datenreihen bei Kausel 1979 Die Graphik (a) hält sich an die Daten und Zeiträume, in denen man in Weltmaßstab Kondratieff-Zyklen festgestellt hat. Der erste Zyklus (B) beginnt nur aus Datengründen 1830. Die Graphik a) hingegen soll auch eine Überprüfung sozusagen ohne theoretische Vorbelastung ermöglichen. Der Theorie nach müsste sich die A- (= Aufschwung)phase vor allem im Zentrum ausprägen, während die B-Phase (Abschwung oder Stagnation) für die Peripherie eine Phase nachholender Entwicklung sein müsste, da aus Gründen der Stockung die wirtschaftlichen Aktivitäten sich in noch unerschlossenen Gebieten auszuweichen bemühen. In gewisser Weise entspricht diese auch dem Luxemburg'schen Imperialismuskonzept, allerdings ohne ihr konzeptuelles Mißverständnis einer mathematischen Logik aus den Kreislaufschemata heraus. Die Habsburgmonarchie war als Ganzes, Cisleithanien als Teil, aber auch die Alpenländer, Peripherie für Westeuropa. Sie war somit ein vergleichsweise traditionales Gebiet, ein Kontrapunkt zur Moderne. Damit ist sein verzögerter Nationenaufbau plausibel. Übrigens befand sich Italien zu dieser Zeit in einer ähnlichen Position. Es war Peripherie, ähnelte in der Struktur Cisleithanien (Analogien: Norditalienisches Industriedreieck - Alpenländer; Mittelitalien und Mezzogiorno - habsburgische Ostprovinzen). Der Unterschied war, daß sich das norditalienische Subzentrum gegenüber Italien nicht als Irredenta verhielt, die sich an eine andere Nation anschließen wollte. Noch wesentlicher war allerdings, daß die politische Führung ebenso wie die Intellektuellenschicht mit Entschlossenheit einen Nationenaufbau in Angriff nahmen. Im ersten Zeitraum (1830 – 50) war sowohl Österreich wie ganz Cisleithanien denkbar niedrig entwickelt. Das ganze Gebiet war eindeutig Peripherie, obwohl schon damals die beinahe noch unmerklichen Strukturvorteile der Altenländer die spätere schnelle Entwicklung vorbereiteten. Es paßt also ganz gut in das theoretische Schema, dass in diesem Zeitraum die Wirtschaft der Alpenländer sogar geringfügig schneller wuchs als in der folgenden A-Phase (1850 - 1873). Dasselbe gilt für die B-Phase 1883 – 1896: Sie war die für 69 Österreich wesentlichste Zeit der verspäteten Industrialisierung. Die hohen Wachstumsraten in der nächsten A-Phase, wiewohl leicht niedriger als zuvor, scheinen anzudeuten, dass die Alpenländer im Begriff waren, zu jenem echten Zentrum zu werden. Wir dürfen nicht vergessen, dass jede kapitalistische Entwicklung als periphere Entwicklung beginnen muss. Ob sie Peripherie bleibt, hängt dann für eine bestimmte Wirtschaft vor allem vom politischen oder wirtschaftlichen Handeln ab. Die Peripherie des Reiches wuchs im gesamten Zeitraum, über den Daten vorliegen, wesentlich langsamer als das deutschsprachige Österreich. Das ist nicht verwunderlich: Sie war bis 1884 praktisch noch nicht in den Binnenmarkt der Monarchie eingebunden: Selbst gesetzlich gab es einen solchen noch gar nicht, denn es bestanden noch die Zolllinien zwischen den österreichischen und ungarischen Ländern. Sie bildeten somit weitgehend getrennte lokal-regionale Märkte. Die Konjunkturen konnten also gar nicht im selben Maß durchschlagen. Anders freilich verhält es sich mit den langen Wellen. Sie sind ja eine Form, in der sich die kapitalistische Entwicklung ("ursprüngliche Akkumulation") durchsetzt. Sie waren also durchaus feststellbar: In der A-Phase bis 1873 blieb das Wachstum besonders stark zurück, verdoppelte sich in der folgenden B-Phase – allerdings bei ebenfalls beinahe verdoppeltem Wachstum im Zentrum - und stieg in der folgenden Phase (bis 1913) nochmals stark an und überholte sogar im Jahrzehnt von 1900-1910 das Zentrum. Insbesondere verkleinern sich die Quotienten zwischen den Raten ständig. Es hat sogar den Anschein, als ob die Peripherie in der A-Phase, ab 1896, ein selbsttragendes Wachstum entwickelt hätte. Wahrscheinlich geht dies allerdings auf das nordböhmische Zentrum zurück, das sich vom administrativen Zentrum Wien / Niederösterreich löste. Nach Rückrechnungen des WIFO betrug 1911 1913 das Volkseinkommen p.c. auf dem Gebiet des heutigen Österreich 790 Kronen, in Böhmen, Mähren und Schlesien immerhin noch 630, jedoch in Galizien nur 250, also nur ein Drittel des zentralen Wertes, und auch in Slowenien und Dalmatien nur 300. Andere Schätzungen sehen die Unterschiede geringer und insbesondere die böhmischen Länder nur knapp hinter den Alpenländern (Butschek 1993). Der ständige Wachstumsvorsprung des Zentrums war vor allem ein Strukturvorsprung, der schon am Beginn des 19. Jahrhunderts bestanden hatte und im großen und ganzen erhalten geblieben war. Das aber bedeutet, daß die Peripherie auch sozial und politisch hinter dem Zentrum herhinkte, wobei letzteres durchaus geplant war. Mit dem treffenden Ausdruck Otto Brunners war Österreich noch 1848 eine "monarchische Union von Ständestaaten". Die Alpenländer, das spätere deutschsprachige Österreich, war in Bezug auf Westeuropa Mitte des 19. Jahrhundert selbst noch Peripherie. Doch zum einen war der Rückstand dieser Gebiete, im Unterschied zur Gesamtmonarchie, bald nicht mehr groß. Zum anderen war dieses Gebiet (zusammen mit Teilen Böhmens) Zentrum gegenüber allen anderen Gebieten der Monarchie. Seine Bevölkerung war bemüht, diese Stellung auch politisch abzusichern und zu nützen. Dies ist die eigentliche Wurzel der erbitterten nationalen Kämpfe sowie für das "deutsche Bewußtsein" vor allem seines Bürgertums: Wesentliche Interessen werden in einer nationalstaatlich organisierten Gesellschaft stets in nationale Identitäten umgedeutet. Konzeptuell ist dies zu fassen als ungleiche Entwicklung, welche in der Regel als eine (notwendige? hinreichende?) Bedingung für die Entwicklung einer nationalen Frage bzw. von Nationalitätenkämpfen aufgefasst wird. Ohne auf die Entwicklung näher eingehen zu können, ist noch darauf zu verweisen, daß gerade in verspäteten und abhängigen Entwicklungsprozessen staatliche Eingriffe und eine bestimmte Form von Steuerung eine besondere Rolle spielt. Damit erhalten aber die ethnischen oder nationalen Träger der staatlichen 70 Verwaltung Möglichkeiten, der wirtschaftlichen Entwicklung ihre Zielsetzung bzw. ihre Interessen vorzugeben. In Österreich (Cisleithanien) aber waren diese Träger Deutschsprachige, welche die anderen Völker des Reiches als minderwertig ansahen, die geringer "gewogen" (Rauchberg) werden sollten als sie. Gleichzeitig sahen sie aber den durch den Vormärz verursachten Wachstumsrückstand gegen den Westen und vor allem Deutschland. Die Habsburgermonarchie, eine "monarchische Union von Ständestaaten" bis zum Ende: "Wir Franz Josef I., von Gottes Gnaden Kaiser von Österreich, apostolischer König von Ungarn, Böhmen, Dalmatien, Kroatien, Slawonien, Galizien, Lodomerien, Rama, Serbien, Kumanien und Bulgarien; König von Illyrien, Jerusalem usw., Erzherzog von Österreich, Großherzog von Toskana und Krakau; Herzog von Lothringen, Salzburg, Steiermark, Kärnten, Krain und Bukowina; Großfürst von Siebenbürgen; Markgraf von Mähren, Herzog von Ober- und Niederschlesien; Modena, Parma, Piacenza, Guastala, auschwitz, Zator, Teschen, Friaul, Ragusa, Zara, etc.; Graf von Habsburg, Tirol, Kyburg, Görz und Gradiska; Fürst von Trient und Brixen; Markgraf der Ober- und Niederlausitz und von Istrien; Graf von Hohenembs, Feldkirch, Bregenz, Sonnenberg usw.; Herr von Triest, Cattaro und auf der windischen Mark usw. ..." Manchmal allerdings ging etwas verloren (6. Jänner 1867): "Seine k.k. Apostolische Majestät haben laut ah. Handschreiben vom 3. Oktober 1866 infolge des am nämlichen Tage zwischen Österreich und dem Königreiche Italien abgeschlossenen Friedenstraktates allergnädigst zu beschließen geruht, den Titel 'König der Lombardei und Venedigs' hinfüro abzulegen..." (zit. nach Bernatzik 1911, 320 und 52). Eine deutsche Orientierung lag somit umso näher, als eine österreichische Option vom Neoabsolutismus und auch später von den administrativen und militärischen Eliten der Monarchie entwicklungshemmend definiert worden war. Sie hätte für sie zumindest kurzfristig einen Verlust durch Verzicht auf ökonomischen Transfer aus der Peripherie und auf eine gesicherte politisch dominante Stellung mit sich gebracht: Dies waren die Kosten der Inklusion einiger nichtdeutscher Oberschichten in die Staatsführung. Eine österreichische Option (d.h. eine deutschsprachige österreichische Nation gleichberechtigt neben anderen Nationen) wäre nur innerhalb eines (kon-) föderativen Systems möglich gewesen. Diese Kosten liefen ja tatsächlich auf: Die Dynastie betrieb Ansätze einer staatlichen (nicht nationalen) Integrationspolitik. Da sie es gegen die Absicht der "Deutschen" tat, trieb sie diese erst recht in die Gegnerschaft gegen eine österreichische Lösung. Die Dynastie stützte sich dabei auf konservative Kräfte, die ihrerseits wieder ein funktionierendes Bündnis mit breiten traditionellen Schichten herstellte. Diese Schichten konnten von einem schnellen sozialen Wandel nur Nachteile sehen (siehe Agrarkrise Ende des 19. Jahrhunderts). Mit einer Politik verbreiterter Partizipation – man denke an die Wahlrechtsentwicklung, welche als erste untere Schicht die zünftisch denkenden Handwerker erreichte – hatten die Konservativen ein wunderbares Instrument zur Bremsung des sozialen Wandels in den Händen, das sie gegen das deutschprachige Bürgertum anwandten. Dieses reagierte mit der Defensivideologie des Deutschnationalismus; die Gleichberechtigungsansprüche der anderen Nationen wurden nicht zu Unrecht als Bedrohung der eigenen Position angesehen. Da Intellektuelle die Hauptsprecher ihrer Interessen waren, verlagerten sich die Kämpfe vom weniger gut begreifbaren oder, besser, vertretbaren ökonomischen Terrain auf das kulturelle und kulturpolitische: Die Schulfrage und die Amtsprache waren dafür ideale Gebiet, weil hier Symbolwerte zusammenflossen mit Berufs- und Statusinteressen. Es gab allerdings auch Strömungen, welche direkt an den Interessen ansetzten, weil sie solchen 71 Ideen wie nationale Identität als zu leicht manipulierbar misstrauten. Dies gilt vor allem für die Organisation des "Vierten Standes": Der Marxismus war das politische Programm der von bürgerlichen Intellektuellen geführten Arbeiterbewegung. Diese Intellektuellen waren, je nach den Umständen, auch selbst nationalistisch, doch machten sie dies nicht zum Kernpunkt ihrer politischen Arbeit. 2.5.1 "Altösterreicher" und ihre Gegner Otto Bauer hat bekanntlich, nicht zu Unrecht, die altösterreichische Linie später als die retardierende Bewegung des alten Staates festmachen wollen. Eine Reihe von abschreckenden Beispielen aus jener Denkrichtung, die ich gerne “Vulgärmarxismus” nenne, hat uns die Unzulässigkeit einer direkten Ableitung von Gedankengebäuden aus politischen oder sozialen Verhältnissen drastisch vor Augen geführt. Andererseits können wir nicht gut annehmen, dass die Verhältnisse einer Zeit ohne Einfluss auf wesentliche Denkansätze bleiben. Wir müssen also zumindest die Zulässigkeit einer Parallelisierung behaupten. Die methodischen Probleme dabei sind allerdings keineswegs gelöst; gewöhnlich bleiben wir Spekulationen verhaftet. Die eigentliche Rechtfertigung liegt darin, daß jene, die in einer bestimmten Zeit einflussreich an die Öffentlichkeit treten - die Intellektuellen also - , die Probleme ihrer Zeit in irgendeiner Weise bewältigen müssen, auch wenn diese nicht in einer bestimmten Fassung direkt ihr Thema sind. Ferdinand Kürnberger (1821 – 1879) wäre der letzte gewesen, der sich als “Altösterreicher” hätte kategorisieren lassen. Er war vielmehr ein Prototyp derjenigen Intellektuellen und Literaten, welche nicht nur alles Heil aus Deutschland erwarteten, sondern sogar ihren persönlichen Habitus auf preußisch-deutsch stilisierten (vgl. Einleitung zu Kürnberger 1960). Als die Österreicher 1870 – nach 1866! – seine Kriegsbegeisterung nicht mitmachen, schimpft er los, und zwar nicht nur auf die Dynastie, sondern auch auf die Bevölkerung (a.a.O., Zitat auf 51): “Hof und Lazzaroni im Einklang, sonst nur eine Erscheinung südlicherer Staaten, war diesmal die politische Physiognomie auch von Wien. Die höchste Sphäre, antipreußisch aus Tradition, die unterste aus Instinkt, da ihr ‘preußisch’ ziemlich richtig Arbeit und Bildung bedeutete, also das bitterste Widerspiel ihres eigenen Programms, Faulheit und Zote, beide Sphären aber von erdrückender Breite, und zwar die Letztere, natürlicherweise, die Erste, künstlich durch nachäffende Affektion...” Einer jener Literaten, welche dies nach 1848 - und das Jahr war für ihn persönlich eine Zäsur - in ihrer Mentalität am besten belegen, war Ferdinand von Saar (1833 - 1906). Aus kleinem neuen Beamtenadel stammend, schlug er vorerst die Offizierslaufbahn ein. Die Armee wird in seinem erzählerischen Schaffen denn auch stets die Struktur des alten Staates verkörpern. Er selbst hielt sie nicht lang aus, obwohl er eine kennzeichnende, jedoch intelligente Ausprägung des "altösterreichischen Typus" dieser Zeit verkörperte wie wenig andere. Pessimismus und Zukunftsangst dominieren. Über die Haltbarkeit oder gar eine Zukunftsträchtigkeit dieses Staates und dieser Gesellschaft machte er sich keine Illusionen. Doch er schafft weder eine Distanzierung von diesem System noch eine Zukunftsorientierung. Saar ist ein vornationaler Mensch: Die nationale Frage kommt auch nur ganz am Rande vor. Es ist aber nicht unbedingt ein vormoderner Mensch, obwohl er die Moderne, seine Moderne, nicht liebt. An diesem Zwiespalt wird er schließlich selbst zugrunde gehen - und darin ist er symbolisch sowohl für das System als auch für sein Verhältnis zum sozialen Wandel. Der "Leutnant Burda" verliert in seinem Versuch, sich in die große Welt dieses Staates weit oben einzudrängen, indem er gleichzeitig eine adelige Abstammung konstruiert und eine dementsprechende "standesgemäße" Liebesverbindung 72 anstrebt, jede Realität unter seinen Füßen. Im Duell wird er schließlich von einem anderen Bürgerlichen erschlagen, der zwar ein "Raufbold", aber ein glänzender Fechter und ihm weit überlegen ist. Der General (aus "Vae victis") hat "keine Zukunft mehr". Folgerichtig erschießt er sich selbst, und nicht, wie etwa im gleichzeitigen Roman "Effi Briest" von Theodor Fontane der ehemalige preußische Offizier und Ministerialbeamte, seinen Konkurrenten und (Ex-) Liebhaber seiner Frau. Der Prototyp in "Schloß Kostenitz" scheitert zuerst an seiner schwankenden Rolle im Jahr 1848 und flüchtet sich in eine neobiedermeierliche Idylle. Doch "den Wellenschlägen der Zeit kann sich auch der am fernsten Stehende nicht entziehen". Die politische Struktur bricht, wieder in Gestalt der Armee und eines hochadeligen Offiziers, in diesen (gerade nicht) geschützten Bezirk ein und verursacht die Katastrophe. Die zwei "Steinklopfer" überleben schließlich durch puren Zufall und den menschlichen Augenblick eines höheren Offiziers - nicht eben ein zukunftsweisendes Anbot für die "soziale Frage". 2.5.1.1 Adalbert Stifter Wesentlich bekannter und von der Fachdisziplin literarisch höher eingeschätzt als Saar ist Adalbert Stifter (1805 - 1868). Doch in unserem Zusammenhang gehört er in eine ähnliche Kategorie. Wo allerdings Saar resigniert, weicht Stifter in Eskapismus aus. Allerdings ist dieser Eskapismus außerordentlich brüchig (vgl. Matz 1995). Ständig von der Angst geprägt, dass er die "Gränzen eines heiter-ruhigen Lebens überschreiten und in Extreme fallen könnte, welche die Harmonie in Wildheit und Sitte in Unordnung herabstürzen, und indem sie die Wunde nur betäuben, diesselbe nicht nur nicht heilen, sondern vergrößern, und aus einem Unglücklichen einen Sünder machen", passiert ihm am Ende seines Lebens gerade dieses. Er fand seinen (Lebens-) “Stil” nicht, den er, nach dem Nietzsche’schen Ausdruck, so verzweifelt suchte. Die heile Welt, die er ausschließlich in der Vergangenheit sucht, besteht aus Regressionen eines Provinzschriftstellers und -funktionärs, welche die Zerbrechlichkeit dieser Scheinwelt, die nach seinem Tode immerhin noch ein halbes Jahrhundert überdauern wird, nur zu gründlich wiederspiegeln. Anstelle in eine Moderne ging der Blick in eine konstruierte schöne alte Welt. Aus dem Böhmerwald stammend nahm er doch die nationalen Spannungen nicht zur Kenntnis. Zur selben Zeit, als Gustav Freytag den Schwulst seiner “Ahnen” herausbrachte, schrieb Stifter einen historischen Roman: “Witiko”. Der “Deutsche” Stifter schreibt dabei Mitte des 19. Jahrhunderts einen Roman über Böhmen, und noch spezifischer: über Südböhmen. Es ist ein regelrechter Staatsdiskurs mit Hegel’schen Untertönen (“Die Geschichte [ist] die Hauptsache und die einzelnen Menschen die Nebensache”, schreibt er 1861 an seinen Verleger – laut Kindlers Literaturlexikon 23, 10258). “Da alle Völker zu Hause in kleinen Stämmen ihres Lebens pflegten, konnten auch wir ohne Haupt in der Heimat unsere Dinge tun,” lässt er bei einer umstrittenen Herzogswahl einen Adeligen sagen. ”Als aber die Stämme um uns sich geeinigt hatten, brauchen wir einen Herzog, der uns gegen sie einigt und der unser Land darstellt.” [S89] Eine beißende Kritik nannte den Roman daher ein “Handbuch für Offiziersanwärter”, und, noch interessanter, “eine Austrittserklärung aus der menschlichen Gesellschaft” (A. Schmidt). Tatsächlich macht seine staatsfromme Haltung Unbehagen. Der „Österreicher“ Stifter schreibt also seinen historischen Roman nicht etwa über ein Thema und ein Gebiet des heutigen Österreich. Auch ein anderer dieser „Österreicher“, Franz Grillparzer, hat sein Zivilisationsdrama „Libussa“ nicht über oder am Beispiel Wiens, sondern an jenem Prags geschrieben. Die Modernisierung der „Deutschen“ gefällt 73 ihnen nicht. Grillparzer selbst geht zwar an der Modernisierung nicht zu Grunde. Er ist ja Beamter mit einer Alibi-Stelle und ihren Privilegien; ihm kann nichts passieren, solange er sich fügt. Aber seine Titelfigur Libussa lässt er an der Modernisierung sterben. Doch im Gegensatz zu Goethe und seiner Klassik erklärt er sich immerhin prinzipiell für die Zukunft, nicht für die Vergangenheit und ihr idyllisiertes Bild, weder im hellenischen Kleid noch im mittelalterlichen. Denn der Alte ist oft sehr hellsichtig: „Die Liebe liebt den nahen Gegenstand, und alle lieben ist nicht mehr Gefühl; was Du Empfindung wähnst, ist nur Gedanke. Es geht hier offenbar auch um Nationalismus und seine Behauptung der Liebe zum Volk, eine richtige Diagnose, auch wenn der Ton kulturkritisch ist. Eine bestimmte Ähnlichkeit zwischen Stifter und Gustav Freytag, zwischen “Witiko” und den “Ahnen”, ist nicht in Abrede zu stellen: Es ist das “altdeutsche” Pathos. Während aber “Die Ahnen” den ganz gewöhnlichen Schwulst des 19. Jahrhunderts bieten, findet sich bei Stifter das Pathos in der bis zum geradezu absurden Manierismus getriebenen Simplizität. Stellenweise macht dies heute – und nicht nur heute, wie die Zitate schon zeigten – die Lektüre geradezu unerträglich. Ständig werden Sätze wortwörtlich wiederholt, werden Tätigkeiten oder Haltungen in Vergangenheit und Zukunft aneinandergereiht, beginnen Sätze und Absätze über Seiten hinweg mit dem Anfang “Dann...”, oder “Er sagte... “, “Sie sagte...”. Der Roman beruht allein auf der Sprache. Sie sollte also wohl die gewünschte Struktur der Welt wiederspiegeln. Jede Komplexität sollte also verbannt sein aus dieser komplizierten und eben nicht einfachen Welt. Die Zukunft soll die Vergangenheit wiederholen. In diesem Punkt kommt der Konservativismus des Schulbeamten zur Gänze heraus, im Wunsch nach einer Welt, wenn schon nicht des Unveränderlichen, so doch des Wenig Veränderlichen. Man kann durchaus sagen: Hier fällt Stifter sogar hinter die Deutschnationalen zurück. Für diese ist die Vergangenheit alles Mögliche, nur nicht das Bild einer ständig gleich bleibenden Welt mit dem “sanften Gesetz” des Seienden. Selbstverständlich und für jeden denkenden Menschen auch damals haben sie damit recht. “Witiko” ist daher literarisch ein Fehlschlag, und der Roman ist nicht zufällig heute auf dem Buchmarkt auch nicht erhältlich. Der sprachliche Primitivismus mit seiner konstruierten Einfachheit wirkt vor allem grotesk, zumal er dann wieder durch andere, archaisierende Manierismen unterbrochen wird: Man lebt im “Witiko” nie in einem Zelt, sondern immer im “Gezelt”, und sitzt auf einem “Gesiedel”. Usf. Damit trieb Stifter eine Haltung zum Extrem, welche auch sonst verbreitet war: Ein tschechischer Feuilletonist beschreibt Ende des 19. Jahrhunderts anschaulich, wie gerade in diesem abgelegenen Gebiet die Situation war. Allerdings beschreibt er schon ein "verlorenes Paradies" – die Nationalitätenkonflikte hatten auch dieses Gebiet schon erreicht, auch wenn er sie draußen halten will (Klostermann 1987 [1890]: 154): "Da lebten wir früher so ruhig beisammen, und niemandem fiel es ein, nach der Nationalität des anderen zu fragen; es wurde kein Mensch tschechisiert noch germanisiert. Ist denn keine Möglichkeit da, daß sie wiederkehre, die goldene alte Zeit, wo wir alle Brüder gewesen in guten und schlimmen Tagen? ... Jetzt ist es anders geworden, jetzt glaubt jeder Wicht, der da kommet, daß die Welt auf die blöden Ergüsse seines Hasses warte." Peter Rosegger 74 Peter Rosegger (1843 – 1918) betrachtete Stifter als großes Vorbild, und tatsächlich liest sich der “Waldschulmeister” streckenweise sehr nahe am “Nachsommer”. Rosegger verkörpert persönlich und in seinem literarischen Werk vielleicht am besten den Übergangscharakter der damaligen deutschösterreichischen Provinz aus der Traditionalität in nationale Strukturen. Seine politische Haltung kennzeichnet er in einer autobiographischen Skizze ohne jede Ironie als kosmopolitisch; doch wenn es darauf ankäme, als “schwarzgelb” (I, XVIII). So beschreibt er denn auch affirmativ und mit viel Nostalgie eine vornationale traditionale Gesellschaft mit engem und abgegrenzten Horizont. Das ist aber nicht etwa Aufarbeitung seiner persönlichen Vergangenheit und Herkunft, wie im zeitgenössischen “neuen Heimatroman”. Dies ist nicht nur sein Gegenstand, dies ist auch sein Ideal: Denn die “Absicht” seiner schriftstellerischen Tätigkeit sei, “Mitarbeiten an der sittlichen Klärung unserer Zeit” (I, XXXI). Er strebt “die Rückkehr zu jenen kleinen patriarchalischen Verhältnissen” an, “in welchen die Menschheit noch am natürlichsten gelebt hat” (I, XVIII). Dass diese “natürlichen Verhältnisse” dann auch stockreaktionär und schlichtweg anti-emanzipatorisch waren, fällt gelegentlich sogar ihm selbst auf, wenn er über die Wirkung des 48er Jahres auf die Bauern schreibt: “Was die Befreiung von Zehent und Abgaben, von Robot und Untertänigkeit bei meinen Landsleuten für einen Eindruck gemacht hat, weiß ich nicht; wahrscheinlich nicht den besten, denn sie waren sehr vom Althergebrachten befangen” (Lebensbeschreibung, in: I, IX). Wenn dies stimmt, und es klingt nicht unplausibel: auch in seinen Erzählungen kommt diese Problematik schlichtweg nicht vor, dann ist das eine Schlüsselstelle für die österreichische Entwicklung überhaupt. Dazu gibt es allerdings einen frühen Roman, der ganz anders klingt, auch wenn er später etwas umgearbeitet wurde. 1872, also noch am Anfang seiner Schriftstellerlaufbahn, erschien in Budapest bei Heckenast der Roman „In der Einöde“, der 10 Jahre später unter dem Titel „Heidepeters Gabriel“ neu veröffentlicht wurde. Als Rosegger ihn 30 Jahre später (1913) in die „Gesammelten Werke“ aufnahm, hatte er das Bedürfnis, sich auf eine seltsame Weise davon zu distanzieren: „Es ist die Meinung aufgekommen, dass die Erzählung ‚Heidepeters Gabriel’ meine eigene Lebensgeschichte wäre. Diese Meinung ist unrichtig. Eine solche Selbstbespiegelung wäre geschmacklos …“ (Vorbemerkung, GW IV, 4). Aber die „Geschichten aus der Waldheimat“ sind dann keine „Selbstbespiegelung“? Übrigens ist dieses Dementi selbst geschmacklos, denn nicht nur sind die Parallelen gar zu deutlich, sondern auch die Ortsnamen sind manchmal auf eine amüsante Weise zu erkennen. Wenn die Ruine Breitenwart, ganz klar im Mürztal, zu besichtigen wäre, kommt einem doch Langenwang in den Sinn. Und dass man bei Karnstein an Hauenstein denkt, wird wohl auch nicht der reine Zufall sein, obwohl der Ort nach der Beschreibung Krieglach sein muss … Dieser Roman klingt nun ganz und gar anders als die „Waldheimat“. Er schildert „die Einöde“ als nacktes Elend, auch gibt er sich streckenweise ganz bäuerlich-klassenkämpferisch, auch wenn er dies als Handlungsoption seitens der Bauern verurteilt und scheitern lässt. Die Bauern selbst sind ein recht heimtückisches und überhaupt nicht solidarisches Volk, wo einer nur auf das Unglück des anderen wartet. Hier ist keine Idylle, selbst wenn Nostalgie aufgetragen wird, sogar dick. Wenige Jahre nachdem seine Familie abgehaust hatte und unmittelbar nach dem Tod seiner Mutter in elenden Verhältnissen (1872) stand ihm nicht der Sinn danach. – Wie auch in seinen anderen Romanen, „Jakob der Letzte“ etwa, klingt die Konstruktion übrigens nicht besonders authentisch, sondern eben – konstruiert. 75 Doch dann kommt der vollständige Bruch. Der Roman ist nämlich eine „Erzählung in zwei Büchern“. Das zweite Buch – offenbar ein Jahrzehnt später geschrieben – wird zum Gartenlauben-Roman in einer wirklich schon peinlichen Weise. Stilistisch ist es ein einziger Schmachtfetzen. Man ist nahezu fassungslos, diese beiden Stücke in einzigen Roman zusammen gespannt zu sehen. In diesem Roman kann man also den Wandel des Peter Rosegger von einem realistischen Schriftsteller zum Kitsch-Produzenten miterleben. Die sonstige Produktion muss man als einen ideologischen Überbau, zugegebener Weise manchmal sogar von Bedeutung, bezeichnen: “Ich werde ihnen und mir eine neue Heimat gründen”, lässt er seinen “Waldschulmeister” sagen (I, 143). Und doch will dieser Roman und vermutlich Roseggers ganzes Werk Zivilisationsarbeit sein. Auf den folgenden Seiten gibt es dann eine besonders interessante Beschreibung für Modernisierungstheoretiker: Zuerst muss zwar einmal eine Kirche gebaut werden, “daß die Gemeinde ein Herz hat; dann machen wir uns an den Kopf und bauen das Schulhaus” (144). Und unmittelbar darauf beschreibt er den Aufbau einer Personaldokumentation. “Das Wirrsal darf nicht so bleiben” (145), also schreitet er zur (nach-) Namensgebung. So wird Zivilisation als administrative Penetration aufgefasst, und das bei Rosegger, der eine fast rousseauistische Tendenz zur “Natur”-Idyllisierung hat. Und was passiert dann? Es ist beinahe schon peinlich: “Mehrere junge Winkelsteger wollten sich freiwillig anwerben lassen zu den Soldaten. Das ist ein Anzeichen ihres erwachten Bewußtseins, daß sie ein Vaterland und eine Heimat haben...” (231). Ob dies jene irrlichternden Intellektuellen unserer Zeit gelesen haben, die auch immer wieder ihre sozialkonservative Ader demonstrativ pflegen und dabei Rosegger gleich zu ihrem Ahnherrn ernennen möchten (vgl. Nennings Vorwort zu Farkas 1994)? Für jemand, der Roseggers zeitweilige literarischen Qualitäten ebenso wie seine Bescheidenheit schätzt und seiner nachdenklichen Rückbesinnung auf die kleinen Verhältnisse seines Ursprungs Sympathie entgegen bringt, ist gerade dieser Zug oft schwer verdaulich. Seine bäuerliche Sozialkritik hält sich in Grenzen. Man muss allerdings hinzufügen: Jene Erzählungen aus den vier Bänden „Waldheimat“, welche auch Kritik enthalten – sie kommen vor allem im 4. Band dieser Folge aus den „Gesammelten Werken“ (insgesamt 40 Bände) vor – sind in der heutigen Auswahl desselben Verlags (Staakmann) einfach entfallen – das passt offenbar nicht zum Rosegger-Bild. – Gebiete solcher Tradition müssen übrigens keineswegs dem 19. Jahrhundert angehören. Bis ins dritte Drittel des 20. Jahrhunderts konnte man in Österreich noch Rückzugsgebiete solchen Charakters finden. In der Gegenwart allerdings dürfte auch dies kaum mehr vorkommen. Rosegger selbst verließ sein Dörfchen und den langsam zugrunde gehenden Hof seiner Eltern und wurde erfolgreicher Schriftsteller. Gefördert wurde er dabei nicht sosehr von den ihm geistig eher nahestehenden konservativen Kräften: Er beschreibt mehrmals mit leichter Bitterkeit, wie wenig Interesse deren Exponenten an ihm hatten, da er doch gar nichts besaß, ob Geistliche oder standesbewusste Gymnasiallehrer, deren einer sich nicht entblödete, ihn einen “kulturfeindlichen Autodidakten” zu schimpfen (in einem Leserbrief an den Heimgarten, zit. bei Schöpfer 1993, 8). Es waren denn auch Vertreter des nationalen Bürgertum, die ihm den Schulbesuch und seinen Aufstieg ermöglichten. Er ließ sich so auch in die nationalen Auseinandersetzungen seiner Zeit ein und wurde mit deutschnationalen und antislowenischen Äußerungen bekannt. Nichtsdestoweniger prügelten ihn die Deutschnationalen, weil er einmal darauf hinwies, dass den Bauern der Nationalismus gleichgültig sei. Auch um ein wenig Antisemitismus kam er nicht herum (vgl. dazu apolo76 getisch Farkas 1994). Schon gegen Ende seines Lebens (1909 nämlich) organisierte er eine auf das Ziel von 2 Mill. Kronen angelegte Sammlung für die Erhaltung und Errichtung deutscher Schulen an den Sprachgrenzen Österreichs. Es wird behauptet (Anderle 1986), dass sich darauf die Tschechen gegen eine geplante Verleihung des Nobelpreises quer gelegt hätten. Sehr plausibel ist dies nicht. Doch selbst dieser Nationalismus zeigt noch seine vornationale Beschränkungen. Denn es widmete sich einer der geringeren Konfliktzonen; es war ein steirisches Problem, zu dem er sich dabei äußerte, das für den Rest der Monarchie mit Ausnahme Kärntens wenig Bedeutung hatte. Trotzdem wird eine seiner entfernten Verwandten nachdenklich fragen, wieso denn seine Kinder gar so empfänglich für die Hitler’schen Schalmeien waren. Diese Frage ist mehrfach interessant, am wenigsten übrigens für Rosegger persönlich. Nach der Lektüre vieler seiner Geschichten, die absolut drittrangige Kalender-Piècen sind (etwa: “Adam das Dirndl”, II, 5 – 80), mit einem peinlichen Blut- und Bodenmief und Sprachelementen für “deutsche Leser” (Weinbrühe”), ist dies ziemlich klar. Wenn man schließlich „Peter Mayr, Wirt an der Mahr“ (1893) gelesen hat, dann ist das Gerede, dass Rosegger im Dritten Reich „missbraucht“ worden wäre, ein purer Zynismus. Dieser Roman ist blutig, schrecklich und doch wieder auch gleichzeitig peinlich. Da war nichts zu missbrauchen, das lag gebrauchfertig vor. Er passt prächtig zum „Steirischen Waffensegen“, den Rosegger zusammen mit Ottokar Kernstock mitten im Ersten Weltkrieg heraus gab. „In Himmel kembts, Tiroler!“ heißt ein Kapitel (110 ff.): „Aufg’schaut, Tiroler! In Himmel kembts! Für Gott, Kaiser und Vaterland frisch voran! Der Heid ist’s, auf den es losgeht! Der Antichrist ist’s auf den es losgeht! Wer in diesem heiligen Kampf fällt, dem wird zuteil die Märtyrerkrone im ewigen Leben! … Keiner von Euch hat eine Sünde in dieser Stund’, in solchem Streit sind alle vergeben. … Tiroler, denkt’s an Jesu Blut und Marter am hohen Kreuzesstamm und fahrt’s drein! Usw.“ (112). Heute macht man sich in Europa über solchen Wahnsinn bei islamistischen Fundamentalisten lustig: Dieser Rosegger’sche Wahnsinn wurde vor nur wenig mehr als einem Jahrhundert geschrieben. Wie passt jedoch eigentlich Großdeutschtum zu einem solchen generischen kleinräumigen Traditionalismus? Aus der sozial-politischen Struktur des 19. Jahrhunderts kam offenbar auch die Notwendigkeit und das Bedürfnis, sich mit einem größeren Kreis zu identifizieren. War dies das Schicksal der Intellektuellen, auch der provinziellen? Es ist eine Ironie. Das Geheimnis von Roseggers Erfolg ist ja, dass sein Provinzialismus mit all seinen Beschränkungen, aber auch manchen Hellsichtigkeiten im Vergleich zur widerlichen bürgerlichen Arroganz vieler seiner Zeitgenossen authentisch ist – und darüber hinaus humanistisch: eine absolut seltene Kombination. Und die Stadt? Keineswegs ein “Altösterreicher” im inhaltlichen Sinn, vielmehr geradezu ein Antipode insbesondere auch zur Idyllisierung Roseggers war Alfons Petzolt (1882 – 1923). Er soll hier für ein wesentliches Segment nicht einmal sosehr der österreichischen Arbeiterbewegung, als vielmehr der österreichischen und speziell der Wiener Bevölkerung oder vielmehr deren breite städtische Unterschichten stehen. „Arbeiterdichter“ wird er klassifiziert, doch das ist ein Widerspruch in sich, besonders deutlich bei Petzold. Zum einen war er, als er noch Hilfsarbeiter war, kein Dichter oder Schriftsteller. Als er dies war, war er längst kein Arbeiter mehr. In diesem speziellen Fall ist übrigens die ganze Widersprüchlichkeit des erfolgreichen Arbeiters vorhanden. Denn wenn er erfolgreich ist, als Politiker oder im Beruf, ist er meist sehr schnell kein Arbeiter mehr. Zum anderen scheint er sich dann 77 tatsächlich mehr an einer allgemeinen Religiosität als am säkularen Emanzipationsstreben der Klasse orientiert zu haben. Sein naiver Ethnozentrismus ist im Grunde völlig unpolitisch. Dabei ordnet sich der spätere Paradeliterat der Sozialdemokratie selbst immer wieder in eine politische Kategorie ein. Er nannte sich in später verächtlich früher Jugend “Antisemit”, wenig später war er “ein ebenso dummer und blindwütiger Schreier gegen den Klerikalismus” (1920, 214), nachdem sein erstes Gedicht “eine Lobeshymne auf den großen Volksdemagogen Dr. Karl Lueger” (1920, 116) gewesen war. Die nächste Stufe seiner Entwicklung war “ein deutschnationaler Maulheld, der in Bismarck den größten Helden des deutschen Volkes sah” (293). Schließlich kam er mit der Sozialdemokratie in Berührung, von der er nun mit Hochachtung spricht. Allerdings scheint er sie mehr als einen Bildungsverein als eine politische Partei betrachtet zu haben. Auch eine tolstoianische Phase fehlt nicht. Und schließlich gehörte er im Ersten Weltkrieg zu jenen schriftstellerischen Mitläufern, die glaubten, sie könnten mit wüster “lyrischer” Kriegshetze ihren Erfolg sichern – dies wird ihm seinen Förderer aus der intellektuell authentischen literarischen Szene der Arbeiterbewegung, Josef Luitpold Stern, zutiefst entfremden (vgl. Slezak 1982). Allein diese Aufzählung zeigt, dass sein politisches Engagement nicht besonders tief ging, im Gegensatz zum menschlichen,. In seiner völligen Bezogenheit auf das eigene Elend erinnert seine Autobiographie, dieser “Roman eines Menschen”, bisweilen an den Solipsismus eines Knut Hamsun im “Hunger”. Er dürfte mit dieser Stimmung die Seelenlage eines erheblichen Teils des verelendeten Proletariats getroffen haben. Die nationale Zugehörigkeit spielte da nur eine sehr untergeordnete Rolle. 2.5.2 Lösungen? Die großdeutsch-großösterreichische Lösung – alle Habsburgerländer sollen in ein neues Deutsches Reich incorporiert werden – war das Ziel der habsburgischen Außenpolitik von 1848 bis 1866. Sie war ihrem Konzept nach ein Produkt vergangener Zeiten und völlig überholten Denkens, eine ständische Konstruktion in kaum gewandeltem Kleid, welche den Aufbau von Nationen nicht zur Kenntnis nahm. Diese Diplomatie strebte somit nach einer Totgeburt und musste erfolglos bleiben. Schließlich gelang es den Habsburgern nicht einmal mehr, in den deutschen Zollverein aufgenommen zu werden. Der Aufbau eines modernen Staates musste erst beginnen, die "integrative Revolution" stand diesen zusammengewürfelten Ländern erst bevor. Um den Sprung in die Gegenwart zu machen: Der Habsburgerstaat 1848 war etwa auf einem vergleichbaren Stand wie Nigerien nach der Unabhängigkeit 1960. Gezwungen, wie dieser Vergleich prima vista klingen mag, ist er strukturell zu einem nicht geringem Maß gerechtfertigt. Insbesondere begann damals die "integrative Revolution", die Neudeutung primordialer Bindungen als nationale Zugehörigkeit und damit die Übertragung entsprechender Loyalitäten auf Sprachgemeinschaften. Der gemeinsame Staat dieser sich nunmehr langsam und erst auf Elitenebene formierenden Nationen, vom ungarischen Aufstand und der kurzlebigen Sezession damals schon grundsätzlich in Frage gestellt, wird dies nicht überstehen. Der Versuch, der (Sprach-) Nation eine "Staatsnation", wobei darunter schlicht die Zusammenfassung der unterschiedlichsten Bevölkerungen unter der einheitlichen Dynastie verstanden wurde, versuchte einen durchsichtigen Etikettenschwindel, der zu allem Überfluß nicht neu war und schon in den napoleonischen Kriegen scheiterte. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen. Der wichtigste unter ihnen - aber keineswegs der einzige - war die politische Modernisierung i. S. einer Demokratisierung, wie sie vor allem um die Jahrhundertwende 78 Auftrieb erhielt. Es ist somit keine Zufall, daß diesmal der Versuch aus zutiefst konservativen Intellektuellen-Kreisen kam und vom Kronprinzen Rudolph selbst aufs eifrigste gefördert wurde. "Nation" als zwanghaftes internationales Strukturprinzip – wozu? "Das Land ist als Nationalstaat seit dem Sturz Siad Barres 1991 auseinandergebrochen, in eine Vielzahl kleiner Räume, zwischen denen die Unterschiede enorm sein können... Die Somalier scheinen mit diesem System, mit diesem Mosaik kleinerer Gebietseinheiten, besser umgehen zu können als etwa ihre ausländischen Partner bei Rehabilitations- und Nothilfeprogrammen... Oft bietet das System kleinräumiger "Selbstverwaltung" die einzige Gewähr für ein mehr oder minder friedliches Zusammenleben verschiedener Stämme, Clans oder Subclans. In der jüngeren somalischen Geschichte sind die akutesten und gewalttätigsten Krisen immer dann ausgebrochen, wenn sich eine Faktion oder ClanGruppierung anmaßte, die Zentralgewalt zu übernehmen. Aus ihrem Selbstverständnis als intergouvernementale Organisation und aus ihrer Geschichte heraus taten sich die UNO besonders schwer mit der Vorstellung, ohne eine staatliche Autorität als Ansprechpartner aktiv werden zu können... Sie vermittelten somalischen Faktions-, Miliz- und Clanchefs den Eindruck, eine zentralstaatliche Autorität müsse um jeden Preis erzwungen werden. notfalls auch mit Gewalt." NZZ. 27. September 1996: Die Zersplitterung Somalias als Chance für die Zukunft Das monumentale "Kronprinzenwerk" – "Die Habsburger-Monarchie in Wort und Bild" – ist der halb literarische, halb propagandistische Ausdruck, welcher die Zeit überdauert hat. Es war kein Zufall, dass ihm eine ganz spezifische "Ethnographie" ihren Stempel aufdrückte. Prachtvoll ausgestattet, stellt man bei der Lektüre bald erstaunt fest, daß man über die tatsächlichen Lebensfragen des Alltags und der Politik überhaupt nichts erfährt. Dieses Werk ist vielleicht das eindrücklichste PR-Unternehmen, das literarisch-wissenschaftlich in der neueren Zeit in Angriff genommen wurde. Bewiesen sollte werden, daß die Monarchie zwar historisch und kulturell durch alte "nationale" (nämlich ethnische) Eigentümlichkeiten geprägt sei, strukturell aber vor allem durch gegenwärtige Gemeinsamkeiten aufgebaut werde und damit notwendig wäre. Die Ironie an dieser Grundstimmung ist, daß sie sachlich relativ richtig genannt werden muß. Sie sitzt jedoch der eigenen Kulturideologie auf und geht damit am eigentlich entscheidenden Punkt vorbei: Dass nämlich Nation ein modernes Konzept ist, welches zwar Verschiedenheit behauptet und sich damit zu begründen versucht, das jedoch nur kann, weil sie grundsätzlich strukturelle Gleichheit voraussetzt. "Tatsächlich gelang eine Durchsetzung dieser Konzeption nur in den staatstragenden Eliten und in Ansätzen in der deutschsprachigen Bevölkerung" (Johler 1995, 86). Bleiben wir noch einen Augenblick beim Vergleich des österreichischen Nationenaufbaues mit jenen von Staaten der Dritten Welt der Gegenwart15, der auch von anderen schon gezogen wurde (Bluhm 1973)! Die Unterschiede zu damals sind bei näherem Hinsehen wesentlich weniger tief, als sie vorerst scheinen mögen. Was war das Hin- und Herschieben von Gebieten in den Besitzständen der diversen Dynastien ohne Ansehen der Bevölkerungen bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts anders als die angeblich so "willkürliche 15 Wir könnten auch andere Vergleiche heranziehen. Wenn wir etwa die Diskussion um den Weg Rußlands am Ende des 19. Jahrhunderts betrachten - Plechanow (1975 [1895] und ö. j. [1908]) könnte durchaus ein Beispiel dafür sein, zumal er dies in der intellektualistischen Manier tat, wie wir sie von seinesgleichen im nationalen Aufbau schon kennen - dann frappiert oft die Parallele qauch mit den heutigen Problemen. 79 Grenzziehung" durch die Kolonialmächte? Diese Dynastien standen nicht weniger außerhalb der Gesellschaften wie fremde Mächte. Ob ein Nationenbau innerhalb gegebener administrativer Grenzen erfolgreich war, war damals oft genug genauso eine Frage des Zufalls, wie es auch heute der Fall ist. Das hing im wesentlichen von zwei Fragen ab: 1) Reichte die numerische und politische Stärke des hegemonialen Zentrums aus, um die Peripherien zu dominieren und zu integrieren? - 2) War die Distanz in der Selbst- und Fremdwahrnehmung zwischen den konstituierenden Bestandteilen bzw. Bevölkerungsgruppen zu groß oder konnte sie überwunden werden? Diese Wahrnehmung lief in den Augen der europäischen Intellektuellen vor allem als Funktion der (Hoch-) Sprache ab. Österreich-Ungarn: Kommunikationsindikatoren 900 800 700 600 Eisenbahnkilometer pro Mill. EW 500 400 Telegramme pro 100 EW 300 200 100 0 1860 1870 1880 1890 1900 1910 Jahr Quelle: gerechnet aus Gross 1973 mit den Bevölkerungszahlen aus Helczmanowsky 1973 Kommunikationskennzahlen sind gute Indikatoren für die Integration. Es ist daher ein aussagekräftiger Hinweis, dass das Niveau beförderter Briefe 1911 469,5 war, wenn man den Durchschnitt 1882 – 1886 100 setzt. Andere vergleichbare Kennzahlen zeigen dieselbe Entwicklung. Der Aufbau eines modernen Staates war auch nach dem Scheitern des Neoabsolutismus keineswegs erreicht, und er war auch nicht das Ziel der herrschenden Eliten. Für diese am kennzeichnendsten war die Ära Taaffe (1879 - 1893), wobei Taaffe der mit weitem Abstand längst amtierende Ministerpräsident der Doppelmonarchie war. Kinder- und Jugendfreund des Kaisers, verstand er sich als "Kaiserminister", als "Minister der Krone", als "nur ein Exekutivbeamter seiner Majestät" (Skedl 1921, 7). Der Herausgeber seines politischen Nachlasses charakterisiert die Situation seiner Zeit so (Skedl 1921, 5 f.): "Da der Kaiser die Richtung der Staatsverwaltung persönlich bestimmte, so sind seine Gehilfen, die Personen seines Vertrauens, regelmäßig ein enggeschlossener aristokratischer Kreis, wie dies die Schriftstücke zeigen. Die Mitglieder dieses Kreises verkehren untereinander selbst in amtlichen Angelegenheiten, wie z. B. die Zuschriften des Ministerpräsidenten an die Statthalter und umgekehrt beweisen, in freundschaftlichem, ja intimem Ton. (Die im folgenden reproduzierten Privatbriefe sind eigentlich Dienstbriefe.) Es ist nicht das verliehene Amt an und für sich, sondern das den Amtsträgern geschenkte kaiserliche Vertrauen und seine Zugehörigkeit zur leitenden Oberschicht, welche den hohen Beamten als solchen qualifizieren." Auf diese Verhältnisse hat man schon des öfteren hingewiesen 80 (Bruckmüller 1985, 1996). Es war der Hof, welcher für die gesamte "höhere", d. h. hegemoniale, Gesellschaftsschicht den Ton, die obersten Werte, vorgab. Und das ging keineswegs konfliktlos vor sich, was gerade auch auf die nationale Stimmung Auswirkungen gehabt haben dürfte. Was eine französische Reisende im ersten Viertel des Jahrhunderts schrieb, dürfte 50 Jahre später noch immer seine volle Gültigkeit gehabt haben: "Es liegt ein Keim tiefen Hasses, vielleicht gar kommender Revolution in der arroganten und verächtlichen Zurückhaltung in der hohen österreichischen Aristokratie und der von ihr verletzten Eitelkeit der 'zweiten Gesellschaft'. Nicht führt von dieser hinüber zu jener, weder Heiraten, die immer nur Mesalianzen sind, noch geleistete Dienste, weder Würde, nicht Stellung, auch nicht die höchsten Orden. Wer sie trägt, genießt zwar für sich alle Ehren und Vorteile, die damit verbunden sind, aber seine Familie bleibt immer fremd... Der Dichter, der geniale Mensch, ist nicht imstande, die alberne Grenze zu überschreiten, die ihn von den aristokratischen Salons trennt, wo er seinen Geschmack verfeinern und zugleich den matten, abgestumpften Geist beleben könnte, der dort herrscht" (Baronin Montet, zit. in: Heindl 1990, 244). Doch nicht diese Feindschaft ist das eigentliche Problem, sondern vielmehr der doch nicht unterlassene Versuch, diese Schichten zu imitieren. Hof und 'erste Gesellschaft' blieben stilbildend. Für den Sozialwissenschafter stellt sich hier ein wesentliches Problem: Im 19. Jahrhundert stimmte in der Habsburger Monarchie offenbar der Lebensstil und die sozioökonomische Funktion des Großbürgertums und vermutlich auch des Bildungsbürgertums überhaupt nicht überein. Aber auch andere Schichten im Rahmen des gemeinsamen Staates lebten in diesem Zwiespalt. Der mittlere ungarische Adel hatte dort jene Funktion, welche anderswo das Bürgertum zu erfüllen hätte. Wenn man sich Max Webers Gedankengängen über die rationalisierende Funktion des Bürgertums anschließt, die wir etwas verallgemeinert übrigens in Talcott Parsons These vom Primat des Kultursystems gegenüber anderen analytischen Teilsystemen der Gesellschaft wiederfinden, müßte man sich eine Verzögerung oder eine Umorientierung der Entwicklung erwarten. Sowohl für die österreichische, als auch für die damit verbundene ungarische Entwicklung sollte dies manches erklären. Was ist denn die Funktion des Bürgertums in sozialer und ökonomischer Sicht? Wir wollen hier nicht die ohnehin schon bekannten Texte von Franklin bis Knigge wieder zitieren, sondern uns auf die Ideologisierungen berufen, welche im 19. Jahrhundert besonderes Gewicht bekamen, auf die Politische Ökonomie. Einer der Ideologen der Akkumulation, welcher durch mehrfache Übersetzungen im deutschen Sprachraum Gewicht erhielt und in seiner vulgarisierenden und popularisierenden Weise keine zu hohen intellektuellen Ansprüche stellte - auf Jean-Baptiste Say. J.-B. Say ist von Grund auf Technokrat und könnte imgrunde den ökonomischen Unterbau für Saint-Simon liefern. Denn er exponiert sich ständig als Ideologe der Produktion: Konsum zerstört Reichtümer und, implizit, senkt den Volkswohlstand. So ordnet er in der Tradition Adam Smith's denn auch die Regierung tendentiell (und an vielen Stellen ganz explizit) in den parasitären Konsum ein, der nur schadet. Überhaupt huldigt er einem geradezu anarchischen, viszeralen AntiEtatismus, der aber bei ihm schon zweischneidig wird: Auf der einen Seite richtet er sich gegen das ancien régime. Auch der Kampf gegen die Steuer ist für ihn vorrangig ein Kampf gegen die sinnlose Verschwendung des alten Staates. Auf der anderen Seite sind aber schon rudimentäre Umverteilungsmaßnahmen das Ziel seiner Angriffe. Was er generell massiv unterschätzt, ist die für eine Großgesellschaft gegebene Notwendigkeit eines politisch ordnenden Rahmens. Der Grund für diese Überschätzung der selbstregulierenden Fähigkeiten der Gesellschaft ist ein gewisser Naturalismus - die Neigung, die sozialen Institutionen seiner Zeit mit der "Natur des Menschen" zu verwechseln. In der Folge dessen kommt er statt zu einer regulierten Gesellschaft (società 81 regolata) zu einem Nachtwächterstaat. Die falschen Töne dabei gehen bruchlos in eine bedingungslose Eigentumsideologie über. Die hat kaum mehr etwas zu tun mit der größtmöglichen Freiheit oder einem Zustand gleicher Chancen hinter einem "Schleier der Unwissenheit". Aus dem um die persönliche Freiheit besorgten "Anarchisten", vielmehr Individualisten, wird der bürgerliche Ideologe des schrankenlosen Eigentums. Dabei gelingen ihm sogar einige originelle Gedanken. Es kommt z. B. bei ihm heraus, daß größere Ungleichheit den allgemeinen Wohlstand vermindert, für den er als Indikator die verhältnismäßige Bevölkerungszahl bzw. -entwicklung nimmt. Den Malthus'schen Naturalismus übernimmt er zwar abstrakt. Doch dann sind es die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Institutionen, welche den "Nahrungsmittelspielraum", nach Mackenroths Ausdruck, bestimmen. Das Ziel des historischen Momentes, in dem er lebte, war Akkumulation. Und er war sich der historischen Bedeutung dieses Augenblicks sehr bewußt. So gibt es denn kaum einen heftigeren Gegner jener schmierigen Theorie von der Notwendigkeit einer parasitären Klasse wie eben ihn. Parasitärer Verbrauch behindert die wirtschaftliche Entwicklung - da gibt es für ihn keine Frage. Dies ist der Hintergrund und der Sinn seines berühmt-berüchtigten "Prinzipes", nach dem sich das Angebot seine eigene Nachfrage schaffe. Es war ein Kampfinstrument für eine Reihe von Zwecken. Die wichtige Auseinandersetzung dahinter ist eine erste intensive Unterkonsum-Debatte, wie wir sie z. B. 100 Jahre später bei Rosa Luxemburg wieder erleben können. Daß Say dabei viele reale Probleme übersieht, läßt sich aus dem Eifer des Gefechtes erklären (und verbindet ihn im übrigen in diesem Punkt mit Ricardo). Eine andere Stoßrichtung geht gegen den Protektionismus und für den Freihandel, der die "Reibungen", durch welche Absatzstockungen zustande kommen, vermindern würde. Die Frage wäre: Hat uns diese Auseinandersetzung heute, in einer Zeit der tendentiellen Nachfragelücke noch irgendetwas zu bieten? Say führt die Debatte nicht zuletzt ja als Frage nach der Möglichkeit eines allgemeinen Gleichgewichtes. Allerdings zeigt er sich unfähig, zwischen einem theoretischen und abstrakten Gleichgewichtszustand und einer realen, sich ständig (zyklisch) entwickelnden Ungleichgewichtswirtschaft zu unterscheiden. In Wirklichkeit ist das nur die praktische Seite seiner Unfähigkeit, zwischen Marktpreis und Wert zu Unterscheiden, zumindest insoferne eine Dynamik einzuführen, als er eine ex-ante-Planung und eine ex-postWirklichkeit sehen würde. Im übrigen kommen aus dieser technokratischen Haltung massive Fehlurteile, die aber einges über den Gegenstand seiner Überlegungen aussagen: So sagt er etwa voraus, daß das Kolonialsystem im 19. Jh. zusammenbrechen würde, weil es zu aufwendig sei. Wichtig - und zwar für die Sozialwissenschaft allgemein - ist die Rolle, welche die Quantifizierung der Verhältnisse spielt, oder auch nicht spielt. Die so oft beschriebene revolutionäre Funktion des Bürgertums ist gerade das Gegenteil der Haltung, welche wir tatsächlich im 19. Jahrhundert in der österreichischen "zweiten Gesellschaft" finden, die keinen brennenderen Ehrgeiz hatte, als zur ersten Gesellschaft zu zählen. (Ähnliches gilt sicher auch für das Pariser Bürgertum des juste milieu.) Belegen konnte sie dies am ehesten mit Prestige-Konsum, und das tat sie ausgiebig. Als nach Taaffes Rücktritt die ersten Vorläufer eines allgemeinen Wahlrechtes - noch unter seiner Ministerpräsidentschaft wurde, nicht zuletzt aus taktischen Gründen, die gesetzlichen Grundlagen für eine fünfte, allgemeine Kurie geschaffen - ihre Wirkung zeigten, begann auch dieses neofeudale System etwas von seiner Wirksamkeit zu verlieren. Der Monarchie blieb infolge der Blindheit ihrer Führungsschichten allerdings nicht mehr Zeit genug, den Umbau durchzuführen. Im westlichen Teil des Habsburgerstaats (d. h. im wesentlichen außerhalb der Länder der Stephanskrone) bestand ein entscheidendes Merkmal der aufsteigenden neuen hegemonialen Eliten in der gemeinsamen Identifikation über die deutsche Sprache. Doch diesen Eliten, wie übrigens auch Konkurrenzeliten, die sich noch langsamer bildeten als die 82 deutsche Hegemonialelite und über andere Sprachen identifizierten, waren vorerst, und in vielen Fällen bis zum Ende der Monarchie, die Beteiligung an der Macht verwehrt. Da nun eine Demokratisierung als Voraussetzung für "Partizipation" neben Integration und (Re-) Distribution eine der Hauptfunktionen nationalen Lebens darstellt, orientierte sich vor allem der Teil der Bevölkerung auf Deutschland, der am meisten auf eigene Mitsprache drängte und dabei am meisten zu gewinnen dachte: die mittelständischen Intellektuellen (Johnston 1983, Zöllner 1984). Aus ihnen kamen die Deutschnationalen. Ihnen stellten sich die Konkurrenzeliten gegenüber, die nun ihrerseits aus dem Modernisierungsprozeß mit eigenständigen nationalen Projekten auftauchten. Eine ganz spezifische, verhängnisvolle und etwa mit der Funktion der Dynastie vergleichbare Rolle spielte in diesen Prozessen die römisch-katholische Kirche. Im Zeitraum des Neoabsolutismus gelang es ihr mit dem Konkordat (1855), unbestritten die Rolle einer Staatskirche zu erlangen, welche keine Abweichung von ihrer fundamentalistisch geprägten Lehre und Praxis duldete und alle anderen Konfessionen halb in die Illegalität drängte. Die sogenannte liberale Ära ist nicht zuletzt gekennzeichnet durch den erfolgreichen Kampf gegen das Konkordat und um einen moderat laizistischen Staat. Einzelne Bischöfe, wie etwa der Linzer Bischof Rudigier, taten zwar alles, um einen Kulturkampf schroffster Art zu entfachen. "Es ist vor allem der ausgleichenden Haltung des Kaisers zu verdanken, daß das österreichische Kultuswesen vor ernsteren Zerwürfnissen verschont blieb und in einem der Kirche keineswegs feindlichen Sinne erfolgte... Von einem 'Kulturkampf' in der Art Preußens kann in Österreich kaum gesprochen werden" (Leisching 1985, 61f.). Was hier so positiv formuliert wird, war nichts anderes als die Kollusion zwischen Kirche und Dynastie - wobei Franz Joseph selbst in einem Brief an seine Mutter verärgert die Person des Papstes, Pius IX., der auf kurzsichtigste Art ihn persönlich sogar mit "Kirchenstrafen" bedrohte, als das eigentliche Hindernis für einen Ausgleich bezeichnete - , welche stark dazu beitrug, auch die Nationen und Nationalitäten zu polarisieren und damit einen modernen Staatsaufbau weiter verunmöglichte. Wie sehr dies der Fall war, läßt sich daran ersehen, daß man die habsburgische Armee im Krieg gegen Preußen als "Konkordatssoldaten" bezeichnete, über deren Niederlage niemand froher war als das liberale Bürgertum der Monarchie. So war es denn auch in diesem Punkt, daß sich die Blicke nach Preußen und ins Deutsche Reich richteten, wo Bismarck den römischen Fehdehandschuh aufgenommen hatte. Man kann ohne weiteres sagen, daß sich hier auf mitteleuropäischem Boden eine bestimmte Form von Kemalismus (Reiterer 1988) abspielte, eine versuchte Kulturrevolution von oben. Wie der Ton der militanten Gefolgschaft Bismarcks aus dem Bürgertum klang, läßt sich an einem Spätaufklärer beispielhaft abnehmen: "Am meisten zu beklagen ist es, daß der moderne Kulturstaat sich der kulturfeindlichen Kirche in die Arme wirft.... Unsere Staatsordnung kann nur dann besser werden, wenn sie sich von den Fesseln der Kirche befreit und wenn sie durch allgemeine naturwissenschaftliche Bildung die Welt- und Menschenkenntnis der Staatsbürger auf eine höhere Stufe hebt. Dabei kommt es gar nicht auf die besondere Staatsform an. Ob Monarchie oder Republik, ab aristokratische oder demokratische Verfassung, das sind untergeordnete Fragen gegenüber der großen Hauptfrage: Soll der moderne Kulturstaat geistlich oder weltlich sein? ... Als der deutsche Kulturkampf 1872 begann, wurde er mit vollem Recht von allen freidenkenden Männern als eine politische Erneuerung der Reformation begrüßt, als ein energischer Versuch, die moderne Kultur von dem Joche der papistischen Geistestyrannei zu befreien; die 83 gesamte liberale Presse feierte Fürst Bismarck als 'politischen Luther' ..." (Haeckel 1921 [1899], 6 und 208). Und Haeckel beklagt den Gang nach Canossa, die Einstellung des Kulturkampfes. Wie eigentlich alle seinesgleichen, hatte er nicht begriffen, daß Kemalismus in etwas fortgeschritteneren Gesellschaften kein längerfristig effizientes Mittel der Politik sein kann, weil er anstelle Überzeugungen zu ändern nur aktiven Widerstand hervorruft. Diese Stimme kam zwar aus dem Deutschen Reich, aber sein riesiger Erfolg unter liberalen Geistern erreichte auch die Deutschsprachigen Österreichs. Darüber hinaus hatte die Bismarck'sche Politik mit Aufklärung oder Liberalisierung natürlich überhaupt nichts zu tun, wie sich u. a. an den Sozialistengesetzen zeigen wird. Es war eine junkerlich autoritäre Politik, die hinter dem Fetisch des nationalen Interesses nur die eigenen Klasseninteresse versteckte - was dem Bürgertum, auch dem liberalen, ja durchaus zupaß kam. Der Appell zur nationalen Einheit war für dieses Bürgertum stets nur der Appel, soziale Konflikte zu vermeiden und so seine Privilegien fraglos zu akzeptieren. So ist es denn auch keineswegs verwunderlich. wenn eine neue Untersuchung zum Schluß kommt, daß die Breite des nationalistischen Einflusses und seine Wirkung auf die damaligen Entscheidungsträger durchaus begrenzt waren und keineswegs den heute gängigen Vorstellungen entsprachen (Farrar u. a. 1989), ein Befund, der sich gerade auch in Österreich in der Unterstützung explizit deutschnationaler Parteien im Vergleich zu den Volksparteien damals nachvollziehen lässt (Reiterer 1993). Was jedoch an diesem gebremsten Kulturkampf in Cisleithanien von größerer Bedeutung war, ist, daß er national differentiell ablief. Die Römische Kirche konnte sich auf große Teile der noch stark in traditionalen Verhältnissen lebenden nichtdeutschen Nationen und Nationalitäten stützen. Zum einen führten die Deutschnationalen bereits den Kulturkampf auch teilweise unter nationalem Vorzeichen. Zum anderen aber kam es dazu, weil sich die Polen, Slowenen und Kroaten - bei den Tschechen war es komplizierter - vor den Karren der kirchlichen Interessen spannen ließen und die Konservativen unterstützten. Damit wurden manche der laizistischen Gesetze auch zu Symbolen im nationalen Streit. Noch heute findet man bei den Slowenen z. B. gerne den Hinweis auf die Schulgesetze von 1869, die als der eigentliche Wendepunkt zu einer germanisierenden Politik betrachtet werden. Dies ist nicht unrichtig. Doch bleibt unerwähnt, dass dies nur geschehen konnte, weil sich die klerikal-konservativen Sprecher, ob sie nun selbst Geistliche oder Bischöfe waren oder Bürger, an die alte hinfällige Politik des Neoabsolutismus klammerte. Wie nicht selten, wurden damit die Sprecher des status quo zu den Wegbereitern der Niederlage ihrer eigenen Klientel. Der Deutschnationalismus nützte dies zu erfolgreichen Assimilationskampagnen. Wir können am Charakter dieses zweischneidigen Deutschnationalismus nicht vorüber gehen, weil er bis in die Gegenwart gründlichst missverstanden wird. Nationale Einigungsprozesse waren, wie schon oft genug betont, vor allem das Anliegen aufsteigender bzw. auch am Aufstieg gehinderter bürgerlicher (Gegen-) Eliten. Die Frühformen des Nationalismus traten dabei nicht selten als "Pan-Bewegungen" auf. Sie waren dabei eigentlich Vorformen des modernen Nationalismus. In unserer Region die vielleicht bekannteste ist der Panslawismus (vgl. Moritsch 1993). Das Interessante daran ist, dass ein früher politischer Ausdruck dessen eigentlich dem späteren Panslawismus ganz entgegengerichtet war: Es war der "Austroslawismus" als intellektueller Versuch, der "russischen Barbarei" eine (Kon-) Föderation unter habsburgischer Führung entgegenzusetzen. Heute 84 gibt es idyllisierende Tendenzen, ihn als weitblickenden Lösungsansatz hochzustilisieren (vgl. Moritsch 1996). So mag es nicht uninteressant sein, wie er von zwei berühmten Zeitgenossen betrachtet wurde, nämlich von Marx und Engels. Nach einem Überblick über die Verhältnisse auf dem Balkan, der in seiner Verwendung von abgegriffenen Schlagworten von jedem anderen schlechtinformierten und oberflächlichen 19.-Jahrhundert-Journalisten stammen könnte,16 kommen sie jedoch zum wichtigen Schluss, dass die religiös motivierte Orientierung auf Rußland als neues Rom jede anders gerichtete Überlegung chancenlos mache: "Trotz allen panslawistischen Anstrengungen der Agramer oder Prager Enthusiasten hat der Serbe, der Bulgare, der bosnische Rajah, der slawische Bauer aus Makedonien und Thrazien mehr nationale Sympathie, mehr Berührungspunkte, mehr Mittel des geistigen Verkehrs mit den Russen als mit den römisch-katholischen Südslawen, der dieselbe Sprache spricht. Was immer geschehen mag, er erwartet von Petersburg seinen Messias, der ihn von allem Übel erlöst" (MEW 9, 3 - 12 [11]). Nicht minder interessant jedoch ist der Pangermanismus. Hier gilt es nun zu unterscheiden zwischen einer frühen Form des deutschen Nationalismus und der wesentlich bekannteren späteren, dem Pangermanismus im engeren Sinn. Die frühe Form des Deutschnationalismus ist eine typische Pan-"Bewegung", die man in eine Reihe mit Panslawismus, Panarabismus oder Panturkismus stellen muß, mit protonationalen Formen also, nicht aber mit reifen nationalen Bewegungen. Intellektuelle griffen aus einer Gemengelage von unterschiedlichen politischen Bedürfnissen heraus die Sprachähnlichkeit vieler Bevölkerungsgruppen ganz unterschiedlichen Bewusstseins auf und erklärten sie zur "Nation". Es war ein frühnationalistisches Konstrukt, welches mit der Erfahrung der betroffenen Bevölkerung(en) wenig zu tun hatte und daher bei ihnen auch kaum auf Resonanz stieß. Mobilisieren konnte man sie damit nicht. Ein Teil der politisch kurzfristig aktiven Massen stand dem möglicherweise freundlich ohne großen Enthusiasmus gegenüber, der größere Teil vermutlich nur gleichgültig. Der eigentliche Pangermanismus, und dieser Ausdruck wurde nicht zufällig erst später gemünzt, war etwas ganz anderes. Mittlerweile war eine deutsche Nation politische Wirklichkeit geworden, von oben herab geschaffen und unter der Hegemonie des preußischen Kerns. Die sogenannte "kleindeutsche Lösung" war, als nationaler Entwurf, tatsächlich der einzig gangbare. Damit ist weder gesagt, daß die Bismarck'sche Methode die einzig mögliche war, noch dass die Grenzen genau dort gezogen werden mußten, wo sie eben gezogen wurden. Letzteres ist bekanntlich in hohem Ausmaß eine Frage des Zufalls und der momentanen Machtverhältnisse. Doch nunmehr stieg dieser neue deutsche Nationalstaat in den imperialistischen Wettbewerb ein. Eines der angewandten Mittel war ein wilder Nationalismus, welcher die Höherrangigkeit des Kollektivs "Nation" gegenüber dem Einzelmenschen behauptete. Das ist im Nationalismus recht gewöhnlich. Es ist faktisch nichts anderes als der Machtanspruch von hegemonialen Schichten, vertreten durch soziale und politische Eliten. Diese Eliten formulieren in nationalen Auseinandersetzungen einen solchen Anspruch unter der "Kollektivideologie", weil mit einer Akzeptanz dieser Ideologie ihr Machtanspruch akzeptiert wird. Nach innen folgte aus dieser Ideologie übrigens ein Homogenitätsanspruch und daraus eine Assimilationspolitik, womit sie ihren Machtan- 16 "Die europäische Türkei... ist so unglücklich, von einem Konglomerat der verschiedensten Rassen und Nationalitäten bewohnt zu werden, von denen man schwer sagen kann, welche von ihnen die für Zivilisation und Fortschritt am wenigsten befähigte ist" (MEW 9, 7). 85 spruch auf quantitativ immer größere Kreise ausweiten. Und nach außen entstand der Pangermanismus als Eroberungsideologie dieses Imperialismus und seiner Alliierten bzw. Fünften Kolonnen in anderen Staaten. Spezifisch deutsch daran war nicht etwa der Imperialismus, der vom Ärmelkanal bis nach Bagdad herrschen wollte. Das wollten die Briten ebenso und taten es auch. Spezifisch war eher, daß dies unter einem ethnonationalen Anspruch geschah. Das war, bleibt man beim Vergleich mit den Briten, ungewöhnlich: Diese wären nie auf die Idee gekommen, etwa die Iren als Briten zu sehen. Theoretisch mag dies kompliziert klingen. "Der in der Habsburger-Monarchie im Zuge der Industrialisierung mit der Ausbildung bürgerlich-industrieller Lebensformen und der damit verbundenen höheren sozialen Flexibilität einhergehende Prozeß der nationalen Bewußtseinsbildung hatte – zumal nach 1866/67 - die Relativierung der traditionellen politischen und administrativen Hegemonie der Deutschen zur Folge. Der dem gegenüber ins Treffen geführte nationale Besitzstand, die Überlegenheit der deutschen wirtschaftlichen und kulturellen Standards, scheint dabei gerade in ethnisch heterogenen Gebieten gefährdet, in denen soziale Emanzipation und politische Partizipation Gleichberechtigung unter den Volksgruppen implizierte" (Streibel 1994, 49 f.). 2.6 'Ausgleich' Der Ausgleich war die Vollendung der bürgerlichen Revolution in Österreich und Ungarn mit ihrem Kulminationspunkt 1848/1849. Er war es etwa in dem Sinne, wie auch Bismarck, mit einer gewaltigen Portion Zynismus, jedoch nicht ohne Realitätsgehalt, als der Vollender der deutschen bürgerlichen 48er Bewegung bezeichnet wurde. Die historische Dialektik hat aus beiden Vollendungen Vollstreckungen, d. h. Todesurteile für die ursprünglich freiheitlichen Anliegen und Motive gemacht. Die 48er schrieben einen sauberen Entwurf, die 60er (und in Deutschland: die 70er) machten daraus ihre schmutzige Realität. Die "bürgerliche" Revolution zeigte in beiden Fällen ihr nicht allzu schönes Gesicht – es erwies sich als die Fratze nationaler und sozialer Unterdrückung. Historisch-konkret war Struktur und Geschehen sehr durchsichtig, auch von den Beteiligten nicht verborgen und somit noch heute leicht erkennbar: Wenn Rauchenberg 1908 den Anspruch erhebt, die "Deutschen" der Monarchie dürften nicht gezählt, sondern müssten gewogen werden (zit. in: Wandruszka/Urbanitsch 1978, 33), hat er damit den Hegemonie und Machtanspruch seiner eigenen Schicht deutlich genug deklariert. Es hat einige Zeit gedauert, bis diese Deutschen begriffen, daß sie innerhalb der Monarchie einen wichtigen Verbündeten hatten: die Magyaren. Diese hatten in ähnlicher Weise um ihre Dominanz in den Ländern der Stephanskrone zu kämpfen, wo auch sie eine Minderheit darstellten. Nach dem Beinahe-Zusammenbruch der Monarchie im Krieg gegen Preußen und Italien 1866 waren es die Magyaren, welche den Weg wiesen. Ihre Oberschichten waren übrigens eher noch als das deutsche Bürgertum bereit gewesen, den Krieg gegen Preußen zu unterstützen, im Gegensatz zu wenigen Jahren später. Nun waren sie auch zum Kompromiss mit der Dynastie einerseits, mit den Hegemonen der westlichen Reichshälfte andererseits bereit. Auch diese bzw. ihre dünne, sich parlamentarisierende bürgerliche Oberschicht hatten endlich begriffen, dass dies in ihrem unmittelbaren Interesse lag: "Wir wollen den Dualismus, da es keinen einzigen Staat von Bedeutung auf der Welt ohne eine politisch führende Nation gibt; und diese führende Rolle, zumindest diesseits der Leitha, uns gebührt..." (Kaiserfeld, Sprecher der Autonomisten, in: Galántai 1985, 27). Man argumentierte aus einer Mischung von Nationalismus und altem Denken heraus. Ähnlich war es bei den Magyaren, welche in ihren Wortmeldungen den Ausgleich vor allem 86 sicherheitspolitisch begründeten: "Die Niederlage bei Königgrätz hat Österreich in seinen Grundfesten erschüttert, ohne dass Ungarn dabei jedoch einen positiven Vorteil erlangt hätte. Die Lage hat sich für uns nur insoweit geändert, dass uns die Gefahr seitdem nicht mehr sosehr von Seiten Österreichs, sondern von anderer Seite droht, und dass gegen den neuen Feind gerade derjenige unser natürlichste Bündnisgenosse sein könnte, der bis dahin unser größter Gegner war... Da die gleichen Elemente Österreich und Ungarn mit Auflösung bedrohen, böte die Interessensgemeinschaft die Grundlage für das natürlichste Bündnis" (Boldiszár Horváth, ein Sprecher der liberalen Deák-Partei; in: Galántai 1985, 29). Man skizzierte also eine amalgamierte Sicherheitsgemeinschaft mit der westlichen Reichshälfte gegen Russland und Preußen. In der politischen Realität hatten die Magyaren von Bismarck-Deutschland nichts zu fürchten: Der deutsche Kaiser wird sich mehrere Male explizit weigern, die Deutschungarn gegen die dominanten Magyaren zu unterstützen. Bismarck, der Götze der Alldeutschen, war kein Nationalist in einem trivialen Sinn – er war ein Staatsideologe nach der Art Seipels (s. später). Preußen wird denn auch bald ausschließlich als Verbündeter wahrgenommen – mehr noch als die österreichischen Deutschen jenseits der Leitha (vgl. Andrássy 1897). Der eigentliche Feind ist dagegen der „Panslavismus“, d. h. im Inneren schlicht die nichtungarischen Nationalitäten. Gegen sie und natürlich auch gegen ihre Verbündeten des „Orients“, d. h. des Balkans, gegen Rumänien, Bulgarien und Serbien, muss Ungarn Großmachtstatus erlangen. Da es allein dazu zu schwach ist, braucht man den Ausgleich, nämlich die Unterstützung des cisleithanischen Reichsteils. Doch nicht nur, nicht einmal hauptsächlich, außen standen die Gegner, wie gesagt: Der Ausgleich war nötig "wegen der Nationalitätenbestrebungen der Slawen, die innerhalb der Monarchie die ungarische wie die deutschösterreichische Hegemonie gleichermaßen bedrohten" (Galántai 1985, 32f.). Die Überlegungen der beiden Hauptkontrahenten des Ausgleichs verraten einigermaßen viel über die Nations-Auffassung, wie sie Mitte des 19. Jahrhunderts keineswegs nur in Mitteleuropa und keineswegs nur bei den Konservativen. Denn die sogenannten "Liberalen" unterschieden sich kaum von den deklarierten Konservativen, außer dass sie sich manchmal "durch einiges Geflunker mit liberalen Phrasen"17 einen Vorteil erlangen wollten) gang und gebe war. Nation kann nur eine Bevölkerung sein, die eine Großmacht zu bilden imstande ist. So schreibt Engels in einem privaten Brief am 23. Mai 1851 nach einer Reihe von chauvinistischen Ausfällen gegen die Polen an Marx: "Eine Nation, die 20.000 bis 30.000 Mann [an Truppen] höchstens stellt, hat nicht mitzusprechen" (MEW 27, 268). Diese Auffassung kam aber in Konflikt mit den sonstigen Bedingungen, insbesondere mit der Überlegung, dass Nation eine Abstammungsgemeinschaft sein solle. Es gab eben nur knapp 5 Millionen Ungarn in der Monarchie, und zum Zeitpunkt der Zählung waren sie sogar nur die zahlenmäßig drittstärkste Sprachgruppe, nach den Deutschen und den Italienern (das wird sich 1866 ändern). Die eindeutige politische Schlussfolgerung war, dass man Slowaken, Kroaten, Rumänen und Ungarndeutsche assimilieren müsse, und wenn sie nicht wollten, eben unterdrücken. Nicht anders dachte die deutschsprechende Mehrheits- 17 Der Ausdruck stammt aus einem Bericht des damaligen Ministerpräsidenten-Stellvertreter Taaffe vom 29. Oktober 1868 an den Kaiser, der sich über eine parlamentarische Wortmeldung des Justizministers Zerbst bzw. des Innenministers Giskra erregt hatte; Taaffe beruhigte ihn, dass sei nötig gewesen, um sich goodwill für die Abstimmung über das Wehrgesetz zu verschaffen (In: Skedl 1921, 46). 87 bevölkerung diesseits der Leitha (rund 40 % der Gesamtbevölkerung). Außenpolitisch drückte sich die "Großmacht-Nation" zur selben Zeit in den sogenannten Rekompensationsverträgen und -klauseln aus: Wenn eine Macht irgend einen Vorteil in einem Gebiet (z. B. am Balkan) erlangen sollte, wollte die andere dafür "entschädigt" werden. Dies zeigt, dass man Nation oder Staat nach außen praktisch ausschließlich in Termen der militärischen Hegemonie verstand. Der Staat wird also von seinen Hauptnutznießern in dieser Zeit also nur als Gewaltinstrument verstanden. Nur vor einem solchen geistigen Hintergrund konnte sich die Bismarck'sche Doktrin vom "Primat der Außenpolitik" entwickeln. Nirgends wird dies deutlicher als im schon genannten geschwätzigen Diskussionsbeitrag des jüngeren Andrássy. Es geht immer nur um das Heer. Er will seine „Ko-Nationalen“, und das sind ausschließlich jene rund ein Viertel stellenden Ober- und oberen Mittelschichten, welche im ungarischen Parlament vertreten waren, mit allen zu Gebote stehenden rhetorischen Mitteln überzeugen, dass der Ausgleich vor allem „Ungarn“ dient, dass die „Kenntnis der deutschen Sprache heute keine Gefahr mehr für uns“ ist (402): „Die Gefahr unserer Nation liegt nur in der Erstarkung der Sonderstellungsgelüste der Slaven und Walachen.“ In diesem Interesse werden auch die Politiker der westlichen Reichshälfte aufgefordert, „der Ausbreitung der Slawisierung eine Grenze zu stecken“ (405). Was aber noch bis heute komplett im Hintergrund ist, erstaunlich genug, ist: Die hegemoniale Stellung der "Deutschen" in Cisleithanien zusammen mit ihrer Konkurrenzhaltung gegenüber den "Reichsdeutschen" zeigt im Grunde die objektive Nationenqualität jenes Teiles der Bevölkerung, den wir besser bereits als Deutschösterreicher bezeichnen sollten. Dieser Punkt ging aus zwei Gründen bisher völlig unter: Zum einen war jene stark minoritäre Strömung mit Abstand am lautstärksten, welche um Schönerer herum den alldeutschen Kern darstellte. Zum anderen gab es keine Debatte, welche auch nur annähernd diese objektive Nationenqualität thematisiert hätte, weil jene, die nicht die Zugehörigkeit zu den Deutschen in den Mittelpunkt stellten, sich politisch nicht über die Nation, sondern über den Staat definierten. Das lässt sich aus der unwidersprochenen Präponderanz des Sprachnations-Konzeptes – von dem man eigentlich nur mit Blick auf die Juden abwich, die man nicht als Deutsche akzeptieren mochte, trotz ihrer Sprache (Stourzh) – erklären. Beide Voraussetzungen zusammen ergaben jene Auffassung, welche in der Zeit der Ersten Republik und vor allem in der Nazi-Zeit zur unverrückbaren Wahrheit von der deutschen Zugehörigkeit des cisleithanischen Staatsvolkes hochstilisiert wurde. Damit war der Ausgleich eine Kompromiss- und Interessenskonstruktion zweier dominanter Nationalismen, welche nicht bereit waren, die Gleichberechtigung der anderen Nationen, welche zur gleichen Zeit in ihren Verfassungscharten festgeschrieben wurde, auch tatsächlich anzuerkennen und zu verwirklichen. In diesem Sinne ist der Ausgleich nur einer der wichtigsten Schritte zum endgültigen Zusammenbruch dieses archaischen Staates mit aufgesetzten Hegemonialnationalismen. 2.7 Fin de siècle Grundlagenarbeit ähnelt in vielem der Ideologie. Sie ist nicht zuletzt der Aufbau einer bestimmten Stilistik. Diese Stilistik ist einerseits Teil des gesellschaftlichen Umfelds, andererseits gestaltet es dieses. Gelingt die Durchsetzung eines hegemonialen Paradigmas, so wird diese Stilistik Basis der neuen Wissenschaft, aber zumindest in Teilen auch Element des Alltags. Während die Klassik die Stilistik der Arbeit pflegte, finden wir in der Neoklassik wieder eine dick aufgetragene Stilistik der Natur. Das ist eigentlich erstaunlich, weil es im Grunde ein aufklärerischer Zug ist. Andererseits passt es sehr gut in die Metaphysik der 88 Natur hinein, welche im späten 19. Jahrhundert die alte religiöse Transzendenz der Jenseitigkeit zumindest im hegemonialen intellektuellen Bereich ablöste. In den 90er Jahren und bis zum Beginn des Weltkrieges glaubten die maßgeblichen Politiker der Monarchie, die ungarischen wie die cisleithanischen, sie könnten noch immer als Großmacht auftreten. Doch diesen Status hatte der Habsburgerstaat spätestens seit der deutschen Reichsgründung verloren. Die politische Konjunktur der 80er Jahre, welche alle europäischen Mächte fieberhaft Verbündete suchen ließ – das „europäische Konzert“ – , wobei das neue Deutsche Reich das Zentrum aller Bemühungen pro und contra war, spiegelte noch einmal einen gewissen Einfluss vor. Kennzeichnend für die Haltung wie auch für die Folgen dieser Illusion war die vom Außenminister Aehrenthal 1908 vom Zaun gebrochene bosnische Annexionskrise, die den Weltkrieg beinahe schon hätte ausbrechen lassen. Damit stieß er alle erdenklichen Interessenten vor den Kopf und erreichte in Bosnien selbst das genaue Gegenteil dessen, was er sich erwartet hatte, nämlich eine Beruhigung. Was er vor allem nicht begriffen hatte, war, dass Frankreich und England die Monarchie realistisch nur mehr als untergeordneten Vasallen des Deutschen Reiches betrachteten, eine Sichtweise, die von den Deutschen selbst ja geteilt wurde, wie sich aus Naumanns Buch wenige Jahre später ohne jede Zweideutigkeit ergibt. Im Grunde war diese Naumann'sche Sichtweise aber bereits das Konzept der Bismarck'schen Politik gewesen. Sie nahm dem Habsburgerreich gegenüber eine halbkolonialistische Haltung ein. Der Staat sollte womöglich bestehen bleiben, wenn und insofern er sich den preußisch-deutschen Interessen unterordnete. Kennzeichnend dafür ist eine Schlüssel-Episode aus dem Krieg von 1866, als Bismarcks Stellung noch nicht so eindeutig gefestigt war, dass er einfach seine Vorstellungen unwidersprochen durch gesetzt hätte. Nach der unerwartet schnellen Niederlage der habsburgischen Armee bei und nach Königgrätz bestand die militärische Führung auf einen Marsch auf Wien, und der König neigte dieser Richtung zu. Bismarck sah seine gesamte Konzeption in Frage gestellt, produzierte einen hysterischen Anfall und forderte seinen Abschied (Jerussalimski 1983, 63). Angeblich soll er sich sogar mit Selbstmordgedanken getragen haben Angeblich soll er sich sogar mit Selbstmordgedanken getragen haben, „aus dem offenstehenden, vier Stock hohen Fenster zu fallen“, wie er sich selbst in seinen Erinnerungen (1898, II, 47) ausdrückt (vgl. auch Gall 1980, 373 f.). Der König gab nach, und das Bismarck'sche Konzept war gerettet. Erst im Verlauf der Bosnien-Krise 1908, also sehr spät, ging dem damaligen Außenminister Einiges von der politischen Realität auf: "In Aehrenthal wuchs nach der Annexionskrise die Überzeugung, dass die Monarchie – wenigstens in der Periode der verschärften englisch-deutschen Rivalität – um jeden Preis an der Bewahrung des Friedens interessiert sein mußte" (Galántai 1985, 133). Doch Aehrenthal starb bald. Seine Nachfolger begriffen diesen entscheidenden Punkt schon nicht mehr. Unter der Kriegshetze des Oberkommandos der Armee, welche hinsichtlich ihrer militärischen Möglichkeiten völlig verblendet und wirklichkeitsfern war, arbeitete man ständig mit Ultimaten und Kriegsdrohungen. Im Jahr 1912 kam es zur Prochaska-Affäre, welche in ihrer ganzen Schäbigkeit einer Schmierenkomödie ein Schlaglicht auf die Verhältnisse warf, gleichzeitig aber auch die außenpolitischen Beziehungen des Habsburgerstaats schwer schädigte (Kann 1977). Ein ganz erheblicher Teil der politischen Klasse und der politischen Öffentlichkeit – die keineswegs die Mehrheit der Bevölkerung abbildete – drängte ganz offen zum Krieg. Zugrunde lag dem eine Mischung aus politischer Unfähigkeit, eklatant verkörpert im Ministerpräsident, den Grafen Leopold Berchtold (1863 – 1942), Realitätsverweigerung, vor allem von Seiten des Militärs, und einer intellektuellen Stimmung vor allem in Wien, die schwer zu kennzeich89 nen ist: „Götterdämmerung“, „Krisenatmosphäre“ (a.a.O., 38) ist eher schlechte Belletristik als analytische Kennzeichnung. Offenbar wurde die politische Situation von diesen Gruppen als völlig blockiert betrachtet. In der gesellschaftlich-kulturellen Sphäre dominierten ebenfalls Kräfte, welche eine Stimmung der Ausweglosigkeit kultivierten. Es war in mancher Weise das österreichische, das multikulturelle Äquivalent des integralen Nationalismus und seiner Neuralgien. So wurde denn der Krieg wird von jenem Staat ausgelöst, welcher das höchste Interesse am Frieden gehabt hätte. Das war in gewisser Weise auch nicht verwunderlich. Eines Tages hätte sich auf alle Fälle eine solche Situation verselbständigt. Die bürgerlichen Intellektuellen hatten mit der langsamen und stockenden Liberalisierung der Monarchie zumindest im nun sich ihnen öffnenden politisch-parlamentarischen Bereich Mitspracherechte erworben, weniger aber im entscheidenden Bereich der Administration, praktisch gar nicht in den Streitkräften. Die unterschiedlichen deutschnationalen Gruppen, von den Großdeutschen bis zu den Sozialdemokraten, wurden bei der langsamen Ausweitung des Wahlrechtes zuerst nicht nur zu Sprechern der politisch neu eintretenden Schichten, sondern vor allem jener Tendenz, die nach der erdrückenden Atmosphäre des habsburgischen Spätabsolutismus und seiner katholischen Umhüllung, die man zusammen nur all zu oft "österreichisch" nannte, alle materiellen und politischen Hoffnungen auf BismarckDeutschland setzten und sich dementsprechend auch als Deutsche definieren mussten. Dem Interessensaspekt folgte ihre Selbstidentifikation. Die Deutschnationalen waren im Reichsrat gegen das Jahrhundertende zu die einzige Strömung von Belang, welche die Demokratisierung zumindest i. S. einer Ausweitung des Wahlrechtes und der Parlamentarisierung vorantrieben. Aus dem demokratischen Flügel dieses deutschnationalen Kreises wieder ging (u. a.) die Führungsgruppe der österreichischen Sozialdemokratie hervor (Viktor Adler, Engelbert Pernerstorfer, Friedrich Austerlitz, Karl Renner, ...). Die Sozialdemokratie wurde am Anfang des 20. Jahrhundert zur eigentlichen Sprecherin des deutschen Nationalismus in Österreich (Springer [=Renner] 1902, Bauer 1907, Bluhm 1973, Panzenböck 1985, Reiterer 1984, 1986). Sie strebten eine Befriedung der nationalen Konflikte an, wobei das ausdrückliche Ziel die Beibehaltung der deutschen Hegemonie war. Während die deutschnationalen Klubs in der Regel habsburgfeindlich waren, konnten sich die Sozialdemokraten die Erhaltung des Reiches vorstellen und strebten sie z. T. sogar offen an. Während zwar Pernerstofer – kennzeichnenderweise ein deutscher Nationalist auch nach seinem Eintritt bei der Sozialdemokratie – von Wilhem Ellenbogen (1981, 62) als “antihabsburgisch” charakterisiert wird, kennzeichnet der Herausgeber seiner Erinnerungen diesen selbst durch “Anhänglichkeit an das Kaiserhaus” (S. 19). Dieser morbiden politischen Situation stand eine verwunderliche kurze kulturelle Blütezeit gegenüber. Es ist allgemein bekannt, dass es um die Jahrhundertwende eine ausgesprochene Hochschwung der Wiener Kultur gab. Wien wurde für kurze Zeit zu einem Zentrum der Moderne. Kennzeichnend für diese Zeit und für diese Blüte war ein ausgeprägter Multikulturalismus. Man kann ohne großes Risiko die These wagen, dass dieser Multikulturalismus auch eine Hauptursache für die Blüte war, da er eine solche Fülle von Impulsen einbrachte, wie sie sonst nicht leicht zu finden sind. Hier sollen die Schwierigkeiten nicht unterschätzt werden, welche daraus entstanden: Es gab nicht nur politische Konflikte, sondern auch solche persönlicher Art und sicherlich Probleme aus intrapersonellen Konflikten, aus Identitätskonflikten, welche viele der Betroffenen in sich selbst austrugen und bewältigen mussten – und dies manchmal nicht schafften. Schließlich gab es ausgesprochene Gegenbewegungen zur Moderne. Besonders klar lässt sich dies an der Entstehung neuerer sozialwissenschaftlichen Disziplinen zu beleuchten, Unter ihnen finden wir eine, welche 90 sich damals ganz sicher nicht als sozialwissenschaftlich begriff und eine spezifische, wenn auch nicht besonders hoch einzuschätzende Rolle spielte: die Volkskunde. Volkskunde in Österreich – Reinhard Johler hat es mehrere Male dargestellt (1995a; 1995b als Nachwort zu Cole/Wolf) – entstand um diese Zeit aus einer Gemengelage von Antimodernismus i. S. einer Anti-Stadt- und antinationaler Ideologie und dem Interesse an der Sicherung der deutschen Hegemonie im Habsburgerstaat. Dabei war dieses Interesse durchaus vormodern strukturiert. Und tatsächlich: Wenn man sich die ersten Jahrgänge der Zeitschrift für Volkskunde ansieht, fällt es einem schwer, sich zu erinnern, daß sie in einer Stadt erschien, welche damals ein blühendes Zentrum der Moderne war. Damit war aber auch ihr ideologischer Ort von vorneherein festgelegt. Er wird sich allerdings später deutlich verschieben und einem wiederum rückwärts gerichteten Nationalismus rassistischer und imperialistischer Prägung Platz machen (vgl. Bockhorn 1993 und 1994). Wenn allerdings Volkskunde – in welcher paradoxen Art immer – eine Modernisierungsfolge ist, dann ist damit ein wesentlicher Berührungspunkt zu den Sozialwissenschaften gegeben. Soziologie und ihre umfassenderen Vorläufertheorien – vor allem die Politische Ökonomie als Strukturanalyse des sozialen Grundsystems – entstanden schließlich aus den Problemen des europäischen Modernisierungsprozesses. Allerdings ist damit fürs erste die Gemeinsamkeit auch schon erschöpft. Soziologie wollte – selbst in ihren konservativen Versionen - die Modernisierung analysieren und transzendieren. Die neuere Wirtschaftstheorie und ihre neueste Ausprägung in der Neoklassik war in Wien mitbegründet worden und versuchten eine Art technokratischer Modernisierung zu fördern, auch wenn man gerade der Wiener Schule vorgeworfen hat, eine "Politische Ökonomie des Rentners" (Bucharin 1925) darzustellen, also die parasitären und am wenigsten fortschrittliche Kapitalfraktion theoretisch zu vertreten. Volkskunde hingegen versuchte die Modernisierung rückgängig zu machen, und da dies nach ihrer eigenen Einsicht nicht ging, zumindest zu konterkarieren. In diesem Sinn war die Gründung der Volkskunde als Disziplin in Österreich gegen Ende des 19. Jahrhundert ein Projekt der Antimoderne. Das Fach wurde einerseits von Angehörigen der Dynastie gefördert, konnte sich allerdings vorerst wenig wissenschaftliches Renommé erringen und wurde auch erst spät mit den Weihen einer akademischen Disziplin geehrt. Da hatte sie schon den Schwenker zum retrospektiven Nationalismus hinter sich. Ungefähr zur selben Zeit, als sich die Volkskunde in Österreich in Gestalt einer Zeitschrift so halbwegs etablierte, erschienen in Westeuropa jene grundlegenden Werke, welche die Soziologie als Spezialdisziplin begründeten: In Österreich wird es allerdings noch lange dauern, bis sich etwas Ähnliches wie eine Soziologie als eigenständiges Fach durchsetzen konnte – im Grunde bis nahe an die Gegenwart. Die ersten, die sich schon vor dem Ersten Weltkrieg Soziologen nannten, waren Außenseiter ihrer jeweiligen Fächer. Für den Theoretiker nicht nur der Nation, sondern auch des Nationalismus ist dies eine hochinteressante Epoche. Wir dürfen nicht vergessen, dass ein auffälliger Zug der meisten Ethnonationalismen eine "Reinheits-Ideologie" ist: Die Nation und ihre Mitglieder sind umso "wertvoller" und stehen desto höher, je "unvermischter" sie sind. In besonderem Ausmaß wurde diese Ideologie von Deutschnationalen unter preußischer Hegemonie gepflogen. Sie war in Österreich und im übrigen auch in Westeuropa äußerst wirksam. Der Realitätsgehalt war nie gegeben, da alle modernen Nationen aus der Verschmelzung sehr unterschiedlicher kultureller und ethnischer Komponenten entstanden, und je umfangreicher sie wurden, desto mehr. Hier aber wurde dies ad oculos demonstriert – jedoch die 91 Wahrnehmung wurde weitgehend verweigert. Die wenigen, welche vorurteilslos genug waren, um dies auch zu sehen, waren unter der erdrückenden Dominanz des ideologischen Konzepts der Nation als "Abstammungs- und Kulturgemeinschaft" nicht in der Lage, diese Einsicht als nationales Projekt explizit zu formulieren. Sie flüchteten sich in einen manchmal dynastischen und manchmal übernationalen Patriotismus und vergaben damit die Chance, geschichtsmächtig und wirkkräftig zu werden. Überhaupt ist die Diskussion um den Charakter der Nation als Phänomen, der vor allem in demokratischen Kreisen, kaum in konservativen, geführt wurde, aufschlussreich, wie fetischisiert diese Diskussion teilweise auch ablaufen mochte. 2.8 Zur Diskussion um die Nation Die nationale Frage war das politische Problem der Monarchie. Die habsburgfrommen Historiker suchten allerdings den Ausdruck auch zu vermeiden, und sprachen gerne von den „ethnographischen Verhältnissen“ der Monarchie. So hat sich bereits in der Endphase ihrer Existenz eine lebhafte Diskussion entwickelt, an der Persönlichkeiten unterschiedlichster Provenienz teilnahmen. In der Folge werden einige Wortmeldungen diskutiert, welche über den Zerfall des Habsburgerstaates hinaus Wirkung zeigten und ein gewisses Minimal-Niveau aufweisen. Es geht hier also ausdrücklich nicht um politische Propaganda oder journalistische Tagesprodukte. 2.8.1 Ignaz Seipel Theologie denkt teleologisch, auf ein "Ziel der Geschichte" hin. Aus dieser Denkstruktur heraus begründet (nicht: analysiert) Seipel (1916) – damals war er noch nicht unmittelbar politisch tätig – sowohl Nation und Staat als "Gotteswerk", die durch jede Anwendung säkularer Vertragsideen nur kompromittiert würden. Doch eindeutig wichtiger ist ihm der Staat. Er schließt damit, ob er es selbst wusste oder nicht, klar an Hegel an. Bei keinem war der konservative Charakter jedes Staatsmythos wohl klarer geworden. Die Verpflichtung auf den Staat, ob als Ausdruck des “Weltgeistes” oder unmittelbar theologisch: als “Gotteswerk”, ist ja nur eine Verpflichtung auf die bestehende Macht. Das steht tatsächlich dem Grundgedanken des Nationalismus gegenüber, damals und auch bis heute. Denn dieser Grundgedanke ist die Volkssouveränität. Das ist ein revolutionäres Prinzip selbst dann noch, wenn “Volk” in der Manier der Zuschreibung betrachte wird. Damals war es erst recht revolutionär, denn jede Interpretation des Nationalismus musste sich gegen das ancien régime richten. Doch selbst heute ist dies noch bedeutsam: In der BRD haben Liberalkonservative wie Habermas den Ausdruck vom “Verfassungspatriotismus” erfunden, und in den USA ist dies seit langem ein tragendes Konzept, wie es auch immer ausgedrückt werden mag. “Verfassungspatriotismus” lässt sich ebenso wie der geforderte “europäische Geist” (dieser sogar wörtlich) auf die Wurzel des Hegel’schen Staatsmythos zurückführen. Die Idee hat gegenwärtig wieder Konjunktur: Es geht um den Widerspruch von (Zivil-) Gesellschaft gegen den Staat. Dazu gibt es in der österreichischen Tradition eine andere Linie, die heute einigermaßen in den Hintergrund gerückt ist. Die österreichische Historiographie der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stellte – soweit sie nicht klar deutschnationalistisch auftrat – dem Nationalbewusstsein ein „Staatsbewusstsein“ gegenüber, durchaus auch im Auftrag der politischen Führung, jedoch nicht ohne theoretische Berechtigung. „Staat versus Nation“ war also durchaus ein aktuelles Thema in der Zeit, in der Seipel sozialisiert wurde (vgl. Fellner 2002). So entspringt aus Seipels Nationentheorie denn auch eine eindeutige Staatsideologie. Denn worum es ihm zu tun ist, das ist ein Kampf gegen jeden Säkularismus im Namen religiöser 92 Transzendenz. Das Ergebnis ist höchst dialektisch und in mancherlei Hinsicht erstaunlich. Allerdings werden mancherlei schätzbare Einsichten durch seine politischen Absichten, die allzu durchsichtig sind, entwertet: Überall kommt die Ideologie, das ganz bewusste Bemühen um die Rechtfertigung des augenblicklich Bestehenden, unverhüllt zum Vorschein und entwertet dabei manche an sich bedenkenswerte Aussagen, weil dadurch Zweifel aufkommen, ob es sich wirklich um Einsichten handelt. Als zutiefst konservativer Mensch versucht er, das Gottesgnadentum im allgemeinen und die Habsburger im besonderen gegen den demokratischen Anspruch auf Selbstbestimmung zu retten. Nationalismus ist ein Ausdruck der Moderne. Daher muss er sich gegen ihn wenden. Dabei gelingen ihm so erstaunliche Formulierungen, dass es absolut möglich sei, "gute Österreicher und gleichzeitig national gesinnte Deutsche, Tschechen, Italiener, usw." zu sein. Das klingt tatsächlich zum Verwechseln nach dem Konzept multipler Identitäten. Doch das ist es nicht. An dieser Stelle ist gleich zu sagen, dass er von den bisher besprochenen Theoretikern jener ist, der am wenigsten mit Ethnizität zu tun hat. Das ist nicht unbedingt Absicht, sondern gleichzeitig politisches Ziel und analytisches Unvermögen. Am deutlichsten zeigt sich das in seiner Auseinandersetzung mit dem Rassenbegriff. Seine Stellung dazu ist durchaus widersprüchlich. Einerseits steht er voll im Hauptstrom seiner Zeit, wenn er schreibt: "Natürlich hängt die Kulturentwicklung mit den Rassenunterschieden unter den Menschen zusammen, weil sich die Kultur ja ganz und gar auf der Natur aufbaut" (1916, 34). Aber wenige Seiten vorher lesen wir, er könne nicht einsehen, "wieso Sprachen und Dialekte auf eine eigentümlich Zusammenstellung der Gene sollen hinweisen können" (30). In ähnlicher Weise kommt ihm immer wieder seine Verankerung im common sense seiner Zeit dem Wunsch, der Grundlage dieses common sense zu entgehen, in die Quere: Diese Grundlage bestand im Aufbau einer innerweltlichen Begründung auch für Politik, die man sich im Hauptstrom damals nur biologisch vorstellen konnte. Das ist der eigentliche Grund, warum er sich gegen den "Naturalismus" seines zeitgenössischen Nationalismus wandte. Man erinnere sich noch einmal an Haeckel! Diesem Naturalismus (eines Otto Bauer z. B.) musste er eine Transzendenz gegenüberstellen, die rückwärts gewandt, aber deswegen auch nicht mehr zu retten war. Doch die Gegnerschaft zu diesen groben biologischen Konzepten entlockt ihm eben dann solche Formulierungen, die man heute bei oberflächlichen Hinsehen als moderne Einsichten interpretieren könnte. Die politischen Konsequenzen des realen Unvermögens werden sich dann im Nachkriegsösterreich zeigen. Dem robusten Deutschnationalismus der sozialdemokratischen Führung sowie der Großdeutschen hatten die Konservativen theoretisch wenig entgegenzusetzen, was nicht in Sophisterei abgeglitten wäre. Den Aufbau einer neuen Nation vermochten sie nicht zu begreifen, weil ihn selbst die Minderheitsgruppen im katholischen Bereich, die dann einen solchen Aufbau tastend unternahmen, nicht als ethnonational, aber auch nicht als supra-ethnisch zu begreifen vermochten.18 Oder, wie es für die Person hier ein deutscher Historiker noch im Jahr 2000 unnachahmlich ausdrückt: Seipel konnte "sich nie zu einem offenen Anschlussbekenntnis durchringen" (Pape 2000, 38 – meine Kursive – AFR). 2.8.2 Karl Renner und Otto Bauer 18 Als neuen Begriff finde ich jüngst in einem auf die Weimarer Republik und ihr Verhältnis zur neuen Bundesrepublik bezogen den Ausdruck "postklassisch national" (Winkler 1993). 93 Die Sozialdemokratie waren stets von einer Arbeiterschicht getragen gewesen, welche man als Arbeiteraristokratie bezeichnen muss. Die Führungsgruppe aber war aus der deutschnationalen Bewegung heraus gewachsen und bestand aus nationalistischen Intellektuellen. Insbesondere waren Intellektuelle jüdischer Herkunft stark vertreten, welche sich aber keineswegs als Juden sahen: In ihrem Assimilationsprozess hatten manche unter ihnen jene Janitscharen-Mentalität nie völlig hinter sich gelassen, welche für Assimilanten so häufig kennzeichnend ist. Bernstein klagt einmal, dass im Ersten Weltkrieg gerade die Deutschen jüdischer Herkunft die rabiatesten Nationalisten gewesen wären und sich geradezu zu einem Rassismus verstiegen hätten (Fletcher 1984). Diese Bemerkung trifft auf die österreichischen Sozialdemokraten sicher weniger zu. Trotzdem denkt man hier unwillkürlich an Friedrich Austerlitz und seine chauvinistischen Hetzartikel am Beginn des Weltkrieges. Wichtiger aber war die Anschlussfixiertheit Otto Bauers. Dabei gab dieser schließlich 1923 selbst zu, dass die Parteimitglieder nicht mitzogen. "Sie hatten den deutschen Imperialismus während des Krieges allzutief gehasst, als dass sie sich hätten für den Anschluss an dasselbe Deutschland begeistern können." Dogmatiker und gelernter Internationalist, versteckte er seine nationalistischen Neigungen hinter internationalistischer Rhetorik, die deswegen aber nicht glaubwürdiger war. Bleiben wir zuerst bei der Problematik, wie sie sich für die Beteiligten damals aktuell stellte. Als 1907 in Cisleithanien das allgemeine Männerwahlrecht tatsächlich kam, da waren insbesondere die Sozialdemokraten von den Auswirkungen enttäuscht. "Die großen Erwartungen, die die Völker Österreichs auf das Parlament des gleichen Wahlrechtes gesetzt hatten, waren abermals schmählich getäuscht worden," können wir in einem Bericht des sozialdemokratischen Verbandes im Abgeordnetenhaus 1910 lesen (Renner 1970, 45). Die Sozialdemokraten hatten sich besonders seit dem Brünner Parteitag 1898 mit diesem Problem intensiv auseinandergesetzt. Der aus Mähren stammende Karl Renner hatte bereits 1902 einen großangelegten Lösungsvorschlag unter einem Pseudonym (Rudolf Springer) veröffentlicht. Dort betrachtete er in seiner Beamtenart "das nationale Problem als Verfassungs- und Verwaltungsfrage" (Untertitel Renner 1902). Einige Jahre später nahm er ein zweites Mal Stellung, diesmal noch stärker auf einen Lösungsvorschlag hin orientiert (Renner = Springer 1906). Er schlug eine allgemeine Föderalisierung der Monarchie vor, wobei er auch noch – Deutschnationalismus verpflichtet – den "deutschen Charakter" dieses Bundesstaates gewahrt sah. Im Grunde interessieren ihn die scholastischen Streitereien um den Begriff der Nation nicht sehr: "Uns interessiert nur das Verhältnis der Nation zum Staat... Der Kampf der österreichischen Nationalitäten ist ein Kampf um die Macht" (5 und 1). Sein eigentliches Anliegen kleidete er in die – wie es ihm damals vielleicht schien: rhetorische – Frage: "Wenn der deutsche Einheitsstaat denn dahinstirbt, ist es nicht denkbar, dass auf der Grundlage nationaler Staatsgebilde sich ein Bundesstaat Österreich erhebt, der wenigstens als Bund deutschen Charakter hat" (4)? Der Deutschnationale wollte also die deutsche Dominanz in der Habsburgermonarchie, zumindest ihrem westlichen Teil, Cisleithanien, erhalten, jedoch gleichzeitig die anderen Nationen einigermaßen zufrieden stellen. In seinem Entwurf zur "Reichsreform" einige Jahre später schreibt er bereits im Vorwort in einer Mischung von Naivität und Sendungsbewusstsein: "Ich wende mich an alle Nationen und Klassen und habe mir alle Mühe gegeben, das Interesse meiner Nation und Klasse weder zu verleugnen noch zu überspannen" (Renner = Springer 1906, IV). Der damalige Stabsoffizier Glaise von Horstenau (1980, 498 f.), der am Ende des Weltkrieges die Stimmung der Sozialdemokraten erkunden sollte und daher im Herbst 1918 Renner zum Abendessen einlud, charakterisierte Renner und den gemein94 samen Abend so: Er war "Großösterreicher im besten Sinn, der dem habsburgischen Völkerreiche eine große Mission zusprach... seine Ausführungen über territoriale und personelle Autonomie der Nationen bildeten ein Vademecum für jeden Nationalitätenpolitiker. Seit der Rückkehr Otto Bauers aus der Kriegsgefangenschaft – ... – im Herbst 1917 sah sich der Großösterreicher Renner durch das von Bauer verkündete Anschlussideal stark an die Wand gedrückt... Auf Wunsch des Kaisers hatten wir Fühler auszustrecken nach der Stimmung in diesen Kreisen. Der Zerfall Österreichs lag nicht im Kreise unserer Erwägungen. Im Gegenteil! Renner erörterte, daß er als Sozialdemokrat zwar grundsätzlich Republikaner sei, sich aber einen Weiterbestand der Monarchie ohne die Dynastie Habsburg nicht vorstellen könne. Meine Auseinandersetzungen, die sich möglichst offen hielten, gipfelten darin, dass das bürgerliche Regime am Ende seiner Weisheit angelangt sei und daß Umsturz und Anarchie samt allen Begleiterscheinungen unvermeidlich würden, wenn sich nicht die Sozialdemokratie und hier besonders die Gewerkschaften der Dinge annehmen. Die drei Gäste waren natürlich sehr erstaunt, aus meinem Munde solche Äußerungen zu hören. Ich aber sagte Renner auf den Kopf hin, er müsse österreichischer Ministerpräsident werden." Jenseits der verführerischen Aussicht für den persönlich sehr ehrgeizigen Aufsteiger aus kleinsten Verhältnissen hat Glaise auch die politische Stellung dieses Mannes sehr gut charakterisiert. Noch im allerletzten Augenblick wollte er diesen verrotteten Staat samt seiner Dynastie retten, und warum? Staat konnte er sich immer nur als Großstaat, als "Reich" eben, vorstellen, als Großmacht und als Großraum. Das wird einer der Gründe sein, warum er wenige Wochen später die österreichische Republik gar nicht akzeptieren konnte. Renners Parteifreund vom linken Flügel, Otto Bauer (1907), ging die Sache von einer anderen Seite her an. Otto Bauer (1907) entwarf eine Theorie der "Nation" auf sozialdarwinistischer Grundlage, die "Nation als Naturgemeinschaft" (8ff.). Tatsächlich spricht er mehr von ethnischen Gruppierungen als von Nationen. Sein Zentralbegriff ist der "Nationalcharakter": "Die Frage der Nation kann nur aufgerollt werden aus dem Begriff des Nationalcharakters, ... dem Komplex der körperlichen und geistigen Merkmale, der eine Nation von der anderen scheidet" (2). Auf dieser Grundlage war es gar nicht anders möglich, als dass er in den Rassismus abglitt, den er allerdings für "Materialismus" hielt. In diesem für die Sozialdemokraten wichtigen Werk verkannte er voll und ganz den politischen Charakter der Nation und diskutiert z. B. auch nicht die internationalen Beziehungen. Erst gegen Ende seines Lebens, im Exil und auf der Flucht sowohl vor Austrofaschisten wie auch vor den Nazis, wird er diese wesentliche Dimension erkennen: Eine Vereinigung Österreichs mit Deutschland würde alle Lebensinteressen der Nachbarn Österreichs gefährden und nur zum schrecklichen Preis eines Krieges erhältlich sein (vgl. Low 1995, 108). Hier hat er Renner deutlich hinter sich gelassen. Im Vergleich zu Bauer ist Renner theoretisch jedoch durchaus weiter, weil er sich auf die biologistisch-rassistischen Ausritte seines Parteigenossen nicht einläßt. Zwar meint auch er, der Ethnologe untersuche die Naturgesetze der Zuchtwahl und der Vererbung; sein Ergebnis seien Rassen und Stämme. Doch dann grenzt er sich theoretisch von diesem Ansatzpunkt ab: "Das nationbildende Element ist und bleibt ein historisch-soziologisches, kein ethnologisches... Das Massen-Wollen und die Massenthat ist Politik" (7).19 19 Wenn es darauf ankam, fiel er allerdings durchaus in die Bauer'sche Denkart zurück. So wird er als Staatskanzler am 8. Mai 1919 vor der Fahrt nach Paris zu den Friedensverhandlungen erklären: "Es wird 95 "In den ererbten Charaktermerkmalen späterer Generationen spiegeln sich daher die Produktionsbedingungen früherer Geschlechter wieder... Die Zugehörigen einer Nation sind also klar körperlich und geistig einander ähnlich, weil sie von denselben Ahnen abstammen und daher alle jene Eigenschaften ererbt haben, die den Ahnen durch den Kampf ums Dasein im Wege der natürlichen und geschlechtlichen Zuchtwahl angezüchtet .. worden sind." Bauer, Nationalitätenfrage, 16 und 18 Auch Bauer, wenn auch verbrämter als Renner, wollte mit seinem Vorschlag der nationalkulturellen Autonomie das Kunststück zusammenbringen, nationale Selbstbestimmung und deutsche Hegemonie zu vereinen. Besonders deutlich wird dies in einer anderen Publikation (Bauer 1912), wo er forderte, man dürfe Assimilation weder beschleunigen noch bremsen. Doch er wusste wohl, dass dies unter den Bedingungen der Monarchie nur auf die beschleunigte Assimilation der nichtdeutschen (und nichtungarischen) Nationen hinauslaufen konnte. Etwas später gab er zu, daß für ihn der deutsche Nationalismus den Fortschritt verkörperte, die "altösterreichische Tendenz" hingegen die Stagnation (Bauer 1924). Dieses implizite Zugeständnis, daß Nation also doch ein politisches Projekt sei und nicht etwas Naturgegebenes, war wiederum Gemeingut unter den Sozialdemokraten, auch wenn sie es nicht mit der Nation verknüpften. So sagte auch Renner (1970, 169) über das neue Österreich, welches nach dem Friedensvertrag sich nicht an das Deutsche Reich anschließen durfte: Dies ist ein "Staatswesen, das mit den sogenannten österreichischen Traditionen nichts zu tun hat." Viel deutlich wird die Thematik, wenn man sozialdemokratische Theoretiker berücksichtigt, die nicht unmittelbar in der politischen Auseinandersetzung standen, sondern sich frei und ohne Rücksichten äußerten, wie etwa Ludo Moritz Hartmann (Filla u. a. 1992). Bauer wie Renner glaubten bis zum Ende der Monarchie, mehr Demokratie würde das Heilmittel für die nationalen Zwistigkeiten sein. Sie strebten im Grunde einen habsburgischen Bundesstaat an. Ihr Lösungsvorschlag war die "national-kulturelle Autonomie". Beide hatten nicht begriffen, dass die Nationen des Reiches kein gemeinsames verhandelbares Objekt mehr sahen, dass mittlerweile "die entscheidende Voraussetzung der Homogenität der Willensgemeinschaft" (Brandt 1985, 78) nicht mehr gegeben war. Sie hätten nur ihre eigenen Beobachtungen über die Rolle des Parlamentes beachten müssen: "Der Ruf nach gesetzlicher Regelung der Sprachenfrage zielt auf 'Unmögliches': Ein national gruppirtes Parlament, wie das österreichische, vermag kein Sprachengesetz, das dauernden Erfolg haben könnte, zu Stande zu bringen. Die wiederholten Versuche sind darum auch immer gescheitert... In großen Staatskrisen bleibt immer nur der Absolutismus, als Träger der bürgerlichen Freiheit, übrig, und glücklich sind dann noch solche Staaten zu preisen, in denen, während solcher Zeiten, ein zielbewusstes, königliches Regiment die weiteren Gefahren der inneren Zerrüttung abzuwenden vermag" (Offermann 1900, 6). Die national-kulturelle Autonomie als Lösungsvorschlag für nationale Probleme scheint uns heute umso plausibler, als in einigen zeitgenössischen Staaten viele der dort angetönten Vorschläge realisiert sind und zumindest eine Zeitlang recht und schlecht funktionieren. So gibt es in Südtirol einen nationalen Kataster, auf dessen Grundlage ein ethnischer Proporz sich erweisen, früher oder später, daß das tausendjährige Band des Blutes stärker ist als der geschichtliche Eintag" (Renner 1970, 159). 96 aufgebaut ist. Doch mit diesem Wort "ethnisch" ist auch schon die Frage angesprochen. Der Unterschied zwischen ethnonationalen Regionalismen und nationalen (oder nationalistischen Bewegungen) im vollen Wortsinn ist zu beachten. Das Habsburgerreich war ein multinationaler, nicht einfach ein multiethnischer Staat. Das ist ein wesentlicher politischer Unterschied. Es geht um das Verhältnis zum Staat. Die Nation ist ein bestimmtes Verhältnis von Staat und Gesellschaft (Reiterer 1988a). Die Folge dieser Bestimmung können wir sofort an der Kritik Stalins an den Austromarxisten erörtern: er warf ihnen zurecht vor, die Selbstbestimmung mit der Autonomie zu verwechseln, oder vielmehr, die Autonomie theoretisch unehrlich als "Selbstbestimmung" zu unterschieben. 2.8.3 Oszkar Jaszi Wenn wir uns um Nationalitätenprobleme und Lösungsvorschläge in der Habsburgermonarchie kümmern, vergessen wir gewöhnlich eines: Wir unterhalten uns in der Regel nur über Cisleithanien und sparen Ungarn aus. Diese Beschränkung galt fast für alle Werke bis nahe an die Gegenwart. Doch in Ungarn gab es ebenso nationale Spannungen, wenn auch infolge der noch illiberaleren Zustände diese weniger an die Öffentlichkeit kamen. Überdies gibt es für Menschen aus Westeuropa eine triviale Hürde – ein Sprachproblem. Dies alles trug dazu bei, dass Ungarn bisher völlig im Schatten der Aufmerksamkeit lag.20 Das geistige Klima war in Ungarn nicht dazu angetan, weittragende Entwürfe zu schaffen. Es gab zwar einige frühe Problemwahrnehmungen. Beispielhaft steht der Name Eötvös mit seiner Wortmeldung 1850. Die kamen aber über die Föderalisierung der historischen Länder nicht hinaus und standen damit eigentlich in der feudalen Tradition. Diese meist überaus reaktionären Vorschläge trugen den neuen Verhältnissen in keiner Weise Rechnung. 1918 zerfiel die Monarchie, und die Sieger ließen nicht zuletzt die Ungarn für den Krieg büßen. Die Länder der Stephanskrone wurden auf Kernungarn reduziert. Im letzten Moment, als Rettungsvorschlag 5 nach 12, tauchte von mehreren Seiten die Idee der "Donaukonföderation" auf. Oskar Jaszi war in der Regierung Kiraly für Nationalitätenfragen zuständig. Er hatte sich schon im Ungarn der Vorkriegszeit einen gewissen Namen als Experte für Nationalitätenprobleme gemacht. Damals waren seine Ideen sehr stark von den Austromarxisten beeinflusst. Doch wie für diese, galt auch für Jaszi: zu wenig und zu spät. 1912 noch glaubte er, die ungarischen Minderheiten mit einer dünnen Kulturautonomie abspeisen zu können und machte sich schon damit Feinde bei der Mehrheit. Eine territoriale Autonomie lag für ihn völlig jenseits der Vorstellungskraft. Erst als die Sache lang gelaufen war, schlug er mit seiner Zustimmung zu einem Reorganisationsplan vom 25. November 1918 eine Kantonalisierung Ungarns entlang von Sprachgrenzen vor. Doch diese "Schweiz Osteuropas" hatte nun keine Chance mehr. "Erst später, im amerikanischen Exil, erkannte Jaszi die Mängel seiner früheren Vorstellung" (Dreisziger 1992, 26). Ende der 20er Jahre versuchte er, sich selbst und einem amerikanischen Publikum gegenüber über die Ursachen des Zerfallens der Monarchie klar zu 20 Als mit Hugelmann 1934 das erste Werk mit umfassenden Anspruch über das "Nationalitätenrecht des alten Österreich" erschien, war Ungarn darin mit keinem Wort erwähnt. Auch Robert Kann (1964) behandelt in seiner zweibändigen Arbeit Ungarn nur mit einem kurzen Kapitel (und die Kroaten in einem weiteren) sowie mehreren Hinweisen, obwohl er schon im Titel von der Habsburgermonarchie spricht. Die Gewichte sind also völlig unausgewogen. Erst 1980 erschien ein umfangreiches, völlig im traditionalistischen Historikerstil gehaltenes Werk, welches tatsächlich umfassend ist (Wandruszka/ Urbanitsch III (1980)). 97 werden. Was dabei heraus kommt, ist weder für die Ungarn noch schon gar für die Dynastie schmeichelhaft. Er diagnostiziert jedenfalls den Zerfall als notwendig, weil Dynastie und herrschende Gruppen die Notwendigkeit einer sozialen Modernisierung und insbesondere einer Demokratisierung nicht erkannt hatten. Die Monarchie ging also an ihrer fehlenden politischen Modernisierung zugrunde. Auch für ihn ist Nationalismus eine Demokratiebewegung. Trotzdem erkennt er sein Janus-Gesicht sehr gut und weist darauf hin, dass nach der nationalen Emanzipation praktisch immer die vorher Unterdrückten selbst zu Unterdrückern werden, wenn die Situation dies ermöglicht. Im Gegensatz zu Otto Bauer und Karl Renner – allerdings, wie schon bemerkt, erst dann, als er keine politische Wirkmöglichkeit mehr hatte – begriff er nun, dass das nationale Problem nicht ein einheitlicher Komplex gewesen war, und dass nationale Autonomie nur ein Minimalprogramm gewesen war, viel zu wenig für die Aspirationen der entwickelten Nationen: "Grob gesprochen, hatten wir zwei Typen nationaler Bewegungen in der Monarchie. Der eine, wie er von den fortgeschritteneren Völkern der Monarchie mit einem klaren und langen historischen Bewußtsein verfolgt wurde, war eine Bewegung für den Aufbau eines vollständigen Nationalstaates. Das war der Ehrgeiz der Ungarn, der Italiener, der Tschechen, der Polen und der Kroaten. Auf der anderen Seite waren die kleineren oder weniger entwickelten nationalen Elemente, die kaum dem feudalen Sumpf entronnen waren, weniger ehrgeizig und hätten sich für eine lange Zeit mit einer Art nationaler oder Verwaltungsautonomie zufrieden gegeben. Das war fast bis Kriegsbeginn die Haltung der Slowaken, der Ruthenen, der Slowenen, der Rumänen und der deutschen Minderheiten in Ungarn. Doch wie verschieden auch die konkreten Manifestationen der unterschiedlichen nationalen Programme gewesen sein mag, sie hatten ein Element gemeinsam. Alle diese Völker strebten nach einem nationalen Ausdruck ihrer selbst, nach der Möglichkeit, ihre eigene Kultur und Sprache zu entwickeln, nach der Gelegenheit, ihr Idiom in den Schulen, der Kirche, in Behörden und vor Gerichten zu benutzen. Das nenne ich das 'Minimalprogramm' aller nationalen Kämpfe... Das nationale Problem ist in der Tat nur ein Aspekt der sozialen Identität und der Emanzipation" (Jaszi 1929, 251). Interessant mag es noch sein, dass Jaszi die einzige Möglichkeit eines Überdauerns der Monarchie in einer toleranten staatsbürgerlichen Erziehung sehen wollte. Dabei ist nicht ganz klar, ob das wirklich sein Blickwinkel war, oder mehr ein Lippenbekenntnis zum Reihentitel, unter dem das Buch erschien: "Studies in the Making of Citizens", wobei es um die Frage der Erziehung als politisches Mittel gehen sollte. 2.8.4 Tomás G. Masaryk Otto Bauer und Karl Renner sahen als Vertreter der Arbeiterbewegung, des linken Flügels der damaligen Demokratie-Bewegung der okzidentalen Demokratie, Nation und Nationalismus im wesentlichen als Störfaktoren ihres politischen Projektes. Was Wunder, wenn dieses doch unter dem Stichwort "Internationalismus" stand, wenn auch der deutsche Nationalismus nur wenig verbrämt war. Auf der anderen Seite des politischen Spektrums stand bekanntlich der Antinationalismus Seipels (1916). 98 Österreichs Staatsgründung (Staatsgesetzblatt Nr.1) als Selbstauflösungswunsch 99 der politischen Eliten Wir müssen zurückgreifen auf einen Klassiker, wenn wir sowohl den theoretischen wie auch den historisch-politischen Zusammenhang von Nationalismus und Demokratie richtig verstehen wollen. Die volonté générale, der Allgemeinwille als Grundlage der Volksherrschaft, wie ihn Jean-Jacques Rousseau (1966 [1762]) konzipierte, ist keineswegs der Mehrheitswillen, sondern eben der gemeinsame Willen aller. Was bedeutet dies nun, wenn der Begriff mehr sein soll als ein philosophisches Schlagwort ohne eine Verankerung in der Realität? Rousseau war sich dieser Problematik übrigens bewusst. Er warnt zuerst zwar, daß auch die Herrschaft einer Mehrheit über eine dissidente Minderheit Herrschaft bleibe und zu begründen ist: "La loi de la pluralité des suffrages est elle-même un établissement de la convention, et suppose au moins une fois l'unanimité" (p. 50). Der Hinweis ist wichtig. Dann erläutert er: "Pour qu'une volonté soit générale il n'est pas toujours nécessaire qu'il soit unanime, mais il est nécessaire que toutes les voix soient comptées; toute exclusion formelle rompt la généralité" (64). Dieses Thema, wie wenig es in der Regel politisch auch thematisiert werden mag, ist ein Zentralthema jeder Theorie der Demokratie. Niklas Luhmann (1983) wird es mit der Frage nach der Legitimität wieder aufnehmen. Er versucht dann, Legitimität als verallgemeinerte Bereitschaft zu definieren, inhaltlich unbestimmte Entscheidungen innerhalb gewisser Toleranzgrenzen hinzunehmen. Bei der Frage, worauf diese Bereitschaft beruhe, bleibt seine Antwort unbefriedigend, weil er im Rahmen des Interesse-Begriffes verbleibt - wie auch Rousseau und die Aufklärer allgemein. Hat der Begriff des Allgemeinwillens einen praktischen Sinn, so ist der Zugang vom Interesse her offenbar ungenügend, denn die Sonderinteressen werden im allerbesten Fall einmal zufällig völlig übereinstimmen.21 Doch der Allgemeinwille ist offenbar eine ganz grundlegende Übereinstimmung, Mitglieder eines bestimmten sozio-politischen Systems zu sein. Die "volonté générale" wird damit zum rationalistischen Ausdruck dessen, was Rénan 1882 emotioneller "le desir d'être ensemble" genannt hat. Der Allgemeinwille ist in dieser Auffassung das Bewusstsein gemeinsamer und geteilter Identität. Da Rousseaus Feststellung, dass auch die Herrschaft der Mehrheit Herrschaft ist, wohl kaum widersprochen werden kann, wird diese Frage nach der gemeinsamen Identität, nach der gemeinschaftlichen Struktur von Gesellschaft und Politik, zur Grundfrage der Demokratie. Deswegen – und nur deswegen – konnte und musste die Volkssouveränität sich zur nationalen Souveränität umformen, die ihrerseits unter dem Stichwort "Nationalitäts-Prinzip" die ethnische Einheit zum Träger dieses Prinzips erklärte. In diesen Themenkreis tritt nun ein Politiker und Philosoph ein, der zwischen diesen Polen steht, die wir vorhin eben besprachen. Er vertritt eine Position, die es wert ist, zur Kenntnis genommen zu werden. Tomás G. Masaryk (1991 [1920]) griff die Traditionen Herders und damit implizit Rousseaus mit großer Treue auf und bestand darüber hinaus resolut darauf: Nation ist eine, nein, die Erscheinungsform der Demokratie. Nationalismus ist eine Demokratie-Bewegung. Der tschechische Philosoph und Soziologe, der Liberaldemokrat, der als Präsident eine der vielen unabhängigen "kleineren" Nationen der ersten Nachkriegszeit vertreten sollte, konnte auf die politische und historische Erfahrung seines Lebens verweisen. Sie bestand aus der Beobachtung und der Teilnahme am zögernden und ständig behinderten Demokratisierungsprozess der Habsburgermonarchie, die nicht zum 21 "En effet, chaque individu peut comme homme avoir une volonté particuliere contraire ou dissembleable a la volonté générale qu'il a comme citoyen" (Rousseau 1966, 54). 100 Abschluss kam (vgl. auch Neudorfl 1993). Und sie bestand aus dem nationalen Emanzipationsprozess, man kann auch sagen, dem Nationenbildungsprozess, der Tschechen im Rahmen dieser Monarchie und schließlich gegen sie. Dabei hatte er Erkenntnisse und Erfahrungen verinnerlicht, die Otto Bauer nur zögernd und gewunden äußern konnte, weil sie gegen die Grundsätze seiner Ideologie gingen, so wie er sie eben auffasste. Doch Masaryks Problem war, daß er noch zu sehr in der Tradition Herders stand und daher noch nicht fähig war, Ethnizität von Nation zu unterscheiden. Das führt im übrigen zu einer Reihe theoretisch recht widersprüchlicher Äußerungen. Auf der einen Seite spricht er von den vielen kleinen Nationen Russlands und meint damit die kleinen traditionalen Ethnien, die man heute die "Völker des Nordens" nennt, sowie auch die kaukasischen Völker. Er äußert auch die Meinung, die "Nationen" im Mittelalter in zahlreiche Staaten zerteilt waren. Auf der anderen Seite erklärt er in aller Entschiedenheit: "Nationalität ist ein neues, ein modernes Prinzip" (S. 47). Um diese unterschiedlichen Konzepte und Aussagen zu vereinen, versucht er es nach einer längeren Erörterung der Begriffe so (in der Anm. S. 56): "Nation wendet man mehr im politischen Sinn an - Volk bedeutet mehr die Masse der Nation im demokratischen Sinn." Mit diesem Unvermögen war ihm theoretisch, vor allem aber politisch der Weg zur nationalen Problemlösung im Sinne des interethnischen Ausgleichs verbaut. Der Liberaldemokrat wurde zumindest zeitweise zum nationalen Unterdrücker, sobald er sein Ziel, einen tschechischen Nationalstaat, einmal erreicht hatte. Kaum war der Staat errichtet, erklärte er die Deutschen in Böhmen zu "Kolonisatoren". Die Slowaken wollte er in eine "tschechoslowakische Nation" verschmelzen, doch es ist kennzeichnend, daß er praktisch in einem Satz den Wortteil "-slowakisch" wieder fallen läßt und nur mehr von der tschechischen Nation spricht. Von den nationalen Minderheiten anderer Zugehörigkeit (Ungarn, Polen, Ruthenen, Juden, Roma [Zigeuner]) wollen wir hier gar nicht sprechen. Die politische Praxis entsprach diesem theoretischen Unvermögen. Masaryk konnte sich also die Nation nur als Ethnonation vorstellen, zumal die Idee eines multiethnischen oder nationalen Staates durch die Habsburg-Erfahrung noch allzu sehr diskreditiert war. Eine korrekte Beziehung des tschechoslowakischen Staates bzw. ihres "sog. herrschenden Volks" (S. 44) zu den anderen Nationen war auf dieser Grundlage nicht möglich. Damit setzte er aber auch die Stabilität des neuen Staates aufs Spiel. Die Deutschen der Republik orientierten sich am benachbarten Deutschen Reich. Die Slowaken schienen anfangs gewillt, auf die Fusionsidee einzusteigen. Doch tatsächlich verhielten sich die Tschechen ihnen gegenüber selbst wie Kolonisatoren, die nur die ungarischen Kolonisatoren ablösten: Anstatt ihnen zumindest im eigenen Land, der Slowakei, z. B. die Positionen des Öffentlichen Dienstes zu überlassen, konnten sie nicht der Versuchung widerstehen, sich die Beute anzueignen (vgl. auch Kirschbaum 1989). 2.8.5 Theodor Herzl Der "Judenstaat" war eine Programmschrift, die direkt zu einem neuen Nationalstaat mit einer neuen Nation führte. Sie ist aus diesem Grund von besonderem Interesse. Im übrigen lassen sich hier eine Anzahl der wichtigsten Themen zwischen Ethnizität und Nation finden. Daher können wir diesen kurzen Text auch als theoretische Schrift lesen. Besonders deutlich erkennbar ist die Umwandlung von Ethnizität in Nation. Den Juden wurde die Assimilation verweigert, da sie das Bild der "ganz Anderen" verkörpern mußten und so nicht in die europäische Supra-Ethnizität einbegriffen wurden. In nationalen Spannungen und Konflikten ist es das kennzeichnende Paradoxon, dass eine fundamentale 101 Gleichheit zwischen den Nationen vorausgesetzt ist. Fehlt diese Anerkennung als supraethnisch Gleiche, entwickelt sich Rassismus, wie wir es an der "Judenfrage" so deutlich sehen können. Hier entstand schließlich durch den politischen Willen einer Basis-Bewegung – was selten genug vorkommt – eine Nation aus vielen einzelnen ethnischen Minderheiten in anderen Nationen. "Wir erkennen unsere historische Zusammengehörigkeit nur am Glauben unserer Väter, weil wir ja längst die Sprachen verschiedener Nationen unverlöschbar in uns aufgenommen haben" (Herzl 1988 [1896], 76). Damit gibt Herzl, wie sehr er auch die nationale Terminologie pflegt ("Wir sind ein Volk, wir sind ein Volk!"), selbst zu, dass von einer einzigen jüdischen Nation in seiner Zeit nicht die Rede sein kann. Doch auf dieser von ihm evozierten Gemeinsamkeit der Religion, der ethnischen Ausgrenzung aufgrund des religiösen Merkmals, will er nun weiterbauen. Das gemeinschaftliche Element wird eingeplant: "Unsere Leute sollen in Gruppen miteinander auswandern... Man nimmt die persönlichen Beziehungen sämtliche mit" (75). Und was soll nun der Judenstaat bewirken? "Wir wollen den Juden eine Heimat geben" (74). Doch Heimat ist nur dort, wo Sicherheit ist. Um Sicherheit zu finden, braucht es politische Souveränität. Die politische Gemeinschaft, der Staat ist also vor allem eine Sicherheitsgemeinschaft. Die Judennot mag ein soziales, ein religiöses, was auch immer für ein Problem sein. Zuallererst kann man sie am Ende des 19. Jahrhunderts als nationale Frage begreifen. Dieser Ausdruck enthält alle anderen Aspekte in sich, denn er stellt die Frage als Problem der Selbstbestimmung. Nation ist auch ein politisches Projekt. Ebenso wichtig wie die allgemeine Ableitung ist die Gestaltung des künftigen Judenstaates. Herzl wehrt sich zwar gegen den Vorwurf, eine Utopie zu verfassen. Doch mehrere Male ist ihm der künftige Staat das "Gelobte Land" und ein "Musterstaat" (36), und so wird er auch skizziert. Der "Judenstaat" ist allerdings eine reduzierte Utopie. Sein gesellschaftspolitisches Muster könnte als ein Kapitalismus mit menschlichem Antlitz, eine verbesserte "soziale Marktwirtschaft", umschrieben werden. Die Frage der nationalen Gleichheit in der nationalen Identität nimmt er so ernst, daß sie ins Soziale hinüberschlägt. Im zeitgenössischen Nationalismus wird dieser "spill-over" sonst strikt vermieden. Auch bei Herzl kommt es zu Widersprüchen. Er organisiert mit dem Zionistischen Weltkongress eine Basisbewegung. Doch die Verfassung des künftigen Staates stellt er sich als "aristokratische Republik" nach venetianischem Muster vor. Herzl führt uns Ethnonationalismus mit all seinen Widersprüchen vor. 102 3 DAS NEUE ÖSTERREICH: 1918 UND DIE FOLGEN 3.1 Die Situation Als die Monarchie mit dem Ende des Ersten Weltkrieges zusammenbrach, verlor dieses bisherige deutschsprachige Zentrum seine Peripherien. Dieser Verlust wurde von den Österreichern zurecht als die eigentliche Niederlage und der schwerste Schlag des Krieges empfunden. Die Nachfolgestaaten bemühten sich, ihre eigenen Wirtschaften beschleunigt aufzubauen. Sie schotteten sich daher wohlweislich bis zu einem gewissen Grad vom früheren Zentrum ab. Da sie außerdem von den Siegern begünstigt wurden, trat damit beinahe eine Verkehrung der Lage von früher ein. Diesen Schock hat man in der Ersten Republik nie überwunden. Dabei fand eine merkwürdige mentale Verschiebung statt. Österreich war in wirtschaftlicher Hinsicht in den Friedensverträgen schonend behandelt worden. Man sollte nicht vergessen: Immerhin war ein Drittel der Industrie im sehr viel kleineren Anteil (ein Achtel der Bevölkerung) verblieben, welcher jetzt den (deutsch-) österreichischen Staat bildete. Doch ist zu bedenken, daß der neue Staat auch seine traditionellen Absatzmärkte verloren hatte. Die Perspektive war, "ein außenhandelsabhängiger Kleinstaat mit geringen Rohstoffreserven" (Grossendorfer 1979) zu werden. Trotzdem hätte man erwarten müssen, daß die neuen führenden Kräfte, vor allem die Sozialdemokraten, aber auch die Deutschnationalen, welche die Monarchie stets als eine politisch unannehmbare Struktur kritisiert hatten, 1918 und den Neuaufbau als Chance auffassten. Interessant mag ein Blick auf die Verhältnisse in Deutschland sein. Versailles wurde dort zum Codewort für alles, was man an der Nachkriegsordnung ablehnte. Dabei war der Friedensvertrag in mancher Hinsicht, insbesondere in territorialer, für das Deutsche Reich nach seiner totalen Niederlage außerordentlich schonend ausgefallen. Anders stand es freilich um die wirtschaftlichen Bestimmungen. Die Entente war in Paris vor dem Problem gestanden, zwei Ziele zu vereinbaren. Einerseits wollte sie sicherstellen, daß das Reich in Hinkunft nicht mehr die Wirtschaftskraft haben sollte, wiederum einen Krieg zu beginnen. Aus diesem Grund wollte man Wert durch schwer lastende Reparationen abschöpfen. Andererseits wollte man Deutschland in eine konsolidierte bürgerliche Nachkriegsordnung in Europa einbauen, nicht zuletzt als Bollwerk gegen den Bolschewismus. Also belastete man es wirtschaftlich und schonte es territorial. Doch das Ziel wurde verfehlt. Die Deutschen waren zu lange der Propaganda eines "Siegfriedens" ausgesetzt gewesen. Alles, was wesentlich darunter lag, wurde von ihnen nun als Schmach und Schande, als massive Ungerechtigkeit empfunden. In diesem Punkt trafen sie sich mental mit dem zweiten Verlierer, den bisherigen Hegemonen in Österreich und Ungarn. Die Nachfolgestaaten verloren für Österreich nur langsam und ungleichmäßig an Bedeutung. Da die cisleithanische Vorkriegswirtschaft sehr viel weniger Industrieprodukte an das damalige Deutsche Reich geliefert hatte als es bekam, war eine strukturelle Unterlegenheit gegeben. Die Wirtschaft war noch stark in der Landwirtschaft verankert, und dies in einer Phase der Entagrarisierung. Die Westorientierung wurde zwar gesucht, kam aber nur mühsam voran. Für die Nachfolgestaaten jedoch bedeutete die Unabhängigkeit tatsächlich eine Verbesserung und die wirtschaftliche Chance ihres Aufbaues. Die Ironie ist natürlich, dass auch für sie formal alles zutrifft, was der österreichischen Bevölkerung von Anschlussbefürwortern und Revanchisten über die "Lebensunfähigkeit" einhämmerten: die unvollständige Struktur, die neuen Zollgrenzen, die kleineren Märkte... Doch eine Peripherie mag zwar kurzfristig Schwierigkeiten haben, wenn sie von ihrem Zentrum abgeschnitten ist. Längerfristig muß sie vergleichsweise gewinnen. Das Zentrum ist schließlich immer 103 Nutznießer einer Ausbeutungssituation. Die abgeschöpften Werte werden also – ceteribus paribus - in Hinkunft im Lande verbleiben. Tab. 1: Anteil des Deutschen Reiches bzw. der BRD an den österreichischen Ein- und Ausfuhren in % Einfuhren Ausfuhren 1877 2,0 65,0 1891 5,0 33,0 ________________________________ 1924 4,9 13,1 1929 6,1 14,8 ________________________________ 1950 6,6 15,3 1960 0,0 26,8 1970 1,2 23,4 1978 3,3 29,1 ________________________________ 1994 38,1 Quelle: Grossendorfer 1979, Stat. Übersichten 6/1996 (bis 1978 alte, 1994 neue BRD) Tab. 2: Anteil verschiedener Staaten an den österreichischen Ausfuhren 1924 CSSR 1,0 Italien 0,1 Jugoslawien 10,3 Quelle: Grossendorfer 1979 1932 10,6 9,9 7,6 Doch Österreich hatte seine inneren Kolonien verloren. Es war zu einem Kleinstaat ohne Macht nach außen geworden. Als es sich auf Reaktion darauf an das Deutsche Reich anschließen wollte, verboten die Sieger dies. Auf diese völlig gewandelte Rolle antwortete die gesamte politische Klasse und ein erheblicher Teil der Bevölkerung mit der Suche nach einer neuen Identität. Sie wollten nach dem Verlust der eigenen Großmachtstellung zumindest Teil einer anderen Großmacht werden. Es war Seipel, welcher diesen Tatbestand besonders deutlich, und wie üblich bei ihm, mit Pathos, ausdrückte: ""Die Österreicher sind ihrer ganzen Geschichte nach Großstaatmenschen, ... die Erben der Türkenbesieger:" Und er weist eine Schweizer oder belgische Lösung von sich: "Ein eigenes Nationalbewusstsein 'künstlich' zu erzeugen, ist meines Erachtens ein Irrweg. Das ist keine gute deutsche und keine österreichische Konzeption, sondern eine weltfremde französische oder tschechische Vorstellung" (zit. nach Pape 2000, 38). In dieser Orientierung auf die Großmacht-Stellung liegt auch die Auflösung für ein anderes „Rätsel“ der österreichischen Geschichte, die Haltung gegenüber Italien. Der Habsburgerstaat war aus Deutschland „verdrängt“ worden, und er war auch aus Oberitalien „verdrängt“ worden – so die Diktion eines übrig gebliebenen Nationaldemokraten (Fellner 2002, z. B. 222 ff.). Doch während die politische Klasse gegenüber dem PreußischDeutschen Reich vor allem devot und unterwürfig war, war die Haltung gegenüber Italien voller Ressentiments. In der abhängigen Haltung gegenüber Preußen-Deutschland erkannte man eine Überlegenheit dort an. In den Ressentiments gegen Italien spiegelte sich hingegen die Mentalität des Absteigers, dessen, der sich hoch überlegen fühlte und dann doch zur Kenntnis nehmen muss, dass der Konkurrent erfolgreicher war bzw. ist. Dieses Gefühl kennzeichnet die Stellung der österreichischen Intellektuellen in der Ersten Republik insgesamt. Nicht zuletzt dies hat das österreichische Problem dieser Zeit ausgemacht. 104 Österreich wäre in vielerlei Weise strukturell als eine „kleine Nation“ im Hroch’schen Sinn zu begreifen. Doch dieses Großmachtbewusstsein bzw. die Großmachtorientierung der politischen und intellektuellen Eliten hat es zu einem Fall sui generis gemacht, welcher nicht in diese Kategorie passt. Den neuerlichen Großmachtambitionen wurde allerdings mit dem Friedensvertrag von 1919 ein Riegel vorgeschoben, denn ein Anschluss hätte eine Stärkung Deutschlands bedeutet. Von Teilen der Bevölkerung wurde dies als hart, ungerecht und nicht den proklamierten Grundsätzen (US-Präsident Wilsons "14 Punkte") entsprechend empfunden. Sie deuten die Mangelsituation einer Nachkriegszeit zur "Lebensunfähigkeit" Österreichs um. Einzelne rationale Stimmen, die darauf hinweisen, dass Österreich seine Kohle so oder so bezahlen müsse, ob es sie im eigenen Staatsgebiet fördere oder von der Tschechoslowakei kaufe, fanden kein Gehör (Schumpeter 1992, 115): "Wir müssen Kohle haben. Aber auch wenn sie in Deutschösterreich läge, müsste unsere Industrie sie ja kaufen, und mehr wie kaufen braucht sie sie auch in Ostrau nicht. Da die Kohlenbergwerke in Ostrau und in Oberschlesien nicht von der Erdoberfläche verschwunden sind, ist unser wirtschaftliches Interesse lediglich darauf beschränkt, dass Ausfuhrzölle jener Staaten uns die Kohle nicht verteuern. Wenn wir und die anderen nicht unvernünftig sind, ist es ganz gleichgültig, ob die Produktionsbasis unserer Industrie innerhalb oder außerhalb unserer Staatsgrenzen liegt," erklärte er in einer Rede vor dem Wiener Handels und Industrieverein am 30. Mai 1919. Trotzdem begann wirtschaftlich eine deutliche Umorientierung auf den Westen. Diese Äußerung stammt zum einen kennzeichnenderweise von einem Ökonomen, der kurzfristig als Finanzminister zum Praktiker geworden war, und sie war zum anderen auch im Kabinett durchaus eine Einzelerscheinung. Friedrich von Wieser wundert sich in seinem Tagebuch am 15. März 1919 (a. a. O., 10) über Schumpeters Eintritt in diese Regierung: "Schumpeter als 'bürgerlicher Prügelknabe' in der neuen Regierung, er, der Monarchist, der Erzkonservative, der Englandfreund und Deutschenhasser, der Feind der Sozialdemokratie." Wenn diese Charakterisierungen auch nur teilweise stimmen – Schumpeter war z. B. den Sozialisierungen nicht abgeneigt, er war Pazifist gewesen, er war allerdings nach heutiger Terminologie monetaristisch orientiert – , so war Schumpeter tatsächlich klarer Anschlussgegner und sprach dies auch aus: "Das Deutsche Reich hat ein großes Interesse daran, Österreich einzugliedern... Wir ziehen jedoch die Vor- und Nachteile der Unabhängigkeit vor, wenn uns diese Unabhängigkeit am Leben läßt ... Die für den Weltfrieden wünschenswerteste Vereinbarung ist nicht dieser Anschluß, sondern ein ökonomisches Abkommen mit den anderen Nachfolgestaaten unter Bedingungen, welche die Wiederaufnahme von Arbeit und Leben ermöglichen" (Interview in Le Temps vom 4. Juni 1919; a. a. O., 121). Von Renner – den er einigermaßen verachtete ("Die einzige geistige Kapazität [in der Regierung] ist Otto Bauer... Renner ... 'duckt' sich, wenn Otto Bauer nur das Wort erhebt um zu sprechen.") – bekam er dafür wütende Telegramme aus Paris. So kann es nicht verwundern, dass Schumpeter als Finanzminister scheiterte und gehen musste. Die "Arbeiterzeitung", über die Schumpeter ironisiert hatte, sie stelle zwischen 11 und 23 Uhr die eigentliche Regierung dar, startete zum Abschied einen wütenden und gehässigen Angriff ("Mangel an Charakter"). Er könnte von Otto Bauer stammen, da die Formulierungen ähnlich denen sind, die Bauer vier Jahre später über Schumpeter verwenden wird. Die Hyperinflation, die er unbedingt hatte vermeiden wollen, kam zwei Jahre später. Das österreichische Problem der Nachkriegszeit kann man etwa so formulieren: Die Auflösung des Habsburger-Staates und die dadurch beschleunigten Nationenbildungsprozesse waren die Form, welche das Problem der "verspäteteten Demokratie" (Kluge 1996) in allen Nachfolgestaaten annahm. Während jedoch in den anderen Staaten zumindest der Nationenbildungsprozess entschlossen betrieben wurde, kam in Österreich noch etwas Anderes dazu: Die präsumptiven Bürger der künftigen Republik konnten sich 105 aus unterschiedlichen Gründen nicht vorstellen, einen demos zu bilden. Sie sahen sich vorrangig als ethnos, und zwar in eher kleinräumiger Weise, vor allem auf die Ebene der historischen Länder bezogen. Das Tiroler Beispiel ist hier wesentlich: Man soll sondiert haben, ob man insgesamt, als ungeteiltes Tirol, im italienischen Staatsverband Aufnahme finden könne, weil man an aller erster Stelle Tiroler sei. Wenn aber Politiker und Intellektuelle ein überdachendes Supra-Ethnos (eine größere Nation) wollten, dachte man an die Deutschen. Die österreichische Ebene dazwischen fehlte als politisches Bedürfnis und Ziel. Besonders kennzeichnend ist das bei den Sozialdemokraten zu sehen: Sie waren die einzigen, welche tatsächlich an den demos dachten - jedoch sie hatten wieder kein Sensorium für die Zugehörigkeit eines ethnos zu diesem Begriff. So ist es kennzeichnend, dass bei ihnen eine intensive Verfassungsdebatte lief, aber eine nationale Debatte nach dem Anschlussverbot vollständig fehlte. Trotz Eigenstaatlichkeit war in Österreich der Aufbau einer eigenen Nation nicht geglückt. Hauptgrund war die mangelnde Identifikationsmöglichkeit mit diesem Kleinstaat infolge des Machtverlustes und der Nichtintegration einer Bevölkerungsmehrheit in den politischen Prozess. Die Situation ist deswegen so interessant, weil die Parallelen mit der Situation in den Staaten des europäischen Ostens nach dem Zusammenbruch der Nomenklatur in der „Wende“ exakt diesem Bild entspricht. Das Unvermögen, ethnische Gleichheit im Rahmen einer (Staats-) Nation herzustellen, wird wieder mit ethnischer oder sprachlicher Homogenisierung im Wege nationaler und ethnischer Unterdrückung verwechselt. Die Zerstörungen und noch mehr die gesellschaftlich-wirtschaftliche Desorganisierung des Weltkrieges hatten für Österreich einen besonders tiefen Rückfall gebracht. Das Wachstum zwischen 1920 bis 1929 blieb dann ein wenig unter dem europäischen Durchschnitt. Damit gelang es der Republik nicht, wieder aufzuholen. Daran war nicht zuletzt die "Lebensunfähigkeits"-These schuld – heute wissen wir, dass solche Stimmungslagen die Performanz einer Wirtschaft wesentlich beeinflussen. Anfangs waren es die Koalitionsregierung und vor allem Bauer und Renner, die auf geradezu mutwillige Weise diese These stützten, um den Anschluss zu erzwingen. Sie dachten gar nicht daran, die Entwicklung in die eigenen Hände zu nehmen. Dann kamen die konservativen Regierungen. Die "Genfer Sanierung" war für sie das gefundene Mittel, einen sozialen Einschnitt vorzunehmen, welcher für die Erste Republik entscheidend werden sollte. Der Völkerbundkommisar A. R. Zimmermann war von den Christlich-Sozialen durchaus gerne gesehen. Es ist also sicherlich nicht richtig, daß diese Politik der Regierung von außen aufgezwungen war. Immerhin wollte der Niederländer der Regierung "außerordentliche Vollmachte" bis zur Ausschaltung des Parlamentes geben und wurde daher von Seipel durchaus wohlwollend beurteilt (Burian 1992). Diese "Sanierung" schuf eine hohe Sockelarbeitslosigkeit. Ziel war es, die Umverteilung und auch die politische Machtverschiebung der Umsturzzeit rückgängig zu machen und eine soziale Containmentpolitik einzuleiten. Dieser CrashPolitik folgte zwar tatsächlich eine Stabilisierung. Doch sie wurde nicht dazu genutzt, in der folgenden kurzen Hochkonjunktur eine Ausgleichpolitik einzuleiten. Vielmehr folgte eine Politik der Gesellschaftsspaltung, die schließlich in den 30er Jahren vollendet wurde wieder mit Hilfe des Völkerbundes bzw. unter dem Vorwand seines wirtschaftspolitischen Druckes, den er anlässlich der Lausanner Anleihe Juli 1932 ausübte. Die damals eingeleitete forcierte Politik der Selbstversorgung wurde für die Bevölkerung plausibel mit dem Trauma der Hungerzeit am Ende und nach dem Weltkrieg legitimiert, als die 106 Lebensmittelversorgung Wiens in der Luft hing, die Bundesländer mit ihrer Blockade sie noch verschärften und die Sieger sie zu Erpressungsmanöver benutzten. Faktisch motiviert war sie aber mit der Schaffung und Pflege einer bestimmten politischen Klientel. Dollfuß wird die Bauernschaft auch dann weiter hofieren (Kluge 1978), als es längst Lebensmittelüberschüsse auf dem Weltmarkt gibt, und die österreichischen Übermengen nur durch eine Reihe von Marktordnungsinstrumenten zu bewältigen waren – während gleichzeitig die Arbeitslosen hungerten. Die Industrie erreichte dagegen nie das Vorkriegsniveau. Die Erste Republik bildete in der wirtschaftlichen Entwicklung ein "Loch". Das Vorkriegsniveau wurde erst 1928 und 1929 erreicht bzw. knapp übertroffen (und dann erst wieder 1950). Produktionsindizes der österreichischen Wirtschaft (1913 = 100) 300 250 200 150 100 50 0 1920 1925 1930 1935 1940 Jahr BNP Landwirt schaft Industrie E, Gas, Wasser Handel Öffentl. Dienst Quelle: Kausel / Nemeth / Seidel 1965 Als die Wirtschaftskrise Österreich erreichte, betrieb die Regierung eine Politik der Verstärkung des Zyklus. Das geschah mit der Billigung der sozialdemokratischen Führung, die immer noch um ihre Sparbücher fürchtete. Man weist zur Rechtfertigung heute auf die "vorkeynesianische" Auffassung hin. Doch eine solche Politik war auch damals nicht unvermeidlich. Die skandinavischen Länder begannen etwa zur gleichen Zeit und vor Keynes eine recht erfolgreiche expansive Politik, die manche österreichische Gewerkschaftsgruppen gern auch auf unser Land übertragen hätten. Doch sie stießen auf den erbitterten Widerstand nicht nur der Regierung, sondern auch Renners und Bauers. So begann ein immer größerer Teil der österreichischen Bevölkerung, wieder über die Grenze 107 nach Deutschland zu schauen. Der dort schon langsam anrollende Militärkeynesianismus mit der forcierten Aufrüstungspolitik der Nazis führte immerhin praktisch zur Vollbeschäftigung. In Österreich blieb dagegen die Arbeitslosigkeit bis 1937 über 20 %. Die Wirtschaft erreichte nicht mehr das Niveau der Vorkriegszeit. War es da verwunderlich, dass ein erheblicher Teil der Österreicher sich nicht für ihr Land begeistern konnte? In den Zwanziger Jahren waren die Anschlussbefürworter nicht mehr so lautstark gewesen, auch wenn sie ihre Tätigkeit keineswegs aufgegeben hatten. Jetzt schwoll ihr Chor wiederum an. Wie die Erfolge der Nazis bei den Wiener Gemeinderatswahlen, aber auch in Innsbruck, zeigten, konnten sie nun durchaus auch auf erhebliche Unterstützung aus der Bevölkerung zählen. Es waren übrigens die Christlichsozialen, die in diesen Wahlen regelrechte Zusammenbrüche erlitten. Die Sozialdemokraten wurden vorerst davon kaum berührt. Außerdem waren die Arbeiterschaft sowie die demokratische Bewegung sowieso bald nur mehr Zuschauer auf der politischen Bühne. Der Bürgerkrieg drängte sie aus dem politischen Geschehen. Als es zu spät war, wollte sie Schuschnigg mit seiner Volksabstimmung noch schnell miteinbeziehen. Die Wahl für das Österreich dieser Machthaber, deren Politik ihnen jede Identifikation mit diesem Staat und dieser Nation unmöglich gemacht hatte, blieb ihnen aber erspart - die Nazis marschierten ein. Der Projektcharakter der nationalen Frage wurde nach dem Zusammenbruch der Habsburger-Monarchie besonders deutlich erkennbar. Wir müssen auf diesen Zeitpunkt noch mehrmals zurückkommen, da er von den Deutschsprachigen des alten Reiches als Katastrophe empfunden wurde und dementsprechend ihre weitere politische Haltung prägte. Wie hätte es anders sein können? Mit der Monarchie brach nicht nur ein politisches Gebilde, sondern ein kultureller Bezugsrahmen zusammen, das symbolische Bezugssystem auch für jene, welche das politische System der Monarchie bekämpft und gehaßt hatten. Für die Formung der gesamtgesellschaftlichen Tradition ist die Existenz und die Funktionsweise des jeweiligen Staates von überragender Bedeutung, symbolisch wie in seinen konkreten Funktionsweisen. In der Monarchie war es zudem der Staat, verkörpert von Kaiser, Heer und Bürokratie, welcher infolge der Kraft des Faktischen dem Prinzip der Nation bis nahe an das Ende erfolgreich Konkurrenz gemacht hatte. Noch mitten im Krieg hat Seipel (1916) dies nicht nur festgestellt, sondern geradezu feierlich ideologisiert. Zerbricht nun der Staat, und zwar im Ablauf einer historischen Katastrophe, so muss dies auf alle Fälle auf der Ebene der Symbolik eine traumatische Erfahrung darstellen. Dazu kam, dass diese Kräfte und insbesondere ihre intellektuellen Vertreter (man zögert hier geradezu, von intellektuell zu sprechen, weil dies doch eine gewisse Urteilskraft bedeuten sollte) zu den verblendetsten Ideologen des Weltkrieges gehört hatten. Sie hatten offenbar jeden Bezug zur Wirklichkeit verloren, bis an den Rande des Wahns. Noch im Sommer 1918, als der Zusammenbruch schon begann, schwadronierten diese angeblichen Gelehrten von einem “bedingungslosen Siegfrieden”: ”Eingesponnen in den Nebel von politischem Wunschdenken, Kriegsbegeisterung und patriotischen Elan, nahmen diese Vertreter der Wissenschaft gar nicht wahr, dass sich die militärischen Kräfte der Mittelmächte dem Ende zu neigten. Und als dann der Zusammenbruch tatsächlich Anfang August 1918 eintrat, lag es auf der Hand, dass diesem euphorischen Siegestaumel ein bitteres und schmerzliches Erwachen folgen musste” (Ramhardter 1973, 30). Die geistige Umorientierung folgte dann ebenso schnell wie sie in ihrem Ergebnis kennzeichnend war: „Aus den Großösterreichern sind Großdeutsche geworden“ (Fellner 2002, 333). 108 Als der Habsburger-Staat zusammenbrach, waren klarerweise jene am stärksten desorientiert, welchen dieses Symbolsystem am meisten gegolten hatte, die Katholisch-Konservativen. Österreichs politische Führung glaubte sich nicht anders retten zu können als durch den Anschluss an das Deutsche Reich. Hier spielten zwar die Sozialdemokraten die Einpeitscher. Doch auch die Christlich-Sozialen (Ignaz Seipel) wurden in etwas anderer Form deutschnational. Die Erfahrung des Zusammenbruchs war nicht in wenigen Wochen und auch nicht in wenigen Jahren zu bewältigen, zumal sie für diese Klientel, die bürgerlichen Schichten auch noch Aspekte einer gesellschaftlichen Umwälzung trug. So wurde für sie 1918 die eigentliche unbewältigte Vergangenheit für viele Jahrzehnte, der Absturz aus der vermeintlich gesicherten Existenz der konservativen Macht. Das wird sich noch lange nach dem Zweiten Weltkrieg zeigen. Für die Nationalen, ob Großdeutsche oder Sozialdemokraten, war zwar der Zerfall der Monarchie auch eine traumatische Erfahrung, aber doch in einer ganz anderen Qualität. Viele unter ihnen hatten diesen Staat als Feindbild gepflegt. Sie vermochten sich daher eher zu fangen. Die Sozialdemokraten waren überhaupt im Vorteil, weil sie über die deutschnationale Orientierung hinaus noch ein weiteres, ebenso wichtiges Identitäts-Anbot hatten, nämlich ein sozialpolitisch und kulturell innovatives Konzept einer "neuen Gesellschaft". So konnten sie sehr kurzfristig sogar die soziopolitische Hegemonie erringen. Das sollte wiederum Otto Bauer bald ideologisieren unter dem Schlagwort "Klassengleichgewicht der Volksdemokratie". Ablesbar war dies an ihrer kurzfristigen Majorität im Wiener Parlament. 3.1.1 Anomie Felix Butschek hat, nicht völlig zu Unrecht, gemeint, aus dem Vergleich des Zusammenbruchs des Habsburgerstaates mit dem Zusammenbruch der Nomenklatura-Systeme des Ostens Lehren für den wirtschaftlichen und politischen Aufbau dieser Gesellschaft ziehen zu können. Hat der Vergleich irgendeine Berechtigung, dann gilt er natürlich auch anders herum. Was aber das kennzeichnende Merkmal dieser Gesellschaften war bzw. noch immer ist, ist eine verbreitete Anomie. Wie stand es um Österreich 1918? Émile Durkheim (1990 [1897]) hat in seinem vielleicht berühmtesten Werk, jenem über den Selbstmord22, das Grundkonzept der "Anomie" entwickelt. Seine Ausgangsbeobachtungen sind: "In normalen Zeiten wird die Kollektivordnung von der großen Mehrheit der ihr Unterworfenen als gerecht angesehen" (287). Es geht hier also um die Legitimität einer bestehenden Ordnung bzw. Gesellschaft und dem folgend um die grundsätzliche Loyalität der großen Mehrheit zu ihr. "Wenn indessen in der Gesellschaft Störungen auftreten, sei es infolge schmerzhafter Krisen oder auch infolge günstiger, aber allzuplötzlicher Wandlungen, ist sie zeitweilig unfähig, ... Autorität zu zeigen" (287). Die Regulierungsfähigkeit der bestehenden Strukturen und Prozesse ist überfordert oder bricht überhaupt zusammen. "Der Zustand der gestörten Ordnung oder Anomie ... gibt der öffentlichen Meinung keine Orientierung mehr.... Zur gleichen Zeit wird der Kampf härter und opfervoller, einmal, weil 22 Gerade in unserem Zusammenhang mag Folgendes von mehr als nur anekdotischem Interesse sein: Der wohl berühmteste Tscheche noch unseres Jahrhunderts hat sich 20 Jahre vor Durkheims epochemachendem Werk mit einer Arbeit über den Selbstmord an der philosophischen Fakultät der Universität Wiens habilitiert. Thomas G. Masaryk stieß dabei allerdings auf völliges Unverständnis seiner inkompetenten philosophischen Fachkollegen und mußte sein Werk unter ihrem Druck praktisch völlig umschreiben. 109 die Kampfregeln wenig beachtet werden, und zum anderen, weil der Wettbewerb schärfer wird" (289). Durkheim beschreibt in der Folge manches, was auch in unseren Quellen ständig auftaucht. Man kann umgekehrt formulieren: Viele Sätze aus Zeitungsartikeln oder sonstiger Literatur dieser Zeit könnten geradezu unverändert in Durkheims klassisches Werk übernommen werden. Ein Systembruch, wie man ihn am Ende des Ersten Weltkrieges in Österreich (und wie man ihn wieder im heutigen Osten) erlebte, ist die Mustersituation, welche anomisches Verhalten und Reaktionen hervorruft. Dabei kann der Bruch infolge seines auch kulturellen Charakters durchaus schärfer wahrgenommen werden, als er sich im Nachhinein und in einer nüchternen Analyse herausstellt. Das war der Grund, warum die Lebensunfähigkeits-These mental so leicht vermittelt werden konnte. Dazu kam eine gesteigerte reale Unsicherheit im Alltagsleben. Die anomische Situation zog anomische Persönlichkeiten an. Man denke an die Freischärler im Deutschen Reich, im deutsch besiedelten Osten bzw. auch in den baltischen Gebieten! Auch an den Rändern Österreichs, im späteren Burgenland, taucht dieses Problem in Gestalt ungarischer Banden auf. Im Grunde sind die sogenannten Kärntner "Abwehrkämpfer" in dieselbe Kategorie einzureihen – natürlich auch ihre südslawischen Gegner. Dass eine solche anomische Situation entstand, ist keineswegs überraschend. Alles andere wäre unerklärlich. Die Grunderfahrung war eine existentielle Unsicherheit. Wenn nicht nur ein politisches und ein Gesellschaftssystem, sondern ein ganzes Wertsystem zusammenbricht, das immerhin Generationen Gültigkeit hatte, käme jede andere Situation einer völligen Negation aller bisherigen sozialwissenschaftlichen Erkenntnisse gleich. Es ist kennzeichnend, dass die Sieger-Mächte zum erheblichen Teil nicht unähnliche Erfahrungen machten. Die forcierte Politik der Konservativen, vor allem im Vereinigten Königreich, des Rückkehrs zum Goldstandard war im Grunde eine völlig irrationale Wirtschaftspolitik, die überhaupt nur zu verstehen ist als ein Verzweiflungsakt symbolischer Politik: Man wollte damit zu den gesicherten Verhältnissen der Vorkriegszeit zurückkehren, wo man praktisch keine Inflation und nur wenig soziale Unruhe gekannt hatte.23 3.1.2 Siegmund Freud und seine Religion – die Psychoanalyse Freuds Thema war der bürgerliche Mensch im fin de siècle, zuerst im Rahmen der Monarchie, dann in der Ersten Republik. Sein Anbot war zuerst eine klinische Theorie, schließlich aber eine vollständige Weltsicht mit quasi-religiösem Charakter, spätestens mit “Jenseits des Lustprinzips” (1919/1920 - Freud 1989 III, 215 - 272). Die innere Auflösung der Monarchie, ihr Auseinanderfallen im und nach dem Weltkrieg, schließlich die ungesicherte Existenz der Ersten Republik ist interessanterweise nirgends sein explizites Thema. Es scheint jedoch, als ob der Einfluß dieser Prozesse auf die Formulierung seiner Gedanken überragend gewesen wäre. Allerdings läßt sich dies nur in geradezu verschämten Beiläufigkeiten erkennen. So ist in der “Traumdeutung” (Freud 1989 II) der Antisemitismus als Barriere für seinen eigenen Ehrgeiz und jenen anderer Kollegen jüdischer Herkunft allgegenwärtig; er wird jedoch immer verhüllend mit dem Vokabel der Religionszugehörigkeit angesprochen. In der Republik ist es seine Religionskritik, welche zuerst, als noch einigermaßen demokratische Verhältnisse herrschten, offen formuliert wird (“Zukunft einer Illusion” 1927 – IX, 139 - 189). Im Austrofaschismus hält er dann jedoch den “Mann Moses” (IX, 459 - 581) zurück und veröffentlicht den letzten Teil erst im Londoner Exil, mit mehreren 23 “We, in fact, were the predominant partner in the Gold Standard-Alliance. But those who think that a return to the gold standard means a return to these conditions, are fools and blind” (Keynes 1963 [1931], 234). - Man denkt dabei unwillkürlich an die heutigen osteuropäischen Staaten, welche wider jede wirtschaftliche und politische Vernunft unbedingt der EU und der NATO beitreten wollen, weil für sie dies zum Symbol der Zugehörigkeit zu Westeuropa und zu seinem Wohlstand geworden ist. 110 Vorworten, auch mitten im Text, welche diese Schrift zu einem kennzeichnenden, auch ergreifenden Zeugnis sowohl der politischen Umstände wie auch des Verfassers werden lassen. Doch das eigentlich interessante ist die hochsublimierte Form, wie er auf dies alles reagiert. Als bereits damals Mittelpunkt eines internationalen Netzes, wenn auch mit Schwerpunkt in Wien, ist er offenbar nicht bereit, sich national zu identifizieren. Seine “Religionszugehörigkeit” hingegen ist ein ständiges Thema, das immer wieder kollidiert mit dem reaktionären Katholizismus seiner politischen Umgebung. Ergebnis ist eine Weltsicht, die sich auf die Biologie - offenbar die einzige Transzendenz, die er noch erkennen kann - abstützt. Seine berufliche Laufbahn prädestinierte ihn dazu. Doch er beschränkt sich nicht auf eine gewissermaßen positivistische Wissenschaft. Es ist er die “Biologie als Schicksal”, welches ihn fasziniert. Das kennzeichnendste Werk dazu ist die hochspekulative Schrift “Jenseits des Lustprinzips”, die dann zu so etwas wie einem Treuetest für die orthodoxen Freudianer wurde.Tatsächlich scheint auch das der Punkt gewesen zu sein, wo der Bruch mit einem seiner Getreuesten schließlich stattfand - mit Wilhelm Reich (vgl. 1975, 213 ff.). Für Freud war das politische Engagement Reichs nicht akzeptabel, sodas er schließlich leicht paranoid dessen Arbeiten als KP-gesteuert denunzierte - zu einer Zeit, wo Reich schon auf seinen KP-Auschluß zuging. Interessanterweise scheint Reich schließlich in weit radikalerer Form dort angekommen zu sein, wo er Freud verließ – nämlich nach einem fast soziologischen Reduktionismus bei einem durchgehenden und ausschließlichen Biologismus, der ebenfalls religiöse Züge annahm. Während Freud erst von den Nazis aus Österreich vertrieben wurde, verließ Reich Wien aus mehreren Gründen bereits sechs Jahre zuvor, nicht zuletzt auch deswegen, weil er in der durch Freud beherrschten Wiener Szene keine Möglichkeit mehr sah, beruflich und wissenschaftlich tätig zu sein. Was aber die beiden schließlich einte, war die völlig anationale Haltung, welche den einzigen archimedischen Punkt schließlich in der Biologie des Menschen erkennen konnte. Österreich kommt bewusst in ihren Überlegungen nicht vor. Das scheint nun nicht zufällig für progressive österreichische Intellektuelle. Während jedoch Freud zwar seine Spekulationen erstnahm, aber doch mit ihnen spielte, behielt er sie im Griff - bei ihm siegte der Realismus über die intellektuelle Konsequenz. Reich hingegen ging seinen intellektuellen Weg zu Ende bis zu seinem Tod in einem US-amerikanischen Gefängnis. 3.2 Österreichs Staatsgründung Die Entstehung der Ersten Republik und ihrer Verfassung ist für den Nationentheoretiker ebenso wie für den Staatstheoretiker von großem Interesse. Sie zeigt den Aufbau eines neuen Staates, nachdem der alte scheinbar vollständig zusammengebrochen war – scheinbar, weil die wichtigste Komponente des modernen Staates überdauerte: der bürokratische Apparat. Kelsen (1923, 89) schon wies darauf hin, dass "der bürokratische Verwaltungsapparat des alten Österreich ohne Änderung übernommen" wurde. Aufrechterhalten wurde er nicht zuletzt durch ein spezielles Arbeitsrecht, heute "Beamtendienstrecht" genannt. Seine Hauptfunktion ist die Herrschaftssicherung. Dazu werden die Interessen der Betroffenen (der Beamten) durch Privilegierung mobilisiert. Allerdings war dieser Apparat "geköpft": Das Kommunikationszentrum, die politische Zentralgewalt, hatte kurzfristig zu bestehen aufgehört. Es gab mehrere Machtkerne, die versuchten, möglichst viel Macht und Kompetenz an sich zu ziehen. Der neue Staatsaufbau ist der Prozess, mittels welchem sich binnen kurzem der wichtigste, weil repräsentativste, dieser Kerne durchsetzte. Darüber hinaus war man auf der Suche nach einer neuen, möglichst allseits anerkannten Legitimität. Das Symbolsystem Monarchie und Dynastie musste durch ein neues symbolisches System ersetzt werden. Dafür bot sich die "Nation" an. Doch welche Nation? 3.2.1 "Kulturnation" 111 Seit 100 Jahren wird vor allem in der Historiographie die Frage der "Kulturnation" debattiert. Wir wissen seit langem, dass dieser Begriff vorwiegend ein Deckbegriff für nicht ausgesprochene Machtansprüche ist, oder für solche, welche sich nur verhüllt äußern dürfen oder können. Es ist erstaunlich, wie wenig sich daran geändert hat. Es ist aber durchaus kein Zufall, dass vor allem deutsche Historiker sich bis in die Gegenwart so verbissen an diesen Terminus hängten. Während der Existenz der DDR war es das Instrument, den staatsrechtlich formulierten Anspruch auf deren Territorium und Bevölkerung "historisch" zu legitimieren. "Und nun ist während dieser zwei Jahrzehnte auch Österreich manchmal in diesen Diskurs 'hineingerutscht'... 1978 hat Wolfgang Mommsen in einem 1990 wiederabgedruckten Aufsatz davon gesprochen, 'daß es einen deutschen Kernstaat gibt, die Bundesrepublik, und gleichsam zwei weitere deutsche Staaten 'deutscher Nation', nämlich die DDR und Österreich'" (Stourzh 1993, 4). Nur am Rande sei bemerkt, daß zur selben Zeit, als der von Stourzh zitierte deutschnationale Historiker dies schrieb und damit gewissermaßen wieder einen Anschluß proklamierte, die österreichische Ministerin für Wissenschaft und Forschung diesen selben Historiker mit aller Macht auf den damals verwaisten sensiblen Zeitgeschichte-Lehrstuhl bringen wollte und nur durch einige akademische Manöver regelrecht ausgetrickst wurde. Doch darüber hinaus hat der Ausdruck einige Aspekte, die mit den Funktionen der Nation ebenso zusammenhängen wie mit der Fähigkeit des Staates zur Autolegitimation. Es geht um die Frage, wer vollwertiges Mitglied ist, um die Frage der Inklusion somit. Beginnen wir mit zwei Feststellungen: "A symbolic status of membership such as citizenship rests on general recognition rather than on the pysical location of bodies in space" (Bauböck 1994, 158). Folgerichtig lesen wir dann später: "In contrast with social membership, political membership in democracy is a question of will more than of fact" (p. 174). Das aber scheint massiv überzogen. Es würde das politische System, den Staat, auf ein symbolisches System reduzieren, anstelle es / ihn als soziales Subsystem zu betrachten. Das politische System wäre damit ein rein kulturelles Untersystem. Nun muss jedes Sozialsystem auch über ein zugehöriges kulturelles System verfügen, also auch der Staat. Dies wurde von Soziologen und Politikwissenschaftern bislang meist übersehen, ganz im Gegensatz zu Juristen und Philosophen. Andererseits kommt zumindest das Wort "kulturell" in der Nationentheorie ständig vor, insbesondere in der älteren, und vor allem im impliziten Theoriezugang der Geschichtswissenschaften. Der Ausdruck "Kulturnation" sagt, wenn auch fetischisiert, also ganz offensichtlich etwas über die Inklusion aus. Vielmehr soll er nach Absicht seiner Propagandisten etwas aussagen. Doch da deren Ansicht von einem erheblichen Teil wenn schon nicht der Wissenschaftler, so doch der Bevölkerung auf eine diffuse Weise geteilt wird, wurde sie auch als Teil von sozialen Einstellungen zu einer Realität. Diese Verschränkung von normativer und analytischer Ebene wird noch stärker verkompliziert durch unterschiedliche Aspekte innerhalb der normativen Ebene. Auf der einen Seite stellt er einen Machtanspruch sich sprachlich legitimierender Eliten (und aspirierender Eliten) dar, heißt also: "Diese von uns definierte Gesellschaft ('Nation') hat Anspruch auf einen eigenen Staat; und wir, die wir mit der Sprache arbeiten und sie verwalten, wollen die Repräsentanten der so abgegrenzten Nation sein, die staatlichen Herrschaftsträger." Die normative Inklusionsaussage hingegen ist: "Nur jene sollen Mitglied [zuerst] der Nation sein, welche dieses bestimmte Kulturmerkmal, die Sprache, tragen. Jedoch sollen andererseits alle jene Mitglieder werden." In Zusammenschau mit der ersten Aussage ergibt dies die Folgerung: "Nur jene sind vollwertige Bürger unseres Staates, welche unsere Sprache sprechen und daher zu unserer 'Kulturnation' gehören." 112 In völlig fetischisierter Form wird dies mit dem Term des "Nationalstolzes" ausgedrückt, der von einem Großteil der Bevölkerung in irgendeiner diffusen Form geteilt wird. Er ist der säkularisierte Ersatz für eine weitgehend abhanden gekommene religiöse Transzendenz. Besonders deutlich wird dies, wenn z. B. Tocqueville (1988) den Nationalstolz als einzige über Spezialinteressen hinausgehende Gemeinsamkeit in modernen Gesellschaften versteht. Wie gewöhnlich stehen in diesen Gemeinsamkeiten natürlich auch politische Werte zur Debatte. Eine patriarchale Gesellschaftsstruktur glaubt diese verquere Transzendenz zu brauchen, um ihre spezifischen Interessen, die Interessen einer kleinen Schicht aus "Besitz und Bildung", als die Allgemeininteressen ausgeben zu können. Im übrigen ist "Kultur" oder "Zivilisation" natürlich auch ein Codewort für eine ziemlich grobe Ideologisierung bzw. Instrumentalisierung des "Nationalstolzes. Es diente bisher einfach als Rechtfertigung für politische Intervention oder überhaupt für die Eroberung (den Raub) eines Gebietes, auf das der "zivilisierende" Staat nicht den geringsten Rechtsanspruch hat. Dies funktioniert deswegen so gut, weil die ethnozentrische Auserwählungs-Überzeugung, in Wirklichkeit selbst die Einzigen zu sein, welche vollmenschliche Züge haben, aufgrund des Auswahlcharakters sozialer Institutionen eine so gute Stütze in der alltäglichen Lebenswelt aller Menschen hat: Jede Gesellschaft wählt nur einen Bruchteil der möglichen Verhaltensweisen aus dem Fundus möglichen menschlichen Verhaltens aus, die im Laufe der Zivilisation dann zum eigentlichen und einzigen menschlichen Verhalten werden. Gesellschaften mit anderen Verhaltensmuster sind somit nicht wirklich menschlich. Der Kern ist also die individuelle und kollektive Mitgliedschaft, d. h. nicht zuletzt die juridisch-politische und symbolische Figur der Bürgerschaft. Als symbolische Mitgliedschaft juristischer Natur kann sie individuell verliehen werden. Kollektiv entscheidet man durch das sogenannte "Selbstbestimmungsrecht" darüber. Als soziale Mitgliedschaft ist ihr Erwerb ein ebenso stetiger Prozess der Integration wie andere Integrationsprozesse auch. Einen völlig ungewohnten Aspekt allerdings erhält all dies, wenn das bisherige System der (symbolischen und politischen) Mitgliedschaft verloren ging und ein neues erst aufgebaut oder ausgewählt werden muss. Diese Situation war für die späteren Österreicher 1918 gegeben und überforderte sie in ihrer Komplexität und Dialektik massiv. 3.2.2 Die erste Nachkriegszeit und die Staatskonstruktion Als seit Ende September 1918 die slawischen Nationen der Monarchie der Reihe nach eigene Vertretungskörper konstituierten ("Nationalversammlungen"), brach das Reich nach einem schwachen Versuch der Dynastie, die Einheit zu bewahren, endgültig auseinander. Der Aufruf Kaiser Karls vom 16. Oktober 1918 zum Umbau des Staats blieb folgenlos. Auch der Versuch der bisherigen politischen Macht, zumindest im deutschsprachigen Teil die Kontinuität aufrechtzuerhalten, scheiterte: Die politischen Parteien in der jetzt (am 21. Oktober 1918) konstituierten "Provisorischen Nationalversammlung" lehnten es dem Noch-Kaiser gegenüber ab, die Konkursmasse des alten Staates zu übernehmen. Dazu wurden sie dann durch den Friedensvertrag doch gezwungen. Damit stellte sich die Frage nach der Zukunft. "Bürgerliche Demokraten, wie Zenker und Blasel, riefen als erste in öffentlichen Versammlungen nach der Republik" (Goldinger 1962, 13). Hier fiel auch die Entscheidung für eine parlamentarische Demokratie liberalen Musters. Das war nicht selbstverständlich. Immerhin stand eine Rätedemokratie ernsthaft zur Debatte (Gerlich 1981). Schumpeter warnt z. B. immer wieder vor der bolschewistischen Gefahr. Die 113 politische Aufgabe, sie einzudämmen, übernahm die Sozialdemokratie. Sie trickste die Arbeiterräte aus, indem sie sie sich in Tagesfragen erschöpfen ließ. Der neue Staat musste nun formal gegründet werden. Interessant ist der bunte Ablauf der Rechtssetzungsakte, wie er sich in der Staatsgesetzblättern spiegelt. Am 30. Oktober wurde eine Art provisorischer Verfassung beschlossen (StGBl. 1/15. Nov. 1918). Ihr wichtigster Zug ist, dass zum einen das bisherige Recht weitergilt (§ 16): "Das Recht des alten Österreich ... bildet in seiner Hauptmasse auch heute noch den Grundstock der in der Republik Österreich geltenden Rechtsordnung" (Ogris 1975, 546). Zum anderen bleibt auch die oberste Behördenorganisation erhalten, nur heißen die Ministerien jetzt "Staatsämter". Karl Kraus hatte wörtlich recht, wenn er der Sozialdemokratie vorwarf, die österreichische Revolution auf einen Firmenwechsel reduziert zu haben. Überhaupt erstaunt es, wie oft die Formulierungen der Verfassungsbestimmungen aus der Monarchie, insbesondere der Dezembergesetze 1867 und der damit verbundenen früheren Gesetze aus 1862, im republikanischen Verfassungstext wortwörtlich wiederkehren. Gerade das zeigt besonders deutlich, wie sehr das B-VG noch aus dem altliberalen Geist lebt, der schon 1920 Vergangenheit war. So ist es erklärlich, daß das heutige politische Leben sehr oft im direkten Widerspruch zumindest zum Geist der Verfassung steht. Da im Anschluss an den Krieg genügend Waffen im Umlauf waren und sich Kerne paramilitärischer Gruppen gebildet hatte, versuchte die Nationalversammlung, das entscheidende Kriterium des Staates, das Gewaltmonopol, wieder an sich zu ziehen (Beschluss ... betreffend die National- und Bürgergarden, StGBl. 2).– Zwei Wochen später kam der berühmte Beschluss: "Deutschösterreich ist eine demokratische Republik... Deutschösterreich ist ein Bestandteil der Deutschen Republik." (StGBl. 5) In diesem Staatsgründungsakt vom 12. November 1918 werden die Bundesländer nicht einmal erwähnt. Kelsen (1922, 53) wird ihn deshalb "verunglückt" nennen. Die Behauptung, dass die Republik von den Bundesländern gegründet worden warf, ist also konservativ-föderalistische Ideologie. Politisch gesehen ist folgende Feststellung ganz aus dem Nationalismus und seiner ideologisierung im 19. Jahrhundert durch Mancini und Tschudi geschrieben, hat aber in dieser Ausnahmesituation ein richtiges Element: "Subjekte der Staatsteilung und die Übernehmer dessen souveräner Rechte über einzelne Territorien waren die Nationen und nicht etwa irgendwelche historische Länder" (Pleterski / Druškovic 1983, 15). Die Frage stellt sich allerdings: Wer ist diese Nation, wer handelt für sie? Das wird erst etwas später mit der Kenntnisnahme der Beitrittserklärung der Länder (StGBl. 23) sowie mit der – vom Zentrum aus angeordneten – "Übernahme der Staatsgewalt in den Ländern" (StGBl. 24) geschehen. Zwischendurch fiel es offensichtlich einem Juristen auf, dass das Staatsgesetzblatt rechtlich gar nicht existent war. Es wurde daher durch eine Verlautbarung im Staatsgesetzblatt geschaffen (StGBl. 7), ein hübsches Beispiel für die logische Selbstbezüglichkeit der Jurisprudenz. Weiters gab es einen pathetischen Aufruf ohne jeden Rechtscharakter (StGBl. 6). Schließlich wurde eine Amnestie für alle im weiteren Sinne politischen Delikte im alten Staat erlassen (Beschluss vom 14. Nov., StGBl. 25). U. a. ging damals auch Friedrich Adler frei, der 1916 den Ministerpräsidenten Stürgh aus Protest gegen dessen Kriegspolitik ebenso wie gegen die dabei mitspielende Politik seiner eigenen Partei erschossen hatte. Schließlich fühlte man das Bedürfnis, das eigene Staatsgebiet auch einmal abzugrenzen (StGBl. 40 und 41). Dabei wurde u. a. das Sudetenland und "Deutschböhmen" beansprucht, dagegen die "geschlossenen jugoslawischen Siedlungsgebiete" in Kärnten nicht ("Jugoslawien" gab es damals noch gar nicht). Schließlich 114 wird ein nicht näher bezeichnetes "Industriegebiet im äußersten Norden Ostmährens und Ostschlesiens" als "zwischenstaatliches Verwaltungsgebiet" Polens, der Tschechoslowakei und Deutschösterreichs deklariert; die deutschen Sprachinseln in den Nachfolgestaaten zum "nationalen Interessensbereich"; und schließlich offene Handelswege entlang der Donau und zur Adria zum "wirtschaftlichen und kulturellen Interessensbereich". Wie man sieht, ist der Aufbau eines Staates recht verwirrend und läuft nicht ganz so glatt, wie sich es die Juristen wünschen mögen. Es ist geradezu amüsant, wie Hans Kelsen als Jurist mit Leib und Seele die rechtspolitische Entwicklung dieser Monate immer wieder mit den Worten "seltsam", "geradezu sinnlos", "unhaltbar" und ähnlichen Ausdrücken kommentiert. Umso interessanter ist es daher, die Situation in einer Region zu betrachten, wo die Katholisch-Konservativen völlig unbestritten eine überaus deutliche Mehrheit hatten. Wir werden diesen Problemkreis im zweiten Teil dieser Arbeit noch ausführlich behandeln. Das eigentliche theoretische Interesse, welches die unterschiedlich gerichteten Anschlussbestrebungen der Vorarlberger Bevölkerung und ihrer politischen Klasse bieten, ist nicht das spezifisch Vorarlbergische in dieser Nachkriegssituation. Es ist die Frage, wie sie die politische Orientierung unverhüllt zur nationalen Zuordnung wandelt. Ein Spezifikum könnte darin bestehen, dass die Absichten dieser konservativen Mehrheit von ihrem autoritativsten Sprecher nicht so in Wien vertreten wurde, wie sie möglicherweise in der Bevölkerung vorhanden waren. Ein eigenes politisches Projekt traute man sich nicht zu, obwohl man für Vorarlberg das "Selbstbestimmungsrecht" forderte (Wanner 1980). "Wien" hingegen lehnte man ab, da dort die Sozialdemokratie zuviel zu sagen hatte. Der virulente Antisemitismus dürfte in diesem Sinne vor allem ein Anti-Sozialismus gewesen sein. Im Zuge des Kampfes um das eigene politische Projekt der Zukunft wurde dieser spezifische, religiös legitimierte Fremdenhass – die Juden als die Verkörperung des "ganz Anderen" – mobilisiert, weil man damit dem politischen Gegner die "Andersartigkeit" nachweisen konnte. In der zweiten Nachkriegszeit wird aus dem Westen Österreichs nochmals Ähnliches zu vernehmen sein, obwohl man diesmal den offenen Antisemitismus zumindest am Anfang vermied. Diese Strömung hatte nur deswegen nicht mehr Folgerungen, weil sie diesmal nicht eine wirklich ausgearbeitete Strategie verfolgten. 3.2.3 Die nationale Orientierung Der Staatsaufbau ging in einer Situation ungeklärter nationaler Loyalitäten vor sich. Nun ist Nation, nach einem Ausdruck von Max Weber, eine "Loyalitätszumutung. Die möglichen und tendenziell konkurrierenden Loyalitäten waren daher gleichzeitig mit scharf konkurrierenden politischen Entwürfen verknüpft. Bekannt ist, dass und wie Otto Bauer den Programmcharakter der nationalen Orientierung erfasste und deutete, da er dies selbst in einer umfangreichen Publikation über die "österreichische Revolution" darlegte (vgl. Reiterer 1994). Nicht uninteressant ist im Einzelfall, wie sehr sich die Unterschiedlichkeit der Optionen in der neuen, erst zu erfindenden nationalen Symbolik verästelte. Die Repräsentanz politischer Existenz braucht ebenso ihre Ausdrucksformen wie jene der sozialer Existenz. Diesen Ausdrucksformen (Wappen, Fahnen) versucht die politische Klasse und ein erheblicher Teil der Bevölkerung tatsächlich eine gewisse Sakralität zu verleihen. Es sind die öffentlichen Kultbilder und Reliquien des Staates. Dementsprechend werden hier in einer ungeklärten nationalen Situation Konflikte aufbrechen. Als zwischen den Christlichsozialen und den Sozialdemokraten 1918/1919 die Frage des Staatswappens verhandelt wurde, einigte man sich einigermaßen bald auf den Adler mit den drei Ständesymbolen (Mauerkrone, Hammer und Sichel). Doch an den Farben begann 115 es sich zu spießen. Karl Renner wollte die deutschen Farben Schwarz-Rot-Gold durchsetzen. Dagegen stellten sich die Christlichsozialen, die schon von der AnschlussVerve der Sozialdemokraten überrumpelt worden waren. Hier setzten sie sich durch mit ihrem Vorschlag Rot-Weiß-Rot. Es war eine Konfrontation zweier politischer Konzepte, eine Konfrontation zwischen dem Wunsch nach Kontinuität und dem Willen zum Bruch mit der Vergangenheit, der sich im Anschluss verwirklichen sollte. Die Reichspost kommentierte dies sehr richtig (1. Nov. 1918; zit. nach Spann 1994, 41): "Rotweißrot [ist] das ehrwürdige Dreifarb der Babenberger und der Schleife, welche die österreichischen Kaiser tragen... Die Wahl bekundet, dass man auf Geschichte und Tradition hält und an den Idealen der alten Ostmark anzuknüpfen wünscht, die nach der Lossagung der später hinzugekommenen nichtdeutschen Länder vom schwarzgelben Österreich im neuen deutschösterreichischen Staat wieder als Kern sichtbar geworden ist. Das gesamtösterreichische Schwarzgelb bleibt dem künftigen Bundesstaat, falls die Zusammenfassung der Nationalstaaten gelingt, überlassen, dem schwarzrotgoldenen Bekenntnis zum Gesamtdeutschtum geschieht durch das eigene Dreifarb Deutschösterreichs kein Abbruch." In ähnlicher Weise stritt man sich um den "Staatsfeiertag" – also nicht um einen Nationalfeiertag. Den werden manche Professoren und Akademiker der Ersten Republik dann für das Deutsche Reich feiern. Österreichischer Staatsfeiertag war der 12. November. Otto Bauer wird bald bemerken, dass das österreichische Bürgertum diesen Tag nie wirklich akzeptierte. Dieser Streit um den Staats-, dann Nationalfeiertag wird in der Zweiten Republik eine Neuauflage erleben. "Für Österreich ist die Bezugnahme auf konsens- und identitätsstiftende Ereignisse der jüngsten Vergangenheit als Anlass für nationales Feiern schwierig. Lange Zeit fehlte in der Republikgeschichte das große, einigende historische Erlebnis. Vielmehr überwogen die polarisierenden Erinnerungen... Im Streit um Staatssymbole und Staatsfeiertag manifestierten sich die unüberbrückbaren Gegensätze um das nationale Selbstverständnis und um die politischen und sozialen Grundorientierungen der Ersten Republik Österreich" (Spann 1996, 27). Am Anfang der neuen Republik schien das sozialdemokratische politische Projekt konkurrenzlos. Die Sozialdemokraten sahen sich national wie auch in sonstiger politischer Hinsicht als die Nachfolger der alter 48er. Sie konnten sich kurzfristig durchsetzen, weil sie auf eine solche Situation am besten geistig vorbereitet waren. Doch so stark war ihre Machtstellung, die sich im wesentlichen im Osten Österreichs konzentrierte, nicht, daß sie die weitere Entwicklung kontrollieren konnten. Die Vertreter der alten Interesse sahen nicht lange zu. Mit bemerkenswerter Zähigkeit begannen die Christlich-Sozialen bereits Anfang der 20er Jahre eine soziale roll-back-Politik, um den "Revolutionsschutt" (Seipel) wegzuräumen. Die Erste österreichische Republik könnte geradezu als Bestätigung der Lenin'schen These von der Notwendigkeit, "den unvermeidlichen, verzweifelten Widerstand der Bourgeoisie" gegen die Demokratie niederzuhalten, gesehen werden (Lenin 25, 416). Das letztendliche Scheitern der Republik war nichts anderes als der Sieg dieser Kräfte, die allerdings nicht einmal in erster Linie aus der in Österreich schmalbrüstigen "Bourgeoisie" bestanden. Wichtiger war noch die Bürokratie, wobei diese Koalition von der Römischen Kirche ideologisch und teils auch direkt organisatorisch geführt wurde und sich deswegen immerhin auf die Massenbasis der Bauernschaft stützen konnte. Die politische Kultur dieser Kreise ließ eine Anerkennung demokratischer Grundprinzipien, und insbesondere des Prinzips der Toleranz für die Suche nach neuen Lebensformen nicht zu. Die kurzfristige politische Hegemonie der Sozialdemokratie war für sie eine mentale Katastrophe, die sich nicht wieder ereignen sollte. 116 Und natürlich wollte sie auch die Umverteilung am Beginne der Republik durch Zusammenbruch, Inflation und in geringem Grad auch durch Sozialisierung nicht zulassen. Dies geschah zuerst durch die sogenannte Genfer "Sanierung", welche in ihrer spezifischen Durchführung jede künftige Möglichkeit einer Wachstumspolitik und damit auch eines sozialen Ausgleichs in der Ersten Republik unmöglich machten, mit wohlwollender Komplizenschaft seiner Urheber. So war der Untergang Österreichs von seinen Führern programmiert. Darum ging es aber gerade. Die folgenden österreichischen Regierungen taten alles dazu, der Bevölkerung den Verlust spürbar zu machen. Die Bevölkerung erlebte diese Politik als Bestätigung ihrer "Lebensunfähigkeits"-Ängste. Solange die Sozialdemokraten in der Regierung saßen, war dies mehr eine ideologische Sache. Abgesichert wurde dies durch jene Machtpolitik, welche etwa Theodor Körner für den ihn interessierenden militärischen Bereich aus der Nähe beobachtet und so lebendig beschreibt (Körner 1977). Die Verfassungsreform von 1929 war der Versuch, diese Verschiebung in den sozialen und vor allem politischen Kräfteverhältnissen unter ständigen Putschdrohungen vonseiten der Heimwehren legalistisch festzuschreiben. Die Bauern als in Österreich mächtige soziale Kraft waren bisher passiv geblieben. Mit den Folgen der Weltwirtschaftskrise traten sie mit ihren Aspirationen auf den Plan. Sie wurden zur wesentlichen Massenstütze des Austrofaschismus. Doch auch sie begannen nach Deutschland mit seiner bauernfreundlichen Politik, welche die NS-Gleichschaltung schon im Jahr 1933. dort völlig reibungslos ablaufen ließ, obwohl doch die Bauern vorher parteipolitisch eher anders orientiert gewesen waren. Doch die Konservativen versäumten es ebenfalls, eine nationale Identität aufzubauen. Der "österreichische Mensch" ("im zweiten deutschen Staat") war kein Ersatz dafür. Das Hauptanliegen der Konservativen war die Machterhaltung, und die war nur in Unabhängigkeit vom brutalen Macht- und Gestaltungswillen des NS-Staates möglich. Das sollten nach dem Anschluss auch manche illegale Nazis erfahren, welche eine gewisse österreichische Eigenständigkeit erwartet hatten (Jedlicka 1975). Heimito von Doderer (5. September 1896 – 23. Dezember 1966) ist vielleicht die kennzeichnendste literarische Verkörperung des österreichischen Konservativismus der Zwischenkriegszeit und unmittelbar danach. Aus einem großbürgerlichen Elternhaus (Vater Architekt und Bauunternehmer) von habsburgisch-patriotischer Gesinnung stammend, hatte er die Annehmlichkeiten dieser sozialen Schicht eindrücklich kennen gelernt, als man ihm – dem Sohn aus gutem Haus – trotz völligen Versagens die Matura schenkte. Doch das väterliche Vermögen ging verloren wie die Vermögen so vieler anderer, welche die Dummheit begingen, es in Kriegsanleihen anzulegen und Gold für Eisen gaben. Seinem nach außen getragenen Selbstbewusstsein tat dies keinen Abbruch. Doch das kam mit seiner realen Stellung in diesem Österreich und auch mit seinem vorerst äußerst bescheidenem Erfolg in Widerspruch. Die Folge war, dass er sich bereits 1933 den Nazis anschloss. Da er allerdings auch dort trotz Übersiedlung ins "Reich" keineswegs die gewünschte Förderung erhielt, wird er in der Nachkriegszeit die erfolgreicheren Nazis als proletenhafte Typen porträtieren. 1940 zum Katholizismus konvertiert, bedeutet dies keineswegs den Verzicht auf seine sexuellen und sonstigen Perversionen, wie er sie in den "Dämonen" so liebevoll wie langatmig beschreibt. Das Verständnis des Konservativen für die sozialen und politischen Probleme seiner Zeit war begrenzt. Ein literarisch tatsächlich einsamer Höhepunkt findet sich in einer Passage im Verlauf seiner Schilderung des Brandes des Justizpalastes: Ein Praterstrizi lebt seinen Hass auf die Polizei dadurch aus, dass er bei ihrem Einsatz gegen die demonstrierenden Arbeiter mit einer Drahtschlinge durch einen Kanaldeckel hindurch immer wieder einen Polizisten zum Straucheln bringt, bis ihn schließlich ein Offizier erschießt: Der Widerstand gegen ein unmenschliches und autoritäres Regime und seine Helfer in der Justiz wird also zur Verrücktheit eines 117 Kleinkriminellen. Wenn er allerdings die Emanzipation seines Muster-Arbeiters damit beginnen lässt, dass dieser sich einen Liber Latinus aus zweiter Hand kauft und Latein lernt, könnte er sich dabei auch mit gar nicht so wenigen Sozialdemokraten treffen, welche das "Bildung macht frei" auf eine ähnlich verspießerte Weise verstanden. Dies war der eine Zweig des Konservatismus. Der zweite manifestierte sich in einem unglaublichem Provinzialismus, der sich bald “nicht erst missbrauchen lassen [musste], um ins Bild der politischen Entwicklung zu passen” (Paul Jandl), nach dem Anschluss nämlich. Franz Karl Ginzkey (8. Sept. 1871 – 11. April 1963) kam im Gegensatz zu Doderer aus kleineren, aber keineswegs armen Verhältnissen: In seinen durchaus etwas schwülstigen „Lebenserinnerungen – Reise nach Komakuku“ versucht er zwar, sich eher „von unten“ darzustellen. Doch sein Vater – seine Mutter kommt nicht mit einem Wort vor – hatte immerhin studiert und war offenbar als Angestellter der Marine in Pula auch materiell wohl versorgt. Durch das ganze Buch, in Wirklichkeit keineswegs eine Autobiographie, sondern eine Anekdotensammlung aus seinem Leben – zieht sich gewissermaßen ein mythisches Raunen. Die „Pflicht des Bluts“ ist jedenfalls ein „unerbittliches Naturgesetz“. Seine prägende Erfahrung schon als Kind war die Zugehörigkeit zu einer herrschenden Nation, der „Stolz des mir (!) zugehörenden großen Reichs“. Als nicht sonderlich erfolgreicher aber recht submisser Angehöriger der Armee mit ihren oft grotesken Verhaltensmustern fand er dort doch eine Heimat. Dies kommt auch in seinem autobiographischen Roman „Jakobus und die Frauen“ sehr klar heraus. In beiden Büchern erkennt man aber besonders deutlich auch die habsburgische Armee als feudale Institution: Die jüngeren Offiziere konnten von ihrem Beruf kaum leben, und doch erwartete man von ihnen ein herrschaftliches Auftreten mit einem entsprechenden Lebensstil. Die literarische Qualität dieses Romans ist nur mit dem Ausdruck „schwülstiger Kitsch“ zu kategorisieren. ‚Wenn ein Autor bei fast keinem Substantiv ohne epitheta ornantia auskommt, ist dies bereits ein Alarmzeichen. Wenn diese epitheta hauptsächlich aus einem beschränkten Thesaurus wie „selig“, „still“, „zart“, „rein“, „berauschend“, „edel“, usf. bestehen, dann erkennt man, dass sich ein Möchtegern-Literat sogenannte hohe Literatur angelesen hat. Bereits in der Zwischenkriegszeit war er Nazi. Denn er zählte sich ja doch zu den „feiner organisierten“ Menschen. Nach dem Krieg hat ihm dies nicht geschadet: Er erhielt das Große Österreichische Staatspreis und das Österreichische Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst (beides 1957). Als drei Jahrzehnte später seine Stellung und seine Ehrungen lokal thematisiert wurden – in Seewalchen sollte eine Hauptschule nach ihm benannt werden, und dagegen gab es Widerstand, jedoch kaum aus dem Ort – , waren es diejenigen, die sich dagegen aussprachen, welche gefährdet waren. Karl Heinrich Waggerl (1897 – 1975) hat sein Leben in Salzburg, fast zur Gänze in Wagrain, heute ein Markt von deutlich über 3.000 Einwohnern, verbracht. Gehört ein Schriftsteller deswegen zur Provinz, weil er in einem Bundesland außerhalb Wiens lebt? – Was aber ist, wenn dieser Schriftsteller selbst im deutlichen Anti-Wien-Ressentiment, bei allem Selbstgefühl ein gewisses Bundesländer-Minderwertigkeitsgefühl erkennen lässt? Er lebte das Ressentiment gegen die intellektuelle Vernunft in den ihm so widernatürlich erscheinenden Ballungsräumen der Städte (vgl. Müller 1997). In einem Brief an den „Kurier“ im Jahr 1962 erregt er sich, dass er „weit lieber einen ganzen Gartenzwerg fräße“, als sich als „Heimatdichter“ katalogisieren zu lassen, und schlägt vor, ihn einfach nicht zu beachten, wie es ja Wien auch sonst täte. – Aber hier haben wir das Problem: Er hat wesentlich mehr Format als ein „Heimatdichter“ – aber er hat eine ganze Menge geschrieben, das nur so einzuordnen ist, mehr jedenfalls als die literarisch qualitätsvollen Texte ausmachen. Ähnliches könnte man nun von bald einem Schreiber sagen. Das Problem bei Waggerl ist nur, dass er diese Texte offenbar mit derselben Überzeugungskraft schrieb und sodann verteidigte. Er ist also ernstzunehmender Literat und anspruchsloser „Heimatdichter“. Auch in seinen besseren Texten ist die Grundhaltung ziemlich klar. „Brot“ stellt dem modernen Kapitalismus eine kosmische Weltsicht gegenüber, wo aber das gute Leben aus dem Boden wächst, 118 „wie das Korn, wie alles was lebt auf Eben“ [dem Hof, wo der Roman spielt]. Und dagegen steht „die weite Welt, … wie ein Abgrund, sie lacht und zieht“, und verschlingt denn auch den Halbbruder des jungen Helden, der eben nicht der Sohn des Alten ist, sondern nur ein lediges Kind seiner Mutter. Es gleicht sehr der Blu-Bo-Literatur. Auch die bewusst naive Stilistik – „seht ihr“ – tut das Ihre dazu. Diese zwei Naturen machen ihn in gewisser Weise zu einer Verlegenheit gerade für jene, die ihn (auch) schätzen. In diesem Sinn ist er nicht sosehr verschieden von Rosegger. Doch Waggerl ist in noch einer Beziehung eine Verlegenheit. Er war 1939 Landesobmann der Schriftsteller im NS-Gau Salzburg und wurde von den Nazis 1940 zum Bürgermeister von Wagrain ernannt. Er selbst bestritt später, auch NSDAP-Mitglied gewesen zu sein, wies mehrfach darauf hin, dass einige seiner Bücher im Reich verboten gewesen seien, scheute sich aber, sein Verhältnis zu den Nazis klar zu stellen. In diesem Sinn – und das ist sicher nicht zufällig – erinnert er an sein Vorbild Hamsun, dessen widerlich-eifernde Begeisterung ihm allerdings fremd gewesen sein dürfte. Es war übrigens Ginzkey, der ihn am Anfang seiner Schriftsteller-Laufbahn unterstützte. Da war es ihm nicht so wichtig, welchen Antirationalismen er diente, einem austro- oder einem nazifaschistischen. 1934 erhielt er den “Großen Österreichischen Staatspreis, nach dem Anschluss aber war von den Nazis eingesetzter Bürgermeister von Wagrein. Doch schon 1947 ist er wieder im österreichischen Heimatbuch vertreten. Wenn er aber sich in Briefen in die BR Deutschland mit „Heiner“ unterschreibt, biedert er sich damit nicht wirklich an? Es war nicht so, dass die reaktionäre Seite im Nachkriegsösterreich nicht gewusst hätte, mit wem sie es da zu tun hatte. Ein Teil davon kann offenbar bis heute nicht darauf verzichten (Pichler 1997). Erst nach dem Machtantritt Hitlers setzten die beiden großen Lager auf Eigenstaatlichkeit. Die Sozialdemokraten dachten weiter deutschnational. Manche katholische Kreise versuchten aber, die ethnische und nationale Identität der Österreicher und dem Etikett des "österreichischen Menschen" zu thematisieren. Doch im Rahmen der austrofaschistischen Diktatur musste dies ein durchsichtiger Legitimierungsversuch eines brüchigen Regimes bleiben. Denn andere wiederum waren so großdeutsch – und zwar nicht aus emanzipativen Gründen – wie auch die Sozialdemokraten. Als Kardinal Innitzer nach dem deutschen Einmarsch die Entscheidung der österreichischen Bischöfe, für den Anschluss stimmen zu wollen, mitteilte, da war sein handschriftliches "Heil Hitler!" möglicherweise eine opportunistische Entgleisung. Doch die Entscheidung selbst stand durchaus in seiner auch persönlichen Tradition: War er doch etliche Jahre früher als offizieller Festredner der Universität Wien für den 18. Jänner, den Gedenktag der Gründung des Deutschen Reiches 1871 aufgetreten. Und was den Nazismus betrifft: Der Bischof Hudal trat ganz offiziell als Propagandist für eine Versöhnung zwischen Katholischer Kirche und Nationalsozialismus auf und versuchte, diese seine Gedanken und Argumente in Österreich unter ein aufnahmebereites Publikum zu bringen.24 "So kam es, dass gut zwei Drittel des Volkes Hitler vor Schuschnigg den Vorzug gaben" (Renner 1946b, 24). 3.2.3 Heimat Partei 24 Hier fiel dem Verfasser vor Jahren ein Kuriosum in die Hände. Hudal wollte ein Buch mit seinen Ideen ("Katholische Kirche und Nationalsozialismus") in Wien beim Verlag Wilhelm Braumüller herausbringen. Doch zum einen gab es wirtschaftliche Maßnahmen des Deutschen Reiches gegen Österreich, zum anderen konnte der vom Verlag verlangte Druckkostenzuschuss nicht überwiesen werden. Somit entschied sich der Verlag, das bereits in Satz vorliegende und vollständig umbrochene Buch nicht herauszubringen, sodaß ein Exemplar als Unikat viele Jahre später erst bei der Liquidierung der Druckerei Jasper auftauchte, die den Satz hergestellt hatte. Das Buch wurde übrigens dann in einem Verlag des Deutschen Reiches doch noch veröffentlicht. 119 "Der Sozialismus war für mich und meine Generation nicht allein eine Idee, sondern vielmehr eine Lebensform, die ihre Erfüllung in der Tätigkeit innerhalb der Arbeiterbewegung fand. Diese Wirksamkeit war mir eine Quelle höchster Beglückung... Die Intensität dieses Gemeinschaftslebens erzeugte eine neue psychologische Haltung der Massen... Die Zahl der Männer und Frauen, die im reichverzweigten Organismus der Arbeiterbewegung verantwortliche Aufgaben erfüllten, ging in die Zehntausende. Ihre Stellung in der Bewegung verlieh ihrem Dasein neue Bedeutung und erfüllte ihr Leben mit einem neuen Inhalt. Ihre Aktivität war nun nicht mehr in die engen Schranken der Erwerbsarbeit und der Familie gebannt; sie fanden ein weites Gebiet der Wirksamkeit in sozialen Organisationen. Die Isolierung der Werkstätte und der Familie entbunden, fühlten sie sich als wirkende Glieder einer Bewegung von Millionen gleichgesinnter aller Länder" (Braunthal 1964, 16f. und 248). In Worten wie diesen, welche religiöse Sentimente mit einer Beschreibung mischen, wie sie häufig von Nationalisten für ihre Nation verwendet wurde (und wird), beschreibt nicht nur der Funktionär und AZ-Redakteur Braunthal seine Gesinnungs- und Lebensgemeinschaft. Sehr ähnlich, allerdings bereits etwas ironisch und recht distanziert, lautet die Beschreibung, die Josef Buttinger (1953) von manchen seiner Genossen liefert. Die Partei und ihre Vorfeldorganisationen lieferte also für einen erheblichen Teil der Österreicherinnen und Österreicher damals jene Geborgenheit und jenes soziale Netz, welches sie sowohl von ihren materiellen Interessen wie auch von ihrer emotionalen Lage her bedurften. Sie sollte damit jene umfassende Einheit sein, welche ihnen Österreich nicht anbieten konnte - zum einen, weil eine Nation diese angestrebte Gemeinschaftlichkeit in diesem Ausmaß nie aufbringen kann, obwohl man das damals illusorisch erwartete. Zum anderen aber bot die Partei Partizipation und Identifizierung mit einem politischen Projekt, dem man in weiten Kreisen tatsächlich millennarische Qualität zuschrieb - Braunthals autobiographische Notizen tragen im Unterschied zu Buttingers Abrechnung mit seiner Partei keinerlei ironischen Ton mit sich. Das politische Projekt Österreich hingegen war in der Ersten Republik das gerade Gegenteil davon und schleppte zusätzlich durch seinen Namen die Erinnerung an ein System mit sich, welches für die Sozialdemokraten gerade auch im nachhinein das eigentliche Symbol von Reaktion geworden war. Die Partei trat also sowohl als Ersatznation wie auch als Ersatzreligion auf und war damit selbstverständlich überfordert. Die Christlichsozialen hatten es in dieser Beziehung leichter. Zum einen waren sie an der Macht und konnten ihre Vorstellungen durchsetzen. Zum anderen brauchten sie als Partei zumindest nicht selbst jene umfassenden chiliastischen Ambitionen mit sich schleppen betrachteten sie sich doch selbst vielfach nur als politische Vorfeldorganisation der Römischen Kirche. Gemeinsam war aber den Parteien, dass sie auf eine subnationale Identität setzten, welche in ihrer eigenen Sicht im Verdrängungswettbewerb gegen die beunruhigenden und auch unklaren nationalen Identitäten stand. Möglicherweise ist dies ein für die Stufe bzw. den Aufbau der Massenpartei ein kaum zu vermeidendes Phänomen. Wenn in den letzten zwei Jahrzehnten Prozesse des De-Alignment stattgefunden haben, dann ist dies u. a. auch dem Verlust an Partei- oder Lagermentalität oder besser -identität zuzuschreiben, der seinerseits eine Zunahme von Nationalisierung belegt. Die Grundlagen dieser Identität, vor allem die bewusste ideologische Ausrichtung, sind weitgehend geschwunden. Da dem pragmatisch auch die Politik folgte, muss die Parteiidentität zumindest bei jenen schwächer werden, welche nicht mehr in die Heimat Partei hineinsozialisiert wurden. Wenn 120 Parteien nur mehr Dienstleistungsunternehmen sind, welche mehr oder weniger kompetent dieselbe Politik verfolgen, gibt es auch keinen Grund für Parteiloyalität mehr. 121 3.3 Die Zweite Republik Die Sozialdemokraten waren seit dem Ende Österreichs in der nationalen Frage gespalten. Noch als Schuschnigg seine Volksabstimmung ankündigte, war die Zustimmung der Sozialdemokraten keineswegs klar, und sie versuchten noch in Verhandlungen ihre Anliegen für eine Zustimmung einzusetzen. Über die Floridsdorfer Konferenz der Sozialdemokraten unmittelbar vor dem Anschluss schreibt Olah (1995, 70), wie wenig bereit selbst in einer solchen Situation direkt vor dem Abgrund ein erheblicher Teil der Arbeiter war, dem Regime einen Vertrauens-Vorschuss zu geben: Nur "die Kommunisten gebärdeten sich als die Oberpatrioten und waren für die bedingungslose Unterstützung der Regierung Schuschnigg", blieben aber in der Minderheit. Mag im Ton auch der neurotische Antikommunismus des späteren Prügelgardisten der Amerikaner mitspielen, so ist die Aussage selbst keineswegs aus der Luft gegriffen. Auch Kreisky (1996, 230) wird noch wenige Monate vor seinem Tod resummieren: "Das klägliche Zwischenspiel des Austrofaschismus ... (trieb) die Menschen nur noch stärker dem Nationalsozialismus zu. Der unmittelbare Gegner, der auf die Sozialdemokraten schoss, der uns vernichtete, gegen den wir kämpften, das waren die Kleriko-Faschisten. Das erklärt auch, warum die Österreicher eine so zwiespältige Haltung eingenommen haben, bis in unsere Zeit." Es wäre es wert, dem letzten kleinen Zusatz weiter nachzugehen... Doch noch einmal Olah (1995, 33), der vermutlich die Stimmung der Basis nicht schlecht wiedergibt: "Dieser österreichische 'Faschismus' war zwar etwa schwächlich und nicht so grausam, dafür aber kleinkariert, schäbig und bösartig."25 Wenn man seit damals immer wieder anklägerisch und gleichzeitig entschuldigend darauf hinwies, dass außer Mexiko und der UdSSR alle anderen Staaten der Welt den Anschluss ohne Protest hingenommen hätten, so muss man doch wohl korrigieren: Die österreichische Regierung hat dies durch ihre Politik der 30er Jahre – zwischen MussoliniAdoration und Hitler-Unterwürfigkeit – weitestgehend selbst verschuldet (Hagspiel 1995). Im Grunde entlarvt dies alles jenen Blick auf den Austrofaschismus, der diesen als “Abwehrkampf” gegen Hitler sehen will, als pure und durchsichtige Rechtfertigungsideologie. Umso erstaunlicher ist es, dass man diese abgedroschenen Phrasen plötzlich auch aus dem Ausland hören kann. In einer Artikelserie in der NZZ hören wir plötzlich aus München dieses alte Lied. 26 Offenbar kam es einem Bedürfnis entgegen, denn es gab ein lebhaftes Echo. Es ist nicht leicht zu durchschauen, was dahinter steht. Die Vermutung ist nicht weit hergeholt, daß das österreichische Ständestaats-Regime in seinen Grundwerten tatsächlich von einigen Christlich-Konservativen, die sich mit der modernen Demokratie nicht abfinden können, noch aufrecht verteidigt wird. Damit wäre Geschichte wieder einmal auf ihre politische Grundfunktion gebracht: Streit um die Gegenwart und die Zukunft in den Bildern der Vergangenheit. 25 Es ist nicht ohne Ironie, doch kennzeichnend für Olah und seine Stellung bis in die Gegenwart, dass der Verlag, in dem seine Memoiren erschienen, im Anschluss an den Text ein Buch der Dollfuß-Tochter Eva bewirbt, in dem sie nach der konservativen Sprachregelung ihren Vater wieder einmal nicht nur als Hitlers erstes Opfer, sondern als den potentiellen Retter Österreichs darstellt... 26 Auf einen eher kritischen Artikel aus Zürich (Paul Schneeberger, 1938 bis 1945 – langes Nachwirken von Österreichs ‘Opferstatus’. 7. 1. 1999) kam aus München die konservative Auffassung (Gottfried-Karl Kindermann, Österreich, Hitler und die Pharisäer. 14. 1. 1999). Daran schloss sich ein weiterer Schlagabtausch der beiden Autoren (19. 3. 1999) und in derselben Ausgabe eine Auswahl von Zuschriften, u. a. von Heinz Kienzl. Ähnliches wiederholte sich im Jahr 2004, Gedenkjahr für 1934 und den 20. Juli 1944. 122 Gleichzeitig orientierte sich die kleine Kommunistische Partei, deren Einfluss aber in der Illegalität wuchs, entschieden auf eine eigenständige österreichische Nation. Der einzige nationale Entwurf, jener des Alfred Klahr und damit von Teilen der KPÖ, ging schon damals unter. In der Zweiten Republik wurde Klahr dann durch die zuerst Marginalisierung und dann Ächtung der KPÖ endgültig zur Unperson, zumal er sich in seinen Überlegungen auch noch auf Stalin stützt. Trotzdem waren seine Überlegungen den späteren Publikationen z. B. eines Ernst Fischer theoretisch weit voraus. Eine der letzten Wortmeldungen Otto Bauers im Jahr 1938 scheint auf die Bejahung zumindest einer Eigenstaatlichkeit für Österreich hinzudeuten. Die Sozialdemokraten im Exil, vor allem das Londoner Exil, hatte keinen Kontakt mit der Bevölkerung und glaubten, noch immer eine großdeutsche Lösung anstreben zu müssen. Anders war es in Österreich selbst. Hier gibt es die mittlerweile vielzitierte Stelle bei Schärf (1955, 20), die allerdings zehn Jahre nach dem Kriegsende erst geschrieben wurde. Als ihn ein deutsche Sozialdemokrat, Wilhelm Leuschner, 1943 aufsuchte und Vorschläge für das künftige Vorgehen zu machen begann, habe er, Schärf ihm plötzlich spontan widersprochen: "Ich unterbrach meinen Besuch unvermittelt und sagte: 'Der Anschluß ist tot. Die Liebe zum Deutschen Reich ist den Österreichern ausgetrieben worden. Ich kenne von meinem Beruf her manche Frau und manchen Mann, die aus Deutschland nach Wien gekommen sind, und die ich schätzen gelernt habe, ich sehe aber den Tag vor meinen Augen, an dem die Reichsdeutschen aus Österreich vertrieben werden wie einst die Juden." Sein Besucher war verstört. Doch Schärf berichtet weiter, dass auch manche konservative Gesprächspartner, er nennt hier Hurdes, konsterniert waren, als er ihnen dieselbe Meinung sagte. Alfred Klahr "wurde am 16. November 1904 geboren, wuchs in der Leopoldstadt unter wenig begüterten, kleinbürgerlichen Verhältnissen auf. Sein Vater, Angestellter der israelitischen Kultusgemeinde, ermöglichte ihm den Besuch der Mittelschule, wo er bald mit sozialistischen Ideen Bekanntschaft machte und der Vereinigung sozialistischer Mittelschüler beitrat. Von dort fand er unter dem Einfluss seines älteren Freundes Franz Quittner gemeinsam mit anderen den Weg zum kommunistischen Jugendverband. Ungeachtet seiner vielseitigen Interessen maturierte Klahr 1923 mit Auszeichnung, inskribierte an der Wiener Universität Staatswissenschaften und hörte Vorlesungen bei Karl Grünberg, Max Adler und Hans Kelsen, bei dem er 'über das Verhältnis von Parlament und Regierung in parlamentarischen Republiken' dissertierte... Da Klahr eine wissenschaftliche Laufbahn verwehrt war, wurde er kommunistischer Journalist... Nach einem mehrmonatigen Zwischenspiel im Polizeigefängnis Rossauerlände ('Liesl') emigrierte Klahr [1934] nach Prag... Belgien... Paris... Vichy-Frankreich... Schweiz... Die Schweizer übergaben ihn der Vichy-Polizei.... Er wurde der GESTAPO übergeben und im August 1942 zur letzten Station seines Lebens transportiert: nach Auschwitz." 1944 gelingt ihm die Flucht, doch er wird in Warschau aufgegriffen und erschossen (Filla 1988). Die Okkupation Österreichs seitens der Nazi-Truppen entschied vorerst die Frage. Der deutsche Einmarsch hatte anfangs wirtschaftlich sehr positive Effekte und dürfte dem entsprechend in der ersten Zeit weitgehend auf die Zustimmung der Bevölkerung gestoßen sein, mit Ausnahme der direkten Opfer selbstverständlich. Innerhalb weniger Monate fiel die Arbeitslosigkeit auf die Hälfte. Doch nicht nur die vorher Arbeitslosen, auch das Provinzbürgertum muss den Anschluss massiv optimistisch erlebt haben. Die Bauernschaft wurde ebenfalls vorerst gehätschelt. Für viele Bauern rettete die "Entschuldung" wenige Wochen nach dem deutschen Einmarsch sogar den Hof; ein von den neuen Machthabern 123 geförderter Technisierungsschub eröffnete neue Perspektiven, und ideologisch versuchte man sie mit dem Blut-und-Boden-Mythos auch noch zu verwöhnen (Mooslechner/Stadler 1986; auch: Gies 1984). Bald allerdings begannen die "Reichsdeutschen" der Bevölkerung vor Augen zu führen, was eine periphere Rolle wirklich bedeutet; daß man davor auch nicht gefeit war, wenn man deutsch sprach. Als Österreich 1945 wieder entstand und nun eine radikal andere Wirtschaftspolitik betrieben wurde, war damit die Voraussetzung für einen eigenen Nationenaufbau gegeben. Die Bejahung einer eigenen nationalen Identität folgte. Nach dem Zusammenbruch der NS-Herrschaft schienen allerdings die Nazis noch einmal einen geistigen Sieg zu erringen: Das Zerbröseln ihres Systems und die letzten Kriegsbzw. die ersten Nachkriegswochen wurden von einem ganz erheblichen Teil der Bevölkerung mit Augen gesehen, wie sich die NS-Propaganda es nur wünschen konnte. Kennzeichnend dafür ist nochmals Schärf in seinem schon zitierten Erinnerungswerk (1955, 26 ff.): Über die Gräuel der Nazis geht er mit ganz wenigen Sätzen hinweg. Doch die Opfer der Befreiung / Besetzung, insbesondere, soweit sie von der sowjetischen Armee verschuldet wurden, listet er minutiös auf. Dabei fällt ihm bei seiner Zahlenklauberei gar nicht auf, dass diese Opfer in keiner Weise zu vergleichen waren mit den Hekatomben von Leichen, welche die deutsche Besatzung verlassen hatten. Bei Schärf hatte dies natürlich einen präzisen parteipolitischen Sinn, denn er identifiziert indirekt die KPÖ mit “den Russen”. Doch es stellt sich die Frage, warum dies die Bevölkerung so erlebte. Zum einen war dies natürlich die traumatische Erfahrung, wie die Front, die bisher weit weg war, plötzlich über Österreich darüber rollte. Gewalt und Tod wurden plötzlich sehr reale und alltägliche Erlebnisse. Zum anderen aber war es auch die von den Nazis erzeugte psychotische Stimmung gegen die “asiatischen Horden”. In diesem Zusammenhang berichtet Schärf ein Detail (S. 40), das im Zusammenhang mit der damaligen Stimmung viel sagt – und doch fast unfassbar ist. Abtreibung war bekanntlich ein TabuThema für Konservative. Nun gab es bekanntlich eine Reihe von Vergewaltigungen beim Einmarsch der Siegermächte. Und hier erzählt nun der Vizekanzler über Die Lage in Niederösterreich: Es “tauchte immer wieder das Begehren auf, Ärzte zu beauftragen, an den von den Russen vergewaltigten Frauen die Unterbrechung der Schwangerschaft durchzuführen - nicht einmal streng katholisch gesinnte Ärzte haben sich damals diesem Wunsch widersetzt.” Man muss dies im damaligen Zusammenhang einmal richtig nachfühlen. Es bedeutet nichts anderes, als dass der Begriff der “Russen” als Untermenschen der Bevölkerung wirklich in Fleisch und Blut übergegangen war. Denn es geht ja nicht um Vergewaltigungsopfer schlechthin – es geht nur um von “Russen” vergewaltigte Frauen. Doch die nationale Situation war komplett verschieden von jener in der ersten Nachkriegszeit. Die Österreicher hatten sieben Jahre lang erfahren, was Abhängigkeit bedeutete. Außerdem schien es überlebensnotwendig, sich von der deutschen Katastrophe abzukoppeln. Als sich gegen das Ende des Krieges die Kampfhandlungen auf das österreichische Gebiet hinzogen, war sich zumindest jene Personengruppe über die Notwendigkeit einer österreichischen staatlichen, noch nicht unbedingt auch der nationalen, Selbständigkeit einig, die bald die Führungsgruppe der Repulik stellen sollte. Die politische Führung, vor allem die konservative ÖVP und die KPÖ, zog die Konsequenzen. Die SPÖ zögerte noch. Nun drängte die politische Führung der überfahrenen Bevölkerung, die viele Jahre deutschnationaler Indoktrination nicht leicht vergessen konnte, in einer völligen Kehrtwendung eine eigene Nationalität auf. Es sollte etwa eine Generation dauern, bis diese Operation glückte. 1957 war noch die Mehrheit der Österreicher davon überzeugt, 124 keine eigene Nation zu sein. 20 Jahre später hatte sich die Meinung massiv verkehrt. Die Eigenstaatlichkeit ist eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für den Aufbau einer eigenen Nation. Ebenso wichtig war die Möglichkeit, sich mit diesem Staat identifizieren zu können, und dazu müssen die eigenen Interessen berücksichtigt wurden. Tab. 3: Wachstumsraten in der Zweiten Republik (jährliche Durchschnitte) Wachstumsraten Wachstumsraten der österreichischen Wirtschaft in % 18,00 16,00 14,00 12,00 10,00 8,00 6,00 4,00 2,00 0,00 1946 bis 1950: 1950 bis 1962 1962 bis 1967 1967 bis 1984 1984 bis 1995 Quelle: 1946 bis 1984 nach Daten aus Butschek 1985, Stat. Übersichten 10/1996 Die wirtschaftlichen Probleme waren vorerst gigantisch. Das Land musste erst wieder als eigener Wirtschafts- und Währungsraum konstituiert und von Deutschland abgekoppelt werden. Da sich die Besatzungszonen wie selbständige Außenhandelsgebiete verhielten, mussten sie erst neuerlich integriert werden. Durch eine strenge Bewirtschaftung der lebensnotwendigen Güter konnte die Versorgung notdürftig sicher gestellt werden. Die Inflation blieb einigermaßen unter Kontrolle. Der Wiederaufbau kam schnell in Gang, und sein Tempo beschleunigte sich. Schon 1949 wurde gesamtwirtschaftlich praktisch das Vorkriegsniveau erreicht. Damit begann auch ein von hoher Auslandshilfe (ERP-Mittel) erfolgreich gestütztes stetiges Wachstum. Die Frage der Lebens(un)fähigkeit kam gar nicht auf. Allerdings ging dies zumindest anfangs auf Kosten vor allem der Arbeiter. Die Lohn-PreisAbkommen ab 1946 bewirkten eine Ruhigstellung an der sozialen Front. Im Nebeneffekt dienten sie auch noch der Ausgrenzung der KPÖ. Sie hatte sich gegen diese Politik des Verzichtes zugunsten der besser Gestellten sowie der Bauern gewandt. Insbesondere die Oktoberstreiks des Jahres 1950 waren hier entscheidend. Der SP-Führung gelang es rasch, die Proteste der Arbeiter – die übrigens von der sowjetischen Besatzungsmacht ebenso ungern gesehen und behindert wurden – als versuchten kommunistischen Putsch darzustellen. Diese Version erlangte in den Massen Glaubwürdigkeit infolge der Geschehnisse in den Nachbarländern und wurde seither zum Dogma. Nach dieser Niederlage war die KPÖ und die Linke in Österreich überhaupt marginalisiert. Trotzdem verfolgte die Führung in politischer Hinsicht nun eine völlig andere Politik: Man band die Arbeiter bzw. Lohnabhängigen generell im Rahmen einer hochexpansiven Politik in Gesellschaft und Staat ein. Damit wurde diese breite Schicht zum ersten Mal in Österreich in ihrem eigenen Bewusstsein staatstragend. Zwei Unterschiede zur BRD waren entscheidend. Zum einen war von Anfang an die Sozialdemokratie im Rahmen einer großen Koalition Regierungspartner, wenn auch die Hegemonie der Konservativen außer 125 Zweifel stand. In der BRD gelang es den ersten Wahlsiegern, der CDU/CSU, die Sozialdemokratie einige Male nahezu an den Rand der Legalität zu drängen und damit auch die Ansprüche der Arbeiterschaft zu delegitimieren – das war die eigentliche Rolle des KPD-Verbotes. Österreichisches Nationalbewußtsein: 100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% Die Österreicher sind eine Nation ... beginnen sich lansam als Nation zu fühlen sind keine Nation 1993 1990 1989 1987 1980 1979 1977 1972 1970 1964 1956 0% keine Angabe Quelle: Zusammenstellung Weninger 1991, Haller 1996 Weiters gab es in Österreich das Problem der Vertriebenen kaum. In der BRD hat diese Gruppe wirtschaftlich und politisch eine wesentliche Rolle im Rahmen des neuen Staatsaufbau gespielt. Froh, überhaupt überlebt zu haben; nach dem Durchgang von Auffanglagern; folglich mit einem äußerst reduzierten Erwartungshorizont, waren sie bereit, unter Bedingungen zu leben und zu arbeiten, welche den Arbeitgebern und der politischen Führung ein restriktives und repressives Verhalten geradezu nahe legten. In diesem Sinn war ihre Rolle nicht sosehr verschieden von jener der späteren "Gastarbeitern", die eine vergleichbare, noch akzentuiertere Unterschichtung produzierten. Der wesentliche Unterschied war ihre Integration als Staatsbürger. Diese machte sie zu jahrzehntelangen Stützen einer extrem konservativen, ja reaktionären Politik. Österreich hatte aus unterschiedlichen Motiven getrachtet, diese Schichten möglichst schnell und weitgehend loszuwerden. Damit entfielen auch die damit verbundenen Probleme. Schließlich begriffen in der zweiten Nachkriegszeit die Konservativen von Anfang an die Notwendigkeit eines Nationenaufbaues sehr gut. Sie gingen von vorneherein in die Offensive. Der Unterschied ist schlagend, wenn man die Funktionärsorgane der Regierungsparteien vergleicht, die "Österreichischen Monatshefte" (ÖVP) und die "Zukunft", die sich im ersten Heft 1946 selbst als Nachfolgerin des "Kampfes" - und d. h. des linken Flügels der Sozialdemokratie - definierte; schließlich auch noch "Weg und Ziel", da die KPÖ noch nicht völlig marginalisiert war. Die ÖVP setzte voll auf die Eigennationalität. Doch wir finden bei ihren Vertretern völlig ungebrochen die Seipel'sche Denkweise und 126 Sprache wieder, wie er sie 1916 verwendet hatte. Dabei setzten sie auch die klassischen Versatzstücke des alten Nationalismus ein, deuteten sie aber leicht um. Die "Tausend Jahre", die kurz vorher noch ein Zentralwort des Nationalsozialismus gewesen waren, tauchen jetzt auf, um wieder die lange Tradition des alten, katholischen Österreichs zu symbolisieren, also in einem latent antinationalen Sinn. Gerade die bei ChristlichKonservativen so oft verbreitete Haltung des Abstützens auf kleinräumige Identitäten erleichterte ihr auch mental diesen politisch notwendigen Schwenk weg von der Deutschtümelei. Die meisten wollten an ihre deutsche Jugend nicht erinnert werden. Einige, die in ihrer Studentenzeit offenbar großdeutsch bewegt waren, bekannten sich später im Alter mit dem Pathos der Anständigen wieder dazu: "Dieses Reich [von 1871] haben in meiner Jugend nicht nur die Großdeutschen und wir bejaht" (Drimmel 1975, 176). Doch wie es unnachahmlich bei Drimmel (1975, 12 f.) zu lesen ist, wenn er über seinen Geburtsort spricht, dann klang das jetzt so: "Soos ist mehr. Soos liegt nahe der uralten Grenze, die einmal die Staufenkaiser gegen den Osten gewonnen haben. ... Für die Österreicher, die im Lande der Enns wohnen, für die unterderennsischen Österreicher ist Österreich das Schicksal, dessen sie sich nicht entledigen können. Dieses Schicksal liegt dem Bundesland der Republik Österreich ebenso auf wie vordem dem Herzogtum, später Erzherzogtum Österreich und der ursprünglichen Markgrafschaft. Die Prinzen des Hauses Habsburg heißen Österreich." Manche der Jüngeren, wie etwa Karl Gruber, verwendeten dagegen die bisherige Sprache in einer Unbekümmertheit, welche einen schon wieder erschauern lässt: Da wird "ausgerottet", "liquidiert" und "geistiger Imperialismus" beschworen. Man ist an die lingua Tertii Imperii erinnert.27 Der „geistige Imperialismus“ ist allerdings noch älter. Bereits Hugo von Hofmannsthal möchte ihn mitten im Ersten Weltkrieg propagieren, und zwar ausgerechnet zur Abgrenzung gegen den deutschen Imperialismus. Dass sich eine neue politische Kultur auch in einer neuen ausdrücken könnte, dürfte Gruber nicht einmal ansatzweise in den Sinn gekommen sein. Die letzte Wendung vom "geistigen Imperialismus" ist übrigens nur die vergröberte Version jener gerade im konservativen Bereich so oft beschworenen "Mission", welche eine spezielle kulturelle Leistung für Österreich beanspruchte. Wieder einmal wurde "Kultur" zum Ersatz für "Politik", unter der man sich nur Großmachtpolitik vorstellen konnte. Da man dies aber nunmehr als unmöglich und vielleicht auch gar nicht so wünschenswert erkannte, musste man die eigene Größe in einer angeblich unvergleichlichen kulturellen Leistung suchen. Die Sehnsucht nach dem Besonderen als Kern einer eigenen Identität hatte sich in den alten nationalistischen Mythen immer als Machtentfaltung ausgedrückt. Nun setzten jene, welche einen neuen Mythos schaffen wollten, an ihre Stelle eine behauptete kulturelle Hegemonie, etwa nach dem Motto: "Sind wir schon keine politische Macht (mehr), so verkörpern wir zumindest die Macht des Geistes". Dass es möglich wäre, einfach in Selbstbestimmung seine eigene Existenz zu leben, ohne anderen über- oder untergeordnet zu sein, war offenbar ein Gedanke, der nach dem Nazi-Wahnsinn besonders schwer zu fassen war (Den Topos der Kultur-Großmacht finden wir übrigens selbst in Kreisky's posthumen Teil der Lebenserinnerungen wieder). 27 Irgendwie passt dazu ganz gut, dass man in der Todesursachenstatistik des Statistischen Zentralamts, wie sie in den wieder erstandenen Statistischen Nachrichten der Nachkriegszeit veröffentlicht wurden, in aller Nüchternheit ganz unten „gerichtlich angeordnete Hinrichtungen“ findet, und zwar 1945 119, 1946 37, 1947 33, 1948 15 und 1949 3. 127 Dieses quid-pro-quo von Kultur und Politik ist ein alter Trick des Nationalismus, der gerade im deutschen Sprachraum eine lange Tradition hat (vgl. u. a. Reiterer 1994). Er wird besonders gerne eingesetzt, wenn der Machtanspruch keine reale Grundlage hat. So finden wir dies etwa ausgeprägt auch im Deutschen Reich der Ersten Nachkriegszeit: “Die Demütigung, die das Deutsche Reich in Versailles hatte hinnehmen müssen, sollte durch die Besinnung auf unvergängliche Werte, verkörpert in der Nation und in ihrer Geschichte und Kultur, ausgeglichen werden” (Pape 1997, 54). Darüber hinaus waren einzelne herausragende Führungsgestalten persönlich-biographisch noch in der Monarchie und in ihrer katholischen Schulzeit verankert, in deren Zeit sie prägende sozialisierende Erfahrungen erhalten hatten. Das galt etwa für Julius Raab und dessen kurze, aber offenbar nachwirkende Offizierslaufbahn im Ersten Weltkrieg; in geringerem Ausmaß auch für Leopold Figl. Sie standen insbesondere den NS-Belasteten aus einem konservativen Reflex heraus mit großem Misstrauen gegenüber: Der spätere ÖVPBundesobmann Karl Schleinzer wurde in Kärnten 1947 bei seinem ersten Aufnahmeantrag an die ÖVP zurückgewiesen (Pisa, in: Dachs u. a. 1995, 513 ff.). Das geschah vermutlich allerdings wohl noch me/hr wegen seines ungeklärten Verhältnisses zur Katholischen Kirche als wegen seiner NS-Musterkarriere. Beinahe zur selben Zeit wurde immerhin Joseph Klaus, der als Studentenfunktionär wüste antisemitische Hetze betrieb und dessen Verhältnis zum Nationalsozialismus sicher nicht in Opposition bestanden hatte, der vielmehr aktiv im katholischen Milieu und in Abstimmung mit dem Salzburger Erzbischof die "Versöhnung" mit den Altnazis betrieb, beinahe aus dem Nichts Salzburger Landeshauptmann: Als solcher betrieb er in den 50er Jahren stramm-konservative und traditional-christliche Kulturpolitik (vgl. z. B. Klaus 1985). Noch im nachhinein werden vereinzelte Exponenten diese strikte Antinazi-Politik der frühen Nachkriegszeit bedauern, wie etwa Karl Gruber (Gruber 1988) und dessen damaliger Sekretär Fritz Molden. Dieser konstatiert 1980 zwar den schlechten Eindruck, welche die mangelnde Entnazifizierung nicht zuletzt auf das westliche Ausland machte, seufzt dann aber erleichtert: "Heute ist das ja nun Gott sei Dank zum Großteil Geschichte und vorbei" (Molden 1980, 110). Er ahnte damals noch nicht, daß dieses Geschwür wenige Jahre später noch einmal massiv aufbrechen und die ganze österreichische Bevölkerung einer Zerreißprobe unterziehen würde... Die Gruppe, welche von diesen zwei Namen repräsentiert wird, ist nicht uninteressant. Unter den späteren Politikern nannte man sie mit Abneigung und auch leicht verächtlich die “45er”. Sogar in der späten Selbststilisierung hört man noch heraus, wie sehr ihnen ein neues konservatives Projekt am Herzen lag, für welches sie grundsätzlich sogar unter Umständen bereit gewesen wären, die Einheit Österreichs zu opfern. Vordergründig spielte ein wilder Antikommunismus eine Rolle. Doch das war nur ein Deckblatt. Karl Gruber gründete seine "Österreichische Staatspartei" (die bald in der Volkspartei aufging) als Sammelbecken der "Liberalen, Monarchisten und aller, die von dem alten christlichsozialen System nichts mehr wissen wollten" (Gruber 1988, 55 f.). Obwohl er also die liberale Komponente betonte, war von einem zeitgemäßen Liberalismus gar nichts zu merken. Nicht zufällig hatte Gruber eine auffällige Nähe zur Familie Habsburg. Es ging eher tendenziell gegen die parlamentarische Demokratie: "Die Stimmung der Jugend war gegen die Wiederbelebung der alten politischen Parteien" (a.a.O., 55). Gerechtfertigt wird dies von seinem damaligen Mitarbeiter Molden (1980, 70 und 67) in kaum vorsichtigerer Sprache mit dem Anspruch, als Widerstandskämpfer legitimere Ansprüche zu haben: "Diese jungen Leute waren abseits politischer Ideologien mit viel Idealismus zum Kampf 128 gegen den übermächtigen Diktator und sein Regime angetreten, sie dachten dabei nicht an politische Parteien, nicht an zukünftige Machtpositionen und auch nicht daran, nach welchem Schlüssel die zurückzuerobernden Ämter aufzuteilen wären. Sie dachten im Grunde nur an Österreich, das ihnen wie ein reichlich romantisches Traumbild à la Wildgans vorschwebte... Auf breiter Front hievten die Politiker der alten Parteien sich wieder in die Machtpositionen." Darauf folgt noch das Zugeständnis von der Naivität der "Widerständler" und ihrer Verachtung für die "Systempolitiker und Parteisekretäre". Exakt dieselbe Sprache findet sich schon 1964, als Molden glaubte, mit einem obskuren Kandidaten für die Bundespräsidentschaft, einem ehemaligen Gendarmerie-General namens Josef Kimmel, in die Innenpolitik eingreifen zu können: “ ... krebsartige Krankheitszustände, ... ein spinnenwebartig das ganze Land überziehende System...” (aus einem Wahlkampf-Blatt unter dem Titel “Neue Politik. Zeitschrift der Europäischen Föderalistischen Partei Österreichs”). Die Sprache, die wie direkt von den Nazis und ihren Verbündeten aus der Zwischenkriegszeit übernommen klingt und später von Kleinformat-Kolumnisten und Rechtspopulisten weiter entwickelt wurde, sagt viel über die politische Lokalisierung dieser angeblich innovatorischen Jugend aus. Dass sie nicht allzu viel wirklichen Einfluss hatten, hängt u. a. damit zusammen, dass ihre politischen Vorstellungen überhaupt nicht konkretisiert waren und mehr in emotionalen Antipathien als in irgend welchen erreichbaren Zielen bestand. Die SPÖ dagegen war in der nationalen Frage gelähmt und gab von vorneherein die Initiative ab. Die Sozialdemokraten versäumten damals schlicht das entscheidende nationale Thema. Ihre eigentlichen Mythen hatten immer in ihrer Parteigeschichte, ihren Erfolgen und ihren Niederlagen bestanden (Teibenbacher 1996). Das war aber kein Identifikationsanbot für Menschen außerhalb der eigenen Kader. Der innerparteiliche Streit um die Haltung zur nationalen Frage erlaubte zudem keine klare Stellungnahme. Auch hat man den Eindruck, daß gerade die Linke der SPÖ gar nicht begriff, was sie versäumte. Sie hielt die "österreichische Nation" wohl häufig für eine Parteimarotte der ÖVP, um die man sich nicht zu kümmern brauchte. In den Jahren von 1946 bis 1948, in jenem Zeitraum also, in dem die "Monatshefte" - wie übrigens auch "Weg und Ziel" - das nationale Thema zu einem Schwerpunkt machten, sucht man in der "Zukunft" vergeblich auch nur nach einem einzigen Artikel dazu. Dagegen war sie voll mit z. T. durchaus solide gearbeiteten Beiträgen zu sicherlich wichtigen Einzelfragen, aber auch mit ideologischen, man kann nur sagen: vulgärmarxistischen Artikeln von Karl Czernetz oder auch von Erwin Scharf und Oskar Pollack. Die Integration in und die Identifikation mit dem neuen Staat stellte die SPÖ auf andere Weise her. Da die Führungsgruppe noch in der alten Otto-Bauer'schern Rhetorik verankert war, stellte etwa die Sozialisierung von Unternehmen für sie einen wesentlichen politischen Symbolwert dar. Als daher mit Zustimmung der konservativen Regierungspartei aus taktischen Überlegungen - man wollte die Betriebe des ehemaligen "deutschen Eigentums" den sowjetischen Besatzern entziehen - ein ganz erheblicher Teil der österreichischen Grundstoff- und Schwerindustrie verstaatlicht wurde, war dies für die Sozialisten ein politisches Ereignis allerersten Ranges. Mit einem System dieser Art von Mischwirtschaft konnte sie sich tatsächlich nicht nur abfinden, sondern identifizieren. Darüber hinaus darf man nicht vergessen, daß die Verwaltung der öffentlichen Wirtschaft natürlich auch eine Herrschaftsressource erheblichen Ranges darstellte. Die SPÖ war entschlossen, sie zu nützen und tat dies dann auch in aller Konsequenz. Man erinnere sich an den aussagekräftigen Slogan vom "Königreich Waldbrunner" – gewiss eine 129 konservative Polemik, doch mit viel Realitätsgehalt. Waldbrunner wird übrigens von Kreisky (1988, 399), möglicherweise zu Recht, als die Verkörperung eines bestimmten Modells langfristig angelegter Wirtschaftspolitik hochstilisiert, das auf Akkumulation setzte – während Kamitz angeblich kurzfristige Konsum-Investitionen zum Eckpfeiler seiner Politik habe machen wollen. Kennzeichnend für die Haltung zur "Nation" und für die eigene nationale Option des Großteils ihrer Führungs-Schicht war aber eine ganz bestimmte Haltung. Sie wird verkörpert von einem Menschen, der sich vorwiegend als Politiker verstand, jedoch auch einen intellektuellen Anspruch erhob. Karl Renner begann nach einigen tastenden Versuchen (vgl. darüber Renner 1946) seine eigentliche schriftstellerische Tätigkeit - als Parlamentsbeamter unter einem Pseudonym - mit einer Schrift über die nationale Frage. Er wollte "das Reich" zugleich mit der Hegemonie der deutschen Führungsschicht erhalten. Als Politiker nach dem Zusammenbruch der Monarchie am Ende des Ersten Weltkriegs strebte er den Anschluss an das Deutsche Reich an, jedoch nicht so dogmatisch wie Otto Bauer. Den Nazi-Anschluss begrüßte er freiwillig, ohne Druck, ohne dass ihn auch nur jemand danach gefragt hätte. Ähnlich äußerte er sich wenig später überaus positiv zum Überfall auf die Tschechoslowakei. Doch nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches beeilte er sich, an den "lieben Genossen Stalin" zu schreiben und sich anzubieten. So wurde er der erste Kanzler des neuen Österreich und dann der erste Bundespräsident. Noch als Bundespräsident hatte er die größte Mühe, sich von seiner deutschnationalen Vergangenheit zu lösen. Sein erster Versuch dazu lief schlicht darauf hinaus, daß Konzept der Nation überhaupt fallen zu lassen. Das folgende lange Zitat (Zukunft, Sept. 1946, 1 - 3) würde man kaum bei einem Menschen vermuten, welcher sich einmal theoretisch klarsichtig mit dem Begriff der Nation auseinandergesetzt hatte: "Wir stehen am Ende einer Kulturperiode, die aus dem Chaos der Rassen und Konfessionen feste und geschlossene Gebilde heraus gearbeitet hat in den geschichtlich gewordenen nationalen Staaten, die mit dem rechtlichen Merkmal der Souveränität ausgerüstet sind. Dies ist das Gestern. Das Morgen aber verlangt, diese gewordenen Staaten, so wie sie geworden sind, zusammenzufassen zu einer höheren internationalen Friedensgemeinschaft. Der Begriff der Staatsnation hat damit den ethnologischen Begriff endgültig abgelöst. Die Belgier, die Schweizer, die Österreicher sind damit völkerrechtlich Nationen und so die Bürger jedes Staates, der in die UNO eintritt. Die geschichtliche Periode der kriegerischen Nationalstaatenbildung muß durch die beiden Weltkriege als abgeschlossen gelten... Die Tendenzen zur völligen staatlichen Zusammenfassung der Sprachgemeinschaften, wie zur Absonderung und Umschichtung von sprachlichen Minderheiten, sind wie die Panbewegungen aller Art zum ersten moralischen Sprungbrett mißbraucht worden, welches, obschon sie in ihrem Ursprung kultureller Natur und in diesem Rahmen berechtigt sind, kriegslustigen Nationen die Rechtfertigung zur militärischen Aggression zu liefern ausersehen wurde...." Dieses unglaubliche Wirrwarr der "Gedanken zur Friedenskonferenz", in der er auf einmal völkerrechtliche Entitäten und Allianzen zur Nation erklärt, verrät viel über die Verwirrtheit des Verfassers zu diesem Zeitpunkt. Als Pragmatiker aber ließ er sich dadurch nicht abhalten, weiterhin Politik zu betreiben. Erst ein Jahr später wird er seine Gedanken wieder etwas geordnet haben. In einem langen Artikel in der Wiener Zeitung vom 19. Jänner 1947 zieht er – noch immer mit deutlichem deutschnationalen Unterton - die Parallele des österreichischen Nationenbildungsprozesses zur Schweiz. 130 Der weitere Ablauf dieses Prozess muss nicht wiederholt werden (vgl. Filla 1984). Es genügt der Hinweis, dass die meisten alten Genossen Renners wesentlich größere Umstellungsschwierigkeiten hatten als der Großmeister des Opportunismus. Sie schwiegen daher über die nationale Frage lieber. Wenn sie sich äußern mussten, so griffen sie die von Renner vorgegebene Linie auf, schwiegen über Österreich und orientierten sich lieber auf "Europa". So überließen sie den Konservativen Begriff und Inhalt des Projektes "Österreich", die nicht zuletzt damit eine unbestrittene Hegemonie für mehr als zwei Jahrzehnte begründeten. In manchen Regionen schwang auch noch der alte Deutschnationalismus mit und ging manchmal eine seltsame Bindung mit parteitaktischen Reflexen ein. Als etwa zur Zeit der Borodajkiewicz-Affaire ein Echo dieser Affaire auch in Graz gespielt wurde – ein linkskatholischer Professor mobilisierte als Rektor ein kleines Publikum gegen eine bei Licht besehen eindeutig neonazistische studentische Veranstaltung – , da ging die "Neue Zeit" auf diese Demonstration los und beschimpfte die Teilnehmer als "prokommunistische" und "antideutsch" (Teibenbacher 1996; allgemein: Thaler 1999). Mitbedingt war dies natürlich auch durch die so eindeutig konservative und nicht zuletzt katholische Besetzung des Österreich-Begriffes, dies in einer Zeit, als die Sozialdemokratie mit gutem Grund teils noch ihrem alten Antiklerikalismus nachhing. Hier gab es eine Episode, die an sich grotesk wäre, wäre sie nicht gar so kennzeichnend für die Vorgangsweise der Römischen Kirche. Schärf (1955, 262ff.) – der "ein wütender Gegner des Konkordats war" (Olah 1995, 161) – berichtet, dass nach Renners Tod die Katholische Aktion eine Art Argumentationshilfe für Geistliche herausgab, in der sie bedauerte, dass erstmals ein österreichischer Bundespräsident nicht kirchlich begraben worden sei. Darüber hinaus behauptet dieses Elaborat noch, dass Renner sich die katholischen Sterbesakramente habe geben lassen; dass er überhaupt fromm geworden sei und sich gegen Ende seines Lebens mit religiösem Schrifttum befasst habe; dass nur die SP-Parteispitzen und insbesondere Schärf ein kirchliches Begräbnis verhindert und auf eine Feuerbestattung bestanden hätten; etc. – laut Schärf alles Behauptungen, die völlig aus der Luft gegriffen waren. Schärf setzt sich gegen diese katholische Leichenfledderei – die übrigens inhaltlich nichts Neues darstellt, sondern in ähnlicher Weise schon öfter gegenüber bekannten Agnostikern zum Einsatz kam – denn auch in Ausdrücken zur Wehr, die heute zwischen SPÖ und Römischer Kirche undenkbar wären. Nicht umsonst warf die KPÖ der SPÖ vor, in den wesentlichsten politischen Fragen vollständig ins Schlepptau der Konservativen geraten zu sein. In der nationalen Frage allerdings stimmte sie selbst beinahe restlos mit der ÖVP überein. So verwundert auch nicht eine überaus freundliche Besprechung einer kleinen Broschüre von Alfred Missong, wo dieser seine Argumente zur österreichischen Nation zusammen fasste, in "Weg und Ziel" (April 1947, 306 f.). Neben Ernst Fischer (1945) war es vor allem Otto Langbein, welcher dieses Thema breit behandelte. Und auch er benützte neben validen politischen Argumenten solche, die ganz in der Tradition des zweifelhaften biologistischen "Volkscharakters" Otto Bauers standen. Auf der einen Seite unterstreicht er also die politische Bedingtheit der Nationen-Werdung: "So wie die holländische und schweizerische Nation nur entstanden sind im Befreiungskampf, wie die amerikanische Nation nur im Freiheitskampf gegen die englische entstehen konnte, so wird sich auch die österreichische Nation nur konsolidieren gegen die sie bedrohende deutsche" (Weg und Ziel, Jänner 1947, 14 – 28). Etwas vorher aber können wir lesen, "daß wir etwas anderes sind als die Deutschen. Daß unsere Tradition und Wesensart, unsere Geisteshaltung, unsere Kultur etwas deutlich anderes ist als die der Deutschen". Zum Vergleich Maleta (1968 [bzw. 1965], 141): "Die Erkenntnis der eigenen Wesensart der Österreicher, ... ihrer ureigenen österreichischen Denkweise... daß wir Österreicher deutscher Zunge eine Naturund Wesensart besitzen, die sich in der Art unseres Menschseins, in unserer ganzen 131 Einstellung zu den Mitmenschen und zur Umwelt als etwas Eigenständiges wiederspiegelt..." 3.3.1 Parteikulturen – die SPÖ Die Probleme der SPÖ waren eigener Art und spiegelten sich in einer innerparteilichen Auseinandersetzungen, auf denen vorerst der Deckel draufgehalten wurde. Sie brachen in aller Schärfe erst Mitte der sechziger Jahre, nach dem Abschluß der Nachkriegskonsolidierung aus. Der Schlüsselname ist hier Franz Olah. Die Sozialdemokratie war seit ihrer Gründung durch Viktor Adler eine Arbeiterpartei, die von bürgerlichen Intellektuellen geführt wurde. Die mittleren Kader waren ins Funktionärskorps aufgestiegene Arbeiter, welche voll und ganz die Werte der bürgerlichintellektuellen Führungsschicht übernommen hatten. Das zeigt sich nicht zuletzt in ihren kulturellen Leitvorstellungen. Gegen diese dominante Partei-Kultur hatte es am Anfang der Parteigeschichte Widerstände gegeben. Die Schilderungen, welche die teils mit dem Anarchismus sympathisierenden und am Parteitag von Hainburg endgültig ausgetricksten Konkurrenten Adlers von diesem Parteitag und seinen Intrigen gaben, sind für Adler und seine Gruppe nicht gerade schmeichelhaft. Doch nach Hainburg verschwand diese Gruppe weitestgehend aus der Parteigeschichte. Ähnliche Tendenzen tauchten sehr kurzfristig nach dem Ersten Weltkrieg auf, wurden aber größtenteils wieder in die Sozialdemokratie integriert. Die kleinere Gruppe, welche sich zuerst in der neugegründeten KPÖ sammelte, wurden dort ihrerseits mit dem schnell einsetzenden Prozeß der Stalinisierung an den Rand gedrängt. Ihre Überreste gingen in den Stalin'schen Säuberungen der End-30er Jahre zugrunde. In diesen 30er Jahren allerdings konnten einzelne Vertreter im Untergrund wieder reüssieren. Die Revolutionäre unter ihnen schlossen sich nach der jämmerlichen Haltung der SPÖ im kurzen Bürgerkrieg großteils der KPÖ an, die schon damals sozialkonservativen Abkömmlinge aus dem Facharbeiter-Proletariat eher den Revolutionären Sozialisten. In der zweiten Nachkriegszeit gelang einzelnen unter ihnen der Aufstieg in der SPÖ. Dabei sozialisierten sie sich gewöhnlich in die Parteikultur hinein. Einer, der dies verweigerte und dabei einen brennenden Ehrgeiz und einen für die Führung gefährlichen Machthunger entwickelte, war Franz Olah. Als er, wie er sich heute genüßlich erinnert, 1950 seine Schlägergarden mit "unseren Holzprügeln" (1995, 138) auf die streikenden und verzweifelten Arbeiter losließ und selbst, so berichtet er stolz, immer mit einer geladenen Pistole in der Gegend herumfuhr und wohl auch einmal einen Schuß abgab, da war er der SPÖ zwar willkommen. Doch nachdem die Arbeit getan war, wurde er zunehmend ein Ärgernis: Er entwickelte über die Gewerkschaftsarbeit hinaus - wo diese Art proletarischer Kultur durchaus ihren Platz behielt, bis zum Einsatz der Bauarbeiter gegen Naturschützer in den Donauauen - auch politische Ambitionen im Staatsapparat. Das aber paßte gar nicht ins Konzept seiner Partei bzw. ihrer Führung. Die Auseinandersetzung zwischen Olah und der Mehrheit seiner Parteiführung ist tatsächlich ein Kampf zwischen zwei Parteikulturen. Kennzeichnend ist etwa der abfällige Ton, in der sich Olah mehrmals über den späteren Bundespräsidenten Franz Jonas äußert. Kreisky hingegen, der Olah übrigens in seinen Memoiren mehrmals seinen engen Freund nennt, wird ihn anerkennend folgend beschreiben: "Jonas war der Inbegriff des wißbegierigen und durch Bildung gereiften Arbeiters. Der ehemalige Buchdrucker hatte die Bildungseinrichtungen der Arbeiterbewegung bis zum äußersten ausgeschöpft. Er sprach ein wohlklingendes, für österreichische Verhältnisse bemerkenswert gutes und kultiviertes Deutsch" [! - Anm.] 132 (Kreisky 1988, 365). Dieser Weg der Anpassung lag Olah völlig fern, und er hatte dafür vor allem Spott übrig. Wenn er mit grimmigen Haß über Broda herzieht und ihn explizit aller möglichen Untaten beschuldigt, so ist neben der politischen Gegnerschaft und der persönlichen Feindschaft auch die Gegnerschaft des Typus beteiligt, denn Broda verkörperte in vielem tatsächlich den linken Intellektuellen, den übrigens auch Kreisky (der sich selbst als "bewußten Intellektuellen" bezeichnet - a. a. O., 363) nicht mochte. Die intellektuelle Kultur der Partei-Elite, welche zu dieser Zeit gerade dran war, die SPÖ in eine "Volkspartei", in eine "catch-all-party" zu transformieren, fühlte sich durch diese ungefiltert proletarische Kultur bedroht. Olah schreibt später über seine Auseinandersetzungen: "Meine Popularität bei den Arbeitern und bei der Exekutive war unentschuldbar. Sie wirkte wie eine latente Bedrohung auf jene, die ihren Posten nur ihrem Sitzfleich zu verdanken hatten" (S. 271). Das ist in vielerlei Hinsicht richtig gesehen. Diese Sorte von etwas mafioser Arbeiterkultur, welche eher an die amerikanischen Gewerkschaften erinnert, war in der SPÖ nicht erwünscht. Es ist daher auch kein Zufall und sagt Einiges über die strukturelle Stellung Olahs in der österreichischen Politik aus, wenn sich sein "Ausblick" am Ende seiner Erinnerungen (S. 320, 323 f.) liest wie eine Kombination von "Staberl" und Jörg Haider: "Österreich ist nun ein Teil der EU... Ein Europa der Nationen, uneingeschränkt ja. Ein eurasisch-afrikanischer Schmelztiegel - nein. Respekt und Förderung auch fremder Kulturen, aber keine Multikultur-Mischung. Wer bei uns leben will, muß unsere Sprache erlernen, muß unsere Sitten und Gebräuche respektieren, und bereit sein, sich zu integrieren... Wer wird schon Schulden zahlen? Das ist auch der Grundsatz vieler österreichischer Bürger. Die Lösung ist der Privatkonkurs! ... Es gilt heute bei nicht wenigen Österreichern als 'in', möglichst wenig zu arbeiten und möglichst viele Sozialleistungen in Anspruch zu nehmen. Der Staat soll zahlen. Manuelle Arbeit ist 'out'. Der Facharbeiter wird immer unter seinem Wert entlohnt. Die verantwortungslose Schuldenpolitik des Staates färbt auf seine Bürger ab. Dies ist die moralische Bankrotterklärung der staatlichen Gemeinschaft neben der finanziellen. Wir sehen aber auch die Auflösungstendenzen in der ganzen Gesellschaft, das Ende aller bisherigen Bindungen. Diese, von der sogenannten progressiven Politik eingeleitete Entwicklung zerstört systematisch alles, was bisher die Grundlage des menschlichen Zusammenlebens war... Am Anfang stand der Kampf der Vereinigten Feinde der Religion, des Glaubens jeder Richtung...", usw. 3.3.2 Einige Probleme der Nachkriegs-Rhetorik Eine Ironie dieses österreichischen Nationenbildungs-Prozesses der Zweiten Nachkriegszeit besteht darin, daß er zum nicht geringen Teil von den alten Eliten, die vor dem Krieg "deutsch" gewesen waren, durchgezogen wurden. Eigentlich gegen ihre eigene Sichtweise betrieben sie mit allen ihnen verfügbaren Mitteln von oben herab den Aufbau einer eigenen nationalen Identität und waren dabei erfolgreich. Dabei konnten sie natürlich nicht über ihren eigenen Schatten springen. Sie mußten die Bilder, über die sie verfügten, in Einklang bringen mit den neuen politischen Bedingungen. Wir haben hier ein hervorragendes Beispiel jenes Prozesses, den Lévi-Strauss (1962) "bricolage" (geistige Bastelei) nennt und als Grundprozeß des "wilden Denkens" betrachtet: Es ist die Verwendung von alten Bildern, welche frühere Bedeutungen aus Zusammenhängen, in denen sie einmal eingesetzt waren, mit sich tragen, auch wenn sie nun in neue Zusammenhänge eingefügt werden. Dieses "wilde Denken" ist ja nichts anderes als das auf 133 Konkretes basierende Alltagsdenken, im Unterschied zum analytisch-abstrakten Denken des (als paradigmatische Figur aufgefaßten) Wissenschaftlers. Es ist damit ganz selbstverständlich die eigentliche Vorgangsweise säkulärer Mythen, deren hervorragendste Ausprägungen zum einen die ethnische Tradition, zum anderen der Nationalismus i. S. eines Orientierungssystems, also die nationale Ideologie, sind. Die unterschiedlichen "Missionen" des neuen Österreich sind also nur die Bruchstücke jener Rechtfertigungsideologien aus der Monarchie, die in ihrer Endzeit - im übrigen ja vergeblich - versucht hatte, sich auch noch einmal einen Mythos zu schaffen. Dies ist auch die Erklärung für die seltsame und irreale Großmachtorientierung der Eliten des Kleinstaates Österreich, welche diesen Kleinstaat diesmal aber akzeptierten. In diesem Sinne sollte man die Großmachtstereotypen aber auch nicht überschätzen. Vor einem halben Jahrhundert und nach der NS-Katastrophe waren sie offenbar das einzig verfügbare Material, mit dem sich das politische Personal bemühte, einen neuen politischen Horizont aufzubauen. Aus heutiger Sicht müssen sie somit natürlich unbeholfen, widersprüchlich und oft leicht lächerlich wirken. Überhaupt besteht ein Großteil der Topoi, mit denen damals die eigene Nation beschrieben wurde, aus sehr gewöhnlichen Bestandteilen nationaler Hetero- und Autostereotypen aus dem Schatz des klassischen Nationalismus, wie sie überall vorkommen. Die politischen Orientierungen dahinter sind oft nur sehr mühsam erkennbar. Diese Sprachspiele zogen sich bis Ende der 60er Jahre hin und hörten im wesentlichen mit der Ära Kreisky auf, da sie ja vor allem von den Konservativen gepflegt wurden. Hören wir uns zum besseren Verständnis an, was z. B. Alfred Maleta 1964 dem Bundesjugendring sagen zu müssen glaubte (Maleta 1968, 111): "Der Name Österreich bezeichnet nicht allein ein Staatsgebiet, sondern symbolisiert darüberhinaus eine überstaatliche Ordnungsidee [M. spricht hier von der Republik!]... Sie entspricht der übernationalen, zwischenstaatlichen Funktion Österreichs im europäischen und mitteleuropäischen Kräftefeld, die überzeitlich gültig ist... Politische Ausstrahlungen an einem solchen Ort bedürfen jedoch eines starken nationalen Sendungs- und Selbstbewußtseins..." Die eigentliche Frage wäre, wie sehr dieser politische Horizont beigetragen hat, am Universalhorizont für weitere Kreise der Bevölkerung mitzubauen. Man kann sich des Eindruckes nicht erwehren, daß es bei diesen Bemühungen viel stärker um Orientierung für die politische Klasse selbst sowie für die intellektuelle Elite ging. Überhaupt wäre einmal die Frage nach der nach Schicht differentiellen Betroffenheit der Bevölkerung von nationalen Mythen zu stellen. Wenn Alexis de Tocqueville (1988) den "Nationalstolz" als Ersatz für eine der Bevölkerung verlorengegangene Transzendenz einsetzen möchte (s. S. 20), so spricht er vermutlich sehr viel mehr seine eigenen Gefühle an als jene der Bevölkerung. Die Auseinandersetzung dieser Zeit folgte einem Muster, das Geertz (1973, 234 ff.) antagonistisch unter die Stichworte "Essentialismus" vs. "Epochalismus" ordnete. Unter Essentialismus versteht er den Bezug auf die eigenen Traditionen, lokalen und regionalen Kulturen und den Willen, das eigene Projekt und den "eigenen Namen" (Mazzini) aus diesen Elementen heraus aufzubauen. In der Zweiten Nachkriegszeit war dies in Österreich die herrschende Strömung, zumal sie taktisch auch den Bedürfnissen nach Distanzierung von der deutschen Option entgegenkam. Oberflächlich gesehen, liegt diese Wahl auch der traditionalistischen Strömung (s. u.) näher - oberflächlich deshalb, weil der Bezug auf die 134 eigenen Traditionen natürlich eine Auswahl darstellt: Man kann sich auf die Herrschaftstraditionen beziehen; man könnte sich aber sehr wohl auf auf die Traditionen der Selbstbestimmung, der Rebellion gegen die Herrschaft, auf die Tradition der Erniedrigten und Beleidigten besinnen. Die Festlegung der KPÖ auf die "essentialistische Variante" war daher nicht von vorneherein abwegig. Sie schimmert auch etwas durch, wenn Otto Langbein darauf verweist, daß die deutsche Arbeiterklasse in ihrer Mehrzahl sich auf die Seite des Imperialismus geschlagen habe und schon daher keine Notwendigkeit bestehe, sich mit ihr zu solidarisieren. Doch im großen und ganzen bietet auch der Essentialismus der KPÖ das paradoxe Bild, daß er sich eher an den Herrschaftstraditionen der Vergangenheit orientiert. Wahrscheinlich läßt sich dies darauf zurückführen, daß die Kommunistischen Parteien grundsätzlich ihren Platz in der epochalistischen Variante sahen ("sozialistischer Internationalismus"). Diese geistige Übereinstimmung ging übrigens so weit, daß in manchen nationalen Fragen von hohem Symbolwert die KPÖ gewissermaßen versuchte, die ÖVP "rechts" zu überholen. Das war etwa der Fall beim Abschluß des Gruber-De Gaspari-Abkommens, welches endgültig die österreichischen Aspirationen auf Südtirol beendete. Die KPÖ warf Gruber nicht nur vor, das Parlament übergangen zu haben, sondern kam mit ihrer Polemik einem Hochverrats-Vorwurf gegen den Außenminister sehr nahe. Überhaupt ist der symbolische Gehalt der damaligen SüdtirolPolitik nicht ganz einfach zu deuten. Der Anspruch bedeutete nicht weniger als den Wunsch nach einer Revision der Ergebnisse des Ersten Weltkrieges in einer für Österreich und Italien besonders belasteten Frage. Die Frage erhebt sich: Wie konnte die österreichische Politik überhaupt auf diese äußerst unrealistische Idee kommen? Möglicherweise war dies auch ein Ausfluß jenes Opfer-Mythos ("Österreich ist das erste Opfer des Nazi-Faschismus"), an den manche Politiker über seinen instrumentellen Wert hinaus selbst zu glauben begannen. Darüberhinaus wird sich bald eine Schwierigkeit ergeben, wie die Südtiroler eigentlich zu definieren seien. Als Österreicher? Als Deutsche? Nicht einfacher wurde dies durch die vor allem in den Jahrzehnten '70 und '80 ziemlich eindeutige Ausrichtung der dortigen politischen Führung auf Bayern, womit sie offenbar ideologisch und politisch eher eine Verwandtschaft feststellten als mit Wien. Doch kehren wir zurück zu den Geertz'schen Begriffen! Epochalismus ist die Orientierung an einem behaupteten Hauptstrom der gesellschaftlichen Entwicklung zur Integration in immer größere Einheiten. Es war in Österreich die Sozialdemokratie, welche unzweideutig für diese Variante optiert hatte. Die deutlichsten Ausdrücke dafür hatte in Österreich Ludo Moritz Hartmann gefunden. "Die Entwicklung der Nationen [muß] hineingestellt werden in die Entwicklung der menschlichen Assoziations- und Organisationsformen überhaupt oder in den Prozeß der fortschreitenden Vergesellschaftung, in welchem die Menschheit ihre allmählich fortschreitende Anpassung an die Natur vollzieht" (in: Filla 1992, 135). Doch auch die leninistische Strömung des Marxismus war völlig darauf festgelegt. Das ist nicht verwunderlich: Sie hatte ihre theoretische Form nicht zuletzt in der Auseinandersetzung (als "Westler") mit den "Narodniki" im zaristischen Rußland gefunden, welche damals und dort die essentialistische Strömung repräsentierten. Überhaupt dominierte diese Sicht nach dem Zusammenbruch der Habsburgermonarchie fast unbestritten, zumindest für einige Jahre. Sie ist auch gegenwärtig wieder die hegemoniale Strömung in Westeuropa. Dieses Gegensatzpaar geht weitgehend parallel mit der Cleavage Traditionalismus - Moderne, deckt sich aber nicht völlig mit ihr. 3.3.2 Symbolik 135 Kommen wir noch einmal zu den Symbolen, die wir schon einmal, in der ersten Nachkriegszeit, angesprochen haben! Als sich die Zweite Republik zwanzig Jahre nach der Befreiung - wobei den Konservativen dieses Wort nicht über die Lippen ging: es war die "sogenannte Befreiung" (Maleta 1968, 236) - endlich einen Nationalfeiertag gab, da machte die Festlegung des Tages erhebliche Mühe. Die SPÖ schlug den 12. November vor. Das war für die ÖVP völlig unakzeptabel. "Dieser 12. November bedeutet den Zerfall des Reiches..., den Zerfall des Großraums, des Staatsgebildes, jener idealen wirtschaftlichen Einheit und jenes politischen Gebildes, ... [dessen] Zerfall eine historische Tragödie war... Die Freude über eine größere Freiheit in einer moderneren Staatsform ist also für weite Teile der Bevölkerung verdunkelt durch dieses große historische Ereignis und seine furchtbaren Folgen. Nicht Bosheit oder mangelnde republikanische Gesinnung veranlaßten also die Volkspartei zu ihrer ablehnenden Haltung" schrieb der Erste Präsident des Nationalrates, Maleta, am 27. Feber 1965 in der "Furche", deren damaliger Chefredakteur sehr empfänglich für diese Art der Argumentation gewesen sein dürfte. Selbst heute sind die keineswegs auf die Konservativen beschränkten Großmann-Sehnsüchte noch zu einem erheblichen Teil aus dieser Wurzel gespeist (vgl. S. 145"Vergangenheitsbewältigung"). 3.3.3 Die nationale Selbstverständlichkeit: Kreisky Die Zeit von den End-60ern bis zu den Mitte-80ern, von der man gewöhnlich als der Ära Kreisky spricht, war jene Periode der österreichischen Nationenbildung und -existenz, in der die Nation am nächsten zu einer undramatischen nationalen wie staatlichen "Normalität" - wie heute das Modevokabel lautet - kam. Voraussetzung war ein unpathetisches und selbstverständliches Verhältnis zur eigenen Nation, welches sich in einer nüchternen und bescheidenen Selbsteinschätzung darstellte, die trotzdem nicht zu sozialem oder politischen Quietismus führte. Die Person Kreisky repräsentierte diese Zeit tatsächlich in hohem Maß. Kreisky selbst hat sich als "Austromarxist" bezeichnet, er war in seinem Denken aber einem Utilitarismus nahe, wie er von J. St. Mill getextet hätte sein können.28 Er war alles andere als ein Nationalist, auch kein Österreich-Nationalist - im Gegenteil: Hier wies er geradezu einen blinden Fleck auf, wie etwa seine verständnislose Haltung gegenüber den Kärntner Slowenen und deren Anliegen zeigte. Er selbst betont zwar, daß er im Gegensatz zu maßgeblichen anderen Persönlichkeiten seiner Partei bereits im Krieg gegen die Idee der gesamtdeutschen Revolution, die vor allem von Friedrich Adler, "den ich ungeheuer bewundert und geliebt habe" (Kreisky 1996, 21), vertreten wurde, war. Doch die Begründungfür die Eigenstaatlichkeit Österreichs ist ausschließlich realpolitisch, i. S.: die voraussichtlichen Sieger wollten dies. So spricht er denn in seinen Memoiren zwar von einer "sozialdemokratischen Identität" (Kreisky 1996, 37). Den Begriff der österreichischen Identität wird man aber vergeblich suchen, obwohl er sich "immer mit dem österreichischen Volk identifiziert" hat (Kreisky 1988, 390). Dies steht im Zusammenhang mit "antisemtischen Äußerungen in sehr ordinärer Form von maßgebenden Persönlichkeiten der ÖVP" (Kreisky 1988, 396). Dabei nennt er als einen der Verantworlichen "für die zweideutige Propaganda, die von dieser Partei bedenkenlos eingesetzt wurde", explizit und "führend" den Außenminister zum Zeitpunkt der Niederschrift seiner Erinnerungen, Alois Mock. Gedacht ist dabei in erster Linie wohl an 28 Man vgl. z. B.: "Jegliche Emanzipation nützt der Gesamtemanzipation, d. h., je mehr Frauenemanzipation es gibt, desto mehr Emanzipation gibt es in der Summe der Gesellschaft" (Kreisky 1996, 25). 136 den Wahlkampf von 1970, als die ÖVP mit der Plakatierung von Kanzler Klaus als "echten Österreicher" implizit gegen den "Juden Kreisky" suggerieren wollte. Wenn er auch in seinen Erinnerungen plötzlich nostalgische Anwandlungen hinsichtlich des Habsburgerstaates zeigt, dann ist dies eher der Versuch einer späten Selbststilisierung, die nach einer passenden Epoche für "die eigene Größe" sucht. Das gehört nun einmal zu den Charakteristiken politischer Memoirenschreiber. An einer Überidentifikation mit Österreich wurde Kreisky allein durch seine tiefe Abneigung gegenüber dem Austrofaschismus gehindert (siehe vorne), der sich ja auch mit dem Versuch, nicht zuletzt im Rückgriff auf die Monarchie29 einen "österreichischen Menschen" zu postulieren, zu legitimieren versucht hatte. Trotzdem wurde er zum "Österreicher" schlechthin. Sein Weg in die Emigration hatte ihn bezeichnenderweise nicht in die Hauptstadt eines Imperiums (London, Moskau) geführt, sondern nach Stokholm in eine kleine, selbstbewußte und sehr eigenständige Nation, deren Erfolgsgeschichte nicht zuletzt durch Verzicht auf Großmachtsambitionen seit 200 Jahren charakterisiert war. Der schwedische Historiker Sten Carlson stellte 1969 fest: "Der Verlust Finnlands war der Preis einer langen und bis heute ununterbrochenen Friedensperiode." Der schwedische Weg wurde prägend für ihn und seine weitere politische Laufbahn. Kennzeichnend insgesamt ist, daß in Kreisky's Regierungszeit keineswegs eine überzogene Identitätspolitik gemacht wurde, sondern einfach erfolgreich sektorielle Politiken. Bei der Erklärung seiner Erfolge wies er selbst dann ausdrücklich auf die Öffnung der Partei insbesondere auch zu den Intellektuellen hin, auch wenn er als Politiker diese als "letzlich entscheidende Wählergruppe" anspricht. Er verwechselt also deren Hegemonie mit zahlenmäßiger Stärke, obwohl er gleich hinzufügt. "Der erklärte Nachholbedarf an Liberalität hat uns in den von mir mit Erfolg geführten Wahlkämpfen von 1970 bis 1983 denn auch die Unterstützung der Intellektuellen gebracht" (Kreisky 1988, 361). Damit hat er einen wichtigen Zug seiner Ära ausgesprochen, der sich übrigens weitgehend in die Nach-Kreisky-Zeit hinübergerettet hat und erst gegenwärtig in Frage gestellt wird. Sucht man nach den Merkmalen einer nationalen Politik dieser Zeit, so fallen ins Auge: 1) Das Pathos einer "Nation" wurde völlig in den Hintergrund geschoben. Entscheidend war die wirtschaftliche und politische Performanz dieser Nation, die so als Gegebenheit den selbstverständlichen Hintergrund bildete. Tatsächlich war es die Zeit, in der Österreich nach den üblichen Indikatoren kulturell, wirtschaftlich, sozial und politisch in etwa an das Niveau des übrigen Westeuropa anschloß, dabei aber in all diesen Bereichen ausgeprägt seine Charakteristiken bewahrte. Es ging ganz klar um Nation als Projekt, während Nation als Identität mittlerweilen einigermaßen selbstverständlich war: "Die Zukunft zu bewältigen gilt es ... Ich mache deshalb einen konkreten Vorschlag: Laßt uns von heute an einen Katalog der 100 nationalen Fragen erstellen" (Kreisky 1996, 239). 2) Die außenpolitische Absicherung dieser erfolgreichen Innenpolitik geschah durch eine aktive Neutralitätspolitik. Sie erreichte nach außen ihre oft unrealistisch hoch gesteckten Ziele nicht (Muster: Nahostvermittlung), trug aber erheblich zum Aufbau eines nationalen Bewußtseins bei. Eine Ironie besteht darin, daß gerade Kreisky zum Zeitpunkt des 29 Ernst Karl Winter, der einzige konservative Intellektuelle der Zwischenkriegszeit, der einen österreichischen Nationenbegriff entwickelte, war politisch ausgeprägt Monarchist und sah sein Vorbild zuerst in einigen Mauras'schen Gruppen in Frankreich. 137 Staatsvertragsabschlusses der Neutralität höchst mißtrauisch gegenüberstand. Noch im letzten Moment vor den entscheidenden Verhandlungen wehrte er sich dagegen (Stadler 1982): "Raab: 'Herr Staatssekretär, warum san Sie eigentlich so gegen das Wort Neutralität? Dös spielt ja gar ka Rolle, wia ma dös nennen. Tan ma dös glei annehmen.' Kreisky: 'Ich denke hier vor allem an die Westmächte, die wir doch davon überzeugen müssen, daß wir uns jedenfalls bemüht haben, eine derart weitgehende Festlegung nicht von vorneherein anzunehmen:'" 3) Während die Rhetorik - oft mit einer gewissen Ironie (Insel der "Seligen") - den Sondercharakter Österreichs hervorhob, bestand die Wirklichkeit vor allem in einer immer stärkeren (wirtschafts-, sozial-) strukturellen Angleichung an die höchstentwickelten Gesellschaften der westlichen Welt. Und genau das war beabsichtigt: "Ich behaupte nun, daß wir in den Jahren 1970 bis 1983 und darnach die österreichische Gesellschaft entscheidend verändert haben" und damit Europareife erlangten (Kreisky 1996, 37). Theoretisch begründet er dies "austromarxistisch" mit der Hegel'schen Phrase vom Umschlag der Quantität in Qualität. 3.4 ÖVP, SPÖ, "Drittes Lager" - ein Rollentausch? Geschichtsbilder unterliegen einem besonders deutlichen Wechsel mit den Generationenwechseln von Eliten. Ein solcher hat Mitte der 80er Jahre an der Spitze der Republik stattgefunden. Doch in den einzelnen Parteien ging das zu unterschiedlichen Zeiten vor sich. In der unmittelbaren Tagespolitik der Gegenwart zeigt sich daher eine weitere Facette des nationalen Kampfes um die politische Zukunft. Auch er nimmt langsam die Züge einer Auseinandersetzung um Symbole und Identitäten an. Hatte die ÖVP schon Anfang der 50er Jahre ihre prononciert österreichische Haltung aus wahltaktischen Gründen - man suchte, ebenso wie die SPÖ, die Stimmen der ehemaligen Nazis - in den Hintergrund gestellt, so begann nach der Verdrängung von der Regierung eine neue Phase, die sich zuerst vor allem als Unsicherheit darstellte. Mitte der 80er Jahre wurde diese neue Entwicklung Praxis, die sich in wenigen Jahren überstürzte. Sie ist war wesentlich mit dem Namen Alois Mock verbunden. Doch vorerst mußte diese neue ÖVP erst wiederum Teilhabe an der Regierungsmacht erlangen. Der "logische Nachfolger" (so ließ sich Mock von einem Journalisten beschreiben) konnte aus der Opposition heraus nicht das bewirken was er sich wünschte. Doch noch regierte die SPÖ, auch wenn nach leichten Verlusten in der NR-Wahl 1983 die absolute Mehrheit verloren gegangen war und ein Juniorpartner in der Regierung saß. Fast unmittelbar nach dem Abtritt Kreiskys machte die SPÖ nach einem innerparteilichen Putsch einen politischen Total-Schwenk. Sie warf die bisher gültigen Konzepte vor allem in der Wirtschafts- und in der Außenpolitik über Bord. Nicht der letzte Anlaß dazu war ein Schock infolge hoher Spekulationsverluste in schlecht kontrollierten Teilen der staatlichen Industrie. Für die Konservativen war die Verstaatlichte spätestens seit dem Abzug der Alliierten ein Dorn im Auge gewesen, den sie entfernen wollte: "Ein gestörtes Verhältnis zur Verstaatlichung manifestierte sich in den hartnäckigen Versuchen, die verstaatlichten Unternehmungen auf den Bereich der Grundstoffindustrie zu beschränken und eine Diversifikation in Finalprodukte zu verhindern. Diese Bemühungen waren von der Sorge um die Gewinne im privaten Sektor geprägt, die durch günstige Einstandspreise für Vorprodukte und Grundstoffe und geringe Konkurrenz für die eigenen Produkte durch verstaatlichte Unternehmungen sicher gefördert werden" (Abele 1989, 61). Das also stand hinter der stets beschworenen Strukturkrise der Verstaatlichten, und nicht etwa die zu 138 hohen Sozialleistungen oder aber die Einflußnahme seitens Belegschaftsvertreter. Als nun zu den durch jahrzehntelange Behinderung verursachten Problemen der alten Schwerindustrie noch Spekulationsverluste kamen, war die gesuchte Gelegenheit vorhanden. Die Sozialdemokratie selbst, deren Stolz diese Betriebe einmal gewesen waren, machte sich, vor allem in Gestalt des Verstaatlichten- und Finanzminsters Lacina mit diskreter Hintergrundunterstützung durch Vranitzky, daran, auch hier eine europäische Normalisierung durchzuziehen. Damit kam insbesondere der Linken in ihrer eigenen Partei ein Identifikationsobjekt abhanden, welche ihre ideologische Grundhaltung nachhaltig infrage stellte. Es war der Auftakt zu einer Gesamtrevision sozialdemokratischer Politik. Erstaunlicherweise ging die Partei ziemlich widerspruchslos mit. Obwohl der neue Bundeskanzler und Vorsitzende eine lange Serie von Niederlagen zu verantworten hat, war er bisher weitgehend unangefochten. Erst die Niederlage bei den Wahlen zum EU-Parlament, die auch mit dem symbolisch offenbar entscheidenden Verlust der ersten Stelle verbunden war - dies nach einem unerwarteten Erfolg bei den NR-Wahlen 1995, die mittels einer "linken" Kampagne, der Wahrung des sozialen Besitzstandes gewonnen wurde - brachte eine innerparteiliche Diskussion und sodann seinen Rücktritt als Parteivorsitzenden. Zehn Jahre nach diese Wende können wir eine erste Bilanz ziehen. Die Gegenwart zeigt eine zunehmende Verflechtung und eine totale "Westintegration" der österreichischen Wirtschaft und auch der Politik. Vor allem der technokratisch-konservative Teil der politischen Führung will ihn auch durch eine militärische Westeinbindung irreversibel machen. Auch in dieser Hinsicht weist der Trend über eine nationale Identität hinaus. Für die bisher führende Regierungspartei stellt sich aber das Problem, daß ihre bedingungslose Unterwerfung unter den EG / EU-Kurs trotz völliger Geschlossenheit der Führung nicht nur von der Bevölkerung, sondern vor allem von der eigenen Klientel immer weniger goutiert wird. "Wir haben einfach 50 % EU-Gegner in den eigenen Reihen" meint die Generalsekretärin der SPÖ (Profil 42/ 15. Okt. 1996). Die SPÖ steht also derzeit wieder einmal vor der Situation - wie schon am Beginn der Ersten Republik - , daß Führung und Gefolgschaft nicht mehr dieselbe Sprache sprechen und in einer fundamentalen Frage auseinanderklaffen. Und wiederum ist es die nationale Frage, wenn auch im neuen Gewand der Diskussion über supranationale politische Integration. Die ÖVP der 60er Jahre hatte sich ausschließlich als Partei der überkommenen Strukturen und Denkweisen dargestellt. Sie war die Regierungspartei schlechthin, und damit basta.30 Das wurde ihr schließlich auf dem Gipfel ihres Erfolgs, in der Zeit der Alleinregierung, zum Verhängnis, weil sie die in Österreich sehr leisen und wenig artikulierten Veränderungen nicht zur Kenntnis nahm, teils aus der Arroganz der Macht heraus, teils offenbar infolge eines fehlenden Sensoriums für sozialen Wandel. Kennzeichnend war etwa, daß man damals als Justizminister einen erzkonservativen Rechtsprofessor bestellte, der seine ganze Tätigkeit darauf ausrichtete, Dämme gegen den Modernismus zu bauen (etwa im Eherecht usf.). Nach dem Verlust der Regierungsposition 1970 schien sie als Partei plötzlich ohne eigentliche raison d'être dazustehen. Sie begann bald zwar mit einer Art von Grundsatzdiskussion. Doch die sogenannten programmatischen oder ideologischen Äußerungen sind meist von unüberbietbarer Banalität, wie sie sich etwa in der 30 "Vielfach hört man das Argument, daß ja die ÖVP schon 25 Jahre (!) allein regiert habe, und daß es nicht schaden könne, wenn einmal ein anderer am Ruder sei." Motivstudie der ÖVP zur NR-Wahl 1970 in Wien, zit. in: Kriechbaumer 1981, 76. 139 Zentralcharakterisierung der eigenen Partei als "progressive" oder "fortschrittliche Mitte" äußert. Tatsächlich gab es zwei Grundströmungen, wenn man die zweite überhaupt als Grundströmung bezeichnen kann. Die eine, und in der Debatte vorerst dominierende wurde im wesentlichen von den alten Konservativen vertreten, für die die Namen Maleta, Drimmel und auch Kohlmaier stehen sollen. Sie versuchten den Rückgriff auf die alte, fundamentalistische katholische Lehre. Imgrunde war diese Gruppe bereits Anfang der 60er Jahre gescheitert. Persönlich stellte sich dies als Niederlage der Gruppe Drimmel am Klagenfurter Parteitag 1964 dar, obwohl ihre Gegner (Klaus-Withalm) nicht weniger konservativ waren. Drimmel, der dieses frühe Scheitern erst nach seinem Ausscheiden aus der Politik begriff, sah aufgrund dessen überall nur mehr die Machtübernahme des Sozialismus, des Marxismus, des sinistrismo: in der Kirche, in der Gesellschaft, in seiner eigenen Partei. Er selbst war in den 70er Jahren endgültig von der Bühne abgetreten und meldete sich nur mehr mit immer neuen Büchern, verlegt in einem extrem konservativen, ja weit rechts stehenden Verlag: "Indessen waren es erst die Technokraten des Neo-Liberalismus und die Anhänger jener neuen Linken, die während der Marx-Renaissance der 60er Jahre in Kirche, Partei und Staat auftauchten, die mich in meine jetzige Eremitage vertrieben haben. Nachdem ich mich wehrte, bis ich allein dastand" (Drimmel 1975, 10). Mit einem solchen Konservativismus war freilich kein Staat mehr zu machen, und auch keine Partei - diese Gesinnung war bestenfalls gut für eine doch sehr kleine Gruppe Ewig-Gestriger. Dazu kam daß ihm die großdeutsche Einstellung offenbar auch als Unterrichtsminister noch nicht völlig abhanden gekommen war. Bei einem Stiftungsfest einer Wiener Burschenschaft "bekannte" er sich mit Pathos zum deutschnationalen Historiker Heinrich von Srbik, den z. B. Kreissler (1980, 18) als einen der intellektuellen Totengräber des Ersten Österreich charakterisiert. Die - damals eindeutig deutschnationalen - "Salzburger Nachrichten" (8. Juli 1961) zitieren ihn voll Zustimmung ausführlich: "Ich grüße am Ehrentag der Burschenschaft nicht nur den Amtsvorgänger [Srbik war 1929/30 ein Jahr lang Unterrichtsminister gewesen - Anm.], dessen Erinnerung im Bundesministerium für Unterricht unvergessen und dessen Bild an hervorragender Stelle angebracht ist, sondern den Historiker, der sich dem Gesetz der Wahrhaftigkeit verschrieben hat, ohne Rücksicht darauf, ob ihn die Welle des Erfolges emporgetragen oder der Mahlstrom der Mißgunst zutiefst verletzt hat ... Möge das Andenken an Heinrich von Srbik der Jugend ihrer Burschenschaft so nahe bleiben, daß sich darnach das Lebensideal ritterlicher Gesinnung und unbedingter Wahrhaftigkeit orientieren kann." Der objektive Zynismus bei der Verwendung des Begriffes “Wahrhaftigkeit” dürfte ihm nicht einmal bewußt gewesen sein. Wenn Drimmel dann jedoch von der "Kriegsschuldlüge" spricht, sind wir ziemlich in der Nähe jener Achtung vor der "Anständigkeit" der älteren Generation, welche manche Erfolgspolitiker bis heute den ganz Unbelehrbaren noch attestieren wollen... Ein anderer bewußt konservativer Strom, der sich wenig später als "neokonservativ" darstellen wollte, beriefen sich auf konservative Ideologen, wie etwa Helmut Schelsky oder auch den damals eine gewisse Prominenz genießenden, aus Österreich stammenden, aber in der BRD lebenden Gerd Klaus Kaltenbrunner. Die Botschaft war eindeutig: Wir müssen wieder bewußt konservativ werden, und das hieß anti-emanzipatorisch und gegen den "Fetisch von Demokratisierung und Gleichheit": Denn "die moderne 140 Emanzipationsbewegung [bedeutete] eine Herausforderung an alle politischen Gruppen, welche sich mit der bestehenden liberal-demokratischen Ordnung und ihren Grundwerten identifizierten" (Kriechbauer 1981, 111). Zur Begründung wurden alte Versatzstücke aus früheren Diskussionen hervorgekramt; von Maleta (1968) etwa wieder der sogenannte "Personalismus" als dem Liberalismus wie auch dem Sozialismus entgegengesetztes Menschenbild; von Kohlmaier "die große Geschichte Österreichs". Tatsächlich ist in diesem Kontext der Begriff der "Person" nichts als ein Code-Wort für den Versuch, eine bestimmte Realität gesellschaftlicher Strukturen und ihre Wirksamkeit in Abrede zu stellen, weil sie auch für Strukturkonservative nur schwer legitimierbar sind. Oder man griff auf neo-Othmar-Spann'sche Vokabel zurück, die man semantisch leicht variierte, die "partnerschaftliche Gesellschaft" etwa, die dann im sogenannten "Salzburger Programm" wieder auftaucht. Und die große Geschichte Österreichs ist natürlich die Geschichte des autoritären Habsburger-Staates. Die zweite Strömung, der imgrunde die maßgeblichen Politiker der ÖVP angehörten, hielt vermutlich die ganze Ideologie-Debatte für überflüssig. Es ging um die Staatsmacht und sonst nichts. Dementsprechend dürftig ist denn auch ihr Beitrag. Tatsächlich setzte diese Gruppierung darauf, Politikrezepte und Strategien, welche in anderen westlichen Ländern im Laufe der 70er Jahre auftauchten und sich dort aus verschiedenen Gründen als erfolgreich erwiesen, zu übernehmen. Man könnte dies unter dem Stichwort "Neokonservatismus" zusammenfassen, wenn ein solcher neokonservativer Diskurs in Österreich und speziell in der ÖVP tatsächlich eine Rolle gespielt hätte. Die ÖVP schaffte allerdings bis in die 80er Jahre den Mix aus altkonservativen Inhalten mit militanter Mobilisierung und moderner PR nicht, der das Wesen des Neokonservatismus sowohl in den USA wie auch in Europa ausmacht. Ihre Werte, die sie als Regierungspartei noch mit einem gewissen Erfolg aufrechterhalten hatte, brachen in den folgenden Jahren in der österreichischen Öffentlichkeit regelrecht zusammen. Dies im Einzelnen nachzuzeichnen, ist hier nicht der Platz. Als ein grober und vereinfachender Indikator dafür sei die Kirchenbindung der Bevölkerung genannt (vgl. Zulehner 1981 und Zulehner u. a. 1991). Die Folge war, daß die ÖVP sich von Österreich weg nach außen hin orientierte und gewissermaßen eine internationale konservative Partei wurde. War die Nachkriegs-ÖVP die eigentliche Erfinderung der "Österreich"-Ideologie gewesen, so sah sie sich nun vor der Situation, daß die SPÖ den Ö-Begriff an sich gezogen hatte und ihn mit ihren Inhalten (Stichwort "Modernisierung") und sogar dem Anspruch eines beispielgebenden Modells auffüllte. Sie erreichte damit eine starke Identifizierung mit Österreich, und demoskopisch meßbar war diese Identifizierung im SPÖ-Elektorat höher (vgl. Reiterer 1988). Unter den Bedingungen der Tagespolitik bedeutete das geradezu einen strukturellen Zwang für die ÖVP, dem Ö-Begriff etwas anderes gegenüberzusetzen. Es mußte ein neues politisches Projekt entwickelt werden, dieses konnte aber nicht mehr unter der Bezeichnung "Österreich" laufen. So mußte man schon vor der bedingungslosen Außenorientierung auch von Seiten der ÖVP nahestehender Autoren konstatieren, "daß das Österreichbewußtsein im Ausgang der Achtzigerjahre kritischer ist als zu Beginn des Jahrzehnts" (Stourzh 1990, 112). Die Programmdiskussion der letzten Jahre und Monate zeigt einen vorläufigen Abschluß in dieser Hinsicht, auch wenn das neue Programm formal noch nicht angenommen ist. Sehen wir uns den Entwurf mit Stand Feber 1995 an, an dem sich kaum noch etwas ändern dürfte (beigeheftet zu: Österreichische Monatshefte 8/1995): 141 "1.3.2 Wir treten für die Entwicklung und Förderung des kulturellen Erbes unserer Heimat Österreich ein... 1.3. 5 Unsere reiche und vielschichtige kulturelle Identität stellt einen wichtigen Beitrag für Europa dar. Österreich ist unverzichtbarer Bestandteil der europäischen Identität... 9.1.10 Wir wollen eine Europäische Union, in welcher die Menschen in ihren lokalen Gemeinschaften Heimat, Geborgenheit, geistige Orientierung und ihre moralische Bindung begründen können, eine Union, in welcher sich die Menschen als Bürger ihrer jeweiligen Heimatregion, ihres Vaterlandes und als Europäer verstehen." Diese knappen Merksätze werden nur wenig variiert von Andreas Khol in einem langen Artikel (Österreichische Monatshefte 1-2/1995, 35 - 44) erläutert. Khol hat sich in der ÖVP stets, auch motiviert durch seine Funktion als Leiter der Parteiakademie, als rechtskonservativer Ideologe profiliert, besetzt nun aber seit Ende 1994 eine strategische politische Position seiner Partei und war imerhin nahe daran, ihr Obmann zu werden. Khols "gesellschaftspolitische Visionen" (S. 44) in bezug auf den nationalen Aspekt lauten folgendermaßen (43 f.): "Die Volkspartei muß sich klar zum Begriff der Heimat Österreich bekennen. Heimat, die in Familie, am Arbeitsplatz, in den Vereinen, in der Gemeinde, im Bundesland, also in den überschaubaren und nahen Gemeinschaften erlebt wird. Die Volkspartei als patriotische Partei bekennt sich damit besonders zur österreichischen Identität und zu einem Patriotismus, der die Liebe zu Österreich meint, nicht aber den Haß und die Abneigung anderen gegenüber... Im Sinne dieses Heimatbegriffes soll Österreich endlich ein Österreich-Institut nach dem Vorbild des Institut Français gründen, das die österreichische Identität im kulturellen Bereich, seinen einzigartigen Beitrag zur europäischen Kultur weltweit dokumentiert und verbreitet." Wir konstatieren also zwei fundamentale Grundzüge der der neuen ÖVP-Position: 1) Semantisch wird der Begriff der österreichischen Nation strikt vermieden. Man spricht ausschließlich von "Heimat", und diese siedelt man vorzugsweise im lokalen Bereich oder sogar bei einzelnen unverpflichtenden Kollektiven an - Khol nennt die "Vereine" mehrmals als die ihm zusagenden Verankerungen. Dieser Schützenverein- und FeuerwehrPatriotismus tritt jetzt an die Stelle einer nationalen Orientierung. Das ist im übrigen keine Khol’sche Erfindung. Hier trifft er sich völlig nicht sosehr mit seiner eigenen stark rechts orientierten Richtung, sondern vielmehr mit dem Hauptstrom jener Intellektuellen, die sich selbst linksliberal definieren. In ganz Westeuropa ist eine Tendenz beobachtbar, die man mit dem Konzept “Entnationalisierung der Politik” umschreiben kann. Die Popularität des Ethnizitätsbegriffes ist denn auch nicht sosehr einem gesteigerten Verständnis für Ethnizität zu verdanken, als vielmehr einem schleichenden Versuch, ethnische, d. h. in diesem Zusammenhang entpolitisierte Konzepte der sozialen Identität an die Stelle des radikal-demokratischen Begriffs der Nation mit ihrem Selbstbestimmungs- und Unabhängigkeitspathos zu setzen. Die scheinbar so progressive Bemühung um die Alltagskultur als der Lebenswelt der “kleinen Leute” und die Polemik gegen die “politische Großsymbolik” wird zur Vermeidungsstrategie in einem potentiellen Konflikt mit technokratischen Fremdbestimmungen. Dazu gehört weiters: 142 2) Die "österreichische Identität" wird ausschließlich kulturell definiert. Da mittlerweile wohl bekannt ist, daß die kulturellen Unterschiede zwischen modernen Nationen zwar von Nationalisten zu Legitimationszwecken gerne evoziert und aufgeblasen werden, in einem kultursoziologischen Sinn aber - im Vergleich etwa mit den Unterschieden zwischen sozialen Schichten - durchaus von untergeordneter Bedeutung sind, fragt man sich nach dem Sinn dieser Definitionsstrategie. Sie ist durchsichtig, wenn man sich an den Zugang dieses Beitrages erinnert: Nation als politisches Projekt. Gerade dies, eine politisch eigenständige Definition von nationalen Präferenzen und Zielsetzungen soll unbedingt vermieden werden. Analytisch hat damit die ÖVP die Orientierung auf eine Nation Österreich aufgegeben. Was übrig bleibt, wäre allenfalls noch mit dem Begriff des Regionalismus und eines schwachen Supra-Regionalismus (Österreich als Verein von lokalen und regionalen Gesellschaften) zu fassen. Diese nur leicht verhüllte Festlegung auf ideologischer Ebene entspricht allerdings (noch?) nicht der politischen Realität. Würde also die politisch formulierte Programmatik auch bekannt und ernst genommen - was zu bezweifeln ist; Parteiprogramme dieser Art scheint außer wenigen Politologen niemand zu lesen - , ergäbe sich auch ein taktisch-politisches Problem, von dem sich tatsächlich Spuren feststellen lassen: Ein konservatives österreichnationales Elektorat wird tendentiell heimatlos. Hier setzt nun eine andere Entwicklung ein. Wie allgemein bekannt, war das in der Republik sogenannte "Dritte Lager", im Klartext: die seit spätestens 1930 weit rechts stehenden deklarierten Deutschnationalen, im Zweiten Österreich parteimäßig in der FPÖ organisiert. Nach dem gescheiterten Versuch einer liberalen Wende unter Norbert Steger und der Übernahme des Parteivorsitzes durch Jörg Haider im Sommer 1986 nahm diese Partei einen phänomenalen Aufschwung. Sie wurde zu einem Sammelbecken jener, die sich vom Hauptstrom der gegenwärtigen Politik nicht vertreten fühlen, aber auch nicht ein progressives Gegenprojekt wünschen. Doch vorerst hielt die ideologische Entwicklung nicht Schritt. Wir brauchen gar nicht von den authentisch braunen Rändern in vielen Gruppen in und am Rande dieser Partei sprechen. Es genügt ein Blick auf die Parteizeitungen. Dem Stimmenumfang nach geht die Wählerschaft dieser Partei spätestens seit 1990 weit über jenes Potential hinaus, welches man auch bei laxer Definition als deutschnational kennzeichnen könnte. Da der Parteivorsitzende Haider sein Erfolgsrezept in einem ziemlich genauen Hinhören auf Meinungsströmungen erkannte, die andere Politiker einfach nicht zur Kenntnis nehmen wollen - aus honorigen oder weniger honorigen Gründen - , konnte ihm diese Diskrepanz nicht verborgen bleiben. "Durch das neue Wählerpotential ist das ursprüngliche, 220.000 Wähler ausmachende Potential der FPÖ zur Minderheit geworden... Wir brauchen eine Zukunftsperspektive" (Haider im Interview in: Wirtschaftswoche 34/17. Aug. 1995). Der eigentliche Wendepunkt war bereits die Abstimmungskampagne zum EG-Beitritt. Die FPÖ führte ihn deutlich unter (deutsch-) österreichischen Motiven. Nun wird auch die programmatische Grundlage nachgeliefert. In einer Serie von Interviews hat Haider angekündigt, die deutschnationale Ausrichtung aufzugeben und auf Österreich-Patriotismus zu setzen. Da er selbst aus deutschnationalem Umfeld kommt und in seiner Sozialisation bis heute sichtlich bzw. hörbar davon und von einer Affinität zur NS-Vergangenheit geprägt wurde, hat er auch selbst erhebliche Schwierigkeiten bei der jehen Umstellung. In einem dieser Interviews (Profil, 21. August 1995, Nr. 34) bezeichnet er beispielsweise die Tätigkeit von Wehrmachtssoldaten als "Widerstand" und spricht von "offizieller Geschichtsschreibung", wenn der Beginn des Zweiten Weltkrieges (die deutsche "Kriegsschuld") angesprochen wird. Er reagiert 143 aggressiv, als dies selbst den Journalisten auffällt und sie ihn auf seine Fehlleistungen aufmerksam machen. Doch dies sind vermutlich Umstellungsschwierigkeiten. Denn er setzt auf den bewährten Mechanismus und hat in einem nationentheoretischen Sinn sogar recht, wenn er sagt: "Ich will mich mit diesen Geschichten (!) nicht befassen, sondern ich sage, wie immer die Geschichte im Laufe der Zeit noch facettenreicher wird, ist dies nicht mein Problem..." Was er dabei bewußt übersieht, ist, daß die Definition von (nationalen, regionalen, ...) Identitäten über den Bezug auf die Kontinuität der Geschichte läuft, und daß gerade Nationalisten diesen Bezug immer bis zum Exzess ausreizten. Die plötzliche Vermeidung von Geschichte ist eine durchsichtige Flucht aus seiner eigenen bisherigen Vergangenheit, zumal dann - siehe unten - der Inhalt des Projektes in historisch recht beladenen Vokabeln erfolgt. Allerdings steckt noch ein bißchen mehr dahinter: Haider ist eigentlich der Mustertypus des "amerikanischen" Politikers, der zwar grundsätzlich konservativ ist, sich aber ebenso grundsätzlich in seinem Handeln nach Umfrageergebnissen richtet. Sein politische Projekt faßt er seit einiger Zeit unter dem Vokabel "Dritte Republik" zusammen, welches allerdings kaum mit konkreten Inhalten gefüllt ist. Der Untergrund ist "Antisozialismus", der sich als Antiliberalismus entpuppt: "Die auf dem Boden der Aufklärung gewachsenen, für Europa prägenden Ideen und Gesellschaftssysteme sind überholt, am Ende, oder überhaupt gescheitert... Es gilt auch, Abschied zu nehmen von einem überkommenen Liberalismus, dessen einziger Sinn in der verantwortungslosen Hingabe an eine individualistische Bedürfnisbefriedigung zu liegen scheint... das Thema der Geschichte hat sich gründlich geändert, der Wind dreht sich" (Haider 1994, 10, 12). Der stilistisch und inhaltlich vielleicht kennzeichnendste Satz dieser pompösen Deklamation wurde von mir in Kursiv gesetzt. Doch vorerst weiter: "Ich hatte mit der österreichischen Nation nie ein Problem." Wenige Sätze später jedoch erklärt er, daß "die österreichische Nation in Wirklichkeit eine Erfindung der Kommunisten gewesen ist", was in seinem Sinn ja wohl eine Verurteilung bedeutet. Auch im nur vier Tage vorher datierten Interview mit der "Wirtschaftswoche" macht er noch eine explizite Unterscheidung zwischen der "Mißgeburt" (der Ausdruck wird ihm vom Journalisten entgegengehalten) der österreichischen Nation - "Das ist etwas anderes als Österreich. Das war ja der Versuch, sich aus der Geschichte fortzustehlen" und der österreichischen Identität. (Man beachte übrigens, wie stark die Übereinstimmung in der Formulierung vom "Fortstehlen aus der Geschichte" mit manchen Tendenzen zur sogenannten Vergangenheitsbewältigung bei Linksliberalen ist - ein Thema, welches im Verlauf dieser Studie noch anzusprechen sein wird.) Er läßt sich auch eine "theoretische" Begründung durch einen emeritierten Soziologie-Professor31 geben. Dankenswerterweise liefert dieser auch gleich eine Verurteilung des "kulturlosen multikulturellen Wirrwarrs" mit und legitimiert sich damit als zugehörig zur Haider'schen Gesinnungsgemeinschaft. Doch das alles zählt nicht wirklich. Er füllt das Projekt Ö-Nation heute mit zwei CodeWörtern: "Heimatbewußtsein" und "Vaterlandsliebe im klassischen Sinn". Damit ist der konservative Charakter seines Projektes klargestellt. Auch wenn das erste Vokabel heute nicht mehr ganz so eindeutig einem rückwärtsgewandten Wörterbuch angehört, so doch zumindest das zweite, zumal es mit "im klassischen Sinn" präzisiert wird. Auch die taktische Richtung wird erkennbar: Es geht um die noch verbliebenen Wähler der ÖVP, für 31 W. B. Simon im - lt. Blattlinie - "Diskussionsorgan" Freie Argumente 3/1995, 52 - 57, mit dem Schwerpunkt-Thema "Österreich III". 144 welche der Deutschnationalismus in der F(PÖ), zumindest für einen beträchtlichen und gerade auch den konservativsten Teil unter ihnen, ein beinahe unüberwindlicher Hinderungsgrund für eine Stimmabgabe zugunsten dieser Partei ist. Taktiker, der er ist, weiß Haider auch, daß die Widerstände aus der eigenen Partei kommen werden und droht verhüllt in diese Richtung: "Wobei das für mich eine Frage über meinen persönlichen weiteren Weg ist." Das heißt natürlich nicht, daß das einzelne Mitglied nicht weiter von den "alten Rivalitäten des Blutes" und ähnlichen Formulierungen schwärmen darf. Dies ist auch regional unterschieden. Neben Kärnten scheint nach dem Neuaufbau einer burgenländischen Landesorganisation diese regelrecht altnazistische Kerne in der Partei zu beheimaten. In der nationalen Frage führt eher das LIF die Tradition eines Teils der alten FPÖ weiter. Das LIF setzt nach außen hin klar auf eine übernationale Identität. Das hat mit seiner Klientel, mit seiner neuen, altliberalen Ausrichtung zu tun, aber auch mit der persönlichen Tradition seiner Protagonisten. Heide Schmidt wie z. B. auch F. Frischenschlager kommen aus der alten, deutschnational bestimmten FPÖ: Für sie gilt erst recht das, was seinerzeit und heute wieder für viele Sozialdemokraten galt und gilt: Da man Österreich nicht sagen will, sagt man eben Europa. Natürlich stellt sich spätestens hier die Frage, welchen nicht nur politischen, sondern nicht zuletzt auf die Bedürfnisse des Einzelmenschen abstellenden Sinn diese doch recht abgehobenen und fetischisierten Auseinandersetzungen um Nation oder Vaterland, Identität oder Heimatbewußtsein, usw. eigentlich hat. 4 NATIONALE IDENTITÄT? Nationalbewußtsein ist das hauptsächliche gemeinschaftliches Integrationsmittel nationaler Gesellschaften neben dem gesellschaftlichen der "sozialen Arbeitsteilung". Es gibt viele Möglichkeiten sozialer Identität. Doch gesamtgesellschaftliche Identitäten werden regelmäßig, mit geringgewichtigen Ausnahmen, ethnische und / oder nationale Identitäten sein. Damit wird die nationale Identität zu jener sozialen Identität, welcher in sozialen Integrationszusammenhängen die größte Bedeutung zukommt. Die Frage nach der Funktion der nationalen Identität, auch für die persönliche Identität des Einzelnen, ist somit nicht trivial, wie schon die terminologische Anspielung auf Durkheim zeigt: Und doch ist gerade im west- und mitteleuropäischen Bereich gegenwärtig eine Haltung unter Intellektuellen zu finden, welche dieses Konzept mit einer gewissen Verächtlichkeit betrachtet. Das widerspricht zwar diametral dem auch zu beobachtenden Zügen eines wiederum von Intellektuellen getragenen ethnic revival, ist jedoch Faktum. Und insbesondere in Bezug auf Österreich wird es in diesen Kreisen manchmal offen als bedeutungslos und geradezu schädlich abgetan. Das ist verständlich, weil die Ausdrucksformen des ethnic revival oft genug tatsächlich ideologisch sind: In einer Großgesellschaft - und jede moderne Gesellschaft ist eine Großgesellschaft - ist der Rückgriff auf eine traditionell oder traditionalistisch aufgefaßte Gemeinschaftlichkeit erst recht ein Ergebnis von Entfremdung und Fetischisierung, also Ideologisierung. Allerdings ist dies allein zu simplifizierend. Anfang Oktober 1996 fand in Mürzzuschlag ein Symposion über mitteleuropäische Minderheiten statt. Es stand unter dem Motto "Bedrohte Vielfalt". Doch dieses häufig benutzte Schlagwort führt in die Irre. Bedroht ist in ethnischen und nationalen Konflikten nicht in erster Linie die Vielfalt im Sinne unterschiedlicher Lebensformen der Menschen: Zumindest in entwickelten Ländern sind die Lebensformen auch bei unterschiedlicher ethnischer oder nationaler Zugehörigkeit zwar schichtspezifisch stark unterschiedlich; im zwischenethnischen Vergleich unterscheiden sie sich jedoch kaum. Die "Vielfalt" wird somit zu einem Code- 145 Wort; sie wird zu einer Ideologie, wenn man darunter gar die "Andersartigkeit" verstehen will. Was ist in ungleichgewichtigen ethnischen Beziehungen wirklich bedroht? Was steht für Minderheiten auf dem Spiel? Es ist die Selbstbestimmung, die Selbstgestaltung der eigenen Zukunft, welche sich in interethnischen Beziehungen als Möglichkeit der Wahl einer eigenen Zugehörigkeitswelt gegen den letztlich totalitären Druck zur Assimilation, d. h. zur Selbstaufgabe, äußert. In der Kommunitarismusdebatte der letzten Jahre und Jahrzehnte betonte man zu Recht, daß Gesellschaft immer auch Gemeinschaft sei, soll sie Kohäsion haben und funktionieren. Weiters ist richtig, daß die Mensch meist in eine Gemeinschaft hineingeboren wird. Doch da er ein , ein Gesellschaftswesen ist, ist seine Zugehörigkeit zu jeder dieser Gemeinschaften grundlegend eine Frage der eigenen Wahl - jede Gemeinschaft ist letztlich eine community of choice. Doch es muß in modernen demokratischen Zusammenhängen auch eine Frage der Wahl bleiben, ob der Mensch im Rahmen eines Staates mit einer anders als er selbst markierten Mehrheit seine Zugehörigkeit zu einer kleineren, also einer Minderheitsgruppierung beibehalten will. Diese normative Aussage wird zu einem analytischen Merkmal des demokratischen Charakters. Damit ist es eine fundamentale, wenn auch schwierig zu verwirklichende Bedingung von Zivilgesellschaft und Demokratie. Was besonders schwer zu begreifen und offenbar auch zu ertragen ist: Eine Mehrheitsentscheidung kann Gültigkeit beanspruchen; und doch muß der Minderheit zugestanden werden, ihre abweichende Position beizubehalten. Diese Toleranz, das Bestehenlassen des Widerspruchs, ist in unserer Kultur mit ihrer herrschaftlichen Tradition der unbedingten Herstellung von Einheitlichkeit ungewohnter als in anderen Gesellschaften, wie Lévi-Strauss so eindrücklich gezeigt hat. Jede persönliche Identität ist soziale Identität. Das hat eine doppelte Bedeutung. Zum einen ist die Identität sozial geformt. Zum anderen lokalisiert sich jeder Mensch durch Bezug auf Kollektive, wenn nicht bewußt, so doch unbewußt. Diese Kollektive müssen nicht notwendig Nationen oder Ethnien sein. Ethnic revival ist u. a. auch als Protest gegen Entfremdung in modernen Gesellschaften durch eine allzu kurzsichtig und eindimensional aufgefaßte Rationalität. Man setzt dem verabsolutierten homo oeconomicus den Gegenentwurf einer umfassenderen menschlichen Existenz gegenüber, in dem das "Reich der Freiheit" ebenso Berechtigung hat wie das "Reich der Notwendigkeit" behaupteter Sachzwänge. Dieser umfassende Lebensanspruch wird auf die ethnische oder nationale Identität hin projeziert. In einer national verfaßten Welt macht die politische Realität eine Orientierung auch in Bezug auf Nationen unausweichlich. Wenn ein Mensch sich zu sehr gegen diese triviale Notwendigkeit wehrt, ist dies ein Zeichen für ein psychosoziales Problem. Das ist selbstverständlich nichts Ehrenrühriges, wohl aber etwas, was analytisch festzustellen ist. Die spezifisch österreichische Problemlage besteht nun in einer Verquickung zumindest zweier historischer Voraussetzungen und deren Wirkung auf die Österreicher. In der neuen österreichischen Geschichte hat es für die deutschsprechenden Bewohner dieses Landes zwei nationale Angebote gegeben. Das eine war die Zugehörigkeit zu einer deutschen Nation; das andere war der eigenständige Aufbau (nicht etwa: die "Abspaltung") einer österreichischen Nation. An beiden hingen und hängen bis in die Gegenwart unterschiedliche politische Programme, die sich ihrerseits im Laufe der Zeit änderten. Damit stellt sich dies als Option zwischen komplexen und vielschichtigen Traditionen. Nun scheint die Angelegenheit heute entschieden zu sein. Doch das Wichtige ist, daß sich für einen Angehörigen der österreichischen Gesellschaft bzw. jemand mit einem realen Bezug zu dieser Gesellschaft die Wahl nicht vermeiden läßt - was manche Menschen heute immer noch möchten. Ein Vermeidungsversuch muß scheitern und gerät zu einem psychischen Fluchtversuch auf der symbolischen Ebene. Er gibt sich derzeit meist als die Behauptung einer übernationalen Identität. Ich möchte sagen, daß dies die narzistische Variante des postnationalen Bewußtseins ist, der eine andere, eine melancholische Variante gegenübersteht. Während die melancholische sich im gegenwärtigen Meinungsklima eher 146 selten äußert, wurde die narzistische zur wahren Yuppie-Mentalität, auch wenn viele, die sie äußern, längst über das Yuppie-Alter hinaus sind. Damit stellt sich natürlich die Frage: Wieso gibt es überhaupt diesen Fluchtversuch? Einmal abgesehen von jenen wenigen, welche bis heute für die deutschnationale Variante optieren und damit ein ganzes Programm einer düsteren Vergangenheit wählen, gibt es für eine andere Gruppe ein anderes Motiv für Dissens, welches mit den Umständen zu tun hat, unter welchen diese österreichische Nation, vor allem in der Zeit unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg, entstand. Doch von Anfang an muß gesagt werden, daß diese Umstände nicht so verschieden von den Entstehungsprozessen anderer Nationen waren sie sind allerdings noch in der Erinnerungsreichweite der Lebenden und damit noch nicht "reine Geschichte". Man kann "das Bewußtsein definieren als die Beziehung psychischer Fakten zum Ich. Was aber ist das Ich? Das Ich ist eine komplexe Gegebenheit, das vor allem aus der allgemeinen Wahrnehmung des Körpers, des 'Daseins', besteht, und sodann aus den Gedächtnisinhalten; man hat eine Vorstellung davon, gewesen zu sein und besitzt eine lange Reihe von Erinnerungen. Diese zwei Faktoren sind die Hauptpfeiler von dem, was wir das Ich nennen" (Jung 1975 [1935], 19). Verkürzt wie dieser Versuch einer Definition des Ichs sein mag, ist sie nicht falsch und greift zumindest pragmatisch die uns leicht zugänglichen Bereiche auf. Drücken wir dasselbe leicht variiert aus: Die persönliche Identität hat die persönlichen Traditionen zum Inhalt, die sich allerdings nicht nur im Gedächtnis niederschlagen. Sie setzt die Fähigkeit zur psychischen Integration dieser Inhalte voraus. Doch diese persönlichen Traditionen kann ich mir zum größeren Teil nicht nach Belieben aussuchen. Sie sind insoferne meiner Gestaltung entzogen, als sie Teile meiner durch die Familie und der großteils in ihr ablaufenden Sozialisation überkommenen sozialen Existenz sind. Daher rührt auch die ungeheure Macht der Zuschreibung insbesondere bei der Bestimmung meiner sozialen Identität durch Bestimmung meiner Bezugsgruppe. Die Betonung des Erwerbs in modernen Verhältnissen ist teils ein nützlicher und ethisch wahrscheinlich sinnvoller Rationalismus, teils auch ein Ideologem. Im Nachhinein besteht die Verarbeitung einer persönlichen Tradition vor allem in einer Bewertung der Traditionselemente und dementsprechend in einem Betonen des einen Elements, im Unterdrücken eines anderen Elementes; etc. Hier liegt die Crux dessen, was man Vergangenheitsbewältigung nennt. Unter dem Anspruch, Verdrängungen an die Oberfläche zu heben, verkennt sie nicht selten den psychischen Prozeß und leistet damit selbst anderen Verdrängungen Vorschub. Man hat Renans Bemerkung über die Wichtigkeit nicht nur des Erinnerns, sondern auch des Vergessens für die Formung nationaler Traditionen meist als feuilletonistische Aperçue betrachtet. Tatsächlich dürfte Renan (1992 [1882], 41) selbst gar nicht die analytische Tragweite seiner Sätze begriffen haben, als er schrieb: "L'oubli, et je dirai même l'erreur historique, sont un facteur essentiel de la creation d'une nation." Denn durch beide Verfahren - Erinnern und Vergessen - arbeitet man an jenem Super-Symbol der mentalen Ordnung und damit der sozialen Sicherheit, ohne welche der Mensch nun meinmal nicht zu leben vermag, welche jede Tradition darstellt. Die Bewertung einer gegebenen Tradition ist logisch erst ein zweiter Schritt. Man kann eine bestimmte Tradition verabscheuen, aber man braucht irgendeine Tradition. Das macht übrigens die Bedeutung historiographischer Konstruktionen aus, ohne welche "Geschichte" überhaupt nie entstanden wäre. 147 Im wesentlichen im Rahmen dieser Vergangenheitsverdrängung und -bewältigung fand der Aufbau einer nationalen österreichischen Identität in der Zweiten Republik, seit dem Zweiten Weltkrieg also, statt. Man kann dies in etwa drei diffuse Phasen einteilen: (1) Die erste Phase war gekennzeichnet von mehreren widersprüchlichen Momenten und dauerte etwa bis Mitte der 60er Jahre. Sie mischte eine starke Verdrängung der jüngsten Vergangenheit mit einerseits einer resoluten Bejahung der Kleinstaatenidentität und andererseits einer Suche nach historischen Wurzeln im habsburgischen Großstaat. Vielleicht am kennzeichnendsten für diese Epoche ist ein vielbändiges Werk, daß ab 1956 in der Fortsetzung der Neuen Österreichischen Biographie 1815 - 1918 aus der Ersten Republik erschien und sich als Reihe ab dem zweiten (d. h. nach offizieller Zählung der Herausgeber: ab dem X.) Band "Große Österreicher" nannte. Die einzelnen biographischen Artikel sind eine bunte Mischungs unterschiedlichster Persönlichkeiten und stellen reine Hagiographie ohne einen Funken eines kritischen Ansatzes dar. (2) Die zweite Phase dauerte bis etwa Mitte der 80er Jahre. Einem einigermaßen gesicherten österreichischen Selbstbewußtsein, nicht zuletzt auch gestützt durch die Person Kreisky und dessen außenpolitischen Aktivismus, ging ein Aufgreifen auch der Schattenseiten der eigenen Vergangenheit parallel. Das betraf insbesondere eine zunehmend kritische Betrachtung der Mitverantwortung von Österreichern im "Dritten Reich". Ziemlich kennzeichnend sind hier die Bände der Serie Widerstand und Verfolgung: Die Vergangenheit wird nicht mehr verschwiegen; doch der Akzent liegt auf dem Widerstand. (3) In der dritten Phase sind wir mitten drinnen. Sie ist daher nur ansatzweise zu kennzeichnen. Die Affäre Waldheim brachte einen immer überspitzteren Blick auf die dunkle Zeit. Es sind vor allem Literaten, welche nunmehr dieses Thema in die Öffentlichkeit tragen. Dies verschränkt sich mit den jüngeren politischen Weichenstellungen. Die rückhaltslosen und mittlerweilen erfolgreichen Anschlußbestrebungen gegenüber der EG wurden aus einer Reihe von Quellen gespeist, deren nicht geringste eine neue Großmachtsehnsucht war. Der Zusammenbruch des alten Ostens machte Österreich plötzlich zur Außengrenze gegenüber der Dritten Welt und weckte tiefe Ängste, die sich vor allem am Thema Immigration konkretisierten. - Selbstverständlich sind die Abgrenzungen nicht scharf. Thomas Bernhards' Schriften stammen zeitlich aus der zweiten Phase, gehören aber in ihrer Wirkung und auch in ihrer Aussage eindeutig zur dritten. Der große Erfolg brachte andere Literaten dazu, sich ans Thema anzuhängen... 4.1 Intellektuelle "Vergangenheitsbewältigung" "Vergangenheitsbewältigung" ist der Kampf um die Gestalt sowohl jenes "logischen Minimalkonformismus" wie auch jenes "moralischen Minimalkonformismus" (Durkheim 1994, 24), den jede Gesellschaft nötig hat, um Gesellschaft bleiben zu können. Wie in Auseinandersetzungen mit nationalem Bezug immer, ist dies ein Kampf um die Zukunft in der Sprache der Vergangenheit. Wenn man andere Formen dieses Kampfes betrachtet (die Konstruktion von "Abstammung" z. B.), ist dies eine sehr rationale Form der Auseinandersetzung. Die Grundsätze und Kategorien von Moral und Logik ("Geschichte") werden direkt angesprochen und nicht nur in fetischisierter Gestalt. Das heißt nicht, daß nicht die Auseinandersetzung selbst wieder meist sehr fetischisiert abläuft, wie wir gleich sehen werden. Da die alten und bislang gültigen Grundlagen in Frage gestellt werden, muß dieser Streit sehr bittere Formen annehmen. Es ist schließlich ein Kampf um die Hegemonie im moralischen, und d. h. im sozialen und politischen Denken. 148 Übrigens ist dieser Kampf um die Vergangenheit keineswegs eine mitteleuropäische Erscheinung. Das wäre angesichts der allgemeinen Struktur auch gar nicht denkbar. Anderswo zentriert sich allerdings die Auseinandersetzung um andere Zeitpunkte und um andere Inhalte als hier. Immer aber sind es große Wendepunkte der nationalen Entwicklung. Das können wir an einer ganzen Reihe von Beispielen belegen. In den USA - um von Europa vorerst wegzugehen - ist es bis heute der Bürgerkrieg bzw. Sezessionskrieg. Ging es dabei doch um die Weiterexistenz einer einheitlichen Nation. In der Sklavenfrage hatte sich ein komplexes nationales Problem gebündelte. Als es sich nämlich zeigte, daß ein Großteil der Interessen stark auseinandergingen, empfanden sich die zwei Großregionen der Union (der Norden und der Süden; der Westen hatte noch kein großes Gewicht) bald nicht mehr als einheitliche Nation. Typischerweise äußerte sich das darin, daß man völlig willkürlich getrennte Abstammungslinien konstruierte. Der Süden wollte nunmehr von den königlichen "Kavalieren" der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts abstammen. Der Norden wiederum berief sich verstärkt auf das puritanisch-republikanische Erbe der Mayflower-Tradition. Der Bürgerkrieg klärte die Lage, machte aber den Süden für lange Zeit zur eroberten und gedemütigten Nation. Bis in die Gegenwart blieb diese Linie der Tradition lebendig. Es sind nicht nur die südlichen Herrenhäuser, die man mit Stolz den Fremden aus den USA und von anderswo zeigt, und wo man im "gift-shop" regelmäßig auch revisionistische Bücher findet, welche die Position des Südens damals rechtfertigen. Im Augenblick (Juli 1997) gibt es einen Rechtsstreit, weil ein Oberstaatsanwalt in Atlanta/Ga. auf seinem Amtsgebäude die Flagge der Konföderierten gehißt hat und sich weigert, sie ohne oberstgerichtliches Urteil zu entfernen. - Ein weiterer Kampf um die Vergangenheit findet um "Vietnam" statt. Hier wird der aktuelle Inhalt besonders deutlich: Imperialistischer Überfall auf ein Dritte Welt-Land oder Verteidigung der Demokratie? Es konnte so kein Zufall sein, daß der republikanische Kandidat für die vergangenen Präsidentenwahlen am Beginn seiner Kampagne auch diese Frage zum Thema zu machen versuchte. In einer Ansprache an die American Legion griff er nicht nur den mehrsprachigen Unterricht für Einwanderer-Kinder an, sondern baute insbesondere auch einen Popanz “unamerikanischer Geschichtsdarstellung” auf: Er warf “liberal academic elites” “overemphasizing negative aspects of U.S. history such as the ‘scourge of MacCarthyism and the rise of the KuKluxKlan” (The Washington Post, September 5, 1995) vor. Und es konnte natürlich auch nicht fehlen, daß er eine Ausstellung über Hiroshima angriff, weil sie den Atombombenabwurf seiner Ansicht nach als ungerechtfertigt darstelle. “We are proud of our country. And we won’t put up with our tax dollars being used to drag it down or sow doubt about the nobility of America in the minds of our children.” Der Ton diesseits und jenseits des Atlantiks ist zum Verwechseln. Was eines der in Dole’s Rede angesprochenen Länder betrifft, Japan, hat eine Neubewertung der Vergangenheit noch kaum begonnen. Die offizielle Haltung ist ein genaues Spiegelbild der Dole’schen Rede. Ironischerweise dürfte dies eine der Folgen jener nach dem Zusammenbruch von den USA aufgerichteten neuen Stabilität sein, welche dies verhindert - derselben Haltung, welche Dole für die USA vertritt. Sehr langsam beginnt eine Diskussion, die zumindest von den Politikern überaus doppelzüngig geführt wird: Die eine Äußerung gilt dem aisatischen Ausland, die andere dem chauvinistischen heimischen Publikum - eine Diskussionsstrategie, die ja auch der neuesten Geschichte Österreichs bzw. manchen ihrer politischen Exponenten nicht fremd ist. Es geht z. B. um die Darstellung in den Schulbüchern: “Daß Japans militärische Präsenz in China eine Invasion war, widersprach dem bis dahin gültigen Regierungsstandpunkt, nach dem Japan keinen Angriffkrieg zu verantworten hat. Die bevorzugte Sichtweise vieler war und ist noch immer, daß Japan in den Krieg getrieben wurde, mehr Opfer als Täter.”32 Dementsprechend ist dann die vorgeschlagene Sprachregelung fast wörtlich ident mit der des US-amerikanischen Konservativen: Die neuen Schulnbücher dürften nicht die Kaiserlich-Japanische Armee in ein schlechtes Licht setzen. Im Visier steht gegenwärtig vor allem das Problem des Verhaltens der Österreicher in der Zeit der Nazi-Okkupation und die politische Stellung dazu nach der Befreiung / Besetzung. Wenn auch unmittelbar nach dem Nazi-Zusammenbruch eine Entnazifizierung in Gang kam, so verlief diese sich doch eher bald im Sand. Die Motivation dafür war sicherlich vielschichtig und reichte von schäbigen parteipolitischen Stimmeninteressen bis zur Hilfslosigkeit gegenüber dieser Vergangenheit. Ein, infolge seines Alters, damals gerade schon oder noch Beteiligter sieht dies rückblickend so: "Als Österreicher hatten wir zwei 32 Florian Coulmas, Was Schulkinder nicht wissen sollen. Kein Ende der hitzigen Debatte um Japans Geschichtsbild. NZZ, 3. März 1997. 149 Ziele vor Augen, die wir unbedingt erreichen wollten, nämlich die Besatzungsmächte loszuwerden und die österreichische Wirtschaft wieder aufzubauen. Und mit einer tiefgespaltenen Nation war das ja nicht zu machen. Die wichtigste Aufgabe war dabei die geistige Entnazifizierung und der Umgang mit den 'bekehrten' Nazis" (Kienzl 1996, 118). Man sollte diese Einstellung zumindest auch einmal vorläufig akzeptieren. Immerhin gab es in Österreich die systematische Rehabilitation alter Nazi-Kader zum Zwecke des Kampfes gegen "den Kommunismus", welche die BRD so kennzeichnete, nicht. Doch es gab andere Probleme. Insbesondere war es das Problem der alten "Seilschaften" und der Freundschaftsdienste an Bekannte und Empfohlene, welche viele der Anstrengungen wieder zunichte machte. Darüber findet man bis heute der Natur dieses Prozesses nach praktisch kein systematisches Material. Doch man stößt im Gespräch mit älteren Menschen immer wieder einmal darauf. Er dürfte vor allem im universitären und verwandten Bereich eine quantitaiv nicht zu unterschätzende Rolle gespielt haben. Gerechtfertigt wurde dies unterschiedlich, meist mit irgendeinem Nestbeschmutzer-Argument: "Den Instituten [war] es wichtiger, den eigenen Ruf hochzuhalten, als sich mit ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen und sie sich einzugestehen... Ganz allgemein bürgerte sich ein Sprachgebrauch ein, der Täter mit Opfer verwechselte" (Schönafinger 1995, 174). Die Autorin schreibt über Graz weiter: "Die Tatsache, daß Entscheidendes in Personalakten fehlt, und auch, daß von den einschlägigen oben zitierten Schriften Weinhandels keine in irgendeiner Grazer Bibliothek erhältlich ist, paßt sehr gut zur Praxis der Verdrängung und Verharmlosung der braunen Vergangenheit von Personen wie den hier behandelten Naziphilosophen. Sie wurden wieder eingestellt und in keiner Weise für ihre offenbar als 'Entgleisungen' oder 'Kavaliersdelikte' angesehenen nazistischen Aktivitäten zur Verantwortung gezogen." Das könnte wortwörtlich auch über die Wiener Philosophie gesagt werden, die bis fast an die Gegenwart heran von entsprechend belasteten Personen (Erich Heintel, Leo Gabriel) maßgeblich bestimmt war. In diesem Fall, und das ist der Grund für das ausführliche Zitat, kommt noch hinzu, daß in der europäischen Geistesgeschichte bis heute Philosophie nicht eine Wissenschaft unter anderen war, sondern eine explizit weltanschauliche Funktion zugewiesen bekam. Die jenseits der Anrüchigkeit dieser Partien dadurch mitverursachte "Rückständigkeit der österreichischen Philosophie" (a. a. O., 175), die strukturell in manchem an die Zeit des Vormärz erinnert, betrifft das Geistesleben der Gegenwart insgesamt. Damit ist also eine der intellektuellen Schaltstellen betroffen. Dem kam das Bedürfnis entgegen, einfach wegzuschauen. Der Schlußstrich wurde hier auf eine sehr eigentümliche Weise gezogen, und nach wenigen Jahren waren auch diejenigen unter dem universitären Personal, welche sich in oft sehr unzimperlicher Weise betätigt hatten und z. B. 1938 in SA-Uniformen ihre politischen oder einfach auch persönlichen Gegner aus den Universitäten hinausprügelten, wieder in Amt und Würden. Für mindestens zwei Jahrzehnte senkte sich der Mantel des Schweigens über diese Geschehnisse. Es bedurfte offenbar einer neuen Generation, um diese Fragen wieder anzugreifen. Die Diskussion heute spielt sich hauptsächlich am Begriffszwilling "Opfer / Täter" ab. In der unmittelbaren Nachkriegszeit versuchte man, den österreichischen Beitrag zum Nazismus unter den Teppich zu kehren. Lepsius taufte diese Vorgangsweise "Externalisierung": Der Nationalsozialismus wurde zu einem Ereignis außerhalb der eigentlichen österreichischen Geschichte. Seit den 60er Jahren hat sich allerdings die Lage grundsätzlich geändert. Einen Sprung bedeutete die politische Auseinandersetzung rund um Kurt Waldheims Präsidentschaftskandidatur und die folgende Präsidentschaft. Ohne in die allzu komplexen 150 vielen Problematiken einzusteigen, welche diese Episode des österreichischen politischen Lebens berührte, sollen nur zwei angesprochen werden. Das eigentliche innerösterreichische nationale Problem war Waldheims Rechtfertigung seiner Handlungsweise als "Pflichterfüllung" und damit die Desavouierung aller offiziellen Stellungnahmen zur österreichischen Vergangenheit. Waldheim scheint dies auch dann nicht begriffen zu haben, als sich die Auseinandersetzung entgegen seinen Erwartungen nach seinem Amtsantritt nicht beruhigten. Österreichs Bild in der Waldheim-Affäre in Frankreich, nicht zuletzt auch geprägt von der selektiven Wahrnehmung der innerösterreichischen Diskussion. Die bösartige Karikatur wurde von Le Monde gleich zweimal veröffentlicht, einmal nach dem ersten Wahlgang, ein weiteres Mal nach dem endgültigen Wahlsieg Waldheims im zweiten Wahlgang Überhaupt war seine Sensibilität für solche Fragen nicht vorhanden, womit er sich mit einem erheblichen Teil der Österreicher und sicherlich einem Großteil seiner Wähler traf. Kennzeichnend ist der Stil, in dem er später seine Aussagen zu erklären und auch zu entschuldigen (im doppelten Sinn) versuchte - er ist rein bürokratisch-taktisch: "Sicher habe ich anfangs unterschätzt, wie sehr die Beurteilung meines persönlichen Schicksals zu einer großen Auseinandersetzung um den Weg Österreichs in der Zeit rund um den Zweiten Weltkrieg führen würde... Was ich mit jener Pflichterfüllung ausdrücken wollte - es aber offenbar nur unvollständig und ungenau tat - , war jenseits der kameradschaftlichen Hilfe die Unfähigkeit meiner Generation zur freien Entscheidung. War die Ohnmacht des Zwangs. Nur sehr wenige haben es damals geschafft, diese Fesseln des Zwangs zu sprengen, unter dem Risiko, ihr eigenes Leben einzubüßen. Ich habe 151 nicht zu ihnen gehört" (Fernseh-Ansprache vom 19. Mai 1987, in: Waldheim 1992, 228). In ähnlicher Weise war sein Verhalten gegenüber dem Problem des österreichischen Antisemitismus bestimmt. Es war ein Taktieren zwischen den von ihm begriffenen "außenpolitischen" Notwendigkeiten einer Distanzierung und dem augenzwinkernden Haschen um die Stimmen und allgemein die Zustimmung jener in Österreich, welche sich bis heute nicht von dieser Haltung lösen konnte. Tatsächlich hat die Wahlkampagne des schließlich siegreichen Kandidaten eine bestimmte Form des Antisemitismus offenbar wieder öffentlichkeitsfähig gemacht. Daß überzogene und teils absurde Vorwürfe von außen dies förderten, ist unter das Stichwort "Rationalisierung" einzureihen. Rationalisierung kennzeichnet sich immer dadurch, daß sie an einem grundsätzlich berechtigten Punkt ganz andere Anliegen aufhängt. Hier liegt der Parallelfall der Schweiz auf der Hand, wie er leicht verhüllend im Nachbarland unter dem Titel “Schatten des Zweiten Weltkrieges” diskuttiert wird. Auch dort wurde die Debatte von außen (insbesondere der selbst ethisch keineswegs über alle Zweifel erhabene und ständig unter Korruptionsvorwürfen stehende, mittlerweile abgewählte republikanische Senator Alphonse D’Amato, N.Y.,33 aber auch ein britischer Abgeordneter) eröffnet und kam dadurch erst in Gang. Doch auch dort wird die Aufarbeitung erschwert durch Faktoren, die mit der Debatte selbst nichts zu tun haben. Man scheint in Westeuropa und den USA offenbar gewillt, die Schweiz für ihre Eigenständigkeit zu ‘bestrafen’. “Was das Land lange als positiven Mythos gepflegt hatte, der Alleingang und das Sich-Heraushalten aus ‘fremden Händeln’, wird ihm jetzt als Zerrspiegel hingehalten.”34 Explizit wird dabei auch die “Europafrage” erwähnt. Auch dort gibt es eine Intellektuellengruppe, die sich nur zu gerne an die internationale Kampagne anhängt. Und schließlich regt sich auch dort ein verschämter Antisemitismus infolge der prominenten Rolle, die der Jüdische Weltkongreß spielt. Das Kennzeichnende an dieser Beteiligten ist aber etwas, was man nicht eher erwartet: Während sich Israel weitgehend zurückhält, spielt die Hauptrolle eine Person, bei der man keineswegs an antisemitische Stereotypen denken wird, wenn man sie sich unvoreingenommen ansieht - wohl aber an andere: Bronfman tritt in einer Art auf, wie man ihn viel eher im “ugly American” verkörpert sieht: Der arrogante Staatsbürger einer Weltmacht und Präsident eines multinationalen Konzerns, der eben nicht dulden will, daß man seinen Anweisungen nicht nachkommt, in seiner ganzen Handlungs- und Sprechweise außerordentlich “Yankee”. Im übrigen hat die Schweiz nicht unähnmlich reagiert wie Österreich: Sie hat eine Historikerkommission eingesetzt, welche den Tatsachengehalt der Vorwürfe einmal klären soll. Darüberhinaus setzte sie aber einen innenpolitisch umstrittenen Schritt: Sie kündigte eine Solidaritätsstiftung für politisch Unterdrückte überhaupt ein, welche mit dem außerordentlich hohen Betrag von 7 Mrd. Sfr. geäufnet werden soll. Mit dieser ganzen Auseinandersetzung kam aber ein weiterer Prozeß ins Laufen, der seinerseits die Waldheim-Affäre in einem rationalisierenden Sinn für die eigenen Politund sonstigen Neurosen einsetzten. Diejenigen, die sich heute mit Österreich und seiner Vergangenheit auseinandersetzen, tun dies in der Regel in einem höchst "selbstkritischen" Sinn. Gleichzeitig behaupten sie aber, nur einem Ausnahmefall Österreich endlich auf die Sprünge zu helfen, da dieses sich im Gegensatz zu anderen Gesellschaften so gar nicht der Aufarbeitung seiner historischen Probleme widmen wolle. Gerade das Gegenteil ist seit 33 Das ist besonders verlogen, wenn man beachtet, wie sehr die USA in dieser Hinsicht selbst Schuld auf sich geladen haben. “In 1939 ... the U.S.-Congress defeated a bill that would have rescued 20.000 children from Nazi-Germany notwithstanding the willingness of American sponsors to provide for the children, on the grounds that such a large immigration would exceed the quota allotted to German immigration” (Piatt 1990, 18). 34 NZZ, 15./16. März 1997: Verunsicherte Schweiz. Suche nach einem neuen Selbstbild und nach innerer Kohärenz. - Besonders deutlich wird dies in einem Artikel der New York Times vom 5. Feber 1997: “The Neutrality Myth” (Thomas L. Friedman): “Too many Swiss still insist on being morally neutral, on trying to live off the international system without being fully part of it.” 152 einem Jahrzehnt richtig. Wie sehr dies gilt, wird einem bewußt, wenn man sich historisch vergleichbare andere Gesellschaften ansieht. In der Festung Akershus im Hafen von Oslo wird den Besuchern auch ein Norwegisches Widerstandsmuseum angeboten. In Norwegen hat es in der Zeit der deutschen Besatzung ja immerhin nicht nur eine beachtliche Kollaboration gegeben, sondern auch eine norwegische Marionettenregierung. Doch man verzichtet in diesem Museum sogar auf die naheliegende bewährte Technik, die Kollaboration einer winzigen Gruppe von Gekauften anzulasten. Die Kollaboration kommt in dieser Ausstellung überhaupt nicht vor - es geht immer nur gegen die deutschen Besatzer. Vidkun Quisling entdeckt man einmal auf einem nicht erläuterten Photo. Andere Namen werden auch nicht genannt. Hamsun ist tabu. Eine Aufarbeitung dieser Epoche ist somit kein Thema. Als Österreicher ist man an die Zeit in unserem Land bis etwa 1965 erinnert, welche die Jahre 1938 bis 1945 entweder ganz unterschlug, oder aber sie nur mit einigen wenigen, politisch opportun und daher von ihrer realen Bedeutung her äußerst schief ausgewählten Widerstandsgruppen (das Hochjubeln von "O5" etwa) besetzte. - Ein zweites Beispiel: Wenn Robert Menasse anklagend auf das "eigentümlich späte Zugeständnis" einer österreichischen Mitschuld an den Nazi-Verbrechen hinweist, so ist dies und vergleichbare Situationen keineswegs eine österreichische Spezialität - ganz im Gegenteil. "Der überwiegende Teil der Kriegsgeneration ist in Österreich unfähig gehalten worden, auf seine eigene Vergangenheit einen kritischen Blick zu werfen... Denn die österreichische Kriegsgeneration identifiziert sich in ihrer Mehrheit nach wie vor mit ihrem damaligen Tun" (Haslinger 1987, 21). Dazu läßt sich - eher zufällig - eine Zeitungsmeldung aus der Zeit der Niederschrift dieses Berichtes zitieren: "Die Niederländer, die sonst so gerne mit dem erhobenen Zeigefinger durch die Welt laufen und im Verhalten anderer Länder eine scharfe Trennungslinie zwischen 'falsch' und 'richtig' zu ziehen pflegen, scheuen noch stets vor der Auseinandersetzung mit der eigenen Kolonialgeschichte zurück... Unterschwellige Schuldgefühle über die eigene koloniale Vergangenheit [führen] immer wieder zu emotionsgeladenen Auseinandersetzungen... "35 Der Einsatz von psychoanalytischen Konzepten in der Geschichte ist problematisch. Nicht deswegen gilt dies, weil diese Konzepte dafür grundsätzlich nicht verwendbar wären. Ganz im Gegenteil: Wenn man mit Weber davon ausgeht, daß Gesellschaft sich immer im Verhalten, im Bewußtsein wie im Unbewußten des Einzelmenschen verwirklicht, wird der Einsatz psychoanalytischer Überlegungen bei sozialen Grundprozessen (Sozialisation, Auswahl des erwünschten wie des sanktionierten Verhaltens) für den Theoretiker geradezu unvermeidlich. Doch üblicherweise werden diese Konzepte nicht analytisch eingesetzt. Es handelt sich meist um Mode-Vokabeln, die nicht sosehr aufklären als vielmehr die Strukturen vernebeln. Die Beschäftigung mit dem NS ist geradezu ein Musterbeispiel für diesen Vorwurf. Trotzdem wollen wir hier die Vermutung äußern: Diese neue "Vergangenheitsbewältigung" entspricht vor allem einem Strafbedürfnis der Beteiligten aus den heute lebenden Generationen gegen die Eltern / Älteren, welche die Ungeheuerlichkeiten des 20. Jahrhunderts geschehen ließen und vielleicht sogar an ihnen mitwirkten. Hier stellt sich allerdings eine Frage: Muß zum Bedürfnis, sich von diesen Verbrechen immer wieder zu distanzieren, nicht auch eine gewisse psychische Kontinuität zu diesen Älteren / Eltern hinzukommen, um die Heftigkeit der Auseinandersetzung nach einem halben Jahrhundert begreifbar zu machen? Diese Vergleiche könnten mißverständlich sein. Selbstverständlich werden Schriftsteller, die in Österreich leben und oft nicht glücklich über die österreichischen Verhältnisse sind, sich kritisch mit diesen Verhältnissen auseinandersetzen. Der Hinweis soll im wesentlichen besagen, daß Österreich auch im Umgang seiner Bevölkerung mit der eigenen Vergangenheit ein außerordentlich typisches westeuropäisches Land ist, nicht fortgeschrittener und aufgeklärter, aber sicher nicht stärker verzögert, wie so oft behauptet. Es bedeutet eine völlig neurotische Fixierung auf dieses, das eigene Land, das Verhältnis seiner Bevölkerung zu ihrer Vergangenheit als einzigartig österreichisch darzustellen, und gemeint ist damit eine Abqualifizierung. Vielleicht deswegen kommen einem einige möglicherweise nicht ganz dem mainstream entsprechende Gedanken in den Sinn. Ist, vom Standpunkt eines nationalbewußten Österreichers, die Art der Aufarbeitung immer 35 NZZ, 22. August 1995: "Delikater Besuch Königin Beatrix in Indonesien. Holland zwischen kolonialem Schuldgefühl und Veteranentrotz." 153 besonders glücklich? Es ist ja eine recht dialektische Angelegenheit. Für "Bilder der Konstruktion einer österreichischen Identität" ist das "Konstruktionsprinzip nicht zuletzt die Ausklammerung des Beschämenden" (Petschar/Schmid 1990, 13). Das allerdings ist keine österreichische Spezialität. Schon Ernest Renan (1992 [1882]) - siehe oben - hat darauf hingewiesen. Dieses von ihm angesprochene Vergessen und der "Irrtum", man kann auch sagen: die konstruierte Geschichte, ist selbstverständlich in mehrerer Hinsicht problematisch. Das Verschweigen und die Verfälschung der eigenen Geschichte ist ja keine akademische Angelegenheit allein. Sie hat sich darüberhinaus - wie konsequente Verdrängung immer - als nicht besonders zielführend erwiesen. Wenn man allerdings die Verdrängung als individuellen tiefenpsychologischen Mechanismus nennt - und dies ist berechtigt, weil es sich nicht nur um eine Analogie handelt, sondern weil sich die "Vergangenheitsbewältigung", wie soziale Wahrnehmung und die Aufarbeitung dieser Wahrnehmung immer, letztendlich auf der individuellen Ebene konkretisiert - , so muß daran erinnert werden, daß sie ein fundamentaler Prozeß psychischer Integration ist. Jeder Mensch verdrängt vieles aus seiner Vergangenheit. Nicht Verdrängung an sich, sondern mißlungene Verdrängung führt zur Neurose. Eine andere Seite der Sache ist es somit, wenn man bei nicht wenigen jener, die sich an der Aufarbeitung heute beteiligen, einen regelrechten Österreich-Haß feststellen muß. Das erinnert an den Selbsthaß, wie er etwa von Wilfried Daim paradigmatisch an Adolf Hitler diagnostiziert wurde, und wie er, in weniger pathologischer Form, tatsächlich nicht selten bei "Deutschen" (Deutschnationalen) in der Monarchie ebenso wie in der Ersten Republik, und manchmal auch noch in der Zweiten, auftrat. Und die Diktion der hier gemeinten Gruppe - die noch besprochen wird erinnert in sehr unangenehmer Weise an die haßerfüllten Ergüsse französischer Faschisten Ende der 30er und Anfang der 40er Jahre gegen ihre eigene Nation, an Drieu la Rochelle, Charles Mauras oder Robert Brasillac, die in ihrem Haß gegen die französische ohnehin höchst unvollkommene Demokratie die Niederlage gegen Nazi-Deutschland feierten. Schließlich sollte man nicht vergessen: In der so hart kritisierten Haltung des "Vergessens" und "Verdrängens" manifestiert sich auch eine Distanzierung von der eigenen dunklen Vergangenheit. Sie ist also nicht nur Scham, sondern auch der psychische Ausdruck für eine andere politische Wahl, die tatsächlich zur Grundlage der österreichischen Nation bis nahe an die Gegenwart wurde: Die (s. u.) auch schon auf eher dümmliche Weise kritisierte Option "Kleinstaat Österreich" stand dem NS-Wahnsinn mit seinem Versuch einer Weltherrschaft diametral gegenüber. Auch die Externalisierungs-These kann auf diese Weise gesehen werden. Auch sie ist eine Facette der Annahme einer Kleinstaatenrolle. Insoferne ist die langsame Akzeptanz der Täter-Rolle in der Gegewart sogar eine zweischneidige Angelegenheit, denn sie drückt auch den rückwärtsprojezierten Wunsch, vor allem der politischen Klasse, aber auch mancher Teile der Bevölkerung, aus, doch noch einmal Teilhaber an der Großmacht zu sein, die damals aber eben vom Nazi-Reich und seinen Monstrositäten verkörpert wurde. In diesem ist Belang das vielleicht wichtigste Symbolereignis gegenwärtig die sogenannte "Wehrmachtsausstellung" und die Diskussion darum, aus der sich die politische Klasse vorerst sorgfältig heraushielt. Dieses neutrale Abseitsstehen wurde im Sommer 1996 allerdings in der Vorbereitung der Aufstellung nicht zufälligerweise in Kärnten gestört, nachdem die Ausstellung vorher bereits in Wien und Innsbruck ohne größeren Eklat zu sehen war. Dabei versuchten sich offenbar aus durchsichtigen Motiven einige Vertreter der ÖVP, vor allem der glücklose Ex-Parteiobmann und -Landeshauptmannstellvertreter Scheucher, durch besondere Ausfälligkeiten zu profilieren. Einen etwas anderen Charakter 154 trugen die Wortmeldungen einiger ehemaliger Spitzenleute der SPÖ Kärnten. Sie kommen bekanntermaßen aus dem "nationalen" Eck, wie man noch immer verhüllend den Deutschnationalismus und meist auch die nähere Umgebung des Nationalsozialismus in Österreich mancherorts bezeichnet. Damit sind sie persönlich betroffen und ließen die Gelegenheit, sich in Erinnerung zu rufen, auch nicht vorübergehen. Die jüngere Generation der Partei ließ sich aber vorerst davon nicht sehr beeindrucken, zumal sie bei diesem Thema die Bundespartei hinter sich wußte. Offensichtlich lassen sich allerdings mit solchen Themen nicht nur ältere Segmente der Bevölkerung aus der Reserve locken. Auch Teile der politischen Klasse, zumal, wenn sie selbst davon betroffen sind, verlieren die Contenance. In dieser Hinsicht liegen die Parallelen zum Fall Waldheim auf der Hand. Wie sehr dies gilt, zeigt sich nicht nur an den österreichischen Ausstellungen, sondern noch stärker in Bayern, wo dieselbe Ausstellung vonseiten insbesondere der CSU Reaktionen hervorgerufen hat, wie sie in Österreich allenfalls am Biertisch, kaum aber in der Öffentlichkeit geduldet werden. Die mitteleuropäische “Normalität” ist also für Österreich nur zu deutlich. Das Kennzeichnende an dieser Ausstellung ist imgrunde, daß sie nichts bringt, was in der Fachwelt nicht seit zwei Jahrzehnten anerkannt ist. Doch durch den Schritt aus der Fachwelt hinaus in eine Öffentlichkeit wurde eines der Schlüsselarrangements gestört. "Saubere Wehrmacht - verbrecherische SS", und irgendwo dazwischen die Waffen-SS funktioniert plötzlich nicht mehr zur Entlastung. Damit bricht der Schutzschild zusammen. 4.2 Provinzialismus versus Offenheit oder Zentrum gegen Peripherie? 4.2.1 Anschlußgelüste heute in der BRD und der Nachvollzug in Österreich Die deutsche Haltung gegenüber Österreich ist offiziell die eines befreundeten benachbarten Staates. Ganz so bruchlos lief dies aber nicht. Als sich schließlich Mitte der '50er die Neutralisierung Österreichs abzeichnete, reagierte etwa der deutsche Bundeskanzler Adenauer ausgesprochen giftig auf diese Politik. Was Wunder: Hatte er selbst doch eine Vereinigung Deutschlands, wie sie ihm in der Stalin-Note vom März 1953 angeboten worden war, abgelehnt und der Westintegration geopfert. Mit dieser vertanen historischen Chance war nicht nur die deutsche Geschichte der nächsten vier Jahrzehnte bestimmt. Auch die europäische Entwicklung war damit für diesselbe Zeit festgelegt, und in Wirklichkeit auch darüber hinaus. Interessant ist, daß dieses Adenauer'sche Bild des treulosen Österreich selbst in der Gegenwart noch (oder z. T. wieder) bei deutschen Historikern (Erdmann u. a.) auftaucht. Darüberhinaus gibt es in manchen journalistischen Kreisen immer wieder Versuche, Österreich zumindest national, wenn schon nicht staatlich, anzuschließen. Dies ist keineswegs ein Anliegen extremistischer Marginalkreise. Vielmehr hat sich zum Sprecher dieser nationalistischen Personengruppen die FAZ gemacht. In größeren Abständen bringt sie immer wieder ziemlich umfangreiche Artikel, welche belegen sollen, daß die Österreicher eben doch Deutsche seien. Diese Ansprüche basieren auf einem ziemlich altmodischen Sprachnationalismus. Und immer wieder spricht sie damit einen neuralgischen Punkt ihrer Leserschaft an; denn deren Reaktion besteht gewöhnlich in wochenlangen Stellungnahmen über Leserbriefe. Offenbar ist die nationale Selbständigkeit Österreichs noch immer ein Stachel im Fleisch großdeutschen Nationalismus'. Das letzte Beispiel fand ich in dieser Zeitung in der Ausgabe vom 22. Juli 1995: Reinhald Olt, Zumpf aus dem Latz. Sprechen Österreicher deutsch? In der Alpenrepublik feurige Debatten über die Nation und ihre Sprache. Schludrig geschrieben wie der Artikel ist, läuft 155 er auf ein einziges Argument hinaus: Es gibt keine österreichische Hochsprache, also auch keine österreichische Nation. Das Wort "national" in Bezug auf Österreich wird stets in Anführungszeichen gesetzt. 4.2.2 Die Frage der Sprache Dies bietet die Gelegenheit, auf die Mißverständnisse und oft genug auch die schlicht nachhinkenden Konzepte in der politischen und meist auch in der historischen Debatte zu nationalen Fragen hinzuweisen, wie sie zwar in der Sozialwissenschaft lang überwunden sind, in der allgemeinen Öffentlichkeit und teilweise auch in der Geschichtswissenschaft hingegen noch gang und gäbe sind. So findet sich in einem neu erschienenen Handbuch zur deutschen Geschichte (Fried 1994, 63) die Formulierung: "... die Sprache, das heute allein entscheidende Ordnungskriterium..." Ähnlich wird, ganz ähnlich, wie in diesem Zeitungsartikel, selbst in Fachpublikationen über die Sprachgeschichte offenbar aus einem nicht auszurottenden nationalen Egozentrismus die Entwicklung einiger westeuropäischen Nationalsprachen, des Niederländischen etwa, als ihre "Absonderung" vom Deutschen bezeichnet (Schildt 1976, 102). Doch aus der Analyse geht der Prozess ganz anders hervor: Das Niederländische entstand als eigene Hoch- und dann Nationalsprache, weil sich in diesem Gebiet aufgrund fortgeschrittener soziökonomischer Entwicklung früher als im späteren deutschen Raum ein "Ausgleichungsprozess" abspielte, also ein Prozeß der Vereinheitlichung und Standardisierung. Was sich also historisch "abgesondert" hat, war das später erst vereinheitlichte Deutsch als Hochsprache, das sehr spät (nämlich im 19. Jahrhundert) erst zur Nationalsprache wurde. Diese Korrekturen sind wesentlich, weil sie unmittelbar auch für den Prozess des österreichischen und des deutschen Nationenaufbaues gelten. Die österreichische Nation hat sich nicht "abgespalten", wenn man die große Masse des Volkes betrachtet - sie hat sich in einem sehr späten Vereinheitlichungsprozess aus vielen regionalen Komponenten neben einer deutschen (und italienischen, und schweizerischen, und tschechischen, ...) Nation entwickelt. Eine völlig andere Frage ist nun jene, welche die österreichische Variante der deutschen Sprache im Bewusstsein der Bevölkerung und als Symbol wirklich spielt. Darüber gibt es seit einiger Zeit eine zwar nicht reichliche, aber desto aufschlussreichere Literatur aus literatur- und sprachwissenschaftlicher Sicht (Adel 1964, Muhr 1995). Sie versuchen, das zu betonen, was insbesondere Literaten (und auch z. B. im zitierten Artikel der FAZ) nicht einmal begriffen, geschweige denn thematisiert haben. Man hat oft über den Terminus der „deutschen Unterrichtssprache“ in den Zeugnissen der Zweiten Nachkriegszeit gespöttelt. In Wirklichkeit wäre dieser Ausdruck, was immer die Motivation der Schulbürokratie war, eine analytisch sehr zutreffende Bezeichnung, ähnlich etwa dem „Rundfunk-Spanisch“ der lateinamerikanischen Ländern oder Ähnlichem des arabischen Raums. Deutsch ist eine plurizentrische Sprache, ähnlich wie Englisch, Spanisch, in deutlich geringerem Ausmaß auch Französisch – eine Sprache, deren Weiterentwicklung nicht von einem einzigen autoritativen Zentrum aus gesteuert wird, weil sie in mehreren Ländern verbreitet ist und dort jeweils den Status einer National- oder Staatssprache hat. Das Verhältnis zwischen diesen Zentren ist aber häufig unsymmetrisch. Man hat dabei DNationen (dominierende Nationen) und A-Nationen (andere) diagnostiziert. "D-Nationen betrachten ihre Nationalvarietäten im allgemeinen als Standard und sich selbst als Träger der Standardnormen.... Kultureliten der A-Nationen unterwerfen sich den Normen der DNationen... Die D-Nationen haben bessere Mittel als die A-Nationen, ihre Varietät durch den Fremdsprachenunterricht zu 'exportieren'. Das liegt an den Forschungsinstituten, an der 156 Kultur- und Sprachpolitik und an den Sprachlehrinstituten, die sich dort befinden" (Muhr 1996a, 36). Diese Situation finden wir mustergültig im Verhältnis zwischen Österreich und der BRD. Es gehört zu den Kennzeichen der Abhängigkeit, daß sie in der Regel nicht reflektiert wird. Im Gegenteil: Wer sich nicht fraglos nach den Außennormen richtet, wird ironischerweise als "nationalistisch" eingestuft, gegenwärtig schon ein fast bedrohliches Ettikett. "Hier wurden die Purifizierungsmaßstäbe des 19. Jhdts. als Maßstab genommen, die übrigens dazu geführt haben, daß das Deutsche auf sehr eindringliche Weise vereinheitlicht wurde. Es ist jener Zustand, um dessen 'Aufweichung' man sich heute Sorgen macht... Solche Skrupel kennen Sprecher dominierender Varianten kaum, ... Aber offensichtlich gibt es 'mächtige' und 'nicht so mächtige' deutsche Dialekte" (Muhr 1996b, 17f.). Die Ironie dieser Umstände liegt nicht zuletzt darin, daß dieser Anwurf selbst auf einer sprachnationalistischen Auffassung des 19. Jahrhunderts beruht, nämlich, es gäbe nur eine einzige, naturgegebene Variante einer Sprache. Darüberhinaus erstaunt die Naivität, wie hier ein Soziolekt, nämlich die präferierte Variante einer Intellektuellengruppe, zur allgemein verbindlichen Sprache erklärt wird, und das nach einer jahrzehntelangen Diskussion der Soziolinguistik, die sich hauptsächlich auf diesen Punkt konzentriert hat. Das österreichische Deutsch wird aufgrund einer mehrdimensionalen Abhängigkeitsbeziehung nicht nur von Deutschen, sondern auch von den meisten Österreichern als dialektal eingestuft - eine Frage kultureller Dependenz, die nicht zuletzt auf einer gerade im Literaturbetrieb ausgeprägten wirtschaftlichen Abhängigkeit beruht. Wer literarisch Gehör finden will, muß in einem deutschen Verlag publizieren. Die Folge ist: "Die derzeitige Diskussion um die Merkmale der Varianten des Deutschen [dreht sich] gewissermaßen im präskriptiven Korrekturkreis: Was kodifiziert wurde, erscheint in den Texten und was nicht kodifiziert ist, wird aus diesen entfernt," von den deutschen Lektoren nämlich (Muhr 1995, 210). Soziale Orientierung wird auch durch die Sprache als Super-Symbol vermittelt. Imgrunde verhalten sich nicht wenige der (zugegebenerweise nicht gar so bedeutenden) österreichische Literaten wie die assimilationsorientierten Mitglieder ethnischer Minderheiten, die nicht überangepaßt genug sich möglichst schnell ihrer eigenen Muttersprache und oft damit verbunden auch ihrer offenbar irgendwie gefürchteten Identität entledigen möchten. Es gibt auch Versuche, aus dem Sprach- und Sprechverhalten typenbildende Dispositionen und ihre Unterschiede zwischen Österreich und Deutschland abzuleiten: "Für das Verhalten in Kommunikationssituationen lassen sich bereits auf der Ebene der Gesprächsvorannahmen Unterschiede feststellen. In Österreich sind die Fakten Personalisierung, Hierarchisierung, Harmoniehaltung, Gesichtsbewahrung, Situationshandeln, Normenambivalenz, Wirklichkeitsmanipulation und Humor wichtige gesprächssteuernde Elemente. Dem stehen in Deutschland Sachbezogenheit, Konstanz, Wirklichkeitsüberhöhung und Ernsthaftigkeit als handlungsleitende Vorannahmen gegenüber. Auf einer noch tieferliegenden Ebene Alterorientierung und Personenorientierung als zentrale Handlungskategorien annehmen, d. h. daß Ausgehen von / Einbeziehen der Wünsche(n) des anderen, bei gleichzeitiger Zurückhaltung mit eigenen Forderungen und Schützen des Gesichts des anderen wichtige Kulturstandards darstellen. Bei (west-) deutschen Sprechern kann demgegenüber archetypisch die Egoorientierung und Sachorientierung als zentrale Handlungskategorie vermutet werden.... Auf österreichischer Seite ergibt sich daraus das zentrale Ziel der Konfliktvermeidung, Harmonieerhaltung sowie nur verdecktes Äußern von Kritik und indirektes (ironisches) Abwertungsverhalten. Besonders westdeutsche Sprecher neigen dagegen viel eher zu offener Konfliktaustragung, Norm- und 157 Zielerhaltung, zu offen geäußerter, direkter Kritik und zu direktem Abwertungsverhalten" (Muhr 1995, 230 f.). Trotz einer vorwiegend nichtsprachlichen Definition der eigenen nationalen Identität, trotz eines weitverbreiteten Unbehagens gegenüber sprachnationalistischen Einstellungen in Österreich machen aber nicht wenige Österreicher auch an ihrer Sprache, am österreichischen Deutsch, die Abgrenzung gegenüber den Deutschen fest. In einer soziolinguistischen Untersuchung kommt dies sehr deutlich heraus: "Danach wird von der Mehrheit der Interviewten eine eigene Hochsprache angenommen und häufig auch mit der nationalen Eigenständigkeit Österreichs in Verbindung gebracht... Von der Mehrheit (ca. 90 %) der Befragten wird eine scharfe Trennung zur Bundesrepublik vollzogen, selbst was die Sprache des Burgetheaters betrifft... Das Österreichische wird aber generell positiver eingeschätzt als die Sprache in der BRD" (De Cillia 1995, 6). Wenn man in Betracht zieht, daß eben das österreichische Deutsch als D-Sprache zu sehen ist, wäre dies selbst von der Warte eines Nationen-Theoretikers, der analytisch stets gegen den Fetisch Sprache als Kernbereich nationaler Existenz aufklärend wirken möchte, verständlich: Es ist eine Stellungnahme gegenüber den Einvernahmungs- und Dominanzversuchen, die sich hier ausdrückt. Wie sehr Sprache in einer vom Sprachnationalismus bestimmten Debatte verknüpft sein kann mit unterschiedlichen politischen Projekten und es oft auch ist, zeigt die Entwicklung aus einer anderen kleinen europäischen Nation. In Norwegen gibt es heute noch zwei unterschiedliche Schriftsprachen, die offiziell gleichberechtigt, jedoch äußerst umgleichgewichtig verteilt sind: das Nynorsk und das Bokmål. Das Nynorsk entstand im 19. Jahrhundert im Zuge einer nationaldemokratischen Bewegung, die schließlich zur norwegischen Unabhängigkeit führte. Das Bokmål als in Norwegen gesprochenes Dänisch war die Sprache der Mittel- und Oberklassen in den Städten (Haugland 1980), man könnte auch ohne weiteres sagen: der Kompradorenbourgeoisie. Das Landsmål als die Grundlage der neuen Sprache, die auf westnorwegischen Dialekten aufbaute, war die Sprache der weniger geschichteten Gesellschaft dieses Landesteiles und wurde auch zu einer entscheidenden Cleavage im Parteiensystem, weil es von den politisch modernisierenden Kräften gegen die Konservativen gestützt wurde. Tatsächlich bedeutet das Jahr 1885, als die Nationalversammlung die Gleichberechtigung der neuen Schriftsprache beschloß, einen Wendepunkt. Allerdings ist es kennzeichnend, daß heute von 4 Fünftel der Bevölkerung die alte Schriftsprache benutzt wird: Zwar haben die Liberalen und die in dieser Frage nur wenig engagierten Sozialisten politisch reüssiert. Die großbürgerliche und patrizische Hegemonie in den alten Zentren, vor allem Christiania / Oslo blieb doch erhalten. 4.2.3 Burgtheater – Großmythos und Kulturkampf In Zusammenhang mit der Auseinandersetzung um das österreichische Deutsch und seinen komplexen Symbolwert steht auch ein anderer kulturpolitischer Kampfkomplex, der allerdings insgesamt noch einmal wesentlich komplexer und vielschichtiger ist, nicht zuletzt, weil sich dabei wiederum die unterschiedlichen Perspektiven eine Auseinandersetzung liefern. Das Burgtheater, gegründet als Hoftheater, ist eine der Austragungsstätten eines innerösterreichischen Kulturkampfes, in dem sich die unterschiedlichsten Motive mischen. Da ist zum einen der Versuch, mit der Fortführung der Hoftheater-Tradition jene geistige "Großmachtstellung" und jenen "geistigen Imperialismus" genüge zu tun, von dem weiter vorne schon die Rede war, und der einen Ersatz für die politische Großmachstellung bilden sollte. Doch da hinein spielen auch die Inhalte, die in einem Theater klarerweise nicht zu158 letzt in der Form bestehen. Die alte Form (manche sprechen von einem "SchauspielerTheater") symbolisiert die schon lange überwundenen Inhalte. Schließlich spielt auch das Verhältnis Deutschland - Österreich hinein, und zwar gar nicht am Rande. Was allerdings diese Auseinandersetzung transportiert, ist weniger offensichtlich. Hier muss man daran erinnern, dass nicht wenige Auseinandersetzungen mit dem "Preußentum" nach dem Kriege einigen Modernisierungsmaßnahmen galt, welche die Nazis in Österreich implementiert hatten. In der Abwehr des "Deutschen" finden wir also auch das Motiv eines Antimodernismus wieder. Nationale Identität wird in diesem Zusammenhang eingesetzt, um die bedrohte Stellung einer bestimmten Personengruppe und damit jene der von ihr repräsentierten Schicht zu verteidigen - etwas, was ja gar nicht so selten vorkommt. Man könnte dies im Grunde für eine groteske Überschätzung des Potentials eines mittelmäßigen Kulturbetriebs halten. Doch da nun einmal diese Arena als Schauplatz der Auseinandersetzungen gewählt wurde und dient, ist es eine politische Symbolauseinandersetzung wie andere eben auch, von nicht mehr, aber auch von nicht weniger Gewicht. In diesen Auseinandersetzungen spielt sich zeitverschoben wieder und wieder das ab, was bereits oben (3.3.2) für die Bewältigung der neuen Situation in der Nachkriegszeit gesagt wurde, und was auch gerade im Abschnitt über die Sprache nochmals anklang: "Im Zeichen des demokratischen Neubeginns sah sich 1918 die Erste und nach 1945 die Zweite Republik gerade aus der Not der Kleinstaatlichkeit auf den überkommenen konservativen Kulturbegriff verwiesen. Als Kulturgroßmacht, als 'Geisteskontinent' (Friedrich Heer), ja als wahrer Erbe des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation ließ sich die politische Zurücksetzung wenigstens halbwegs verschmerzen. Bis heute prägt denn eine Mischung aus Unterlegenheitsgefühlen und Größenphantasien die kulturelle Identität Österreichs insbesondere gegenüber Deutschland. Und generell hat, was 'das Ausland dazu sagen [wird] (Egon Friedell), für die Seelenlage der Nation eine eminente Bedeutung... Die Gründung der Salzburger Festspiele 1920 ist ganz der Idee eines überzeitlichen österreichischen Wesens und Menschentums in Musik, Theater und Literatur verpflichtet, und auch die Bregenzer Festspiele knüpfen 1946 an die geistige Mission Österreichs an." Der dies schreibt, ist der Kulturredakteur erst recht wieder einer einflussreichen ausländischen Zeitung – diesmal allerdings einer, welche aus einer Nation kommt, die mit ihrer Kleinstaatenrealität bislang nicht die geringste Schwierigkeit hatte, ganz im Gegenteil, sie stets als Vorteil sah: Es ist die Neue Zürcher Zeitung.36 Die Ironie mag darin liegen, dass gerade diese Zeitung – zusammen mit der von ihr sonst so bekämpften Schweizer Sozialdemokratie – zur Wortführerin einer Strömung geworden ist, die im Gleichschritt mit dem Zeitgeist nun doch mit dem bisherigen nicht nur bescheidenen, sondern auch komfortablen Status der Schweiz nicht mehr zufrieden ist und unbedingt eine verstärkte Außenabhängigkeit will. 4.2.3 Personalisierung: Robert Menasse oder Erwin Ringel – eine Alternative? Der Essayist und Romancier Robert Menasse steht hier eher zufällig, weil er einen bestimmten Typus des österreichischen Literaten verkörpert. Es könnte genausogut Gerhard Roth oder Nils Jensen oder André Heller sein. Schon differenzierter argumentiert etwa Josef Haslinger. Menasse ist jene politische etwas unbedarfte Figur, nicht mehr ganz 36 Der zitierte Text findet sich in der Einführung zum Kulturteil einer umfangreichen und durchaus qualitätsvoll gestalteten Beilage mit dem Datum des 30. Mai 1996. Die sonstigen Beiträge des kulturell-feuilletonistischen Abschnitts sind zum erheblichen Teil von Österreichern geschrieben (u. a. von: W. Müller-Funk, Rudolf Haller, R. Burger, B. Tschofen, u. a.). 159 jung, aber sicher noch nicht alt, der an den Verhältnissen leidet, oder dies zumindest vorgibt. Ein Schriftsteller-Kollege, Antonio Fian, ironisiert (Standard, 20./21. Mai 1995): "Möglich ist auch, daß Roth, Measse usw. etwas durcheinanderbringen, daß sie, deren Karriere zeitlich zusammenfällt mit der Blüte der Sozialdemokratie in Österreich, deren Krise, vielleicht Niedergang verwechseln mit dem Untergang der Republik." Diese Figur des Literaten gibt es überall. Auch die Klage über die Verständnislosigkeit der "Masse" ist überall zu hören - sie bedeutet übrigens etwas anderes, als oberflächlich gesagt wird: Diese "Masse" ist gewöhnlich jener überwiegende Teil der Elite, zu der man selbst gehört, die einem jedoch die Anerkennung versagt.37 Die österreichische Besonderheit besteht auch nicht in der Illusion, daß es anderswo grundsätzlich besser sei. Auch diesen Topos finden wir auf der ganzen Welt. Die Besonderheit besteht in der Aggressivität, mit der das eigene Unbehagen und Ungenügen nicht sosehr anderen oder der Gesellschaft im allgemeinen (wie z. B. in den 60er und 70er Jahren), sondern einer ganz bestimmten nationalen Gesellschaft als solcher angelastet wird. Hören wir den Originalton: "'Österreichische Identität' - dieser Begriff hat etwas von einem dunklen und muffigen Zimmer, in dem man, wenn man aus irgend einem Grund eintritt, sofort die Vorhänge beiseite schieben und das Fenster öffnen möchte... Wieder leben wir in einer Endzeit... Kein Land der Welt hat sich selbst öffentlich so wenig problematisiert und grundsätzlich reflektiert, wie die Zweite österreichische Republik... Meines Wissens ist die Zweite Republik Österreich der einzige Nationalstaat, der sich zu seiner Nationswerdung entschlossen hat, und, das ist gewiß einmalig, dessen Nationswerdung wesentlich außenpolitische Gründe hat..." Und natürlich darf auch der Angriff auf die "Kleinstaaterei" nicht fehlen; usw. (Menasse 1992, 7, 8, 12, 18). Hanisch (1996, 141 f., 143) nennt dies in ironischer Anlehnung an die seinerzeitigen Fastenpredigten und "Volksmissionen" die "große Predigt über die Zweite Republik" von Menasse, Haslinger, Roth, Fleck, Beckermann,...: Die Unfähigkeit, Handlungsspielräume, strukturelle Zwänge und Motivation der Menschen in einer bestimmten historischen Situation korrekt zu analysieren, dafür die selbstgerechte Rückprojektion der gegenwärtigen Zeitstimmung, des aktuellen Diskurses, der eigenen individuellen Befindlichkeit auf die Vergangenheit. Die Unfähigkeit, komplexe Gemengelage adäquat zu begreifen, Widersprüchlichkeiten und Ambivalenzen genau aufzuschließen, eine erschreckende historische Halbbildung, die sich der Mühe der Analyse entzieht und mit einigen flotten Sätzen über die Probleme hinweg tänzelt... Der Selbsthaß heute erodiert die demokratischen Grundlagen der Zweiten Republik." Karl-Markus Gauß drückt es im selben Sinne, jedoch kürzer und prägnanter aus: “Was mich an den modischen Verächtern Österreichs so stört, ist, daß sie im Grunde dasselbe Bild von Österreich haben, wie die alten Verklärer Österreichs. Nur drehen sie die Wertung um. Ihr ganzes kritisches Vermögen ist auf diese Fähigkeit geschrumpft, dasselbe zu sagen, aber es mit anderen Vorzeichen zu versehen” (in: Salzburger Nachrichten, 22. November 1997). Das, was so seltsam anmutet, ist, daß in diesen Ergüssen die konkreten Probleme kaum zur Sprache kommen, sondern zum einen ein eher abstrakter Begriff - "österreichische Identität" geprügelt wird, und zum anderen eine Fülle von Halbwahrheiten und tradierten Gemeinplätzen angehäuft werden. Noch einmal Fian: "Sie sind Österreicher, wie von 37 Das hat man auch manchmal direkt ausgesprochen: "... die Masse, die nicht nur in den untersten Schichten aufzusuchen ist...", wird Bruno Bauer in der "Heiligen Familie" zitiert, MEW 2, 142. 160 ihnen selbst beschrieben: in keiner Rolle sich wohler fühlend als der des Opfers, ... opportunistisch, voll vorauseilendem Gehorsam" gegenüber dem anvisierten deutschen Publikum. Was hier also stattfindet, ist keineswegs "Vergangenheitsbewältigung" - es ist Fetischisierung nicht nur dieser Vergangenheit, sondern auch der Gegenwart. Es ist die Fortsetzung des "Schwarzen Mythos" Österreich, den es seit spätestens dem Vormärz gibt. Das Ergebnis ist Gegenaufklärung und nicht Bewußtsein. Die Rationalität geht vollständig verloren. Es bleibt einzig eine ziemlich dumpfe Emotion. Es gilt hier, was ein durchaus wohlwollender Rezensent ziemlich ironisch über Gerhard Roth geschrieben hat: "Statt das österreichische <Zwillingspaar 'Lüge und Wahrheit'> auseinanderzudividieren, reproduzieren sie [Roths tagespolitische Stellungnahmen] es. So erscheint Roth als Teil des Problems, das er mit beträchtlicher und dennoch unzureichender Tiefenschärfe analysiert... Da ist, gemessen am aufklärerischen Anspruch, oft gar viel Rhetorik dabei, ... [eine] eigentümliche Mischung aus Sensibilität und Borniertheit" (A. Breitenstein, in: NZZ, 17. 8. 1995). Das Erstaunliche daran ist, daß dies offenbar die Befindlichkeit einer gewissen intellektuellen Öffentlichkeit trifft. Nun wäre dies prinzipiell das Problem dieser Öffentlichkeit selbst. Nachdenklich macht allerdings, daß diese Strömung mit einer benennbaren politischen Strömung zusammentrifft, die keineswegs vernachlässigbar ist, und die gegenwärtig auf die Aufgabe österreichischer politischer Eigenständigkeit abzielt. Der Aufruf zum neuerlichen "Anschluß", im Frühsommer 1995 von diesem selben Menasse erhoben und vermutlich ursprünglich nicht mehr als eine billige Provokation, bekommt im Lichte dessen eine neue Qualität. Besser verständlich wird Menasses antiösterreichischer Affekt, wenn man ihn gegen die Ausführungen einiger - nennen wir sie: apologetischer - "Österreich-Theoretiker" stellt, die eine gar zu naive Version des "Goldenen Österreich-Mythos" pflegen, der seinerseits bereits in die Endzeit der Monarchie zurückgeht - und zwar nicht zu den geistig fruchtbarsten Intellektuellen damals. Meist schon älter und nicht selten hochdekoriert, läßt sich ihre Haltung als "Österreich wie es ist über alles" zusammenfassen. Als Beispiel für diese Gruppe kann Erwin Ringel stehen. Auch hier ist die Auswahl in dem Sinne zufällig, daß durchaus andere Namen stehen könnten. In einer Mischung aus einigen popularisierten Begriffen der Psychoanalyse, erhobenem Zeigefinger und Unterwürfigkeit gegenüber Teilen der politischen Klasse geht jeder Ansatz zur Kritik unter. Auch hier wird der Originalton besser als jede langatmige Ausführung die Sache erhellen. Die Passagen stammen aus Ringels letzter Publikation, doch die Argumentation war zehn Jahre früher (Ringel 1984), als die Formulierungen noch nicht im selben Maß durch das fortgeschrittene Alter gekennzeichnet waren, nicht grundlegend anders: "Es geht uns gut und wir können zufrieden sein... Politikverdrossenheit ist eine Art Krankheit... [Nichtwähler] begehen ein extremes Unrecht." - Die "Kritiker und Verteufler von Politik und Politikern [bringen] sicherlich keine Verbesserung". - In Österreich gibt es die "grauenhafte Tendenz", von Politikern immer mehr zu verlangen, "auf der anderen Seite aber ihre Gehälter immer mehr reduzieren zu wollen". - Politiker, "verhaltet euch so, daß ihr liebenswert seid!... Man muß dem Kind und dem Bürger immer wieder von neuem die Motive des eigenen Handelns erklären", usw. (1993, 23, 25 und 24, 32 und 31). Dieses Sammelsurium von unbedingter und kindlicher Verteidigung einiger politischer "Väter und Mütter", wie es derzeit sicherlich kein Partei-Funktionär mehr in der Öffentlichkeit auszusprechen wagen würde, wird unter dem Stichwort der "österreichischen Identität" ausgeboten. Es ist nicht so unähnlich wie in der Ersten 161 Republik: Wenn die jedes kritischen Blickes gegenüber der Macht entbehrenden Vertreter des status quo ihre Haltung mit dem Vokabel "österreichisch" maskieren, kann dies nur zur Ablehnung bei allen führen, die diesem status quo nicht völlig unkritisch gegenüberstehen. Auch hier wird der Charakter der (nationalen) Identität als politisches Projekt wieder ganz offensichtlich. Daß dieser Begriff damit diskreditiert und von jüngeren und weniger saturierten Geistern als "muffig" empfunden wird, kann nicht verwundern. 4.2.4 Die Gegenstimmen Eine Möglichkeit der Reaktion findet sich, wenn sich das Ringelspiel weiter dreht und auf Grund solcher wenig qualifizierten Österreich-Beschimpfungen andere wiederum zu einem eher unkritischen Österreich-Bild kommen, wo sie sich - nicht zuletzt im Hinblick auf das "Ausland", vor allem "Amerika" – zur Apologie verpflichtet fühlen: "Die mangelnde Aufarbeitung [der Nazi-Vergangenheit – Anm.]... ist nun buchstäblich aus den Fingern gesogen. Alle Publikationen, Radiosendungen, Parlamentsdebatten und politischen Diskussionen setzten sich nach dem Krieg intensivst mit dem Nationalsozialismus und seinen Verbrechen auseinander" (Butschek 1996, 19). Das ist ein bißchen naiv, weil es natürlich auf die Art der Auseinandersetzung ankommt. Es wird darüberhinaus schrecklich, wenn die Anzahl der Todesurteile als Indikator für die gelungene Entnazifizierung herangezogen wird. Es gibt allerdings mittlerweile auch qualifizierte Wortmeldungen, und d. h., daß eine Debatte in Gang kam, die nicht mehr nur auf der einen Seite völlig unkritische "Kritiker" und auf der anderen Seite Apologeten à la Ringel sieht. Ein gewisses Aufsehen erregte Holzer (1995), zumal ihr Buch in einem bekannten Publikumsverlag erschien, was auf eine vergleichsweise hohe Auflage schließen läßt. Nach einer Auseinandersetzung mit deutschen Anschlußgelüsten unterschiedlichster Provenienz, doch ziemlich gleichbleibenden Tones - "von deutschen Tönen hellhörig gemacht begann ich österreichische Töne verstärkt wahrzunehmen" (S. 45) – , nimmt sie die Herausforderung jener ÖsterreichBeschimpfer auf, von denen vorhin die Rede war. Sie nimmt den Ausdruck Fians vom "gnadenlos Guten" auf und weist dessen Anmaßungen zurück, insbesondere den Anspruch auf das Monopol in "Vergangenheitsbewältigung" und die maßlose und damit schon wieder nicht eben intelligente Überschätzung der österreichischen Rolle in der Genese von Antisemitismus und Nazismus: "Solche österreichzentrierten Beobachtungen setzen die Außerachtlassung der übrigen Welt sowie die Geschichte der Juden in (Alt-) Österreich und insbesondere in Wien voraus... Die Entdeckung späterer Generationen, daß es viele österreichische Täter gab, und ihre Schlußfolgerung, daß man ihnen dies bisher verheimlicht habe, und alle Untaten angeblich ungesühnt blieben, beruht aber einzig und allein auf Ignoranz, zumindest aber selektiver Wahrnehmung der Nachkriegsgeschichte" (S. 79, 120). Und nach einer langen und gutdokumentierten Auseinandersetzung benennt sie präzis Wirkung und Funktion: "Das gnadenlos Gute beschreibt aber nicht die Krise; es ist selbst Teil davon. Es ist Ausdruck und Motor eines Komplexes, der, gewiß unwillentlich und unwissentlich, Widerstandskräfte schwächt. Wer Grundfesten österreichischer Existenz als Lügen und Mythen in Frage stellt, bewirkt nicht Besinnung, sondern verstärkt Fluchttendenzen und Orientierungslosigkeit... Ich halte es aber mit dem österreichischen, vor den Nazis geflohenen und in der Fremde des amerikanischen Exils gestorbenen Schriftsteller Anton Kuh, der österreichische und andere Gespenster bereits sah, als sie noch nicht in SS- und Wehrmachtsuniformen auftraten... Zu ihnen zähltn die Geringschätzung, bestenfalls halb162 herzige Verteidigung des angeblich allzukleinen und provinziellen Österreich als lebensunwert, unrealistische Träume von kulturellen und anderen Missionen, Deutschnationalismus, Intoleranz, Autoritätsgläubigkeit, Duldung und Förderung einseitiger Abhängigkeit, insbesondere von Deutschland, Mangel an politischem Grundkonsens und Demokratie, österreichischer Minderwertigkeitskomplex und deutsche Maßlosigkeit" (137, 55f.). Dies scheint einige der Beteiligten ins Weiche getroffen zu haben. Die Antwort ist völlig unsachlich und besteht imgrund aus dem Schimpfwort "Hobbyzeithistoriker" (Rathkolb 1996, 128), das man dem nichtkonformen Kritiker, in diesem Fall Butschek, entgegenschleudert, und dem Vorwurf, sich inhaltlich mit Haider zu treffen. Auch Anton Pelinka greift in einer Buchbesprechung zu Holzer (ÖZP 3/1995, 360f.) in dieselbe Schublade, wenn er ihr entgegenhält: "Hat Holzer sich einmal gefragt, wie ein Herr Nimmerrichter wohl über ihre Polemiken denkt, die sich ja mehr oder weniger gegen dieselben richten, die regelmäßig in der Kronen-Zeitung fertiggemacht werden?" Der Hinweis, daß "keiner dieser Bezüge mit einer Quellenangabe belegt" und daher "methodisch fragwürdig" sei, ist entweder unrichtig - denn das Buch wimmelt von solchen Angaben - oder aber polemischunfair, weil er von einem auf ein großes Publikum gerichteten Sachbuch ja wohl nicht im Ernst eine formale Zitierweise nach willkürlichen Regeln irgendeiner Fachwissenschaft erwarten wird.38 Zu Recht meint Matzner (1996), daß man mit dieser Form der Auseinandersetzung die Ebene der berechtigten Gegenkritik verläßt und in die Pauschaldenunziation abgleitet (im Rahmen der Auseinandersetzung in der Europäischen Rundschau vgl. auch Washietl 1996). 4.2.5 Reflexion und Konsequenzen Nationale Identität ist nicht erst heute eine ambivalente Erfahrung. Sie wurde jedoch in der Zwischenzeit zu einer Exhortation, der man mit Mißtrauen begegnet. Nationale Identität als intellektuelle Phantomidentität muß sich die Frage gefallen lassen, ob sie die entsprechende Antwort auf die Herausforderungen zeitgenössischer Gesellschaften ist. Beladen mit der wahrhaft schwer zu (er)tragenden Tradition so vieler toter Geschlechter, von denen nicht wenige getötet wurden, ist sie manchen zu belastet. Offen bleibt aber die Frage, was an ihre Stelle treten könnte. Gibt es bereits eine neue Qualität jener Erfahrung des "Gleich-Seins", die genügend Integrationskraft hat, um die Gesellschaften zusammen zu halten? Supranationale Tendenzen in Westeuropa als Vorspuren einer nachnationalen Gesellschaft sind erst recht wiederum intellektuelle Konstrukte, welche nicht die Erfahrungen und auch nicht die Bedürfnisse eines Großteils der Bevölkerung wiedergeben. Die Bedürfnisse der Intellektuellen sind zu respektieren. Eine andere Sache ist es, diese Bedürfnisse einer widerstrebenden Bevölkerung aufzudrängen. 4.3 Großmachtträume versus Kleinstaatenrealität Viele österreichische Politiker der Zweiten Republik haben die Eigenschaft des wiederentstandenen Staates als "ein kleines Land" in den Vordergrund gestellt. Das war nicht nur als faktische Aussage über die Bevölkerungsanzahl oder die militärische Macht des Landes gemeint, sondern als ein politisches Programm. Österreicht hat "sich aus der 38 Daß natürlich auch einmal ein Fehler vorkommen kann - ich denke dabei an die Nennung Hermann Langbeins unter den polemischen Österreichkritikern - , ist eine Selbstverständlichkeit und sollte gerade von jemendem nicht überbewertet werden, der selbst viel publiziert und damit auch dem Risiko von Fehlern ausgesetzt ist. 163 Geschichte herausgeschwindelt." Diese Aussage allerdings ist - jenseits ihrer pejorativen Formulierung - nur für eine gewisse Zeit richtig, nämlich für die Ära Kreisky und hier wieder insbesondere für das, was man "aktive Neutralitätspolitik" genannt hat. Das eigentliche Problem war lange Zeit das Gegenteil. Die Frage der Größe eines Staates ist tatsächlich ein erstrangiges demokratiepolitisches Problem. Es geht um die Dialektik zwischen der Notwendigkeit von Größe und Macht als wesentliches Element einer "Sicherheitsgemeinschaft" und der für effektive und nichtentfremdete (bzw. entfremdende) Partizipation erforderlichen zahlenmäßigen Beschränkung, deren kritischer Schwellenwert mit Sicherheit erheblich unter dem unteren Schwellenwert für eine funktionierende Sicherheitsgemeinschaft liegt. Es geht also um die Vereinbarkeit von innerer Selbstbestimmung, dem demokratischen Kernelement par excellence, und äußerer Unabhängigkeit. Dieser Antagonismus ist keineswegs neu und wurde viel diskutiert. Schon Hume (1985, 255)rühmt die Großmacht wegen ihres Beitrags zur allgemeinen Sicherheit: "Private men receive greater security, in the possession of their trade and riches, from the power of the public." Die beste Zusammenfassung aller Argumente, welche für größere Ausdehnung und mehr Macht sprechen, finden wir in dem gegenwärtig für Europa überaus aktuellen klassischen Text, der vor 200 Jahren als "Federalist Papers" (Rossiter 1961) bekannt wurde. Die Gegenargumente finden wir nicht nur in den Rousseau'schen Texten, sondern auch in jener breiten und diffusen zeitgenössischen Strömung, welche wir ein wenig belächelnd unter dem Slogan "Small is beautifull" zusammenfassen, und für welche der Name des Österreichers Leopold Kohr zu einem Symbol wurde. Den Verfassern der "Federalist Papers" ging es um den Aufbau eines souveränen Staates aus 13 sehr viel kleineren Einheiten, mit Karl W. Deutsch' Worten, um eine "amalgamierte Sicherheitsgemeinschaft". Ihre Argumente waren ziemlich einseitig militärischer Art, und auch der Ausdruck "Sicherheitsgemeinschaft" verleitet zu einer solchen Verengung. Doch in den Beziehungen zwischen modernen Gesellschaften und Staaten sind andere Aspekte von mindestens ebensolcher, wenn nicht von größerer Bedeutung. Die Frage der (äußeren) Abhängigkeit stellt sich heute zumindest im Westen vor allem als wirtschaftliches Problem. Diese Frage allerdings hat viele Facetten, und nur eine unter ihnen ist die Wirtschaftspolitik anderer Staaten. Wenn etwa das Unternehmen Mercedes Benz eine Umsatzsumme (1994) von DM 60 Mrd., der österreichische Bundeshaushalt aber im selben Jahr nur Ausgaben von etwas über öS 730 Mrd. hat, die weitgehend durch gesetzliche Bestimmungen gebunden sind, so bezeichnet dies ein Kräfteverhältnis. Es geht um den Spielraum von Politik überhaupt. Nicht umsonst heißt ein erfolgreiches Buch eines bedeutenden Ökonomen der letzten Jahrzehnte "Sovereignty at Bay" (Vernon 1971), also etwa: gefährdete Souveränität. Neben dem Konzept der amalgamierten bietet uns Deutsch auch noch jenes der "pluralistischen Sicherheitsgemeinschaft" an. Sie kennzeichnet sich dadurch, daß die Souveränität grundsätzlich nicht an eine höhere Ebene übertragen wird. Sie könnte eine Lösung für das Problem von Demokratie und Durchsetzungsfähigkeit anbieten. Da aber hier "Souveränität" natürlich nicht im Sinne des fetischisierten Begriffes der Jurisprudenz (oder einer konservativen Staatsphilosophie) verwendet wird, sondern einfach in jenem der autonomen Entscheidungsmöglichkeit und -fähigkeit, stellt sich wiederum die Frage nach der Gestaltung einer solchen pluralistischen Sicherheitsgemeinschaft. Auch sie kann bei einer Fehlkonstruktion der demokratischen Kultur im Wege stehen. Es ist jedenfalls die 164 vielleicht wichtigste und weitreichendste nationale Frage der Gegenwart, und zwar nicht nur in Westeuropa. Diese Frage wird in der Schweiz z. B. wesentlich gründlicher diskutiert als in Österreich. Doch interessanterweise war die Schweiz in einer Zeit Vorbild für Österreich, als sich diese Frage eher nicht in derselben Brisanz stellte wie heute. Ständige Gewaltandrohung gegen jene, welche nicht so wollen wie die Großmacht, ist eine Versuchung, der solche Mächte nie entgehen. In diesem Sinn sind sicherlich die USA heute weltweit die größte Gefährdung von Demokratie. Doch dies wird auf Dauer auch für das innere System gelten. Ständiger Gewalteinsatz ohne irgendeine (international) legale Rechtfertigung und die arrogante Verachtung von vertraglich vereinbarten Umgangsformen (“Völkerrecht”) in Kombination mit einem hochtechnisierten militärisch-industriellen Komplex können auf Dauer auch im Inneren nicht ohne Folgen bleiben. 4.3.1 Die ideologische Grundlage Es ist unter dem Blickwinkel des ideologischen Charakters nationaler Orientierungen nicht verwunderlich, wenn sich alle jene, welche einer österreichischen Identität nachgehen, auf Intellektuelle, gewöhnlich auf Schriftsteller beziehen. Doch gerade in Österreich ist dies nicht einfach. Hier kommt der Sonderfall dieses Landes zu tragen. Österreich und seine Nation wurde ursprünglich nicht aus einem solchen Mythos, aus einer "nationalen Idee" heraus konstruiert. Im Gegenteil: Jene, welche die Mythen produzieren, standen zum ganz überwiegenden Teil auf jener Seite, welche eine Zugehörigkeit der Österreicher zu einer "deutschen Nation" (die auch erst im Aufbau war) behaupteten. In diesem Sinn muß man also höchst wählerisch vorgehen, wenn man Zeugnisse eines Österreich-Bewußtseins etwa im 19. Jahrhundert finden will. Schließlich genügt es nicht, als Zeugnisse dafür eine zurückgebliebene literarische oder politische Kultur anzuführen - denn das ist es oft, was unter "österreichisch" verstanden wird. In der Folge sollen einige fundamentale Züge und Bruchlinien dieses und eines potentiellen alternativen Projektes dargestellt werden. Sie standen vom Anfang des österreichischen Nationalprojektes an zur Debatte. Doch sie reichen bis in die Gegenwart weiter und sind gegenwärtig sogar besonders aktuell geworden. 4.3.2 Intellektuelle und Macht - ein eindeutiges oder ein dialektisches Verhältnis? Nationale Identität ist essentiell ein intellektueller Begriff. Er ist gleich in mehrerer Weise ein Begriff von und für Intellektuelle. Wozu braucht "das Volk", d. h. jene, die nicht zur engeren herrschenden Gruppe gehören, eine nationale Identität? Eine selbstverständliche ethnische Alltagsidentität hat es ja. Diese gibt ihm jene soziale Identität, welche eine Schütz'sche "natürliche" Einstellung ist, und welche alle Menschen zu ihrer Orientierung in der Welt benötigen. Intellektuelle hingegen, und das gehört auch zur weiteren Semantik des Begriffes, haben eine platonische Tendenz, einen Geschmack für die Macht. Dafür benützen sie die Nationale Identität, geschrieben gewissermaßen mit Majuskeln, solange diese ihnen sinnvoll erscheint. Wenn sie auf andere Weise Macht erlangen können, können sie im Gegenteil auch andere Schlagwörter einsetzen - von der "internationalen" bis zur "europäischen Solidarität" . "Der nationale Streit zwischen Tschechen und Deutschen war mir bis dahin [1889] weder in Süd- noch in Nordmähren als eine besondere Gefahr für das Reich erschienen, da weder die Bauern noch die kleinstädtischen Bürger an ihm teilhatten, und was die studierten Leute trieben, war doch wohl nicht so bedeutungsvoll, daß es den Staat als Ganzes, wie damals in meiner Vorstellung lebte, berührt hätte." Renner 1946, 194 165 Was Intellektuelle also unter einer solchen Identität verstehen, ist üblicherweise somit sehr verschieden von dem ethnischen Selbstverständnis - man könnte auch formulieren: von der Selbstverständlichkeit des Ethnischen - der Volksschichten. Für sie ist nationale Identität eine Herrschaftsideologie und eine Herrschaftstechnik. Dementsprechend versuchen sie, anstelle der Alltagsidentität einen manchmal kunstvoll aufgebauten nationalen Mythos zustande zu bringen. Diese Mythen konkurrieren miteinander, oder es konkurrieren die Interpretationen eines allgemein akzeptierten Mythos. Hans Kelsen, Rechtspositivist und als jener, welcher den wichtigsten Entwurf der österreichischen Bundesverfassung geschrieben hat, ein einflußreicher Rechtspolitiker, war ein brilianter Jurist. Er war gleichzeitig allerdings ein Formalist mit wenig Verständnis für dialektische Entwicklungsprozesse. Ihm war jedoch die repräsentative parlamentarische Demokratie ebenso ein Herzensanliegen wie eine strikte Legalität als Sicherung der Freiheit. Und so raisoniert er über den Zusammenhang zwischen demokratischer Willensbildung, Verwaltung ("Legalität") und Demokratisierung: "Die Idee der Legalität gerät auf einer gewissen Stufe der staatlichen Willensbildung mit der der Demokratie in Konflikt" (1967, 22). Und: "Eine radikale Demokratisierung der durch die Dezentralisation gebildeten Mittel- und Unterinstanzen bedeutet geradezu die Gefahr einer Aufhebung der Demokratie der Gesetzgebung... Dem Willen der Glieder kann nur auf Kosten des Willens des Ganzen Spielraum gewährt werden" (23 und 25). Der sozialdemokratische Theoretiker hat hier die konservativen Eliten der österreichischen Bundesländer und Gemeinden vor Augen. Trotzdem geht er, der als eines der Hauptziele seiner "Reinen Rechtslehre" (des Rechtspositivismus) die Ideologiekritik bezeichnet (69), gleich in eine Reihe ideologischer Fallen: Er setzt einen einheitlichen "Volkswillen", "Allgemeinwillen" und damit wohl auch ein einheitlichesVolk voraus, anstelle zu erkennen, daß es durch institutionelle Zentralisierung erst konstituiert wird. Der Parlamentarismus ist der wichtigste Ausdruck dieses Prozesses und dieser Institutionen. Was die Demokratie betrifft, hat er wenige Seiten vorher das Geheimnis des Parlamentarismus ausgesprochen: Dieser soll "eine exzessive Überspannung der demokratischen Idee in der politischen Wirklichkeit verhindern" (19). So vermag Kelsen es nicht, die demokratische, d. h. herrschaftsmindernde, Funktion eines dezentralen politischen Aufbaues zu erkennen. Überhaupt betrachtet er in einer Schumpeter vorwegnehmenden Weise Demokratie ausschließlich als Mittel der Führungsauswahl und vermag nicht als wesentlichen Zug jenes System der sich gegenseitig kontrollierenden Teilinstitutionen (der "checks and balances") der Herrschaftsminimierung zu identifizieren. Dezentralisierung, etwa als Föderalisierung, ist eines der effizientesten Mittel im Rahmen jener "checks and balances". Wir haben schon früher darauf hingewiesen, daß lokale und regionale Eliten dies gleichzeitig oft als Instrument ihrer Machterhaltung zu benutzen versuchen. Das gehört nun einmal zur politischen Dialektik. Trotzdem bleibt das demokratische Potential der Dezentralisierung bestehen und wird mit erhöhter sozialer Partizipation auch in sich vergrößerndem Maßstab aktualisiert. Sein Zeitgenosse Carl Schmitt (1985 [1926]) war als beinharter Konservativer gleichzeitig realistischer und dogmatischer. Sein Dogmatismus lebt sich aus in einer Mischung von auf die Spitze getriebenem juristischen Formalismus mit einer hegelianisch-preußischen Geschichtsauffassung. Doch sein Realismus läßt ihn nach den Voraussetzungen von Parlamentarismus und Demokratie - die er formalistisch ebenso streng scheidet wie die "Diskussion" von der interessensgeleiteten "Verhandlung" - fragen. Und seine Antwort ist bei aller Überspitzung von höchstem Interesse für den Demokratie- wie den Nationentheoretiker. Unter Berufung auf Rousseau benennt er Homogenität der Staatsbürgerschaft als die erste Notwendigkeit. Doch die "Substanz der Gleichheit", der "politischen Homogenität", kann für ihn nicht im "liberalen Gedanken" der "Menschheitsdemokratie" bestehen: "In der Demokratie englischer Sektierer des 17. Jahrhunderts gründet sie sich auf die Übereinstimmung religiöser Überzeugungen. Seit dem 19. Jahrhundert besteht sie vor allem in der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Nation, in der nationalen Homogenität" (14). Hier zeigt sich der Realismus des konservativen Fundamentalisten mit der Hochwertung des Bestehenden ("alles, was besteht, istnützlich, nicht mehr und nicht weniger" - S. 7), dem er allerdings fundamentalistisch eine noch höhere Bewertung der platonischen Eliten aufsetzt: "Ob das Parlament tatsächlich die Fähigkeit besitzt, eine politische Elite zu bilden, ist sehr zweifelhaft geworden", polemisiert er gegen Max Weber (8). Doch gleichzeitig zeigt sich auch die Verhaftetheit in ganz und gar zeitgenössischen Konzepten, denn die nationale Homogenität ist ihm nicht etwa eine Homogenität der Grundwerte, wie sie auch Liberale wie Rawls nicht nur akzeptieren, sondern sogar voraussetzen. Sie ist ihm eine substantivierte Homogenität des Willens, die er auch und vielleicht noch mehr, formaljuristisch wahrscheinlich zu Recht, ausdrücklich auch Diktaturen 166 zubilligt, die damit in einer Verkehrung jeden Sinnes zu den besseren Demokratien werden: "In der Geschichte der Demokratie gibt es manche Diktaturen, Cäsarismen und andere Beispiele auffälliger, für die liberalen Traditionen des letzten Jahrhunderts ungewöhnliche Methoden, den Willen des Volkes zu bilden und eine Homogenität zu schaffen... Die Krisis des heutigen Parlamentarismus ... ist der in seiner Tiefe unüberwindliche Gegensatz von liberalem Einzelmensch-Bewußtsein und demokratischer Homogenität" (22 f.). Von hier zur Anerkennung der Notwendigkeit, den "Fremden" auszugrenze, "das Ungleiche, die Homogenität Bedrohende zu beseitigen" , ist kaum noch ein kleiner Schritt, und Schmitt wird ihn auch in der politischen Praxis gehen. Was uns aber hier mehr interessiert, ist zweierlei: (1) Die Homogenität der Grundwerte ist tatsächlich die Voraussetzung aller Prozeduren von Demokratie, wie wir sie bisher kennen. Nation als Projekt ist eine Formulierung, welche einen solchen dynamischen Prozeß und seinen Output benennt. Diese Formulierung weigert sich allerdings gleichzeitig, die Homogenität in irgendeiner zugeschriebenen Form, von der "Abstammung" über die Sprache bis zu symbolträchtigen Zügen der angeblich verbindlichen Alltags-Kultur, zu substantivieren. - (2) Doch die Realität dieser Notwendigkeit auch in ihrer zahlenmäßigen - aber nicht willkürlichen bzw. aufgedrungenen Form durch irgendeinen der genannten Faktoren - Beschränkung zu leugnen, ist Ausfluß von Wunschdenken. Wenn der Kreis der demokratisch Beteiligten den weitesten Kreis der "Mitmenschen" (Schütz) überschreitet, also jenen weitesten Kreis der möglichen Angehörigen einer Sinnund Zugehörigkeitswelt, wandeln sich vorher demokratische Prozeduren in solche einer aufgepropften volonté générale, wie sie Carl Schmitt so wohlwollend betrachtet. Ob die Agentur, welche diese Art von politischer Gleichheit in der homogenen Substanz herstellt, dann eine aufgeklärte Bürokratie ist, oder sogar ein aus allgemeinen Wahlen hervorgegangenes Parlament, ist dann nahezu gleichgültig. Beide werden nicht die Zugehörigkeitswelten der Bürger repräsentieren, die dadurch wieder in den Untertanen-Status zurück sinken. Die Völker (Bevölkerungsgruppen) des Habsburgerstaates realisierten dies, als man ihnen die Möglichkeit der Repräsentation gab. In der Gegenwart stellt sich das Problem neu in der Weise, wie politische EliteGruppierungen als gelehrige Schüler von Carl Schmitt (von der politischen Klasse bis zu einem erheblichen Teil der Intellektuellen) versuchen, ihre Zugehörigkeitswelten dem Rest der Bevölkerung aufzudrängen. Deren Zugehörigkeitswelten sehen ganz anders aus. Die Folgen für die Zukunft drängen sich aus solchen Reflexionen auf, wurden bisher aber weder konsequent durchgedacht noch auch in empirisch nachzuvollziehender Weise untersucht. 4.3.3 Noch einmal ein Rückblick Nach dem Ersten Weltkrieg zerfiel das Habsburger-Reich und dem heutigen Österreich wurde der Anschluß an das größere Deutschland verboten. Für die "Deutschen" der Monarchie wurde dies zum Schlüsselerlebnis im Hinblick auf die neue Republik. Das gilt keineswegs nur für die in der Monarchie politisch dominanten Konservativen. Auch die Sozialdemokratie versuchte ihre Desorientierung mühsam zu überspielen, indem sie von der "österreichischen Revolution" sprach und damit den Ereignissen in ihrer Rhetorik eine positive Wendung zu geben versuchte. Für den größeren Teil der Parteiführung, die völlig auf den Habsburgerstaat ausgerichtet gewesen waren, bedeutete dies aber nicht viel mehr als einen schwachen Trost und auch eine Selbsttäuschung. Ihr Gefühlshaushalt war völlig auf die Zugehörigkeit zur dominanten Nation des "Reiches" ausgerichtet gewesen. Nationen sind großgesellschaftliche Sinneinheiten, oder müssen dies jedenfalls binnen kurzem werden, wenn sie bestehen wollen. Das bedingt es, daß sie im Bewußtsein ihrer Angehörigen soziale und politische Bezugsgrößen sind, die deutlich abgegrenzte Einheiten darstellen. Für die politische Klasse und den Großteil der Intellektuellen des neuen Österreichs nach 1918 waren diese Charakteristiken nicht gegeben. Die einen orientierten sich auf die Großmacht nebenan, die anderen auf die moribunde Möchtegern-Großmacht der Vergangenheit. Wie aber war es mit der Bevölkerung? Ein Zerfall nicht nur des Staates, sondern einer ganzen damit verbundenen Ordnung mußte in ihr tiefe Spuren hinterlassen; das ist plausibel und kaum zu bestreiten. Das ist jenes Thema, welches wir mit dem Begriff der Anomie ansprachen. Trotzdem ist die Unterscheidung zwischen Bevölkerung und politischer Elite hier von größter Bedeutung. 167 Der Großteil der Bevölkerung findet seine Bezugseinheit im Rahmen des in der Reichweite begrenzten Alltags im lokalen und regionalen Bereich. Alltag, das ist "jener Bereich der Wirklichkeit, in dem uns natürliche und gesellschaftliche Begebenheiten als die Bedingungen unseres Lebens unmittelbar begegnen, als Vorgegebenheiten, mit denen wir fertigzuwerden versuchen müssen" (Schütz/Luckmann 1990, II, 11). Nun sind aber politische Klasse bzw. Elite, wenn sie diese Charakterisierung überhaupt verdient, nicht nur juristisch-politisch Repräsentanten der Bevölkerung. Sie haben auf zumindest jenen Teil der Lebenswelt, welche sich als "Politik" darstellt, gestaltenden Einfluß. Die Orientierungslosigkeit der Elite und deren unterschiedliche Versuche einer Neuorientierung mußten somit profund auf die Bevölkerung zurückwirken. Dies galt umso mehr, als die autoritären Züge der verblichenen Monarchie ja keineswegs mit ihr verschwunden waren. Man kann das Ergebnis dieser Konstellation vielleicht am besten so formulieren: Das nationale Problem Österreichs der ersten Nachkriegszeit war ein Problem der Intellektuellen und der politischen Klasse, welche diese zu einem Problem der Bevölkerung machte. Die Orientierungslosigkeit der Elite wurde der Bevölkerung mitgeteilt und von ihr - allerdings in sicherlich weniger dramatischer Form - übernommen. Eine nackte und unverhüllte und ungemischte Katastrophe war der Zerfall der Monarchie für die Konservativen, vor allem die katholisch orientierten: "Reiche sind geborsten, Zivilisationen zerstört, Kulturen erledigt, die Welt ist wie aufgelöst in ein Chaos von Kämpfen und Sorgen" (Das Neue Reich, 1923, 858). Für sie war nicht nur der politische und geistige Bezugsrahmen verschwunden. Sie waren zudem aus der Position der unbestrittenen politischen Führungsgruppe und des geistigen Hegemons verdrängt worden. Es war nicht nur der Zusammenbruch des Großstaates, sondern vor allem der Monarchie, welche ihnen selbst die kulturelle Legitimierung nahm. Die Frage der "Lebensfähigkeit" Österreichs war so in Wirklichkeit die soziale und politische Überlebensfrage dieser Gruppen und Schichten. Die Katholiken waren mehr in der politischen Klasse selbst vertreten, konnten aber nicht zuletzt den Großteil des flachen Landes hinter sich sammeln. Es waren, neben der politischen Klasse, besonders bestimmte IntellektuellenGruppierungen, welche die "Lebensunfähigkeit" des neuen Staates zu ihrem Lieblingsthema machten und damit - durchaus gewollt - zum späteren Untergang dieses Staates beitrugen. Eine besondere Rolle spielten die akademischen Historiker, die mit ganz vereinzelten Ausnahmen in der deutschnationalen Ecke standen. "Die an der Universität lehrenden Historiker [übten] aufgrund ihres Sozialprestiges und der Tatsache, daß sie mehr als etwa heute - für die wissenschaftliche und politische Formung und Ausbildung vieler Generationen von Geschichtslehrer verantwortlich waren, so eine schwer zu unterschätzende Breitenwirkung aus" (Dachs 1974, III). Hier hatte es, wie häufig auch im übrigen gesellschaftlichen Leben, nicht den geringsten geistigen Bruch mit dem System der Monarchie gegeben. Insbesondere haben diese Historiker das antidemokratische Sentiment nicht nur der Bürokratie, sondern auch eines Großteils des Bürgertums weitergepflegt, das man bisweilen auch heute noch findet. Wenn man sich ihre inhaltlichen Anbote ansieht, dann stellt man mit Erstaunen fest: Außer einem gewissen Trivialnationalismus, der sich nicht genug tun konnte in Hinweisen auf die "deutsche" Leistung beim Aufbau der alten Monarchie, hatten sie nichts zu bieten. Während des Krieges waren sie Befürworter der autoritären Monarchie und Kriegstreiber gewesen, nicht zuletzt, weil sie mit dem Krieg ihre chauvinistischen und autoritären Neigungen ausleben konnten. Nach dem Zusammenbruch war es bei ihnen und in vergleichbaren Gruppierungen, wo ein "eminent gesteigertes Orientierungsbedürfnis" 168 bestand, und nicht sosehr bei "breiten Bevölkerungsschichten" (beide Wendungen bei Dachs 1974, II). Sie begannen, eine Dolchstoßlegende aufzubauen: Man sei nicht "im Feld", sondern von subversiven Elementen an der "Heimatfront" besiegt worden. Der Krieg wurde gewissermaßen argumentativ in den 20er Jahren weitergeführt, und zwar mit einem beachtlichen Realitätsverlust. So bleiben sie auch vorwiegend Ideologen. Bei praktischen Problemen, etwa technischen Fragen der Grenzziehung, äußerten sie sich auch meist gar nicht - mit einigen kennzeichnenden Ausnahmen, wie etwa dem einflußreichen Kärntner "Landeshistoriker" Martin Wutte. Die Äußerungen selbst sind oft von einer schon wieder erstaunlichen Inhaltsleere. Sie erschöpfen sich in Bildern, deren einzige Aussage immer wieder ist: Dieser Staat ist nicht lebensfähig - ohne daß dies irgendwie begründet wurde. Eine erfrischende und ernüchternde Feststellung kam von Josef A. Schumpeter, damals kurzfristig Finanzminister der Republik. Es ist nicht uninteressant, daß hier frühzeitig eine österreichische Version des ursprünglich deutschimperialistischen Mitteleuropa-Gedankens Naumanns (1916), ohne dessen imperialistischen Hintersinn, aus einer nüchternen und rationalen Interessensabwägung heraus formuliert wird. In diesem Sinn stand Schumpeter in der Tradition Eugen von Philippovichs (1915), auf den sich zu Unrecht auch Naumann beruft. Philippovich wollte eine Zollunion zwischen der Habsburger-Monarchie und dem Deutschen Reich. Doch während Naumann eine Hymne auf den Großstaat verfaßte, war der Ton bei Philippovich ganz anders. Im ging es ausschließlich um mögliche gegenseitige Vorteile bei einem solchen Vertrag, und dafür wollte er sehr vorsichtig und schrittweise ansetzen. Mitten im Ersten Weltkrieg wird man in seiner Broschüre auch nicht die geringsten chauvinistischen Töne finden, was an sich bereits bemerkenswert ist. Die letzten Ausläufer solcher Überlegungen finden wir immerhin noch Anfang der 90er Jahre, i. S. einer ansatzweisen außenpolitischen Korrekturidee zur bedingungslosen West-Festlegung der offiziellen Politik. Sie war allerdings damals wie heute ohne besonderen Realitätsbezug. Im übrigen hat der einzige Politiker von einigem Gewicht, der dies vertrat (Erhard Busek), sehr bald einen totalen Schwenk gemacht und ist in der Zwischenzeit insgesamt gescheitert. Es ist nicht völlig von der Hand zu weisen, daß die geringe Glaubwürdigkeit infolge der abstrakten Phrase dieses eine Zeitlang als Alternativ-Entwurf zur ausschließlichen Westbindung alle anderen möglichen Alternativen dazu auch in ihrer Glaubwürdigkeit beschädigte. Weiters wollte kaum jemand in Österreich in eine Kategorie mit dem neuen Osten gebracht werden. Zwei Kartogramme bei Haller (1996, 318f.) sind dafür kennzeichnend: Wenn Österreicher und Italiener "Mitteleuropa" abgrenzen, so gehört dazu bei einem Großteil das eigene Land sowie das jeweils andere und auch noch die BRD, nicht aber das, was heute gerne auch Ostmitteleuropa genannt wird. Tun dies Tschechen, so gehört ihr Land auch dazu, und nicht zu Osteuropa. Mitteleuropa wird also in diesen Ländern als Kompromiß gesehen, um die eigenen Wünsche, auch zu Westeuropa zu gehören, mit der eigenen Wirklichkeit, die Osteuropa heißt, zu versöhnen. Diese Bedeutung blieb zumindest einem Teil der Österreicher nicht verborgen, und dafür empfanden sie wenig Sympathie. Somit blieb für einen erheblichen Teil der Bevölkerung als einzige reale Option der EG-Anschluß übrig. Das könnte ein Mitgrund für den alle überraschenden hohen Anteil der Pro-Stimmen in der EG / EU-Abstimmung vom Juni 1994 gewesen sein. Was steht nun eigentlich hinter dieser "Lebensunfähigkeits"-Floskel? Das, was die Konstante zwischen der Dynastie-Ergebenheit noch im Krieg und dem Deutschnationalismus und Anschlußgetöne in der Ersten Republik bildete, war die totale Identifizierung mit der Großmacht im besonderen als Ausdruck der politischen Macht im allgemeinen. Wenn auch der Großmachtstatus des Habsburgerstaats seit rund einem halben Jahrhundert mehr Fiktion als Wirklichkeit gewesen war, so war der Gegensatz bei der Wahrnehmung des besiegten Kleinstaats Österreich doch schlagend. Das hielten diese Ideologen der Macht nicht aus. Also drängten sie zur Anschluß an die nächste größere Macht, an das Deutsche Reich. Gefragt wird allerdings nicht: Für wessen Entwicklung könnte eine starke Einbindung Österreichs in den Westen und damit ein Souveränitätsverlust ein Gewinn sein? Die 169 gegenwärtige Struktur der Welt als Hegemonialordnung der westlichen Staaten wird unbesehen als "Fortschritt" bezeichnet. Daß selbst für die wirtschaftlich davon Nutzen ziehenden Gesellschaften auf mittlere und längere Frist ein demokratiepolitisch bedenklicher bürokratisch-autoritärer Trend daraus resultiert, wird mittlerweilen zwar von Demokratietheoretikern diskutiert, nicht aber von Politikern. Sie gehören schließlich kurzfristig zu den Nutznießern dieses Trend. Wenn daher in der Gegenwart Sozialdemokraten des mainstreams ihrer Parteien in der EG / EU ihre "wiederentdeckte Internationale" (Standard, 1. Feber 1993, Interview mit dem Abgeordneten Ewald Nowotny) finden, dann knüpfen sie völlig ungebrochen an diese Linie der GroßmachtBejahung an. Das vertraten in anderer Form auch z. B. Karl Renner und seine Gesinnungsgenossen (vgl. Pelinka 1988). "Gerade das ist ja unsere historische Erkenntnis daraus... Aus sozialdemokratischer Sicht sehen wir deshalb die Währungs- und Wirtschaftsunion durchaus positiv. Sie erweitert den gesamteuropäischen Handlungsspielraum der Politik" (Ewald Nowotny in derselben Ausgabe des Standard). Der unechte Zungenschlag kommt im letzten Satz heraus: Das vorgesehene Europäische Währungsinstitut als Vorläufer der Europäischen Zentralbank ist konstruiert, um eine "internationale Re-Regulierung" als Ersatz einer De-Regulierung auf nationaler Ebene" nicht zuzulassen. Hier taucht mit Macht das Problem der demokratischen Legitimation der gesamten Währungspolitik auf, die schon innerstaatlich nicht gegeben ist. Gerade der Wirtschaftsprofessor Nowotny sollte wissen, daß im Nationalbank-Gesetz (BGBl 50/31. Jänner 1984) die Zielvorgabe für die Nationalbank so diffus formuliert ist, daß man in jedem anderen Fall von einer verfassungsrechtlich verpönten formalgesetzlichen Delegation sprechen würde. Weiters wird von allen EGBefürwortern gerade umgekehrt argumentiert. Die EG müsse innerstaatliche verkrustete Strukturen aufbrechen, welche von den nationalen Politikern allein nicht durchsetzbar seien. 4.3.3.1 Der ideologische Hintergrund - Hegels Staatsmythos Damit waren diese Ideologen in einem Staatsverständnis verwurzelt, das man nur als bismarckianisch bezeichnen kann. Trotzdem war es keineswegs auf das Deutsche Reich (oder Österreich) beschränkt - im Gegenteil: es war weltweit dominant. Es läßt sich am besten mit einer allzu kennzeichnenden Aussage des jungen Engels in einem Brief an Marx vom 23. Mai 1851 (MEW 27, 265 - 268 [268]) kennzeichnen: "Eine Nation, die 20.000 bis 30.000 Mann [an Truppen] höchstens stellt, hat nicht mitzusprechen." Hier kommt die ideologische Grundlage von Engels und übrigens auch von Marx deutlich zum Vorschein: Es ist Hegel mit seinem Staatsmythos. Es war wieder Engels, der davon offensichtlich mit dem Einverständnis seines Partners sprach, daß Marx Hegel vom Kopf auf die Füße gestellt habe (MEW 13, 473f., MEW 21, 277 ff., u.a.). Das aber scheint insbesondere als Kritik des Staatsmythos denn doch zu wenig gewesen zu sein. Marx hat dies selbst offenbar sehr wohl erkannt. In der Auseinandersetzung mit den Anarchisten entwickelte er die hilflose Formel vom “Absterben” des Staates. Niemand konnte bisher klar legen, was dies real bedeuten würde, nicht einmal Gramsci mit dem Begriff der geregelten Gesellschaft (società regolata). Der rationale Hintergrund ist: Gesellschaft solle in Hinkunft nicht mehr “bewußtlos” funktionieren und damit enorme Opfer unter der jeweil betroffenen Bevölkerung verursachen. Sie sollte vielmehr bewußt, zielgerichtet und selbstbestimmt agieren. Wie aber sollte das verwirklicht werden? Für Hegel war sonnenklar: Der Staat ist die Verkörperung erst des “Volksgeistes”, dann des “Weltgeistes”. Marx und in der Folge Lenin aber wollten den bürgerlichen Staat zerschlagen, und den folgenden sozialistischen Staat schleißlcih absterben sehen. Die Folge dieses theoretischen Versagens der Linken war die Entwicklung eines Staatsmonstrums im 170 Realsozialismus, das die konsequenteste Verwirklichung des Staatsmythos samt seiner, wieder bei Hegel zu findenden (1995, 91) stalinistischen Moral war, daß der Endzweck der Geschichte jedes Mittel und jedes Verbrechen heilige. Es ist übrigens die politische Moral auf den Punkt gebracht, obwohl dies heute kaum noch jemand zu sagen wagen würde.39 Hegel ist seit Mitte der 70er Jahre ein toter Hund, und Marx (+Engels) seit einem Jahrzehnt. Was aber keineswegs tot ist, ist gerade ihr Staatsverständnis. Man könnte mit Fug und Recht sagen: Die eigentliche Staats-Ideologie der EU heute ist ein Rechtshegelianismus, der also wieder einmal Triumphe feiert. Es ist der Fortschritt vom volkssouveränen Nationalstaat über die Großregionalisierung zum globalisierten Weltstaat, die ständig evoziert wird, und sehr genau dem Hegel’schen “Stufengang” der Vernunft vom Familiengeist über den Volksgeist zum Weltgeist folgt. Dieses Gedankenschema hat denn auch bereits Beinahe-Hegemonie errungen. Insbesondere der Großteil der Intellektuellen folgt ihm. Dieses Staatsverständnis erst Hegels und dann Engels’ war nicht zu trennen von einem Nationenverständnis, welches in dieser Arbeit bereits angesprochen wurde (S. 16), der Großnation. “Völker ohne Geschichte” sind “Völker ohne Staat” (siehe Hegel 1995, 82). Diese Orientierung an der faktischen Herrschaftsbildung führte dazu, daß kleinere Ethnien gar nicht die Chance zur Nationenbildung bekamen, wenn sie durch irgendeinen Zufall in den Interessenbereich einer oder möglicherweise sogar zweier konkurrierender Nationen hinein gezogen wurden - real sowieso nicht, aber nun auch geadelt durch “geschichtsphilosophische” (theoretische) Rechtfertigung. So weckten Masuren oder Kaschuben im 19. und in der 1. Hälfte des 20. Jahrhundert die Begehrlichkeit sowohl der Deutschen (besser eigentlich: der Preußen) als auch der Polen und wurden in dieser Schere schließlich aufgerieben, und zwar gar nicht friedlich (Belzyt 1996). Dieses Staatsverständnis führte z. B. auch dazu, daß man 1920 dem Fürstentum Liechtenstein nach seiner Lösung aus der engen Bindung mit der zerfallenen Monarchie die Aufnahme in den Völkerbund verweigerte, mit der einzigen Begründung, daß es eben so klein sei. Auch in der Gegenwart ist diese Haltung keineswegs verschwunden. Sie hat weitgehend die Politik der Großmächte gegenüber dem Zerfall Jugoslawiens bestimmt - mit Ausnahme der BRD, die dort eigene Interessen verfolgt und diese bei Kroatien besser aufgehoben sieht als im alten Jugoslawien. Hier drängt sich eine Parallele auf, welche auch eine Strukturverschiebung in der Funktion der Ideologieproduktion belegt. Hatten bis in die 70er Jahre die Historiker hinsichtlich der Ideologieproduktion bezüglich sozialer Sachverhalte ein Quasimonopol, das nur zeitweise von Philosophen angetastet wurde, so änderte sich das mit dem kulturellen Modernisierungsschub der Kreisky-Ära. Auch in Österreich konnten sich die Gesellschaftswissenschaften im engeren Sinn (Soziologie, Politikwissenschaft) universitär etablieren, wenn auch in gewissen Fächern sehr spät. So wurde die erste Professur für Politikwissenschaft erst 1968 eingerichtet und mit einem katholischen Philosophen besetzt. 1969 begann faktisch erst der Vortrag. Schon vorher hatte es von Juristen in Salzburg den Versuch gegeben, die Politische Wissenschaft einzuvernahmen. Auch wurden die nächsten Lehrstühle systematisch mit Juristen besetzt. Auch heute versuchen immer wieder einzelne Juristen, sich das Label "Politikwissenschaft" anzuheften, insbesondere, wenn es an ihrer Universität kein solches Fach gibt. Es gab also einen Kampf um die Rolle des hegemonialen Ideologieproduzenten im soziopolitischen Bereich. Den haben mittlerweise im obersten Segment die Gesellschaftswissenschaften für 39 Es ist aber noch nicht so lange her, daß dies einflußreiche Journalisten bejahend so auch aussprachen. In einer Diskussion über Österreich Mitte der 60er Jahre im österreichischen TV nach einem Schmutzkübel-Artikel des “Spiegels” konnte man vom Spiegel-Herausgeber Augstein durchaus hören, daß Politiker eine andere Moral haben müßten, auch so richtig lügen sollten, wenn es nützlich sei, usw. 171 sich entschieden. Im mittleren stehen die Historiker noch immer konkurrenzlos da, weil es in den weiterführenden Schulen faktisch keine Sozialwissenschaft gibt. Das "Unterrichtsprinzip Politische Bildung" dient in erster Linie dazu, sie zu verhindern. Denn diese Fächer, und insbesondere die Politikwissenschaft werden als "progressiv" verdächtigt: "Polito- und Soziologen haben viele schon betrogen..." reimte etwa der deutschnational-reaktionäre KHD in den 80er Jahren. Diese Sorge konservativer Kreise ist unbegründet. Insbesondere eine Reihe von Politikwissenschaftern haben sich mittlerweile in einer Weise mit den Machtträgern arrangiert, welche viele Historiker - um beim Vergleich zu bleiben - seinerzeit zu vermeiden trachteten. In dieser Hinsicht hat eine vollständige "Amerikanisierung" stattgefunden, nachdem vorher europäische Emigranten eine vergleichbare Haltung in die USA getragen hatten: "Die politikorientierten Intellektuellen haben die staatlichen Normen internalisiert" in einem Ausmaß, daß man bereits von einer "Atrophie der Idee einer kritischen Universität" spricht (Lawrence 1996). Tatsächlich ist die Identifikation mit der Macht bei vielen Politologen nicht nur fast vollständig, sondern auch erstaunlich unreflektiert. Das dürfte vermutlich eine Mitursache des geringen theoretischen und methodischen Niveaus nicht nur der österreichischen Politikwissenschaft sein. Auch hier zeigt eine Sichtung der gegenwärtigen Produktion, wie schwer dieser Gruppe die Akzeptanz z. B. des Kleinstaaten-Status fällt, der doch aus demokratietheoretischer Sicht eine enorme Chance darstellen könnte. Es gibt allerdings am Rande von Politik und Sozialwissenschaft eine Gegenbewegung: In rousseauistischer Manier werden plötzlich die Tugenden von Völkern ohne Staat entdeckt, und die sogenannten indigenen Völker können daher auf erhebliche Sympathien in einer wenn auch beschränkten alternativen Öffentlichkeit zählen. Dem Zivilisationsoptimismus, der sich zu unverhohlen mit der Staatsmacht liiert hat, folgt ein Schub von Zivilisationspessimismus. Die “Vorgeschichte” - wie es bei Hegel heißt und später zum terminus technicus wurde - wird so zum verloren gegangenen Paradies. Diese Haltung wurde in die Zweite Republik trotz ihrer eindeutigen und bewußten Option für den Kleinstaat herübergezogen. Anfang der 60er Jahre erschien im der Republik gehörigen Österreichischen Bundesverlag ein Bildband, dessen Text Friedrich Heer verfaßt hatte. Er war eine Zusammenfassung der damaligen Österreich-Ideologie und kann infolge der Publizierung im damals rechtlich-wirtschaftlich nicht selbständigen konservativen Staats-Verlag gewissermaßen als offiziöses Dokument gelten (Heer 1962). Gedacht ist der Band offenbar in erster Linie für Schulbibliotheken und als Geschenkbuch. Seine Aufgabe bestand darin, den "österreichischen Mythos" als angeblich notwendiges Unterfutter für eine österreichische Nation zu liefern. Heer läßt kein Stereotyp aus, und sei es noch so abgegriffen - der Unterschied zur intellektuellen Statur zwei Jahrzehnte später ist schlagend. Der entscheidende inhaltliche Punkt ist, daß bewußt eine Kontinuität zum ehemaligen Habsburgerstaat herzustellen versucht wird. Der österreichische Habsburgermythos ist jedoch der nur leicht verschleierte Wunsch nach dem GroßmachtStatus. Das gilt zumindest für die Wiener Version; in manchen anderen Bundesländern verhält sich dies ein wenig anders. Ganz in der Tradition noch der Ersten Republik wird der Kleinstaaten-Status verweigert. Die Tradition, auf die man sich bezieht, ist der Großstaat und seine Herrschaftsaspirationen, die kaschiert werden als "VölkerbundModell", etc. Es ist insoferne kein Zufall, daß ein möglicher Gegenmythos zu Habsburg, nämlich die Babenberger, obwohl immer wieder einmal versuchsweise angerissen, erst in der allerjüngsten Vergangenheit in einer Ausstellung ansatzweise aufgegriffen, aber nie wirklich ausgearbeitet wurde. Erst im Verlauf der vielen Produktionen für das Millennium wurde auch eine Babenberger-Serie für den ORF erstellt. Der sich daran knüpfende politische Gedanke müßte für die Kleinheit stehen. Mit diesem Repräsentationsbuch befand sich Heer in vollem Einvernehmen mit praktisch allen politischen Kräften. Für sie lieferten eine Reihe von damals eher jüngeren Historikern auch die gewünschte Geschichte nach. Auch aktive Politiker engagierten sich literarisch. Neben den Konservativen steht hier ununterscheidbar der Kommunist Ernst Fischer. So kann der Historiker Fellner mit seinem gebrochenen Verhältnis zur österreichischen Nation 172 am Ende der Zweiten Republik mit einer gewissen Süfisanz schreiben (1994, 220): "Ernst Fischer - und darin ist er typisch für die Proponenten des Gedankens der besonderen österreichischen Nation - versucht, daß kleine Österreich aus seiner großen Geschichte heraus zu erklären, statt es aus dieser Vergangenheit zu lösen. Statt Regionalgeschichte als Vorstufe der Staatsgeschichte zur Basis eines österreichischen Nationalgedankens zu erheben, betrieb er weiterhin Herrschaftsgeschichte und reklamierte für die Österreicher der Gegenwart alles, was im Bereich der habsburgischen Herrschaft einst geleistet worden war" (zu den geteilten Ideologemen vgl. Reiterer 1986a). Hanns Haas hat durchaus recht, wenn er im selben Sammelband feststellt (1994, 207 ff.), daß bis heute das vordemokratische Erbe der Österreichidentität aus diesem seltsamen Bezug der Republik auf den Kaiserstaat dieses politische Projekt belastet. Tatsächlich war und ist es auch der entscheidende Angriffspunkt der alten und neuen Anschlußbefürworter vor allem aus der Sozialdemokratie und ihrer Nähe. Möglicherweise war allerdings der Bezug auf das alte "Österreich", nämlich den Habsburgerstaat, die einzige Tradition, welche eine von den ständig wechselnden nationalen Indoktrinierungen überhaupt noch verstand (Man vergleiche dazu auch die Ausführungen über die Konservativen in der Zweiten Nachkriegszeit, 3.3.2). Natürlich wurde dies politisch instrumentalisiert - wie nicht, wenn Nation ein politischer Entwurf ist? "Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg war es zunächst das österreichische kulturelle Erbe, das die staattliche Eigenständigkeit Österreichs unterstreichen und die nationale Bewußtseinsbildung ermöglichen und die Bevölkerung zur Mitarbeit am Aufbau einer demokratischen Ordnung motivieren sollte... Indem man die nationale Identität nach 1945 auf traditionelle kulturelle Ausdrucksformen festzulegen versuchte, bahnte man - nach siebenjähriger Verbannung aus dem politischen Bereich - zugleich auch der genuinen österreichischen katholisch-konservativen Weltanschauung den Weg zurück in die Herzen der Bevölkerung" (Streibel 1995, 55). Diese restaurative Tendenz wurde möglich durch die vollständige Absenz der Sozialdemokratie aus der nationalen Debatte. Die Kommunisten waren viel zu marginalisiert, als daß sie ein bedeutsames Gegengewicht gewesen wären, ganz einmal abgesehen von Fischers nostalgischen Naivitäten. Doch auch hier ist Differenzierung vonnöten. In einer Darstellung des Österreich-Bildes, wie es die Austria-Wochenschau im ersten Jahrzehnt ihres Bestehens vermittelte, heben die Autoren im Vergleich zwischen den berühmten Bildern vom Heldenplatz 1938 und andererseits dem Bild vom Unterschrift unter den Staatsvertrag am 15. Mai 1955 den grundlegend verschiedenen Zugang hervor. Der "Heldenplatz" zeigt den Blickwinkel des "Führers" und die von ihm gewünschte Einheitlichkeit. Für das Belvedere wählten die Filmer den Blick von unten. "Auf der Ebene der Darstellung finden wir eine Situation wieder, der jedes militärische und totalitäre Element fremd ist" (Petschar/Schmid 1990, 48). 4.3.4 EG-Anschluß Mit dem Beitritt zur EG / EU endete 1994/95 die Zweite Republik mit ihren Grundelementen, über die bisher unter den wesentlichen politischen Gruppierungen ein Basiskonsens bestand. Die Dritte Republik war ursprünglich ein Schlagwort aus ÖVPKreisen, um ihren Wunsch nach Überwindung der Kreisky-Ära auszudrücken. Noch Anfang der 90erJahre verwendete man den Begriff auch in der Tagespublizistik ganz unbefangen. Da ihn auch Jörg Haider aufgriff, wurde er dann als Nichtswürdigkeit und politische Gefahr mit einem Tabu belegt: Doch schon die Schöpfer dieses Begriffes 173 wollten exakt die gleiche Programmatik damit bezeichnen wie Haider (siehe Kasten). Heute ist dieser Begriff kein Projekt mehr, die Dritte Republik ist die Realität nach der Aufkündigung dieses Grundkonsenses durch den überwiegenden Teil der politischen Klasse - ob offen oder derzeit noch hinter einem Rauchvorhang von nebulösen Begriffen. Der politische Streit geht also nicht mehr um eine Dritte Republik als Tatsbestand, er geht nur mehr um ihre künftige Form. "Man spricht vom Ende der Zweiten Republik und sucht nach den Gründungsinsignien der noch imaginären Dritten... Mitte der 70er Jahre hatte der konservative Publizist Alexander Vodopivec den dritten Wahlsieg Bruno Kreiskys zum Anlaß genommen, um wegen des überproportionalen Gewerkschaftseinflusses die 'Dritte Republik' ... auszurufen. Zehn Jahre später war es der steirische VP-Politiker Bernd Schilcher, der offenbar aus Sorge vor immerwährendem Oppositionsdasein seiner Partei einer Verfassungsänderung in Richtung Präsidialdemokratie und Konzentrationsregierung das Wort redete... Die Säulen der Zweiten Republik [sind tönern] geworden." Profil, 13. Jänner 1992: Die Republik frißt ihre Kinder Diese Dritte Republik entsteht aus einem neuerlichen Versuch der politischen Klasse - die Bevölkerung stellt sich mittlerweile mehrheitlich dagegen - , über den Anschluß an ein ambitiöses politisches, militärisches und wirtschaftliches Mega-Bündnis die konsensuellen Strukturen im Innern zu verändern und wieder den Anschluß an den Großmachtstatus zu finden. Eine eigene selbstbestimmte Identität ist dabei hinderlich. Der politische Inhalt des EG / EU-Beitrittes heißt Verzicht auf Eigenständigkeit. Das sozialpolitische System konnte erst fundamental verändert werden, als die politische Klasse dies aus den eben geschaffenen "Sachzwang" der Maastricht-Kriterien begründete. Aus diesem Grund - und nicht etwa aus folkloristischen Kinkerlitzchen ("Paradeiser bleiben Paradeiser") - steht die nationale Identität, und das heißt: die österreichische Demokratie, zur Debatte. Die österreichische politische Klasse reagiert auf diese Sachlage recht einheitlich. Globalisierung ist das Reizwort, welches die Antwort auf alle Einwände dieser Art bilden soll. Kein Zeitungsartikel und kaum eine Politkerrede klommt heute ohne diesen Slogan aus. Doch niemand ist wirklich imstande, es konzis und nachvollziehbar zu definieren. Nicht zufällig tauchte dieses Schlagwort nach der großen Wende in Europa auf. Es ist der Code für die westlich-kapitalistische Dominanz, welche sich im Innern der westlichen Systeme als nunmehr fast unbestrittene Hegemonie (technokratisch-) konservativen Denkens und der dem entsprechenden Politik äußert. "Globalisierung" als die Politik der Einbindung in großregionale und mondiale Zusammenhänge versucht, durch bewußtes Anstreben eines nationalen Autonomie-Verlustes das konservative Setting irreversibel zu machen. Auf der mentalen (ideologischen) Ebene aber wandelt sich dieses Vokabel zum "Sachzwang der Modernisierung". Der "Realsozialismus"stellte erstaunlicherweise bis zu seinem unrühmlichen Ende eine reale Alternative zu unserem System dar. Warum eigentlich? Der politische Einfluß der Befürworter des sowjetischen Modells war westlich des Eisernen Vorhanges in allen europäischen Gesellschaften minimal. 'Die Lebensverhältnisse im Osten wurden von einer übergroßen Mehrheit der Bevölkerung keineswegs als attraktiv empfunden - selbst wenn die eigenen auch bescheiden waren. Doch allein das Bestehen dieses Systems und seine militärische Stärke, die auf grotteske 'Weise überschätzt wurde, mußte von den westlichen Eliten als massive Bedrohung empfunden werden. In viel stärkerem Ausmaß galt dies für die Dritte Welt. Möglicherweise war es gerade diese recht brüchige Allianz, manchmal mit 174 Regierungen, manchmal mit kontestatären Bewegungen, welche für den Westen zur Hauptbedrohung wurde. Diese Allianz stellte eine Alternative zum Westen und seiner Dominanz dar. Das belegt nicht zuletzt die stereotype Formel, wie sie geradezu mit neurotischem Wiederholungszwang z. B. von der "Krone" ("die Kommunisten und die Unterentwickelten"), aber auch in der ebenso dummen wie zynischen Angst vor dem "Verlust" von (z. B.)-Südafrika auftaucht, von Habsburg bis Otto Molden. - Dagegen also mußte man in den eigenen Reihen Verbündete suchen. Dies tat man am besten durch ein Modell der Teilbefriedigung materieller Bedürfnisse politisch potentiell aktiver Schichten. Das war die Begründung für den "Sozialstaat". In unterschiedlichen Ausmaß baute man in allen entwickelten Wirtschaften solche Strukturen auf. Die Unterschiede sind vor allem bedingt durch die Überlegung, wie man am besten den größtmöglichen Konsens zu nicht überbordenden Kosten erzielte. Diiese Notwendigkeit scheint aber nunmehr entfallen zu sein. Man muß daher den bisherigen Nutznießern des Sozialstaates dessen Abbau beibringen. Der Begriff der Globalisierung dient dazu, die Unvermeidlichkeit dieses Prozesses zu signalisieren. In dasselbe System fügen sich u. a. auch die "Lohnnebenkosten" ein. Die Frage "Großmacht versus Kleinstaat" ist eines der politischen Themen der Gegenwart schlechthin. Deutlich wurde es insbesondere in der Diskussion über den EG-Anschluß Österreichs vor der Volksabstimmung vom 12. Juni 1994. Diese Diskussion ging an den Intellektuellen weitgehend vorbei und wurde größtenteils von Politikern auf dem Niveau von kommerziellen Werbeslogans geführt. Wenn man sich systematisch die "theoretischen" Zeitschriften der politischen Parteien zu dieser Thematik ansieht, ist man erstaunt, ja geradezu fassungslos, wie wenig Inhalt hier diskutiert, vermittelt und an die eigenen Funktionäre weitergegeben wird: Das gilt durchaus auch in einem quantitativen Sinn. Allerdings kam eine Aussage durch, endlos wiederholt, von Politikern wie von Journalisten: Bundeskanzler Vranitzky faßte sie in seiner Pressekonferenz vom 13. Juni 1994 zum Ausgang der Volksabstimmung über den EG-Beitritt noch einmal zusammen: "Heute haben wir zum ersten Mal über ein Strukturkonzept, über ein strukturpolitisches, strukturelles, zukunftsbestimmendes Projekt im Interesse unseres Landes und unserer Bevölkerung frei abgestimmt." Es war tatsächlich eine Weichenstellung, wobei allerdings kaum jemals gesagt wurde, worum es eigentlich ging. In der Regierungserklärung vom 13. März 1996 wird Vranitzky zwar nicht viel klarer, sagt aber doch ein wenig mehr, wenn er betont, "daß wir nicht wegen einiger Preisvorteile beigetreten sind" (wie es ein Hauptargumentationsstrang seiner Staatssekretärin Ederer mit ihrem Tausender pro Monat gewesen war). Dann kommt wieder verhüllt das Großmachtmotiv: "Ganz besonders geht es uns um die Schaffung einer Außen- und Sicherheitspolitik, die tatsächlich gemeinsam genannt werden kann... Österreich wird danach trachten, bei den ersten Ländern zu sein, die der Währungsunion angehören" (zit. nach Originalton der Radio-Übertragung). Eine Begründung, wieso beides im österreichischen Interesse liegen soll, fehlt. In einigen wenigen Stellungnahmen wurden jedoch relevante Bruchlinien auch offen ausgesprochen: Die einzige intellektuelle Gruppierung, die eindeutig für die EG optierte, war ein von einem langjährigen Beamten des BMWF und seit 1991 Professor an der Hochschule für angewandte Kunst, Rudolf Burger, gegründeter Verein. Die lautstärksten Wortmeldungen kamen von Burger selbst. Paradigmatisch für die von ihm angesprochenen Themen war eine Diskussion zwischen Befürwortern und Skeptikern (IKUS-Lectures 3/1994). Es waren vor allem folgende Aussagen: 175 1) Österreichische Politiker haben immer die Eigenschaft "ein kleines Land" in den Vordergrund gestellt. "Das war keine trockene Aussage über die geographische oder demographische Größe des Landes, sondern eine qualitative Botschaft." Österreicht hat "sich aus der Geschichte herausgeschwindelt." Ein anderer Autor macht es pathetischer. Er spricht von der "Idee Europa", die für ihn vor allem - man beachte die Gleichsetzung "eine Ordnung ohne Rassenhaß und Klassenkampf; eine Ordnung, die uns Europäer in die Lage versetzt, unserer weltweiten Verantwortung gerecht zu werden" bedeutet (Rinsche 1994). Diese Phrase mit der "Idee" wird von einer Sprecherin der Grünen beinahe wörtlich wiederholt, wobei sie ein bißchen deutlicher wird: Monika Langthaler (Conturen 2/1994) möchte mit "Minister Genscher" "Europa" (welches?) als "Machtfaktor in dieser Welt" neben "Amerika" (offenbar die USA) und dem"asiatischen Raum" (?). Es geht also aufs Neue um die Teilhabe am Großmachtstatus. Auf einen erheblichen Teil der Bevölkerung wirkt dies offenbar attraktiv. 2) "Ein EU-Beitritt [würde] für Österreich so etwas wie westeuropäische Normalität herstellen... Das bedeutet die Abkehr von einem mitteleuropäischen Sonderweg." Auch hier dürfte eines der Motive liegen, weshalb die Bevölkerung mehrheitlich seinerzeit zustimmte. Der EG-Beitritt war in vielerlei Hinsicht tatsächlich ein "Ruck nach Westen" und hat insoferne einen gewissen österreichischen Komplex angesprochen: "Österreich, einst weit außen am Ostrand der westlichen Welt, ist durch die junge Zugehörigkeit zur Europäischen Union Brüssel wieder näher und findet dort einen direkten Zugang, den die Schweiz nicht mehr hat", heißt es in einer dem "Vielgestaltigen Österreich" gewidmeten Beitrag der EG-orientierten NZZ (30. Mai 1996). In diesem Zusammenhang der Normalisierungsbehauptung zitiert Burger weiters den berühmten Satz aus Lampedusas "Gattopardo". Allerdings dürfte er den Roman nicht gelesen haben. Denn dieser Satz, daß man alles verändern müsse, wenn man wolle, daß alles gleich bleibe, wurde zur Definition des "trasformismo" - jener Technik der Machterhaltung mittels Strukturkosmetik, welche kennzeichnend für die aufgeklärteren Fraktionen der jeweiligen ancien régimes ist. Somit sollte er sich wohl nicht darauf berufen, wenn er als Ziel eine Demokratisierung angibt. Ebensowenig stimmt der Verweis auf Max Weber und seine Bürokratie-These (in Burgers Form: Demokratisierung ist Bürokratisierung): Denn Weber behauptet die Gefährdung liberaler Errungenschaften durch die zunehmende Bürokratisierung. Die Gegenposition wurde fast ebenso einsam, jedoch mit einem gewissen Eklat ausformuliert. Der Wirtschaftswissenschafter und frühere Angestellte der AK Wien, Erwin Weissel, trat aus der SPÖ aus. Nach seinen Motiven gefragt, sagte er folgendes (Die Alternative 5/1994): "Der springende Punkt ist für mich die Art und Weise, wie versucht wird, aus der Bevölkerung ein Ja herauszuholen. Das geschieht in einer Art und Weise, die mit meinen Vorstellungen von Demokratie überhaupt nichts mehr zu tun hat. Ich bin es gewohnt, daß in der Politik manipuliert wird, aber das hat eine Grenze. Diese Grenze ist von der SPÖ jetzt überschritten worden" (vgl., wesentlich weniger klar und prononciert: Jagschitz 1994). Oder kürzer: Das politische Projekt des neuen Österreich ist Entdemokratisierung. 4.3.5 Anton Pelinka 1990 oder Anton Pelinka 1994/1996? Die Frage des Kleinstaatenstatus einerseits wie auch jene der (west-) europäischen "Normalität" sind zwei Zentralthemen nicht nur der gegenwärtigen österreichischen Politik, welche die Frage der politischen Identität direkt ansprechen. Sie sind tatsächlich 176 Diagnosen, die als analytische Aussagen kaum zu bestreiten sind. Die Differenzen treten erst in der politischen Haltung, in der Bewertung also, auf. Die aber kann sich im Laufe der Zeit offenbar ändern. 1990 erschien im Publikumsverlag Ueberreuter/Wien ein kurzes Buch des Innsbrucker Politikwissenschafters Anton Pelinka. Es war gedacht als politische Stellungnahme des mittlerweile zum bekanntesten Sozialwissenschafter Österreichs avancierten Universitätslehrers zu einigen entscheidenden Fragen der österreichischen Zukunft. Damals war der Streit um den - wie damals in der Journalistik hieß - "Brief nach Brüssel" gerade in vollem Gang, da die SPÖ vor dem Anschluß zurückscheute. Kernsätze der angebotenen Schlußfolgerungen lauteten: "Den traditionellen Eliten fehlt die Kraft zur Bestimmung der österreichischen Identität... Dieses Vakuum ist die Stunde der österreichischen Demokratie... – Die EG ist ... Fluchtziel österreichischer Ängste... [Man erwartet sich] Stärke durch Anbindung, Abhängigkeit. Dieses Motiv verbindet die österreichische EG-Politik mit der (historischen) Anschlußpolitik... Österreich kann sich aus der vermeintlichen Schwäche des Kleinstaates in die (ebenso vermeintliche) Stärke eines großen Bruders flüchten... - Österreich als Vorreiter - auf dem Weg des sich Aufgebens in einem großen Bruder? ... - Verschweizerung als Angebot... - Kleinheit macht sich bezahlt" (Pelinka 1990, 151, 143, 145, 149, 146). 1994 bildete derselbe Autor mit dem schon sattsam zitierten Rudolf Burger einen Verein für die Propagierung eben dieses hier als historische Fehlentscheidung abgelehnten EGAnschlusses, und ab 1995 ist er aktiv an der Einbindung Österreichs in die politische Struktur des sich nun EU nennenden Staatenbundes beteiligt, wobei er diesen Beitritt hauptsächlich als "Normalisierung" Österreichs diagnostiziert (vgl. auch Pelinka 1994a und leicht variiert 1994b) - nicht zu Unrecht. Was war in der Zwischenzeit geschehen? In der Hauptsache haben sich die Regierungsparteien in einer Kampagne, welche in der gesamten österreichischen Geschichte keinen Vergleich kennt, zur unbedingten Übernahme der Brüsseler Politik, d. h. also zum österreichischen Souveränitäts- und damit Demokratieabbau, verpflichtet. Die machtmäßig geringgewichtigen Kräfte, die sich dieser Ausrichtung entgegenstellten, wurden und werden marginalisiert, ob es sich um politisch organisierte Kräfte handelt oder auch nur um skeptische Stimmen aus der Bürokratie oder dem akademischen Leben. Es scheint, als ob die politischen Kräfte nicht zuletzt gegenüber der Bevölkerung Irreversibilität hergestellt hätten. 4.4 Grenzenloses Österreich? Über die demokratiepolitische Unentbehrlichkeit nationaler und staatlicher Grenzen Grenzen, insbesondere ethnische und nationale, aber auch staatliche Grenzen, sind heute laut einer merkwürdigen Übereinstimmung großer Teile der politischen Klasse mit großen Teilen literarisch tätiger Intellektuellen, vom Bösen. Die Ideologie stimmt hier oft allerdings nicht mit der Praxis überein. Denn gewisse Grenzen scheinen zumindest vielen Politikern wiederum unentbehrlich - nämlich jene zur alten und neuen Dritten Welt. Nur wenige kommen auf die Idee, die Funktion dieser Grenzen nicht nur in gesellschaftlichpolitischen Prozessen von Integration und Segmentierung zu untersuchen, sondern auch in Hinblick auf die sonstigen leitenden Normvorstellungen unseres politischen Systems, insbesondere der Partizipation, der Demokratie. Dabei müsste die neuere Diskussion um "citizenship" eine solche Fragestellung geradezu erzwingen (Bauböck 1994a und 1994b). 177 Denn im Grunde sind hier Grenzen als Unabdingbarkeiten für den demokratischen Prozeß vorausgesetzt. In einem wissenschaftspolitischen Zusammenhang, der durch den Übertitel "Grenzenloses Österreich" gegeben ist, erweist sich also eine kurze Diskussion dieses Topos als nötig. Die Notwendigkeit der Grenziehung, zuerst der sozialen, dann der politischen und in der Folge dessen der administrativen, ergibt sich aus der Fundierung des sozialen Systems auf zumindest zwei Dimensionen, nämlich der gemeinschaftlichen und der gesellschaftlichen. In Problemen der Integration ist fast stets nur von der letzteren die Rede. Hier soll jedoch das erste im Mittelpunkt der Überlegungen stehen. Die integrativen sozialen Teilsysteme, deren wichtigstes eines die Politik als Steuersystem der Gesellschaft ist, beruhen auf den Lebenswelten der Einzelmenschen, der Personen. Für ihre Akzeptanz und damit Stabilität erfordern sie somit eine gemeinschaftliche Grundlage. Die Alltagsfolge geteilter Lebenswelten ist die ständig neue Integrierung von "Zeitgenossen" als "Mitmenschen" (Schütz) in die eigene "natürliche" Welt. "Die alltägliche Lebenswelt ist die Wirklichkeitsregion, in die der Mensch eingreifen und die er verändern kann, indem er in ihr durch die Vermittlung seines Leibes wirkt.... Ferner kann sich der Mensch nur innerhalb dieses Bereiches mit seinen Mitmenschen verständigen, und nur in ihm kann er mit ihnen zusammenwirken. Nur in der alltäglichen Lebenswelt kann sich eine gemeinsame kommunikative Umwelt konstituieren... In der natürlichen Einstellung finde ich mich immer in einer Welt, die für mich fraglos und selbstverständlich 'wirklich' ist. Ich wurde in sie hineingeboren und nehme es als gegeben an, daß sie vor mir bestand. Sie ist der unbefragte Boden aller Gegebenheiten sowie der fraglose Rahmen, in dem sich mir die Probleme stellen, die ich bewältigen muß. Sie erscheint mir in zusammenhängenden Gliederungen wohlumschriebener Objekte mit bestimmten Eigenschaften... Ferner nehme ich als schlicht gegeben an, daß in dieser meiner Welt auch andere Menschen existieren, und zwar nicht nur leiblich wie andere Gegenstände und unter anderen Gegenständen, sondern mit einem Bewußtsein begabt, das im wesentlichen dem meinen gleich ist. So ist meine Lebenswelt von Anfang an nicht meine Privatwelt, sondern intersubjektiv; die Grundstruktur ihrer Wirklichkeit ist uns gemeinsam... Ferner nehme ich es als selbstverständlich hin, daß die Bedeutung dieser 'Naturwelt' - die schon von unseren Vorfahren erfahren, bewältigt, benannt wurde - für meinen Mitmenschen grundsätzlich die gleiche ist wie für mich, da sie eben auf einen gemeinsamen Interpretationsrahmen bezogen ist" (Schütz/Luckmann 1973, 3 - 4). In diesem Sozialisations- als Integrationsprozeß muß der zahlenmäßige Mitgliederstand meiner Mitmenschen rapid an eine Grenze stoßen. Diese Grenze der alltäglichen Lebenswelt und der mit oder in ihr Lebenden ist ohne Zweifel je nach sozialer Position deutlich verschieden. Sie ist auch keineswegs als räumlich konzentriert aufzufassen: Man denke an die weltumspannenden Beziehungsnetze vieler Wissenschafter! Trotzdem ist sie durch die Kommunikationskapazität des Menschen zahlenmäßig äußerst beschränkt, wenn man sie als realisiert denkt. Großgesellschaften was anderes ist mit gewaltgestützten Großstaaten) können überhaupt nur infolge eines Kniffs der abstraktionsfähigen Erkenntnis-, Orientierungs- und Deutungspotenz des Menschen bestehen: Mittels Symbolen kann er identitär die potentiellen Mitmenschen abgrenzen und sie von den reinen Zeitgenossen unterscheiden. Nun gilt eine abstrakt gewordene Loyalitätszumutung (Weber) auch ihnen gegenüber. Allerdings ist dies eine gewaltige Leistung des menschlichen Abstraktionsvermögens, welche langes Training und langes Gewöhnen voraussetzt. Dementsprechend unterscheidet sich dieser Kreis quantitativ in einem sehr viel größeren Maßstab nach Schichtzugehörigkeit. 178 Es ist nun eine empirische Tatsache, daß für eine große Mehrzahl der Menschen ihre potentiellen Mitmenschen auf jenen Kreis beschränkt sind, welchen wir mittels nationaler Identität abgrenzen, kurz: auf die Nation. Nur für diesen Kreis der potentiellen Mitmenschen ist die Solidaritätszumutung, der faktische Anspruch auf "Teilen" soziale Wirklichkeit - theoretisch i. S. einer verallgemeinerten sozialen Reziprozität, praktisch i. S. des modernen Sozialstaates mit seinen unübersichtlichen Zahlungsströmen und Umverteilungssalden. Die nationale Identität gibt also nicht zuletzt diesen Kreis an. Folgerichtig bezeichnet sich trotz intensiver propagandistischer Bemühungen nur ein verschwindender Bruchteil (5 %) der Österreicher als "vorrangig Europäer", wenn man sie demoskopisch danach fragt (Plasser / Ulram 1996). Dementsprechend steht auch ein ganz beträchtlicher Teil der als demokratisch ausgegebenen Idee, die Befugnisse des Europäischen Parlamentes auszuweiten, mit Mißtrauen gegenüber. Länder, in denen die Bereitschaft zu einer solchen Souveränitätsabtretung sehr hoch ist (Italien: 72 %), müssen tatsächlich als nationale Krisenfälle bezeichnet werden: Das Mißtrauen der italienischen Bürger in ihre politische Klasse ist bekanntlich übergroß - und trotzdem geht nach neueren Daten auch in Italien der Prozentsatz der EU-Enthusiasten zurück. Demokratische Partizipation ist jedoch nichts anderes, als ein Aspekt, eine Seite dieser Bereitschaft zum "Teilen". Sie bedarf daher jener gemeinschaftlichen Basis, welche wiederum die Solidarität (die Reziprozität) auf kleine Segmente der Menschheit beschränkt. Nur so kann sie demokratische Stabilität gewährleisten, im Unterschied zur ausschließlich autoritär gestützten, ausschließlich staatsorientierten. Selbst diese demokratische Solidarität enthält ein gewichtiges Maß autoritärer Beimischung, welche sich in der Zwangszugehörigkeit zum Staat äußert. Grenzen, zuerst sozialer, dann politischer Art, sind somit unumgänglich, um eine allgemeine Akzeptanz solcher demokratischer Entscheidungsprozesse überhaupt aufrecht erhalten zu können (vgl. auch Reiterer 1996 über den "Allgemeinwillen"). Jener schleichende Legitimitätsverlust der westeuropäischen politischen Systeme, der unter verschiedenen Bezeichnungen gegenwärtig generell diagnostiziert wird, dürfte mit auf die triviale Tatsache zurückzuführen sein, daß sich in dieser Hinsicht eine Kluft zwischen der politischen Klasse und einem beträchtlichen Teil der Bevölkerung aufgetan hat: Aus ihren eigenen Interessen, sicherlich auch aus ihren weiterreichenden Lebenswelten heraus versucht ein Großteil der politischen Klasse40 und der sozialen Elite, die bisher nationale Solidaritätszumutung zu überdehnen auf großregionale politische Gebilde. Ein immer größerer Teil der Bevölkerung, in nicht wenigen Staaten schon mehr als die Hälfte, hat damit grundsätzliche Probleme, zumal die materiellen Folgen dieser Solidaritätszumutung häufig überhaupt nicht mit den Vorstellung der Basis von "Gerechtigkeit" übereinstimmt. Die Folge könnte ein Zusammenbruch der mentalen und affektiven Grundlagen der Demokratie sein: Demokratie ist schließlich sehr viel mehr als eine Abstimmungsmaschinerie mit einem Mehrheitsprinzip, ob direkt oder in einem Parlament. Demokratie ist eine Kultur des begrenzten Konfliktes auf der Basis geteilter Identität, die dann auch ein Verfahren für politische Elitenrekrutierung möglich macht. Dieser düsteren Perspektive steht allerdings 40 Es ist zumindest in der Schweiz mittlerweile ziemlich allgemein anerkannt, daß dieser Zwiespalt und damit das darausfolgende Mißtrauen gegenüber der politischen Klasse in diesem Bereich dazu geführt hat, daß die Schweizer Außenpolitik kaum noch handlungsfähig ist, weil sie stets Ziele anstrebt, welche dann von einer Mehrheit der Bevölkerung im Referendum verworfen werden. 179 jene Tendenz gegenüber, welche in der Transformation dieser demokratischen Kultur immer mehr Menschengruppen immer selbstverständlicher in den politischen und sozialen Prozeß intervenieren läßt: Sie sind nicht mehr bereit fraglos Entscheidungen hinzunehmen, welche über ihre Köpfe hinweg getroffen sind. 4.4.1 "Integrationsschock"? Da in anderen Ländern - und vorwegnehmend auch schon in EG-Beitrittskandidaten des Ostens - vom "Integrationsschock" gesprochen und man darunter die Wirkung des westeuropäischen Integration auf nationale Integration und nationale Identität versteht, ist nach einem vergleichbaren Phänomen in Österreich zu fragen. Dabei ist ganz klar zu sagen: Einen Integrationsschock im Sinne einer merkbaren Einwirkung von außen hat es seit dem EG-Beitritt Österreichs nicht gegeben. Was es aber sehr wohl gegeben hat und gibt, und was direkt mit dem Anschluß zusammenhängt, ist ein Politik-Schock. Praktisch unmittelbar nach dem formellen Inkraft-Treten des Beitritts am 1. Jänner 1995 begann in Österreich eine Diskussion um die künftige Politikgestaltung, welche sich faktisch um die Grundlagen der bisherigen österreichischen Politik überhaupt drehte. Zuerst vernebelt und überformt durch die sich über Monate hinziehende Führungskrise der ÖVP, wurde der Einsatz schlagartig klargestellt, als die neue Führung sich etabliert hatte. Das kann überhaupt nicht verwundern, war doch gerade die von der ÖVP nunmehr offen betriebene Wende das eigentliche Motiv für den Anschluß. Nun hatte man zwei Vehikel für die Wende selbst vorzuweisen, zwei "Sachzwänge", die man sich durch den "Anschluß" soeben geschaffen hatte: (1) Infolge des hohen Netto-Abflusses von Bundesgeldern infolge der Beitragszahlungen an die EG / EU wurde sowohl das Problem der Staatsverschuldung als auch jenes des österreichischen Zahlungsbilanzdefizites akut. Der erste Problemkreis resultierte direkt aus der Verhandlungsstrategie, welche - man ist versucht zu sagen: auf eine typisch österreichische Art - die höchsten Prokopf-Beiträge innerhalb der EG im Tausch für mehr oder weniger nebulöse Rückfluß- und Subventionsversprechen in Kauf genommen hatte. Wie sehr diese Strategie aus Unfähigkeit erwuchs, oder wie sehr sie aus verschiedenen Überlegungen über Machtmotive - bürokratische Kontrolle über Zahlungsströme bedeuten selbstverständlich immer verstärkte Kontrolle über die Nutznießer - resultierte, ist aus den derzeit verfügbaren Materialien nicht eindeutig erkennbar. Vermutlich handelte es sich um eine Mischung beider Ursachen. Denn es war ziemlich eindeutig Unfähigkeit, welche für die Verhandelnden den Blick auf die Folgen für die Zahlungsbilanz verdeckte. Wie die NZZ in einem Artikel (17./18. Juni 1995) über die ersten Folgen der EG-Mitgliedschaft für Österreich verwundert feststellte, wurde den Verantwortlichen dieses Problem erst bewußt, als es bereits auftrat: “Diverse, ‘in der Regel gut informierte’ Gesprächspartner [bringen] zum Ausdruck, man sei sich doch nicht so ganz bewußt gewesen, daß Österreich 30 Mrd. Schilling nach Brüssel zahlen müsse und nur 15 Mrd. wieder zurückbekome, daß mit anderen Worten der Staatshaushalt mit 30 Mrd. S und die Leistungsbilanz mit 15 Mrd. S belastet werde.” Und daran angeschlossen wird noch “hinter vorgehaltener Hand” gefragt, ob der Schilling nicht überbewertet sei und man sich zum eigenen Schaden “reich gerechnet” habe. Und in dieser Weise gibt der Leiter des Wirtschaftsforschungsinstitutes zu, daß es “blinde Flecken” in der Kampagne gegeben habe. (Das läßt schließlich Prof. Matzner mit einer gewissen Bitterkeit die Forderung nach einer Ethik-Kommission für Wirtschaftswissenschaftler stellen.) 180 (2) Verstärkend trat zu dieser jetzt objektiven Problematik die Fetischisierung der "Maastricht-Kriterien" hinzu, deren hauptsächliche Stoßrichtung ja nicht wirtschaftliche Konvergenz ist, wie man vorgibt und wie von der Art der Kriterien selbst dementiert wird, sondern zuerst eine bestimmte Form von Austeritätspolitik mit ihren sozialen Folgen, und in der Tendenz das, was ich eine "Abschaffung der Wirtschaftspolitik" nennen möchte. Insbesondere die Haushaltskriterien dienten jetzt als Hebel, die bisherige Politik über Bord zu werfen. Die ÖVP breschte vor, die SPÖ bremste taktisch geschickt und gewann mit für sie selbst erstaunlichem Vorsprung die von den Konservativen vom Zaun gebrochenen Neuwahlen. In der Folge gab es die bekannte "schwedische" Entwicklung: Die SPÖ warf schon am Tag nach den Neuwahlen ihre Versprechungen über Bord und schwenkte voll auf den konservativen Kurs ein. Die unmittelbare Folge ist eine Verunsicherung in der Bevölkerung, wie es sie vermutlich seit Ende der Besatzungszeit nicht mehr gegeben hat. Dieser Politik-Schock, den man natürlich auch als Integrations-Schock bezeichnen könnte, ist zu kurzfristig wirksam, um die Folgen abschätzen zu können. Daß er aber Folgen für die nationale Integration und für die nationale Identität haben muß, steht nach allen bisherigen Überlegungen außer Zweifel. 4.4.2 Europäische Ideologie Die deutlichste Ausformung dessen, was ich die europäische Ideologie nennen möchte, findet sich bei jenen Intellektuellen, welche einem angeblichen Universalismus vergangener Zeiten nachtrauern und diesem die Fragmentierung des Europas der jüngeren Vergangenheit gegenüberstellen. Lange Zeit das Reservat eindeutig rückwärts gewandter Kräfte, fanden sie ihren kennzeichnendsten Ausdruck im Neo-Rationalisten Julien Benda (1993 [1933]). In seiner "Rede an die Europäische Nation", die sich formal und inhaltlich an den gar nicht rationalistischen Fichte, den Mystiker des deutschen Nationalismus anlehnt, finden sich alle Motive, die bisher "Europa" als Organisation zum Vorbild gedient haben, als Idee aber eher in Verruf brachten. Von ihm gingen die Einflüsse auf die Romantiker über, etwa auf die Brüder Schlegel, welche sich an Antike, Mittelalter und Klassik orientierten und dies nur unter der allerdings von Novalis als Buchtitel stammenden Bezeichnung "Die Christenheit oder Europa" einzuordnen wußten (vgl. Behler 1994). Es war eine bewußt und geradezu fanatisch antiaufklärerisches Programm, welches unter diesem Titel firmierte und die Tradition für Benda bildet. Benda beginnt mit einer Anrufung an die europäischen Intellektuellen, wieder den Altären Platons zu opfern. Das läßt aufmerken. Spätestens seit Popper wissen wir, daß Platon der eigentliche Vater der Nomenklatura, jener totalitären neuen Klasse des Ostens und nicht nur dort war.41 Benda kommt sehr schnell zu den wesentlichen Punkten: "Platon würde sagen, Europa ist keineswegs, wie es viele wollen, der Respekt vor dem Anderen. Es wird diese Kategorie überlagern mit dem Gleichen; jene der Vielheit mit der des Einen" (S. 54). "Wenn Europa wirklich entstehen soll, erfordert dies das Aufblühen einer europäischen Seele, welche die nationalen Seelen dominiert - und zu einem großen Teil vernichtet - , auf dieselbe Art, wie Frankreich das Erscheinen einer französischen Seele verlangt hat, welche die bretonische und provençalische Seele dominierte und vernichtete" (S. 117). Und als guter Platoniker ist es nur logisch, daß er die Künstler als die ärgsten Feinde Europas zeichnet, denn "von Natur aus sind sie nur dem Bestimmten, dem Besonderen, dem 41 So ist es kein Zufall, wenn der liberal-konservative Benda 1949 Stalins Prozesse rechtfertigen wird. 181 Unterschiedlichen zugetan... Alle diese Sektierer des Pittoresken sind gegen Euch... Europa wird ernsthaft sein oder wird gar nicht sein" (100f. und 51). Julien Benda stellt das Problem, löst es aber keineswegs. Wir finden hier eine für die überhitzte Zeit des Nationalismus kennzeichnende Verwechslung der Frage einer europäischen Identität - die neben oder über nationalen Identitäten bestehen kann - und einer nicht gegebenen Notwendigkeit, diese Identität staatlich organisatorisch, auf Verordnungswege gewissermaßen, abzusichern. Eine europäische Identität ist in einer sich sozial integrierenden Welt unabdingbar, weil sie die Grundlage des Systems der politischen Grundwerte bildet, für die die Staatenorganisation des Europarates steht. In diesem Sinn kann man der Rhetorik in der "Charta von Paris für ein Neues Europa" (19. - 21. November 1990) zustimmen: "Wir erkennen den wesentlichen Beitrag unserer gemeinsamen europäischen Kultur und unserer gemeinsamen Werte zur Überwindung der Teilung des Kontinentes an... Die Teilnahme nordamerikanischer wie europäischer Staaten ist ein bestimmendes Merkmal der KSZE... Das unerschütterliche Festhalten an gemeinsamen Werten und an unserem gemeinsamen Erbe bindet uns aneinander." In welchem Ausmaß die Rhetorik allerdings Rhetorik bleibt, haben die Staaten des Ostens mittlerweile erfahren müssen als sie meinten, auf eine selbstlose Öffnung der Märkte des Westens für ihre Sozialdumping-Produkte zählen zu können. Der Vollständigkeit halber muß hier ein weiterer Strang angeführt werden, welcher vom Inhalt her oft geradezu grotesk wirkt. Da jedoch der Hauptvertreter der Richtung im Europäischen Parlament sitzt und dorthin immerhin von der mächtigsten deutschen Rechtspartei entsandt wurde, weil sie mit ihm offenbar ihren am stärksten traditionalistisch-autoritären Flügel abdecken möchte, kommt ihr eine gewisse politische Bedeutung zu. Es ist die sogenannte "Pan-Europa"-Bewegung und Otto Habsburg. Sein Sohn, der die Positionen seines Vaters vollumfänglich wiederholt (vgl. etwa Salzburger Nachrichten 17./18. August 1996), hat gegen heftigen Widerstand der eigenen Partei auf Wunsch des derzeit amtierenden Parteiobmannes der ÖVP ebenfalls ein Mandat im Europa-Parlament wahrzunehmen. Eine inhaltliche Auseinandersetzung ist kaum möglich, weil sich die gar nicht wenigen politischen Schriften des Vaters - meist irgendwelche Zeitungsartikel, die im nachhinein gesammelt und in Broschüren veröffentlicht wurden wie eine Mischung aus den politischen Analysen in den Geschichten des Jaroslaw Schwejk und den Stilübungen des Leitartiklers in Kraus' "Letzten Tagen der Menschheit" lesen. Hören wir also zumindest einige Stilproben: "Unser Reich ist in diesem Fall die Ideologie des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation... Das Reich war kein engnationaler, sondern ein übernationaler Begriff... Das Reich und die multinationalen Staatswesen, die nach seinem Verfall seine Aufgaben übernommen hatten, waren ihrem Wesen nach auf die Verbindung gleichberechtigter Völker ausgerichtet... Ziel war eine wahrhaft freiheitliche Integration, wie man sie noch, auch unter Einbeziehung aller Schwächen, während des vergangenen Jahrhunderts im alten Österreich [der Habsburger-Monarchie] finden konnte... Wie vor 1000 Jahren erleben wir heute europäische Einigungsbestrebungen, die von der westlichen Achse ausgehen. Sie erinnern an den Traum Karls des Großen... Wie einstmals in den Zeiten vor der Jahrtausendwende wird Bayern wieder zur Ostmark des sich einigenden Europas... Von der historischen Pflichterfüllung Bayerns hängt viel für die Zukunft Europas ab, ... denn unser wertvollstes Erbe, die christliche Zivilisation, steht auf dem Spiel. die Lage ist kritisch" (Habsburg 1980, 44, 57, 61), vor allem wegen der 182 Weltverschwörung der Sozialistischen Internationale mit Willy Brandt an der Spitze, usw. ... . 4.5 Neuorientierung worauf? Pelinka (1994a, 1994b) hat mehrmals darauf hingewiesen, daß die ideologischen "Lager" in der Zwischenkriegszeit die eigentlichen Integrationskräfte in der österreichischen Gesellschaft bildeten, und so die nationale Identität als Integrationsfaktor ersetzt hätten. Allerdings ist dies keineswegs eine österreichische Besonderheit. Es ist nicht vorranging bedingt durch das Fehlen, die Widersprüchlichkeit oder die Schwäche nationaler Identifikation. Vielmehr ist dies eine der Formen, welche die Transformation traditionaler Gesellschaften in durchmonetarisierte, industrielle oder auch kommerzielle nationale Gesellschaften annahm und annimmt. Den Übergang selbst könnte man - vereinfachend zugegebenermaßen - charakterisieren als: den Übergang von einer traditionalen Integration auf Basis lokaler und eventuell regionaler Territorialität und deren gemeinschaftlicher Bindewirkung über eine beginnend moderne Integration auf Basis von schichtgestützten Weltanschauungsgruppierungen zu einer neuerlichen, diesmal reifer modernen Integration auf territorialer Basis, jetzt jedoch in gesellschaftlicher Form und zumindest auf regionaler, meist jedoch auf kombiniert regionaler-nationaler Basis. Dies können wir in der europäischen Geschichte beobachten. Wir können es aber auch in der Dritten Welt wieder sehen. Dem politischen Katholizismus bis zur Hälfte dieses Jahrhunderts - in manchen nicht nur südeuropäischen Gesellschaften auch durchaus länger bzw. von neuem entspricht der politische Islamismus (und seit kurzem auch der politische Hinduismus) in vielen der dortigen Länder. Das ist somit ein traditionalistisches und nicht mehr ein traditionales Phänomen: Ein Phänomen somit, das sich als reflektierte Bezugnahme auf eine angebliche bessere Vergangenheit der Gottesfurcht und der lebendigen Gemeinschaften präsentiert.42 Schon Geertz (1973, 148 ff.) weist auf die wesentliche Rolle der Weltanschauungsgemeinschaften unterschiedlichster Art - er nennt den traditionalistischen Islamismus, den modernisierten, universalistischen Islam, den Nationalismus und den Marxismus - im sozialen Wandel Javas hin. Die folgenden Sätze über Zentraljava in den 50er Jahren klingen überhaupt, als ob sie über Österreich in den 20er und 30ern geschrieben wären (167): "Because the same symbols are used in both political and religious contexts, people often regard party struggle as involving not merely the usual ebb and flow of parlamentary manoeuver, the necessary factional give-and-take of democratic government, but involving as well decisions on basic values and ultimates... The normal conflict involved in electoral striving for office is heightened by the idea that literally everything is at stake: the 'If we win it's our country' idea that the group which gains power has a right, as one man said, 'to put his own foundation under the state'. Politics takes on a kind of sacralized bitterness." Die eigentliche Scheidelinie in einem bestimmten Stadium des Modernisierungsprozesses ist somit die Cleavage Traditionalismus - Modernismus. Dies ähnelt der Konfliktlinie Liberalismus - Konfessionalismus, welche aus der herkömmlichen Parteientheorie bekannt ist. Sie sollte aber eher als eine Grunddimension, als ein "Faktor" i. S. der multivariaten Statistik, gesehen werden. Denn dieser Faktor findet sich mit Sicherheit auch in anderen 42 Man vgl. dazu die Aussagen auf der Konferenz "Europa der Religionen" am Institut für die Wissenschaften vom Menschen" im Dezember 1994, vor allem das Papier (im Erscheinen): Fouad Zakaria: The Dilemma of Pluralism in Contemporary Islam. - Im übrigen bringt Karl Renner in seinen Jugenderinnerungen, die er außerordentlich passend "An der Wende zweier Zeiten" nennt, eine höchst bildhafte und dementsprechend eindrückliche Beschreibung jener Prozesse, die damals abliefen und seinen eigenen Lebensweg bestimmten. 183 Konfliktlinien, wie etwa jener zwischen Stadt und Land oder zwischen Zentrum und Peripherie. Diese Cleavage nahm in Österreich bis in die 60er Jahre hinein den hier so genannten "Lager"-Charakter an. Die Nachwirkungen reichen durchaus bis in die Gegenwart. Die unklare nationale Lage der Zwischenkriegszeit hat die Situation gegenüber anderen Fällen lediglich auf spezifische Weise ein wenig verkompliziert. Das aber war wiederum ein vorwiegend intellektuelles Phänomen. Man behauptet oft, daß das österreichische Wirtschafts- und Sozialsystem am Beginn des 20. Jahrhunderts sich durch besondere Traditionalität ausgezeichnet hätte. Diese Zurückgebliebenheit wird mit Sicherheit überschätzt. Wenn wir einige Indikatoren dafür, wie etwa das BIP p. c. oder die Analphabetenrate als Bildungsindikator oder auch Geburtenziffern zwischen den Gebieten, welche zehn Jahre später die Republik Österreich bilden sollten, mit jenen aus anderen Staaten Westeuropas vergleichen (Kausel 1984), ist der Unterschied nicht von einer Größenordnung, welche eine Qualitätsdifferenz begründen könnte. Daß die innerösterreichischen regionalen Unterschiede groß waren, ist richtig, gilt aber für alle anderen Länder auch. Die eigentliche Bedeutung bekamen diese Unterschiede erst durch die auseinanderklaffenden Sinn- und Bezugswelten von Intellektuellen und Volk und durch deren (der Intellektuellen) Sinndeutung der Unterschiede. Bereits die literarische Romantik war ein bewußter Versuch, die Vergangenheit zu ideologisieren und aus ihr Modelle für ein neues Zusammenleben zu entwickeln. In Österreich fand sie ihren ideellen Bezug beinahe ausschließlich im Katholizismus, so sehr, daß Österreich und vor allem Wien eine Zeitlang zur Walfahrtsstätte der reaktionären deutschen Romantik wurde. Als gegen Ende des 19. Jahrhunderts die langsam erkämpfte Ausweitung der politischen Partizipation (abzulesen am Wahlrecht) demokratische Clubs und schließlich Parteien sah, schien es auch diesen Kreisen dringlich, sich zu organisieren. Die Bedrohung durch den Laizismus des Gegenlagers förderte schnell einen politischen Schulterschluß fast des gesamten Konservatismus unter dem Sigel der "Christlichen Sozialismus" (damals noch ganz offen ergänzt durch den Namenszusatz "und Antisemiten"). Verkompliziert wurde, wie schon gesagt, die Situation durch die für die Eliten ungeklärte nationale Lage, da sich auch die konservativen Intellektuellen mehrheitlich als "deutsch" definierten, sich somit auf die Bevölkerung eines anderen Staates als ihre Nation bezogen, obwohl sie die dortigen Verhältnisse zumindest vorerst (sozialdemokratische deutsche Republik!) eher ablehnten. Als nach dem Zusammenbruch der Monarchie ein selbständiger Kleinstaat entstand, nahm daher der eine Teil der konservativen Intelligenz Zuflucht zu diffusen Ideologemen. So hieß eine einflußreiche Zeitschrift des politischen Katholizismus der Ersten Republik "Das Neue Reich", wobei man sich keineswegs etwa auf das Deutsche Reich bezog. Kennzeichnenderweise ist der Gründer, Herausgeber und Chefredakteur der ersten Jahre (Joseph Eberle) ein zugewanderter Deutscher, der seine geistige Heimat im katholischen Österreich zu finden hoffte - ebenso wie dann eine der wichtigsten Figuren des "Christlichen Ständestaates", der österreichprogrammatischen Zeitschrift der 30er Jahre, ein Deutscher dieses Typus war (Dietrich von Hildebrand). Neben einem ausgeprägten Antidemokratismus und einem heute oft grotesk anmutenden Monarchismus durfte der Bestandteil Antisemitismus natürlich nicht fehlen. Es war das Sprachrohr eines geradezu rabiaten katholischen Fundamentalismus, das bei anderen katholischen Strömungen keineswegs ungeteilte Zustimmung fand. Allerdings dürfte einer der geistigen Väter im Hintergrund Ignaz Seipel gewesen sein (Werner 1938 verneint dies ohne große Überzeugungskraft). Wenn diese Zeitschrift also Anfang der 20er Jahre bereits der Republik ebenso wie der Demokratie jede "Legitimität" absprach, so hatte dies verschiedene Bedeutungen. Fürs erste war es ein eher geradezu kindlicher Versuch, die neue Wirklichkeit einfach nicht zur Kenntnis zu nehmen, indem man ihr philosophisch und juristisch die Daseinsberechtigung absprach. Doch hätte sich die Rolle dieser Gruppe darin 184 erschöpft, wäre das Blatt keiner Erwähnung wert. Allerdings sprach es bereits zu einer Zeit Gedanken aus, welche die christlich-soziale Führungsgruppe noch deutlich ablehnte, die sie sich aber nicht einmal ein Jahrzehnt später zu eigen machte (vgl. Berchtold 1979). Ganz offenbar mit der Unterstützung von maßgeblichen Teilen des Klerus wurde systematisch die Zerstörung der österreichischen Demokratie vorbereitet. Da man antidemokratisch war, war man auch antinational, fuhr also vorerst auch noch nicht auf der österreichischen Schiene. Sobald man von "österreichisch" sprach, präzisierte man den Inhalt mit "alt"österreichisch. Das "österreichische Volk" kommt bisweilen als Gegentypus zum "deutschen Volk" vor, schon in der Vorwegnahme des Gedanken von den besseren Deutschen. Doch die "österreichische Idee" ist stets jene Politik, welche in der verblichenen Monarchie schon einmal gescheitert war. Ein anderer Teil, der "deutsch-katholische", orientierte sich von vorneherein auf den Anschluß. Damit finden wir auf dieser Seite der Linie recht unterschiedliche Menschen. Dazu gehörten etwa der Kreis der jungen Ideologen mit Maurras'schen Tendenzen wie Konrad Heilig, zu dem aber auch Ernst Karl Winter mit ganz anderer Ausrichtung gehörte, aber auch der Ständestaatsideologe Othmar Spann (dessen Werke spät in der Zweiten Republik wieder aufgelegt wurden!) und der Pragmatiker Heinrich von Srbik (der sich selbst 1925 als "maßvollen politischen Konservativen" mit einem "Hang zum Katholizismus" definierte - Moos 1967, 9). Den Anschluß an diese Linien stellten in der Zweiten Republik auch wieder sehr unterschiedliche Personen her, von Friedrich Funder über Willi Lorenz bis zu Friedrich Heer und Erika Weinzirl. In der Gegenwart scheint diese Gruppe kaum mehr als eine identifizierbare Strömung zu existieren. Eine "Österreichische Gemeinschaft", die ihre Existenz auf das Jahr 1925 zurückverfolgt, ist ein Notabelnklub, der trotz einiger bekannter Namen in seinem Kuratorium (hier scheinen Rudolf Kirchschläger und Kurt Skalnik auf, daneben noch F. J. Federsel, Norbert Leser, Robert Prantner und W. Potacs), kaum irgendeine Wirkung zeigen dürfte. Er bekennt sich zur "Belebung und Vertiefung der aus katholischer Grundlage erwachsenen österreichischen Staatsidee", tritt für "unbedingte Selbständigkeit Österreichs als Staat und Nation" ein und will das friedliche Zusammenleben der Völker "besonders jener des Donau- und Alpenraumes", fördern. Seine Zeitschrift, "Die österreichische Nation", war bis vor wenigen Jahren ein dünnes Mitteilungsblättchen für Vereinsangelegenheiten, bemüht sich nun aber um repräsentativeres Aussehen und inhaltliche Beiträge. Demgegenüber gab es eine intellektuelle Strömung, welche als ihr Hauptziel die Überwindung der Tradition und des Traditionalismus sah. Sie fand sich seinerzeit vorwiegend in der Sozialdemokratie und in ihrer geistigen Nachbarschaft, teilweise auch in den demokratischen Traditionen des österreichischen Deutschnationalismus, und teils kamen sie sogar ursprünglich aus dem Liberal-Konservativismus. Doch deren Deutschnationalismus - nicht alle waren deutschnational - hatte eine völlig andere Bedeutungswelt als jene es war, welche auch den größten Teil der Bevölkerung sich "deutsch" definieren ließ, wenn man sie nach ihrer nationalen Zugehörigkeit fragte. Otto Bauers (1923) Hinweis, daß die Anschlußbegeisterung unter den Arbeitern gering war, "weil sie den deutschen Imperialismus gehaßt hätten", ist eine Rationalisierung und insoferne eine Mißdeutung der Situation. - Neben ausgewiesenen Sozialdemokraten (Max Adler, Ludo Moritz Hartmann) gehören hierher auch Leute wie Hans Kelsen, Josef Schumpeter, Anton Menger, aber auch Sigmund Freud. In der Gegenwart setzt sich diese Tradition im kulturellen Linksliberalismus fort, der seinerseits noch immer der heutigen SPÖ nahesteht. In der politischen Umsetzung war es die Ära Kreisky, welche mit ihrem Schlagwort der Modernisierung - die über den Charakter als politisches Schlagwort tatsächlich eine 185 geistige Verwandtschaft zur Modernisierung aufwies, wie sie die Nationentheorie versteht einen kulturellen Liberalismus kurzfristig zumindest hegemonial machte. Im Moment wandelt sich die Szene wiederum. Zu den Protagonisten einer neuen, nun aber gründlich anders verstandenen Modernisierung haben sich neue Kräfte gemacht. Als nach der schweren Wahlniederlage der SPÖ im November 1986 - es gelang ihr gerade noch, einen minimalen Vorsprung vor der ÖVP zu halten - neuerlich eine große Koalition gebildet wurde, da stand die Regierungserklärung (vom 9. Feber 1987) unter dem Motto: "Unser Land braucht einen neuen Modernisierungsschub." Dies war wohl ein dialektisches Anknüpfen an die erste Regierungserklärung Kreiskys vom 27. April 1970: Dialektisch, weil es einerseits Kontinuität signalisierte zum damaligen Modernisierungskonzept, andererseits aber offenbar auch die nötige Revision der nahezu zwei Jahrzehnte verfolgeten Politik andeutete. Sieht man sich diese wie auch andere Regierungserklärungen weiter an, wird man außer Worthülsen wenig finden. Aus der Regierungserklärung ist jedenfalls nicht erkennbar, daß nunmehr tatsächlich eine politische Wende eingeleitet wurde. Sie nahm im Inneren den Kurs einer akzentuierten neokonservativen Wirtschaftspolitik, getragen vor allem von der Politik des SP-Finanzministers, und - wesentlich weittragender - durch die Festschreibung der neuen Außenpolitik, initiiert schon in der kleinen Koalition durch den damaligen Außenminister Gratz, durchgeführt durch die neue EG-Politik der nunmehrigen Regierung. "Erst als die SPÖ ihre wesentlichen Grundsätze aufgegeben hat, war es ihr möglich, in die Europa-Idee einzusteigen", schätzt dies der politische Gegner Mock richtig ein (Wachter 1994, 124). Nach dieser Wende allerdings war die Partei die entschlossenste Vertreterin der neuen Politik. Sie mündete im EG-Aufnahmeantrag und wurde 1994/95 durch den Beitritt formell abgeschlossen. Heute trägt auch der SP-Vorsitzende die weitergehende Politik mit, welche die Aufgabe jeder Eigenständigkeit bedeutet. "Ich begrüße die zunehmende Integration und stehe daher auch der Währungsunion positiv gegenüber" (Vranitzky 1996, 44). Weil er dies aber in der "Zukunft", also für die eigenen Funktionäre schreibt, welche dies nicht ganz so eindeutig sehen, fährt er scheinkritisch fort: "Nicht die grundsätzliche Zielsetzung, wohl aber die gegenwärtige Konzeption der Währungsunion entspricht primär einer neoklassisch dominierten Auffassung von Wirtschaftstheorie und -politik." Und weil die Aussage nichts kostet, fügt er noch hinzu: "Um die Währungsunion wirklich sozial verträglich zu gestalten, muß die Zielsetzung einer aktiven Beschäftigungspolitik stärker in den Mittelpunkt unseres wirtschaftspolitischen Handelns rücken" (S. 45 und 48). Die schwerste Wahlniederlage der SPÖ in der Republik hat dies freilich nicht mehr verhindert. 4.5.1 Abfahrtslaufnationalismus? Nationalstolz? Sport als Ausdruck nationaler Leistung und nationalen Stolzes wird im Diskurs um nationales Bewußtsein immer mit Mißtrauen und von oben herab betrachtet. Wollen wir dies klar feststellen und ausargumentieren: Sport gehört zu den wesentlichen kulturellen Ausdrücken einer Gesellschaft. Damit sollte auch schon klar werden, warum gerade Massen- und Schausport eine erhebliche Rolle in der nationalen Identifikation breiter Volksschichten spielt. War Sport früher und in anderen Gesellschaften vorwiegend von den Oberschichten betrieben, ja monopolisiert, so wurde er mittlerweile zum kulturellen Ausdruck eher der Unter- und unteren Mittelschichten. Intellektuelle haben ihn daher aus ihrem Lebenstil und von ihren Werten aus gewöhnlich mit Mißtrauen betrachtet, zumindest 186 in Kontinentaleuropa.43 Das führt dazu, daß man wesentliche Prozesse in der Formierung kollektiver Identitäten entweder übersieht oder nicht richtig begreift. In Großbritannien oder auch in den USA war es nicht zuletzt der "sportsman", welcher den "gentleman" mitdefinierte, der wiederum den Typus des nationalen Menschen darstellen sollte. Aus dieser intellektuellen Arroganz mitteleuropäischer Meisterdenker ist auch die Abqualifikation mancher Ausdrucksformen nationaler Identität als "Abfahrtslaufnationalismus" erklärbar. Es ist übrigens nicht neu, daß man Sport weniger als nationale Leistung anerkennen will als andere kulturellen Ausdrücke. Das Wettrennen zwischen Cook und Peary zum Nordpol war nach amerikanischer Art ziemlich unverhüllt ein nationales Sportereignis. Anders stand es mit dem Wettrennen zwischen Roald Amundsen und Robert Scott zum Südpol. Dieses mußte unter der weihevollen Bezeichnung "Forschungsexpedition" laufen, damit sich die Sprecher der nationalen Publika damit auseinandersetzten. Man nahm alibihaft Messungen des Erdmagnetismus und Aufnahmen der Aurora vor, die sich in ihrer Stümperhaftigkeit später als völlig unbrauchbar erwiesen. Aber es war hier einfach nicht möglich, die beachtlichen organisatorischen und körperlichen Leistungen als kompetitiven Selbstzweck darzulegen. Die Ironie dabei ist, daß die Vermarktung ähnliche Formen annahm, wie wir sie heute z. B. auch bei Reinhold Messner beobachten können. Amundsen war immer wieder viele Wochen lang rund um die Welt unterwegs, um seine Dias in Vorträgen zu zeigen. Der Informationsgehalt dieser Dias ist nahezu Null (vgl. Huntington 1989); sie vermitteln bestenfalls Stimmung. Mehr erwartete man auch gar nicht. Denn man wollte sich identifizieren können, nicht in erster Linie neue Erkenntnisse gewinnen. Immer wieder wird auf den Einsatz von Landschaftselementen zur Symbolisierung österreichischer Identität hingewiesen. Dabei sind die beliebtesten Topoi die "Donau" und schon im Übergang zu einem anderen Identitätstopos (dem "Sport") die "Alpen". Das steht allerdings in schlagendem Widerspruch zu einem allgemein bekannten und akzeptiertem Fakt, die "Konzentration der identitätsstiftenden Einrichtungen, Symbole und Heil- und Heiligtümer in Wien" (Petschar/ Schmid 1990, 34). Beide Lokalisierungen sind nämlich auch politische Aussagen. Gerade wenn man die Stadtfeindlichkeit der Anti-Moderne bedenkt, die nicht nur in den 20er und 30er Jahren sumpfige Blüten treibt, sondern sich auch in den 50er und 60ern ausleben konnte und Ausläufer bis heute hat, erstaunt man über den Symbolkreis "Großstadt Wien". Wie kommt es, daß ausgerechnet der Weg der Stadt die Nation Österreich symbolisieren sollte, da doch die zwei Jahrzehnte dominanten Konservativen mit Wien immer ihre großen Schwierigkeiten hatten? Tatsächlich ging dies auch nicht so einfach. Weiters ist Wien ein ziemlich komplexes Symbol. Man kann natürlich, wie es für den inneren Gebrauch seit einiger Zeit geschieht, die städteplanerischen und -politischen Erfolge des "roten Wiens" in den Vordergrund stellen. Man kann aber auch, und faktisch geschieht dies in massivem Umfang, sodaß der erste Aspekt völlig in den Hintergrund gerückt wird, das habsburgische Wien, die "Residenzstadt Wien" ideologisch modellieren. Damit spielt man auch über die Ambivalenz der Leittypen Leopold I., Maria Theresia, Joseph II., Franz I. (II.) und natürlich Franz Joseph hinweg. Ergänzt wird das habsburgische Wien durch die ProvinzHabsburger, von den Tirolern mit Herzog Friedrich IV., "Friedl mit der leeren Tasche" und Maximilian, bis zum "Steirer" Erzherzog Johann, durch konservativem Regionalismus somit. Einen Nachglanz dieses Provinzialismus, im analytischen wie durchaus auch in einem Alltagssinn, finden wir, pathetischer formuliert, auch in der oben ausführlich zitierten Programmatik der ÖVP und ihrer Interpretation. - Dabei wird dann bewußt oder unbewußt völlig vergessen, daß Wien in seiner Blütezeit am Ende der Monarchie vor allem 43 Der Verfasser gesteht reumütig ein, daß er sich dessen auch bereits schuldig gemacht hat. 187 auch eine "Industriestadt Wien" (Lichtenberger-Fenz) war. Schließlich sollte man auch nicht vergessen, daß Wien bis 1966 für das übrige Österreich nicht in erster Linie eine SPKommune war, sondern die Hauptstadt einer von den Konservativen bestimmten Regierung. Gerade deswegen läßt sich zum einen in der Gegenüberstellung "östlichwienerische Urbanität" und "westlich-ländlicher Traditionalismus", zum anderen aber auch in der Polarität "fortschrittliches Wien" gegen "höfisches Wien" eine Konfliktlinie erkennen, welche für die Darstellung der österreichischen Identität und der mit ihr verbundenen möglichen Programmatiken von erstrangiger Bedeutung ist. 4.5.2 Die Neutralität und der NATO-Anschluß Die sogenannte "immerwährende" Neutralität bzw. in der Folge die Stellung Österreichs zur NATO wurde zu einem der Kernpunkte der neueren politischen Auseinandersetzung. Das war völlig unvermeidlich, weil sie zu einem der Kerne geworden ist, an denen sich österreichische Identität realisierte. Darüberhinaus war sie als die Voraussetzung für die Wiedergewinnung der vollen Souveränität für die österreichische Bundesregierung auch die eigentliche völkerrechtliche und politische Grundlage der Zweiten Republik. Es war auch kein Zufall, daß die stärksten Angriffe auf die Neutralität stets aus dem deutschnationalen Flügel der FPÖ kamen. Mittlerweile wurde diese Position, wie die grundlegenden Haltungen insgesamt, von einem Großteil der politischen Klasse übernommen. Von intellektueller Seite haben sich außer weit rechtsstehenden Personen bisher kaum Stimmen dazu vernehmen lassen. Der Versuch, Neutralität angesichts ihrer fundamentalen Bedeutung zum "Verfassungsprinzip" machen zu wollen, war eher taktischer Art und insofern verfehlt, als es eine politische Frage ist. Jenseits der Fragwürdigkeit, politische Entscheidungen mit einem Rechtstabu umgeben zu wollen, verkennt es natürlich auch den Charakter des Rechts, das schließlich nichts anderes als die formalisierte und verfahrensorientierte Nachvollziehung von politischen Kräfteverhältnissen ist. Die Neutralität wurde deshalb zum Hauptangriffspunkt, weil sie tatsächlich den österreichischen Eigenweg der Selbstbestimmung symbolisiert, und dies, obwohl sie ursprünglich durchaus eine völkerrechtliche Verpflichtung, auferlegt von außen war, welcher insbesondere die Sozialdemokratie und ihr damaliger außenpolitischer Sprecher Kreisky mit Mißtrauen gegenüberstanden. Sie wurde daher zum eigentlichen Kern österreichischer Identität. In diesem Sinn verkörpert sie auch die österreichische Demokratie der Zweiten Republik bzw. diese selbst. Das wurde im übrigen sogar offiziell ausgedrückt, wenn im Gesetz über den österreichischen Nationalfeiertag (BGBl 263/1967) die dauernde Neutralität als Ausdruck der Entschlossenheit Österreichs definiert wird, "für alle Zukunft und unter allen Umständen seine Unabhängigkeit zu wahren." Unter dem Sperrfeuer massiver Angriffe fast der gesamten Presse sowie der NATO-Parteien ÖVP, FPÖ und LIF sowie eines Teiles der SPÖ bröckelt die Zustimming in den letzten fünf Jahren etwas ab, ist aber angesichts der fast vollständigen Beherrschung der Presse durch die Neutralitätsgegner immer noch erstaunlich hoch: Eine zufällige Zeitungsmeldung zum Zeitpunkt der Endredaktion dieses Textes ergibt 71 % an Pro-Haltung innerhalb der Bevölkerung (OGM zit in Standard 25./26./27. Okt. 1996). Daß dabei die Kohärenz nicht groß ist und eine erhebliche Anzahl auch der Aussage zustimmt, daß Österreich allein seine Sicherheit nicht mehr wird gewähleisten können, ist angesichts der hämmernden Propaganda und der jahrelangen bewußten Verwischung der Linien nicht verwunderlich. Vor einem halben Jahrzehnt beantworteten noch 96 % die Frage: "Soll die Neutralität 188 Österreichs so bleiben wie sie ist, oder abgeschafft werden?" mit Ja (zit. nach Profil 3/13. 1. 1992, 16). Die Angriffe auf sie laufen im Moment auf mehreren Linien. Neutralität ist Bestandteil der österreichischen Staatsidee weiß nicht 9% nein 12 % ja 79 % Quelle: SWS-Umfrage März 1991 Tatsächlich laufen die Vorschläge der ÖVP, die zur Vorbereitung der Turiner Regierungskonferenz eine parteieigene Kommission eingesetzt hat, auf eine vollständige Aufgabe der nationalen Souveränität hinaus, und da Souveränität die Außenseite der Demokratie ist, auf eine Delegierung der Demokratie. Ausgerechnet Vertreter des Kleinstaats Österreich treten für Positionen ein, die allenfalls Sinn für Großmächte machen würde: "Im Rat der Europäischen Union sollen vermehrt Mehrheitsentscheidungen vorgesehen werden... Die Kommission soll als Motor des Integrationsprozesses gestärkt werden, indem z. B. weitere Politikbereiche 'vergemeinschaftet' werden. In einer ersten Phase könnten der Kommission auch Kompetenzen in den Bereichen 'Inneres und Justiz' übertragen werden" (Wintoniak 1996). Und um dem Ganzen auch einen Schuß Komik zu geben wird noch die "Direktwahl des Kommissionspräsidenten" vorgeschlagen, wobei die interessante Erläuterung folgt: "Europa würde durch einen direkt gewählten Kommissionspräsidenten zu einer Präsidialrepublik wie die USA oder die GUS" (so steht es tatsächlich im Text!! - Leidwein 1996). In solchen Gedankenspielen hat die Neutralität natürlich keinen Platz. Die derzeit maßgebliche Gruppe in der ÖVP hat also die freiheitliche Argumentation aufgegriffen. Auch hier hat sie ihre Linie völlig geändert. In den 70er Jahren hatte sie sich gegen die Neutralitätspolitik Kreiskys gestellt, weil diese angeblich eine Gefährdung der reinen Lehre darstellten. Noch 1984 mußte der eigene künftige Kandidat für die Bundespräsidentschaft mahnen (Waldheim 1984, 10): "Es gibt Leute, die es eher vorziehen würden, wenn sich Österreich von der internationalen Politik fernhalten würde... Sicherlich ist es richtig, sich bei Vermittlungsaufgaben nicht vorzudrängen. Umgekehrt aber leben wir nicht im luftleeren Raum." Erst wenige Jahre später erkannte sie das politische Potential einer Westwendung für die eigenen Ziele, die sie intern damals noch nicht durchbringen konnte. Nach der Wende ließ sie beispielsweise einen Spitzendiplomaten, der heute (1996) UNO-Botschafter ist, argumentieren: "Mit dem Wegfall des Ost-West-Konflikts und der Desintegration des Ostblocks wird die Funktion von Nato und Westeuropäischer Union neu eingeschätzt. Vor allem der Nati wird eine sicherheitspolitische Bedeutung für ganz Europa zugemessen" (E. Sucharipa in: Standard, 28. Feber 1992). Auch die Richtung, in 189 die es gehen soll, wird bereits vorsichtig angedeutet: "Wären jedoch die eutopäischen Demokratien von einem äußeren Konflikt bedroht, hätte die Solidarität Vorrang." Es geht also tendentiell gegen die Dritte Welt, wobei die Situation umgekehrt wird. Tatsächlich war politisch wie staatsrechtlich die bisher massivste Verschiebung in der Neutralitätspolitik noch lange vor dem EG-Anschluß festzustellen. Es war der zweite Golfkrieg, also die Auseinandersetzung zwischen zwei der schmutzigsten Dritte-Welt-Regimen, deren eines jedoch aufgrund seiner reichen Ölvorräte die Unterstützung der USA genoß. Damals wurde in einer Nacht- und Nebelaktion das Kriegmaterialgesetz und das Strafgesetz so geändert, daß die agierenden Politiker dem Drängen der USA nachgeben konnten, ohne eine Strafverfolgung fürchten zu müssen (vgl. Rotter 1992). Die Ironie bestand darin, daß gleichzeitig eine Reihe von Politikern wegen vergleichsweise harmloser Vergehen wegen Neutralitätsgefährdung eben vor Gericht standen. Um die neuen politischen Vorgaben auch ins Volk zu bringen, wird in geradezu schamloser Weise jener Begriff in Anspruch genommen, welcher bis vor wenigen Jahren immer ein Anbot an die Schwächeren, eben auch die Dritte Welt, bedeutete: Man spricht vom "Prinzip der Solidarität". Heute lautet dies so: Auf die Frage an den Parteiobmann Schüssel, ob der NATO-Beitritt "unausweichlich" sei, antwortet er: "Ja, das ist meine persönliche Position als Obmann der ÖVP" (Kurier, 25. Mai 1996). Ein halbes Jahr später wählt er das NATO-Hauptquartier selbst, um das Miltärbündnis aufzufordern, Österreich um Beitritt zu bitten... Die NATO-Parteien operieren heute mit Sicherheitspolitik und mit (allerdings nicht besonders ausgeprägten) außenpolitischen Ängsten in der Bevölkerung. Sie versucht also, die Neutralität auf einen rein instrumentellen Charakter zurückzuführen. Doch die Diskussion darüber und über einen kommenden NATO-Beitritt haben mit Sicherheitspolitik nichts zu tun. Es ist eine bewußt verschleiernde Diskussion. Der Einsatz ist, wie schon in der EG-Debatte, die Auseinandersetzung um die Ausrichtung der österreichischen Politik. Sie betrifft somit das nationale Projekt Österreich und damit die Existenz der österreichischen Nation, und zwar sowohl in seiner realen als auch noch viel stärker in seiner symbolischen Dimension. Das Ziel ist die endgültige und unwiderrufliche Liquidierung des eigenständigen Modells Österreich. Dieser Debatte hinkt im wesentlichen, wie immer etwas zögernd, die SPÖ hinterdrein. Eine Ausnahme bildete der unvermeidliche Rudolf Burger mit einem Aufruf zum NATOBeitritt im SPÖ-Organ (Burger 1994), in dem er ziemlich wörtlich etwa jene Argumente verwendet, mit denen sich seinerzeit die FPÖ gegen die immerwährende Neutralität ausgesprochen hatte. Doch die SPÖ stellt sich derzeit (1996) mehrheitlich noch gegen die vollständige Aufgabe der Neutralität und hat die gegenwärtige Praxis der differentiellen Neutralitätspolitik zum offiziellen Standpunkt erhoben. Ihr inoffizieller Standpunkt wird typischerweise von einem Diplomaten mit politikwissenschaftlichen Ambitionen - mit "Anpassen" umschrieben (Novotny, in Zukunft 5, 92, 17 ff.). Offiziell lautet dies so: Die Sozialdemokratische Partei Österreichs sieht die Lösung der sicherheitspolitischen Probleme in der Schaffung eines gesamteuropäischen, kollektiven Sicherheitssystems. Österreichs Neutralität ist ein durchaus sinnvoller Beitrag zur Errichtung eines solchen Systems. Österreichs Neutralität ist mit einer Mitgliedschaft in einem Militärbündnis - sei es die NATO oder die WEU - unvereinbar" (zit. bei: Katzenschläger 1996, 18). Daneben gibt es aber bereits Kräfte - man denke an den sogenannten Spitzenkandidaten der SPÖ für die Wahlen zum Europäischen Parlament - die offen den NATO-Beitritt ansteuern, auch 190 wenn sie dies auf mitunter groteske Weise noch verschleiern möchten, indem sie NATO und Neutralität für miteinander vereinbar erklären. Widerspruch kommt vom schwachen "linken Flügel", für den derzeit (Mitte 1997) Caspar Einem spricht. Er benennt in einem Artikel im Standard vom 4./5. August 1996 (Die Zähmung des Wettbewerbs") einige der wesentlichen Motive, welche hinter dem Drängen in die NATO stehen: "Freilich ist es nicht ganz auszuschließen, daß es auch einigen österreichischen Politikern schwerfällt, mit der Entscheidung von 1918/19, die Österreich die materiellen Voraussetzungen zu Machtpolitik genommen hat, und mit der Entscheidung von 1955, die in der Folge der Katastrophe 1938/45 und der damals nochmals ausgelebten Großmannsgelüste die Konsequenzen gezogen hat, zu leben. Derartige Neigungen sollten allerdings offen gelegt werden. Österreich hat genug Erfahrungen gemacht als Teil einer Großmacht oder als Großmacht, um zu wissen, wissen zu können, daß dieser Politikansatz zwar immer wieder auf "das Feld der Ehre" führt. Dort aber bleiben in der Regel Tausende, wenn nicht Millionen Tote zurück." Diese Sätze sind tatsächlich erstaunlich für einen amtierenden Innenminister einer heutigen österreichischen Bundesregierung. Doch ebenso wesentlich ist, was im Artikel noch steht, bzw. vor allem, was nicht drinnen steht, und was sich auch im nernebelnden Stil ausdrückt, was also ein maßgeblicher Politiker nicht sagen darf oder zu sagen wagt: Die EG / EU selbst ist das Ergebnis jenes Großmachts- und Einflußzonendenkens, das er hier kritisiert. Schon in den Römer Verträgen haben die vertragschließenden Parteien ausdrücklich das Ziel der politischen Union formuliert. Nun weiß natürlich jeder, daß ein Staat nicht zuletzt eine "amalgamierte Sicherheitsgemeinschaft" (K. W. Deutsch) ist, m. a. W., eine vereinheitlichte Militärorganisation. Insbesondere ist die GASP, deren "Vertiefung" er befürwortet, das designierte Instrument dieser Politik. Eine politische Union wäre denn auch ein Widerspruch in sich ohne einheitliche Außen- und Militärpolitik. Daß diese bislang schlecht funktioniert, besagt einzig, daß sich die maßgeblichen Staaten bisher weder auf die Ziele noch auf die Vorgangsweisen tatsächlich einigen konnten, weil insbesondere die Achsenmächte BRD und Frankreich in vielen Bereichen unterschiedliche Vorstellungen bei durchaus grundsätzlicher Übereinstimmung haben. Die verschiedenen Traditionen unterschiedlicher Großmachtkonzepte wirken nach, ebenso die unterschiedlichen regionalen Interessen. Es besagt, daß die politische Union vorderhand noch Fiktion ist. Doch wohin die allgemein festgelegte Richtung gehen soll, zeigt die Diskussion und der Ausgang der sogenannten "out-of-area-Einsätze" in der BRD. Es geht um die Durchsetzung von Interessen des "Nordens" gegen den Rest der Welt mit militärischen Mitteln. Konnte man der NATO im Kalten Krieg in ihrem Sinne nicht einen gewissen Verteidigungscharakter absprechen, weil es immerhin das Gegenüber des Warschauer Paktes gab, so ist dieser Verteidigungscharakter mit dem Zerfall von Warschauer Pakt und Sowjetunion bis auf den letzten Rest geschwunden. Im übrigen wurden auch seinerzeit aus innenpolitischen Interessen verschiedener NATO-Staaten die Bedrohungsbilder nicht nur bis zur Karikatur verzerrt, sondern massiv überschätzt - von der "Raketenlücke" Kennedys über die vor allem deutschen Interessen entgegenkommenden SS20 bis zur Einschätzung der gescheiterten Invasion Afghanistans durch die Sowjetunion.. In diese NATO, welche der militärische Arm der Nord-Süd-Politik sein soll, und wovon die GASP nur die EU-Formulierung der zugrundeliegenden Politk bildet, drängt also ein Großteil der österreichischen politischen Klasse, und der Sprecher des "linken" SP-Flügels nickt beifällig zur politischen Seite. Er hat offenbar vergessen, sich an Clausewitz zu erinnern: Militärische Politik ist nur untergeordneter Teil der 191 Außenpolitik und wird, außer in Ausnahmeperioden, von dieser gesteuert. Für eine "Vertiefung" der GASP, aber gegen die NATO zu sein, ist ein politischer Widerspruch. Und wie verträgt sich des damaligen Innenministers Abneigung gegen die "Großmannsgelüste" und die Großmacht-Phantasien mit dem Wahlplakat der SPÖ im September 1996: "In Europa zählt Stärke"? Der augenblickliche parteioffizielle Standpunkt läßt sich auf solche Feinheiten gar nicht ein, sondern erklärt in gewohnter Oberflächlichkeit: "Die NATO ist ein gutfunktionierendes Militärbündnis, aber sie vertritt ein Konzept von gestern... Was wir brauchen, ist eine größere Bereitschaft und Anstrengungen, um Konflikte nicht militärisch zu lösen; um dazu beizutragen, daß militärische Konflikte erst gar nicht mehr entstehen" (P. Kostelka, Das Anti-Neutralitäts-Paradoxon. Profil 32/5. 8. 1996). Damit erspart man sich auch jene Diskussion über Großmachtsehnsüchte auch und nicht zuletzt innerhalb der SPÖ, die Einem in Gang bringen wollte. Hier zeigt sich die Doppelzüngigkeit der SPÖ wieder deutlich, wie sie selbst ein Parteimitglied moniert: "In den letzten Jahren hat die Regierung den Begriff 'Neutralität' fast nur mehr für den Hausgebrauch verwendet, ihn jedoch auf internationaler Ebene kaum noch ins Spiel gebracht. Dadurch hat Österreich aber auch auf die Chance verzichtet, im Rahmen der europäischen Sicherheitsdiskussion einen Akzent einzubringen, der möglicherweise auch die starren Fronten um die Frage der NATO-Osterweiterung aufweichen könnte" (Krims 1996, 23). Parallel und faktisch von dieser Politik von oben gesteuert versucht der weitestgehend konservative Tagesjournalismus, diese Strategie der Instrumentalisierung zu popularisieren, vorderhand trotz großem Einsatz noch mit bescheidenem Erfolg. Und daneben gibt es, wie schon erwähnt, vereinzelt jene, welche sich, vermutlich aus persönlichem Profilierungsbedürfnis, mit einer moralischen, "internationalistischen", Argumentation versuchen: Neutralität "ist immer eine Politik des verhärteten Herzens," usw. (Burger 1994). 4.5.3 Personalisierung: Günther Nenning vs. Rudolf Burger? "Österklein statt Österreich, Österarm statt Österreich" (Nenning 1988, 206), so faßt einer der seinerzeit bekanntesten Intellektuellen, auch einer, der schon recht viele Schwenks gemacht hat, einer, der manchmal im Zentrum von neuen Ideen, derzeit aber - trotz (oder wegen?) regelmäßigen Beiträgen in der "Kronenzeitung" - eher am Rande des politischen Denkens steht, sein politisches Projekt zusammen. "Die Vollendung der österreichischen Nationalität liegt im Schutz der Natur und der Arbeit, das heißt: Schutz der Heimat... Unsere Regierenden gehen über Leichen (von Natur und Demokratie)" (S. 200 und 232). Nicht nur damit steht Nenning diametral gegen herrschende intellektuelle Strömungen, aber auch den Trivialfolgerungen daraus, welche manche Politiker ziehen. Zur Affäre Waldheim meint er etwa: "Was hingegen unser Image betrifft, sollen wir froh sein, daß wir es verloren haben. Mozartkugeln, Lippizaner Pferterln, Sound of Music, und der ganze Scheiß - dieses Heiratsschwindlerimage des Österreichers, Schnurrbärtchen, Hantibussi very charming dem sollen wir nachweinen (201)?" Und schließlich zum Thema EG: "EG ist eine neue Abkürzung für 'Deutschland, Deutschland über alles'" (S. 13). "Schafft zwei, drei, viele Europas, nur nicht eines (Nenning 1990, 84)!" Der Wiederspruch zum eilfertigen und höchst aggressiven - sehr laut hörbar in einer ORF-Diskussion mit Nenning über dasselbe Thema - Nachvollzug politischer Vorgaben der Regierung, für den paradigmatisch Rudolf Burger steht, könnte nicht größer sein. 192 Nenning hat bei all seinen politischen und ideologischen Hackenschlägen, vom BrechtKanibalismus bis zu seiner Version des Katholizismus, den politischen Projektcharakter der Nation nicht nur erfaßt, sondern auch mit Inhalten anfüllen wollen. Darüberhinaus stellt er sich prononciert gegen die Selbsthaß-Übertragungen, die wir weiter oben unter dem Stichwort "Vergangenheitsbewältigung" angesprochen haben. Er verzichtet auch nicht auf die alten Klichees: "Ich fühle mich als Böhme, Ungar, Jude, Italiener, Kelte, Illyrer - wie sich eben ein richtiger Österreicher fühlt... verkauzt, provinziell, eben österreichisch" usw. (Nenning 1988, 12 f.). Das ist übrigens ein seit 1945 gängiger Ausdruck für den Versuch, die nationale Zugehörigkeit auf eine neue Weise zu naturalisieren, indem man nicht mehr die „ (Rassen-) Reinheit“ betont, sondern die Mischung. Übrigens zeigt sich hier besonders deutlich, wie heute „Kultur“ den Begriff der „Natur“ und insbesondere den der „Rasse“ ablöst: Denn heute wird das selbe Anliegen unter dem Schlagwort „Multikulturalismus“ formuliert, den man der „Nationalkultur“ gegenüberstellt (statt seinerzeit der „reinen Rasse“). Der Begriff der Nationalkultur ist ja nichts anderes als der Anspruch einer Nation, organisiert als Staat, auf die unbefragte Loyalität seiner Bürger. Der Kulturbegriff wird infolge seiner höheren Dignität gegenüber jenem der Politik eingesetzt. Das ist auch der Grund, dass man auf verlorenen Boden gegen die Verwendung des in Fragen ethnischer Beziehungen analytisch obsoleten Kulturbegriffs angeht. Doch seine Stellung zur NS-Zeit formuliert er in einer Weise, die wahrscheinlich wahrhaftiger ist als die Gegenposition, jedoch allen Abrechnungen mit dieser Vergangenheit entgegensteht: "In Wahrheit lief mitten quer durch uns die Grenze zwischen Anstand und Faschismus ... Verwerflich ist zweierlei: erstens Faschismus, zweitens Antifaschismus, der nicht verzeihen kann" (80 und 71). Eine stärkere Gegenthese zu den Jellineks etc. dürfte schwer zu finden sein. Ist es auch antibrechtisch (da hat Nenning ja Tradition), so ist es doch gleichzeitig auch vielschichtig. Wenn er über den "Widerstand", den viele österreichische Schriftsteller ständig zu leisten glauben, spöttelt, spricht er darüber hinaus noch ein erstaunliches Faktum an: den Mißbrauch von Begriffen, die seinerzeit eine Frage von Leben und Tod bedeuteten, und die heute zur Masche, zur modischen Pose und Posse wurden - wobei der für den eigenen Erfolg einiges riskiert, der sie nicht benutzt und sich damit einem bestimmten Konformitätsdruck verweigert. Nenning ist in unserem Zusammenhang, des zeitgenössischen Projektes Österreich, deswegen wichtig, weil er eine Zeitlang, in den 60er und 70er Jahren, zum Sammelpunkt einer größere Anzahl junger Intellektueller wurde. Seine damaligen Ideen und sein Formulierungs- wie sein Oragnisationstalent taten also Wirkung. Ob bzw. wie sehr dies heute noch der Fall ist, dürfte eher zweifelhaft sein. Nichtsdestoweniger kommt man an ihm nicht vorbei, wenn man das österreichische Geistesleben der Gegenwart beobachtet. 5 Nachnationale oder nationale Politik im übernationalen Sttaatenverband? Die Zeit seit 1995 Der Aufbau der österreichischen Nation war in weitaus geringerem Maße wie jener anderer und konkurrierenden Nationenprojekte ein intellektuelles Anliegen. In Österreich waren die Intellektuellen und die politische Elite bis zum NS-Zusammenbruch fast durchgehend Träger eines "deutschen" Nationalbewusstseins. "Nation Österreich" war insbesondere nach 1945 ein von oben gesteuertes politisches Programm, welches trotz seiner außenabhängigen Bedingtheit (Abkoppelung von der deutschen Katastrophe) einem tiefgehenden Bedürfnis der Bevölkerung entgegenkam. Das wird deutlich, wenn man ein Beispiel zum Vergleich heranzieht, welches etwa gleich viel Zeit verfügbar hatte, letztlich 193 aber scheiterte, und zwar aller Wahrscheinlichkeit nach endgültig: die DDR. Auch das Projekt eines antifaschistischen deutschen Staates zuerst und seit Ende der 60er Jahre einer eigenen Nation (Kosing 1976, Hexelschneider/John 1984) wurde von oben vorgegeben. Es scheiterte im wesentlichen an seinen Trägern, deren Projekt durch den entscheidenden Teil der Bevölkerung nicht akzeptiert wurde und sich daher ohne Stütze von außen nicht halten konnten. Nach dem Zweiten Weltkrieg blieben die Intellektuellen gegenüber der großteils aus dem alten System wiederkommenden, aber gewandelten politischen Klasse bis auf wenige Ausnahmen vorerst stumm. So wurde Österreich in einem Ausmaß eine "politische Nation", wie es anderswo in Europa kaum noch zu finden ist. Der politische Projektcharakter, der jedem Nationenaufbau zukommt, ist nur dünn durch die üblichen nationalen und nationalistischen Mythen verhüllt, wie sie sonst so beliebt als Spielzeuge nationaler Invention sind. Die ÖVP war damals neben der KPÖ die eigentliche Erfinderin der österreichischen Nation. In ihrem Programmentwurf von Mitte der 1990er Jahre bietet sie statt dessen "Europa"; Heimat sucht sie "in der Familie, am Arbeitsplatz, in den Vereinen, in der Gemeinde, im Bundesland, in der überschaubaren und nahen Gemeinschaft" (der ÖVP-Spitzenpolitiker und spätere Nationalratspräsident Andreas Khol). Die Nation Österreich kommt nicht mehr vor. – Die SPÖ hatte mit der österreichischen Nation anfangs Schwierigkeiten. In der Ära Kreisky wurde sie zur eigentlichen Trägerin dieses Nationalprojektes. Ein wesentlicher Zug war die aktive Neutralitätspolitik. Seit Franz Vranitzky besinnt sie sich auf ihre alten Wurzeln: Österreich will sie nicht mehr sagen; also sagt sie Europa. – Die F(PÖ) schließlich, lange Zeit ohne wenn und aber deutschnational und aus diesem Grund pro-EG, entdeckte ebenfalls Mitte der 90er Jahre aus taktischen Gründen das von der ÖVP fallen gelassene Österreich-Thema und Jörg Haider wollte es in einer Serie von Interviews im Sommer 1995 mit ihren Inhalten neu füllen und instrumentalisieren. Die damaligen zwei Kleinparteien hatten teils gar nicht begriffen, um was es geht (der Großteil der "Grünen"); teils stehen sie auch in diesem Punkt exakt auf dem Boden der SPÖ (LIF). Die Intellektuellen sind gegenwärtig eher verwirrt. Die Debatte bewegt sich weniger zwischen als an zwei Polen: Einige wenige beeilen sich, dominanten politischen Überlegungen zu Diensten zu sein. Erwin Ringel widmete sich der restlosen Bejahung des status quo. Rudolf Burger ruft gegen die "Kleinstaaterei" zum NATO-Beitritt auf, nachdem er vorher zusammen mit Anton Pelinka den EG-Beitritt propagiert hatte, und Robert Menasse wollte im Mai 1995 gleich den Anschluss an Deutschland. Nationale Souveränität ist die Außenseite demokratischer Selbstbestimmung. Die heutige Debatte um die österreichische Identität geht daher um die Erhaltung und den Ausbau demokratischer Qualität. Österreichische Intellektuelle, die sich an dieser Diskussion beteiligen, haben das bislang nur undeutlich klar gemacht. Sie überlassen die Auseinandersetzung Rechtspopulisten und einer Boulevardzeitung. Ihr Ausgang wird die Zukunft Österreichs bestimmen. ….. 6 Ausklang 194 Literatur Abkürzung der Zeitschriften: CRSN – Canadian Review of Studies in Nationalism. Hg. von Th. Spira. LPLP – Language Problems and Language Planning ÖGL – Österreich in Geschichte und Literatur Abele, Hanns (1989, Anmerkungen zu einer Wirtschaftsgeschichte der Gegenwart: Österreich seit 1945. 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