Rückkehr der Religion? Religion und Sicherheitspolitik in den USA Gott war nie tot, aber immer umstritten, auch politisch. Der Austausch unter den Religionskulturen war nie reibungslos und Religion war nie fern von der Politik, auch nicht von der Sicherheitspolitik. Der Glaube ist eine Kategorie der Macht. Überzeugung ist zugleich Quelle der Politik. Religion und Sicherheitspolitik sind in den Vereinigten Staaten von Amerika schon lange miteinander verwoben. Grundsätzlich ist die Natur dieser Verbindung zwischen Politik und Religion so vielfältig wie die Religionslandschaft selbst. Unterschiede gibt es auch über den Atlantik. Trotz aller Gemeinsamkeiten der Kulturen und Staatsformen der Atlantischen Demokratien, gibt es zwischen Europa und Amerika große Differenzen im Verhältnis zwischen Religion und Politik. Unser Verständnis von Religion, ob als menschliches Konstrukt oder göttliche Offenbarung, ist transatlantisch gesehen weitgehend das Gleiche. Sobald die Religion sich in der Politik und der Institution ausdrückt, findet man sich jedoch in zwei sehr unterschiedlichen Welten. The First Amendment In Amerika ist die Trennung zwischen Staat und Kirche viel tiefgreifender als in Europa; daher ist Amerikas religiöser Optimismus nicht von der Sorge belastet, die Kirche könnte die Staatsmacht missbrauchen—oder umgekehrt. Für Amerikaner ist das politische Prinzip „begrenzte Staatsmacht“ ein Kern der säkularen Prägung ihrer Regierungsinstitutionen und der freien Entfaltung der Religion in ihrer Gesellschaft. Sechzig Prozent der Amerikaner gehen mindestens ein Mal im Monat in eine der Kirchen der über 2000 verschieden Konfessionen. Eine Erklärung dieses religiösen Eifers und dieser Kreativität liegt im amerikanischen Verfassungsgebot, Staat und Kirche getrennt zu halten. Eine andere Erklärung liegt im Gebot der Religionsfreiheit. Wie die Trennung von Staat und Kirche, ist diese Freiheit im ersten Zusatz-Artikel der US-Verfassung verankert: Congress shall make no law respecting an establishment of religion, or prohibiting the free exercise thereof; or abridging the freedom of speech, or of the press; or the right of the people peaceably to assemble, and to petition the government for a redress of grievances. Mit der Rede- und Presse-, Versammlungs- und Revisionsfreiheit ist nicht nur die Religionsfreiheit verbunden, sondern auch das Verbot der Etablierung einer Staatsreligion. Die Beziehung der amerikanischen Religion zu diesem eindeutigen und zentralen Verfassungsgebot existiert jetzt seit über 200 Jahren. Religion in Amerika ist aber viel mehr als dieses etwas paradoxe Verfassungsgebot der Freiheit und des Verbots. Der sich stets wandelnde amerikanische Charakter prägt die Religion, seit die ersten europäischen Siedler die neuen Ufer Amerikas betraten. Dieser Charakter amerikanisiert die Religion. “Ein eiferndes Amerika hat die Religion gekapert“, so die New York Professorin, Marcia Pally, jüngst in der deutschen Zeitschrift Internationale Politik („Duell der Paradoxien,“ IP, April 2005, S. 6). Sich ständig erneuernd, ständig wiedergeboren, sich selbst neu erfindend, die Zukunft auf dieser Erde gestaltend—zupackend, idealistisch und pragmatisch zugleich—jeder auf seiner Art—sind nicht nur die Religionen Amerikas, sondern auch seine Bürger. Anders als Europa In den 25 Staaten der Europäischen Union gibt es auch eine Religionsvielfalt, aber eine viel kleinere. Die weitgehend institutionalisierte Kirchenlandschaft Europas zeigt eine Vereinheitlichung, die den Amerikanern fremd wäre. Als zentrale Gesprächspartner der Regierungen, und zu einem nicht unbeträchtlichen Teil abhängig von Regierungssubventionen, ist diese Vereinheitlichung für die etablierten europäischen Kirchen vielleicht auch sinnvoll. In Deutschland sind über 60 Prozent der Bevölkerung formell Mitglied einer der großen Kirchen. Sechsundzwanzig Millionen Mitglieder zählt die Katholische Kirche; fast genauso soviele Deutsche sind Mitglieder der protestantischen Kirchen. Als Islamisch verstehen sich 3,3 Millionen, von denen 732,000 einen deutschen Pass besitzen. (http://www.remid.de/remid_info_zahlen.htm#top) Im Jahr 2003 zahlte der deutsche Staat aus Kirchensteuern und Subventionen aus allgemeinen Steuern 8,6 Milliarden Euro an die Kirchen. (http://www.kirchensteuer.de/steuer.html) Das ist eine große Summe, auch wenn sie nur 0,86 Prozent der gesamten Staatsausgaben ausmacht. Eine solche finanzielle Verquickung zwischen Kirche und Staat wäre undenkbar in den USA—auch Religionsunterricht in der Schule und Kruzifix im Rathaus. Eine ChristlichRepublikanische oder Christlich-Demokratische Partei klänge fremd in amerikanischen Ohren. Das Geflecht: Politik und Kirche Eine standfeste Trennung von Staat und Kirche in einem Land der religiösen Vielfalt und Freiheit bedeutet aber nicht, dass Kirche und Politik aufeinander keinen Einfluss ausüben. Im Gegenteil. Eine starke Lobby hat die Religion, aber keine mit Sonderrechten—außer Steuerfreiheit. Andere Religionen, einschließlich die Muslime, machen auch ihre LobbyArbeit. Zu den islamischen Gemeinden in Amerika zählen zwischen 2 und 4 Millionen (keiner weis genau—Religion wird bei der Volkszählung nicht erfasst).. Sie praktizieren in ihren Moscheen und veranstalten ihre All-American Bar-B-Qs in den Parks überall im Land. Sie werden toleriert, hegen keine große Abneigung, und schänden keine jüdischen Friedhöfe. Zum amerikanischen Regierungsgeschäft gehört der tagtägliche Umgang mit Religion und Kirche. So sind politische Ziele zu erreichen—sicher auch von einigen, die gar nicht gläubig sind. Bei der einen Kirche genießen mal die Republikaner die Gunst, bei der anderen die Demokraten. (Die Nichtgläubigen sind z.Z. allerdings eher bei den Demokraten zu finden.) Die Politikprofis wissen wohl, wie Bündnisse mit religiösen Wählerschaften zu benutzen sind—wie man sich vernetzen kann. Politiker mobilisieren religiöse Wählerschaften— genauso können diese Wählerschaften sich selbst mobilisieren, um Druck auf die Politik auszuüben. Wer wen dabei manipuliert bleibt sekundär. Wichtig ist die gegenseitige Beeinflussung, was sowohl bei der Innenpolitik als auch bei der Außenpolitik zu beobachten ist. Amerikanische Religion in der Außenwelt In der Geschichte der amerikanischen Außenpolitik spielt die Religion eine wichtige Rolle. Christliche Missionare aus Gemeinden quer durch das große Land gingen im 19. Jahrhundert an alle Ecken und Enden der Welt. (In Washington war ihre Präsenz auch spürbar.) Die Bibel in der einen Hand, die amerikanische Verfassung in der anderen, suchten sie zu Konvertierende—predigten gleichzeitig Religionsfreiheit, begrenzte Staatsmacht und Bildung. Präsident Woodrow Wilson, selbst zutiefst religiös, versuchte nach dem ersten Weltkrieg diese Werte, wie individuelle Freiheit und Menschenwürde, mit internationalen Institutionen zur Streitschlichtung und Rechtsprechung zu verbinden. Im Kalten Krieg bekämpfte man die „gottlosen Kommunisten“. Mit der Bürgerrechtsbewegung der Sechziger kam ein Aufblühen der Aktivismus für Bürgerrechte, geleitet von Pastoren wie Martin Luther King. Jimmy Carters Glaube stand hinter seiner Betonung der Menschenrechte in seiner Außenpolitik. Der heutige evangelikalische Enthusiasmus für alles Amerikanische— einschließlich das individuelle und unfiltrierte persönliche Verhältnis mit Gott—treibt die vorwärtslehnende Demokratisierungskampagne der Bush-Regierung voran. Die Neubelebung Amerikas im Aufwind der Globalisierung und Demokratisierung spiegelt sich, nach Walter Russel Mead, auch in der Erweckung, der Neugeburt des religiösen Eifers für eine Wilson’sche Neuordnung der Welt. Als Historiker des Council on Foreign Relations, und renommierter Kenner des Verhältnisses zwischen Religion und amerikanischer Außenpolitik, behauptete Mead: „Die Hauptströmungen der protestantischen Konfessionen, die die amerikanische Wilson’sche Tradition des Progressiven Internationalismus prägten, verlieren an Stärke im Vergleich zur evangelikalischen und fundamentalischen Glaubensrichtung.“ (Walter Russel Mead, Power, Terror, Peace, and War: Americas Grand Strategy in a World at Risk, (New Work: Alfred A. Knopf, 2004), S. 88.) In diesem Kontext erwähnt Mead eine „radikale Umstrukturierung der Wilson’schen Agenda.“ Das Prinzip einer engen Verbindung zwischen Idealismus und Sicherheit gewinnt beeindruckend an Bedeutung. Im Nahen Osten und anderswo obsiegt das Argument, nur mit einer aggressiven Behauptung amerikanischer Werte, wenn nicht Ideologie, seien die gegenwärtigen Sicherheitsbedrohungen zu bewältigen. Diesen evangelikalischen, bzw. fundamentalischen Konfessionsrichtungen mag zur Zeit nur eine Minderheit der Gläubigen in Amerika folgen, aber unter den Stammrepublikanern sind sie eine der bedeutendsten Wählerschaften. Mehr noch, viele, die ihre Politik zu Abtreibung, Schwulenehe, oder Stammzellenforschung ablehnen, haben doch eine gewisse Sympathie für eine Deinsitutionalisierung des Wilson’schen Projekts. „Wilson’sche Menschenrechte und demokratische Werte“ seien „viel beliebter als Wilson’sche Institutionen.“ meint Mead. (Mead, S. 93) Die Europäer und die Nachhaltigkeit Nicht nur 9/11 sorgt für die Freisetzung neuer Energie in der amerikanischen Außenpolitik. Das amerikanische Verständnis von Bürgerrechten und Menschenrechten ist zutiefst mit dem Verständnis von Religion verbunden. Die optimistische, pragmatische, einflussausübende Prägung Amerikas hält nicht an der Grenze an. Und wenn diese neubelebte Kampagne weltweit auf Ablehnung stößt? Was, wenn der Widerstand wächst? Ist diese Strategie nachhaltig? Wird Amerika müde? Bleibt Amerika am Ball? Die Geschichte der amerikanischen Diplomatie zeigt schon ein hin und her zwischen Engagement und Konsolidierung. Keiner kann die Welt allein retten, sagt man ja auch in Berlin in fast jeder Rede zu Außenpolitik. Und so ist es. Teilen die Europäer, die Deutschen, einige der amerikanischen Ziele in dieser Welt, wie Freiheit, auch Religionsfreiheit, Bürgerrechte, Menschenrechte, Demokratie im Sinne von begrenzter Staatsmacht, dann könnten sie den Amerikanern auch Erfolg in ihrer Mission wünschen. Mehr noch, sie könnten laut und klar ihre moralische und politische Unterstützung kundtun. Sie könnten Kapital dafür einsetzen. Sie gewönnen dadurch auch an Einfluss in den Korridoren der Macht von Washington. Sie könnten vor allem beim Thema der Religion in Amerika etwas weniger Schwarzmalerei, etwas mehr Besonnenheit aufbringen. Die Botschaft und Politik der religiösen Rechten in den Vereinigten Staaten mag einem nicht gefallen. Gegenargumente sind gut, Panikmache aber nicht. Das amerikanische System hat schon so manchen Aufschwung der Religiosität, ja auch des Fundamentalismus, wie man das auch verstehen mag, hinter sich. Religion mag ein prächtiger Wolf im Dschungel der amerikanischen Politik sein, der Staat ist aber gut geschützt—das Gewicht der First Amendment und seiner Verteidiger ist nicht zu unterschätzen. s