Herausgegeben von: Manfred Zerzer und Smaranda Gosa Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 2 Inhaltsverzeichnis WIE WIR HANDELN, WAS WIR KÖNNEN – EIN DISKURS ZUR EINFÜHRUNG IN DIE 1 HANDLUNGSPSYCHOLOGIE..................................................................................................... 11 1.1 Das Modell der hierarchisch - sequentiellen Handlungsorganisation ......................................................... 11 1.1.1 Der Beginn der Handlung ......................................................................................................................... 11 1.1.2 Die zyklische Einheit ................................................................................................................................ 11 Die hierarchische Gliederung ...................................................................................................................................... 11 1.1.4 Die Ebenen der hierarchisch - sequentiellen Handlungsorganisation ....................................................... 12 1.1.5 Die Grundprinzipien ................................................................................................................................. 12 1.1.6 Die Rolle von Emotion und Kognition im Modell ................................................................................... 13 1.2 Der Praxisbezug ............................................................................................................................................... 13 1.2.1 Die idealen Voraussetzungen ................................................................................................................... 13 1.2.2 Anwendungen auf das Modell .................................................................................................................. 14 1.2.2.1 Komplexe Handlungen ........................................................................................................................ 14 1.2.2.2 Parallele Handlungen ........................................................................................................................... 14 1.2.2.3 Bruchstückhafte Handlungen ............................................................................................................... 14 1.3 Modell der hierarchisch - sequentiellen Handlungsorganisation vs. Modell des improvisierend - intuitiven Handelns ........................................................................................................................................................ 15 1.3.1 Perspektive des Handelnden ..................................................................................................................... 15 1.3.2 Akzente von „innen“ und „außen“ ........................................................................................................... 16 1.3.3 Emotionen ................................................................................................................................................ 16 1.3.4 Handlungsvorbereitendes und –begleitendes Denken .............................................................................. 17 1.3.5 Übereinstimmungen mit dem hierarchisch - sequentiellen Handlungsmodell aus der Sicht des improvisierend - intuitiven Handlungsmodells ............................................................................................................ 17 1.4 Fehler und gar nicht so falsche Fehler ........................................................................................................... 18 1.4.1 Über - und Unterordnung der Ziele .......................................................................................................... 19 1.4.2 Allgemeine Gründe für das Auftreten von Fehlern .................................................................................. 19 1.4.3 Praktische Konsequenzen aus Fehlern ...................................................................................................... 20 1.4.4 Vorgehensweise bei der Beurteilung und Behebung von Fehlern ............................................................ 21 1.4.5 Störfälle, Unfälle, Katastrophen ............................................................................................................... 21 1.4.5.1 Technisch - organisatorische Systeme, bei denen Störungen erwartet werden müssen ....................... 21 1.4.5.2 Warum ist es so schwierig, Vorkehrungen gegen Störfälle zu treffen? ............................................... 21 1.4.5.3 Wie kann man die Unzuverlässigkeit solcher Systeme erklären? ........................................................ 22 1.4.5.4 Merkmale des Harrisburg - Syndrom .................................................................................................. 22 1.4.5.5 Möglichkeiten, die Gefährdungspotentiale der Systeme zu verringern ............................................... 23 Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler 1.5 Arbeit, Technik und Organisation .................................................................................................................. 23 1.5.1 2 Seite 3 Konzepte/ Modelle vom Menschen und der Organisation seines Tuns .................................................... 23 1.5.1.1 Zentralistisches Modell (Hierarchie - Monopol - Modell) ................................................................... 23 1.5.1.2 dezentralisiertes Organsisationsmodell ................................................................................................ 24 1.5.1.3 Modell der arbeitsorientierten Technikgestaltung ............................................................................... 24 GESTALTPSYCHOLOGISCHE BEITRÄGE ZUR STRUKTUR UND DYNAMIK FEHLERHAFTER HANDLUNGSABLÄUFE ................................................................................ 25 2.1 Der Fehler als ganzheitliches Gebilde ............................................................................................................ 25 2.1.1 Was ist ein Fehler? ................................................................................................................................... 25 2.1.2 Wie kommt er zustande? .......................................................................................................................... 25 2.1.3 Was sagt er aus? ....................................................................................................................................... 25 2.1.4 Konsequenz: Welche Fehlertheorien werden benötigt? ........................................................................... 26 2.2 Der Fehler und sein Verhältnis zur psychischen Einzelleistung .................................................................. 26 2.2.1 Wie lassen sich Fehler erklären? .............................................................................................................. 26 2.2.2 Ist die psychische Einzelleistung die Ursache? ........................................................................................ 26 2.3 Der Einzelfall ist der reine Fall ....................................................................................................................... 27 2.3.1 Ist jeder Fehler ein Einzelfall? .................................................................................................................. 27 2.3.2 Sind Fehler vom Zufall bestimmt? ........................................................................................................... 27 2.3.3 Sind Fehler vorhersagbar? ........................................................................................................................ 28 2.4 Der Fehler als Erkenntnisvehikel ................................................................................................................... 28 2.4.1 Was sagt der Fehler über ein System aus? ................................................................................................ 28 2.4.2 Ein Beispiel aus der Wahrnehmungspsychologie ..................................................................................... 28 2.5 Der Fehler als Gefühlsäquivalent ................................................................................................................... 29 2.5.1 Werden emotionale Anteile in der Fehlerforschung berücksichtigt? ........................................................ 29 2.5.2 Wie können Emotionen die Dynamik des Fehlerverlaufs beeinflussen? .................................................. 29 2.5.3 Fehler aufgrund „schöpferischer Veränderungen“ bei Abramowski ........................................................ 29 2.5.4 Das „Wesen“ als dritte Gestalteigenschaft bei Metzger ........................................................................... 30 2.6 Der Fehler als Folge von Problemanforderungen ......................................................................................... 30 2.6.1 Gibt es gute und schlechte Fehler? ........................................................................................................... 30 2.6.2 Problemlösen durch Fehler nach Duncker ................................................................................................ 30 2.7 Fehler als Folge von Gestaltorganisation ....................................................................................................... 30 2.8 Fehler als Folge von Feldkräften .................................................................................................................... 33 2.9 Fehler als Folge von Stabilitätstendenzen ...................................................................................................... 36 Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler 2.10 Seite 4 Der Fehler und die Unfallforschung .......................................................................................................... 38 2.10.1 Zwei empirische Untersuchungen zum Problembereich des unfallauslösenden Fehlverhaltens .............. 38 2.10.2 Ergebnisse weiterer Untersuchungen ....................................................................................................... 39 2.11 3 Literatur ....................................................................................................................................................... 39 ARBEITSHANDLUNG UND ARBEITSTÄTIGKEIT ALS GEGENSTÄNDE DER PSYCHOLOGIE ........................................................................................................................... 40 3.1 Arbeitstätigkeit als psychologischer Untersuchungsgegenstand .................................................................. 40 3.1.1 Spiel .......................................................................................................................................................... 40 3.1.2 Lernen ....................................................................................................................................................... 40 3.2 Gegenstand der Arbeitspsychologie ............................................................................................................... 41 3.3 Zur Psychologie von Tätigkeit und Handlung ............................................................................................... 42 3.4 Hierarchischer Aufbau der Tätigkeit ............................................................................................................. 43 3.4.1 Der Begriff Handlung in der Arbeitspsychologie ..................................................................................... 43 3.4.2 Teilhandlungen oder Operationen ............................................................................................................ 44 3.4.3 Bewegungen ............................................................................................................................................. 44 3.5 Antriebsformen von Tätigkeiten ..................................................................................................................... 45 3.6 Psychische Anforderungen einer Arbeitstätigkeit ......................................................................................... 46 3.7 Zur Problematik einer „Psychologie der Tätigkeit“ ..................................................................................... 46 3.8 Psychische Aspekte der Tätigkeit ................................................................................................................... 47 3.8.1 Zur Antriebsregulation ............................................................................................................................. 48 3.8.2 Zur Ausführungsregulation....................................................................................................................... 48 3.9 Klassifikationen von Arbeitstätigkeiten für psychologische Anliegen ......................................................... 49 3.9.1 Klassifikation nach der geforderten Leistung bzw. nach dem entstehenden Produkt ............................... 50 3.9.2 Klassifikation nach inhalts - und aufgabenbedingten Strukturformen ...................................................... 50 3.9.2.1 Antriebsregulation ............................................................................................................................... 50 3.9.2.2 Ausführungsregulation......................................................................................................................... 51 Klassifikation nach Ablaufformen ............................................................................................................................... 52 4 FEHLHANDLUNGEN UND HANDLUNGSFEHLER ............................................................. 53 4.1 Rolle von Fehlhandlungen und Handlungsfehlern ........................................................................................ 53 4.1.1 Einleitung ................................................................................................................................................. 53 4.1.2 Definition.................................................................................................................................................. 53 4.1.3 Pathologische Methode ............................................................................................................................ 53 Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 5 4.1.4 Zufallseinflüsse......................................................................................................................................... 53 4.1.5 Handlungsfehler als Folgen von Fehlhandlungen .................................................................................... 54 4.2 Automatisierung und Fehlhandlungen ........................................................................................................... 54 4.2.1 Überforderung des Menschen in Notfällen ............................................................................................... 54 4.2.2 Zuverlässigkeit ......................................................................................................................................... 54 4.3 Klassifikation von Fehlhandlungen ................................................................................................................ 55 4.3.1 Methodik .................................................................................................................................................. 55 4.3.2 Exkurs: Teilschritte von Handlungen ....................................................................................................... 55 4.3.3 Wichtige Fragen in der Fehleranalyse ...................................................................................................... 56 4.3.4 Klassifikation von Fehlhandlungen nach ihrer Entstehung ...................................................................... 56 4.3.4.1 4.4 tatsächliches Fehlen von Information .................................................................................................. 57 Fehlende Nutzung von Information................................................................................................................ 57 4.4.1 Übersehen ................................................................................................................................................. 57 4.4.2 Vergessen/Versäumen .............................................................................................................................. 57 4.4.3 Übergehen ................................................................................................................................................ 57 4.4.4 Informationsreduzierung .......................................................................................................................... 58 4.4.5 Verarbeitungsdefizite ............................................................................................................................... 58 4.5 Falsche Nutzung vorhandener Information................................................................................................... 58 4.5.1 Falsches Orientieren ................................................................................................................................. 58 4.5.2 Falsche Zielbildung .................................................................................................................................. 59 4.5.3 Entwerfen fehlerhafter Programme .......................................................................................................... 59 4.5.4 Falsches situatives Einpassen von Programmen ....................................................................................... 59 4.6 Übergeordnete Ursachengruppen von Fehlhandlungen und Verhütungsmöglichkeiten .......................... 60 4.7 Mögliche Ursachen von Fehlhandlungen ....................................................................................................... 60 4.7.1 Welche Grundauffassungen gibt es zur Frage der Mitverursachung durch stabile Eigenheiten (Dispositionen)? .......................................................................................................................................................... 60 4.7.2 Fehlhandlungen sind durch individuelle Unzulänglichkeiten (dispositionell) verursacht. ....................... 60 4.7.2.1 Welche Unterstellungen macht die Konzeption der Unfällerpersönlichkeit? ...................................... 61 4.7.2.2 Was bewirkt eine derartige, dispositionszentrierte Denkweise? .......................................................... 61 4.7.2.3 Welche Ergebnisse zeigen statistische Prüfungen dieser Theorie der Unfäller? ................................. 61 4.7.2.4 Warum liefert die statistische Prüfung dieses Ergebnis? ..................................................................... 62 4.7.2.5 Was kann man zusammenfassend festhalten? ..................................................................................... 62 4.7.2.6 Fehlhandlungen sind durch aktuelle, allgemeinpsychologisch analysierbare Vorgänge verursacht (arbeitsmedizinische und psychologische Einwände) ............................................................................................. 62 4.7.2.7 Welche arbeitsmedizinischen und psychologische Überlegungen sprechen gegen das Konzept des Unfällers und der Unfallneigung? ........................................................................................................................... 62 Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler 4.7.2.8 Seite 6 Welche Ergebnisse liefern empirische Untersuchungen zu der Frage, ob Fehlhandlungen vom Typus „Unfall“ erfahrungsbedingt vermieden werden können? ........................................................................................ 63 4.7.3 4.8 Was kann man nun für die Grundauffassungen zusammenfassend festhalten? ........................................ 63 Weitere dispositionelle Komponenten ............................................................................................................ 63 4.8.1 Differentialpsychologische Lücken und Normabweichungen in den Leistungsvoraussetzungen ............ 64 4.8.1.1 Von gefährdenden Tätigkeiten ausschließende Mängel in den physischen bzw. psychophysischen Leistungsvoraussetzungen ...................................................................................................................................... 64 4.8.1.2 Abartigkeiten oder zentrale Mängel in der Persönlichkeitsentwicklung. ............................................. 64 4.8.1.3 Lücken im aufgabenbezogenen Wissens - und Fertigkeitsniveau sowie Einschränkungen der Lernfähigkeit........................................................................................................................................................... 64 4.8.2 Stabile allgemeinpsychologische Verhaltensmuster, sogenannte Populationsstereotypien ...................... 65 4.8.2.1 Was sind Populationsstereotypien?...................................................................................................... 65 4.8.2.2 Welche Auswirkungen haben Populationsstereotypien auf die Fehlhandlung?................................... 65 4.8.3 Habituelle Eigenschaften bei der Übernahme von Gefahrenrisiko ........................................................... 65 4.8.3.1 4.9 Was besagt in diesem Zusammenhang die Risikokompensationstheorie? .......................................... 66 Vergleich der dispositionellen mit den aktuellen psychischen Entstehungsbedingungen (Diskussion) .... 66 4.10 Welche wesentlichen Schlußfolgerungen ergeben sich daher unter dem Gesichtspunkt der Verhütung von Fehlhandlungen einschließlich solcher mit Unfallcharakter (Konsequenzen für die Bekämpfung von Fehlhandlungen im Arbeitsprozeß) .............................................................................................................................. 66 5 UNTERSUCHUNGEN ZU MENSCHLICHEN FEHLLEISTUNGEN....................................... 67 5.1 Geschichte ......................................................................................................................................................... 68 5.1.1 Sully´s Illusionen ...................................................................................................................................... 68 5.1.2 Die Freudsche Fehlleistung ...................................................................................................................... 68 5.1.3 Meringer und Sprachfehler ....................................................................................................................... 69 5.1.4 James, Munsterberg und Jastrow .............................................................................................................. 69 5.1.5 Die gestaltpsychologische Tradition......................................................................................................... 69 5.1.6 Neuropsychologen Lashley und Head ...................................................................................................... 70 5.1.7 Bartlett und Schemata ............................................................................................................................... 70 5.1.8 Die Flaute ................................................................................................................................................. 70 5.2 Die naturwissenschaftliche Tradition ............................................................................................................. 71 5.2.1 Gerichtete Aufmerksamkeit und Nadelöhrtheorien .................................................................................. 71 5.2.2 Geteilte Aufmerksamkeit und Ressourcentheorien .................................................................................. 71 5.2.3 Theorien mit Mehrkanalprozessoren ........................................................................................................ 72 5.2.4 Die Eigenschaften des primären Gedächtnisses ....................................................................................... 72 5.2.5 Das Konzept des Arbeitsgedächtnisses .................................................................................................... 72 Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler 5.3 Seite 7 Die kognitionswissenschaftliche Tradition ..................................................................................................... 73 5.3.1 Zeitgenössische Schematheoretiker .......................................................................................................... 73 5.3.2 Das Aufmerksamkeits - Handlungsmodell von Norman und Shallice ..................................................... 74 5.3.3 Normative Theorien und ihr Verlust an Einfluß ....................................................................................... 74 5.3.3.1 Begrenzte Rationalität.......................................................................................................................... 75 5.3.3.2 Unvollständige Rationalität ................................................................................................................. 75 5.3.3.3 Urteilsheuristiken und Urteilsverzerrungen ......................................................................................... 75 5.3.4 Rationalität wider Willen.......................................................................................................................... 76 5.3.5 Irrationalität und die kognitive ‚Gegenreaktion‘ ...................................................................................... 76 5.3.6 Der ‚General Problem Solver‘ .................................................................................................................. 76 5.3.7 Die Grundstruktur von Rasmussen: Fähigkeit – Regel – Wissen ............................................................. 77 5.3.7.1 Fähigkeitsbasierte Ebene ..................................................................................................................... 77 5.3.7.2 Regelbasierte Ebene ............................................................................................................................. 77 5.3.7.3 Wissensbasierte Ebene ......................................................................................................................... 77 5.3.8 Rouses Modell der ‚fuzzy‘ - Regeln ......................................................................................................... 78 5.3.9 Der neue Konnektionismus: PDP - Modelle............................................................................................. 80 5.3.10 Baars´ GW - Modell ................................................................................................................................. 80 5.4 Neuere Trends in der kognitiven Theoriebildung ......................................................................................... 81 5.5 Fazit: Eine Rahmenvorstellung für menschliche Fehlleistungen ................................................................. 81 5.5.1 Arten der Kontrolle................................................................................................................................... 81 5.5.2 Kognitive Strukturen ................................................................................................................................ 81 5.5.3 Die aufmerksamkeitsbezogene Kontrolle ................................................................................................. 82 5.5.4 Die schematische Kontrolle ...................................................................................................................... 82 5.5.5 Aktivation ................................................................................................................................................. 82 5.5.5.1 Spezifische Aktivatoren ....................................................................................................................... 83 5.5.5.2 Allgemeine Aktivatoren ....................................................................................................................... 83 5.6 6 Literatur............................................................................................................................................................ 83 AUSFÜHRUNGSEBENEN UND FEHLERTYPEN ................................................................ 83 6.1 Warum die Trennung nach Patzern und Fehlern nicht ausreicht ............................................................... 83 6.2 Drei Fehlertypen .............................................................................................................................................. 86 6.2.1 Art der Aktivität ....................................................................................................................................... 86 6.2.2 Richtung der Aufmerksamkeit .................................................................................................................. 86 6.2.3 Art der Kontrolle ...................................................................................................................................... 86 6.2.4 Expertise und die Vorhersagbarkeit von Fehlern ..................................................................................... 86 6.2.5 Gelegenheit und Fehlerquote .................................................................................................................... 87 6.2.6 Der Einfluß von Situationsvariablen ........................................................................................................ 87 Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 8 6.2.7 Erkennbarkeit von Fehlleistungen ............................................................................................................ 87 6.2.8 Die Beziehung zu Veränderungen ............................................................................................................ 87 Das Generische Fehler – Modellierungs – System (GFMS) ......................................................................... 89 6.3 6.3.1 Fehler durch mangelhafte Überwachung .................................................................................................. 90 6.3.2 Fehler der mißglückten Problemlösung .................................................................................................... 90 6.3.3 Ebenenwechsel im GFMS ........................................................................................................................ 90 6.4 Fehlleistungen auf fähigkeitsbasierter Ebene ................................................................................................ 91 6.4.1 Unaufmerksamkeit ................................................................................................................................... 91 6.4.1.1 Patzer bei doppelter Gefangennahme .................................................................................................. 91 6.4.1.2 Versäumnisse, die mit Unterbrechung einhergehen............................................................................. 91 6.4.1.3 Abgeschwächte Intentionalität ............................................................................................................. 92 6.4.1.4 Wahrnehmungsverwirrung .................................................................................................................. 92 6.4.1.5 Interferenzfehler .................................................................................................................................. 92 6.4.2 6.5 Überaufmerksamkeit: schlecht plazierte Kontrolle .................................................................................. 92 Fehlleistungen auf regelbasierter Ebene ........................................................................................................ 93 6.5.1 Die fehlerhafte Anwendung guter Regeln ................................................................................................ 93 6.5.2 Die Anwendung schlechter Regeln .......................................................................................................... 95 6.6 Fehlleistungsarten auf wissensbasierter Ebene ............................................................................................. 97 6.6.1 Selektivität ................................................................................................................................................ 98 6.6.2 Beschränkungen im „workspace“ ............................................................................................................. 98 6.6.3 Aus den Augen, aus dem Sinn .................................................................................................................. 98 6.6.4 Der Hang zur Bestätigung (confirmation bias) ......................................................................................... 98 6.6.5 Übermäßiges Vertrauen ............................................................................................................................ 98 6.6.6 Verzerrte Überprüfung ............................................................................................................................. 98 6.6.7 Umgang mit Kovariationen ...................................................................................................................... 98 6.6.8 Halo Effekt ............................................................................................................................................... 98 6.6.9 Probleme mit der Kausalität ..................................................................................................................... 99 6.6.10 Probleme mit der Komplexität ................................................................................................................. 99 6.6.11 Diagnoseprobleme in Alltagssituationen .................................................................................................. 99 7 FEHLERENTDECKUNG ...................................................................................................... 99 7.1 Abstract ............................................................................................................................................................. 99 7.2 Einführung...................................................................................................................................................... 100 7.3 Arten der Fehlerentdeckung ......................................................................................................................... 100 7.3.1 Selbstüberwachung ................................................................................................................................. 100 7.3.2 Schwedische Untersuchungen ................................................................................................................ 107 7.3.3 Italienische Untersuchungen................................................................................................................... 108 Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 9 7.4 Zusammenfassung .......................................................................................................................................... 109 7.5 Fehlerentdeckung ........................................................................................................................................... 109 7.5.1 Externe Rückmeldung aus der Umgebung ............................................................................................. 109 7.5.1.1 Zwingende Funktionen ...................................................................................................................... 109 7.5.1.2 Hinweise ............................................................................................................................................ 110 7.5.2 Reaktionen des Systems auf Fehler ........................................................................................................ 111 7.5.2.1 Sperren ............................................................................................................................................... 111 7.5.2.2 Warnungen......................................................................................................................................... 111 7.5.2.3 „Nichtstun“ ........................................................................................................................................ 111 7.5.2.4 Selbstkorrektur ................................................................................................................................... 111 7.5.2.5 „Lass‘ uns darüber reden“.................................................................................................................. 111 7.5.2.6 „Bring’s mir bei“ ............................................................................................................................... 111 7.5.3 Fehlerentdeckung durch andere Menschen............................................................................................. 112 7.5.4 Relative Fehlerentdeckung ..................................................................................................................... 113 7.5.4.1 Entdeckungsrate und Aufgabenkomplexität ...................................................................................... 113 7.5.4.2 Entdeckungsraten und Fehlertypen .................................................................................................... 113 7.5.5 Kognitive Prozesse, die die Fehlerentdeckung behindern ...................................................................... 113 7.5.5.1 Verzerrte Relevanzeinschätzung ........................................................................................................ 113 7.5.5.2 Teilerklärungen .................................................................................................................................. 113 7.5.5.3 Überschneidung der Welt mit dem mentalen Modell ........................................................................ 114 7.5.5.4 Die Schwierigkeit, häufige Fehler zu entdecken ............................................................................... 114 7.5.6 7.6 8 Ausblick und Schlussfolgerungen .......................................................................................................... 114 Literatur.......................................................................................................................................................... 115 DIE BESTIMMUNG UND VERRINGERUNG DES FEHLERRISIKOS BEIM MENSCHEN 115 8.1 Zur Entwicklung der Zuverlässigkeitsanalyse beim Menschen ................................................................. 115 8.2 Die probabilistische Risikoeinschätzung ...................................................................................................... 116 8.2.1 Strukturbäume ........................................................................................................................................ 116 8.2.2 Die allgemeine Struktur der probabilistischen Risikoeinschätzung ....................................................... 116 8.2.3 Kritik an der probabilistischen Risikoeinschätzung ............................................................................... 116 8.3 Techniken der Zuverlässigkeitsanalyse beim Menschen ............................................................................ 117 8.3.1 THERP: Technique for Human Error Rate Prediction ........................................................................... 117 8.3.2 Zeit - Zuverlässigkeits - Techniken ........................................................................................................ 118 8.3.2.1 OATS= Operator action trees ............................................................................................................ 118 8.3.2.2 Modell der kognitiven Zuverlässigkeit. ............................................................................................. 119 8.3.3 TESEO = Teonica empirica stima errori operatori ................................................................................. 121 8.3.4 Kofusionsmatrix ..................................................................................................................................... 121 8.3.5 Erfolgswahrscheinlichkeitsindex ............................................................................................................ 122 Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler 8.3.6 8.4 Seite 10 SHARP (Systematic human action reliability procedure) ...................................................................... 123 Bewertung der Techniken der Zuverlässigkeitseinschätzung beim Menschen ........................................ 123 8.4.1 Validierungsstudien ................................................................................................................................ 123 8.4.2 Die Studie „Zuverlässigkeitsrichtwerte im Bereich der Human Factors“ .............................................. 124 8.4.3 Qualitative Kriterien ............................................................................................................................... 124 8.5 Risikomanagement ......................................................................................................................................... 125 8.5.1 Mögliche Maßnahmen zur Fehlerreduktion ........................................................................................... 125 8.5.2 Die Beseitigung der Fehlereignung ........................................................................................................ 125 8.5.3 Intelligente Systeme zur Entscheidungshilfe .......................................................................................... 126 8.5.4 Gedächtnishilfen für das Wartungspersonal ........................................................................................... 128 8.5.5 Ausbildungsaspekte ................................................................................................................................ 129 8.5.6 Ökologische Schnittstelle ....................................................................................................................... 131 8.5.7 Selbsterkenntnis von Fehlertypen und - mechanismen ........................................................................... 133 9 DER SYSTEMCHARAKTER VON UNFÄLLEN IN HOCHTECHNISIERTEN ORGANISATIONEN ................................................................................................................... 133 9.1 Einführung...................................................................................................................................................... 133 9.2 Modell der Unfallverursachung in Organisationen .................................................................................... 134 9.2.1 Auswirkungen von latenten Fehlern ....................................................................................................... 135 9.2.2 Das Dryden Flugzeugunglück ................................................................................................................ 136 9.2.3 Störfälle in Kernkraftwerken .................................................................................................................. 137 9.2.4 Auswirkungen von Vorschriftsverletzungen .......................................................................................... 137 9.3 Ansätze für „Gegenmaßnahmen“ ................................................................................................................. 138 9.4 Diskussion ....................................................................................................................................................... 140 9.5 Literatur.......................................................................................................................................................... 141 10 ALLGEMEINE LITERATURANGABE ................................................................................ 141 Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 11 1 Wie wir handeln, was wir können – Ein Diskurs zur Einführung in die Handlungspsychologie 1.1 Das Modell der hierarchisch - sequentiellen Handlungsorganisation 1.1.1 Der Beginn der Handlung Die einfache Grundstruktur der Handlung beginnt damit, daß der Aktor eine Diskrepanz feststellt. Etwas in den Beziehungen zwischen dem Subjekt und der Welt ist nicht so, wie es sein soll. Es stehen sich also ein nicht befriedigter Bedarf und die Vorstellung eines erreichbaren Zustandes, in dem die Diskrepanz beseitigt ist gegenüber. Dieser Zustand ist das Ziel der Handlung. Das Modell geht von einem kompetenten Handelnden aus, der grundsätzlich weiß, wie er sein Ziel erreichen kann und der die Möglichkeiten dazu hat. Zunächst wird der kompetent Handelnde einen Weg zu diesem Ziel entwerfen, wobei dies nicht immer ein sorgfältiges, angestrengtes Planen sein muß, sondern auch spontan im Kopf entstehen kann. Dabei zeigt sich oft zweierlei: Erstens gibt es oft verschiedene Wege zu diesem Ziel und zweitens läßt sich jeder dieser Wege wieder in verschiedene Situationen unterteilen, die der Reihe nach durchlaufen werden müssen. Da jede dieser Stationen das Verhältnis zwischen Aktor und Welt verändert spricht man von Transformationen. Die Abfolge der Transformationen ist der Plan. Die Start - Transformation entspricht dem ersten Weg vom Ausgangszustand in die erwünschte Richtung, die vollendende Transformation entspricht der Zielerreichung. Alle Transformationen dazwischen werden die vermittelnden Transformationen genannt. 1.1.2 Die zyklische Einheit Nach und schon während der vollendenden Transformation geschieht eine Rückbestätigung: Ist das Ziel erreicht? Wenn das der Fall ist, ist die Handlung beendet, und man kann zu einer neuen fortschreiten. Die Handlung beginnt mit dem Ziel, d.h. mit der Feststellung einer Diskrepanz , und endet damit, daß diese Diskrepanz als nicht mehr vorhanden angesehen wird. Man spricht deshalb von einer Kreisstruktur. Die zyklische Einheit ist das erste einfache Grundmodell, das die Basis für das Modell der hierarchisch - sequentiellen Handlungsorganisation bildet. 1.1.3 Die hierarchische Gliederung Man kann annehmen, daß jede der Transformationen innerhalb der zyklischen Einheit selbst wieder eine solche Einheit ist. Und daß man für jede Transformation ein Ziel (Teilziel) feststellen kann. Man wird auch die einzelnen Schritte zu diesem Ziel angeben können. Das Ganze gilt auch in umgekehrter Richtung. Jede Einheit kann als Teil einer übergeordneten Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 12 Einheit auf dem Weg zu einem noch allgemeineren Ziel angesehen werden. So entsteht eine baumartige, verschachtelte Struktur über mehrere Ebenen hinweg. Die hierarchische Gliederung ist das zweite einfache Grundmodell, das in die hierarchisch - sequentielle Handlungsorganisation integriert wurde. 1.1.4 Die Ebenen der hierarchisch - sequentiellen Handlungsorganisation Die unterste Ebene des Modells bilden die Fertigkeiten. Hier kann man höchstens von einem Teilziel sprechen, auch bedarf es keiner Planung. Beim Geübten (den Fertigkeiten) genügt es, daß man sich dieses Teilziel vorstellt und es zur Ausführung freigibt. Der Rest geschieht dann automatisch, d.h. der Beginn der Bewegung bedarf zwar eines bewußten Impulses, ihr Ablauf verläuft jedoch im Normalfall ohne Bewußtsein. Das zweite Niveau wird als das der Handlungen bezeichnet. Handlungen sind abgrenzbare Einheiten mit einem bewußten Ziel und einem Plan zur Zielerreichung. Die nächsthöhere Ebene ist die Ebene der Tätigkeiten. Dies sind Zusammenfassungen miteinander verbundener Handlungen, Handlungsbereiche. Im Modell kann ein solcher Handlungsbereich als Oberziel gelten, es ist aber dem Aktor nicht ständig als das seine Handlungen Leitende bewußt. Tätigkeiten sind also größere, längerfristige, manchmal sogar lebenslange Handlungsbereiche, deren Orientierungspunkt nicht als „Ziel“ sondern als Motiv bezeichnet wird. Solche Motive sind etwa der Gelderwerb, die Karriereförderung etc.. Sie fungieren als Oberziel in dem Sinn, daß die Ziele und Resultate von Handlungen ständig im Hinblick auf sie bewertet werden. Die verschiedenen Ebenen unterscheiden sich im wesentlichen durch die unterschiedliche Erreichbarkeit der jeweiligen Handlungsziele. Je höher die Ebene ist, desto mehr bedarf das Ziel der Zwischenschritte und Teilziele, um erreicht zu werden; desto höher die Wahrscheinlichkeit des Fehlschlags usw. 1.1.5 Die Grundprinzipien Es werden keine Standard - Abläufe konstruiert. Die konkreten Einzelhandlungen sind in ihrer Ablaufgestalt stets von einander verschieden, weil sie das Resultat des Zusammenwirkens verschiedener Faktoren (Situationsmerkmale, individuelle Kompetenzen, Erfahrungen des Aktors, Kontext der Handlung) sind. Zu Beginn einer Handlung sind auf jeder Ebene lediglich die erste Start - Einheit mit dem Ziel und den jeweiligen Transformationen erzeugt. Nur die allernächsten Schritte werden detailliert vorausgeplant. Bis auf den Schritt der vollendenden Transformation, über den genaue Zielvorstellungen existieren, die jedoch sehr eng mit dem Ziel verbunden sind, wenn nicht sogar identisch mit diesem, sind alle folgenden Schritte nur vage ausgearbeitet. Welche Kriterien bestimmen nun welchen Weg der Handelnde einschlägt, um das nächsthöhere Ziel zu erreichen? Dabei kann man erstens danach fragen, ob die möglichen Wege mit hoher oder niedriger Wahrscheinlichkeit zu einer nächsten Konsequenz führen. Ist diese Konsequenz identisch mit einem Ziel, Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 13 dann ist diese Handlung „effizient“. Zweitens kann man sich dafür interessieren, wie viele Wege von einer solchen Situation wegführen und neue Situationen erreichbar machen. Je mehr es sind, desto höher ist die „Divergenz“ dieser Situation. Nimmt man diese beiden Aspekte zusammen kommt man zu idealen Situation: zu jener, von der aus man mit hoher Wahrscheinlichkeit ziemlich viele andere, als Ziel denkbare Konsequenzen erreichen kann. Eine Orientierung auf solche „hoch effizient - divergenten“ Situationen verringern das Ausmaß der erforderlichen Vorausplanung entscheidend. Der erfolgreich Handelnde braucht keine großen Handlungspyramiden aufzubauen, sondern kann sich von einer hoch effizient - divergenten Zielsituation zur nächsten begeben. Ein weiteres Prinzip, das im Modell Anwendung findet ist das der Handlungsflexibilität. Wenn eine Teilhandlung ein Ziel nicht erreicht (durch fehlerhaftes Handeln oder ein unerwartetes Ereignis), so versucht man dieses nächsthöhere Ziel auf einem anderen Weg zu erreichen. Erst wenn dies nicht möglich ist revidiert man das nächsthöhere Ziel. Im Falle einer Abweichung wird das Ergebnis einer Handlungseinheit daraufhin überprüft, ob es mit dem übergeordneten Ziel noch zu vereinbaren ist. Die Handlungsbewertung erfolgt anhand von allgemeinen Zielvorstellungen. Handlungseinheiten und ihre Ergebnisse haben also bestimmte Werte hinsichtlich der Erreichung übergeordneter Ziele. Dafür steht der Begriff der Instrumentalitäten. 1.1.6 Die Rolle von Emotion und Kognition im Modell Emotionen bewerten Handlungskonsequenzen sowie Handlungsziele und - pläne. Das Auftreten von Abweichungen löst Emotionen aus, wenn die Abweichung als bedeutsam und nicht so leicht durch eigenes handeln kompensierbar angesehen werden. Meistens sind derartige Emotionen vor allem negativ (z.B. Ärger oder das ungute Gefühl, eine Aufgabe nicht lösen zu können). Wenn es aber gelungen ist, die unangenehme, schwierige Situation zu meistern, so wird dies von positiven Gefühlen begleitet (z.B. Stolz nach Lösung einer schwierigen Aufgabe). Häufig wird auch das Denken mit einer genauen Analyse der derzeitigen Situation einschließlich der Resultate des eigenen Handelns betraut und damit in differenzierterer Weise die bereits geschilderte Aufgabe der Emotionen erledigen. Weitere Aufgaben der Kognitionen umfassen die Zielbildung, die Planerzeugung und das „Denken über das Handeln“, d.h. das gedankliche Durchführen von Handlungsmöglichkeiten, Rückmeldungen vorweggenommener Resultate etc.. Emotion und Kognition stehen in sehr enger Beziehung, denn beide haben den gleichen wesentlichen Auslöser: Im Handlungsablauf ist etwas Unerwarteten passiert, die Situation ist ebenso bedeutsam wie schwierig. Aber daraus wird in der Regel nur in zwei Fällen ein Konflikt: Wenn das Denken zu sehr von bestimmten Emotionen beeinflußt wird oder wenn es ganz von ihnen getrennt wird. Der Idealfall besteht aus der sinnvollen Ergänzung von kognitiver und emotionaler Steuerung der Handelns. 1.2 Der Praxisbezug 1.2.1 Die idealen Voraussetzungen Man geht davon aus, daß der Aktor kompetent ist, also über reiche Handlungserfahrungen verfügt. Der Handende wird in eine Situation gestellt, deren Bewältigung für ihn wenigstens in Teilbereichen neu ist. Reine Routinehandlungen lassen sich einfacher beschreiben. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 14 Die Motivationslage muß so sein, daß der Handelnde komplexe Ziele aufzustellen und diese beharrlich zu verfolgen im Stande ist. Eine Person im Sommerurlaub, die auf Entspannung orientiert ist besitzt keine ausreichende Motivation. Die situativen Bedingungen müssen so sein, daß sie die beharrlichen Zielverfolgungen sowohl erlauben als auch erfordern. Einerseits bedarf es einen gewissen Spielraums, um eine Handlung zu verwirklichen; andererseits ist aber auch eine Kontinuität der Zielverfolgung erforderlich. Das Gewünschte Resultat darf sich nicht zufällig sondern nur aufgrund der anhaltenden Bemühungen des Aktors einstellen. 1.2.2 Anwendungen auf das Modell 1.2.2.1 Komplexe Handlungen Wenn man sich einmal für einen bestimmten Weg entschieden hat, ist damit eine Logik des Vorgehens verbunden, gegen die man nicht verstoßen kann. Ein einfaches Beispiel ist die Reise von A nach B. Man kann sich entscheiden, ob man den Weg X oder Y zum Ziel B einschlägt. Der Entscheidungsspielraum ist nicht eingegrenzt. Wenn man sich aber für einen Weg entschieden hat muß dieser konsequent zu Ende gegangen werden. 1.2.2.2 Parallele Handlungen In bestimmten Situationen, zu bestimmten Zeitpunkten gibt es quasi gleichberechtigte Möglichkeiten die Handlung fortzusetzen. Der Aktor wählt aus diesen Alternativen eine aus, aufgrund äußerer und innerer Anstöße und wenn dann diese Teilhandlung beendet ist, springt er zurück und nimmt einen anderen Handlungsfaden auf. Für diese „parallelen“ Handlungen werden ebenfalls Ziele und Handlungspläne gebildet, die Zielerreichung kontrolliert, Fehler korrigiert etc.. Es wird ebenfalls eine Ziel - Teilziel Hierarchie aufgebaut. Der Unterschied zu den komplexen Handlungsabläufen besteht darin, daß „Sprünge“ im Handlungsablauf vorkommen können. 1.2.2.3 Bruchstückhafte Handlungen Bei Handlungen, die keine komplexen Ziele verfolgen, gibt es keine Handlungspyramide sondern nur Bruchstücke, die entweder in stumpfer Monotonie wiederholt werden oder in mehr oder weniger loser Form zusammengestückelt sind. Das erstere kennzeichnet vor allem bestimmte Formen der Erwerbsarbeit. Die zweite Handlungsform dürfte auf viele der sogenannten Alltagshandlungen zutreffen. An die Stelle der Planung tritt hier die gefühlsbezogene Handlungssteuerung. Emotionen werden von gefühlshaften Stimmungslagen abgelöst. Hier kann man zwischen einer neutralen Alltagsstimmung, dem frustriert - aggressiven „Heute - läuft - gar nichts“, der optimistisch - leichtsinnigen Stimmungslage und anderen mit jeweils unterschiedlichem Ausprägungsgrad, unterscheiden. Dieses ziellose Springen erspart komplexe Handlungs - und Planungsprozesse. Dennoch ist auch dieses ziellose Springen auf einen Soll - Zustand orientiert, auf Tätigkeitsmotive. Diese werden nicht unbedingt bewußt wahrgenommen. Dennoch steuern sie in indirekter Weise das konkrete Handeln in ganzen Handlungsbereichen. Diese Tätigkeitsmotive sind auch der Bezugsrahmen für die oben beschriebenen handlungsbegleitenden Stimmungslagen. An die Stelle des Probehandelns tritt bei diesen Sprüngen ein unkonzentrierten Im - Kopf - Beschäftigt sein, ein Sammelsurium an allen möglichen Einfällen und Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 15 Vorstellungen. Die Kognition bleibt also auch in der aufgelockerten Version des Modells nicht außen vor. Das hier die Handlung eine weniger strenge Form der Planung bedarf liegt auf der Hand. 1.3 Modell der hierarchisch - sequentiellen Handlungsorganisation vs. Modell des improvisierend intuitiven Handelns Das Modell des improvisierend - intuitiven Handelns stellt ein Gegenmodell zu dem hierarchisch sequentiellen Handlungsmodell dar. Beim hierarchisch - sequentiellen Handlungsmodell ist es nämlich fraglich, ob hier wirklich ein Modell des Handelns – für den Vorgang des Handelns – vorgestellt wird (Modell des Handelns). Im improvisierend - intuitiven Handlungsmodell fehlt wiederum dieses Modellhafte völlig. Es wird kein Modell formuliert, der Schwerpunkt liegt hier auf dem Vorgang des Handelns. Das Modell versucht zu beschreiben, wie das Handeln aussieht ( Modell des Handelns). Bei der Betrachtung des hierarchisch - sequentiellen Handlungsmodells stellen sich nämlich folgende Fragen: 1. Ist das menschliche Handeln wirklich so bewußt und beharrlich zielgerichtet ? 2. Wie weit beschreibt das Modell wirklich die Realität des menschlichen Handelns ? Um die beiden Modelle zu verdeutlichen werden zwei kontrastierende Bilder verwendet, in denen der Handelnde als Kind dargestellt wird. Im hierarchisch - sequentiellen Handlungsmodell kann man sich den Handelnden als einsam spielendes Kind in einem großen leeren Raum vorstellen, in dem nichts ist als eine Reihe von Bauklötzchen. Dieses Kind spielt den Konstrukteur und Pyramidenbauer. Aber von außen wirken keine Einflüsse auf das Kind ein: die Sonne scheint nicht in den Raum. Im improvisieren - intuitiven Handlungsmodell ist der Handelnde ein Kind, das auf einem Floß einen Bach abfährt und getrieben wird. Ab und zu steuert es einen Ort an bis es letzt endlich irgendwo ankommt. In diesem Bild verkörpert der Fluß die Einflüsse von außen, die auf das Kind wirken und es steuern. Der Unterschied zwischen den beiden Modellen besteht darin, daß der Handelnde im improvisierend intuitiven Modell nicht als einsamer Konstrukteur seiner Handlungen gesehen wird, sondern als Subjekt seiner Handlung im Gesamtgeschehen. Die Lebensprozesse des Handelnden sind verflochten mit anderen Lebens - und Geschehensprozessen rund um ihn herum. 1.3.1 Perspektive des Handelnden Im improvisierend - intuitiven Modell besitzt der Handelnde nicht mehr ein großes Netz von Plänen. Er kann, aber er muß kein Ziel haben. Seine Einzelhandlungen sind nicht vorherbestimmt durch ein eventuelles Ziel. Sie sind vielmehr ein ständiges Improvisieren im Treiben - Lassen. Zum Beispiel beim Spaghetti - Kochen gibt es zwar ein gewisses Ausmaß an Planung wie das Bereitstellen und das Zurechtmachen der Speisen, aber der Zubereitungsvorgang hat wenig Ähnlichkeit mit dem Abarbeiten einer Handlungspyramide. Beim Spaghetti - Koch finden sich wohl kaum bewußte Teilzielbildungen und Entscheidungen, eher die Wahrnehmung der Situation zeigt ihm, was zu tun ist: Wenn das Wasser kocht, wirft er die Nudeln ins Wasser oder wenn am Herd gerade nichts zu tun ist, deckt er den Tisch. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 16 Der Koch wird im improvisierend - intuitiven Modell nicht wie im hierarchisch - sequentiellen als regelnbefolgender Entscheidungsträger gesehen. Zusammenfassend gehen beide Modelle von einem Handelnden in einer Umwelt aus, aber der entscheidende Unterschied ist, daß im improvisierend - intuitive Handlungsmodell der Handelnde und seine Umwelt strukturell miteinander gekoppelt sind. Der Handelnde wird als Geschehen in einem Gesamtfluß vielfältiger Ereignisse aufgefaßt, die miteinander in Beziehung stehen und sich gegenseitig beeinflussen. Die anderen Teilprozesse, also die anderen Ereignisse, sind Kräfte, die auf den Handelnden einwirken. Daraufhin verändert der Handelnde seine Position und durch diese Handlung nimmt er wiederum Einfluß auf die anderen Kräfte und Prozesse. Es findet sich in diesem Modell ein wechselseitiges Zusammenspiel des Handelnden und seiner Umwelt. 1.3.2 Akzente von „innen“ und „außen“ Im improvisierend - intuitiven Handlungsmodell werden die Akzente von außen und innen im Vergleich zum hierarchisch - sequentiellen Handlungsmodell anders gesetzt. Im hierarchisch - sequentiellen Handlungsmodell liegt der Ursprung von Intentionen, Zielen und Plänen im Aktor. Im improvisierend intuitiven Handlungsmodell kommen entscheidende Strukturmerkmale von außen: Die wahrgenommene Umwelt macht dem Handelnden spezielle Angebote. Sie gibt ihm Anreize, die er als Ziele verinnerlichen kann und strukturiert seine Pläne durch Vorgegebenes. Der Handelnde kann in vielen Situationen dem Geschehen einen Verlauf geben, welcher den eigenen Vorstellungen entspricht. Aber oft stellen sich ihm Barrieren in den Weg. Den Verlauf einer Handlung kann man sich wie folgt vorstellen: Wenn man sich das Feld der Handlung als vieldimensionalen Raum vorstellt, dann hat dieser zwei Hauptdimensionen: 1. Die äußeren situativen Gegebenheiten mit Angeboten und Barrieren 2. Die inneren Bedarfs - und Interessenlagen In diesem Raum gibt es Gebiete, wo sich Angebote und Bedürfnisse treffen. Aber es können auch mehrere Bedürfnisse auftreten, die nicht alle gleichzeitig befriedigt werden können und so muß der Handelnde eine Rangreihe bilden. Oder er trifft auf Barrieren und muß einen Umweg nehmen, um ans Ziel zu gelangen. Mit der Zeit sammelt der Handelnde Erfahrungen, welche Wege in einem bestimmten Fall gewählt werden. Bedürfnisse des Handelnden und Angebote der Umwelt beeinflussen und verstärken sich wechselseitig. Zum Beispiel beim Spaghetti - Kochen sind die dampfenden Nudeln im Sieb das Angebot der Umwelt mit der Zubereitung der Soße fortzufahren. Der inzwischen gestiegene Hunger des Kochs stellt hier das Bedürfnis des Handelnden dar. Nach der Befriedigung des Bedürfnisses befindet sich der Handelnde in einer neuen Konstellation mit neuen Angeboten und Bedürfnissen, die eine weitere Handlung anstoßen. Aus dem jeweiligen Zueinander von situativen Gegebenheiten (Angebote und Barrieren) und individuellen Bedürfnissen und Erfahrungen läßt sich also Schritt für Schritt der Fortgang des Handelns ableiten. 1.3.3 Emotionen Emotionen spielen im improvisierend - intuitiven Handlungsmodell eine weitaus größere Rolle als im hierarchisch - sequentiellen Modell. Der Handelnde besitzt hier nämlich zusätzlich die Fähigkeit den Fortgang der Handlung ständig zu kontrollieren, zu bewerten und festzustellen, wie er sich hierbei fühlt. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 17 Beim Fortgang einer Handlung treten beispielsweise folgende Gefühle auf: Gefühle beim Hintenanstellenmüssen von Bedürfnissen Gefühle kurz vorm Ausführen einer Handlung Gefühle bei unerwartet aufgetretenen, der Zielerreichung im Wege stehenden Situationen Weiterhin dienen Emotionen als Ausgangspunkt für Denk - und Lernprozesse. 1.3.4 Handlungsvorbereitendes und –begleitendes Denken Das handlungsvorbereitende und –begleitende Denken spielt im improvisierend - intuitiven Handlungsmodell eine doppelte Rolle. 1. Die erste Komponente stellt das Denken im Sinne von Bei - der - Sache - Sein dar. Hier wird das Denken als Aufmerksamkeit verstanden, was im hierarchisch - sequentiellen Handlungsmodell völlig fehlt. 2. Die zweite Komponente bildet das Probehandeln: Der Aktor kann beim Handeln innehalten und an dessen Stelle ein inneres Probehandeln setzen, indem er sich das weitere Geschehen vorstellt. Er kann sich also Resultate vorstellen und diese bewerten, was eventuell zum Auslöser für ein bestimmtes „äußeres“ Handeln wird. Denken als Probehandeln findet sich auch im hierarchisch - sequentiellen Modell, wobei sich einige unterschiedliche Aspekte finden: Das Innehalten und Probehandeln nach dem improvisierend - intuitiven Handlungsmodell begleitet im Unterschied zum hierarchisch - sequentiellen Handlungsmodell nicht ständig unseren Alltag. Es tritt lediglich bei Haltepunkten im Fluß des Geschehens zum Beispiel bei der Bildung von neuen Zielen oder bei Barrieren auf. Beim Probehandeln im improvisierend - intuitiven Handlungsmodell überläßt sich der Handelnde einem imaginierten Geschehen ähnlich wie Tagträumen. Probehandeln in diesem Modell bedeutet im Gegensatz zum hierarchisch - sequentiellen Handlungsmodell nicht, daß der Handelnde den Prozeß Stück für Stück zusammensetzt. Es handelt sich im improvisierend - intuitiven Handlungsmodell mehr um ein spielerisches, mehr spontanes Durchspielen der Zukunft als daß der Handelnde wie im hierarchisch - sequentiellen Handlungsmodell mehrere Handlungsalternativen systematisch konstruiert, bewertet und bewußt entscheidet. 1.3.5 Übereinstimmungen mit dem hierarchisch - sequentiellen Handlungsmodell aus der Sicht des improvisierend - intuitiven Handlungsmodells Nachdem die Unterschiede zwischen den beiden Modelle aufgezeigt wurden, wird folgend auf die Übereinstimmungen eingegangen. Aber auch hierbei sind Einschränkungen gegeben. Bei beiden Modellen findet sich eine übergeordnete Lenkung der Handlungen durch Tätigkeitsmotive. Aber diese generellen Leitmotive werden im improvisierend - intuitiven Handlungsmodell nicht als Eigenschaffung des Handelnden gesehen, sondern sie werden hier als vom Gesamtsystem (z.B. soziale Werte) angeboten und gefordert betrachtet. Eine weitere Übereinstimmung findet sich mit den parallel angeordneten Teilzielen, wobei die Vorausplanung und Handlungskoordination wesentlich geringer ist als das hierarchisch - sequentielle Handlungsmodell annimmt. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 18 Weiterhin stimmen die beiden Modelle insoweit überein, daß das improvisierend - intuitive Handlungsmodell nicht abstreitet, daß es den Typ Handlung gibt, den das hierarchisch - sequentielle Handlungsmodell beschreibt. Diesen Typ Handlung gibt es sogar sehr oft und er ist auch sehr wichtig. Der Unterschied der beiden besteht darin, daß das hierarchisch - sequentielle Handlungsmodell solches Handeln als das Typische am menschlichen Handeln bezeichnet. Hingegen tritt nach dem improvisierend - intuitiven Handlungsmodell solches Handeln aber nur dann ein, wenn das harmonische Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage gestört ist, beispielsweise wenn etwas nicht funktioniert oder ein unerwartetes Hindernis auftritt. Solche Brüche sind im improvisierend - intuitiven Handlungsmodell der Ausgangspunkt dafür, daß zu solchem Handeln übergegangen wird, wie es das hierarchisch - sequentielle Handlungsmodell beschreibt. Jetzt wird detaillierte Vorausplanung erforderlich, eine Aufgliederung des Gesamtvorgangs in Teilziele usw. Zusammenfassend gesagt aus Störungen des alltäglichen Tuns entsteht das bewußte und zielgerichtete Verfolgen komplexer Ziele, wie es das hierarchisch - sequentielle Handlungsmodell beschreibt. Diese Handlungen sind in der Regel aber in den ungestörten Handlungsverlauf eingebunden. Es sieht also so aus als könnte man eine Verbindung der beiden Modelle herstellen. Die Verbindung des intuitiv - improvisierenden mit dem hierarchisch - sequentiellen Handeln sieht folgendermaßen aus und wird als das Modell des zeitweiligen Aussteigens bezeichnet: Stößt das Alltagshandeln wie es im improvisierend - intuitiven Handlungsmodell beschrieben wird auf eine größere Schwierigkeit, dann löst dies eine Zielbildung und –erreichung aus wie im hierarchisch sequentiellen Handlungsmodell geschildert. Ist die Störung behoben, kehrt man wieder zum intuitiv improvisierenden Handeln zurück. Diese genaue Trennung ist verständlicherweise nicht immer aufrechtzuerhalten. Es wechseln Phasen der einen und der anderen Handlungsform in kürzeren Abständen einander ab. Zum Beispiel ein Arzt versucht sich ein Bild von einem neuen Patienten zu machen. Teilweise erfaßt er eher intuitiv auf der Basis von Ähnlichkeiten und teilweise verwendet er ein sehr rational - planendes Nachforschen und Abarbeiten. Beim Spaghetti - Koch hingegen findet sich eigentlich nur das improvisierend - intuitive Handeln. Höchstens der Herd würde verrückt spielen, dann würde der Koch zum hierarchisch - sequentiellen Handeln übergehen. Es liegt also an den Aufgaben und den gegebenen Bedingungen, wie sich das Verhältnis der beiden Handlungsformen gestaltet. Immer gilt aber aus der Sicht des improvisierend - intuitiven Modell: Das improvisierend - intuitive Handeln ist das Umschließende, in welches das hierarchisch - sequentielle Handeln eingebaut ist, und zwar so daß das hierarchisch - sequentielle Handeln jederzeit abrufbar ist. 1.4 Fehler und gar nicht so falsche Fehler Definition Fehler: - Fehler als Teilmenge eines umfassenderen Konzepts - Fehler als Abweichung von zielgerichtetem Handeln - Fehler = Abweichung gilt nur dann, wenn die Abweichung Folgen nach sich zieht, die die Erreichung höherer Ziele gefährden. Wenn in der, durch die Abweichung hervorgerufenen Situation problemlos die Handlung fortgeführt werden kann, spricht man nicht von Fehler Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler - Seite 19 beim Fehler ist die Abweichung auf das Handeln des Aktors zurückzuführen. Wenn die Zielverfehlung durch zufällige oder nicht beeinflussbare Umstände hervorgerufen wurde, handelt es sich nicht um einen Fehler 1.4.1 Über - und Unterordnung der Ziele - das Erreichen, bzw. das Verfehlen eines Unterziels kann sich positiv oder auch negativ auf das Erreichen eines Oberziels auswirken, und je nach Auswirkung unterscheidet man verschiedene Fehlerarten 1. Fall: Unterziel erreicht, wodurch Oberziel gefördert wird Normalfall 2. Fall: Unterziel erreicht, wodurch Oberziel gefährdet wird Planungsfehler, z.B. man möchte einen Schein machen, den man für prüfungsrelevant hält, stellt aber kurz vor der Prüfung fest, daß es der falsche Schein war 3. Fall: Unterziel verfehlt, wodurch Oberziel gefördert wird Abweichung im Sinne des „ nicht so falschen Fehlers“, z.B. man will einer Freundin, der es schlecht geht, eine fröhliche Karte schicken, schickt ihr aber aus Versehen eine Karte mit traurigem Motiv, die für jemand anders gedacht war. Die Freundin ruft an und ist sehr erfreut über die Karte, weil sie es als Zeichen des Mitgefühls und Verständnis für ihre schlechte Situation wertet. 4. Fall: Unterziel verfehlt, wodurch Oberziel gefährdet wird Normalfall der Abweichung, die eine Korrektur erforderlich macht, z.B. ein für die Prüfung notwendiger Schein wird verfehlt und man muß sich Handlungsalternativen überlegen 1.4.2 Allgemeine Gründe für das Auftreten von Fehlern - man befindet sich in einer neuen, ungewohnten Situation, verhält sich aber wie in einer altbekannten, vertrauten Situation. - Beharrungstendenzen im menschlichen Verhalten führen dazu, daß der Mensch auch in neuen Situationen Verhaltensweisen anwendet, die schon in früheren Situationen erfolgreich waren, obwohl diese alten Verhaltensweisen in der neuen Situation zum Scheitern führen. - der Aktor kann als Person gesehen werden, die auf der Grundlage bisheriger Erfahrungen entscheidet und handelt - ein Fehler ist der Fall, bei dem das, was bisher immer funktioniert hat, einmal nicht die richtige Lösung ist, weil man zu schnell, zu starr gehandelt hat die Ursachen des Fehlers sind gleichzeitig auch die wesentlichen Merkmale des gelingenden Handelns Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 20 1.4.3 Praktische Konsequenzen aus Fehlern - Erkennen, daß Fehler im menschlichen Handeln unvermeidlich sind. Aus dieser Erkenntnis heraus sollten wir nicht hartnäckig bemüht sein, Fehler auszuschalten, sondern wir sollten lernen, mit den Konsequenzen aus Fehlern umzugehen und Bewältigungsstrategien zu entwickeln - Fehler als Lernquelle. Fehler sind ein Hinweis darauf, daß das eigene Handeln verbesserungswürdig ist. Nur wer Fehler macht, kann sich weiterentwickeln - Fehler als Möglichkeit für neue, positive Erfahrungen, indem andere, in bestimmten Situationen, sinnvollere Handlungsmöglichkeiten gezeigt werden. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 21 1.4.4 Vorgehensweise bei der Beurteilung und Behebung von Fehlern (vgl. auch Handlungsmodell Position A) - von unten nach oben wird geprüft, welch Ziele/ Teilziele aufgrund der Abweichung gefährdet oder nicht mehr zu erreichen sind - dieser Teilbereich, in dem die Ziele nicht mehr erreicht werden können, wird neu geplant - Korrekturen werden auf den kleinstmöglichen Bereich beschränkt. Höhere Ziele werden beibehalten 1.4.5 Störfälle, Unfälle, Katastrophen 1.4.5.1 Technisch - organisatorische Systeme, bei denen Störungen erwartet werden müssen folgende Merkmale müssen zusammentreffen, um die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Störfällen zu erhöhen: 1. hohe Komplexität: das System besteht aus vielen Einzeleinheiten, die mehrfach miteinander verknüpft sind und die aufeinander einwirken. Die ablaufenden Prozesse sind nur indirekt beobachtbar und steuerbar, das System ist insgesamt nur wenig durchschaubar und schwer zu überblicken 2. enge Kopplung: die Abläufe im System sind streng miteinander verkettet, es gibt kaum Ersetzungs - , Ausweich - , Begrenzungsmöglichkeiten das Zusammentreffen dieser beiden Merkmale findet man häufig in technisch hochentwickelten Anlagen, weshalb die Störungsanfälligkeit bei diesen Betrieben wieder Erwarten besonders hoch ist (z.B. Tschernobyl, Bhopal, Harrisburg,...). Die wahre Ursache für das Auftreten schwerwiegender Störfälle in solchen Systemen ist aber nicht ein Bedienungsfehler eines einzelnen, sondern eine Aufsummierung von Einzelfehlern im Vorfeld des Störfalls. Man spricht hier von latenten Fehlern, bzw. von einer Morbidität des Systems. 1.4.5.2 - Warum ist es so schwierig, Vorkehrungen gegen Störfälle zu treffen? Vorkehrungen kann man nur gegen das schon Bekannte treffen. Nur wenn bekannt ist, welche Ursachen die Situation auslösen, können Präventivmaßnahmen getroffen werden. Störfälle werden jedoch häufig durch eine neue, unerwartete, unbekannte Situation hervorgerufen - bei den komplexen, eng gekoppelten Systemen führen Vorkehrungen technischer Art dazu, daß die Systeme noch komplexer werden und somit neue Störungsmöglichkeiten geschaffen werden - technische Vorkehrungen sind nur ein Teil des Gesamtsystems. Durch die vielfältigen technischen Sicherheitsvorkehrungen kann es zur sogenannten Risikokompensation kommen. Dies bedeutet, daß die Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 22 Handelnden die größere Teilsicherheit durch die technischen Vorkehrungen dazu nutzen, sich insgesamt riskanter verhalten und somit das Risiko eines Fehlers wieder erhöhen. z.B. ein Motorradfahrer mit kompletter, moderner Sicherheitsausrüstung wiegt sich dadurch möglicherweise in einer Scheinsicherheit und nutzt die neugewonnene Sicherheit, schneller zu fahren, was wiederum das Risiko, bei einem Unfall zu verunglücken, erhöht. 1.4.5.3 Wie kann man die Unzuverlässigkeit solcher Systeme erklären? Es gibt zwei Erklärungsansätze: 1. Systemunzuverlässigkeit als Form fehlerhafter Passung ( MISMATCH - GEDANKE) fehlende Passung zwischen den Verhaltensanforderungen des technischen Systems und grundsätzlichen Handlungsmöglichkeiten der Akteure. Von den Operateuren wird das Unmögliche verlangt. Sie sollen alle möglichen Situationskonstellationen vorhersehen und in den Situationen korrekt handeln. Dies ist aber aufgrund der Systemkomplexität unmöglich. Auch die begrenzte menschliche Aufmerksamkeit, die Wahrnehmungs - , Verarbeitungs - und Prognosefähigkeit muß beachtet werden 2. Gedanke der Ironien der Automatisierung erste Ironie: die Systementwickler versuchen den Menschen als unzuverlässigen Systemteil weitgehend aus dem Prozeß herauszuhalten. Gleichzeitig wird aber genau diesen Menschen die Verantwortung für Not - und Sonderfälle übertragen. zweite Ironie: die Systementwickler selbst sind fehlbare Menschen, die entsprechend fehlerhafte Systeme entwickeln. Die Anforderungen, die daraus an die Operateure entstehen sind als WIDERSPRÜCHLICHE ARBEITSANFORDERUNGEN oder als HARRISBURG - SYNDROM bekannt. 1.4.5.4 - Merkmale des Harrisburg - Syndrom im Regelfall soll nicht, bzw. es ist sogar unerwünscht, in das System einzugreifen. Als Folge werden bereits erworbene Kompetenzen wieder verlernt. Trotzdem soll in der unvorhergesehen Situation mit höchster Kompetenz eingegriffen werden. - die Operateure sind in einer Situation, in der die meiste Zeit nichts geschieht, in der sie aber ständig der Möglichkeit ausgesetzt sind, in einer Notsituation schnell richtig handeln zu müssen. - die Operateure leben in einem künstlichen Arbeitsumfeld und sind weit entfernt von dem , was wirklich geschieht. Die Rückmeldungen über die Wirksamkeit der eigenen Eingriffe sind abstrakt und unklar (z.B. Kontrolleur im Kernkraftwerk sitzt vor Leuchtkonsole, auf der sehr viele Knöpfe leuchten, die er beobachten soll, aber eigentlich weiß er nicht so genau, was die Aufgaben der einzelnen Knöpfe sind und was sein eigenes Handeln bewirkt) Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler 1.4.5.5 - Seite 23 Möglichkeiten, die Gefährdungspotentiale der Systeme zu verringern das Problem der Anlagen ist nicht die Tatsache, daß es zu Abweichungen und Störungen kommt, sondern das Problem ist in den schwerwiegenden, weitreichenden und oftmals unvorhersehbaren Folgen der Abweichung zu sehen. die theoretische Lösung wären Systeme, bei denen die Störungsfolgen auf ein harmloses Maß begrenzt sind fehlertolerante oder fehlerfreundliche Systeme Die Problematik dieser sogenannten fehlertoleranten Systeme liegt in der praktischen Umsetzung. Inwieweit lassen sich die Störungsfolgen von technischen Systemen wie z.B. Kernkraftwerken auf ein harmloses Maß begrenzen und inwieweit wären diese Systeme im Falle der Begrenzung noch funktionsfähig? 1.5 Arbeit, Technik und Organisation Definition Arbeit: Tätigkeiten, welche dem Zweck dienen, in Auseinandersetzung mit materiellen Gegebenheiten das Über und Wohlleben menschlicher Gemeinschaften zu sichern Definition Technik: die Abgabe von Funktionen im Gesamtarbeitsprozeß an maschinelle Funktionsträger 1.5.1 Konzepte/ Modelle vom Menschen und der Organisation seines Tuns 1.5.1.1 Zentralistisches Modell (Hierarchie - Monopol - Modell) - in diesem Modell haben nur wenige Personen das Entscheidungs - und Kontrollmonopol - Aufbau der Organisation in Pyramidenform: es gibt mehrere Zwischenebenen, wobei die Anzahl der Funktionsträger mit steigender Ebene immer geringer wird - Befehls - und Kontrollwege verlaufen einseitig von oben nach unten. - Idealzustand des Systems ist das reibungslose Funktionieren. Durch Durchsetzung von Zwangs - und Kontrollmitteln und Standardisierung der Prozeduren soll die Eigensinnigkeit des individuellen Handelns auf der untersten Ausführungsebene minimieren. Durch Maschinisierung der Prozeduren soll das unzuverlässige menschliche Element im System minimiert werden Folgen der Handlungsformen des zentralistischen Modells Entfremdung der Handelnden von der Arbeit. (Wahrnehmung einer qualitativen Unterforderung, Verlust der Autonomie, Eintönigkeit und Monotonie, Zweifel am Sinn der persönlichen Arbeit) widersprüchliche Anforderungen und unausführbare Aufgaben erhöhen die Fehleranfälligkeit (vgl. Harrisburg - Syndrom) Erosion des Wissens und der Verantwortung das aus Erfahrung gewonnene Wissen wird zugunsten formalisierter und maschinisierter Prozeduren immer mehr abgewertet, was zur Folge hat, daß die persönliche Verantwortung immer mehr verschwindet Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 24 Quantität und Qualität der Produkte und Dienstleistungen dieser Systeme sind meist mangelhaft, da die Systeme sehr starr sind und nur langsam auf veränderte Anforderungen reagieren mit zunehmender Größe werden die Systeme komplexer und enger gekoppelt, was zu einer erhöhter Anfälligkeit für Störfälle führt 1.5.1.2 dezentralisiertes Organsisationsmodell Alternativmodell zum zentralisierten Modell Setzt auf Kompetenz und Motivation der Mitarbeiter, gibt Freiraum und Handlungsautonomie. Keine hierarchische Pyramide, sondern ein Nebeneinander gleichberechtigter Gruppen es gibt eine gemeinsame Leitung und Steuerung des Gesamtprozesses, allerdings als Koordination, nicht als autoritäre Befehlsgebung. Man kann also von einer sehr flachen Pyramide ausgehen. das dezentrale Modell braucht Mitarbeiter, die motiviert sind, auf ein gemeinsames Ziel hinzuarbeiten, und es braucht sachbezogene und kompetente Mitarbeiter, die in der Lage sind, komplexe Aufgaben selbständig zu bearbeiten und an übergeordneten Entscheidungsprozessen teilzunehmen Probleme des dezentralisierten Modells Das Hauptproblem des dezentralisierten Modells liegt in der schweren Realisierung der Idee der gemeinsamen Leitung. 1.5.1.3 Modell der arbeitsorientierten Technikgestaltung alte Einstellung: Maschinen sind fehlerfrei, kontrollierbar, beherrschbar, wohingegen der Mensch als unzuverlässiger und unwilliger Systemteil anzusehen ist. Als Folge daraus kann Effizienz nur erreicht werden, wenn der Mensch der Maschine untergeordnet ist. Ideen des arbeitsorientierten Modells: - Arbeitsaufgaben sind vor den Arbeitsmitteln zu konzipieren - Stärken des Menschen (Selbständiges Handeln, soziales Handeln,...) müssen beachtet, gestützt, gefördert werden und Ausgangspunkt der Planung sein - Flexibilität des Verhaltens und Produzierens als herausragender Zielaspekt - zukünftige Arbeitsaufgaben des Menschen stehen im Beginn und im Zentrum aller Maßnahmen. Die Gestaltung technischer Mittel ist dem unterzuordnen. - alle von der Umgestaltung betroffenen Personen sollen frühzeitig und mit hinreichender Entscheidungskompetenz am Prozeß beteiligt werden - Gestaltungsaufgabe nicht als einmalige Maßnahme, sondern als ständige Handlungsforderung an alle Beteiligten Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 25 2 Gestaltpsychologische Beiträge zur Struktur und Dynamik fehlerhafter Handlungsabläufe 2.1 Der Fehler als ganzheitliches Gebilde 2.1.1 Was ist ein Fehler? Der Gestaltpsychologische Ansatz von Wehner und Stadler stellt den Fehler im Sinne einer fehlerhaften Handlungssequenz in ein völlig neues Licht. Die bisherige Sichtweise betrachtet den Fehler als einen defizitären Teil einer ansonsten richtigen Handlung. Würde die Handlung den Fehler nicht enthalten, wäre sie gelungen und würde zur Zielerreichung führen. Die Handlung ist also sinnvoll ausgerichtet, um unter den gegebenen Umständen den Erfolg zu sichern, der Fehler ist eine zufällige, sinnlose Abweichung dieses sinnvollen Ganzen. Der Blick richtete sich also bisher lediglich auf die Systematik der Richtigkeit einer Handlung, ihrer richtigen, zum Ziel führenden Anteile; der Fehler wurde als sich dieser Systematik widersetzende Anteil abgetan. Er ist sozusagen nur negativ, die Handlung an sich gehorcht den Gesetzen der Richtigkeit innerhalb des jeweiligen Systems, in dem sie stattfindet, der Fehler ist der Teil, der sich diesen Gesetzen widersetzt und deswegen zum Mißlingen der Handlung führt. Daß der Fehler jedoch auch eine eigene Systematik besitzt, also kein zufälliger und sinnloser ist, sondern innerhalb seiner Systematik ein „sinnvolles, ganzheitliches Gebilde“ darstellt, ist die frappierende und fruchtbare Sichtweise der Gestaltpsychologie. Sie ermöglicht bei der Analyse fehlerhafter Handlungen „Handlungsgewohnheiten, Situationseinschätzungen, Organisationsprinzipien, Entscheidungs - und Bedürfnisstrukturen des Handelnden“ sichtbar zu machen. 2.1.2 Wie kommt er zustande? Stellt der Fehler nun einen in sich vollgültigen Akt dar, kann auch sein Auftreten erklärt werden. Es ist nicht zufällig und planlos, sondern logisch und sinnvoll. Der Fehler ist deswegen vorhanden, weil im Handlungsfeld nicht nur solche Bedingungen existent sind, die bestimmen, was bezüglich der Erreichung des intendierten Ziels richtig ist, sondern auch, was in einer anderen Hinsicht richtig wäre. Diesen gehorcht der Fehler, und ist deswegen in sich richtig. Da letztere Bedingungen jedoch für den Handelnden sozusagen „hinter den Kulissen liegen“, da er sich ja auf ein bestimmtes Ziel konzentriert hatte und eben dieses erreichen wollte, kann er den Fehler nur als falsch ansehen. Er hat nur diese eine negative Perspektive, die aus dem Nichterreichen des intendierten Ziels entspringt. Was in dieser Hinsicht falsch und störend war, kann doch nicht zugleich richtig sein. Doch, es kann gleichzeitig richtig sein, sagen Wehner und Stadler. Es schließt sich nicht aus, weil es immer gleichzeitig mehrere Perspektiven auf eine Sache gibt. Im Hinblick auf die geplante Zielerreichung ist der Fehler das Falsche, Störende; im Hinblick auf etwas, was nicht intendiert war, und damit außerhalb es Blickfeldes liegt, ist er jedoch richtig und nur konsequent. 2.1.3 Was sagt er aus? „Handlungsfehler haben Indikatorenfunktion, sie signalisieren uns –metaphorisch gesprochen - ein Ausrutschen in einem Handlungsfeld mit interferierendem Aufforderungscharakter und das Fliehen in eine wohlgeordnete, prägnante Gestalt.“ Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 26 Auf die Handlung wirken nach Wehner und Stadler Kräfte in der Art ein, daß sie in eine andere Richtung verläuft als geplant, wie ein Zug, der auf einer anderen Schiene zu einem anderen Ziel weiterfährt. Hinsichtlich dieses Ziels ist die Abweichung genau das richtige gewesen, sonst hätte sie sich nicht derart gestaltet. 2.1.4 Konsequenz: Welche Fehlertheorien werden benötigt? Demnach bemängeln die Autoren das Fehlen von Fehlertheorien, die danach fragen, „wo, wann und unter welchen Bedingungskonstellationen und in welcher Situation wäre das richtig gewesen, was hier, in einer spezifischen Handlungssituation und innerhalb eines konkreten Handlungskontextes zum Fehler führte“. Interessant sind Fehler also, weil sie auf die Feldkräfte schließen lassen, die im Handlungsraum wirken. Nun werden Theorien benötigt, die erklären, warum der Fehler gerade so und nicht anders geschieht, welchem Sinn er folgt, daß die fehlerhafte Handlung in diesen Bahnen verläuft. 2.2 Der Fehler und sein Verhältnis zur psychischen Einzelleistung 2.2.1 Wie lassen sich Fehler erklären? Für die Erklärung von Handlungsfehlern kommen zwei Ansätze in Frage: Ganzheitspsychologisch oder aus der psychischen Einzelleistung heraus. Vor allem in den neobehavioristischen und kognitiven Theorien wird das Mißlingen einer Handlung dadurch erklärt, das ein Defizit in einem Leistungsbereich bestand, der für die Zielerreichung relevant war. Es wird davon ausgegangen, daß die Handlungssituation bestimmte Anforderungen an den Handelnden stellt, will er ein bestimmtes Ziel erreichen, z.B. an die Konzentration oder Aufmerksamkeit einer Person. Wird diese Leistung nicht erbracht, kommt es zum Fehler. Wehner und Stadler führen als Beispiel die Unfallforschung an, die besagt, es „werden nicht nur 70 - 90 % aller Unfälle auf menschliches Versagen und damit auf fehlerhafte Handlungsweisen zurückgeführt, es wird zusätzlich angenommen, Daß wiederum mehr als dreiviertel dieser Verhaltensfehler auf Aufmerksamkeitsdefiziten beruhen“. Es wird hier ein Kausalitätsprinzip unterstellt; der Fehler entsteht, weil es an den Voraussetzungen mangelt. Bringe ich alle Voraussetzungen mit, passiert kein Fehler und ich erreiche mein Ziel. Habe ich ein Defizit, zum Beispiel konzentriere ich mich nicht gut genug, kommt es zum Fehler und ich verfehle mein Ziel. Die Handlung wird also fehlerhaft, weil der Handelnde nicht genug der erforderlichen Leistung erbringt. Es wird unterstellt, daß für jedes Ziel bekannt ist, was für eine erfolgreiche, fehlerfreie Handlung benötigt wird. Der Fehler ist demnach - zumindest theoretisch - hundertprozentig kontrollierbar. 2.2.2 Ist die psychische Einzelleistung die Ursache? Nein, sagen Wehner und Stadler, die eine ganzheitliche Sichtweise postulieren. Man kann in den psychischen Teilbereichen ein Defizit haben, und es passiert trotzdem kein Fehler, oder man kann die optimale Leistung erbringen, und es passiert doch ein Fehler, Was sich z.B. in der Aufmerksamkeitsforschung zeigt. Denn die Fehlergrenze wird durch die psychische Einzelleistung lediglich verschoben, die Fehlhandlungsbedingungen existieren unabhängig davon und sind nur vom Kontext der Handlungssituation zu verstehen. Ich mache den Fehler z.B. eher, wenn ich unkonzentriert bin. Warum ich Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 27 ihn aber überhaupt mache, und warum der Fehler so und nicht anders gestaltet ist, kann nur eine ganzheitliche Sichtweise wie die der Gestaltpsychologie erklären. Nur die ganzheitliche Sichtweise läßt ein Lernen aus Fehlern zu. Wird die Ursache einer zielverfehlenden Handlung im Versagen in einer psychischen Einzelleistung gesehen, wird aus dem Fehler keine neue Erkenntnis geschöpft. Der Fehler wird nur in einem bestimmten Rahmen interpretiert, und zwar dahingehend, welche Rolle er in der Handlungssituation einnimmt, die unter dem Aspekt der Zielerreichung betrachtet wird. Vor diesem Hintergrund stellt er lediglich ein Defizit dar. Etwas hat gefehlt von dem was bekannt ist, daß es zur Zielerreichung notwendig ist. Geht man Über diesen Interpretationsrahmen hinaus, indem man eine ganzheitliche Sichtweise einnimmt, zeigt sich der Fehler von einer ganz anderen Seite. Er wird als das erkannt, was in einem anderen, da weiter gefaßten Handlungsraum konstruktiv und richtig ist, weil hier zum Verständnis andere Ziele zugelassen werden, die vorher ausgegrenzt waren, weil sie nicht der Handlungsintension entsprachen. Das Falsche wird richtig, wenn der Kontext gefunden wird, in dem es richtig und sinnvoll ist. Für diesen Kontext wird also durch den Fehler das Richtige, zum Erfolg Führende gefunden, das sonst nie entdeckt worden wäre. Es ist wie zu einer Antwort, die bezüglich einer gestellten Frage falsch war, die Frage zu finden, für die diese Antwort die Lösung bietet. Demnach trifft auch das Sprichwort zu „Fehler bemerkt man nicht als bis sie begangen sind“. Erst dadurch, daß ich handle, also ein bestimmtes Ziel zu erreichen versuche, kann es dazu kommen, daß ich „daneben handle“. Dieser Fehler tritt deswegen im Handlungsgeschehen auf, weil ich ihn vorher nicht gekannt habe, sonst hätte ich ihn nicht begangen. Fehler sind nicht prognostizierbar, weil jeder Fehler neu ist, man kann sie nur erfahren, aber nicht ausdenken. Antizipieren kann man nur die Bedingungen, die die Fehlerwahrscheinlichkeit beeinflussen, z.B. die psychische Einzelleistung Aufmerksamkeit. 2.3 Der Einzelfall ist der reine Fall 2.3.1 Ist jeder Fehler ein Einzelfall? Die Autoren verweisen auf zwei hierzu relevante Forschungsergebnisse von Lewin: Die Situation als Analyseeinheit und die Rekonstruktion von Einzelfällen. Diese beiden Aspekte charakterisieren den Fehler, wie er in der Gestaltpsychologie betrachtet wird: Er ist eingebettet in einen bestimmten Kontext und nur innerhalb dessen zu verstehen. Die Bedingungen der spezifischen Handlungssituation geben dem Fehler seine sinnvolle Gestalt. Da jede Situation einzigartig ist, - nie sind „alle Intentionen, Motive und Handlungsbedürfnisse sowie Interaktionskonstellationen“ bekannt - , ist erstens jeder Fall ein Einzelfall und zweitens nicht vorhersagbar. „Für jeden Typus genügt im Prinzip ein Exemplar“, so Lewins Worte, d.h. auch die Kategorisierung von Fehlern muß scheitern, da sie dem Auftreten immer neuer Fehler hinterher hinkt. 2.3.2 Sind Fehler vom Zufall bestimmt? Dennoch unterliegt das Auftreten von Fehlern nicht dem Zufall, auch wenn sie weder im Experiment noch im Arbeitsprozeß vorhergesagt werden können. Wie Wehner und Stadler bereits zuvor ausführten, kommt der Fehler deswegen zustande, weil bestimmte Kräfte im Handlungsraum die Handlung in eine andere Richtung lenken, so daß das angestrebte Ziel verfehlt und die Abweichung als Fehler betrachtet wird. Das Auftreten des Fehlers bietet nun die Möglichkeit, auf die Gesetzmäßigkeiten rückzuschließen, nach denen Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 28 der Fehler in dieser bestimmten Weise zustande kam. Je mehr Fehler gemacht werden, um so mehr Gesetzmäßigkeiten können aufgedeckt werden. Wird kein Fehler gemacht, bleiben die Strukturen unbekannt. 2.3.3 Sind Fehler vorhersagbar? Dennoch kann aufgrund der wachsenden Kenntnis fehlerfreies Handeln nicht garantiert werden. Wollte ich keinen Fehler mehr machen, müßte ich all das kennen, was das Richtige bestimmt (die Strukturen und Gesetzmäßigkeiten im Handlungsraum). Sie erschließen sich jedoch nur, indem ich Fehler mache. Indem ich einen Fehler mache, bekomme ich gezeigt, worauf bezogen die fehlerhafte Handlung richtig gewesen wäre („aus Fehlern lernen“). 2.4 Der Fehler als Erkenntnisvehikel 2.4.1 Was sagt der Fehler über ein System aus? Außer im Bereich des Handelns sind Fehler vor allem in der Wahrnehmungsforschung Gegenstand des Interesses. Fast jeder kennt zum Beispiel geometrisch - optische Täuschungen oder Kontrasteffekte. Will man in empirischen Untersuchungen, z.B. im Simulationsexperiment, erfassen, wie ein System der Wahrnehmung funktioniert, kann gerade der Fehler darüber Aufschluß geben. Ein Modell für ein Wahrnehmungssystem muß gerade dann falsch sein, wenn es alles richtig macht, wenn die typischen Verzerrungen ausbleiben. Das Modell ist dann ein korrektes Nachbild, wenn es dieselben Fehler wie das System, das es abbilden soll, produziert. Der Fehler ist sozusagen das richtige Ergebnis, da er erwartet wird aufgrund der Eigenschaften des Systems. Nur ist bestätigt, daß die zusätzlichen Außenbedingungen existieren, die auf den Wahrnehmungsprozess wirken und das Ergebnis in eine falsche Richtung lenken (z.B., daß aufgrund des schwarzen oder weißen Hintergrundes zwei gleich graue Flächen nicht als gleich grau wahrgenommen werden, sondern einmal heller und einmal dunkler). Wehner und Stadler bezeichnen daher den Fehler als „aussagekräftigsten Fall zur Funktionsweise eines zu analysierenden Systems“. 2.4.2 Ein Beispiel aus der Wahrnehmungspsychologie Als typisches Beispiel soll die bekannte Ponzosche Täuschung dienen. Sieht ein Mensch räumlich zwei gleich lange Balken, die unterschiedlich weit von ihm entfernt sind, werden sie dennoch als gleich lang wahrgenommen. Auf einem Blatt Papier dagegen führt dieser Interpretationsmechanismus zur Täuschung: Der hintere Balken erscheint länger, wenn die Balken von zwei konvergierenden Linien umgeben sind, da die Zeichnung dann räumlich aufgefaßt wird (die Linien als Parallelen, zu denen der hintere Balken einen geringeren seitlichen Abstand hat). Aus diesem Beispiel wird ersichtlich, daß Fehler häufig nur in Bezugssystemen niederer Ordnung auftreten. Je enger der Kontext gefaßt ist, um so höher ist die Wahrscheinlichkeit, daß ein Fehler geschieht, da er sich in Übereinstimmung befindet mit Gesetzmäßigkeiten, die über den gesetzten Rahmen hinausgehen, innerhalb dessen aber fehl leitend sind. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 29 2.5 Der Fehler als Gefühlsäquivalent 2.5.1 Werden emotionale Anteile in der Fehlerforschung berücksichtigt? Die ganzheitspsychologische Sichtweise muß sich logischerweise auch mit der Frage befassen, welchen Einfluß der Gefühlskontext einer Situation auf die Fehlerentstehung und den Fehlerverlauf hat. Lewin betonte in den „Untersuchungen zur Handlungs - und Affektpsychologie“ noch ausdrücklich, daß Fühlen und Handeln miteinander verbunden sind, z.B. welche Rolle die Gefühle dabei spielen, ob Vorhaben tatsächlich in die Tat umgesetzt werden oder nicht. In der Fehlerforschung, so bemängeln Wehner und Stadler werden Emotionen gemäß kognitiver Tradition bis auf zwei Ausnahmen als Ursache und Einflußgröße ausgegrenzt. Diese sind der psychoanalytische Ansatz von Freud (alleiniger Motor menschlichen Verhaltens sind die beiden Triebe Eros und Tanathos) und die Untersuchung von déjà - vu und jamais - vu - Erlebnissen (ein Gefühl der Vertrautheit bzw. Nichtvertrautheit führt zur Falschinterpretation einer Situation). 2.5.2 Wie können Emotionen die Dynamik des Fehlerverlaufs beeinflussen? Daß der Gefühlskontext eine entscheidende Rolle spielt, die nicht vernachlässigt werden darf, kann durch Introspektion nach einer fehlerhaften Handlung gezeigt werden. Das Aufdecken der subjektiv - emotionalen Seite eines Fehlerszenarios durch die Introspektion läßt den Gefühlskontext erkennen, in dem die Handlung zusätzlich eingebettet war. Als Beispiel bringen die Autoren einen Sicherheitsbeamten, der eine Wochentags - und eine Wochenendsroute zu gehen hat. Als er an einem Mittwoch die Freitagsroute läuft und dadurch einen Störfall auslöst, bemerkt er dazu, daß er sich wie an einem Freitag gefühlt habe (schönes Wetter, bestimmte Vorhaben). Innerhalb des Handlungsrahmens war die Handlung falsch, sie kam deswegen zustande, weil sie von darüber hinausgehenden Bedingungen - den Regeln des Gefühlskontextes – beeinflußt wurde, hinsichtlich derer sie richtig ist. Der Gefühlskontext wirkt oft stärker als die Handlungsbedingungen der konkreten Situation, nach denen sich die Person üblicherweise orientiert, um richtig zu handeln. Als ein Beispiel, das wohl jeder kennt, führen die Autoren das peinliche Phänomen an, den momentanen Partner, den man sozusagen nur zwanzig Zentimeter vor der Nase hat, aus Versehen mit dem Namen des Verflossenen anzusprechen, und zwar ohne es zu bemerken, weil dieser Name aufgrund des Gefühlskontextes eben genauso „richtig“ in die Situation paßt. 2.5.3 Fehler aufgrund „schöpferischer Veränderungen“ bei Abramowski Nach seiner „Theorie des Unbewußten“ sind die Namen in dem Beispiel „gefühlsäquivalent“, das heißt von ihrer Gefühlsbedeutung her gleich und damit austausch - oder verwechselbar. Aufgrund von Untersuchungen zu Gedächtnisprozessen kam Abramowski zu der Annahme, daß der Mensch sein kognitives System dadurch entlastet, daß die Gegebenheiten nicht als solche im Gedächtnis gespeichert werden, sondern als Gefühlsäquivalente repräsentiert sind. Alles was vom Gefühlskontext aus betrachtet gleich (äquivalent) ist, „kommt in einen Topf“. Diese Vorgänge bezeichnet er als „schöpferische Veränderungen“, auch wenn es bei dieser gefühlsbestimten Reproduktion zu Fehlern und Irrtümern kommt. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 30 2.5.4 Das „Wesen“ als dritte Gestalteigenschaft bei Metzger Bei Metzger hat die Gestalt drei Eigenschaften, zwei davon sind objektivierbar („Gefüge“ und „Beschaffenheit“), die dritte, das „Wesen“, nicht. Obwohl das Wesen einer Gestalt sich erst über den subjektiven Eindruck, den es beim Erlebenden auslöst (die Gefühle), manifestiert, real wird, ist es dem „anschaulich Gegebenen“ zuzurechnen, es ist die „subjektive Seite der Qualität einer Gestalt“. Daß gerade die Wesenseigenschaft, die über Gefühle zu Tage tritt, stärkeren Einfluß ausübt als die anderen beiden, muß auch bei der Erforschung fehlerhafter Handlungen mit einbezogen werden. 2.6 Der Fehler als Folge von Problemanforderungen 2.6.1 Gibt es gute und schlechte Fehler? Nach den Erkenntnissen von Köhler, der Schimpansen mit verschiedenen Problemsituationen konfrontierte, ist eine solche Unterscheidung angebracht. Die Tiere machten bei ihren Problemlösehandlungen unterschiedliche Fehler, die der Forscher nach „gut“ und „schlecht“ kategorisiert. Welcher Fehler gemacht wird, hängt von den Anforderungen ab, die die Problemsituation an den Schimpansen stellt. Sogenannte „schlechte Fehler“ kommen dadurch zustande, daß die Handlung nicht an dem Problem rührt, z.B. beim ziellosen Herumhantieren, weil das Tier völlig überfordert ist oder blind eine vorher erfolgreiche Handlung in der neuen Situation anwendet. Diese Fehler sind sozusagen „Blindschüsse“. „Gute Fehler“ zeigen, daß sich das Tier kreativ mit dem Problem befaßt hat, und eine Strategie verfolgt. Treten sie auf, erkennt Köhler darin die Fähigkeit zur Einsicht beim Problemlösen. Wird das Ergebnis erzielt, ohne daß vorher solche Fehler gemacht worden, unterstellt Köhler einen Zufallstreffer. 2.6.2 Problemlösen durch Fehler nach Duncker Diese Resultate schließen an das an, was in den vorherigen Ausführungen von Wehner und Stadler zu der Möglichkeit gesagt wurde, aus Fehlern zu lernen. Der „gute Fehler“, der von dem Schimpansen gemacht wird, stellt faktisch eine fehlerhafte Handlung dar, das heißt, das Ziel wurde nicht erreicht. Jedoch wurde dadurch ein Teil der das Problem determinierenden Bedingungen entdeckt und bearbeitet. Der Fehler ist so gesehen eine Zwischenlösung; die fehlerhafte Handlung ist in irgendeiner für die endgültige Lösung des Problems relevanten Hinsicht richtig und sinnvoll. Nach Karl Duncker fußt auch menschliches Problemlösen auf diesem Prinzip. Das Begehen eines Guten Fehlers zeigt, daß „der allgemeine Funktionswert einer Aufgabe erkannt wurde und nur die spezielle, der Situation angemessene Vergegenständlichung des Denkens noch nicht erreicht wurde“. In diesem Sinne werden fehlerfreundliche Umwelten gefordert, in denen ein „learning by doing“ möglich ist, weil die Konsequenzen von Fehlern schmerzlos gehalten werden. 2.7 Fehler als Folge von Gestaltorganisation - Kurt Koffka: Fehleransatz als effektive Methode zur Erforschung von Organisationsprinzipien des Denkens Koffka hatte also die Idee, die Gesetze der kognitiven Organisation zu benutzen, um Fehler zu produzieren. Zitat: „Man sollte Bedingungen kreieren, aus deren Dynamik die richtige Lösung nicht die einzig mögliche ist, sondern unter denen falsche Lösungen durch die Verteilung der involvierten Kräfte bevorzugt werden.“ Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 31 (Beispiel v. Harrower) Problem: „Unter einer Brücke hervor schwimmen 2 Enten vor 2 Enten, 2 Enten hinter 2 Enten und 2 Enten in der Mitte. Wie viele Enten sind es insgesamt?“ Meistens lautet die Antwort „6“ d.h. 3 Paare die hintereinander schwimmen Die richtige Lösung müßte lauten „4“ d.h. 4 Enten die in einer Reihe schwimmen scheinbar wird durch die Formulierung der Aufgabe eine paarweise Anordnung der Enten induziert, d.h. daß (nach Duncker) „das Denken durch implizite Selbstinstruktionen festgelegt wird“. Die falsche Sechserlösung besitzt einen Vorteil gegenüber der Viererlösung und zwar die Vereinfachung, daß die Zuordnung der Enten zu den Zweierpaaren konstant bleibt. Bei der Viererlösung muß stets eine gedankliche Neukonstellation der Paare stattfinden. Sechserlösung (falsch) : Viererlösung (richtig) : E E E E E E E E E E Funktionale Fixiertheit, implizite Selbstinstruktionen o. Dominanz bestimmter Gestaltorganisationsfaktoren verhindern oftmals eine spontan richtige Lösung. ein weiteres Beispiel: "Neunpunktaufgabe“ (9 Punkte sind gegeben, die zu einem Quadrat angeordnet sind. Diese 9 Punkte sollen durch vier gerade, in einem Zug gezeichnete Linien verbunden werden.) ERGEBNIS: Die quadratische Grundstruktur der 9 Punkte erweist sich als so starres Bezugssystem, daß nur dieser Bereich von den Vp`s als potentieller Lösungsraum angesehen wird und der Raum außerhalb der 9 Punkte völlig unberücksichtigt bleibt Es zeigen sich hier: a) die implizite Selbstinstruktion: „Bleibe innerhalb des durch die 9 Punkte aufgespannten Quadrats“ b) der Gestaltorganisationsfaktor: „Geschlossenheit“ Witte bezeichnet dies als „ Behinderung des Denkens durch die Anschauung“ Wichtig für das Denken sind die Barrierenfreiheit und die Fehlerfreundlichkeit der Ausgangsbedingungen!“ Sind diese gegeben, dann können die schrittweisen gedanklichen Veränderungen ablaufen, die notwendig sind um letztendlich die richtige Lösung zu erreichen. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 32 ! Aber nicht nur im Denken, sondern auch im Handeln spielen Gestaltorganisationsfaktoren, meist im Sinne systematischer Verzerrungen, eine Rolle. Der Begriff „systematische Verzerrungen“ stammt aus dem Forschungsbereich zu „kognitiven Landkarten“. z. B. entstehen häufig Fehler, wenn die physische Distanz zwischen Objekten eingeschätzt werden soll, und diese mit der kognitiven Distanz nicht übereinstimmt. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 33 Beispiel: Ausgangspunkt ist der regelmäßige Besuch eines Freundes (B) ausgehend von der eigenen Wohnung (A). Da er das Fahrrad benutzt, will er die kürzeste Wegstrecke wählen. Die Mehrheit der befragter Personen würde den Weg I wählen. Erst später wurde entdeckt, daß Weg II, der aus 2 ziemlich geradlinigen Teilstücken besteht, die von einer spitzwinkligen Abbiegung unterbrochen sind erheblich kürzer ist. (Weg I= 3,9 km; Weg II= 3,2 km) Als Erklärung hierfür nimmt man die kognitive Repräsentation der beiden Wege an. Aufgrund des Prinzips der Gestaltverzerrung ergibt sich die kognitive Repräsentation wie in Abb. 1 (Die Teilstücke des Weg I werden kognitiv länger repräsentiert als sie es real sind, so daß der gesamte Weg I dann tatsächlich länger erscheint.) Im allgemeinen ist die Regel auch richtig, daß ein Weg durch eine spitzwinklige Abbiegung verlängert wird, d.h. daß diese Gestalttendenzen in der Mehrzahl der Fälle zur richtigen Streckeneinschätzung führen. Aber erst das Beispiel mit der Fehleinschätzung hat uns diese Gestalttendenzen aufgedeckt und läßt uns die spezifische Struktur kognitiver Repräsentationen erkennen. 2.8 Fehler als Folge von Feldkräften Interpretation von Handlungsfehlern im sozialen Raum nach Gesichtspunkten der Feldtheorie (Lewin `51) : Lebensraum des Menschen = Dynamisches Kraftfeld Motivation und Lokomotion der Person wird durch Kräfte gesteuert andere Personen und Gegenstände in diesem psychologischen Feld gewinnen in der Anschauung der Person positive oder negative Aufforderungscharaktere, d.h. sie bilden Attraktoren für das Handeln Das psychologische Feld ist nicht direkt sichtbar (wie ein Magnetfeld), sondern muß aus der Verteilung und der Dynamik der in ihm befindlichen Objekte erschlossen werden. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 34 Beispiel: Fotografie einer Börse von oben: Die Personen (hier: Broker) mit ähnlichen Handlungsplänen und Motiven sind feldförmig über den Raum verteilt. Die Verkaufsstände wirken wie Attraktoren (Pole), zwischen denen das Kraftfeld aufgespannt wird. Beispiel: Untersuchungen der Wahrnehmungspsychologie haben ergeben, daß schon ein einfaches weißes DIN A4 - Blatt eine nicht sichtbare Feldstruktur besitzt. Diese kann mit folgendem Experiment sichtbar gemacht werden: Vp`s erhalten als Reizvorlage (für eine Sekunde) ein DIN A4 - Blatt mit einem darauf angeordneten Punkt. Dieser wurde zufällig aus einer Menge von 29x21 Punkten, mit denen das Blatt systematisch im horizontalen u. vertikalen Abstand von 1 cm ausgefüllt worden war, ausgewählt. Diesen Punkt soll die Vp dann nach Wegnahme des Reizes auf ein leeres Blatt in gleicher Position reproduzieren. Die Strecke zwischen der tatsächlichen Reizposition und der Reproduktionsposition ergibt Vektoren, aus denen Potentialgradienten berechnet werden können. Diese kann man wie in Abb. 3 als Berg - u. Tallandschaften veranschaulichen. Das Auftreten von Handlungsfehlern in solchen Kraftfeldern liegt besonders im Bereich hoher Gradientendichte, also in der Nähe von Attraktoren. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 35 Beispiel: Diese Dynamik wird klarer, wenn man sie an folgender Alltagsbeobachtung verdeutlicht: „Eine Person fährt regelmäßig mit dem Auto von A nach C um den Wocheneinkauf an Lebensmitteln zu tätigen. Dazu packt sie zuerst leere Flaschen und Altpapier in den Kofferraum, um den Abfall bei den entsprechenden Containern an Punkt B abzuladen und dies natürlich vor dem Großeinkauf, damit der Kofferraum wieder frei ist. Nach einiger Zeit wurden die Glas - und Papiercontainer von Punkt B an den Punkt B` ganz in der Nähe von C verlegt. Von nun an vergißt die Person regelmäßig den Abfall vor dem Lebensmitteleinkauf zu entsorgen und stellt dieses Vergessen auch erst nach dem Einkauf, also beim Beladen des Autos fest. Frage: Was ist hier geschehen? Die 3 Orte: - Wohnung A - Containerplatz B - Einkaufszentrum C bilden zunächst eine Dreiecksstruktur, in welcher B ein eigenständiges Unterziel der Gesamthandlung A B C A (WohnungContainerplatzEinkaufszentrumWohnung) darstellt. Nach der Verlegung von B nach B` verändert sich die räumliche Struktur und die Entsorgungscontainer geraten in den Sog von C. Dies bedeutet also: Da sich das Unterziel B` jetzt unmittelbar in der Umgebung des Hauptziels C befindet, werden die attrahierenden Feldkräfte so stark, daß B` nicht länger als eigenständiges Unterziel handlungswirksam sein kann. In diesem Beispiel wird deutlich, daß sich der Handlungsfehler, also das Auslassen von B`, nicht allein aus den räumlichen Bedingungen der Person und der Entsorgungscontainer erklären läßt, sondern daß nur die Dynamik des Gesamtfeldes eine plausible Erklärung gibt! Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 36 2.9 Fehler als Folge von Stabilitätstendenzen Früher vertretene Ansicht: „Das Ziel kognitiver Systeme ist die möglichst getreue Abbildung der Umwelt.“ Heute: „Die wichtigste Funktion kognitiver Systeme ist das Brechen von Instabilitäten, um dadurch eine konsistente Interpretation der Umwelt zu erzeugen.“ Grundbedingung solcher konsistenten Interpretationen wäre: Die kognitiven Prozesse u. somit auch die Vorgänge des Nervensystems bevorzugen geordnete Strukturen vor chaotischen. ZUSATZ: Köhler (1920) hat in seiner psychophysischen Feldtheorie bereits solche Ordnungstendenzen postuliert. Produktive Denkprozesse, neue Einsichten, kreative Handlungsalternativen können jedoch nicht als finale Gleichgewichtszustände (Homöostase) bezeichnet werden, sondern nur als lokale Stabilitäten. In der klassischen Gestaltpsychologie wurde die Prägnanztendenz als ein solcher genereller Mechanismus zur Ordnungsbildung angesehen. Neuere Forschung: Das Kognitive System zeigt nicht eine Tendenz zur Geordnetheit, sondern es gibt eine Tendenz zur Stabilität, wenn eine gewisse Ordnung erkannt wurde. Ein Kennzeichen solcher Stabilitätstendenzen: Hysterese (Def.) :Der Sprung von einem Ordnungszustand in den nächsten erfolgt bei kontinuierlicher Variation des Kontrollparameters verzögert. Dies bedeutet, daß angewandte Handlungsstrukturen beibehalten werden, auch wenn diese unter den bestehenden Bedingungen längst durch ökonomischere, passendere, einfachere Handlungen ersetzt werden könnten. Man kann sagen, daß einmal erfolgreiche Handlungen auch unter sich verändernden Bedingungen solange aufrechterhalten werden, bis dieses Handlungsschema zum Fehler führt. Der Fehler zeigt dann den Punkt an, an dem die gewohnte Handlungsstruktur aufgegeben und eine der Situation und den Anforderungen angemessenere gesucht werden muß. Belege für diese These aus der Gestaltpsychologie: Schwarz (1927) : Analyse von Gewöhnungs - und Umgewöhnungsprozessen Ergebnis: Eine Umgewöhnung erfolgt bei Veränderung der äußeren Bedingungen erst, wenn Handlungsfehler begangen worden sind. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler b) Luchins (1942) : Seite 37 Umfüllaufgaben z.B.“ Wie kann ich mittels dreier Gefäße, die (A) 21, (B) 127 u. (C) 3 Liter Flüssigkeit fassen eine Menge von 100 Litern abmessen?“ Lösung: 1. Gefäß (B) füllen; 2. Mit dieser Menge 1x das 21 Litergefäß (A) füllen; 3. und 2x das 3 Litergefäß (C) füllen; 100 Liter in Gefäß B Lösungsschema: B - A - 2C Für die Aufgaben 1 - 5: 1mög. L.schema: B - A - 2C Für die Aufgaben 6 - 7: 2mög. L.schemata: B - A - 2Cvon Mehrheit gewählt A-C Für die Aufgabe 8: 1mög. L.schema: A - C 70% der Vp`s entdecken erst hier dieses einfachere Lösungsschema Für die Aufgaben 9 - 10: 2mög. L.schemata: B - A - 2C A - CVon Mehrheit nun beibehalten Die Einstellungsbildung beim Bearbeiten der Aufgaben 1 und 5 führt also dazu, daß 70% der Versuchspersonen den Lösungsalgorithmus verallgemeinern und solange anwenden, bis er zum Fehler führt. ZUSATZ: Erhalten Personen aber nur die kritischen Aufgaben 6 und 7 sowie die Prüfaufgabe 8, dann wählen sie nicht den umständlicheren Lösungsweg und scheitern auch nicht an der Prüfaufgabe. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 38 Schlußfolgerung: Die Instabilität, die die Aufgaben 6 und 7 durch ihre 2 mög. Lösungswege enthalten, wird durch die Fehler hervorrufende Aufgabe 8 gebrochen und dadurch die Umstrukturierung zu einem neuen Ordnungszustand, hier zu einer neuen Lösungsstrategie initiiert. Hypothese: Fehler ermöglichen Umstrukturierungen und damit eine Erweiterung des Problemlöseraums. 2.10 Der Fehler und die Unfallforschung These:“ Fehlverhaltensweisen als Ursache von Unfällen“ Korrelative Befunde: - Zwischen den Bedingungsprofilen, die zu Unfällen bzw. Beinahe - Unfällen führten, konnte nur eine Korrelation unter .75 festgestellt werden, d.h. daß nur max. 30 - 50% der gemeinsamen Varianz durch die Vergleiche aufgeklärt werden konnte. - Bei anderen Vergleichen erhielt man als Ergebnis sogar statistische Unabhängigkeit. Als Unfallursachen finden sich unterschiedliche, nicht homogene Ereignisse, d.h. eine generelle Etikettierung als „menschliches Versagen“ ist nicht angebracht. Weitere Befunde: - 3/4 aller Arbeitsunfälle ereignen sich nicht im Leistungstief; Arbeitsunfälle korrelieren also positiv mit der physiologischen Wachkurve. - Es besteht statistische Unabhängigkeit zwischen motorischen, kognitiven Fähigkeiten und einer Unfallbeteiligung. 2.10.1 Zwei empirische Untersuchungen zum Problembereich des unfallauslösenden Fehlverhaltens Schenk Schmidt `72: Ursachenanalyse von 146 Straßenbahnunfällen Ergebnis: - Unkenntnis (2%) - Fertigkeitsdefizite (6%) - Überforderung (7%) Hauptursachen: - Ungenügende Situationserfassung (48%) - Bildung inadäquater Hypothesen (28%) Cross Fisher `77: Ursachenanalyse von 900 Zweiradunfällen Ergebnis: Seltenere Ursachen: - Erhöhtes Risikoverhalten - Fehlentscheidungen Hauptursache: Fehleinschätzungen Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Schlußfolgerung: Fehler, die zu Unfällen führen, entstehen durch mangelndes Abwägen zwischen Handlungsalternativen, d.h. es fehlt ein differenziertes Entscheidungsverhalten. stattdessen wird angenommen, daß mit dem wahrgenommenen Informationsausschnitt das Handlungsziel erreicht werden kann Erst das nicht–beabsichtigte Handlungsresultat zeigt an, daß hier andere Handlungsalternativen nötig sind. 2.10.2 Ergebnisse weiterer Untersuchungen - Positive Korrelation zwischen der Ausführungsschwierigkeit des entspr. Arbeitsschrittes und dem Fehlhandlungsindikator (Hinweis auf einen tätigkeitsspezifischen, arbeitsimmaneneten Zusammenhang) - Studie zu der Frage nach Unterschieden bei der Handlungsausführung zwischen verunfallten und nicht - verunfallten Facharbeitern ERGEBNIS: - Unterschiede in der Strukturierungsfähigkeit von Fehlerszenarien in dem jeweiligen Arbeitsbereich d.h. Nichtverunfallte haben ein wesentl. differenziertes Wissen über Fehlhandlungsbedingungen als Verunfallte Dieses Wissen, die größere Reflexionsfähigkeit führt zu einer strukturierteren Darstellung ihrer Arbeitsaufgabe (Verunfallte stellen die Arbeitsaufgabe dagegen nur partikularistisch dar.) - !Verunfallte haben ein strukturierteres Wissen von kritischen Ereignissen, aber nicht gleichzeitig eine größere Einblickstiefe in die Arbeitsaufgabe! Schlußfolgerung: Wissen um Fehlhandlungsbedingungen erhöht Einblickstiefe + Transparenz des Arbeitsauftrages Qualitätsverbesserung der Aufgabenerfüllung (u.a. auch bessere Unfallverhütung) 2.11 Literatur „Gestaltpsychologische Beiträge zur Struktur fehlerhafter Handlungsabläufe“ Autoren: Wehner, Theo; Stadler, Michael In: Motivation, Volition und Handlung Verfasser: Kuhl, Julius; Heckhausen, Heinz Verlag: Hogrefe, Göttingen Seite 39 Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 40 3 Arbeitshandlung und Arbeitstätigkeit als Gegenstände der Psychologie 3.1 Arbeitstätigkeit als psychologischer Untersuchungsgegenstand Die für die Entwicklung des Menschen maßgebende Tätigkeit ist Arbeit. Weitere Grundformen menschlicher Tätigkeit (meiner Meinung nach nicht weniger wichtig) sind Spiel und Lernen. Die erste Frage als Zugang zu diesem Thema ist die nach Unterschieden bzw. Gemeinsamkeiten dieser menschlichen Tätigkeiten. Es ist also zu klären was diese Tätigkeiten eigentlich voneinander unterscheidet, wie sie sich trennen lassen sie bzw. welche Gemeinsamkeiten sie haben? 3.1.1 Spiel Historische Untersuchungen frühkindlicher Spiele zeigen ihren Bezug auf wichtige (unabhängig von Zeit und Gesellschaftsform) Arbeitstätigkeiten. So werden im kindlichen Rollenspiel oft Rollen übernommen die der Berufswelt der Erwachsenen entstammen (z.B. Ärztespiele oder Spiele mit heute so typischen Berufsfeldern wie Lokomotivführer). Aus den Inhalten dieser Spiele erkennt man das sich das kindliche Spiel mit der Berufswelt der Erwachsenen weiterentwickelt. Wir können also feststellen das Inhalt und Form des Spiels von Arbeit abhängig und auf sie bezogen ist. 3.1.2 Lernen Die sogenannte industrielle Revolution in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ging ziemlich gleichzeitig mit mehreren Phänomenen einher. Ein Phänomen war die Dampfmaschine und der damit verbundenen Entwertung menschlicher Arbeitskraft. Ein anderes Phänomen war die Spinnmaschine und der Damit verbundenen Entwertung menschlicher handwerklicher Fähigkeiten und Fertigkeiten. Sehr viele Menschen mußten sich also völlig neu orientieren. Auf der anderen Seite stand eine neue sich entwickelnde Industrie die einen neuen Typus Arbeiter brauchte. Einen Arbeiter der in der Lage war diese neuen, komplizierten Produktionsprozesse und Maschinen zu verstehen bzw. zu bedienen. Unmittelbare Auswirkung dieser geänderten Anforderungen war die Einführung der allgemeinen Schulpflicht. Lerninhalte sind also auf Arbeit bezogen und entwickeln sich mit diesen weiter. Welche Merkmale aber hat Arbeit, die geeignet sind, diese von den beiden anderen Tätigkeiten zu trennen? Arbeit ist immer eine Zielgerichtete, volitive Tätigkeit. Sie ist gerichtet auf die Verwirklichung eines Ziels als vorweggenommenes Resultat. Dieses Ziel muß vor dem Handeln ideell gegeben sein. Arbeitstätigkeiten werden willensmäßig auf das bewußte Ziel hin reguliert. Arbeitstätigkeiten sind immer gesellschaftlich bestimmt. Leider läßt sich durch diese wesentlichen Merkmale von Arbeit noch keine gute Trennung von den anderen Tätigkeiten –Spiel und Lernen vornehmen, denn auch für diese gelten die meisten Merkmale uneingeschränkt. Hauptbedeutung für die Unterscheidung von Arbeit zu den anderen Tätigkeiten hat der Sachverhalt das durch Arbeit ein für andere nützliches Resultat erzielt wird. Ein zweites wesentliches Unterscheidungsmerkmal ist, das bei Arbeit (bedingt durch die gesellschaftliche Arbeitsteilung) keine unmittelbare Bedürfnisbefriedigung erfolgt, diese wird erst durch Lohn vermittelt. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 41 Arbeit besitzt noch weitere Eigenheiten die die vorgenannten Eigenschaften weiter spezifizieren und somit eine bessere Trennung ermöglichen. 1. Eigenart der Motivierung, Zielgerichtetheit - das Ziel der Arbeitstätigkeit liegt nicht in ihr selbst sondern im zu erzielenden Resultat - durch die Arbeitsteilung bezieht sich das individuelle Motiv nicht nur auf das Resultat allein, sondern vor allem auf die gesellschaftliche Bewertung desselben - in der Arbeitstätigkeit bestehen nicht nur Beziehungen zum Resultat, sondern notwendigerweise auch zu anderen Menschen 2. Eigenart des willensmäßigen Einsatzes - nicht die Tätigkeit selbst oder ihr Resultat bieten eine Bedürfnisbefriedigung, diese erfolgt erst über den Lohn – somit ist ein bewußter willentlicher Einsatz unumgänglich 3. Eigenart kognitiver Anforderungen - die Antizipation des Ziel als Resultat erfordert besondere kognitive Leistungen. Die Besonderheit ergibt sich aus dem tätigkeitsregulierendem Charakter der gedanklichen Abbilder - Sinn und Erfolg eines jeden Tätigkeitsabschnittes sind nur unter Bezug auf das feststehende Endergebnis beurteilbar - Jede Aufgabe erfordert darüber hinaus das Einhalten bestimmter Bedingungen z.B. Zeitvorgaben, Materialverbrauchsnormen usw. Arbeit ist also stets zugleich körperliche und geistige Tätigkeit. 3.2 Gegenstand der Arbeitspsychologie Gegenstand der Arbeitspsychologie ist die psychische Regulation von Arbeitstätigkeiten von organisatorischen Einheiten, von Arbeitsgruppen und von individuellen Persönlichkeiten. Es existieren also wenigstens 3 verschieden Analyseebenen. Diese sind voneinander abhängig, erfordern jedoch ein unterschiedliches Herangehen an ihre Analyse, Bewertung und Gestaltung. Zwischen den Ebenen bestehen Wechselwirkungen. Übergeordnete dominieren untergeordnete im Sinne von Angeboten als auch von Einschränkungen. - Verhalten in Arbeitsgruppen kann in Abhängigkeit der sie bestimmenden Strukturen (Betrieb, Betriebsteil), Verhalten von Individuen in Abhängigkeit von Inhalten und Strukturen von Arbeitsgruppen untersucht werden - Reduktion auf individuelles Arbeitsverhalten ist zwar möglich; erklärbar und beeinflußbar wird es jedoch erst beim Einbeziehen der umfassenderen Strukturen - Arbeitsorganisatorische Gestaltungsmaßnahmen sind nur dann effektiv, wenn sie bei der Gesamtaufgabe der org. Einheit beginnen und von da aus nach unten (Gruppen, Personen) fortschreiten. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 42 3.3 Zur Psychologie von Tätigkeit und Handlung Begriff der Tätigkeit: Tätigkeiten sind Vorgänge, mit denen Menschen ihre Beziehungen zu Aufgaben und ihren Gegenständen, zueinander und zu Umwelt verwirklichen. Die Arbeitspsychologie beschäftigt sich mit konkreten Tätigkeiten mit konkreten gegenstandsbezogenen Aufgaben. Unterschiede zwischen den Tätigkeiten ergeben sich aus ihren unterschiedlichen Aufträgen. Zentrale Kategorie einer psychologischen Tätigkeitsbetrachtung ist der jeweilige Auftrag. Dieser Auftrag kann als eine vierstellige Relation gesehen werden – an welchem Gegenstand – welche Veränderungen – unter welchen Bedingungen – von welcher Person vorgenommen werden sollen. Die Übernahme von Aufträgen beinhaltet mehrere psychologische Aspekte. Dabei handelt es sich um - das Ausmaß des Begreifens der enthaltenen und abzuleitenden Forderungen - eine subjektive Bewertung der Forderungen in Beziehung zu den Leistungsmöglichkeiten - eine subjektive Bewertung der Forderungen in Beziehung zum erwarteten Aufwand und Nutzen - das aus der Bewertung resultierende Ausmaß an Bereitschaft zur Übernahme des Auftrags - das verfügbare Können zur Verwirklichung Für Arbeitstätigkeiten lassen sich also folgende Merkmale präzisieren - Arbeitstätigkeiten beziehen sich auf arbeitsteilig gegen Lohn erzeugte Ergebnisse - Die zielgerichteten und antizipierten Veränderungen am Gegenstand müssen die Gegebenheiten des Gegenstandes selbst, der Organisationsform und der nutzbaren Verfahren und Mittel berücksichtigen - Die gegenständliche Veränderung ist stets durch Leistungsvoraussetzungen, durch Qualifikation und durch Bedürfnisse des arbeitenden Menschen mitbestimmt - Rückwirkungen aus der Arbeitstätigkeit verändern den arbeitenden Menschen (z.B. seine Qualifikation) - Arbeitstätigkeiten sind in jedem Falle gesellschaftliche Vorgänge Auf keines dieser Merkmale kann bei der Analyse, Bewertung oder Gestaltung von Arbeitstätigkeiten verzichtet werden. Tut man dies doch führt dies unweigerlich zu einer Verzerrung der Wirklichkeit und damit verbunden zu Fehlern bei Analyse, Bewertung oder Gestaltung. Beispielhaft sei hier die strukturalistische Reduktion genannt, die formale, allgemeine Aufbaugesetzmäßigkeiten von Tätigkeiten überbewertet und die jeweiligen konkreten Aufgaben vernachlässigt. Derzeitig verfügbare Vorgehensweisen und Methoden der Arbeitspsychologie ermöglichen vorzugsweise Aussagen auf der Handlungsebene. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 43 3.4 Hierarchischer Aufbau der Tätigkeit Der hier dargestellte hierarchische Aufbau bezieht sich nur auf Tätigkeiten, die willentlich gesteuert werden, wie z.B. die Arbeitstätigkeiten. Den Ausgangspunkt für alle psychischen Aspekte der Tätigkeit stellt die Aufgabe dar, die durch die Übernahme eines Auftrags entstanden ist. Diese Aufgabe führt direkt zu einem Oberziel bzw. einem Motiv, das die sich aus der Übernahme des Auftrags ergebenden Tätigkeiten initiiert. Die einzelnen Tätigkeiten lassen sich ihrerseits wieder in verschiedene Handlungen bzw. Handlungsketten unterteilen, die durch ein eigenes Ziel angetrieben werden. Dieses Ziel bezieht sich zwar inhaltlich auf das Oberziel, stellt aber dennoch eine selbständige willentliche Einheit dar. Aber auch die Handlungen können sich wiederum aus verschiedenen Teilhandlungen zusammensetzen, die von Teilzielen abhängen, die aber keine eigenständigen Einheiten mehr darstellen und durch das übergeordnete Ziel bedingt sind. Teilhandlungen lassen sich noch in verschiedene Bewegungen unterteilen, die sich aus den Aktionen bestimmter Muskeln zusammensetzen. 3.4.1 Der Begriff Handlung in der Arbeitspsychologie Der Handlungsbegriff ist der wichtigste Begriff einer Psychologie der Tätigkeit und bildet die kleinste eigenständige psychologische Einheit der willensmäßig gesteuerten Tätigkeit. Die einzelnen Handlungen einer Tätigkeit lassen sich durch ihre unterschiedlichen bewußten Ziele voneinander abgrenzen. Diese Ziele stellen eine Vorwegnahme des Ergebnisses der Handlung dar. Nur wegen ihres bewußten Ziels sind Handlungen selbständige, abgrenzbare Einheiten der Tätigkeiten. Zwischen den Begriffen Ziel und Handlung gibt es eine ähnliche Wechselbeziehung wie zwischen dem Begriffspaar Oberziel und Tätigkeit. Zielgerichtete Handlungen entstanden zu der Zeit, als der Mensch zum Leben in der Gesellschaft übergegangen war. Damit gewannen auch solche Tätigkeiten an Bedeutung, die von mehreren Menschen durchgeführt werden mußten, um das gemeinsame Ziel erreichen zu können. Vom Einzelnen wurden nur Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 44 noch Teilergebnisse produziert, was aber an sich nicht mehr dessen Bedürfnisse befriedigte. Nur durch den Anteil am Produkt ihrer gemeinsamen Tätigkeit erfolgt die Befriedigung ihrer Bedürfnisse. Um aber ein Teilergebnis produzieren zu können, muß der Einzelne aber irgend einen Bezug zu diesem haben. Dies erfolgt durch das bewußte Ziel, welches eine gedankliche Vorwegnahme des fertigen Produkts darstellt. Aus der großen Bedeutung des Ziels für arbeitsteilige Tätigkeiten und dessen Beziehung zum Handlungsbegriff wird ersichtlich, daß die menschliche Tätigkeit nur in Form einer Handlung oder einer Handlungskette existiert. Tätigkeiten sind jedoch mehr als nur eine Addition von Handlungen, denn ein und dieselbe Handlung kann verschiedene Tätigkeiten verwirklichen. 3.4.2 Teilhandlungen oder Operationen Teilhandlungen basieren auf vollständig unselbständigen, von der Handlung abhängigen Bewegungen. Sie sind nur unselbständige Bestandteile der Tätigkeit, da ihre Resultate nicht als Ziele bewußt werden. Allerdings stellen Teilhandlungen nicht nur Mechanismen wie die Bewegungen dar, da sie durch unselbständige Teilziele reguliert werden können. In Abhängigkeit von den unterschiedlichen Ausführungsbedingungen können gleiche Ziele jedoch mit Hilfe verschiedener Teilziele erreicht werden. 3.4.3 Bewegungen Im Gegensatz zu den Handlungen sind Bewegungen nicht notwendigerweise psychische Akte, da sie nicht bewußt und zielgerichtet sind, d.h. sie folgen keinem Motiv und erfüllen keine Aufgaben. Um Handlungen von den Bewegungen abzugrenzen bedient man sich der Komponenten, die eine Handlung ausmachen: 1. Antriebsregulation 2. Kognitive Prozesse 3. Motorische Ausführung Bewegungen erfüllen so wie auch Handlungen den Punkt der motorischen Ausführung. Auch der Punkt kognitive Prozesse wird erfüllt, wenn man diesen in seiner einfachsten Form, einer sensumotorischen Einheit betrachtet. Allerdings sind die Bewegungsafferenzen im Unterschied zu den psychischen Kontrollprozessen komplexer Handlungen nicht bewußtseinspflichtig, sondern höchstens bewußtseinsfähig. Die Abgrenzung von Handlung und Bewegung ist also schwerpunktmäßig an die Antriebsregulation gebunden. Aus der Kennzeichnung von Bewegung, Teilhandlung, Handlung und Tätigkeit wird ersichtlich, daß es wegen der hierarchischen und psychisch bedingten Struktur der Tätigkeit nicht möglich ist, diese allein aus der Summe von Bewegungen aufzubauen. Selbst die Zerlegung der Tätigkeit in standardisierte Elementarbewegungen führt zu keinem befriedigendem Ergebnis. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 45 3.5 Antriebsformen von Tätigkeiten Arbeitstätigkeiten sind die typischste Form zielgerichteter Tätigkeiten. Dennoch sind nicht alle Vorgänge in Arbeitstätigkeiten zielgerichtet, wobei aber die fehlende Zielgerichtetheit nicht gleichbedeutend mit Spontaneität ist. Man unterscheidet drei Hauptgruppen von nicht, nicht mehr bzw. nicht beim Ausführen zielgerichteter Tätigkeiten: 1. Antriebsunmittelbare Tätigkeiten 2. Antriebsmittelbare, aber automatisierte Bestandteile von Tätigkeiten 3. Antriebsmittelbare Tätigkeiten Die antriebsunmittelbaren Tätigkeiten sind reflektorisch, instinktiv, impulsiv und affektiv. Sie interessieren im Arbeitsprozeß wenig. Die antriebsmittelbaren Tätigkeiten sind willentlich zielgerichtete Tätigkeiten, wie z.B. die Arbeitstätigkeit. Gegenüberstellung von antriebsunmittelbaren und antriebsmittelbaren Tätigkeiten: Antriebsunmittelbar Antriebsmittelbar keine oder vage Zielbildung Antizipation des Ziel sofortiges Probieren Vorgeschaltete Orientierung interne Probephase zur Programmerstellung vor Realisation eingeschränktes Nutzen früher realisierter Programme Nutzen externer Info und frühere Programme Fehlen von zielbezogener Auswahl von Schritten Zielbezogene Auswahl und Abfolgeordnung mit Zurückstellen Keine Ordnung der Schritte zur Zielannäherung Erinnern Weiterführen früherer Schritte zielbezogene Tätigkeitsphasen u. Zielannäherung Gleichwertigkeit der Schritte Hierarchische Ordnung keine Korrekturen Resultat - Ziel Vergleich keine Strategieentwicklung nach Optimalitätskriterien Optimalitätsbewertungen von Vorgehensweisen Aber auch die antriebsmittelbaren Tätigkeiten lassen sich auf zwei Arten unterscheiden: zielgerichtet vs. motivbezogen automatisiert vs. nicht automatisiert zielgerichtet Automatisiert Nicht automatisiert Zielgerichtete Arbeitshandlung Automatisierte Arbeitshandlung als Tätigkeitsbestandteil motivbezogen Motivbezogene Arbeitstätigkeit Automatisierte, vollzugsbetonte, motivbezogene Freizeittätigkeit Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 46 3.6 Psychische Anforderungen einer Arbeitstätigkeit In vielen praktischen Zusammenhängen ist nach den Anforderungen einer Arbeitstätigkeit an den Menschen gefragt. Quantitative Zusammenstellungen von Anforderungen für Arbeitstätigkeiten und Beruf sind als Grundlagen der Feststellung von Ausbildungsmaßnahmen, der Eignungsfeststellung, der Feststellung von Ermüdungsquellen und Arbeitsgestaltungsmaßnahmen unerläßlich. Die Anforderungen einer Tätigkeit an den Arbeitenden ergeben sich aus dem Arbeitsauftrag und den Arbeitsbedingungen. Die Arbeitsbedingungen setzen sich aus den Arbeitsmitteln, dem Arbeitsgegenstand, den Verfahrensvorschriften und den räumlich - zeitlichen Bedingungen zusammen. Zusammenfassend könnte man sagen, daß man unter Anforderung einer Tätigkeit an den Menschen die Gesamtheit der für das Ausführen benötigten körperlichen und geistigen Leistungsvoraussetzungen versteht. Da sich aber verschiedene Menschen in ihren individuellen Leistungsvoraussetzungen unterscheiden, fällt ihnen das Erfüllen gleicher Anforderungen unterschiedlich schwer. Aus dem Bezug von Anforderungen auf die individuellen Leistungsvoraussetzungen ergibt sich der Schwierigkeitsgrad einer Tätigkeit, sowie die Beanspruchung, die das Ausmaß der Inanspruchnahme der individuellen Leistungsvoraussetzungen durch die Tätigkeit bezeichnet. Diese Beanspruchung kann unter verschiedenen Gesichtspunkten gekennzeichnet werden: 1. Anteil der beanspruchten bewußten Verarbeitungskapazität 2. Anstrengungsgrad 3. Art und Umfang der beanspruchten Leistungsvoraussetzungen Insgesamt kann die Beanspruchung als Ausdruck der individuell realisierten Anforderungen aufgefaßt werden. Die Darstellung der realisierten Anforderungen ist bei der Betrachtung der vorhandenen Qualifikation, der Vorgehensweise oder der Auswirkungen von Tätigkeiten auf bestimmte Menschen erforderlich (Erleben; Person - Umwelt - Verhältnis), während die objektive Anforderungsdarstellung für den Vergleich zwischen verschiedenen Tätigkeiten benötigt wird. Anforderungen können auf unterschiedliche Art und Weise angegeben werden: 1. Auszuführende Solltätigkeiten mit ihren regulierenden psychischen und ausführenden Teilverrichtungen 2. Psychische Leistungsvoraussetzungen: a) In Prozeßbegriffen als erforderliche kognitive Operationen b) Erforderliche Fähigkeiten Die zu wählende Abstraktionsebene ist vom psychologischen Anliegen abhängig. 3.7 Zur Problematik einer „Psychologie der Tätigkeit“ Eine der wichtigsten Aufgaben der Psychologie dieses Jahrhunderts bestand in der Überwindung einer „passiv - kontemplativen Bewußtseinspsychologie“, die ihr Augenmerk nicht auf das konkrete Handeln lenkte. Psychologie verstand sich als Wissenschaft von den Erlebens - oder Bewußtseinszuständen. Erfaßt wurden diese durch Introspektion, was dahin führte, daß die Daten auf die man sich stützte reine Erlebnisdaten waren, welche natürlich der erlebenden Person selbst am zugänglichsten waren. Die Folge war, daß Tätigkeit und Handlung keinen angemessenen Platz in der Forschung fanden. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 47 Diese Auffassung hatte auch Auswirkungen auf die Arbeitspsychologie, denn es fand nur eine zögernde Hinwendung zur Analyse von psychischen Erscheinungen statt, die den Arbeitsprozeß regulieren. Psychische Aspekte sind jedoch notwendiger Gegenstand der Psychologie und man muß Bewegung, Handlung und Taten in den Untersuchungsgegenstand einbeziehen ohne sie zu psychischen Gebilden zu machen. Grundkonzeption ist, daß jede psychische Erscheinung zum einen der Orientierung über die Wirklichkeit dient und zum anderen der Regulation der Tätigkeit. In dieser Regulationsfunktion für die Tätigkeit besteht die objektive Bedeutung des Psychischen. Fazit: Bewegung Handlung und Tätigkeit werden psychisch reguliert! Wichtig ist die Wechselwirkung zwischen psychischen Prozessen und der Tätigkeit. Psychische Erscheinungen regulieren die Tätigkeit, durch die regulierte Tätigkeit wird die psychische Repräsentation gewährleistet und diese entwickelt sich in der Tätigkeit. Tätigkeit geht somit in die Psychologie ein. Für die Arbeitspsychologie ergab sich dadurch eine Verlagerung der psychologischen Analyse der Arbeitstätigkeit auf die orientierende, „gnostische“ Seite des Handelns. Diese bildet sich aus Afferenzen und Reafferenzen. Erstellt wird ein „inneres Modell“ der Situation und den erforderlichen Aktivitäten, quasi ein dem äußeren Handeln vorausgehendes sensomotorisches System. Dieses Modell kontrolliert über Kontrollprozesse unser Handeln. Die Bedeutung dieser Konzeption für die Arbeitspsychologie besteht darin, daß nun praktische Arbeitstätigkeiten wie Bohren, Weben oder Baggerfahren hinsichtlich ihrer psychischen Mechanismen untersucht werden können. 3.8 Psychische Aspekte der Tätigkeit Wenn also wie im vorherigen Kapitel ausgeführt Orientierung und Regulation zum Gegenstandsbereich der Psychologie gehören, ist zu erläutern was damit gemeint ist. Ausgangspunkt dafür ist die Aufgabe. Die psychologischen Komponenten der Arbeitstätigkeit werden bestimmt durch die aus dem technologischen Prozeß sich ergebende Arbeitsaufgabe und ihrem Sinn. Die Einstellung zum Ziel und den Verwirklichungsbedingungen bildet den Sinn der Aufgabe. Der Sinn ist am Aufbau des Handelns entscheidend beteiligt, denn selbst einzelne Willkürhandlungen sind von ihm abhängig. In der Psychopathologie sind Krankheitsbilder bekannt, bei denen das Ausführen identischer Bewegungsabfolgen von ihrer Einordnung in einen verschiedenen Sinnzusammenhang abhängt. So kann beispielsweise ein Patient zwar seinen Hut an einen Haken hängen, er ist jedoch nicht in der Lage, nach Aufforderung auf den gleichen Haken zu zeigen. Konkrete Handlungen gelingen abstrakte nicht, obgleich identische Muskelpartien dafür einzusetzen wären. Weiterhin wird das Ergebnis als Ziel antizipiert und die Ausführungsbedingungen müssen berücksichtigt werden. Die Aufgabe als Ausgangspunkt bestimmt die Art der beteiligten psychischen Erscheinungen und somit die psychische Struktur der Tätigkeit. Es ist somit wahrscheinlich, daß die inneren psychischen Prozesse nahezu die gleiche Struktur wie die beobachtbaren Teile des Handelns haben. In diesem Zusammenhang wäre es sicherlich reizvoll für die Wissenschaft Tests zu entwickeln die tatsächlich in der Lage sind durch das Lösen komplexer Aufgaben auf die psychische Struktur des Menschen zu schließen. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 48 Die Arbeitstätigkeit ist eine funktionelle Einheit motivationaler, volitiver, kognitiver und motorischer Vorgänge, die nicht isoliert voneinander existieren. Zur Vereinfachung kann man die psychische Regulation der Tätigkeit jedoch in eine Antriebsregulation und eine Ausführungsregulation unterteilen. Die Antriebsregulation kann man unter motivationalen Gesichtspunkten sehen, die Ausführungsregulation unter operationalen Aspekten. 3.8.1 Zur Antriebsregulation Die Antriebsregulation bestimmt ob gehandelt und welche Tätigkeit mit welcher Intensität ausgeführt wird. Beteiligte psychische Komponenten sind Absichten, Vornahmen oder Vorsätze einerseits und Bedürfnisse, Interessen, Gefühle oder Überzeugungen andererseits. Diese stellen letztendlich die Ziele und Motive des Menschen dar. Wenn ich also einen Auftrag erhalte 20000 Schrauben herzustellen werde ich zuerst wohl nicht begeistert sein. Mein Ziel ist es jedoch nicht in erster Linie die Schrauben herzustellen, sondern meine Familie zu ernähren oder mir das Geld für einen schönen Urlaub zu sparen. Ich strebe also ein bewußtes „höheres Ziel an“. Diese besondere Form des Anstrebens von Zielen ist die willensregulierte oder volitive Tätigkeit. Es stellt sich nun die Frage warum Arbeitstätigkeiten willentlich regulierte Tätigkeiten sind. In unserer Gesellschaft findet eine Bedürfnisbefriedigung auf dem Arbeitsgebiet hauptsächlich über den Lohn statt. Die ist ein bewußtes streben nach einem subjektiv bedeutsamen Ziel. Es findet also so etwas wie ein Belohnungsaufschub statt. Willensprozesse unterscheiden unmittelbar und mittelbar zur Befriedigung führende Motive. Hacker sagt, daß nur zur Befriedigung von mittelbaren Motiven Willensprozesse erforderlich sind. Somit haben Willensprozesse ihren Ursprung in der arbeitsteiligen gesellschaftlichen Produktion. Dies ist natürlich nicht ohne gesellschaftlichen Bezug zu sehen. Tätigkeit beinhaltet vielfältige Beziehungen zu den Menschen und zu der Gesellschaft im allgemeinen. Der Mensch mißt seine Tätigkeit an dem Marktwert für andere und deshalb liegt der Schwerpunkt auf der Seite der zwischenmenschlichen Bedeutung der Tätigkeit. Aber auch gesellschaftliche Verhaltensnormen bestimmen die Tätigkeit. Man muß sich nur vor Augen führen welche unterschiedlichen Auswirkungen verschiedenartige Systeme wie der Kapitalismus oder Kommunismus auf die Einstellung der Menschen zur Arbeit haben. Was heißt das für die Psychologie Nicht die biologischen Vorgänge zur Bedürfnisbefriedigung interessieren uns, denn eine Schraube selbst könnte wohl wenig zu unserm körperlichen Wohlempfinden beisteuern, sondern untersucht werden die psychischen Komponenten, die Tätigkeit als sozialen Prozess betrachten. Während nun bei der Antriebsregulation jene psychischen Prozesse vorherrschen, die Beziehungen des Menschen zur Wirklichkeit ausdrücken, ist die Ausführungsregulation durch kognitive Prozesse charakterisiert. 3.8.2 Zur Ausführungsregulation Die Ausführungsregulation bestimmt auf welche Weise gehandelt wird. Sie konzentriert sich auf die Analyse des Ziels, auf die Verwirklichungsbedingungen und das Verhältnis von Zielen und Bedingungen der Tätigkeit. Zweck dieses Systems ist die Festlegung, Einsatz und Kontrolle von geeigneten Strategien der Zielerreichung. Die psychischen Komponenten die hier beteiligt sind (Wahrnehmungs - , Vorstellungs - , Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 49 Denk - und Gedächtnisprozesse) ermöglichen es dem Menschen eine Art Kontrollinstanz zu bilden, die bis zur Zielerreichung korrigierend eingreift. Ein weiterer Gesichtspunkt bei der Frage nach den psychischen Aspekten der Tätigkeit ist, daß Tätigkeit sowohl Ausdruck als auch prägende Instanz des Bewußtseins ist. Wenn es wie vorher schon erwähnt eine Wechselwirkung zwischen psychischen Prozessen und der Tätigkeit gibt, dann kann man davon ausgehen, daß auch die Persönlichkeit mit der Zeit beeinflußt wird. Nicht nur Erkenntnisse und Fähigkeiten werden erworben, sondern auch Einstellungen und Willensprozesse entwickelt und zu Persönlichkeitseigenschaften verfestigt. Diese Doppelrolle des Arbeitsprozesses muß man beachten wenn grundlegende Prinzipien der Arbeitsgestaltung, Ausbildung und Führung abgeleitet werden sollen. In methodischer Hinsicht sind bei der Frage nach den psychischen Aspekten von Tätigkeit drei Klassen handlungsbezogener psychischer Sachverhalte zu unterscheiden: 1.) orientierende und regulierende psychische Vorgänge, die tatsächlich Bedingungen und Ursachen bestimmter Vollzugsformen sind, 2.) handlungsbegleitende psychische Vorgänge, die zwar beim Handeln auftreten, dieses aber nicht leiten, 3.) handlungserklärende oder rechtfertigende psychische Vorgänge, die die Handlung begleiten oder nachträglich begründen, ohne daß sie tatsächlich wirksame handlungsleitende oder handlungsveranlassende Sachverhalte darstellen müssen. Hierbei geht es vor allem um zwei Gesichtspunkte. Einerseits sind die mir bewußtwerdende oder aussagbaren psychischen Sachverhalte nur ein Teil der handlungsleitenden Vorgänge, andererseits sind nicht alle Kognitionen, die während der Handlung auftreten tatsächlich handlungswirksam. Man kann diesen theoretischen Sachverhalt anhand des Beispiels „Attributionen“ verdeutlichen. Attributionen treten hauptsächlich dann auf, wenn es Probleme im Arbeitsverlauf gibt oder man sich vor Außenstehenden rechtfertigen muß. Sie sind aber abhängig von dem Wissen um Wirkungszusammenhänge und dem Selbstkonzept das ich von mir habe. Attributionen können sich also zu vollständig naiven Handlungstheorien verdichten und geben so nicht notwendigerweise Einblick in die wirklich handlungsleitenden psychischen Sachverhalte. Diese Attributionen können also begleitend oder im nachhinein auftreten. Natürlich sind diese nicht nutzlos, denn sie können bewirken, dass sich mein Handeln an gesellschaftlichen Handlungserwartungen ausrichtet (was erwarten meine Kollegen von mir ) und somit werden sie wichtig für zukünftige Tätigkeiten. 3.9 Klassifikationen von Arbeitstätigkeiten für psychologische Anliegen Tätigkeiten im allgemeinen und Arbeitstätigkeiten im besonderen unterscheiden sich durch eine Vielzahl von Merkmalen. Deshalb ist die Übertragbarkeit von psychologischen Erkenntnissen, gewonnen bei einer Tätigkeitsgruppe, sehr eingeschränkt. Um Gültigkeitsbereiche und damit Übertragbarkeitsgrenzen von Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 50 Erkenntnissen festlegen zu können, bedarf es einer Klassifikation, bezogen auf psychologische Regulation von Tätigkeiten. Die bisherigen Ansätze dazu dienen eher als praktische Orientierungshilfe, denn als Endlösung. Laut Hacker gibt es verschiedene Möglichkeiten der Klassifikation, so die Klassifikation nach der geforderten Leistung bzw. nach dem entstehenden Produkt, die Klassifikation nach inhalts - und aufgabenbedingten Strukturformen oder die Klassifikation nach Ablaufformen. 3.9.1 Klassifikation nach der geforderten Leistung bzw. nach dem entstehenden Produkt Nimmt man eine Klassifikation nach der geforderten Leistung bzw. dem entstehenden Produkt vor, so kann man Tätigkeiten z. B. in Fräs - , Zahnputz - , Briefschreib - oder Backtätigkeiten unterteilen. Spezieller auf Arbeitstätigkeiten bezogen, bedarf es eines höheren Abstraktionsniveaus. Hier wären beispielhaft Tätigkeiten wie Kontroll - , Überwachungs - , Steuer - , Bedien - oder Montagetätigkeiten zu nennen. Eine Klassifikation nach hinreichenden psychologischen Merkmalen ist in beiden Fällen jedoch nicht gegeben. Eine Hauptursache dafür ist die psychologische Heterogenität der nach derartigen Leistungsmerkmalen zusammengefaßten Tätigkeiten. Betrachtet man hierzu das Beispiel des Schreibmaschineschreibens in bezug auf unterschiedliche Geübtheit, so wird schnell klar, daß das „Schreiben der geübten Schreibmaschinistin nicht etwa ein gleichartiger, nur stärker geübter Vorgang wie der der Anfängerin ist, sondern ein psychologisch von Grund aus andersartiger Vorgang. Diesen Gesamtprozeß kann man so wenig als ein Suchen charakterisieren, wie etwa das Schreiben der Anfängerin als ein Fingerheben“ (Lewin, 1926). Dies bedeutet, daß Tätigkeiten, die zwar auf den ersten Blick gleich erscheinen, völlig unterschiedlich sein können. Ein zweiter Punkt der ebenfalls verhindert, daß leistungsmäßig gleich Bezeichnetes als auch psychologisch gleich oder ähnlich anzusehen, ist der Sinn oder die Bedeutung der Tätigkeit. Auch dies kann man an einem Beispiel veranschaulichen. Nimmt man hier das Beispiel des Schreibens, so sieht man, daß das Schreiben als solches, je nach Intention der Handlung, etwas sehr Verschiedenes sein kann. „Denn auch abgesehen von dem rein Motorischen ist z.B. die Handlung des Schreibens etwas psychisch grundlegend Verschiedenes je nachdem, ob man einen Satz in Schönschrift oder eine briefliche Mitteilung abfaßt“ (Lewin, 1926). Im ersten Fall wäre die Intention der Handlung das Schreiben selbst, im zweiten Fall dagegen wäre das Schreiben nur Mittel zum Zweck. 3.9.2 Klassifikation nach inhalts - und aufgabenbedingten Strukturformen Eine zweite Klassifikationsmöglichkeit ist die Klassifikation nach inhalts - und aufgabenbedingten Strukturformen. Hier kann man Ordnungen im Hinblick auf den Betrachtungsaspekt der Ausführungsregulation und im Hinblick auf den Betrachtungsaspekt der Antriebsregulation vornehmen. 3.9.2.1 Antriebsregulation Unter dem Betrachtungsaspekt der Antriebsregulation kann man Tätigkeiten in reflektorische, instinktive, affektiv - impulsive und volitive Tätigkeiten gliedern. Arbeitstätigkeiten entsprechen dabei volitiven, also willentlich zielgerichteten Tätigkeiten. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler 3.9.2.2 Seite 51 Ausführungsregulation Bei einer Klassifikation unter dem Aspekt der Ausführungsregulation muß man gleichzeitig mehrere Einteilungsmerkmale beachten. 1. Einteilungsmerkmal: Komplexitätsgrade, gebildet aus der Anzahl und der Art von anforderungsverschiedenen Teiltätigkeiten Tätigkeiten können durch zahlreiche Teiltätigkeiten gekennzeichnet sein. Der Komplexitätsgrad wird dabei gebildet aus der Anzahl der Teiltätigkeiten. 2. Einteilungsmerkmal: Gegenstands - und Erzeugnisarten Gegenstand von Tätigkeiten können unter anderem Materialien, Informationen und Menschen sein. Das Erzeugnis kann dabei stofflich - energetischer, also beständiger Natur sein oder nur im Erzeugungsprozeß gegenwärtig sein. Dabei wäre zu denken an die Darbietung von Sängern, Tänzern oder Schauspielern. 3. Einteilungsmerkmal: Kooperationsarten Es gibt verschiedene Kooperationsarten, welche eine Folge der Arbeitsteilung sind. Ein Beispiel ist die kollektive Selbstorganisation von kooperativen Tätigkeiten. Demgegenüber stehen die angewiesenen Kooperationsformen. Weiterhin existieren kooperationslose Einzeltätigkeiten. 4. Einteilungsmerkmal: Ebenen der Ausführungsregulation Tätigkeiten können durch „nicht bewußtseinsfähige“ (z.B. Reflexe), „bewußtseinsfähige“ (z.B. Automatismen) oder „bewußtseinspflichtige“ (z. B. Referat) psychologische Vorgänge geregelt sein. Übung verändert insbesondere diese Regulationsebenen sowie die Vollständigkeit von Tätigkeiten. 5. Einteilungsmerkmal: Vollständigkeit bzw. Unvollständigkeit des Tätigkeitsaufbaues Tätigkeiten unterscheiden sich durch Vorhandensein oder Fehlen von Zielsetzungs - , Vorbereitungs - (z.B. Ziel - und Bedingungsanalysen, Mittel - Weg - Ermittlungen) oder Kontrollvorgängen. 6. Einteilungsmerkmal: auftrags - bzw. aufgabenbezogene Strukturtypen entsprechend der relationalen Struktur von Tätigkeiten Tätigkeiten können als mehrstellige Relationen beschrieben werden. Relationen können dabei neben dem tätigen Menschen den Gegenstand, Erzeugnis, erforderliche Mittel, mögliche Adressaten und einzuhaltende Ausführungsbedingungen umfassen. Im Arbeitsprozeß handelt es sich um gegenstands - bzw. adressatenbezogene Tätigkeiten. Im Produktionsbereich spricht man überwiegend von monologisch - erzeugenden Tätigkeiten, im Dienstleistungssektor (Schulen, Kindergärten, Handel, Gesundheitswesen) dagegen von dialogischen Tätigkeiten. Der Produktionsbereich kann wiederum in Erzeugen mit Hilfsmitteln und Erzeugen ohne Hilfsmittel (Massieren) untergliedert werden. Im Bereich der Tätigkeiten mit Hilfsmitteln kann man unterschiedliche Technisierungsstufen unterscheiden, als da wären: Tätigkeiten mit Werkzeug (Montieren), Tätigkeiten mit Maschinen (Bedienen) sowie Tätigkeiten mit Automaten (Überwachen). Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 52 Strukturformen Ergebnis/ adressatenbezogene Tät. aktorbezogene Tätigkeiten Ohne (Laufen) Mit Objekt (Trinken) Ohne Arbeitsmittel (Massieren) monolog. – ergebnisbezogen Mit Arbeitsmitteln Werkzeug (Monitoren) Maschine (Bedienen) dialogisch Dialog. Im eigenli. Sinn (Verkaufen) Dial. ergebnisbezogen (Lehren, Heilen, usw.) Automat (Überwachen) Strukturformen zielgerichteter Tätigkeiten 3.9.3 Klassifikation nach Ablaufformen Die dritte Klassifikationsform ist die Klassifikation nach Ablaufformen. Dabei kann man endlos fortlaufende Tätigkeiten, wie z.B. die Überwachung endloser Prozesse in der Energieversorgung (Kernkraftwerk) und Tätigkeiten mit Endziel unterscheiden. Tätigkeiten mit Endziel kann man wiederum in Tätigkeiten mit schrittweise vorwärtsschreitender Zielannäherung (z.B. Referatsausarbeitung) sowie Tätigkeiten mit Ziel „umkreisung“ (bei der Lösungssuche mit immer neuen Ansätzen um das Ziel kreisen) unterteilen. Ablaufformen „endlos“ – fortlaufende Tätigkeit Auf Endziel bezogene Tätigkeit Schrittweise vorwärtsschreitende Zielannäherung Ziel – „umkreisung“ (bei Lösungssuche) Ablaufformen zielgerichteter Tätigkeiten Zusammenfassend kann man sagen, daß psychologisch nützliche Klassifikationen von Tätigkeiten gleichzeitig mehrere Einteilungsmerkmale berücksichtigen sollten. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 53 4 Fehlhandlungen und Handlungsfehler 4.1 Rolle von Fehlhandlungen und Handlungsfehlern 4.1.1 Einleitung Das Thema der heutigen Referate umfaßt den Teilbereich der Fehler im Arbeitsprozeß: Dabei interessiert sich die Psychologie für Fehler des Menschen unmittelbar im Arbeitsvorgang; wohlgemerkt für Fehler, die einem qualifizierten, erfahrenen Arbeiter unterlaufen, der seinen Job beherrschen sollte, und nicht für solche, die nur in Ausnahmefällen wegen schlechter Einarbeitung oder mangelnder Erfahrung auftreten (also keine Fehler von Azubis, keine moralischen Fehler, Maschinenfehler o.ä.). Allgemein geht es also um Fehler im Arbeitsprozeß, die zu einem mangelhaften Produkt führen. Nach Hacker liefern diese Fehler die meiste Information über Arbeitsprozesse, d.h., sie gewähren Einblick in die psychische Struktur und Regulation von Arbeitstätigkeiten. 4.1.2 Definition Def. Fehlhandlungen: „Arbeitstätigkeiten, die gegenständlich verändernd und produkterzeugend sind” mit folgenden Merkmalen: 1. Aufgabenunangemessene, ungeeignete Ausführungsweise, mit der das zutreffende angestrebte Ziel entgegen der Absicht nicht erreicht werden kann. 2. Die Ungeeignetheit der Ausführungsweise zum Erreichen des Ziels ist dem Arbeitenden im Moment der Ausführung nicht bewußt. 3. Die ungeeignete Ausführungsweise stellt sich trotz des prinzipiellen Verfügens über die Vorgehensweisen ein, die für die jeweilige Aufgabenklasse geeignet wären. 4. Mangel an zutreffenden und handlungswirksamen Informationen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt für ein zielgerechtes Handeln unentbehrlich sind. 4.1.3 Pathologische Methode Die Grundvorgehensweise der Psychologie ist dabei die sog. pathologische Methode. Hier werden optimale mit mangelhaften Arbeitsergebnissen verglichen und so versucht, Erkenntnisse über die Bedeutung einzelner Regulationsbesonderheiten für das Arbeitsergebnis zu gewinnen. Nach Hacker entstehen Fehler aus der psychischen Struktur der jeweiligen Arbeitstätigkeit und sind somit mit dieser beeinflußbar Prävention! 4.1.4 Zufallseinflüsse Doch oft ist es auch der Zufall, der zu einem Unfall, einem Mangelprodukt, einer Fehlhandlung führt; welchen Sinn machen hier präventive Analysen? Nach Hacker entdeckt man gerade in und durch Zufälle Gesetzmäßigkeiten, so daß sich Situationen angegeben lassen, in denen Fehler systematisch und regelhaft auftauchen. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 54 4.1.5 Handlungsfehler als Folgen von Fehlhandlungen Welche Folgen (= Handlungsfehler) entstehen aus Fehlhandlungen? Die Folgen reichen von der emotionalen Belastung des Arbeiters über Zeitverluste im Arbeitsvorgang, Qualitätsminderung, Beinahe - Unfällen bis hin zu beschädigten Arbeitsmitteln oder gravierenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Zusammenfassung: Eine psychologisch fundierte, organisatorische und technische Arbeitsgestaltung kann helfen, Handlungsfehler zu vermeiden. Man betreibt also Ursachenforschung, um zukünftige Fehler weitgehend auszuschließen. 4.2 Automatisierung und Fehlhandlungen 4.2.1 Überforderung des Menschen in Notfällen Heutzutage sind sehr viele Arbeitsvorgänge weitgehend automatisiert; der Mensch greift nur noch ein, wenn Störungen auftreten, ist aber genau dann oft nur unzureichend vorbereitet und mit der Ausnahmesituation überfordert. Beispiel Pilot: Im Normalfall werden die Flugzeuge automatisch gesteuert (Autopilot) ; bei Komplikationen allerdings muß der Pilot die Steuerung selbst übernehmen, wobei dies aber seltener geübt wird als die „Handgriffe”, die der Pilot in der Regel für seine Arbeit beherrschen muß. Er besitzt also wenig oder gar keine praktische Erfahrung für den Notfall, und somit ist das Risiko von Fehlhandlungen hoch. Hinzu kommt, daß der Mensch in Notsituationen schnell kognitiv überfordert ist. Idealerweise müßte ein Mensch die Situation so schnell und vor allem komplex erfassen und analysieren können, wie heutige Computer dazu in der Lage sind – doch wir haben eben enge Grenzen in unserer Informationsverarbeitung. Gerade in komplizierten Situationen findet keine Abwägung aller möglichen Handlungsalternativen mehr statt, d.h., unser differenziertes Entscheidungsverhalten fehlt, was schnell zu Fehlern führen kann. 4.2.2 Zuverlässigkeit Spätestens hier stellt sich die gravierende Frage, wie zuverlässig denn die Technik ist, wenn sowohl sie als auch der Mensch jederzeit völlig unvorhergesehen versagen können? Allgemein ist zu sagen: Wie groß ist Zuverlässigkeit des Mensch - Maschine - Systems? = Wie gut erhält der Arbeitende die verlangten Qualitäten auch bei Kompikationen? Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 55 Hacker sagt hierzu: „Je zuverlässiger ein technisches Systembestandteil ist, desto unzuverlässiger ist der im Ausnahmefall in ihm tätige Mensch” (fehlende Übung, kognitive Überforderung!) Zurück zu unserem Beispiel: Die „Zuverlässigkeit”des Fliegers ist abhängig davon, wie gut der Pilot auch bei verschlechterten Bedingungen sein Flugzeug wieder heil auf den Boden zurückbringt! Diese Situation sollte gut genug geübt sein, was jedem die Wichtigkeit von Simulationen klarmachen wird! 4.3 Klassifikation von Fehlhandlungen 4.3.1 Methodik Die Klassifikation von Fehlhandlungen soll ein spezifisches Vorbeugemittel für alle Arten von möglichen Fehlhandlungen gewährleisten. Hierfür wird ein Baumdiagrammes mit allen möglichen Vorgehensweisen bei einer Tätigkeit aufgestellt. Dabei bedenkt man die Fehleranfälligkeiten der einzelnen Ebenen der psychischen Regulation und kennzeichnet die Wege, die gefährlich sein können. Man markiert also Wege, bei denen Abweichungen im normalen Vorgehen auf einen gefährlichen Ausgang hinsteuern und erhält schließlich ein Bild von den Risiken einer Arbeitstätigkeit in ihren einzelnen Arbeitsschritten Verhütung kann nun stattfinden durch die a) Beseitigung eigentlicher Fehlerursachen, oder die b) Vermeidung der gefährlichen Vorgehensweise. Bei der Frage, wo denn nun im einzelnen Fehler auftreten können, braucht man einen Einblick in die Teilprozesse von Handlungen. 4.3.2 Exkurs: Teilschritte von Handlungen Zur Wiederholung: Man kann Handlungen in 5 Teilprozesse aufspalten: 1. Orientierung 2. Zielbildung 3. Abruf bzw. Entwurf geeigneter Aktionsprogramme 4. Entscheidung 5. Situationsangepaßte Ausführung Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 56 Eine mögliche Klassifikation von Fehlhandlungen, die auf diesem Modell basieren, gab Norman (1981) an: Er unterschied zwischen 1. Fehlern in der Zielbildung, 2. Aufruf falscher Programme, 2. Falscher Einordnung richtiger Programme. Zu 1. Von Fehlern in der Zielbildung spricht man z.B. dann, wenn man eine Handlung unterläßt, weil man ihre Notwenigkeit nicht erkennt; daraufhin kann kein angemessenes Ziel gebildet werden, was zu einem Fehler im Arbeitsprozeß führt. Zu 2. Zum Aufruf falscher Programme zählen z.B. Erwartungsfehler; obwohl sich die Vorfahrtsregelung geändert hat, fährt man gewohnheitsgemäß so, wie man es vor der Änderung der Regelung getan hat. Zu 3. Eine falsche Einordnung richtiger Programme liegt z.B. dann vor, wenn man zwar eine richtige Handlung ausführt, dies aber zum falschen Zeitpunkt tut (Zähneputzen VOR dem Essen etc.) 4.3.3 Wichtige Fragen in der Fehleranalyse Hacker: „Letztlich ist jeder Fehler auf einen Mangel an bestimmten Informationen zurückzuführen“. Also muß für eine erfolgreiche Prävention die Analyse folgender Punkte stattfinden: a) Welche Informationen sind für die jeweilige Tätigkeit unabdingbar? b) Was sind die Ursachen dafür, daß manche Informationen in den einzelnen Handlungsschritten nicht verfügbar sind? Zu beachten ist, daß die zahlreichen beteiligten Komponenten unterschiedliche schwer gewichtet sind, was zu schwer überschaubaren Ursachenkomplexen führt; es ist also nicht möglich, alles in seiner Komplexität zu überblicken, aber für Fehleranalyse reicht es, einzelne Bedingungen zu identifizieren, die häufig zu Fehlern führen, damit man dort präventiv eingreifen kann. 4.3.4 Klassifikation von Fehlhandlungen nach ihrer Entstehung Hier wird unterschieden zwischen a) dem tatsächlichen Fehlen von Information vs. b) keiner oder unzureichender Verarbeitung von Information. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler 4.3.4.1 Seite 57 tatsächliches Fehlen von Information Fehlt regulativ erforderliche Information, ist die Tätigkeit immer beeinträchtigt. Auch wenn die Information objektiv vorliegt, aber nicht genutzt werden kann, z.B., weil ein akustisches Signal durch Hintergrundgeräusche überhört wird, spricht man von „fehlender“ Information. Beispiel für das Fehlen von nötiger Information: Ein Arbeiter sitzt an einer Tastatur, die er blind bedienen muß, die Tasten sind aber taktil nicht voneinander unterscheidbar keine Information vorhanden, die aber nötig wäre, um angemessen zu handeln: Ein einfaches Verrutschen auf der Tatstatur kann zu schweren Fehlern in allen nachfolgenden Teilschritte führen! In der Arbeitspsychologie müssen zur Fehlervermeidung also Maßnahmen gefunden werden, die diese fehlende Info bereitstellen. 4.4 Fehlende Nutzung von Information Fehlende Nutzung objektiv vorhandener Information tritt häufig und vorzugsweise beim Prozeß des Orientierens auf. 4.4.1 Übersehen ist das unbeabsichtigte Nichterfassen tätigkeitsrelevanter Information. Hierfür kann es die qualitativ unterschiedlichsten Ursachen geben, z.B. Reizmaskierung, Orientierungsreaktion auf dominante Reize, Überschreiten der Informationsverarbeitungskapazität und Verdrängung im persönlichkeitspsychologischen Sinne. Wichtig ist hierbei, daß die Ursachen für das Übersehen tätigkeitsrelevanter Information nicht global als Aufmerksamkeitsdefizit etikettiert werden, sondern entsprechend ihrer unterschiedlichen Qualität spezifische Verhütung durch arbeitsgestalterische Maßnahmen nach sich ziehen sollten. Generell sollte zur Entlastung die automatisierte Informationsverarbeitung stärker in Anspruch genommen werden, statt den Menschen durch zusätzliche Signalanzeigen zu überfordern. 4.4.2 Vergessen/Versäumen ist das unbeabsichtigtes Nichtnutzen eines vorher erfaßten Sachverhaltes oder einer Intention. Meistens wären hierbei die notwendigen Verhaltenskompetenzen im Prinzip vorhanden, werden aber in der speziellen Situation nicht aktiviert (z.B. das Blinken vor dem links Abbiegen). Für ein wirksames Sicherheitstraining müssen hierfür bestimmte Situationsmerkmale fest mit bestimmten Verhaltensweisen verknüpft werden. Falls die Ursache in der Überschreitung des Kurzzeitgedächtisses liegt (z.B. wenn man in ein Zimmer geht und nicht mehr weiß, was man dort holen wollte), so sollte man zur Fehlerverhütung die elektronische Datenspeicherung einsetzen. 4.4.3 Übergehen ist das absichtsvolle Nichtnutzen von tätigkeitsrelevanter Information. Es tritt z.B. dann auf, wenn widersprüchliche Anforderungen an das Verhalten des Arbeiters gestellt werden (z.B. wenn es bei Akkordarbeit zu einem Konflikt zwischen produzierter Stückzahl und Anforderungen hinsichtlich der Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 58 Produktqualität kommt). Das Übergehen von relevanter Information kann in allen Phasen der Handulngsregulation vorkommen. Dementsprechend kann Verhütung durch arbeitsregulatorische Maßnahmen sowie durch Stimulierungs - und Qualifizierungsmaßnahmen angestrebt werden. 4.4.4 Informationsreduzierung wenn durch gewohnheitsmäßiges Reagieren ein Bedingungswechsel nicht erkannt wird. Die tätigkeitsrelevante Information ist zwar da, wird aber nicht erkannt, da sie ihren Signalcharakter kurzfristig verloren hat. Beispiele dazu sind - Stereotypisierungsfehler bei hochautomatisierten Reaktionen („Beharrungsfehler“) - Erwartungsfehler 1. Art, wenn das Verhalten nach angenommenen und nicht nach tatsächlichen Umweltbedingungen ausgerichtet wird (z.B. das Übersehen einer Änderung der Vorfahrtsregel, wenn sich nicht gleichzeitig auch der Charakter der Straße ändert). 4.4.5 Verarbeitungsdefizite als physiologisch bedingte mangelnde Nutzung von tätigkeitsrelevanter Information. Prinzipiell können Verarbeitungsdefizite in allen Stufen der Handlungsregulation auftreten. Beispielsweise müssen zur sinnvollen Verknüpfung von Informationen Mindestverarbeitungszeiten zur Verfügung stehen. Des weiteren haben Menschen Schwierigkeiten in der Erfassung nicht linearer oder komplexer, dynamischer Beziehungen. Hier bietet die elektronische Datenverarbeitung eine Möglichkeit zur Fehlerverhütung. 4.5 Falsche Nutzung vorhandener Information Falsche Nutzung vorhandener tätigkeitsrelevanter Information kann in allen vier Phasen der Handlugsregulation zu Fehlern führen: 4.5.1 Falsches Orientieren führt zur Erstellung situationsunangemessener Aktionsprogramme. Für falsche Orientierung lassen sich eine Reihe unterschiedlicher Ursachen finden: - Fehlidentifikation entsteht entweder durch perzeptiv bedingte Sinnestäuschungen (Größentäuschung, Farbkontrasteffekte etc.) oder durch einstellungsbedingte Fehlinterpretation (Erwartungsfehler 2. Art) vor allem unter erschwerten Wahrnehmungsbedingungen (z.B. beim Lesen im Dunkeln - nach dem bekannten Beispiel - „er hatte seinen Äschylos so wohl studiert, daß er anstatt „angenommen“ „Agamemnon“ zu lesen pflegte“) - Erinnerungstäuschung als Aktualisierung eines unzutreffenden Sachverhalts, Verdrängung oder autosuggestive Modifikation - Fehlbeurteilung als Fehleinschätzung der Situation (z.B. Unterschätzung einer Entfernung). Ursache hierfür können unzutreffende Wahrnehmung, Fehler im Vergleichsvorgang und Erinnerungsfehler sein. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 59 4.5.2 Falsche Zielbildung Wenn die Festlegung des Ziels unpräzise bzw. unvollständig ist, so wird die Entwicklung angemessener Aktionsprogramme erschwert. Auch kann es dann leichter zu Konflikten oder Vertauschungen zwischen ungenügend definierten Zielen kommen. 4.5.3 Entwerfen fehlerhafter Programme Erstens können fehlerhafte Programme trotz guter Orientierung und Zielbildung durch unzureichende Information entstehen. Zweitens können durch Fehler bei der Einbeziehung von Information (Verrechnen), auf sensumotorischer Regulationsebene falsche Bewegungsprogramme verursacht werden. Diese haben dann räumlich und/oder zeitlich falsche Parameter (z.B. Fehlgreifen bei unzutreffender Einschätzung einer Entfernung). Zuletzt kann es durch falsche Auswahl von Programmbestandteilen bei der Entwicklung eins Programmes (Verplanen) zu fehlerhaften Mittel – Weg – Entscheidungen kommen (z.B. Verschütten eines Glases bei falscher Dosierung des Bewegungsschwunges). 4.5.4 Falsches situatives Einpassen von Programmen als fehlende oder unzutreffende Orientierung während der Ausführung eines korrekten Programms. - räumlich - zeitliche Fehleinordnung z.B. beim Maschinenschreiben das Einfügen von Buchstaben des antizipierten Wortes in das gerade zu schreibende oder Stolpern, wenn eine erwartete Stufe auf einer Treppe nicht da ist. - Verwechseln als unzutreffende Zuordnung von Reaktion zu Signal z.B. beim Stroop – Phänomen oder bei Fehlhandlungen aufgrund von „Zerstreutheit“ (z.B. beim Klingeln des Telefons unter Streß „Herein!“ rufen). Die Realisierung eines Handlungsprogrammes auf ein Signal hin, das eigentlich eine andere Handlung abrufen sollte, geschieht jedoch nur bei unzureichender Aufmerksamkeit (Streß) oder bei sehr starker Konditionierung der Reaktion auf das Signal (Populationsstereotypien). Ein Beispiel hierfür wäre der Unfall im Kernkraftwerk Three – Miles – Island, wo das Kühlwasser mit Rot und der Dampf mit Blau gekennzeichnet war, was der erlernten bzw. angeborenen Assoziation der meisten Menschen zuwider laufen dürfte. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 60 4.6 Übergeordnete Ursachengruppen von Fehlhandlungen und Verhütungsmöglichkeiten Ein Überblick: Übergeordnete Ursachengruppen von Verhütungsmöglichkeiten Fehlhandlungen (Nutzungsmängel) 1. Ausbildungslücken 2. ZNS - Überforderung z.B. Ermüdung Begrenztheit der Verarbeitungskapazität Rigidität erworbener Verhaltensmuster Funktionsinstabilität - gezielte Qualifizierungsmaßnahmen - psychologische Arbeitsgestaltung - lernpsychologische und eignungspsy chologische Hilfsmaßnahmen - Veränderung der Funktionsteilung zwischen Mensch und Maschine 3. Unzureichende oder konfliktindu ziernende Anregung der Motivation - arbeitsorganisatorische, Stimulier ungs - und Qualifizierungsmöglichkeiten Ziel: Fehlhandlungsverhütung ohne zusätzliche Anforderungen an den Arbeitenden sondern durch Gestaltung der Arbeitsbedingungen Verbesserung der tätigkeitsspezifischen Leistungsvoraussetzungen 4.7 Mögliche Ursachen von Fehlhandlungen 4.7.1 Welche Grundauffassungen gibt es zur Frage der Mitverursachung durch stabile Eigenheiten (Dispositionen)? Es gibt 2 Grundauffassungen zu den Ursachen von Fehlhandlungen: a) Fehlhandlungen sind durch individuelle Unzulänglichkeiten (dispositionell) verursacht. b) Fehlhandlungen sind durch aktuelle, allgemeinpsychologisch analysierbare Vorgänge verursacht 4.7.2 Fehlhandlungen sind durch individuelle Unzulänglichkeiten (dispositionell) verursacht. Nach Marbe (1926) existiert eine „Unfällerpersönlichkeit“. Er postuliert den „Typ des Unfällers“ auf dem Hintergrund seiner Wiederholungsregel: Es gibt geborene Unfäller, Schaden - und Unglücksstifter, geborene Pechvögel und Glückskinder, aber auch geborene Verbrecher, geborene Praktiker, Theoretiker und geborene Konfusionsrate. Alle diese Kategorien von Menschen lassen sich aufgrund der Erfahrung und der Wiederholungsregel, unbeschadet der Einflüsse der Erziehung und Erfahrung mehr oder weniger sicher feststellen“ Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 61 „Unfäller“ sind demnach Menschen, die wegen bestimmter, nur bei ihnen zu findenden Wesenszügen, wiederholt und häufiger als andere in Unfälle verwickelt sind. Gegentyp des „Unfällers“ wäre der „Sicherheitsmensch“. Folge: Ein Versuch des eignungsdiagnostischen Ausscheidens der gefährdeten Personengruppe, die diese erhöhe Unfallneigung aufweist, könnte vorgenommen werden. 4.7.2.1 Welche Unterstellungen macht die Konzeption der Unfällerpersönlichkeit? . Es gibt eine abhebbare „Neigung“ zu Fehlhandlungen mit Unfallfolgen, Es gibt ein dispositionelles Wesen mit dieser Neigung zu Unfällen; Man muß eine Unfall - bzw. Fehlhandlungsverhütungspraxis schaffen, bei der bestimmte Leistungsvoraussetzungen nötig sind, um Unfällen vorzubeugen. Diese dispositionszentrierte Denkweise ist über die Unfällerkonzeption hinaus verbreitet. 4.7.2.2 Was bewirkt eine derartige, dispositionszentrierte Denkweise? Dispositionskonzentrierte Konzepte können, wenn sie die Überzeugungen einflußreicher Menschengruppen beherrschen, sehr folgenreich sein: Sie können sich im Sinne der Selbsterfüllung (self fulfilling prophecy) die unterstellten Verhaltensweisen selbst erzeugen und sich dabei ausweglos immer besser bestätigen. Sie können zum Unterschätzen der objektiven Arbeits - und Lebensbedingungen fuhren, zugunsten einer Konzentration auf die Rolle von personalen Dispositionen. Sie führen demzufolge zum Vernachlässigen der Gestaltung der objektiven Arbeits - und Lebensbedingungen, die das Verhalten und die Eigenschaften der Menschen beeinflussen. 4.7.2.3 Welche Ergebnisse zeigen statistische Prüfungen dieser Theorie der Unfäller? Die in geringem Maße vorhandenen Hinweise auf eine Unfäller - Persönlichkeit können aufgrund ihrer Geringfügigkeit eine Unfallneigung nicht eindeutig beweisen. Das Unfall - bzw. Fehlerkriterium reicht für die Verhaltensbeurteilung nicht aus. Die Verteilung der Unfälle innerhalb eines Zeitraums bei einer bestimmten Menschengruppe bestätigt tatsächlich, daß auf eine kleine Personenzahl eine unverhältnismäßig große Zahl von Unfällen entfällt und umgekehrt (viele Personen wenige oder keine Unfälle aufweisen). Entfernt man jedoch diese Personen (im Sinne Marbes = die Minderheit der ,,Unfäller“) durch Umsetzung an weniger gefährdete Arbeitsplätze, ergibt sich in ihren früheren Arbeitsbereichen keine nachhaltige Senkung der Unfallzahl, sondern es entsteht an diesen Arbeitsplätzen wiederum eine neue Minderheit von Beschäftigten, die einen ähnlich hohen Anteil von Unfällen auf sich vereinigen. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler 4.7.2.4 Seite 62 Warum liefert die statistische Prüfung dieses Ergebnis? Die statistischen Überprüfung durch einen Verteilungsvergleich berücksichtigt Zufallseffekte, d.h., alle gleich gefährdeten Personen haben die gleiche Wahrscheinlichkeit, einen Unfall zu erleiden und 4.7.2.5 Unfälle sind seltene Ereignisse Was kann man zusammenfassend festhalten? Die Unfällertheorie in ihrer allein auf feste Persönlichkeitspositionen bezogenen Marbeschen Fassung wurde widerlegt. Andererseits ist aber eine Tendenz zu einem Zusammenhang in manchen Untersuchungen nicht zu übersehen. Die Voraussage eines künftigen Unfallgeschehens bestimmter Menschen aufgrund ihrer bisherigen Unfälle ist nicht möglich. Unter praktischen Bedingungen ist es nicht möglich, andere Untersuchungsverfahren zu entwickeln, welche die individuelle Unfallhäufigkeit besser vorauszusagen als mit einer schwachen Korrelation (von etwa 0,3). Eine Auslese unfallaffiner Personen ist mit den verfügbaren diagnostischen Mitteln nicht sinnvoll. 4.7.2.6 Fehlhandlungen sind durch aktuelle, allgemeinpsychologisch analysierbare Vorgänge verursacht (arbeitsmedizinische und psychologische Einwände) Folge: Unfallverhütung sollte sich danach auf die Gestaltung der Arbeitsbedingungen und die subjektiven Leistungsvoraussetzungen (= Qualifizierung) konzentrieren. 4.7.2.7 Welche arbeitsmedizinischen und psychologische Überlegungen sprechen gegen das Konzept des Unfällers und der Unfallneigung? Marbes Theorie unterstellt eine Persönlichkeit, die nichts dazulernt. Im Gegensatz dazu gelten folgende Grundsätze: a) Unfälle sind Ereignisse mit Körperschäden. Aufgrund der durch den Unfall erfolgten Körperschäden ergeben sich Leistungsminderungen. Folge: Einsatz an Arbeitsplätzen mit leichterer Arbeit erfolgt leichtere Arbeit ist mit geringeren Gefährdungen verbunden als schwerere trotz des Fortbestehens einer - unterstellten - Unfalldisposition ist damit dann die objektive Gefährdung herabgesetzt und damit ein erneuter Unfall weniger wahrscheinlich. b) Aus Unfällen ergeben sich für die darin verwickelte Person neue Einsichten und Erfahrungen. Folge: Anpassung der Leistungsvoraussetzungen. Mit zunehmendem Alter und wachsender Erfahrung können verursachte Fehlhandlungen unter sonst gleichen Bedingungen folgenärmer gehalten werden. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 63 Die praktisch wichtigere Frage (b), ob nämlich Fehlhandlungen vom Typus „Unfall“ erfahrungsbedingt vermieden werden können, ist aus einsichtigen Gründen nur schwierig zu bearbeiten. 4.7.2.8 Welche Ergebnisse liefern empirische Untersuchungen zu der Frage, ob Fehlhandlungen vom Typus „Unfall“ erfahrungsbedingt vermieden werden können? a) Untersuchung des Zusammenhangs von verursachten Unfällen und Verstößen (Beinahe Unfällen) im Straßenverkehr von Graf Hoyos (1961) : Verkehrsteilnehmer mit zunehmender Erfahrung lernten, Unfällen auszuweichen. Ihnen unterliefen nur noch Verstöße gegen Verkehrsvorschriften Lernfähigkeit in bezug auf die Beeinflussung entstehender Fehlhandlungen ist damit erwiesen. b) Untersuchung von Wehner (1993) : Unter Bedingungen, bei denen aus folgenarmen Fehlhandlungen gelernt werden kann, wie man Fehlhandlungen vermeiden kann, können Unfälle nicht oder seltener auftreten; D.h., es gibt Bedingungen – z.B. mäßige technische Automatisierungsgrade - , unter denen Fehlhandlungen auch „Aneignungschancen“, nicht nur „Aneignungsbarrieren“ liefern. Folge: fehlerfreundliches Gestalten von Tätigkeitsbedingungen 4.7.3 Was kann man nun für die Grundauffassungen zusammenfassend festhalten? Eine durch Erfahrungserwerb oder Einstellungsänderung unbeeinflußbare Unfalldisposition kann nicht als bewiesen gelten. Es gibt zwar Hinweise auf eine mögliche geringfügige Mitwirkung habitueller individueller Eigenheiten am Unfallgeschehen, aber keine wissenschaftlich haltbaren Beweise für die Existenz einer stabilen individuellen Disposition im Sinne der Unfallneigung eines „Unfällertyps“, die Unfälle ausschlaggebend erklären könnte. Menschen, die gehäuft in Unfälle verwickelt sind, können nicht allein auf Grund dessen als „Unfäller“ bezeichnet werden. Hohe Unfallziffern sind kein gültiges Kriterium für eine wie auch immer vorzustellende Dimension „Unfallneigung“, da zu einem angebbaren Anteil zufallsbedingt wiederholte Verwicklungen weniger Personen in Unfälle zu erwarten sind. Darüber hinaus sind keine zwingenden Beweise für eine lernresistente, unveränderbare Unfalldisposition bekannt. 4.8 Weitere dispositionelle Komponenten Hier sind drei Merkmalsgruppen zu berücksichtigen: a) differentialpsychologische Lücken und Normabweichungen in den Leistungsvoraussetzungen b) stabile allgemeinpsychologische Verhaltensmuster, sogenannte Populationsstereotypien c) habituelle Eigenschaften Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 64 4.8.1 Differentialpsychologische Lücken und Normabweichungen in den Leistungsvoraussetzungen 4.8.1.1 Von gefährdenden Tätigkeiten ausschließende Mängel in den physischen bzw. psychophysischen Leistungsvoraussetzungen Beispiele aus Arbeitsrichtlinien sind Sinnesleistungslücken oder Sinnesminderleistungen (etwa bezüglich Sehschärfe, Farbtüchtigkeit, Gesichtsfeld, Hörfähigkeit, Tiefensehen) Hirnleistungsschwächen oder - störungen bzw. deren psychische Folgen. Eindeutige Störungen wie Anfallsleiden sind hinsichtlich ihrer Beurteilung geklärt. Offene Probleme bestehen bei der Erfassung und Berücksichtigung von Merkmalen aus dem Bereiche der sogenannten fluiden Intelligenz, die zwar unter den üblichen Vergleichswerten gesunder jüngerer Erwachsener liegen, aber nur wenig eindeutig mit herabgesetzten beruflichen oder Alltagsleistungen unterhalb eines Höchstleistungsniveaus in Beziehung stehen (vgl. Wiegner, 1991). Dabei handelt es sich um das Bearbeitungstempo von Informationen, die langzeitige Ausdauer, „emotionale“ Belastbarkeit bei Anstrengung, Anfälligkeit gegenüber Streß aus Umgebungsbedingungen, Störempfindlichkeit, spontane Ablenkbarkeit („Aufmerksamkeitsmängel“) und Umschaltfähigkeit. 4.8.1.2 schwere Formen psycho - vegetativer Disregulationen. Abartigkeiten oder zentrale Mängel in der Persönlichkeitsentwicklung. Entwicklungsmängel in den Einstellungen zu Wertbereichen und in der Selbstbestimmung der Persönlichkeit, die sich als soziale Einordnungsmängel zeigen. 4.8.1.3 Lücken im aufgabenbezogenen Wissens - und Fertigkeitsniveau sowie Einschränkungen der Lernfähigkeit (wichtigste Gruppe, da deutliche Abhängigkeit der Unfallquote vom Ausbildungsstand vorhanden!) a) Welche Hauptgründe können hier genannt werden? Instabilität neuerworbener, ungefestigter Leistungsvoraussetzungen Die Unterschätzung von Gefahren: Menschen sind nicht in der Lage, Risikowahrscheinlichkeiten zuverlässig zu schätzen. Die Unterschätzung von Gefahren wird u. a. begünstigt von der Seltenheit deutlich negativer Folgen, der Routinisierung bei Könnern, der scheinbaren anschaulichen Ungefährlichkeit oder der vermeintlichen Beeinflußbarkeit (Kontrollierbarkeit). b) Welche möglichen Mittel zur Abhilfe sind denkbar? Verbesserung der beruflichen Ausbildung Senkung der Unfälle Trainings, die schlechte Gewohnheiten ermitteln und korrigieren und zusätzliche Geschicklichkeit und Erfahrung vermitteln. Arbeitsgruppen (Sicherheitszirkel) vermitteln das erforderliche Können (Ritter, 1992). Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 65 Antihavarietraining, die eine angemessene subjektive Einschätzung des objektiven Gefährdungsrisikos vermitteln; denn: je ungefährlicher eine Tätigkeit einem Menschen erscheint, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, daß er sich bei dieser Tätigkeit Unfallgefahren aussetzt. Unfallerfahrung führt dazu, daß die eigene Risikoeinschätzung kritischer und das Risiko ausgeübter Tätigkeiten signifikant als höher beurteilt wird als das bei Personen ohne Unfallerfahrung der Fall ist (Strobel, 1991). Einschränkung: Im Alltag bewerten Menschen nicht die Risiken, bevor sie handeln. Vielmehr handeln sie unüberlegt, routinemäßig, d.h., psychisch automatisiert (Zimolong, 1996 b). Daher lassen zutreffendere Risikoschätzungen auch nicht zwingend verringerte Schadens - bzw. Unfallhäufigkeiten erwarten. 4.8.2 Stabile allgemeinpsychologische Verhaltensmuster, sogenannte Populationsstereotypien 4.8.2.1 Was sind Populationsstereotypien? Populationsstereotypien sind bei großen Menschengruppen (Populationen) oder allen Menschen wirksame, erlernte oder angebotene hochgradig gefestigte (stereotype) Reaktionsgewohnheiten. 4.8.2.2 Welche Auswirkungen haben Populationsstereotypien auf die Fehlhandlung? Wenn Reaktionen verlangt sind, die Populationsstereotypien widersprechen, so ist nicht nur mit zeitlichen Verzögerungen, sondern auch mit erhöhten Fehlhandlungshäufigkeiten zu rechnen. Aber. eine erhöhte Gefährdung entsteht nicht aus der dispositionellen Verhaltensstereotypie allein, sondern erst aus deren Zusammentreffen mit einer unüberlegten Gestaltung der objektiven Tätigkeitsbedingungen. Das Beachten der Populationsstereotypien ist also umgekehrt eine Möglichkeit zur Verhütung von Fehlhandlungen. 4.8.3 Habituelle Eigenschaften bei der Übernahme von Gefahrenrisiko Die Sicherheit der Einschätzung von Fehlhandlungswahrscheinlichkeiten und Gefahren ist generell gering. Darüber hinaus scheint es beträchtliche interindividuelle Unterschiede zu geben. Das hierbei benutzte Denkmodell unterstellt einen durch Entscheidungen zu lösenden Konflikt zwischen den Tendenzen nach Sicherung der erforderlichen Leistung und nach Sicherheit gegenüber physischen Gefahren oder materiellen Verlusten. Jedoch fehlt hier ein befriedigendes diagnostisches System noch. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler 4.8.3.1 Seite 66 Was besagt in diesem Zusammenhang die Risikokompensationstheorie? Diese Theorie versucht zu erklären, warum zweckmäßig verbesserte Sicherheitsmaßnahmen technischer oder qualifikatorischer Art, die über längere Zeit besehen, alleine noch nicht zu Verringerungen der Schadensfälle führen (Wilde, 1978, 1994). Ein Beispiel. Verbesserungen der Straßenführung in gefährlichen Kurven, Bereinigungen unübersichtlicher Kreuzungen oder Kurse über das Abfangen schleudernder Autos senkten bisher die Unfälle nicht, weil offenbar kompensativ ein gleiches Risiko übernommen wird wie bisher. Beispielsweise werden verbesserte Kurven also schneller durchfahren, oder es wird weniger für das Vermeiden des Schleuderns getan, weil man glaubt, es zu beherrschen. 4.9 Vergleich der dispositionellen mit den aktuellen psychischen Entstehungsbedingungen (Diskussion) a) Die Aufklärung nur eines kleinen Teils der Gesamtvarianz der Unfallziffern durch stabile Persönlichkeitseigenschaften bedeutet nicht, daß am Entstehen von Fehlhandlungen bzw. Unfällen keine personellen Bedingungen beteiligt sein könnten. b) Es existiert ein starker Zusammenhang zwischen aktuellen psychophysischen und psychischen Bedingungen (welche nicht auf dispositionelle interindividuelle Unterschiede zurückgehen) und der Unfallwahrscheinlichkeit (Mittenecker, 1962; Graf Hoyos, 1980). Zwischen unangemessenen Arbeitsbedingungen und aktuellem Fehlverhalten können regelhafte oder sogar gesetzmäßige Beziehungen allgemeinpsychologischer - nicht differentialpsychologischer - Art bestehen. Den Eigenschaften menschlicher Informationsverarbeitung nicht angemessene Arbeitsbedingungen sind eine Hauptquelle von Fehlhandlungen, deren Untersuchung vordringlicher als differentialdiagnostische Erörterungen ist. 4.10 Welche wesentlichen Schlußfolgerungen ergeben sich daher unter dem Gesichtspunkt der Verhütung von Fehlhandlungen einschließlich solcher mit Unfallcharakter (Konsequenzen für die Bekämpfung von Fehlhandlungen im Arbeitsprozeß) a) Es gibt keine Geschlossenheit und Konsistenz des unterstellten Merkmals „Unfallneigung“. b) Die Minderheiten - oder Unfällertheorie war in ihrer Konzentration auf eine habituelle psychische Dimension „Unfallneigung“ zu einfach und berücksichtigte nicht die prinzipiell vielseitige Bedingtheit und Verursachung von Fehlhandlungen. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler c) Seite 67 Die Mitwirkung habitueller psychischer Leistungsvoraussetzungen an der Gefährdungsentstehung bezieht sich sowohl auf allen oder den meisten Menschen gemeinsame als auch auf individuelle Leistungsvoraussetzungen. Hauptkettenglieder hierbei sind differentialpsychologisch erfaßbare Lücken und Normabweichungen in den Leistungsvoraussetzungen, nämlich a) von gefährdenden Tätigkeiten ausschließende Lücken oder Schwächen in psychophysiologischen Leistungsvoraussetzungen, d) b) zentrale Mängel in der Persönlichkeitsentwicklung, c) Lücken im erforderlichen Wissen bzw. Können; allgemeinpsychologisch nachweisbare Populationsstereotypien. Da es nicht möglich ist, subjektive Fehlhandlungsquellen einschließlich ihrer möglichen konditionellen Teilursachen von den fraglichen dispositionellen Anteilen streng zu isolieren, müssen diese aktuellen Fehlhandlungsbedingungen im Vordergrund der Untersuchung und der Verhütungsintentionen stehen. Es kann als erwiesen gelten, daß eine beträchtliche Anzahl der einen Unfall auslösenden Faktoren mehr oder weniger vorübergehender Natur sind. . e) Mit der Orientierung auf das momentane Fehlverhalten werden zugleich die Ursachen nicht letztlich beim einzelnen, jeweils betroffenen Menschen allein gesucht, sondern die allgemeinpsychologischen Entstehungsmöglichkeiten beachtet. Die Analyse und Bekämpfung von Fehlhandlungen werden über den jeweiligen Menschen hinaus auf die gesellschaftlich bestimmten, objektiven Arbeitsbedingungen orientiert, deren Gestaltung allein vollständige Sicherheit vor gefährlichen Fehlhandlungsfolgen gewähren kann. Dieses sind u.a.: Arbeitsgestaltungsmaßnahmen Ausbildungsmaßnahmen Technische Systeme, die explorierendes Lernen von Erfahrungen ermöglichen Anbieten von Information bereits in einer für die Regulation sinnvollen Weise Ausschluß von Verarbeitungsschritten, welche Fehleransatz - punkte sind oder sein könnten Geeignete Formen der Funktionsteilung zwischen Mensch und Maschine Angepaßte Gestaltung von Anzeige - und Bedienbereichen. 5 Untersuchungen zu menschlichen Fehlleistungen „Wissen und Irrtum entspringen denselben geistigen Quellen, nur der Erfolg kann das eine vom anderen trennen.“ (Ernst Mach, 1906) Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 68 Ziel ist es, die wichtigsten Einflüsse auf die Thesen, die in den folgenden Referaten vorgestellt werden, grob zu umreißen. Der erste Teil wird einen historischen Überblick vermitteln, der vor allem die letzten hundert Jahre behandelt. Im zweiten Teil befassen wir uns mit den Aspekten der menschlichen Kognition, die begrenzte Ressourcen aufweisen, speziell mit der Aufmerksamkeit und dem Kurzzeitgedächtnis. Es handelt sich weitestgehend um Laboruntersuchungen und weisen somit charakteristische Kennzeichen dieser Forschungsmethode auf (naturwissenschaftliche Tradition). Der dritte Teil beschäftigt sich mit der Repräsentation und Einsatz gespeicherten Wissens. Dies geschieht mit spezialisierten Prozessoren, die eher automatische Aspekte des Wahrnehmens, Denkens und Handelns regeln (kognitionswissenschaftliche Tradition). Die beiden Schlußabschnitte behandeln Mechanismen menschlichen Fehlverhaltens, wobei Unterschiede zwischen lokalen Modellen und Rahmenmodellen der Kognition erörtert werden. 5.1 Geschichte 5.1.1 Sully´s Illusionen James Sully war möglicherweise der erste Psychologe der versuchte menschliche Fehler zu klassifizieren und nach Erklärungsprinzipien suchte. 1881 veröffentlichte er das Buch „Illusionen“. Darin gibt er einen breiten Überblick über das Feld des Irrtums. Es handelt nicht nur von Sinnestäuschungen (z.B. physiologische Optik) sondern auch von Täuschungen allgemein, die den Sinnestäuschungen nach Struktur und Art ihres Ursprungs gleichen. Er definierte „Illusion“ als „jede Art von Fehler (Irrtum), welche die Form unmittelbaren augenscheinlichen oder intuitiven Wissens vortäuscht, ob als Sinneswahrnehmung oder anderweitig.“ Er trennte alles Wissen in primäres/intuitives Wissen, worin er vor allem Täuschungen einordnet und in sekundäres/schlußfolgerndes Wissen, was bei ihm Fehler darstellen. Beide Klassen sind sehr ähnlich und somit nicht einfach voneinander zu trennen. Des weiteren postulierte er eine Fehlertaxonomie mit zwei Dimensionen, die erste Hauptdimension besteht aus präsentativen Wissen und repräsentativen Wissen. Das präsentative Wissen ist im besonderen die direkte Wahrnehmung externer Objekte sowie die Introspektion interner Zustände. Das repräsentative Wissen sind vor allem Gedächtnis und Überzeugungen oder Glauben. Die zweite Dimension unterscheidet zwischen aktiv und passiv entstandenen Fehlern. 5.1.2 Die Freudsche Fehlleistung Sigmund Freud begann 1896 seine Suche nach alltäglichen Fehlern. Er sammelte Verständnisfehler, Versprecher, Verschreiber, falsche Wiedergaben und falsche Handlungen. Nach Freuds Überzeugung verraten die scheinbar unwichtigen Fehlleistungen das Vorhandensein von unterdrückten Impulsen im Unbewußten. Sie sind somit versteckte Inhalte, die sich gelegentlich in Sprache, Gedächtnis oder Handlung ausdrücken. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 69 1901 veröffentlichte er das Buch: „The Psychopathology of Everyday Life“, indem er alle gesammelten Alltagsfehler veröffentlichte und zu einem seiner berühmtesten Bücher wurde (bemerkte seine Berühmtheit erst als er auf einer Reise nach Amerika entdeckte, dass sein Kabinensteward dieses Buch las). Später etablierte sich der Ausdruck „ein Freudscher Versprecher“. 5.1.3 Meringer und Sprachfehler Meringer (1895) führte die erste große Studie über Sprachfehler durch. Im Zuge dessen entdeckte er bis 1908 etwa 8000 Versprecher und Verschreiber, die heute noch mancher Forscher zu Rate zieht (Meringer wurde für sein unerbittliches Befragen von Sprechern, denen in seiner Gegenwart Versprecher unterliefen so berüchtigt, daß die Leute begannen vor ihm zu flüchten). 5.1.4 James, Munsterberg und Jastrow James lieferte durch die Veröffentlichung von „Principles of Psychology“ (1890) Beschreibungen kognitiver Alltagsfehler und viele notwendigen Elemente für eine Theorie menschlicher Fehlleistungen. Ein Zitat von ihm lautete: „Gewohnheit verringert die bewußte Aufmerksamkeit, mit der wir unsere Handlungen ausführen.“ Munsterberg, der durch James Hilfe zum Professor ernannt wurde, beschäftigte sich mit der Psychologie von Augenzeugenberichten (1908). Jastrow (1905) veröffentlichte 300 Fehler des Unbewußten, vor allem Fehler bei der Ausführung von Handlungen („slips of action“) und interessierte sich auch für fehlerhafte Verhaltensweisen, bei denen Wunsch und nicht Vernunft Vater des Gedanken ist. 5.1.5 Die gestaltpsychologische Tradition Aus dem Gedankenaustausch 1912 in Frankfurt von Max Wertheimer, Wolfgang Kohler, Kurt Koffka bildete sich die neue Gestalttheorie heraus. Die drei jungen Männer wollten die Psychologie von der Wundtschen Vorherrschaft der elementaren Wahrnehmung, Emotionen und Vorstellungen und deren Verbindungen befreien. Sie waren der Überzeugung, daß psychologische Phänomene immer mehr als die Summe der Teile sind aus denen sie bestehen. Die Teile determinieren nicht das Ganze sondern werden vom Ganzen bestimmt. Sie nahmen an, daß Gestalt, Ganzheit und Ordnung, nicht Empfindungen und deren Verbindung primäre Einheiten von Erleben sind. Auch sind Sinneseindrücke keine passiven photographischen Eindrücke sondern eher aktiv beeinflußt durch das Interesse des Beobachters und sowie die innere Tendenz Teile zu einer Gesamtfigur zu passen Die Gestalttheorie führte unbeabsichtigt auch zu Annahmen über Fehlertheorie und hatte immensen Einfluß auf das heutige Denken über kognitive Funktionen. So entwickelten Kurt Lewin in den Bereichen Handlung, Entscheidungsfindung, Motivation, Persönlichkeit und Sir Frederic Bartlett in Studien zu Gedächtnis, Denken, eingeübte Fertigkeiten die Erkenntnisse aus der Theorie weiter. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 70 5.1.6 Neuropsychologen Lashley und Head Der erste Weltkrieg „förderte“ die Forschung im Bereich psychischer Störungen die mit Gehirnverletzungen zusammenhängen. Lashley (1917) konnte anhand von Verletzungen eines Soldaten seine Kenntnisse über Hirnfunktionen erweitern. Er kam zu dem Schluß, dass Bewegungen zentral gesteuert sind und ohne Feedback auskommen (Bewegung s - Programme) und erkannte dies aus charakteristischen Fehlern die bei der Untersuchung vorkamen. Im Gegensatz dazu war James (1890) der Meinung, daß Handlungen peripher gesteuert sind oder durch Rückkopplung. Head (1920) führte das Schema–Konzept ein. Es besagte, daß jede Änderung der Körperhaltung, wenn sie ins Bewußtsein gerät schon mit ihrer Relation zu dem, was vorher passierte, verrechnet ist. Man hat eine Art von innerem Maßstab. Das Schema - Konzept wurde durch Bartlett weiterentwickelt. 5.1.7 Bartlett und Schemata Bartlett bediente sich der Schemata zur Erklärung systematischer Fehler die bei der Wiedergabe von Bildern und Texten deutlich wurden. Er fand, daß Versuchspersonen Erinnerungen banalisieren, nach ihren Erwartungen vereinfachen und mit schon vorhandenen Wissensstrukturen verknüpfen. Das ist das Resultat meist unbewußter Prozesse. Bartlett definiert den Schema - Begriff als aktive Organisation von vergangenen Reaktionen oder Erfahrungen, von deren Wirksamwerden man in jeder gut angepaßten organischen Reaktion grundsätzlich ausgehen muß. Das heißt, wann immer im Verhalten eine Ordnung oder eine Regelmäßigkeit liegt, ist eine bestimmte Reaktion nur möglich, weil sie mit anderen ähnlichen Reaktionen in Zusammenhang steht, die seriell aufgebaut sind, doch die nicht nur wie einzelne Elemente einer Serie nacheinander, sondern als einheitliche Masse zum Einsatz kommen. Bartlett sieht drei fundamentale Aspekte von Schemata: unbewußte geistige Strukturen organisiert auf der Basis vergangener Erfahrungen, das LZG enthält aktive Wissensstrukturen. Somit sind Erinnerungsverzerrungen die Tendenz präsentiertes Material mit den Kennzeichen früherer Erfahrungen zu interpretieren. Schlußfolgernd kann man sagen, daß Bartlett die atomistischer Sichtweise geistiger Prozesse stark ablehnt. 5.1.8 Die Flaute Mit dem zweiten Weltkrieg ging dann das Zentrum der Psychologie nach Amerika. Watson´s Lerntheorien kamen auf und er veröffentlichte das Behavioristisches Manifest (1913) Man nannte es auch das Zeitalter des „ice - age“, in dem alles Geistige unterdrückt wurde. Begriffe wie Wille, Bewußtsein, Vorstellungen, Intention und Absicht verschwanden und mit diesem Untergang ging alles was mit Fehlertheorie zu tun hatte auch für die nächsten 20 Jahre unter. Die Psychoanalyse übte Einfluss auf den Rest aus, besonders auf Laienverständnis und in der Regenbogenpresse. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 71 Aber das Interesse an menschlichen Fehlern wurde wiederbelebt durch zweiten Weltkrieg als man „intelligente“ Maschinen brauchte. Es kam in Folge zum Informations - Verarbeitungs - Ansatz der menschlichen Kognition auf zwei Varianten untersuchte, als erstes in der naturwissenschaftlichen Tradition und als zweites in der kognitionswissenschaftlichen Tradition. 5.2 Die naturwissenschaftliche Tradition Diese Tradition ist hauptsächlich durch die experimentelle Psychologie im Labor geprägt. 5.2.1 Gerichtete Aufmerksamkeit und Nadelöhrtheorien In den 50er/60er versuchte man das „Nadelöhr“ in Informationprozessen zu finden. Man nahm an, daß der Mensch ein Kommunikationssystem mit nur begrenzter Kapazität an bestimmten Stellen hat. Dazu gab es folgende zwei wichtigen Ansätze, der Ansatz der frühen Selektion (Broadbent et al., 1958) bei dem ein Reizinput sensorisch identifiziert wird und dann schon gefiltert wird, später semantisch verarbeitet wird, danach die Reaktionsauswahl und die Reaktion erfolgt. Im Unterschied dazu gibt es den Ansatz der späten Selektion (Deutsch & Deutsch, 1963) bei dem erst nach der semantischen Identifikation ein Filter angenommen wird. Der zweite Ansatz wird empirisch stärker gestützt, aber beide wurden bereits kritisiert. Es gab frühe Studien in denen Aufgaben mit und ohne Störungen gegeben wurden und Aufgaben die simultan von zwei oder mehr Informationsquellen repräsentiert wurden und die aber die selektive Durchführung nur einer Aufgabe zum Ziel hatten, wobei die andere ausgeblendet wurde. Beispiele sind dichotomes Hören oder kurze Präsentationen visueller Stimuli. Man fand, daß die Versuchspersonen sehr gut im Durchführen einer von zwei physikalisch unterschiedlichen konkurrierenden Informationsquellen sind, besonders wenn die zu vernachlässigende Quelle klar ist. Aber die Selektivität ist nicht perfekt. Ausnahmen sind sogenannte „breakthrough’s“, wie z.B. den eigenen Namen im aufmerksamkeitsabgewandten Ohr hören. Der Aufmerksamkeitmechanismus scheint also auch Signale zu entdecken, denen gerade nicht Aufmerksamkeit geschenkt wird. Diese Experimente zeigen, daß das Wechseln der Aufmerksamkeit Zeit braucht. Die Selektivität ist besonders eingeschränkt beim dichotomen Hören kurzer Botschaften. Die Selektivität ist wahrscheinlich am effektivsten, wenn der Inhalt der beachteten Nachricht zusammenhängend organisiert ist, was eine fortlaufende Anordnung der Signale und eine gewisse Vorausschau erlaubt. 5.2.2 Geteilte Aufmerksamkeit und Ressourcentheorien Im Gegensatz zu selektiven Aufmerksamkeitsaufgaben, bei der die Vpn ihre Aufmerksamkeit auf eine der vorhandenen Informationsquellen richten sollte geht es hier um parallele Verarbeitung von Reizaspekten, wobei nur begrenzte Energiemenge zur Verfügung steht, die auf verschiedene Aktivitäten verteilt werden muß. Selektivität ist also Ausdruck der Verteilung einer Ressource. Durch diese Annahme muss ein Filtermechanismus nicht postuliert werden. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 72 Man schlußfolgert daraus, daß Interferenz an verschiedenen Stellen auftreten kann, sie ist nicht auf einen speziellen Punkt festlegbar. Broadbent behauptet, daß die Hauptinterferenz zwischen zwei Aufgaben an dem Punkt ist, wo sie am meisten für dieselben Funktionen konkurrieren. Es gibt verschieden Ausprägungen von „dual task“ – Interferenzen. Es kann zum vollständigem Zusammenbruch einer der Tätigkeiten kommen, die Tätigkeit wird langsamer oder mit verminderter Leistung ausgeführt oder die Elemente der Aufgaben werden von der einen zu anderen Aufgabe verlagert oder beeinflussen sich gegenseitig (Long, 1975; Kinsbourne & Hicks, 1978). 5.2.3 Theorien mit Mehrkanalprozessoren Allport et al. 1976 stellten fest, daß sehr geübte Versuchspersonen minimale Interferenz bei zwei grundlegend verschiedenen Aufgaben zeigten. Diese Befunde führten zu einer Sichtweise der menschlichen Informationsverarbeitung, die sich Mehrkanalprozessor – Theorie nennt. Sie besagt, daß Aufgaben durch unabhängig spezialisierte Prozessoren gelöst werden und Interferenz nur auftritt wenn beide Aufgaben denselben Basis – Prozessor benötigen. Später kritisierte Allport die kognitiven Theorien (besonders Nadelöhr und Prozesstheorien), weil diese einen beschränkten zentralen Prozessor dafür verantwortlich machen (Hierarchieaufbau). Er spricht sich für Modelle aus, die auf verteilten heterarchischen Architekturen aufbauen, die aus einer Gruppe spezialisierter Prozessoren bestehen, ohne zentrale Verwaltung. 5.2.4 Die Eigenschaften des primären Gedächtnisses Zum Kurzzeitggedächtnis, auch primäre Gedächtnis genannt gab es bisher vor allem Laboruntersuchungen. 1905 entdeckte Wundt, daß die meisten Menschen über eine unmittelbare Gedächtnisspanne von circa 7 unverbundenen Elemente verfügen. Neuere Untersuchungen haben gezeigt, daß sich diese Spanne auf unterschiedliche Weise verändern kann. Wenn die Items nach Bedeutung gruppiert werden kann die Gedächtnisspanne ausgedehnt werden, man nennt dies auch Bildung von Chunks (Miller, 1956). Die Gedächtnisspanne kann sich auch vergrößern, wenn ähnlich klingende Items erinnert werden sollen. Das nennt man den akustischen Ähnlichkeitseffekt (Conrad, 1964). Daß es eindeutige Beziehung zwischen der Gedächtnisspanne und der Wortlänge gibt fanden Baddeley et al. 1975. Je länger die Wörter, desto geringer war die Gedächtnisleistung (Wortlängeneffekt). Außerdem hängt die Erinnerungsleistung davon ab an welcher Stelle die Items gelernt werden. Wenn Items am Ende einer Folge besser erinnert werden spricht man vom Recency – Effekt. 5.2.5 Das Konzept des Arbeitsgedächtnisses Eine Sichtweise des Kurzzeitgedächtnisses ist die des Arbeitsgedächtnisses (Baddeley & Hitch, 1974). Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 73 Zentrale Exekutive Artikulationsschleife räumlich - visueller Notizblock Das Modell besteht aus 3 Komponenten. Die erste Komponente ist die Steuerfunktion oder auch zentrale Exekutive genannt. Es handelt sich dabei um eine Kontrollressource mit begrenzter Kapazität, die eng mit Aufmerksamkeit und Bewußtsein assoziiert ist. Des weiteren gibt es zwei abhängige Sklavensysteme, die Artikulationsschleife in der Laute immer wieder wiederholt werden und den räumlich–visuellen Notizblock, in dem bildhafte Infos gespeichert werden. Konkurrenz verschiedener Ressourcen besteht durch die aktive Verarbeitung selbst und das Behalten (passiver Speicher) von Daten, die bei der Verarbeitung entstehen. Zur kognitiven Entlastung des Arbeitsgedächtnisses wurden durch den Mensch bereits Strategien und Heurismen entwickelt. 5.3 Die kognitionswissenschaftliche Tradition 5.3.1 Zeitgenössische Schematheoretiker Schon 1932 hat Bartlett mit Hilfe einer Untersuchung zur Nacherzählung von Geschichten herausgefunden, daß wir eine bestimmte Vorstellung von Abläufen und Situationen besitzen. Er stellte fest, daß die Versuchspersonen sich einen „roten Faden“ durch die gehörte Geschichte spinnen, daß sie nach eigenem Verständnis und eigener Logik Items verdrehen und häufig nebensächliche Details vergessen. Den Grundgedanke, daß der Mensch verschiedene Schemata verinnerlicht hat, die als komplexe übergeordnete kognitive Strukturen definiert werden, die allen Aspekten menschlichen Geschicks und Wissens zugrunde liegen, griffen 30 Jahre später u. a. Minsky, Rumelhart und Schmidt wieder auf. Minsky legte bei seiner Betrachtungsweise die Betonung auf Wahrnehmung und in welcher Art und Weise Information verschlüsselt und gespeichert wird. Sein Modell läßt sich mit der Arbeitsweise eines Computers vergleichen, der vorgefertigter Wissenstrukturen benötigt, da das angemessenes Erkennen dreidimensionaler Szenen allein auf der Basis der momentanen Inputmuster nicht möglich ist. Auf den Mensch bezogen, geht er davon aus, daß er von seiner Umwelt bestimmte Schemata abgeleitet hat, die es ihm erlauben, zu antizipieren was geschehen wird oder wie verschiedene Situationen ablaufen werden. Da die Welt aus vielen „Regelmässigkeiten“ besteht, erlauben ihm Schemata als Prototypen der Erfahrung schnelles und automatisches Handeln. Demzufolge kann es aber auch sehr leicht geschehen, daß Wahrnehmungen, Erinnerungen, Gedanken und Handlungen eine Fehlertendenz in Richtung des Gewohnten und Erwarteten haben. Rumelhart beschäftigt sich eingehender mit Textverständnis und Speicherung von Geschichten. Er definiert Schemata als „Datenstrukturen zur Repräsentation übergeordneter, im Gedächtnis gespeicherter Konzepte“. Hinsichtlich Textverständnis nimmt er eine Interaktion zwischen ‚top - down‘ schemageleitete Verarbeitungsprozessen und ‚bottom - up‘ datengeleiteten Verarbeitungsprozessen an. Erkennt der Leser das Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 74 Schema des Textes, wird er den Text verstehen. Kann er kein eigenes Schema finden oder interpretiert er ein anderes in den Text hinein, dann wird der Text nicht verstanden oder fehlinterpretiert. Weiterhin geht Rumelhart davon aus, daß Schemata auf sehr hohem Level Schemata auf niedrigerem Level als Teilkomponenten (Geschäftsgebäude – Büro - Schreibmaschine, Computer...) besitzen. Schemata verleihen bei der Enkodierung und Repräsentation dem Wahrnehmungserleben Struktur und bestimmen, welche Information gespeichert und abgerufen wird. Die schlußfolgernden und interpretativen Funktionen die dabei unbewußt auftreten, gehen über die vorliegenden Informationen hinaus und erlauben somit, fehlende Daten zu kompensieren. Die Eigenschaften der Funktion von Schemata können je nach Umständen nützlich sein oder unter anderen Umständen das System auch anfällig machen. Es gibt drei systematische Fehler die entstehen können: a) Zum einen kann eine Datenzuordnung zu einem falschen Schemata erfolgen. b) Es kann aber auch trotz dem richtiges Schema zu einer zu enthusiastischen Verarbeitung kommen, bei der mangelnde Information mit falschen Vermutungen aufgefüllt wird. c) Oder man verläßt sich zu stark auf aktive oder augenfällige Schemata Die meisten schemabezogenen Fehlertendenzen lassen sich durch ein einziges Prinzip erklären: Ein Schema sagt nur etwas darüber aus, wie eine bestimmte Sammlung von sensorischen Inputs aussehen sollte, aber nicht, wie sie nicht beschaffen sein sollten. 5.3.2 Das Aufmerksamkeits - Handlungsmodell von Norman und Shallice Bei diesem Modell handelt es um eine Handlungstheorie, die davon ausgeht, daß eine angemessene Theorie des menschlichen Handelns nicht nur korrekte Handlungsausführung, sondern auch die am ehesten vorhersagbaren Ausprägungen der menschlichen Fehlleistungen erklären sollte. Norman und Shallice haben ein Kontrollsystems ausgearbeitet, das nicht nur die weitgehenden Autonomie der fest verankerten motorischen Programme zuläßt, sondern auch der Tatsache Rechnung trägt, daß die meisten unserer Handlungen plangemäß verlaufen. Ihr Modell schließt 2 Arten von Kontrollstrukturen ein. 1) horizontal threads (Fäden) : Diese bestehen jeweils aus einem selbständigen Strang spezialisierter Prozeßstrukturen (Schemata), die Gewohnheitsabläufe steuern bei denen keine unmittelbare Moment – zu – Moment Aufmerksamkeitskontrolle notwendig ist. 2) vertical threads: Diese interagieren mit den horizontalen threads, und werden in dem Moment notwendig, wenn Zusatzinformation zum Handeln erforderlich wird. Sie ermöglichen, daß aufmerksamkeitsbezogene oder motivationale Faktoren die Aktivationswerte der Schemata modulieren 5.3.3 Normative Theorien und ihr Verlust an Einfluß In den 50er und 60er Jahren war man der Auffassung, daß Menschen genau wissen was sie wollen und auch den optimalen Handlungsweg kennen, um ihr Ziel zu erreichen. Fehler die auftreten können, sind nur auf mangelnde Aufmerksamkeit oder mangelnder Rationalität zurückzuführen. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler 5.3.3.1 Seite 75 Begrenzte Rationalität Die subjektive Erwartungs – Nutzen – Theorie die in dieser Zeit aufgestellt wurde, ist mittlerweile mehrfach widerlegt. Man kann prinzipiell nicht davon ausgehen, daß der Mensch ein rationaler Wahrscheinlichkeitstheoretiker ist, der sich alle seine Handlungsalternativen genau überlegt und dann den optimalen Handlungsweg mit Erwartung des größten Nutzens herausgreift. Bei vielen Entscheidungen ist der sogenannte „Schlüssellochblick“, also ein sehr eingeschränkter Blickwinkel wesentlich wahrscheinlicher. Diese sogenannte begrenzte Rationalität entsteht hauptsächlich durch die Begrenztheit des bewußten Arbeitsspeichers. Ein weiterer Gesichtspunkt, der gegen diese Theorie spricht, ist auch die Tatsache, daß Handlungen im nachhinein oft schwer nachzuvollziehen und logisch zu begründen sind. Der subjektive Nutzen ist sehr stark momentabhängig und variiert von einem Entscheidungstyp zum nächsten. Die grundlegende Begrenzung menschlicher Informationsverarbeitung bringt insgesamt ein zufriedenstellendes Verhalten hervor, also die Tendenz sich eher für Befriedigung als für einen optimalen Handlungskurs zu entscheiden. Dies gilt sowohl für die individuelle als auch für die kollektive Entscheidungsfindung. 5.3.3.2 Unvollständige Rationalität In den 60er und frühen 70er Jahren richtete sich das Interesse vor allem auf das Kurzzeitgedächtnis und das Problem der selektiven Aufmerksamkeit. Wason interessierte sich z.B. dafür, wie Leute aus Anhaltspunkten explizite Schlüsse ziehen. Fragen die auftraten waren unter anderem: - Warum versagen hochintelligente Menschen oft bei einfachen Aufgaben? - Warum gehen Menschen gerne mit zustimmenden Aussagen um, finden es aber äußerst schwierig negativen Aussagen zu verstehen? (‘Idols of tribe‘, Bacon) - Warum ist die Bestätigung von Verallgemeinerungen einfacher als ihre Falsifikation? Es gibt eine Reihe verschiedener Phänomene dieser Art und die meisten Fehler können mit einem einzigen Prinzip erklärt werden. „Immer wenn zwei verschiedene Dinge oder Klassen von Dingen sich eins – zu – eins in Entsprechung bringen lassen, dann wird der Schlußfolgerungsprozeß bereitwillig vollzogen, ob er nun logisch gültig oder unzulässig ist“ (Wason & Johnson - Laird, 1972). Es handelt sich hierbei um das Phänomen des „similarity - matching“. 5.3.3.3 Urteilsheuristiken und Urteilsverzerrungen Wenn der Mensch ein Urteil von Wahrscheinlichkeiten unsicherer Ereignisse abgeben soll, verhält er sich nicht wie ein konservativer Bayesianer (Berücksichtigung der Vor - oder Hintergrundinformation, der spezielle Befundlage und der bekannte Diagnosekraft des Instrumentes), sondern er benutzt verschiedene Heuristiken, um eine Vereinfachung komplexer Aufgaben zu erreichen. Besonders zwei Heuristiken haben einen starken Einfluß auf eine ganze Breite von Beurteilungsaufgaben: die Verfügbarkeitsheuristik (Dinge Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 76 werden um so häufiger eingeschätzt, je leichter sie einem einfallen) und die Repräsentationsheuristik (Ähnliches verursacht Ähnliches). Die Anwendung von Heuristiken kann oft sehr nützlich sein, kann aber auch zu schweren und systematischen Fehlern führen. 5.3.4 Rationalität wider Willen Bei Aufgaben, die sehr viel Aufmerksamkeit und Willensstärke beanspruchen, wird ebenfalls versucht, die kognitive Beanspruchung zu minimieren, in dem verschiedene Strategien benutzt werden. Wenn Personen sich z.B. entscheiden sollten, welche Exemplare zu einer Klasse gehören und welche nicht, griffen sie auf das Kriterium der Plausibilität zurück. Das heißt, sie bevorzugen Schlüsselmerkmale, die sich in der Vergangenheit als nützlich erwiesen hatten. Dies ist ein Teil einer allgemeineren Strategie der Prognose auf der Basis der Beharrlichkeit – persistence – forecasting. Da die Welt ein großes Maß an Regelmässigkeiten aufweist, versucht man also häufig Strategien oder Lösungsmöglichkeiten anzuwenden, die schon zum Erfolg geführt haben, benutzt dabei oftmals allerdings nur bestimmte Hinweise und richtet den Blick nicht konsequent auf eigentliche aktuelle Gegebenheiten. Diese Strategie ist oft sehr hilfreich, kann sich aber auch als sehr kostspielig bei neuen oder ungewöhnlichen Situationen und Problemen herausstellen. 5.3.5 Irrationalität und die kognitive ‚Gegenreaktion‘ Teilweise erwies sich das Interesse an diesen suboptimalen Varianten der menschlichen Rationalität als eine kognitive ‚Gegenreaktion‘ auf frühere motivationale Interpretationen der menschlichen Fehlbarkeit. Die meisten Fehler haben nicht ihren Ursprung in dem tiefen irrationalen Aspekt unserer Natur, sonder in „redlichen, emotionslosen Gedankenprozessen“. Nisbett und Ross sind der Meinung, daß sich sogar ganz offensichtlich irrationale Tendenzen, wie z.B. Rassenhaß, durch nichtmotivationale Faktoren erklären lassen. Eine Erklärung die sie für dieses Verhalten fanden ist der fundamental attribution error (Disposition vs. Situation). Aber es gibt auch eine Reihe von Fehlverhalten, daß nicht nur allein durch kognitive Neigungen allein erklärt werden kann. Betrachtet man z.B. das Phänomen des Gruppendenkens, wird vor allem an geschichtlichen Beispielen deutlich, daß Gruppendynamik unter anderem zu echter Irrationalität in Plannungsprozessen führen kann. Hier ist allerdings zu berücksichtigen, daß andere Faktoren, wie z.B. die willentliche Unterdrückung von Information, auch eine wesentliche Rolle spielen. Zusammenfassend ist festzuhalten, daß immer beide Aspekte, sowohl Kognition als auch Motivation berücksichtigt werden sollten. 5.3.6 Der ‚General Problem Solver‘ Bei diesem Modell handelt es sich um ein regelbasiertes Computermodell von Newell und Simson. Versuchspersonen wurde ein Problemgebiet mit der Aufforderung vorgestellt, ihren Weg zur Lösung laut zu durchdenken. Aus diesen verbalen Protokollen erstellten Newell und Simson ein allgemeines Problemlösungsmodell. Die Grundproblemlösestrategie des GPS ist die Mittel – Ziel – Analyse: 1) Zielsetzung (auf hohem Level) 2) Schauen nach Unterschieden zwischen dem momentanen Zustand und dem Zielzustand Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 77 3) Suchen einer Methode, die diese Differenz verringern kann 4) als Zwischenziel: Anwendung der Methode 5) rekursives Anwenden von Mittel – Ziel – Analysen, bis der Endzustand erreicht ist 5.3.7 Die Grundstruktur von Rasmussen: Fähigkeit – Regel – Wissen Dieses fehlerorientierte Modell zielt vorwiegend auf sehr ernste Fehler die in der Kontrollaufsicht von Industrieanlagen begangen werden, besonders während Notfällen in riskanten Prozessanlagen ab. Es ist von dem GPS deutlich beeinflußt und auch aus verbale Protokolle von Technikern, die als elektronische Störungssuchern beschäftigt waren, entstanden. Die 3 - geteilte Unterscheidung von Ausführungsebenen – Fähigkeit – Regel – Wissen – wurde praktisch zu einem Marktstandard bei denen, die sich mit der Zuverlässigkeit von Systemen befassen. Die drei Ebenen gehen mit Abnahme an Vertrautheit mit der Umgebung oder der Aufgabe einher. 5.3.7.1 Fähigkeitsbasierte Ebene Leistung wird hier von gespeicherten Mustern aus vorprogrammierten Instruktionen die als analoge Strukturen in einem raumzeitlichen Funktionsbereich repräsentiert sind bestimmt. Fehler die auf dieser Ebene auftreten können, sind auf die wesentliche Variabilität der Kraft - , Raum - oder Zeitkoordination bezogen. 5.3.7.2 Regelbasierte Ebene Auf dieser Ebene werden ähnlichen Problemen in Angriff genommen, bei denen die Lösung durch gespeicherte Regeln vom Typ if (state) then (Diagnose oder entsprechende hilfreiche Reaktion) erfolgt Fehler entstehen durch Fehleinschätzung der Situation und dadurch bedingte falsche Anwendung der Regeln oder durch unzutreffenden Abruf der Prozeduren. 5.3.7.3 Wissensbasierte Ebene Diese Ebene kommt bei neuen Situationen ins Spiel, bei denen Handlungen unmittelbar geplant und bewußte analytische Prozesse und gespeichertes Wissen benutzt werden müssen. Fehler entstehen durch begrenzte Ressourcen (‚beschränkte Rationalität‘) und durch unvollständiges oder fehlerhaftes Wissen. Rasemussen geht von 8 Phasen des Entscheidungsprozesses aus: Aktivierung, Beobachtung, Identifikation, Interpretation, Bewertung, Zielbestimmung, Verfahrenauswahl, und Ausführung Diese Schritte müssen aber nicht in einer linearen Abfolge erfolgen, sondern es sind Sprünge wie im wirklichen Leben möglich. Diese ‚Abkürzungen‘ sind normalerweise sehr effiziente aber situationsspezifische stereotypische Reaktionen, bei denen die Beobachtung des Systemzustands automatisch zur Auswahl einer Prozedur ohne die langsame anstrengende Intervention der wissensbasierten Prozesse führt. Er nennt sein Modell auch Trittleitermodell. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 78 5.3.8 Rouses Modell der ‚fuzzy‘ - Regeln Dieses Modell ist von Rasmussen und dem GPS - Modell beeinflußt und läßt sich sehr gut mit dem Zitat von Rouse „Menschen verhalten sich, wenn sie die Wahl haben, lieber wie kontextspezifische Mustererkenner, als daß sie versuchen, zu berechnen oder zu optimieren“, zusammenfassen. Rouse hat 2 Arten von Problemlöseregeln aus zwei verschiedenen Suchstrategien bei der Ursachenfindung für einen Defekt abgeleitet, die beide die Form wenn (Situation), dann (Handlung) haben. 1) Symptomatische Strategie: Bei dieser Strategie erfolgt die Identifikation des Problems, in dem man lokale Anzeichen des Systems mit der gespeicherten Repräsentation eines Musters von Anzeichen für einen bestimmten Fehlerzustand zum Abgleich bringt. Symptom - Regeln arbeiten schnell und ziemlich unaufwendig hinsichtlich Abruf und Anwendung. Bsp.: Wenn (der Motor springt nicht an und der Anlasser dreht sich und die Batterie ist nicht leer) dann (nachsehen, ob Benzin im Tank ist). 2) Topographische Strategie: Hier erfolgt die Diagnose aus einer Reihe von Einschätzungen der Art gut/schlecht, die sich auf die Lage oder auf den Einflußbereich jeder einzelnen Systemkomponente beziehen. T - Regeln müssen nicht auf bestimmte Systemkomponenten Bezug nehmen, sondern erfordern den Zugang zu einem mentalen oder faktischen Bauplan des Systems und die Berücksichtigung der strukturellen und funktionalen Beziehungen zwischen den Einzelteilen. Bsp.: Wenn (der Output von X ist nicht in Ordnung und X hängt von Y und Z ab, und von Y weiß man schon, daß es funktioniert) dann (überprüfe Z) Die beiden Gruppen unterscheiden sich vor allem in zwei wichtigen Aspekten: 1) Abhängigkeit von situationsspezifischer gegenüber kontextfreier Information 2) Die symptomatische Strategie verläßt sich auf vorgefertigte Regeln, während die topographische Strategie eine Ableitung von Regeln im Zuge der wissensbasierten Verarbeitung darstellt. Das entscheidende Merkmal des Modells liegt in der Behauptung, daß Problemlöser zuerst versuchen S Regeln zu finden und anzuwenden, bevor sie sich auf die Suche nach den anstrengenden und die Ressourcen angreifenden T - Regeln begeben. Das Modell läßt sich mathematisch mit Hilfe der ‚fuzzy - set‘ - Theorie darstellen und modellieren. Mögliche anwendbare Regeln müssen auf die Möglichkeit hin bewertet werden, in den fuzzy sets der verfügbaren, anwendbaren, nützlichen und einfachen Regeln enthalten zu sein. Die Wahl einer Regel ist sehr stark von der Häufigkeit und der zeitlichen Nähe ihrer erfolgreichen Anwendung in der Vergangenheit beeinflußt. Das Modell von Rouse vereinigt in sich mindestens zwei Fehlertendenzen: 1) Vergessen der Stelle, an der man sich bei der Fehlersuche befindet Es kann sehr leicht passieren, daß Zwischenschritte vergessen oder unnötig wiederholt werden. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 79 Diese Fehlertendenz kann durch die begrenzte Kapazität des Kurzzeitgedächtnisses erklärt werden 2) ‚Gefangennahme‘ durch ein starkes Schema Hierbei kann eine unangemessene Übernahme von leicht verfügbaren, aber irrelevanten Mustern erfolgen. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 80 5.3.9 Der neue Konnektionismus: PDP - Modelle Dieses Modell basiert auf der Vorstellung, daß das menschliche Gedächtnis wie ein parallel verteiltes Verarbeitungssystem aufgebaut ist („parallel distributed processing“). Es hat seine Anregung in der Neurologie gefunden und postuliert die Existenz einer sehr großen Zahl von Verarbeitungseinheiten, die zu Modulen organisiert sind. Die Elemente sind untereinander stark vernetzt und interagieren vorwiegend durch die wechselseitige Beeinflussung ihrer Aktivität durch Erregung und Hemmung. Das Ziel der neueren PDP - Modelle bestand in der Lösung einer zentralen Dilemmas in Theorien zum menschlichen Gedächtnis: Wie stellt das Gedächtnis sowohl die generalisierten (oder prototypischen) Aspekte von Objekt - oder Ereignisklassen als auch die spezifischen Merkmale einzelner Objekt - oder Ereignisexemplare dar? Dieser Ansatz bietet einen charakteristischen Gegenpol zu den regel - oder konzeptbasierten Modellen. Es handelt sich hierbei um ein adaptives System, das ständig versucht, sich selbst so zu konfigurieren, daß es auf die einkommenden Daten paßt. Es ist ein flexibles und dennoch starres System, daß versucht, die einkommende Daten mit Mitteln bestehenden Wissens und bestehender Konfigurationen abzubilden. Dabei wird keine perfekte Anpassung, nur zu jedem Zeitpunkt die bestmögliche erwartet. Je besser die Anpassung, desto stabiler das System. Das System speichert die einzelnen Ereignisse übereinander und obwohl es weder über Klassifikationsregeln noch über Generalisierungsregeln verfügt, kann sich dennoch so verhalten, als ob diese Regeln vorhanden wären. Diese Modelle liefern glaubwürdige Erklärungen für Fehleinschätzungen auf der Basis von Ähnlichkeit, Häufigkeit und Bestätigung 5.3.10 Baars´ GW - Modell Bei dem Modell von Baar handelt es sich um ein Modell eines globalen ‚workspace‘. Es nimmt vorwiegend einen Informationsverarbeitungsstandpunkt ein, wobei den kognitiven Pannen besondere Aufmerksamkeit gilt und es schließt auch neurophysiologische und klinische Befunde mit ein. Die menschliche Kognition wird als ein parallel verteiltes Verarbeitungssytem betrachtet, das aus einer ausgedehnten Ansammlung von spezialisierten Prozessoren besteht, die alle Aspekte der geistigen Funktion abdecken. Für diese Prozessoren ist kein zentraler Mechanismus notwendig, der eine Ausführungskontrolle über sie ausübt, aber es ist ein ‚zentraler Informationsaustausch‘ erforderlich, um ihre Aktivitäten im Hinblick auf die verschiedenen, ineinander eingebetteten Zielstrukturen (Pläne) zu koordinieren. Diese Rolle übernimmt das Arbeitsgedächtnis = ‚global workspace‘. Die spezialisierten Prozessoren konkurrieren miteinander um den Zugriff auf den GW auf der Grundlage ihrer augenblicklichen Aktivationshöhe. Sind sie einmal dort angelangt, können sie das gesamte System beeinflussen und das Bewußtsein bringt die jeweils aktuellen Inhalte des GW zum Ausdruck. Die stabilen Komponenten einer globalen Repräsentation werden als Kontext bezeichnet, weil diese Komponenten andere Prozessoren veranlassen, sich gemäß dieser lokalen Zwänge zu organisieren. Diese Arbeitsgedächtnis entspricht weitgehend dem Kurzzeitgedächtnis und den Komponenten mit begrenzter Kapazität im kognitiven System. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 81 5.4 Neuere Trends in der kognitiven Theoriebildung Die Psychologie der Neuzeit ist vor allem durch eine Fülle von kleinen, datengebundenen Theorien gekennzeichnet, die spezifische Vorhersagen erbrachten. Das Experiment mit seinen genau abgesteckten Variablen eingebettet in Theorien „maßgeschneidert für die kontrollierte Manipulation klar definierter Laborphänomene“ (Reason, 1994), steht dabei im Vordergrund. Im Gegenzug dazu haben in den letzten Jahren eine kleine Zahl kognitiver Psychologen mit Vertretern von Kognitionswissenschaftlern angefangen, vorläufige ‚globale‘ Modelle zu entwerfen, die in bewußt allgemeiner Begrifflichkeit die wesentlichen Merkmale des menschlichen Informationsverarbeitungssystems umreißen. Diese Entwicklung ist weitgehend unbemerkt, obwohl schon das einfache Beispiel der Intelligenzdefinition zeigt, wie wichtig Rahmenvorstellungen für die Eingliederung verschiedener Theorien sind. Die genannten Modelle der globalen Leistungsausführung sollten also nicht anhand allzu enger Kriterien für eine ‚gute‘ Theorie beurteilt werden, sondern es erscheint wichtiger die wesentlichen Unterschiede in ihrer Form und ihrer Absicht zu verdeutlichen, die zwischen diesen umfassenden Ansätzen des kognitiven Systems und den bereichsspezifischen Modellen, die sich aus konventioneller Laborforschung ableiten, bestehen. 5.5 Fazit: Eine Rahmenvorstellung für menschliche Fehlleistungen Die Frage, die sich demzufolge am Abschluß dieser Betrachtungen stellt, lautet: Gibt es so etwas wie eine typische Rahmenbedingung der Kognition am Ende der 80er Jahre? Zusammenfassend kann man auf alle Fälle festhalten, daß viele aktuelle Modelle in den wichtigsten Bereichen eine gemeinsame Basis enthalten. 5.5.1 Arten der Kontrolle Die meisten Rahmentheorien treffen, explizit oder implizit, eine Unterscheidung zwischen: a) kontrollierter oder bewußter Verarbeitung und b) automatischen oder unbewußten Prozessen Die kognitive Aktivitäten werden durch ein kompliziertes Wechselspiel zwischen diesen beiden Kontrollmodalitäten gesteuert, die unter den Überschriften der aufmerksamkeitsbezogenen und der schematischen Kontrolle erörtert werden. 5.5.2 Kognitive Strukturen Zur Theoriebildung über Fehlermechanismen ist es praktisch, zwei strukturelle Merkmale der menschlichen Kognition zu unterscheiden: 1) ‚workspace‘, bzw. das Arbeitsgedächtnis, welches der aufmerksamkeitsbezogenen Kontrolle entspricht und die 2) Wissensbasis, welche mit der schematischen Kontrolle gleichgesetzt werden kann. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 82 5.5.3 Die aufmerksamkeitsbezogene Kontrolle Der Modus der aufmerksamkeitsbezogenen Kontrolle – der weitgehend dem Arbeitsgedächtnis und dem Bewußtsein entspricht - ist begrenzt, sequentiell, langsam und mühsam und kann über einen längeren Zeitraum nur schwer aufrechterhalten werden. Man kann sie sich als sehr stark begrenzten kognitiven Arbeitsbereich vorstellen, in den ausgewählte sensorische Inputs, aber auch die Ergebnisse paralleler Suchprozesse übertragen werden und in dem leistungsfähige Berechnungsoperatoren über einer sehr begrenzten Anzahl diskreter Informationselemente auf größtenteils willkürliche und bewußte Weise zum Einsatz kommen. Als Ergebnis dieser ‚Arbeit‘ können diese Informationselemente transformiert, erweitert oder auf neue Weise miteinander verbunden werden. Die dazu benötigte ‚Energie‘ wird aus einem absolut begrenzten Pool an Aufmerksamkeitsressourcen bezogen. Diese Ressourcenbegrenzung hat natürlich auch den Vorteil der Selektivität. Ein Großteil der Arbeit unter dieser Kontrolle betrifft das Setzten zukünftiger Ziele, die Auswahl von Mitteln, diese zu erreichen, die Überwachung des Fortschritts in Richtung auf diese Zielsetzungen und das Entdecken und Beheben von Fehlern. 5.5.4 Die schematische Kontrolle Die Schematische Art der Kontrolle kann gewohnte Information sehr schnell, parallel und ohne bewußte Anstrengung verarbeiten. Es sind keine Grenzen hinsichtlich der Anzahl von Schemata die gespeichert werden können oder hinsichtlich Dauer der Speicherung bekannt. Für sich alleine genommen ist die schematische Art der Kontrolle allerdings ziemlich uneffektiv, da man davon ausgehen kann, daß eine Situation verschiedenen Schemata aktivieren kann. Aus dieser Überlegung wird die Annahme abgeleitet, daß die gemeinsame Aktivierung dieser einzelnen Schemata zusätzlich von den Outputs des Arbeitsspeichers bestimmt wird. Reicht diese Information nicht aus, wird der Konflikt wahrscheinlich zugunsten der kontextangemessenen und häufig beteiligten Wissenseinheiten gelöst. Schemata sollten also auch durch ungefähre Häufigkeitsangaben entsprechend ihres zuvorigen Einsatzes gekennzeichnet sein. 5.5.5 Aktivation Viele Kognitionstheoretiker glauben, daß man das Auftreten von Handlungsfehlern durch die Annahmen erklären kann, daß a) die spezialisierten Prozessoren nicht auf ‚aus‘ stehen, wenn sie gerade nicht im Einsatz sind, sondern in unterschiedlichen Aktivationszuständen verharren und b) daß sie diese Aktivation auch aus anderen Quellen als dem bewußten Arbeitsbereich enthalten können. Um Schemata zum Einsatz zu bekommen, ist also ein Schwellenlevel an Aktivation notwendig. Die unterschiedlichen Quellen dieser Aktivation lassen sich grob in zwei Klassen aufteilen: a) spezifische Aktivatoren b) allgemeine Aktivatoren Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler 5.5.5.1 Seite 83 Spezifische Aktivatoren Spezifische Aktivatoren bringen ein bestimmtes Schema zu einem bestimmten Zeitpunkt ins Spiel. Der wichtigste Vertreter dieser Klasse ist die intensionale, also absichtliche Aktivität. Wenn ich eine bestimmte Handlung ausführen möchte, habe ich einen Plan oder eine ‚Beschreibung‘ für die beabsichtigte Handlung und je öfter eine Handlung ausgeführt wird, um so weniger benötige ich diese Beschreibung und um so mehr wird eine Routinetätigkeit daraus. Der Nachteil der einmal eingerichteten Handlungs - oder Gedankenroutine besteht darin, daß es des konstruktiven Eingreifens durch die aufmerksamkeitsbezogene Kontrolle bedarf, um Veränderungen zu schaffen. Die Unterlassung dieses Eingreifens in Momenten der gedankenverlorenen Beschäftigung oder Ablenkung ist der häufigste Grund für zerstreute Fehlhandlungen. 5.5.5.2 Allgemeine Aktivatoren Die allgemeinen Aktivatoren liefern die Hintergrundaktivation für Schemata, ungeachtet des jeweiligen intensionalen Zustands. Hier dürfte die Häufigkeit des früheren Zum - Einsatz - Kommens den größten Einfluß haben. Je öfter ein bestimmtes Schema eingesetzt wird, um so weniger benötigt es auf dem Weg zur beabsichtigten Aktivation. Zu den weiteren Faktoren gehören die zeitliche Nähe der letzten Aufrufe und die Merkmale, die ein Schema mit anderen Schemata gemeinsam hat. Ebenso können emotionale Faktoren eine bedeutende Rolle spielen, wenn es darum geht, bestimmte Gruppen von Wissenstrukturen zu aktivieren. 5.6 Literatur Reason, J. (1994) Menschliches Versagen: psychologische Risikofaktoren und moderne Technologien / James Reason. - Heidelberg: Spektrum, Akadem. Verlag 6 Ausführungsebenen und Fehlertypen Um die Ursachen der grundlegenden Fehlertypen beim Menschen zu lokalisieren, soll in diesem Kapitel ein konzeptioneller Rahmen vorgestellt werden, das Generische Fehler - Modellierungs - System (GFMS). Das Modell unterscheidet zwischen drei verschiedenen Fehlertypen und ordnet ihre Ursachen auf drei korrespondierenden Ausführungsebenen ein. Die Struktur leitet sich aus Rasmussens Klassifikation der menschlichen Leistungen in Fähigkeit - Regel Wissen ab. 6.1 Warum die Trennung nach Patzern und Fehlern nicht ausreicht Man unterscheidet in der Fehlerforschung zwischen Patzern, hier laufen Handlungen infolge mangelhafter Ausführung nicht wie geplant ab, und Fehlern, bei denen trotz perfekt plangemäß ablaufender Handlung das gewünschte Ziel nicht erreicht wurde, da der Plan selbst unzulänglich war. Diese Klassifikation entspricht den bedeutsamen Unterschieden in der Ebene der kognitiven Operationen, die an der Fehlerentstehung beteiligt sind; Fehler treten auf der Ebene der Herausbildung einer Absicht auf, Patzer stehen dagegen eher mit den untergeordneten Ebenen der Handlungsauswahl, der Handlungsausführung und der Speicherung einer Handlungsabsicht in Verbindung. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 84 Hieraus ist zu folgern, daß Fehler in ihrer Ätiologie wahrscheinlich komplizierter sind als Patzer und demnach sehr unterschiedliche Formen annehmen sollten. Das ist nicht der Fall, sowohl Patzer als auch Fehler gibt es in der Art „bewährt, aber falsch“, das Fehlverhalten steht also mit den Gewohnheiten aus der Vergangenheit mehr im Einklang, als es aktuelle Umstände erfordern. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 85 Weiterhin finden sich Fehlleistungen, die zwischen die Kategorien der Patzer und Fehler fallen, die also Eigenschaften aufweisen, die beiden gemeinsam sind. Dies soll anhand folgender Fehlhandlungen, die zu Störfällen in Kernkraftwerken führten, veranschaulicht werden: a) Davis - Besse (1985) : Um das Dampf - und Wasser - Unterbrechungskontrollsystem in Betrieb zu setzen, drückte ein Arbeiter aus Versehen die beiden falschen Knöpfe auf der Kontrolltafel, ohne seinen Irrtum zu bemerken. b) Three Mile Island (1979) : Es wurde nicht erkannt, daß das Entlastungsventil des Druckbehälters im offenen Zustand klemmte, laut Schalttafel war der Schalter für des Entlastungsventil auf „geschlossen“. Die Arbeiter schlußfolgerten aus dieser Anzeige, das Ventil sei geschlossen, obwohl dieser Schalter nur den Mechanismus zum Öffnen und Schließen in Gang setzte. Daß diese Mechanismen unabhängig davon versagen konnten (und sie hatten in diesem Fall versagt), daß ein im offenen Zustand steckengebliebenes Ventil durch die Schaltanzeige der Kontrolltafel nicht angezeigt werden konnte, wurde nicht in Betracht gezogen. c) Tschernobyl (1986) : Ein Bedienungsfehler führte dazu, daß die Reaktorkraft deutlich unter 10% des Maximums fiel. Trotz strenger Sicherheitsvorschriften, die jeden Betrieb unter 20% untersagten, setzten die Verantwortlichen den geplanten Testlauf fort. Durch anschließende weitere Verletzungen der Sicherheitsmaßnahmen kam es so zu einer zweifachen Explosion im Reaktorinneren, die die Umhüllung durchbrach und eine große Menge radioaktiven Materials in die Atmosphäre entließ. Das Beispiel a) ist eindeutig als Patzer identifizierbar, die Absicht war angemessen, jedoch wurde die Handlung nicht plangemäß ausgeführt. Auch die Fehlleistung c) ist klar zu klassifizieren, als Fehler, die Handlungen verliefen nach Plan, dieser war aber nicht geeignet, sichere Betriebsbedingungen zu schaffen. Beispiel b) paßt jedoch in keine der beiden Kategorien so richtig hinein, die unsachgemäße Abschätzung des Systemzustandes läßt es als Fehler interpretieren, andererseits wählten die Arbeiter eine Interpretation der Art von „bewährt, aber falsch“, was zum Konzept des Patzers führt. Das Problem bestand vielleicht darin, daß eine unangemessene Diagnoseregel der Art: wenn (Situation X vorliegt) dann (existiert der Systemzustand Y) angewendet wurde. Eine Regel, die in der Vergangenheit von Nutzen war, führte zu einer falschen Reaktion in der vorliegenden (extrem ungewöhnlichen) Situation. Reason löst dieses Problem, in dem er zwischen zwei Arten von Fehlern differenziert: zwischen regelbasierten Fehler und wissensbasierten Fehler. Somit können drei unterschiedliche Fehler bestimmt werden, die jeweils mit einer der drei Ausführungsebenen laut Rasmussen im Zusammenhang stehen: Ausführungsebene Fehlertyp Fähigkeitsbasierte Ebene regelbasierte Ebene wissensbasierte Ebene Patzer und Schnitzer regelbasierte Fehler wissensbasierte Fehler Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 86 6.2 Drei Fehlertypen Es gibt acht verschiedene Dimensionen entlang derer die drei Fehlertypen – der fähigkeitsbasierte, der regelbasierte und der wissensbasierte Fehler – unterschieden werden können. 6.2.1 Art der Aktivität Hier wird unterschieden, ob man sich zum Zeitpunkt des Fehlers aktiv mit der Lösung des bestehenden Problems auseinandersetzt oder nicht. Dies ist nicht der Fall bei den fähigkeitsbasierten Patzern. Auf dieser Ebene erfolgen die Handlungen weitgehend automatisiert und ohne bewußte Kontrolle. Es sind also einfache, routinisierte Aktivitäten in vertrauter Umgebung, die keine Problemlöseprozesse erfordern, bzw. bei denen man sich noch keines Problems bewußt ist. Anders zeigt es sich auf der regel - und wissensbasierten Ebene. Hier ist man sich dem Bestehen eines Problems (z.B. einem unvorhergesehenen Ereignisses) bewußt. Infolgedessen entstehen die Fehler bei den nachfolgenden Problemlösungsversuchen. 6.2.2 Richtung der Aufmerksamkeit Die Aufmerksamkeit kann entweder auf die gerade zu bewältigende Aufgabe gerichtet oder durch etwas beliebiges anderes abgelenkt sein. Letzteres ist bei Fehlern auf der fähigkeisbasierten Ebene der Fall, wohingegen bei regel - und wissensbasierten Fehlern der Aufmerksamkeitsfokus auf den problembezogenen Fragen ruht. 6.2.3 Art der Kontrolle Bei fähigkeitsbasierten und regelbasierten Ausführungen wird die Kontrolle von automatischen Prozessoren durchgeführt: dies sind bei den einen bereits gespeicherte motorische Programme, bzw. Schemata, bei den anderen schon vorhandene Regeln, die nach bewährten Prinzipien ausgewählt und in den Prozeßverlauf eingespeist werden. Da diese Einspeisung von Informationen vorwärtsgerichtet erfolgt spricht man hier von „feedforward - Kontrolle“. Demgegenüber steht die „feedback - Kontrolle“ auf der wissensbasierten Ebene. Da hier nicht auf bereits vorhandene Problemlösungsroutinen zurückgegriffen werden kann muß man sich Schritt für Schritt auf dem Lösungsweg vorantasten und immerzu die Diskrepanz zwischen Ist - und Sollzustand ermitteln. Wahrgenommene Fehler im Vorgehen wirken hier auf das weitere Bemühen zurück und beeinflussen dieses. 6.2.4 Expertise und die Vorhersagbarkeit von Fehlern Da mögliche Formen, die fähigkeitsbasierte und regelbasierte Fehler annehmen können bereits in dem Repertoire vorhandener Wissensstrukturen gefunden werden können, d.h. alle möglichen Schemata und Regeln mit denen man reagieren könnte ja bereits gespeichert sind, werden Fehler auf diesen Ebenen vorhersagbar: Auf der fähigkeitsbasierten Ebene wird wahrscheinlich das in der Situation bewährteste, aber eventuell falsche, Schemata aktiviert; ebenso verhält es sich mit den Regeln auf der regelbasierten Ebene. Anders ist es bei Fehlern auf der wissensbasierten Ebene: da es sich hier um ganz neue, vorher noch nicht dagewesene Patentlösungen handelt, entziehen sich die Fehler jeglicher Vorhersagbarkeit. Man könnte Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 87 lediglich die kognitiven und situativen Faktoren bestimmen, unter denen es zu wissensbasierten Fehlleistungen kommt. Bezüglich der Expertise läßt sich sagen, daß sich diese durch ein großes Repertoire brauchbarer Routinen und Regeln auszeichnet, von denen - je nach Grad der Übung - immer mehr auf immer höherem, bzw. abstrakterem Repräsentationsniveau abgebildet sind und zu immer größeren, sinnvollen Einheiten zusammengekoppelt sind. Angewendet auf die verschiedenen Fehlerebenen bedeutet dies, daß wissensbasierte Fehler Anfängerfehlern ähneln, da Laien ja noch über keinerlei oder wenige Routinen verfügen und sich diese erst aktiv erarbeiten müssen, und umgekehrt, daß - im extremsten Fall - Experten nie wissensbasierte Fehler begehen würden, da sie ja über alle nur möglichen Routinen verfügen und so niemals gezwungen wären, sich Patentlösungen auszudenken. Experten werden demnach wahrscheinlicher Fehler der Art „bewährt, aber falsch“ der fähigkeits - und der regelbasierten Ebene unterlaufen. 6.2.5 Gelegenheit und Fehlerquote Da sich menschliches Handeln vorwiegend auf der fähigkeitsbasierten und der regelbasierten Ebene abspielt ist die absolute Anzahl an Fehlern dieser Ebenen höher als die auf der wissensbasierten Ebene. Relativiert man allerdings diese Anzahl an der Ausführungshäufigkeit der Handlungen auf den jeweiligen Ebenen, d.h. an den Gelegenheiten für die jeweiligen Fehlleistungen, übersteigt der Prozentsatz der Fehler auf der wissensbasierten Ebene den der anderen beiden. 6.2.6 Der Einfluß von Situationsvariablen Die Fehlleistungen der drei Ebenen können sowohl von intrinsischen als auch von extrinsischen Faktoren beeinflußt werden. Intrinsische Faktoren, wie z.B. die jeweilige kognitive Verfügbarkeit bestimmter Schemata und Regeln durch die unterschiedlich häufige, erfolgreiche Anwendung derselben, wirken vor allem auf der fähigkeitsbasierten und der regelbasierten Handlungsebene. Da dieses „Vorwissen“ bei Handlungen auf der wissensbasierten Ebene fehlt werden die Fehler hier hauptsächlich durch extrinsische Faktoren dominiert: die Aufgabenbeschaffenheit und vorherrschende Situationsmerkmale bestimmen, ob sich der Aufmerksamkeitsfocus auf relevante oder unwichtige Aspekte des Problemraums ausrichtet. 6.2.7 Erkennbarkeit von Fehlleistungen Patzer auf der fähigkeitsbasierten Ebene werden, im Gegensatz zu Fehlleistungen der anderen beiden Ebenen, mit hoher Wahrscheinlichkeit und ohne fremde Hilfe entdeckt. Das Bemerken regel - und wissensbasierter Fehler durch den Handelnden ist dagegen eher selten. 6.2.8 Die Beziehung zu Veränderungen Treten Veränderungen in der einen oder anderen Weise auf können sie Ursache für Fehlleistungen werden. Auf der fähigkeitsbasierten Ebene können diese Veränderungen in Form einer gewünschten Abweichung von einer Routinehandlung auftreten oder durch eine Änderung der physischen Umwelt. Der Handelnde ist sich in diesen Fällen der Art der Veränderung und der entsprechenden Routinen bewußt; er greift allerdings aufgrund von Ablenkung nicht rechtzeitig auf dieses Wissen zu. Beispiel für die oben genannten Fälle wäre ein Kaffeetrinker, der für sich Kaffee und für seinen Besucher Tee zubereiten will. Er setzt Wasser für die Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 88 Getränke auf, verpaßt aber dann den nötigen Aufmerksamkeitscheck innerhalb seiner sonst üblichen Kaffeekochroutine und kommt mit zwei Tassen Kaffee zurück. Mit Änderung der physischen Umwelt sind z. B. das Umstellen von Haushaltsgegenständen von ihren gewohnten auf neue Plätze gemeint. Bei regelbasierten Fehlleistungen können mögliche Veränderungen, z.B. aufgrund früherer Erfahrungen, in gewissem Grade antizipiert werden und so Ersatzroutinen für den Umgang mit diesen entwickelt werden; es fehlt jedoch das Wissen wann und in welcher Form die Veränderungen auftreten. Da man sich bei den Lösungsversuchen wissensbasierter Probleme auf vollkommen neuen Terrain befindet können hier weder Veränderungen antizipiert werden noch kann man sich auf diese vorbereiten. DIMENSION FÄHIGKEITS - REGEL - WISSENS - BASIERTE BASIERTE BASIERTE FEHLLEISTUNGEN FEHLLEISTUNGEN FEHLLEISTUNGEN Art der Aktivität Routinehandlung Richtung Auf etwas anderes als der Aufmerksamkeit Art der Problemlöseaktivität die augenblickliche auf problembezogene Fragen Aufgabe Vorwiegend durch automatische Prozesse Kontrolle bewußte (Schemata) Vorhersagbar keit von Fehlleistungen Gelegenheit und Fehlerquote Einfluß von Situations faktoren Erkennbarkeit beschränkte (gespeicherte Regeln) Prozesse Weitgehend vorhersagbare Fehler der Art „bewährt, aber falsch“ (Handlungen) variabel (Regeln) Obwohl die absoluten Zahlen hoch sein Fehlerquote können, machen diese nur einen kleinen Anteil hoch, der Gesamtzahl der Gelegenheiten für gemessen an d. Fehlleistungen aus Gelegenheiten Gering bis mittel; intrinsische Faktoren extrinsische (Verfügbarkeit, Häufigkeit des vorherigen Faktoren Einsatzes) üben eher einen dominanten dominieren Einfluß aus gemeinhin Werden gewöhnlich recht schnell und schwierig, oft nur durch fremde Hilfe effektiv entdeckt Beziehung Auf Wissen über Ver - unbekannt, wann Veränderung zu änderungen wird nicht und in welcher Weise nicht antizi - Veränderungen rechtzeitig zugegriffen eine an sich antizipierte piert, keine Veränderung auftritt Vorbereitung Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 89 6.3 Das Generische Fehler – Modellierungs – System (GFMS) Das GFMS ist ein Modell, das die Fehlermechanismen einbezieht, die auf den drei verschiedenen Ausführungsebenen stattfinden: der fähigkeits - , regel - und wissensbasierten. Die Funktionen der fähigkeitsbasierten Ebene gehen der Entdeckung eines Problem voran, dem Problem folgen die Mechanismen der regel - und wissensbasierten Ebene. Auf diesen Ebenen können bestimmte Probleme gekennzeichnet werden. Handlungsfehler (Patzer und Schnitzer) treten vor der Problementdeckung auf und sind in der Regel Folgen mangelhafter Aufmerksamkeitsüberwachung. Regel und wissensbasierte Fehler sind meistens mißglückte Problemlösungen. Das Modell des GFMS ist in der folgenden Abbildung dargestellt. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 90 6.3.1 Fehler durch mangelhafte Überwachung Führt eine Person eine gut eingeübte Handlung aus (Routinehandlung in einer vertrauten Umgebung), so enthält diese vorprogrammierte Handlungssequenzen und dazwischenliegenden Aufmerksamkeitsüberprüfungen. Dabei wird überprüft, ob a) die Handlung plangemäß verläuft und b) der Plan noch angemessen ist, um das angestrebte Ziel zu erreichen. In Handlungssequenzen sind Verzweigungspunkte vorhanden, an denen unterschiedliche Routen eingeschlagen werden können. So kann z.B. der Schritt „Wasser aufsetzen“ zu verschiedenen Zielen führen: Tee brühen, Wärmflasche füllen, Kaffee kochen etc.. Diese einzelnen Routen unterscheiden sich in der Stärke, die durch die Häufigkeit der Benutzung bestimmt wird. Fehler des Kontrollmechanismus die durch Unaufmerksamkeit und Überaufmerksamkeit an bestimmten Handlungssequenzen stattfinden, führen zum Einschlagen falscher Routen, oder bei Überaufmerksamkeit zum Wiederholen oder Unterlassen bestimmter Sequenzen. 6.3.2 Fehler der mißglückten Problemlösung Das Problemlöseverhalten nach dem GFMS geht von der Annahme aus, das „Menschen, wenn sie die Wahl haben, sich bevorzugt wie kontextspezifische Mustererkenner verhalten, statt daß sie versuchen, hochzurechnen oder zu optimieren (Rouse 1981). D.h. sie suchen ihr Gedächtnis nach Regeln ab, die in ähnlicher Situation erfolgreich waren und wenden diese an, bevor sie auf die wesentlich mühsamere wissensbasierte Ebene ausweichen. Solche Regeln haben die Form wenn (Situation) dann (Systemzustand) = wenn (Systemzustand) dann (Handlung, die abhilft). Erst wenn das wiederholte Kreisen des regelbasierten Weges keine Lösung bringt, wird auf die wissensbasierte Ebene gewechselt. Wobei auch hier zunächst Lösungen auf der Grundlage von Gedächtnisinhalten und Hinweisreizen gesucht werden, indem nach einer „gemeinsamen Tiefenstruktur“ von Ereignissen gesucht wird (Schank, 1982). Diese werden nach Schank so schnell gefunden, weil die Strukturen, mit denen wir die neuen Erfahrungen verarbeiten, dieselben sind, mit denen wir das Gedächtnis organisieren. 6.3.3 Ebenenwechsel im GFMS Liegt bei einer vertrauten Handlung während eines Aufmerksamkeitscheck eine Abweichung von Bedingungen vor, wird immer auf die regelbasierte Ebene gewechselt. Sobald eine geeignete Regel gefunden wurde, wird auf die fähigkeitsbasierte Ebene zurückgewechselt. Dieser Zyklus, kann sich bei schwierigen Problemen, bzw. unangemessenen Regeln wiederholen. Nach der Logik des GFMS sollte von regel - zu wissensbasierter Ebene gewechselt werden, wenn erkannt wird, daß der Problemlöser in seinem Repertoire keine geeignete Lösung enthält. In Wirklichkeit könne die Entscheidung „von einer komplizierten Wechselwirkung zwischen subjektiver Unsicherheit und Besorgnis“ eine entscheidende Rolle spielen, die beide schnell anwachsen, wenn erkannt wird das regelbasierte Lösungsversuche fehlschlagen. Auch geht die Suche nach vorgefertigten Lösungen auf wissensbasierter Ebene parallel weiter und werden geeignete Analogien (s. 3.2) gefunden, wird auf die regelbasierte Ebene zurückgeschaltet. Ist auf wissensbasierter Ebene eine geeignete Lösung gefunden, so wird auf fähigkeitsbasierter Routine und Verhaltensweisen zurückgegriffen. Meist ist ein schnelles Hin - und Herschalten zwischen wissens - und fähigkeitsbasierter Ebene nötig, d.h. geschlossene Kontrollschleifen des bewußten „workspace“ werden ausgeführt bis die Ausführung wieder in vertraute Bahn gerät. Durch die Tendenz schnelle Lösungen zu finden, wird der Problemlöser jedoch auch mangelhafte und unvollständige Lösungen akzeptieren und so Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 91 wird beim nächsten Aufmerksamkeitscheck erneut auf regelbasierter Ebene umgeschalten usw.. Das Kontrollzentrum wechselt dadurch bei Problemen ständig zwischen den drei Ausführungsebenen. 6.4 Fehlleistungen auf fähigkeitsbasierter Ebene Fehlleistungen auf der fähigkeitsbasierten Ebene können durch Unaufmerksamkeit aber auch durch Überaufmerksamkeit entstehen. Ersteres bedeutet das Versäumnis eines Kontrollchecks an kritischen Punkten, letzteres einen Kontrollcheck an einer ungünstigen Stelle einer Routinehandlung. 6.4.1 Unaufmerksamkeit Die Kontrollversäumnisse bei Unaufmerksamkeit gliedern sich in folgende Formen: 6.4.1.1 Patzer bei doppelter Gefangennahme Ist man gerade bei der Ausführung einer Routinehandlung und beabsichtigt an einem bestimmten Punkt dieser von seiner üblichen Gewohnheit abzuweichen, wäre an dieser besagten Stelle ein Aufmerksamkeitscheck nötig. Bleibt dieser aufgrund von Ablenkung - durch z.B. Gedanken an etwas anderes oder einen starken äußeren Reiz - aus, spricht man von Patzern bei doppelter Gefangennahme. Die Handlung wird so nicht wie vorgenommen weitergeführt, sondern man folgt nach diesem Abweichungspunkt dem stärksten Handlungsschema, d.h. seiner üblichen Gewohnheit. Einige Beispiele hierfür wären Die Veränderung einer Routine; hier könnte durch Unaufmerksamkeit der alten Gewohnheit gefolgt werden und so eine Störung entstehen: nach einem Wohnungswechsel schreibt man als Absender seine alte anstatt der neuen Adresse auf das Kuvert. Ebenfalls kann es durch das Folgen einer starken Gewohnheit zu einem Ausschluß der gewünschten Handlung kommen: auf dem Weg zu Arbeit möchte man sich Schuhe kaufen. Plötzlich wacht man aus seinen Gedanken auf und bemerkt, daß man schon längst am Schuhgeschäft vorbeigefahren ist. Zu Verzweigungsfehlern kommt es, wenn sich zwei verschiedene Handlungsfolgen zwar zu Beginn gleichen, nach dem Verzweigungspunkt aber zu unterschiedlichen Resultaten führen. Entfällt der Aufmerksamkeitscheck an dieser Stelle kann fälschlicherweise die nicht beabsichtigte Handlung durchgeführt werden: Sowohl um sich für die Gartenarbeit umzuziehen, als auch um sein Auto herauszufahren muß man sich auf den Weg zur Garage machen. So kann es passieren, daß man, obwohl man sein Auto holen möchte, aufgrund von Unaufmerksamkeit seine Gartenbekleidung anzieht. Zu Fehlleistungen auf der fähigkeitsbasierten Ebene kommt es auch, wenn man es versäumt, an einem kritischen Punkt die Notwendigkeit einer Veränderung zu beachten: bei der Essenszubereitung nach Rezept will man alle Zutaten doppelt nehmen; man verdoppelt aber nur die erste Zutat und nimmt die übrigen einfach. Räumt man das Besteck weiter in die Schublade ein, obwohl man - wie man sich auch später erinnern kann gebeten wird es draußen zu lassen, zeigt dies, daß man trotz Aufforderung seine gewohnheitsmäßigen Handlungssequenzen fortführt, da die Hauptaufmerksamkeit auf etwas anderes gerichtet war. 6.4.1.2 Versäumnisse, die mit Unterbrechung einhergehen Hier wird ein Patzer begangen, da die Aufmerksamkeit durch ein externes Ereignis abgelenkt wird. Wird bei einer geplanten Handlung nach der Unterbrechung durch ein externes Ereignis die Handlung an falscher Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 92 Stelle der Sequenz wieder aufgenommen, spricht man von „Programmzählfehlern“. Die, durch die Unterbrechung ausgelöste Aktivität wurde als Teil der Routinehandlung fälschlicherweise mitgezählt: Beim Holen des Wörterbuchs aus dem Bücherregal fallen versehentlich andere Bücher herunter. Man hebt diese auf, kehrt aber ohne Wörterbuch wieder an den Schreibtisch zurück. 6.4.1.3 Abgeschwächte Intentionalität Liegt zwischen der Absichtenbildung und der tatsächlichen Handlungsdurchführung ein gewisser Zeitraum, muß die Intention über diese Verzögerung hinweg mit Hilfe von Aufmerksamkeitschecks am Leben erhalten werden. Wird sie das nicht, kann es zu „losgelösten Absichten“ (anstelle des Fensters die Schranktüre schließen), „Gefangennahme durch Umgebungsreize“ (Ins Schlafzimmer gehen um ein Buch zu holen; dort in den Spiegel sehen und ohne Buch wieder hinausgehen) oder zu „mehrfachen Nebenschritten“ (den Boiler unter der Treppe abstellen wollen, dafür sich die Hände abtrocknen müssen; in die Speisekammer, dann ins Wohnzimmer, schließlich in die Küche gehen und sich dort an sein eigentliches Vorhaben erinnern) kommen. Abgeschwächte Intentionalität kann auch zu Zustandsformen wie „Was – mach – ich – hier“ – Erleben oder zu „Ich – sollte – etwas – tun – aber – ich – weiß – nicht – mehr – was“ Erlebnissen führen. 6.4.1.4 Wahrnehmungsverwirrung Erkennungsschemata können, wie Handlungsschemata, so weit automatisiert sein, daß funktionale Äquivalenz, gleiche Lokation oder ähnliches Aussehen verschiedener Objekte unter dem Aspekt der kognitiven Ökonomie dazu führen können, daß eben diese „falschen“ Objekte als erwarteter Reizinput akzeptiert werden (z.B. Anstelle zur Milchflasche zur Saftflasche greifen). 6.4.1.5 Interferenzfehler Sind zwei Pläne oder Handlungselemente gleichzeitig aktiv, kann es zu Interferenzen zwischen den beiden bezüglich der Kontrolle über die Effektoren kommen (z.B. Interferenzen beim Sprechen und Handeln: unmittelbar nach einem Telefonat den Besuch mit „Schmidt am Apparat“ begrüßen). Ebenfalls kann eine Handlungssequenz umgestellt werden (Gegen Ende der Hausarbeiten die Pflanzen ins Schlafzimmer und die Unterwäsche ins Wohnzimmer tragen, da man durch das Vorhaben ein Bad zu nehmen abgelenkt ist). 6.4.2 Überaufmerksamkeit: schlecht plazierte Kontrolle Neben der Auslassung von Aufmerksamkeitschecks kann auch eine schlecht plazierte, bzw. unnötige Kontrolle zu einer Fehlleistung auf fähigkeitsbasierter Ebene führen (Bsp.: ein geübter Klavierspieler, der sich auf seine Fingerbewegung konzentrieren will). Routineaufgaben vom Typ test - warten - test - exit (z.B. Teezubereitung) sind besonders anfällig für diese Ursache von Fehlleistung: hier gibt es zwischen den einzelnen Handlungssequenzen Wartezeiten. Gibt ein Kontrollcheck nun falsch Auskunft darüber, wie weit die Sequenz inzwischen vorangeschritten ist, kann es zu Versäumnissen, d.h. zur Auslassung nötiger Schritte oder zu Wiederholungen bestimmter Handlungsabschnitte kommen. Aufgaben dieser Art wären wahrscheinlich fehlerfrei abgelaufen, hätte man sie der automatischen Kontrolle überlassen. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 93 Seltener als das Versäumnis und die Wiederholung ist die Aufhebung: in bidirektionalen Sequenzen kann eine schlecht plazierte Kontrolle die Handlungsfolge zurückkehren (Seine Straßenschuhe ausziehen um die Hausschuhe anzuziehen, dabei eine runtergefallene Jacke bemerken und aufheben und dann statt der Hausschuhe wieder die Straßenschuhe anziehen). Schlecht plazierte Kontrollen treten vor allem nach Zeiträumen auf während derer man seine Aufmerksamkeit abschweifen ließ. Vermutet man nun, eine notwendige Kontrolle versäumt zu haben kann es passieren, daß man zu einem falschen Schluß über den momentanen Stand der Handlung kommt. 6.5 Fehlleistungen auf regelbasierter Ebene Zur Identifikation der möglichen Arten von Fehlleistungen auf regelbasierter Ebene nimmt Reason hier Bezug auf eine Rahmenkonzeption von Holland et al. (1986). Um ein Modell (oft aus einer Reihe miteinander konkurrierender Modelle ausgewählt) der aktuellen Situation zu konstruieren, kombiniert das kognitive System bestimmte Regeln, diese sind wiederum aus Klassen und Relationen zusammengesetzt. Es entsteht eine Struktur, die Assoziationen und Vorhersagen liefert. Aus dieser simultanen Aktivierung einer relevanten Menge von Regeln besteht also die Konstruktion eines Modells. Situationsabhängig kann eine Anzahl von Regeln um das Recht der Repräsentation des momentanen Zustands konkurrieren, viele Regeln können gleichzeitig aktiv sein. Welche Regel angewendet wird, hängt von mehreren Faktoren ab: Paßt der Bedingungsteil (der wenn - Teil) mit auffälligen Merkmalen der Umgebung oder mit den Inhalten einer intern erzeugten Botschaft zusammen? Wie stark ist eine Regel, d.h. wie oft kam sie in der Vergangenheit erfolgreich zum Einsatz? Wie spezifisch beschreibt eine Regel die vorliegende Situation? In welchem Ausmaß bekommt eine konkurrierende Regel Unterstützung von anderen Regeln (Vereinbarkeit mit gerade aktiver Information)? Regeln sind in Standardhierarchien angeordnet, die allgemeinsten oder prototypischen Repräsentationen von Objekten und Ereignissen liegen auf der obersten Ebene, sie ermöglichen ungefähre Vorhersagen über die wichtigsten Dinge des Alltags. Steht eine Ausnahme an bzw. versagt eine zu allgemeine Regel, müssen weitere Merkmale der Situation berücksichtigt werden. Dann werden auf niedrigeren Stufen der Hierarchie zunehmend spezifischere Regeln entwickelt. Dieses Hinzufügen spezifischer Regeln auf immer niedrigeren Hierarchieebenen führt zu einer Erhöhung von Komplexität und Anpassungsfähigkeit des Gesamtmodells. 6.5.1 Die fehlerhafte Anwendung guter Regeln Eine Regel ist in diesem Zusammenhang gut, wenn sie in einer bestimmten Situation ihre Nützlichkeit bewiesen hat. Solche Regeln sind zwar unter bestimmten Umständen absolut angemessen, sie können aber fehlerhaft angewandt werden, wenn außerdem noch andere Handlungen erforderlich sind. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 94 Ausgehend, daß Regeln nach Standardhierarchien, mit den prototypischsten Regeln an der Spitze, aufgebaut sind, spielen bei der fehlerhaften Anwendung von Regeln auf höherer Ebene mehrere Faktoren zusammen. Die ersten Ausnahmen Begegnet man einer Ausnahme von einer allgemeinen Regel das erste Mal, ist es sehr wahrscheinlich, daß die bewährte, aber diesmal falsche Regel angewandt wird. Solche Fehler, also eine in der Vergangenheit erfolgreiche Regel versagt in einer vorliegenden Situation, führen zur Entwicklung einer spezifischeren Regel für die neue Situation. Anzeichen, Gegenanzeigen und Nicht - Zeichen Im Allgemeinen zeigen sich Situationen, die Ausnahmen von einer allgemeineren Regel erfordern, nicht eindeutig, insbesondere bei komplexen, dynamischen Problemlöseaufgaben. Hier liegen mindestens drei Arten von Informationen vor: Anzeichen, also Inputs, die zeigen, daß eine geeignete, allgemeine Regel eingesetzt werden kann. Gegenanzeigen, die anzeigen, daß die allgemeinere Regel ungeeignet ist. Nicht - Zeichen, also Inputs, die auf keine bestehende Regel Bezug nehmen, jedoch ein „Rauschen“ im Mustererkennungssystem hervorrufen. Alle drei Inputarten können in einem vorliegenden Informationsangebot gleichzeitig vorliegen. Gelingt es Gegenanzeigen, Aufmerksamkeit zu erzeugen, lassen sie sich „wegargumentieren“ (ein Alarmsignal kann z. B. als Fehlalarm interpretiert werden). Informationsüberlastung Durch die Informationsfülle wird die Schwierigkeit, Gegenanzeigen zu entdecken, noch verstärkt. Die Informationsmenge in besonderen Situationen übersteigt fast immer die Verarbeitungskapazität des kognitiven Systems, nur eine begrenzte Anzahl von Informationen wird angemessen verarbeitet. Die Stärke der Regel In der Vergangenheit erfolgreiche Regeln, also „starke“ Regeln, werden bevorzugt eingesetzt. Hierbei geht man von einer Wechselwirkung zwischen dem Ausmaß an Übereinstimmung und der Stärke einer Regel aus. Je stärker eine Regel ist, desto weniger Übereinstimmung mit der Situation ist nötig, um sie zur Anwendung zu bringen. Passen Situation und Bedingungsteil der Regel nicht perfekt zusammen, werden also eher starke als schwache Regeln bevorzugt. Allgemeine Regeln sind oft die stärkeren Situationen, die mit Regeln höherer Ebene zusammen passen, begegnet man im Leben öfter. Es besteht mit hoher Wahrscheinlichkeit eine positive Beziehung zwischen der Ebene und der Stärke einer Regel. Es ist also von einer Tendenz auszugehen, allgemeinere Regeln anzuwenden. Redundanz Bestimmte Merkmale der Umgebung werden mit der Erfahrung zunehmend bedeutsam, andere nehmen in ihrer Wichtigkeit ab. Es ist wichtig, allmählich die Redundanz zu erkennen, die im Informationsinput vorliegt, die Informationsmenge enthält nur wenig relevante Anteile, der Rest ist redundant. Der Problemlöser lernt, daß die eigentliche diagnostische Information in bestimmten Schlüsselzeichen enthalten ist und daß diese Hinweisreize weit mehr Aufmerksamkeit brauchen als andere, um effizient handeln zu Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 95 können. Diese Aufmerksamkeitsverschiebung ist also bevorzugt auf informative Anzeichen gerichtet, Gegenanzeigen werden weniger stark beachtet. Rigidität Hat sich eine Regel in der Vergangenheit bewährt, wird man sie auch dann oft einsetzen, wenn einfachere und elegantere Lösungen verfügbar wären. Der Gebrauch von Regeln ist also dem intrinsischen „kognitiven Konservatismus“ unterworfen. Nach erfolgreichem Einsatz einer Regel in der Vergangenheit neigt man sehr stark dazu, sie wieder anzuwenden, selbst wenn die Umstände ihren Gebrauch nicht mehr rechtfertigen. „Für eine Person, die nur einen Hammer besitzt, sieht jedes Problem wie ein Nagel aus.“ 6.5.2 Die Anwendung schlechter Regeln „Schlechte Regeln“ sind zweckmäßig in zwei Klassen einteilbar: Enkodierdefizite: wichtige Merkmale einer Situation werden entweder nicht oder falsch repräsentiert Handlungsdefizite: die Ausführungskomponente ruft unbrauchbare, unelegante oder nicht zu empfehlende Handlungen hervor Wir sind in beiden Fällen an der Entstehung dieser suboptimalen Regeln und an den sie aufrecht erhaltenen Faktoren interessiert. Bevor diese Arten von Fehlleistungen untersucht werden, gehen wir vorab kurz auf die Frage der Regelbildung aus entwicklungspsychologischer Sicht ein. Eine entwicklungsbezogene Perspektive Eine Reihe von Untersuchungen zum Problemlöseverhalten von Kindern auf verschiedenen Entwicklungsstufen zeigten, daß bei älteren Kindern bestimmte regelbasierte Grammatik - fehler wahrscheinlicher als bei jüngeren auftreten. Obwohl sie bereits vorher die Vergangenheitsform von Verben grammatikalisch korrekt (z. B. „kam“ und „ging“) benutzten, machen sie hier Fehler, sie sagen „kommte“ und „gehte“. Zur Erklärung dieser Befunde und um zu beschreiben, wie Kinder angemessene Problemlöseroutinen erwerben, formulierte Karmiloff - Smith (1984) ein prozeßorientiertes dreistufiges Rahmenmodell. Phase 1: Prozedurale Phase Das Verhalten des Kindes auf dieser frühen Entwicklungsstufe ist überwiegend datengeleitet. Die Kontrolle liegt dabei besonders bei der wissensbasierten Ebene, die entwickelten Abläufe sind durch Feedback gesteuert und erfolgsorientiert. Das Kind generiert „online“ eine spezielle Regel für jedes neue Problem. Phase 2: Metaprozedurale Phase Das Kind lernt, die einmaligen prozeduralen (in Phase 1 erworbenen) Regeln zu bedeutungshaltigen Kategorien zusammenzufassen, das Verhalten wird vorwiegend von relativ rigiden „top - down“ gerichteten Wissensstrukturen geleitet. So wird eine höhere Effizienz beim Umgang mit Informationen erreicht. Durch die begeisterte und rigide Anwendung dieser globaleren Regeln werden jedoch lokale Hinweisreize, als mögliche Signale für Ausnahmen, weniger beachtet. Phase 3: Konzeptuelle Phase Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 96 Die Ausführung wird nun von subtilen Kontrollmechanismen geleitet, welche das Wechselspiel zwischen den datengesteuerten („bottom - up“) und den „top - down“ gerichteten Prozessen gestalten. Die Regelstrukturen und das Feedback aus der Umgebung gelangen in ein Gleichgewicht, keines von beiden überwiegt. So erfolgt wie in Phase 1, aber im Gegensatz zur Phase 2, eine relativ fehlerfreie Ausführung; jedoch durch andere Wissensstrukturen, welche dem Feedback gerecht werden, ohne die Gesamtstruktur des regelbasierten Systems zu gefährden. Enkodierdefizite in Regeln Bestimmte Eigenschaften des Problemraumes sind überhaupt nicht enkodiert Am Beispiel der Probleme im Zusammenhang mit Balkenwaagen fand Siegler (1983), daß fünfjährige Kinder ständig scheiterten, obwohl sie die Bedeutung der relativen Größe von Gewichten auf beiden Seiten der Waage begriffen hatten. Ihnen schien der Aspekt des Abstandes der Gewichte vom Aufhängepunkt nicht bewußt zu sein. Selbst nach einem Training zur Aufmerksamkeitslenkung hin zum Abstandsfaktor blieb bei den Kindern dieses Defizit bestehen. Bei Achtjährigen gab es solche Schwierigkeiten nicht mehr. Es ist davon auszugehen, daß Fünfjährige nicht mit der gleichzeitigen Manipulation zweier Verhältnisse umgehen können. Sie sind also nicht in der Lage, zwei Dimensionen gleichzeitig ins Auge zu fassen; der Abstand kommt hier als relevante Größe in ihren Regeln einfach nicht vor. Bestimmte Eigenschaften des Problemraums sind ungenau kodiert Die Rückmeldung, die zur Ablehnung einer schlechten Regel nötig ist, wird in diesem Fall falsch gedeutet oder sie fehlt völlig. Beispiele liefern hier aktuelle Forschungsaufgaben zur intuitiven oder naiven Physik. McCloskey (1983) befragte College - Studenten zur Flugbahn eines Balles nach dem Verlassen eines gebogenen Rohres. 40 Prozent der Studenten waren der Meinung, der Ball würde weiter eine Kurvenbahn beschreiben, obwohl er tatsächlich nach Newtons Bewegungsgesetzen in einer geraden Linie weiterfliegt. Gründe für das Entstehen solcher irrigen Regeln liegen einerseits darin, daß das visuelle System des Menschen Beschleunigungen schlecht wahrnehmen kann, andererseits können wir Geschwindigkeiten gut einschätzen (als Grundlage der intuitiven Physik). Da solche fehlerhaften Regeln kaum bestraft werden und im Allgemeinen recht brauchbare Vorhersagen liefern, bleiben sie bestehen und kommen immer wieder zur Anwendung. Eine irrige allgemeine Regel kann durch die Existenz bereichsspezifischer Ausnahmenregeln geschützt werden Wie im Fall der impulsbasierten Annahmen der intuitiven Physik kommt dies oft vor, wenn man sehr wenig Ausnahmen von der allgemeinen Regel begegnet. Die Ausnahme bestätigt die Regel. Im sozialen Kontext werden durch solche Mechanismen u. a. Stereotype aufrechterhalten. Handlungsdefizite in Regeln Die Ausführungskomponente einer Problemlöseregel kann in unterschiedlichem Ausmaß „schlecht“ sein. Im Extremfall ist sie falsch; sie kann auch schwerfällig, unelegant oder wenig effizient sein, aber immer noch zum Ziel führen; oder sie ist einfach nicht empfehlenswert, weil die wiederholte Anwendung vermeidbare Risiken mit sich bringt. Nachfolgend werden zu diesen Arten der Unzulänglichkeit Beispiele vorgestellt: Falsche Regeln Die Anwendung einer falschen Regel kann katastrophale Folgen haben, ein besonders gravierendes Beispiel sind die Fehler, die zum Reaktorunfall von Tschernobyl führten. Dort wollten die Arbeiter Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 97 einen turbinengetriebenen Spannungsgenerator testen, der bei Stromausfall das Notkühlsystem für den Brennkern funktionsfähig halten sollte. Für diesen Test wurde das Notkühlsystem ausgeschaltet und der Wasserdurchfluß im Brennkern auf das Dreifache erhöht. Die Arbeiter schlußfolgerten: wenn (mehr Wasser durch den Brennkern fließt), dann (entsteht ein geringeres Risiko infolge eines größeren Sicherheitsspielraumes für den Reaktor).Hier war jedoch genau das Gegenteil der Fall, mehr Wasser führte zu geringerer Sicherheit, dies verursachte die Reaktorexplosionen mit den bekannten Folgen. Unelegante oder schwerfällige Regeln Bei vielen Problemen sind mehrere Routen zu einer Lösung möglich. Einige von ihnen sind effizient, elegant und direkt, sie wirken oft auch auf fähigkeitsbasierter Ebene und führen schnell zum gewünschten Ziel. Andere Routen sind schwerfällig, umständlich und gelegentlich bizarr. Besonders in nachsichtiger Umgebung oder bei fehlender fachlicher Anweisung verfestigen sich unelegante Lösungen und werden zum festen Bestandteil des regelbasierten Repertoires. Nicht empfehlenswerte Regeln Hier kann die regelbasierte Lösung effizient und völlig angemessen sein, sie führt in den meisten Fällen zum Ziel. Die regelmäßige Anwendung kann jedoch gelegentlich vermeidbare Unfälle zur Folge haben. Solche Verhaltensweisen entwickeln sich oft, wenn man diskrepanten Zielen gerecht werden soll, z. B. hohe Produktion und entsprechende Sicherheitsanforderungen. Dem Sicherheitsbedürfnis genügt oft das routinemäßige Einhalten bestimmter Prozeduren, wie beispielsweise das Anlegen des Sicherheitsgurtes oder die regelmäßige Autoinspektion. Da hier Unfälle selten sind, treten andere Aufgaben in den Vordergrund, z. B. das Einhalten von Terminen oder die Zufriedenheit der Kunden. Das Fährunglück von Zeebrügge wurde durch die Anwendung einer solchen Regel ausgelöst; um Zeit zu sparen, wurden die Bugtore immer erst nach dem Auslaufen des Schiffes geschlossen. Dies funktionierte bis dato immer gut und es ergaben sich keine Nachteile, am Unglückstag schwappte jedoch Wasser durch die geöffneten Tore in das Schiff. Das führte zum Verschieben der Ladung und zum Kentern der Fähre. 6.6 Fehlleistungsarten auf wissensbasierter Ebene Während Prozessen auf wissensbasierter Ebene wird im Arbeitsspeicher eine mentale Repräsentation des Problem vorgenommen. Dabei kann das Wissen über das Problem falsch oder unvollständig sein, da immer nur ein Teil davon, möglicherweise augenfällige aber nicht relevante Aspekte beleuchtet werden. Reason unterscheidet drei verschiedene Problemkonfigurationen, d.h. Hinweise und Bedingungen die der Problemlöser verwertet. statische Konfigurationen, bei denen die Bedingungen des Problems unabhängig von den Handlungen konstant bleiben. reaktiv - dynamische Konfigurationen, bei den der Problemlöser das Resultat seiner Handlungen über direkte oder indirekte Anzeichen erkennen kann. mehrfach - dynamische Konfigurationen, bei dem die Problemkonfiguration sowohl durch die Problemlösung als auch durch verschiedene äußere Einflüsse beeinflußt werden, vor allem bei komplexen Problemen. Diese verschiedenen Konfigurationen bedingen unterschiedliche Strategien. Im folgenden werden verschiedene Ursachen für wissensbasierte Fehler unterschieden. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 98 6.6.1 Selektivität Fehler treten auf, wenn nicht auf logisch bedeutsame Aspekte, sonder auf psychologisch auffälligen Merkmale geachtet wird. 6.6.2 Beschränkungen im „workspace“ Die Ressourcen des bewußten Arbeitsspeichers sind beschränkt und werden bei den Vergleichen der aktuellen Daten mit mehreren mental gespeicherten Modellen stark beansprucht. In Experimenten wurde gezeigt, daß die Belastung des workspace mit der Darbietung des Problems variiert. Es ist erleichternd, wenn die Reihenfolge der Lösungsschritte mit der Darbietung übereinstimmt. 6.6.3 Aus den Augen, aus dem Sinn Fehler dieser Art gehen auf die Verfügbarkeitsheuristik zurück. D.h. besteht das Problem, in dem bestimmte Komponenten ausgelassen wurden, so ist das schwierig für den Problemlöser zu bemerken, da diese auch mental nicht verfügbar sind. 6.6.4 Der Hang zur Bestätigung (confirmation bias) Bei Mehrdeutigkeit oder wenige verfügbaren Daten, wird eine mögliche Interpretation getroffen, die diese Daten erklärt. Diese vorläufigen Hypothesen werden im weiteren Verlauf beibehalten und versucht zu bestätigen, anstatt später erhaltene Daten zu berücksichtigen. 6.6.5 Übermäßiges Vertrauen Durch das Vertrauen in die Korrektheit des eigenen Wissens, werden widersprüchlichen Anzeichen keine Beachtung geschenkt, um die eingeschlagene Handlung nicht in Frage zu stellen Veränderungen eines abgeschlossenen Planes für ein Handlung werden erschwert, wenn dieser - kompliziert ist, - unter großen Anstrengungen und emotionaler Beteiligung erstellt wurde, - das Produkt mehrerer Personen war, - verborgenen Zielen dient, d.h. Bedürfnisse oder Motive befriedigen soll. 6.6.6 Verzerrte Überprüfung Bei der Überprüfung eines Handlungsplanes, wird vom Problemlöser kontrolliert, ob er alle wichtigen Faktoren berücksichtigt hat. Da sein Arbeitsspeicher jedoch begrenzt ist, wird er nach einer subjektiv zufriedenstellenden Anzahl von Faktoren die Überprüfung abgeschlossen. 6.6.7 Umgang mit Kovariationen Kovariationen werden selten entdeckt, da sie die Auffassungsgabe für die Logik derselben schlecht ist und Zusammenhänge nur entdeckt werden, wenn sie hypothesenkonform sind. 6.6.8 Halo Effekt Menschen haben eine Vorliebe für bestimmte und eine Abneigung gegen diskrepante Eigenschaften. Außerdem fällt es ihnen schwer zwei diskrepante Informationen unabhängig zu verarbeiten, also reduzieren sie diese zu einer hervorstechenden Eigenschaft. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 99 6.6.9 Probleme mit der Kausalität Meist werden Kausalitätsfragen vereinfacht. So werden Unregelmäßigkeiten in der Zukunft unterschätzt und es wird für weniger Eventualitäten geplant. Außerdem werden die kausalen Analysen von der Repräsentativitäts - und der Verfügbarkeitsheuristik beeinflußt. 6.6.10 Probleme mit der Komplexität In komplexen Situationen bestehen drei Schwierigkeiten: 1. Schwierigkeit im Umgang mit exponentieller Entwicklung 2. Ungenügende Berücksichtigung der Prozesse im Zeitverlauf 3. Denken in kausalen Reihen, statt in kausalen Nutzen Dörner und seine Forschungsgruppe, 1987 fanden diese Probleme in ihrer computerstimmulierten Aufgabe, die Rolle eines Bürgermeisters über eine Kleinstadt zu übernehmen, bei fast allen Versuchspersonen. Personen, die sehr schlechte Leistungen zeigten benutzten zwei Stile, die von Dörner thematisches Vagabundieren und Verkapselung genannt wurden, deren Grundprobleme in einer eingeschränkten Rationalität, einer unangemessenen Selbsteinschätzung und der Vermeidung der Erkenntnis, der eigenen Unzulänglichkeit liegt. Kritische Situationen führen zu einer intelektuellen Notfallreaktion, in denen keine Überprüfung des Handlungsplanes mehr stattfindet, sondern nur noch unbedachte, stereotype und unzusammenhängende Handlungen ausgeführt werden. In einer Untersuchung von Brehmer, in deren Versuchspersonen die Aufgabe eines Feuerwehr Einsatzleiters bei einem Großbrand spielten, erhielten sie in kritischen Situationen hingegen das Problem, daß sich die Vpn übermäßig viel Kontrolle zuschieben, statt den Einheiten mehr Unabhängigkeit einzuräumen. 6.6.11 Diagnoseprobleme in Alltagssituationen Durch eine Untersuchung von Groenewegen & Wagenaas (1988) wurde klar, daß die Hauptschwierigkeit darin besteht die Symptome zu identifizieren, die zur Erklärung des Fehlers dienen. 7 Fehlerentdeckung 7.1 Abstract Dieser Bericht befaßt sich mit der Fehlerentdeckung, da man davon ausgeht, daß niemals sämtliche Fehler eliminiert werden können. Er befaßt sich also mit den Fehlerkonsequenzen und nicht mit den Ursachen, die den Fehlern vorausgehen. Eine Art der Fehlerentdeckung ist die Selbstüberwachung. Auf sie wird in diesem Bericht näher eingegangen. Als zentrale Mechanismen bei dieser Art der Fehlerentdeckung gelten Rückkopplungsschleifen. Es wird hier ein Sollzustand mit dem Ist - Zustand verglichen und anhand dieses Vergleichs werden mögliche Fehler identifiziert. Wie diese Rückkopplungsschleifen auf unterschiedlichen Handlungsebenen funktionieren, wird anhand von Beispielen erläutert. Es zeigt sich, je höher die Handlungsebene, desto komplexer die Fehlerentdeckung, d.h. desto mehr kognitive Arbeit muß neben den Rückkopplungsschleifen zu einer effektiven Fehlerentdeckung geleistet werden und desto fehleranfälliger sind dann die Fehlerentdeckungsmechanismen selbst. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 100 Anhand des Wissens wie auf den einzelnen Ebenen Fehler entdeckt werden, könnten durch neu entwickelte Strategien Fehlerkonsequenzen (insbesondere auf hohen Ebenen) geringer gehalten werden. 7.2 Einführung In der Forschung kommt der Fehlerentdeckung großes Interesse zu, also dem Bereich, der den Fehlern zeitlich vorausgeht. Es sollten aber vor allem auch die Konsequenzen von Fehlern Beachtung finden, da Fehler nun mal niemals völlig ausgeschlossen werden können, wie man den, meinem Artikel vorangehenden Kapiteln des Buches „Human Error“ von J. Reason entnehmen kann. Wenn sie sich nun schon nicht vollständig eliminieren lassen, müssen wenigstens effektive Wege gefunden werden, ihre negativen Konsequenzen so gering wie möglich zu halten. In diesem Bericht stehen folglich die Konsequenzen und nicht die Ursachen von Fehlern im Mittelpunkt, bzw. die Betrachtung derjenigen Prozesse, die an der Entdeckung und Behebung von schon unterlaufenen Fehlern beteiligt sind. 7.3 Arten der Fehlerentdeckung Es lassen sich hier drei Arten der Fehlerentdeckung unterscheiden: Selbstüberwachung Fehlerhinweise aus der Umgebung Fehlerentdeckung durch andere Menschen In diesem Bericht wird ausschließlich auf die erste Art der Fehlerentdeckung, die Fehlerentdeckung durch Selbstüberwachung, eingegangen. 7.3.1 Selbstüberwachung Am einfachsten funktioniert die Selbstüberwachung anhand von Rückkopplungsschleifen (z.B. bei der Kontrolle der Körperhaltung, bei der Entdeckung und Korrektur einfacher motorischer Reaktionen, bei der Entdeckung und Korrektur von Sprechfehlern), in komplexeren Fällen muß bewußte kognitive Energie aufgewandt werden (z.B. bei Unterlassungen und v.a. beim Problemlösen). Die Rückkopplungsschleifen bei der Fehlerentdeckung sind zu vergleichen mit denen der Verhaltenskontrolle im NS. Sie sind im wesentlichen fehlergetrieben. Läßt sich eine Abweichung des Outputs vom idealen/ erwünschten Zustand feststellen, wird dies an die Kontrollinstanz zurückgemeldet. Diese wird daraufhin tätig, um die wahrgenommene Diskrepanz zu minimieren. Diese Rückkopplungsschleifen liegen auf allen Handlungsebenen vor. Die Ebenen unterscheiden sich nur in den Mitteln, mit denen Diskrepanzen aufgespürt werden und im Ausmaß, in dem aufmerksamkeitsgeleitete Prozesse bei der Korrektur beteiligt sind. Je höher die Ebene ist, auf der die Fehlerentdeckungsmechanismen operieren, desto mehr neigen sie selbst zu Fehlern. Zur Veranschaulichung wie diese Rückkopplungsschleifen in der Praxis funktionieren, werden nun Beispiele auf fünf unterschiedlichen Handlungsebenen vorgestellt. Es wird sich zeigen, je höher die Handlungsebene ist, desto komplexer sind die Fehlerentdeckungsmechanismen und desto mehr aufmerksamkeitsgeleitete Prozesse müssen eingreifen. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 101 Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 102 a. Kontrolle der Körperhaltung (automatische Korrektur von Abweichungen der Körperhaltung) Diese Kontrolle operiert auf einer relativ niedrigen Handlungsebene und in aller Regel erfüllen diese Kontrollmechanismen ihre Aufgabe recht gut. Wie wichtig sie jedoch sind und wie abhängig wir eigentlich von diesen einfachen Kontrollinstanzen sind, wird uns normalerweise erst dann bewußt, wenn eine Komponente ausfällt. Beispielsweise fallen solche Komponenten aus, wenn wir stark alkoholisiert sind, wir können dann nicht mehr stehen, Schwindel macht sich bemerkbar, etc.. Die Stabilität unserer Körperhaltung, die wir meist als gegeben erachten, beruht auf einer komplexen Interaktion der raumbezogenen Sinne (wie dem peripheren Sehen, den Bogengängen und Utriculus (dem Vestibularsystem) und dem Muskel - Haut - Gelenksystem) mit dem Kleinhirn und den spinalen Reflexen. Ausfälle treten auf unter, wie oben schon erwähnt, Alkohol - oder Drogeneinfluß, bei Krankheit oder auch durch experimentelle Manipulation. Hier lassen sich vor allem bei der Darbietung großer visueller Szenen, in denen sich alle Strukturelemente unisono bewegen und die nahezu das gesamte Blickfeld beanspruchen, große Effekte erzielen. Eine Versuchsanordnung hierzu, findet sich im Kapitel 6 über Fehlerentdeckung im Buch „Human Error“ von J. Reason (S.192). Es wird hier die Annahme gemacht, daß jeder der raumbezogenen Sinne Daten einem Vergleichsapparat zuführt, der das Ausmaß überprüft, in dem die Beschreibungen dieser Sinne, die die Körperhaltung und die Bewegung betreffen, übereinstimmen. Das zentrale Merkmal hierbei ist, daß der Output dieses Vergleichsprozesses nicht direkt der korrektiven Muskulatur übermittelt wird. Er dient vielmehr der Regulation der Orientierung einer internen Repräsentation der Körperhaltung im Raum. Es steuert daher nur die Position des Körpermodells die korrektive Muskulatur. Zur Veranschaulichung dient ein Beispiel: Vpn wird eine großräumige visuelle Szene, die sich unisono bewegt, dargeboten. Querstreifen, die vor einer Lichtquelle kontinuierlich nach unten laufen, erstrecken sich nahezu über das gesamte Blickfeld. Dies führt zu einer Vorwärtsneigung der Körpermodelle. Wie kommt es zu diesem Phänomen? Die Körpermodelle wurden getäuscht. Normalerweise sind weiträumige Bewegungen des visuellen Feldes eine unveränderliche Begleiterscheinung der Eigenbewegung. Eine gleichförmige Bewegung der gesamten visuellen Szene nach unten geht normalerweise mit einer Rückwärtsneigung einher. Das Körpermodell antizipiert nun erfahrungsgemäß diese Rückwärtsbewegung und versucht sie durch eine entsprechende Neigung nach vorn auszugleichen. Da es aber bei der visuellen Darstellung aufgrund fehlender Eigenbewegung zu keiner vorherigen Rückwärtsneigung kommt, wird nun keine Neigung ausgeglichen, sondern das Körpermodell neigt sich nach vorn. Es könnten nun zwar andere Sinne gegensätzliche Information signalisieren, da das Sehen jedoch der dominante Sinn ist, wird auf die visuellen Reize vorrangig reagiert. Es handelt sich hierbei allerdings nicht um einen Fehler des menschlichen Korrektursystems, dieses ist lediglich auf eine Vielzahl natürlicher Situationen eingestellt, Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 103 aber verständlicherweise nicht auf künstlich hergestellte Laborsituationen. Normalerweise würde das Körpermodell ja angemessen reagieren, nur unter dem veränderten Kontext passiert der Fehler. Jedoch läßt sich in der künstlichen Situation noch ein weiterer Fehler feststellen. Der Körper schießt über die Aufrechtposition hinaus, wenn die Bewegung angehalten wird, und das so stark, daß das Körpermodell fast zu Fall kommt. Wie kommt es zu diesem Phänomen? Zur genauen Erklärung wird auf das Kapitel 6 des diesem Text zu Grunde liegenden Buches verwiesen. Vereinfacht läßt sich der Sachverhalt wie folgt darstellen. Da das Körpermodell durch die automatischen Korrekturmechanismen nach vorn gebeugt wurde, hat das Muskel - Gelenk - System harte Arbeit zu verrichten, um ein Umkippen zu vermeiden. Die Inputs, die das Körpermodell über den Vergleichsapparat erreichen, wirken der visuellen Bewegung entgegen. Der Körper ist zwar nach vorn gebeugt, allerdings orientiert sich das Körpermodell während der Vorwärtslage in die Nähe einer scheinbaren Vertikalen (scheinbare Aufrechtposition, die dem Soll - Zustand entspricht) zurück. Entfällt nun plötzlich die nach vorn lehnende Kraft, will sich das Körpermodell dem Soll - Zustand anpassen, der allerdings hinter der wirklichen Vertikalen liegt. Folglich schnellt der Körper über die tatsächlich Aufrechtposition hinaus. Mit Hilfe dieser beiden Beispiele wurden die Korrekturmechanismen unseres Körpers demonstriert. Zwar erfolgte dies paradoxerweise durch ihr Versagen in einer nicht - ökologischen Situation, jedoch funktionieren diese Mechanismen wie schon erwähnt unter natürlichen Bedingungen einwandfrei ohne jeglichen Rückgriff auf kognitive Prozesse. Tatsächlich erweisen sie sich gerade dann als fehlbar, wenn sie durch gerade diese Kontrollinstanzen auf höhere Ebene gezwungen werden, in atypischen Kraftfeldern zu operieren, wie sie sich beispielsweise auch in fast allen Arten menschlicher Verkehrsmittel wiederfinden. b. Entdeckung und Korrektur einfacher motorischer Reaktionen und wahrnehmungs - bezogener Unterscheidungen P. Rabbitt hat die Fehlerentdeckung auf dieser noch relativ niedrigen Ebene untersucht. Er wollte die Mechanismen identifizieren, mit denen Fehler in einfachen Reaktionswahlaufgaben schnell und akkurat korrigiert werden. Diese Idee gründet auf seiner Beobachtung, daß fehlerkorrigierende Reaktionen in Reaktionswahlaufgaben (Vp mußte so schnell wie möglich eine bestimmte Taste drücken, wenn eine übereinstimmende Anzahl von Signallämpchen aufleuchtet) gewöhnlich schneller als richtige Reaktionen erfolgen. Burns fand zusätzlich, daß sie sogar schneller erfolgen als richtige Reaktionswiederholungen. In den Versuchen zeigte sich, daß die Vpn nahezu alle ihrer Fehler, auch ohne Rückmeldung, entdecken und beheben. Die Tatsache, daß Bewegungsfehler so schnell aufgespürt werden, weist auf eine Art „Echo“ des korrekten Bewegungsprogrammes hin, das fortbesteht nachdem eine Bewegung ausgeführt wurde. Hier kann nun die Rückkopplungsschleife greifen. Die Vp erhält die Möglichkeit ihre tatsächliche mit ihrer beabsichtigten Reaktion zu vergleichen. Eine mögliche Erklärung für diese Befunde wäre also, die Annahme, daß die Vpn die Wahrnehmung ihrer falsche Reaktion mit ihrer ursprünglichen Absicht vergleichen. Kontrolltheoretisch formuliert, hieße das, die Ausführungsfehler werden entdeckt, indem die Rückmeldungen jeder Reaktion überwacht werden und gegen ein internes Modell der richtigen Reaktion geprüft werden. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 104 Aber nicht nur durch Rückkopplungsmechanismen werden einfache motorische Reaktionen korrigiert. Ein Fehler könnte beispielsweise nicht durch eine falsch gewählte Reaktion zustande kommen, sondern auch durch die falsche Aufnahme eines Signals. Diskriminationsfehler dieser Art erfordern einen anderen Entdeckungsmechanismus als den der Rückkopplungsschleifen. Um festzustellen wie eine Entdeckung solcher Fehler erfolgt, führte die Gruppe um Rabbitt einen weiteren Versuch durch. Anhand einer visuellen Suchaufgabe, bei der die Vpn zu jedem Zeitpunkt nur eine Darbietung von Buchstaben kontrollieren mußten und je nachdem ob der Targetbuchstabe in der Anordnung vorhanden war oder nicht unterschiedlich reagieren mußten, läßt sich feststellen ob ein Fehler aufgrund einer falschen Reaktionswahl vorliegt oder aufgrund einer mangelhaften Wahrnehmungs - diskrimination zustande kam. Letzteres wäre ein Fehler falscher Identifikation, die Vp reagiert auf den Targetbuchstaben, obwohl dieser nicht gezeigt wurde. Ersteres wäre ein Unterlassungsfehler, die Vp reagiert nicht, obwohl der Targetbuchstabe in der Anordnung auftauchte. Es zeigte sich, daß Unterlassungsfehler, also Fehler bzgl. der Reaktion viel häufiger auftraten, diese jedoch auch wesentlich häufiger verbessert wurden. Schlußfolgernd läßt sich sagen, daß wahrnehmungsbedingte Fehler zwar auch korrigiert werden können, jedoch läßt sich die wesentlich geringere Anzahl solcher Fehler, die erfolgreich entdeckt wurden, dadurch erklären, daß die wahrgenommene Darbietung noch einige Sekunden bis nach einer falschen Reaktionsausführung präsent bleibt. c. Entdeckung und Korrektur von Sprechfehlern Gesprochene Sprache besteht aus gut identifizierbaren linguistischen Einheiten. Das erlaubt eine bessere Analyse der Fehlerentdeckung und - korrektur als bei anderen fähigkeitsbezogenen Tätigkeiten, die sich nicht so leicht segmentieren lassen. Die meisten Psycholinguisten gehen von der Präsenz eines internen Lektors aus, der den sprachlichen Output sowohl vor als auch nach seiner Äußerung überprüft. Es ist jedoch noch unklar, inwieweit die Arbeitsweise dieser Fehlerentdeckungsmechanismen detailliert ist. In Untersuchungen werden Sprechfehler auf zwei Dimensionen klassifiziert. Zum einen unterscheidet man lexikalische (Fehler in der Wortwahl) von phonologischen Fehlern. Zum anderen wird zwischen Antizipationsfehlern (AF), Persevarationsfehlern (PF) und Vertauschungsfehlern (VF) getrennt. Unter Perseveration versteht man ein „Festhaften an früheren Funktionen“, vor allem für überlanges Andauern und für häufige Wiederkehr eines sensorischen, motorischen oder sprachlichen Vorganges. Antizipations - und Vertauschungsfehler lassen sich am besten im Vergleich beschreiben Als AF würde ein Sprechfehler wie „hinke Hemisphäre“ gelten. Hier wird das „H“, der Anfangsbuchstabe des nachfolgenden Wortes schon in dem Moment antizipiert, in dem erst das vorhergehende ausgesprochen wird. Als VF würde gelten, wenn der Fehler nicht nach anfänglicher zu früher Antizipation entdeckt wurde, sondern mit „hinke Lemisphäre“ fortgefahren wird. Man kann schon an diesem Beispiel erkennen, daß eine frühe Fehlererkennung einen möglichen VF zu einen AF werden läßt, und daß letztere somit häufiger auftreten bzw. häufiger entdeckt werden. Dies konnte auch Nooteboom in seiner Untersuchung 1980 feststellen. Er analysierte alle von den Vpn entdeckten Sprechfehler im Sprechcorpus von Meringer aus dem Jahr 1908. Es fand sich, daß 64% aller Fehler korrigiert wurden. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 105 Sowohl bei lexikalischen als auch bei phonologischen Fehlern wurden AF am häufigsten entdeckt (zu 80 90%), viel öfter als beispielsweise VF (nur 14 - 18%). Das läßt sich wie oben schon erwähnt dadurch erklären, daß ein VF, wenn er sehr früh entdeckt wird, zu einem AF wird, der wiederum natürlich gleich mit entdeckt wurde. PF werden zu 55 - 60% verbessert. Außerdem fand sich, daß lexikalische Fehler genauso häufig korrigiert werden wie phonologische Fehler, was darauf schließen läßt, daß beide Elemente, lexikalische als auch phonologische Richtigkeit, gleich wichtig für eine erfolgreiche Kommunikation sind. Da jedoch nicht sämtliche Fehler berichtigt werden, ist anzunehmen, daß die Fehlerentdeckung des Outputs nicht perfekt ist. Es konkurrieren hier offensichtlich zwei Bedürfnisse: 1. das Bedürfnis, den Fehler zu korrigieren 2. das Bedürfnis, das Wort zu vollenden Erfolgt nun eine Fehlerentdeckung vor der nächsten Wortgrenze, setzt sich Bedürfnis 1 normalerweise durch. Erfolgt sie jedoch zu einem späteren Zeitpunkt, setzt sich Bedürfnis 2 durch. Allgemein läßt sich sagen, daß in der Mitte eines Wortes nicht mehr angehalten wird, und nach 5 nachfolgenden Worten ist eine Fehlerentdeckung gleich Null. Es wurden zu diesem Thema noch weitere Untersuchungen durchgeführt bei denen Vpn dazu gebracht werden sollten, Versprecher zu produzieren. Es zeigte sich, daß dies wesentlich leichter bei lexikalischen Versprechern gelang, solange sie keinen anzüglichen Sinn beinhielten. Beispielsweise sagten Vpn häufiger „Handlaus“ statt „Landhaus“ als „Pellwappe“ statt „Wellpappe“ oder als sie Verwechslungen bei dem Wort „Blickphasen“ produzierten. Alles in allem wird gesprochener Output auf mehren Ebenen überarbeitet. Es finden eher lexikalische Versprecher statt, wenn sie nicht sozial unangepaßt sind. Jedoch können auch solche peinlichen Versprecher gelegentlich auftreten. d. Entdeckung von Handlungspatzern Patzer treten während der Abwesenheit notwendiger Aufmerksamkeitschecks auf. Sie können dann entdeckt werden, wenn die Aufmerksamkeit zu einem späteren Zeitpunkt wieder einsetzt. Jedoch garantiert ein Aufmersamkeitscheck nach einem unterlaufenen Fehler nicht notwendigerweise dessen Entdeckung. Zusätzlich müssen auf dieser Ebenen Hinweisreize verfügbar sein, die darauf hinweisen, daß eine Abweichung vom ursprünglichen Ziel vorliegt, sozusagen eine externe Rückkopplungsschleife. Wenn man z.B. fälschlicherweise den Tee anstatt in die Tasse in die Zuckerdose gießt, merkt man das sofort, zuckert man nun jedoch einen Kuchenteig zweimal, merkt man das für gewöhnlich erst etwas später, v.a. dann, wenn der Kuchen eingefroren werden soll. Anders als bei Sprechfehlern erstreckt sich die Fehlerentdeckung bei Patzern weit über das tatsächliche Auftreten des Fehlers hinaus. Die Fehlerentdeckung liegt hier zwischen zwei Extremen. Zum einen kann ein Handlungspatzer gerade noch abgefangen werden, es liegt noch kein Fehler vor, nur eine fehlerhafte Bewegung möglicherweise. Der Tee ist noch nicht in der Zuckerdose gelandet, aber die Armbewegung hatte schon Richtung auf diese genommen. Das andere Extrem wären Unterlassungen, die z.T. erst Tage oder Wochen später entdeckt werden und nur anhand mühsamer Erinnerungsleistungen zurückverfolgt und Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 106 aufgeklärt werden können. Wenn man beispielsweise auf dem Fest, für das ein Tage zuvor gebackener und wieder aufgetauter Kuchen angeschnitten wird, bemerkt: „Habe ich wirklich keinen Zucker in den Teig getan?“. Im einfachsten Fall werden Handlungspatzer also durch Rückkopplungsprozesse aufgedeckt, die in die Handlung integriert sind. Im komplexesten Fall reichen diese nicht aus, es müssen bewußte Erinnerungsleistungen bemüht werden, um sie aufzuklären. e. Entdeckung von Fehlern während des Problemlösens Bisher wurde lediglich die Fehlerentdeckung auf fähigkeitsbasierter Ebene betrachtet, bei der eine Diskrepanz zwischen Ist - und Sollzustand bzw. zwischen dem beabsichtigten und dem tatsächlichen Ziel recht offensichtlich ist. So einfach stellt sich die Fehlerentdeckung beim Problemlösen nicht dar, wie sich noch zeigen wird. Der Terminus „Problemlösen“ soll unterschiedliche Aktivitäten umfassen, die auf regelbasierter und wissensbasierter Ausführungsebene beteiligt sind, wie etwa bei Schlußfolgerungen, Beurteilungen, Diagnosen und bei der Entscheidungsfindung. Beim Problemlösen sind Kriterien für eine erfolgreiche Ausführung nicht nur und ausschließlich im Kopf des Individuums verankert. Sie können auch nur in der Umwelt vorliegen. Normalerweise erreicht man auf dieser Ebene sein Ziel nur durch Versuch und Irrtum, wobei ein Erfolg von strategischen und taktischen Aspekten abhängt. Diese wären: 1. eine korrekte Definition des Ziels (strategischer Aspekt) 2. die Fähigkeit bzw. Möglichkeit, Abweichungen von einem angemessenen Weg im Hinblick auf das Ziel zu erkennen und zu korrigieren (taktischer Aspekt) Jeder dieser beiden Aspekte geht nun mit unterschiedlichen Implikationen der Fehlerentdeckung einher. Strategische Fehler (Auswahl eines falschen Ziels) werden generell schwieriger entdeckt als taktische Fehler (Verfolgung des falschen Weges). Das liegt an der schwierigeren Spezifizierung der rückgemeldeten Information nach Wahl des falschen Ziels. Hierfür lassen sich diverse Gründe angeben: 1. Der Erfolg einer strategische Entscheidung wird über viel größere Abstände hinweg beurteilt, und dann auch nur im Bezug zu einem übergeordneten oder weiter entfernten Ziel. Beispiel: Falsches Ziel: Berufswunsch Psychologie Falscher Weg: Lernstrategie Im zweiten Fall wird man spätestens nach einer verpatzten Klausur seinen Mißerfolg und damit im Zusammenhang die falsche Lernstrategie (der gesamte Lernstoff wurde nur ein einziges Mal durchgelesen) als Fehlerquelle entdecken und diese ändern. Dagegen kann im ersten Fall möglicherweise eine erste kritische Überprüfung des Ziels erst nach einem Praktikum (in der Regel zwei Jahre nach Studienbeginn) erfolgen, die Beurteilung des eigenen Ziels, Psychologe zu werden, hängt nun natürlich auch von der Lebenszufriedenheit, dem Lebensstandard, etc. der von dem praktikumsleitenden Psychologen vermittelt wird, ab. 2. Kriterien für Erfolg und Mißerfolg können oft nur im Nachhinein beurteilt werden. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 107 Beispiel: Man sieht normalerweise erst, nachdem man den Beruf schon ausübt, ob man dafür wirklich geeignet ist, ob man Zugang zu den Klienten/ Patienten findet, etc. und eben nicht an anfänglichen Erfolgskriterien wie einer bestandenen Statistikklausur. 3. Die Identifikation eines Ziels geht mit einer Theorie über einen zukünftigen Zustand der Welt einher und unterliegt damit den „Scheuklappen“ der verzerrenden Neigung zur Bestätigung (dessen was im Zusammenhang mit dem Ziel steht) und der nicht mehr so akuter Besorgnis (über mögliches Versagen) d.h. wenn man schon involviert ist, sich auf dem Weg zu einem sich gesetzten Ziel befindet, verarbeitet man vorrangig zielkonforme Informationen und wertet Besorgniserregendes ab. Die Urteilshaltung des Handelnden verliert an Objektivität, sie unterliegt zunehmend subjektiven Einflüssen. Man muß daher feststellen, daß eine Fehlerentdeckung leichter bei solchen Problemen erfolgt, denen eine klar definierte Lösung zu Grunde liegt, so daß die Art der Problembehandlung nur auf taktischer Ebene beurteilt werden muß. Hierzu wurden diverse Untersuchungen durchgeführt, auf die nun im Folgenden näher eingegangen wird. 7.3.2 Schwedische Untersuchungen Allwood (1984) ließ seine Vpn während sie statistische Probleme lösen sollten, laut denken. Die Aufgaben wurden zu einer besseren Analyse in zwei Phasen gegliedert: 1. progressive Phase: Die Vpn arbeiteten auf den Zielzustand des Problems hin 2. evaluative Phase: Die Vpn überprüften einen schon fertigen Teil des Problems. Dieser kann sowohl bestätigend als auch negativ ausfallen. Eine Fehlerentdeckung tritt immer in Phasen negativer Evaluation auf. Sie umfaßt zwei Stufen: 1. die Auslösung der Fehlerentdeckungsmechanismen 2. Spätere Schritte zur Entdeckung und Korrektur des Fehlers Die Analyse der verbalen Protokolle in der Untersuchung Allwoods legte eine Klassifikation der Abschnitte negativer Beurteilung nahe: A. Standardprüfung (SP) Sie werden unabhängig von vorangehendem Tun eingeleitet. Die Vp beschließt einfach, den Fortgang der Dinge einer allgemeinen Prüfung zu unterziehen. B. Unmittelbare Bildung von Fehlerhypothesen (UFH) Dieser Abschnitt wird durch plötzliches Entdecken eines vermuteten Fehlers ausgelöst. Er muß jedoch nicht sofort nach dem Geschehen eines Fehlers auftreten, und die gebildeten Hypothesen decken auch nicht notwendigerweise Fehler auf. C. Fehlerverdacht (FV) Vp bemerkt etwas Ungewöhnliches und vermutet, daß ein Fehler gemacht wurde. Im UFH - Modus beziehen sich Bemerkungen auf spezifische Fehler, selbst wenn diese nur vermutet werden. Hier wird auf die Eigenschaft der produzierten Lösung Bezug genommen, ohne daß anfänglich ein genauer Grund identifiziert wird. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 108 Diese Befunde sprechen für zwei Arten von Theorien: 1. Die SP - Abschnitte belegen zentral abgerufene Mechanismen (vgl. Hayes & Flower 1980, Sussman 1975, Allwood & Montgomery 1982). Diese ergeben sich aus einem charakteristischen Teil der Problemlösetechnik und werden nicht durch irgendein Merkmal der Problemlösung ausgelöst. 2. In anderen Theorien wir das spontane datengeleitete Wesen der Prozesse hervorgehoben. Die Fehlerentdeckung erfolgt entweder aufgrund gespeicherter Repräsentationen vergangener Fehler, die mit den aktuellen übereinstimmen, oder sie wird aufgrund der allgemeinen Erwartungen der Vp und der Ergebnisse ihrer Bemühungen um eine Problemlösung ausgelöst. Insgesamt kann man Allwoods Ergebnisse wie folgt zusammenfassen: Nur ein Drittel der nicht entdeckten Fehler war für die Evaluationsphase relevant. Die Vpn hatten Schwierigkeiten, auf die Folgen ihrer Fehler zu reagieren. UFH - und FH - Abschnitte traten am häufigsten auf. 95% der erstgenannten und 66% der zweitgenannten verbalen Protokollabschnitte wurden durch fehlerhafte Teillösungen ausgelöst. Ausführungsfehler (Patzer) wurden viel leichter entdeckt als Fehler bei der Lösungsmethode (Fehler). Patzer wurden eher in UFH - Abschnitten entdeckt, wohingegen diese als wenig geeignet erschienen Fehler zu entdecken. Die FV - Abschnitte besitzen dagegen große Wichtigkeit Fehler bei der Lösungsmethode aufzudecken. Die Chancen einer erfolgreichen Fehlerentdeckung in FV - Abschnitten nehmen schlagartig ab, wenn zwischen dem Fehler und dem Evaluationsabschnitt Zeit verstreicht. Dieser Effekt tritt bei der Entdeckung von Patzern noch deutlicher zu Tage. 7.3.3 Italienische Untersuchungen Rizzo und Mitarbeiter (1986,1987) untersuchten in zwei Experimenten die Beziehungen zwischen den drei grundlegenden Fehlertypen (fähigkeitsbasierte, wissensbasierte und regelbasierte Fehler) und den drei oben angeführten Prozessen der selbstüberwachten Fehlerentdeckung (SP, UFH, FV). Zur Lektüre der genauen Versuchsanordnungen wird auf das Kapitel 6 über die Fehlerentdeckung aus dem Buch „Human Error“ von J. Reason (S.201) verwiesen. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen zeigten: Daß die meisten fähigkeitsbasierten Patzer im Verlauf von UFH - Abschnitten entdeckt wurden daß wissensbasierte Fehler häufiger während der FV - Abschnitte erfaßt wurden und daß regelbasierte Fehler vorwiegend in UFH - Abschnitten, aber auch in FV - Abschnitten aufgespürt wurden In beiden Untersuchungen zeigte sich ein relativ einheitlicher Zusammenhang zwischen den Fehlertypen und der Art ihrer Entdeckung. Patzer wurden vorwiegend in Abschnitten unmittelbarer Fehlerhypothesen entdeckt; regelbasierte Fehler durch eine Mischung aus UFH - und FV - Abschnitten; und wissensbasierte Fehler wurden hauptsächlich bei Standardprüfungen entdeckt. Diese Befunde stützen sowohl die Klassifikation der drei grundlegenden Fehlertypen als auch Allwoods Klassifikation selbstüberwachender Prozesse. Des weiteren kommt ihnen eine tragende Bedeutung beim Entwurf zukünftiger Systeme der Fehlerentdeckung zu. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 109 7.4 Zusammenfassung Eine Selbstüberwachung funktioniert im Hinblick auf Fehlerentdeckung relativ gut. Jedoch wird sie mit zunehmender Komplexität der Handlungsebene fehleranfälliger, da hier einfache bzw. automatische Rückkopplungsschleifen nicht mehr ausreichen, um Fehler gut zu entdecken. Bewußt gesteuerte Denk - und Erinnerungsprozesse müssen bemüht werden, was eine höhere Fehleranfälligkeit erklärt, ebenso wie eine längere Dauer bis Fehler entdeckt werden. Dies zieht zum Großteil negativere Konsequenzen nach sich. Wenn nun die Befunde von Allwood und Rizzo zu Nutze gemacht werden könnten, wäre das eine gute Möglichkeit dieser Problematik entgegenzuwirken, indem gezielt die Modi angeregt werden, die in der entsprechenden Fehlersituation am besten greifen. 7.5 Fehlerentdeckung Man kann grundsätzlich 3 Arten der Fehlerentdeckung bzw. Fehlervermeidung beim Menschen unterscheiden: Externe Rückmeldung aus der Umgebung (z.B. Blockierung des weiteren Vorgehens) Externe Rückmeldung durch andere Personen (Hinweise für Fehlerentdeckung durch Überwachung) Interne Rückmeldung (Hinweise für Fehlerentdeckung aus dem Arbeitsgedächtnis der Person und nicht aus der Umwelt) ; s. „Fehlerentdeckung“ (1. Teil) Alle 3 Formen sind je nach Fehlertyp unterschiedlich effektiv. 7.5.1 Externe Rückmeldung aus der Umgebung 7.5.1.1 Zwingende Funktionen Die zwingende Funktion ist die wohl eindeutigste Art, über einen Fehler zu informieren, indem sie weitere Aktionen blockiert. Somit wird ebenfalls verhindert, dass eine Fehlhandlung weiterhin ausgeführt wird. Ein alltägliches Beispiel hierfür ist eine verschlossene Tür: Erst wenn sie aufgeschlossen wurde bzw. alle Riegel beiseite geschoben wurden, kann man die Tür öffnen. Die zwingende Funktion informiert jedoch nicht genauer über den Fehler. So reagiert ein Benutzer unter Umständen der Situation nicht angemessen und versucht, die Blockierung zu umgehen, ohne den Fehler zu beseitigen. In dem Beispiel der verschlossenen Tür fühlt sich der Wohnungsinhaber vielleicht veranlasst, die Tür gewaltsam zu öffnen (wenn er z.B. fälschlicherweise annimmt, er hätte den Schlüssel, der sich in seiner Jackentasche befindet, verloren). Zwingende Funktionen ergeben sich entweder durch natürliche Eigenschaften von Objekten (z.B. muss man die Zündung eines Autos aktivieren, bevor der Motor anspringt und man fahren kann) oder durch willkürlich in ein System eingebaute Eigenschaften, die Fehler durch den Anwender vermeiden sollen (z.B. können die meisten Autos nur von außen abgeschlossen werden, um zu vermeiden, dass man den Schlüssel im Zündschloss vergisst). Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 110 Um ein Ziel zu erreichen, ist es erforderlich, alle Funktionen A, B, C auszuführen (s. Abb. 1/a) bzw. alle Funktionen in einer bestimmten Reihenfolge (erst A, dann B, dann C) abzuarbeiten (s. Abb. 1/b). Weiterhin sind bestimmte Mischformen denkbar (s. Abb. 1/c). Ein Beispiel für Abb. 1/a wäre die bereits erwähnte Tür, bei der alle Riegel beiseite geschoben werden müssen, um sie zu öffnen. Die Reihenfolge spielt dabei keine Rolle. Für Abb. 1/b könnte man als Beispiel anführen das „Auseinanderlegen“ eines technischen Gerätes. Durch die physikalischen Gegebenheiten ist es bspw. nicht möglich, eine Grafikkarte in einen PC einzubauen, ohne vorher (Reihenfolge) das Gehäuse zu öffnen. Durch viele zwingende Funktionen gibt es häufig nur einen Weg, ein Gerät auseinaderzulegen, wobei sich die Reihenfolge zwangsläufig ergibt. Ein Problem stellt sich beim Zusammenbauen dar, da hier die Zwingenden Funktionen als Orientierung fehlen. Man „spart“ unter Umständen Ersatzeile ein. Was Abb. 1/c betrifft, so ist es möglich, diese Form der zwingenden Funktionen mit der Prüfungsordnung für Psychologie an der Uni Würzburg zu vergleichen (wenn auch mit Einschränkungen) : Es ist bspw. notwendig, alle erforderlichen Scheine (hier: A und B) zu erwerben, bevor man zur Vordiplom – Prüfung zugelassen wird. Die Reihenfolge ist dabei natürlich wichtig. In welcher Reihenfolge man die Scheine erhält wird weitgehend den Studierenden überlassen. Entscheidet man sich die einzelnen Prüfungen auf zwei Semester aufzuteilen, liegt es ebenfalls in der Hand der Prüflinge, welche Prüfungen sie beim ersten bzw. zweiten Mal ablegen. 7.5.1.2 Hinweise Hinweise kann ein Anwender durch Gegebenheiten aus der Umgebung (Warnleuchten o. ä.) oder durch andere Personen (z.B. Kontrolleure) erhalten. Ein typisches Beispiel für einen Hinweis auf einen Fehler des Benutzers durch ein (technisches) System ist die Kontrollampe, die im Auto erst erlischt, wenn die Handbremse gelöst wurde. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 111 Hinweise unterscheiden sich von zwingenden Funktionen vor allem dadurch, dass sie es dem Anwender überlassen, auf die Meldung in geeigneter Weise zu reagieren. Ob und wie er auf diese Informationen reagiert, hängt von seiner Fähigkeit ab, die Hinweise zu erkennen und von seinen Möglichkeiten, die er zur Fehlerbehebung hat. 7.5.2 Reaktionen des Systems auf Fehler Es gibt diverse Möglichkeiten, wie ein technisches System – ein Betriebssystem zum Beispiel – auf Eingabefehler reagieren kann. Dabei gibt es für den Benutzer des Systems mehr oder weniger zweckmäßige / intelligente Reaktionen: 7.5.2.1 Sperren Zwingende Funktion, die den Benutzer von weiteren Aktionen abhält Verhindert weitere Fehler Wenig benutzerfreundlich, da keine Information über Art des Fehlers geliefert wird Bsp.: Computer sperrt Tastatur, bis die Reset – Taste gedrückt wurde 7.5.2.2 Warnungen Informieren Benutzer über evtl. Fehler Richtiger Handlungsablauf muss vom Benutzer bestimmt werden System stellt möglicherweise richtige Alternativen zur Verfügung „Fehlermeldung, bevor Fehlhandlung eingetreten ist.“ Bsp.: Computer – Warnungen mit Ja/Nein/Abbrechen 7.5.2.3 „Nichtstun“ System reagiert nicht auf unzulässigen Input Ohne sinnvolles Feedback wenig sinnvoll 7.5.2.4 Selbstkorrektur System versucht, die vom Benutzer gewünschte Aktion aufgrund seines fehlerhaften Inputs herauszufinden (zu erraten). Bsp.: AutoKorrektur bei MS Word 7.5.2.5 „Lass‘ uns darüber reden“ System – Benutzer – Dialog über mögl. Fehlerquelle Interaktion und Beschreibung der aktuellen Schwierigkeit Bsp.: W 95 defekter Treiber mit Verweis auf Geräte – Manager oder nicht installierter Drucker 7.5.2.6 „Bring’s mir bei“ System fragt nach der Absicht des Benutzers und versucht, gewünschte Aktion mit Input zu verknüpfen Bsp.: Betriebssystemsteuerung über Spracherkennung („Naturally Speaking“) Diese „Systemantworten“ sind einige Beispiele für grundlegende Prinzipien, wie sie in Interaktionen von Menschen mit Computern angewendet werden. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 112 7.5.3 Fehlerentdeckung durch andere Menschen Beim Beseitigen von Fehlern durch Menschen ist es sinnvoll, drei Teilschritte zu unterscheiden: Fehleridentifikation Diagnose Fehlerbehebung Abb. 2 Bei der Fehleridentifikation geht es darum, den Fehler zu erkennen, wobei die Schwierigkeit meist darin besteht, den für eine Störung oder eine Abweichung im System verantwortlichen Fehler zu finden. Im zweiten Teilschritt, der Fehlerdiagnose, wird der entdeckte Fehler klassifiziert und eingestuft. Weiterhin wird über entsprechende Fehlerbehebungsstrategien entschieden. Schließlich wird in der Phase der Fehlerbehebung idealerweise die Ursache der Fehlleistung beseitigt oder zumindest versucht, das System wieder zum störungsfreien Betrieb zu veranlassen. Woods (1984) unterscheidet zwei Arten von Bedienungsfehlern: a) Probleme bei der Identifikation des Zustands und damit verbundene Fehldiagnosen (Phasen 1 und 2) b) Ausführungsfehler (Phase 3) In einer Studie, in der er 99 simulierte Störfälle (8 verschiedene Szenarien) in Kernkraftwerken und deren Entdeckung und Beseitigung untersuchte, stellte er fest: Ca. 50% der Ausführungsfehler wurden von den 23 erfahrenen Bedienungsteams entdeckt, aber: Kein einziger der Diagnosefehler wurde erkannt! Ca. 75% der Fehler insgesamt konnten durch externe Beobachter (Kontrolleure) entdeckt werden. Die Ursache für die schlechte Erkennungsrate bei Diagnosefehlern ist nach Woods eine Fixierung, so dass trotz widersprüchlicher Anhaltspunkte an der ursprünglichen Diagnose festgehalten wird. Da kaum Feedback möglich ist, fällt es den Menschen vermutlich generell schwer, Fehldiagnosen zu korrigiere. Anders bei Ausführungsfehlern, wo meist eine unmittelbare und direkte Rückkopplung verfügbar ist. Hier zeigt sich deutlich die Notwendigkeit einer externen Kontrolle. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 113 7.5.4 Relative Fehlerentdeckung Warum begeht nun ein Mensch Fehler und wovon hängt die Fehlerrate ab? Es erscheint zweckmäßig, die Aufgaben, die gestellt werden nach zwei Punkten zu unterscheiden: 1. Das Ausmaß der Schwierigkeit oder Komplexität der Aufgaben 2. Die unterschiedlichen Ausführungsebenen der Aufgaben 7.5.4.1 Entdeckungsrate und Aufgabenkomplexität Hier nun einige Zahlen, die nahelegen, aber keinesfalls beweisen, dass die Fehlerentdeckung mit zunehmender Aufgabenkomplexität abnimmt: Art der Aufgabe / des Fehlers Fehlerentdeckungsraten Sprechfehler 64% Lösen statistischer Probleme 69% Datenbankmanipulation 84% – 92% Produktionsplanung (Stahlwalzwerk) 78% Simulierte Notfälle in Kernkraftanlagen 38% Natürlich sind diese Daten nicht ohne weiteres vergleichbar, sie liefern jedoch Indizien für die oben genannte Behauptung. 7.5.4.2 Entdeckungsraten und Fehlertypen In einem Satz lässt sich hier schlicht und einfach zusammenfassen, dass aufgrund des (evtl. ausbleibenden) Feedbacks die Fehlerenteckungs - und Korrekturrate bei fähigkeitsbasierten Fehlern am höchsten ist, gefolgt von regelbasierten Fehlern und bei wissensbasierten Fehlern äußerst gering ausfällt (s. o.). 7.5.5 Kognitive Prozesse, die die Fehlerentdeckung behindern Nach Lewis und Norman (1984 / 86) ver - oder behindern 3 Prozesse die Entdeckung eigener Fehler: Verzerrte Relevanzeinschätzung Teilerklärungen Überschneidung zwischen mentalem Modell und der Welt 7.5.5.1 Verzerrte Relevanzeinschätzung Diese Verzerrung kommt häufig bei Personen vor, die auf ihrem Spezialgebiet bereits über viel Erfahrung verfügen („Berufsblindheit“). Der „Schlüssellochblick“ verhindert eine weitere Überprüfung der Hypothesen. Häufig sind es „Experten“, die durch „eingefahrene“ Denkweisen zu wenig flexibel auf Fehler reagieren können. (Bsp.: „Des Kaisers neue Kleider“ – Nur wer unvoreingenommen ist, erkennt den eigentlichen Sachverhalt.) 7.5.5.2 Teilerklärungen Der Mensch versucht, Ordnung in das Chaos von Informationen zu bekommen, versucht zu strukturieren und zu vereinfachen. Insofern ist es möglich, dass dieser Prozess zu Fehleinschätzungen führt, weil z.B. zu Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 114 wenig Informationen berücksichtigt werden oder die wahre Struktur nur unzureichend erkannt wird. Ein Mensch ist also bei weitem nicht immer ein rationales, sondern eben oft ein rationalisierendes Wesen. Ein Beispiel für solche Teilerklärungen ist der Aberglaube. Hier wird unzulässigerweise eine Kausalbeziehung zwischen zwei Ereignissen hergestellt. Manchmal besteht tatsächlich ein (korrelativer) Zusammenhang. Eine Ursache – Wirkung – Interpretation ist jedoch eine „unzulässige“ Vereinfachung. Hinzuzufügen ist noch, dass Teilerklärung bei Lernprozessen durchaus ihren Sinn haben und meist wünschenswert sind, die Fehlerentdeckung jedoch erheblich behindert. 7.5.5.3 Überschneidung der Welt mit dem mentalen Modell Wenn das Modell eines Problemraums nicht oder nur zu einem sehr geringem Teil mit dem realen Problemraum übereinstimmt, dann bemerkt man dies meist ohne Schwierigkeiten, weil die Rückmeldungen mit den erwarteten Ereignissen nicht übereinstimmen. Das Modell muss angepasst werden. Anders bei einem Modell das teilweise mit der Umwelt übereinstimmt (vgl. Teilerklärungen). Hier bekommt man Informationen, die das eigene Modell in Teilen bestätigen und in teilweise widerlegen. Je nach Verhältnis der beiden Arten von Information und nach Fähigkeiten und Persönlichkeit eines Menschen wird evtl. nur die Übereinstimmung bemerkt und davon abweichendes Feedback ignoriert oder fehlinterpretiert. Dadurch sinkt die Empfindlichkeit des Fehlerentdeckungsmechanismus. 7.5.5.4 Die Schwierigkeit, häufige Fehler zu entdecken Wenn eine Person – aus welchen Gründen auch immer – die Fehlerrückmeldung übersieht, ignoriert oder nicht mit dem Fehler in Verbindung bringt (was Lernen bedeuten würde), ist es möglich, dass ein Fehler so vertraut wird, dass er in Zukunft noch weniger als solcher erkannt wird. Das nennt Reason „Tarnung durch Vertrautheit“. Abhängig von der Schwere und Auffälligkeit des Fehlers wird der Fehler in das mentale Modell als richtige (=wahre) Größe mit aufgenommen. In diesem Fall kann der Fehler nur noch durch externe Kontrolle gefunden werden. 7.5.6 Ausblick und Schlussfolgerungen „Prozesse der Fehlerentdeckung bilden einen wesentlichen Teil der mehrere Ebenen umfassenden Mechanismen, die das menschliche Handeln leiten und koordinieren. Obwohl über ihr genaues Funktionieren wenig bekannt ist, gibt es Gründe für die Annahme, daß die Effektivität dieser Prozesse in umgekehrter Beziehung zu ihrer Position in der Kontrollhierarchie steht. Korrekturmechanismen der Körperhaltung auf niedriger Ebene erfolgen in hohem Maße zuverlässig, sofern sie nicht geschädigt sind oder in ökologisch wenig validen Umgebungen operieren müssen. Am anderen Extrem sind kognitive Prozesse auf hoher Ebene, die die Zielsetzung und die Auswahl von Mitteln zur Erreichung der gesetzten Ziele betreffen, für mögliche oder tatsächliche Abweichungen von einem optimalen Weg zum erwünschten Ziel weit weniger sensitiv. Die relative Effektivität dieser Entdeckungsmechanismen hängt wesentlich davon ab, daß die rückgemeldete Information unmittelbar und in zutreffender Weise erfolgt. Auf niedriger Ebene erfolgt dies direkt und automatisch durch fest verdrahtete Nervenmechanismen. Auf den obersten Ebenen ist eine solche Information jedoch im schlimmsten Fall gar nicht verfügbar und läßt im besten Fall Raum für viele Interpretationen. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 115 Es gibt im Prinzip drei Wege, auf denen ein Fehler entdeckt werden kann. Entweder wird er durch einen der vielfältigen selbstüberwachenden Prozesse entdeckt. Diese sind, wie oben ausgeführt, auf der physiologischen und der fähigkeitsbasierten Ebene am wirkungsvollsten. Ein Fehler kann auch durch einen Hinweis aus der Umgebung angezeigt werden, im offensichtlichsten Fall durch eine zwingende Funktion, die das Weitermachen verhindert. Oder der Fehler wird von einer anderen Person entdeckt. Bei der Entdeckung durch Andere scheint es sich um die einzige Möglichkeit zu handeln, bei der bestimmte Diagnosefehler in komplexen und angespannten Situationen ans Licht kommen. Obwohl fähigkeitsbasierte Fehler leichter entdeckt werden als regelbasierte und als wissensbasierte Fehler, sprechen die bislang vorliegenden Labordaten nicht dafür, daß sie sich hinsichtlich der relativen Leichtigkeit ihrer Entdeckung unterscheiden. Die Befundlage läßt annehmen, daß etwa drei von vier Fehlern von demjenigen, dem er unterlaufen ist, entdeckt werden. Die Chancen für eine wirksame Korrektur dürften jedoch auf fähigkeitsbasierter Ausführungsebene am höchsten und auf wissensbasierter Ebene am geringsten sein.“ (Reason, J.: „Fehlerentdeckung“; 1994) 7.6 Literatur Reason, J. (1990) Human Error. Cambridge University Press. New York. 8 Die Bestimmung und Verringerung des Fehlerrisikos beim Menschen Nachdem es in den vorherigen Referaten vor allem um theoretische Beschreibungen von menschlichen Fehlerarten und von Möglichkeiten, diese zu entdecken, ging, sollen hier nun verschiedene Techniken der Zuverlässigkeitsanalyse beim Menschen vorgestellt werden, mit denen versucht wird, die Risiken menschlicher Fehler zu bestimmen und zu verringern. 8.1 Zur Entwicklung der Zuverlässigkeitsanalyse beim Menschen Wie kam es überhaupt zur Entwicklung solcher Techniken? Von Anfang an stand die Entwicklung der Techniken zur Zuverlässigkeitsanalyse beim Menschen in engem Zusammenhang mit der Atomkraftindustrie – obwohl diese Methoden dann natürlich auch in anderen Bereichen eingesetzt wurden. Dass sie aber gerade für die Atomindustrie sehr wichtig sind, hat mehrere naheliegende Gründe. Als erstes sind die Ängste in der Bevölkerung vor allem Atomaren zu nennen, die durch die Katastrophe von Tschernobyl noch verstärkt wurden. In der Folgezeit des Unglücks wurden viele Reaktoraufträge verschoben oder gestrichen. Deshalb wurde es immer wichtiger, die Öffentlichkeit wieder von der wirtschaftlichen Notwendigkeit und vor allem von der Sicherheit neuer Reaktoren zu überzeugen. Zweitens müssen die Betreiber oft im voraus zeigen können, dass bestimmte Sicherheitskriterien erfüllt sind, damit ihre Projekte öffentlich akzeptiert werden und sie die Betriebserlaubnis erhalten. Die Konstruktion derart riskanter Anlagen kann nun aber nicht mehr auf Tests in Pilotanlagen oder auf Erfahrung von Unfällen basieren (wie es bei kleinen Einzelsystemen der Fall ist), sondern die Sicherheitskriterien müssen heute durch analytische Methoden festgelegt werden. Dies führte in den letzten 20 Jahren zu einer schnellen Entwicklung eines Zweiges der Zuverlässigkeitstechnik, nämlich der Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 116 probabilistischen, also wahrscheinlichkeitsbasierten Risikoeinschätzung. Viele der im Anschluss dargestellten Verfahren gründen auf dieser Methode, weshalb sie nun etwas genauer betrachtet werden soll. 8.2 Die probabilistische Risikoeinschätzung 8.2.1 Strukturbäume Die probabilistsche Risikoeinschätzung basiert auf logischen Strukturbäumen der Anlage und ihrer Funktionen. Man unterscheidet zwei Arten von Strukturbäumen. (a) Pannenbäume gehen von der Frage aus: Wie kann ein bestimmter Defekt auftreten (z.B. das bedrohliche Freiwerden von radioaktivem Material)? Sie gehen also vom Hauptereignis aus und verfolgen die Ursachen durch logische UND/ODER - Verknüpfungen bis zu möglichen Ausgangsfehlern zurück. (b) Bei Ereignisbäumen (bekannt aus der Statistik) geht man umgekehrt vor. Die Frage lautet: Was könnte passieren, wenn ein bestimmter Defekt oder Vorfall eintritt (z.B. ein Rohrbruch im Dampfgenerator oder ein geringer Kühlmittelverlust)? Es wird also mit Ausgangsfehlern begonnen und versucht, alle Möglichkeiten, die sich anschließend ereignen können, zu erfassen. Bei Ereignisbäumen für atomare Anlagen geht es vor allem darum, dass die Fehlerwahrscheinlichkeiten aller Sicherheitssysteme miteinbezogen werden. Aus den verschiedenen Strukturbäumen ergibt sich schon, dass die probabilistische Risikoeinschätzung zwei Ziele verfolgt. Erstens können dadurch mögliche Bereiche bedeutsamer Risiken entdeckt werden (Pannenbaum). Zweitens kann das Gesamtrisiko einer Anlage geschätzt werden (Ereignisbäume). 8.2.2 Die allgemeine Struktur der probabilistischen Risikoeinschätzung Auf allgemeiner Ebenen umfaßt die probabilistische Risikoeinschätzung die folgenden Verfahrensschritte (veröffentlicht 1975 in „An Assessment of Accident Risks in U.S. Commercial Nuclear Power Plants“) : (a) Bestimmung der Quellen möglicher Gefahren. (Schlimmste Gefahr in einem Atomkraftwerk: Freiwerden von Radioaktivität) (b) Bestimmung der möglichen auslösenden Ereignisse für diese Gefahr (c) Ermittlung der möglichen Folgen, die sich aus den auslösenden Ereignissen ergeben können (mit Hilfe von Ereignisbäumen) (d) Quantifizierung jeder Ereignisfolge. Dazu zählen Daten oder Schätzungen über zwei Aspekte: (1) Die Auftretenshäufigkeit der auslösenden Ereignisse und (2) die Fehlerwahrscheinlichkeit angesichts der relevanten Sicherheitssysteme. (e) Bestimmung des Gesamtrisikos der Anlage (Funktion der Häufigkeit aller möglichen Unfallsequenzen und ihrer Folgen) 8.2.3 Kritik an der probabilistischen Risikoeinschätzung Insgesamt stellt die Entwicklung der standardisierten probabilistischen Risikoeinschätzung einen großen Fortschritt in der Zuverlässigkeitstechnologie dar. Vor allem für den Konstruktionsprozess ergeben sich daraus erhebliche Verbesserungen, da solche Bereiche erkannt werden, in denen verstärkt Sicherheitssysteme eingebaut werden müssen. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 117 Trotzdem wurde die probabilistische Risikoeinschätzung in mehreren Punkten kritisiert. Erstens wird die Möglichkeit von Fehlern allgemeiner Art, die also unabhängig vom auslösenden Ereignis sind, vernachlässigt, da ja nach der Logik von Ereignisbäumen nur bedingte Wahrscheinlichkeiten benutzt werden. Zweitens ist es sehr schwer, Ereignisse zu quantifizieren, da es oft keine Daten über frühere Defekte gibt und diese geschätzt werden müssen. Die Hauptschwäche der probabilistischen Risikoeinschätzung liegt aber darin, dass sie den Teil des Unfallrisikos, der durch menschliche Fehler verursacht wird, nicht bestimmen kann. Die im folgenden vorgestellten Methoden versuchen nun, die Fehlerraten beim Menschen numerisch zu erfassen, um sie mit in die probabilistische Risikoeinschätzung einbauen zu können. Nachdem ein erster Einblick in die probabilistische Risikoeinschätzung gegeben wurde und dessen wichtigster Kritikpunkt angeführt wurde, soll diesem Kritikpunkt, daß der Beitrag menschlichen Fehlverhaltens im Versagen eines Systems nicht berücksichtigt werde, nun Rechnung getragen werden. Der Fehlerrate beim Menschen wird ein numerischer Wert zugeordnet in den 8.3 Techniken der Zuverlässigkeitsanalyse beim Menschen Bei den Techniken der Zuverlässigkeitsanalyse wurde eine unterschiedliche Anzahl verschiedener Modelle für den Einsatz in Untersuchungen zur probabilistischen Risikoeinschätzungen von unterschiedlichen Forschern angeführt. Exemplarisch sollen hier 5 Modelle dargestellt werden, wobei 2 näher betrachtet, d.h. ausführlicher analysiert werden sollen. Am Schluß wird eine Technik dargestellt, die dazu dient, in einer Untersuchung von den verschiedenen Modellen die passende Technik auszuwählen. 8.3.1 THERP: Technique for Human Error Rate Prediction Die am weitesten verbreiteste und bekannteste Technik geht vor allem und neben anderen auf Swain (1963) zurück und stellt somit eine der ältesten Techniken dar. Der Grundgedanke des Modells besteht darin, daß man die Zuverlässigkeit des Bedieners einer Maschine genauso abschätzen kann, wie man das Funktionieren eines jeden Bestandteiles dieser Maschine abschätzen kann. Dabei wird allerdings der größeren Variabilität und Unabhängigkeit von menschlichen Leistungen Rechnung getragen. Das Ziel besteht darin, menschliche Fehlerwahrscheinlichkeiten vorherzusagen und die Verschlechterung des Mensch – Maschine – Systems zu bestimmen. Dabei wird vor allem untersucht, inwieweit menschliches Fehlversagen zu einem Unfall in einem System führen kann, d.h. das Modell untersucht vor allem Handlungssequenzen, die vor einem Unfall oder einem Ereignis liegen. Die Verfahrensstufen der Technik lassen sich in 4 Schritte einteilen: 1. Systemfunktionen bestimmen, die durch menschliches Fehlverhalten beeinflußt werden können. 2. Analysieren der Bedienungsschritte des Menschen in diesem Zusammenhang. 3. Schätzung der Fehlerwahrscheinlichkeiten 4. Schätzen des Ausmaßes des Einflusses menschlicher Fehler beim Versagen des Systems. Als analytisches Werkzeug in dieser Technik kommt der zuvor dargestellte Ereignisbaum zum Einsatz, der an dieser Stelle auch als Wahrscheinlichkeitsbaum bezeichnet werden kann. Die Äste des Baumes kann man sich dabei jeweils als Wahlmöglichkeiten zu richtigem Verhalten in einer Situation auf der einen Seite Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 118 versus Fehlverhalten auf der anderen Seite vorstellen. Bei den Wahrscheinlichkeiten, ein bestimmtes Verhalten an dieser Stelle zu wählen, handelt es sich um bedingte Wahrscheinlichkeiten, die sich zusammensetzen aus der jeweiligen Wahl der Handlungsalternative des Menschen an dieser Stelle und sogenannten ausführungsformenden Faktoren, die Einfluß auf die Wahl der Handlung nehmen. Mit ausführungsformenden Faktoren sind dabei sowohl externe Faktoren, wie z.B. die Arbeitsumgebung als auch personeninterne Variablen wie Motivation, Aufmerksamkeit .. gemeint. Aufgaben in einem System können in verschiedene Aufgabenbestandteile zerlegt und dann analysiert werden. Das Ergebnis dieser Technik sind 27 Tabellen menschlicher Fehlerwahrscheinlichkeiten, die bei bestimmten Aufgabenbestandteilen angenommen werden. Jede Tabelle ist dabei spezifisch für einen bestimmten Fehler und enthält 2 verschiedene Werte, nämlich die nominelle menschliche Fehlerwahrscheinlichkeit auf der einen Seite (d.h. denjenigen Wert, der zuvor die ganze Zeit beschrieben wurde) und die Unsicherheitsgrenzen dieser Schätzung auf der anderen Seite. Die nominelle menschliche Fehlerwahrscheinlichkeit wurde zunächst aus Expertenurteilen gewonnen; neuerdings wird jedoch immer mehr dazu übergegangen, Schätzungen aus Simulationsdaten zu erhalten. Wie hat man sich das Vorgehen dieser Technik also vorzustellen? Ziel von THERP ist es, festzustellen, inwieweit menschliche Fehler in einem System zu Unfällen führen können. D.h. untersucht werden soll, wie z.B. Reaktorunfälle durch fehlerhafte Mensch – Maschine – Systeme zustande kommen können, weil z.B. Menschen die Maschine falsch bedienen. Für diese Fehlhandlungen wird ein numerischer Fehlerwahrscheinlichkeitswert mit Hilfe von Ereignisbäumen festgelegt und in Tabellen festgehalten. An dieser Stelle setzen auch viele Kritikpunkte an, die sich darauf beziehen, daß THERP zu sehr auf der Verhaltensebene verharre, d.h. lediglich untersuche, welche Fehlhandlungen zu Unfällen führen können und dabei nicht diejenigen Fälle von kognitiven Fehlern berücksichtige, die erst nach Auftreten eines Unfalles oder eines Ereignisses zu Fehlhandlungen führen. Um diesen Punkt näher auszuführen sei auf das nächste Modell (das 2., auf das näher eingegangen werden soll) verwiesen, das genau an dieser Stelle ansetzt und sich die kognitiven menschlichen Fehlleistungen zum Untersuchungsschwerpunkt gemacht hat. 8.3.2 Zeit - Zuverlässigkeits - Techniken 8.3.2.1 OATS= Operator action trees Wie bereits angeführt, ist das Ziel dieser Methode, kognitive Fehler aufzudecken, die nach der Auslösung einer Unfallsequenz auftreten können. Die Frage, die sich hier also stellt, ist nicht, was einen Unfall durch ein fehlerhaftes Mensch – Maschine – System verursachen oder auslösen kann, sondern wie Menschen mit einem Unfall z.B. in einem Reaktor umgehen - z.B. welche Bedienungsfehler können dann im Laufe der Unfallsequenz noch auftreten (Insbesondere: welche nötigen Handlungen werden zur Fehlerbehebung unterlassen)? Wreathall und Mitarbeiter, die diese Methode 1982 entwickelt haben, unterscheiden dabei drei verschiedene kognitive Fehlertypen, die auftreten können: Der Bediener im System kann schon bei der Wahrnehmung, daß ein Unfall aufgetreten ist, einen Fehler begehen. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 119 Hat er den Unfall als solchen erkannt, können Schwierigkeiten dabei auftreten, diesen Unfall richtig zu interpretieren und einzuordnen, d.h. richtiges Beurteilen des Vorfalls und richtiges Einschätzen der nun zur Verfügung stehenden Handlungsalternativen können fehlgehen. Der dritte Fehler kann auf der Handlungsebene erfolgen; in diesem Fall sind Unfall und Handlungsmöglichkeiten bereits richtig eingeschätzt worden, allerdings werden diese Möglichkeiten dann fehlerhaft in die Tat umgesetzt. Analysemethode in diesem Modell stellen logischer Strukturbaum und Zeit - Zuverlässigkeitskurve dar. In letzterer wird die Fehlerwahrscheinlichkeit als Funktion des Zeitintervalls zwischen dem Auftreten relevanter Warnsignale und dem Moment, zu dem adäquat darauf reagiert werden sollte, dargestellt. Die abgebildete Größe ist dann die Wahrscheinlichkeit des erfolgreichen Handelns. Wie schnell ersichtlich, spielt in diesem Modell die eingehende Zeit eine wichtige Rolle, und zwar vor allem diejenige, die dem Bediener zum Nachdenken bleibt. Kurz läßt sich das Ergebnis der Zeit - Zuverlässigkeitskurve so beschreiben, daß die Erfolgswahrscheinlichkeit umso größer ist, je mehr Zeit der Bediener zum Nachdenken hat. Verständliches Ergebnis ist also, daß ein Bediener umso wahrscheinlicher adäquat auf einen Vorfall reagieren wird, je länger er sich vorher gedanklich mit diesem auseinandersetzten kann. Die Zeit zum Nachdenken, die ein Bediener nach dem Eintreten eines Unfalls hat, läßt sich in folgender Formel darstellen und errechnen: Tt = To - T1 - Ta Wobei Tt = die Zeit für das Denkintervall darstellt, To die Gesamtzeit ist (d.h. diejenige Zeit, die zwischen dem Auftreten des Unfalls und dem Moment, bis die Handlung beendet ist, liegt),T1 die Zeit bezeichnet, die bis zum Auftreten erster Warnsignale vergeht, und Ta die für die Handlung benötigte Zeit darstellt. Was sagt diese Formel dann vereinfacht gesagt aus? Die Zeit, die jemand zum Nachdenken (und somit diejenige Zeit, die jemand aufs Handlungsplanen verwenden kann) ergibt sich aus dem Zusammenhang von Gesamtzeit - Zeit bis zum Auftreten von Warnsignalen - Zeit für die Ausführung der Handlung. Zieht man also von der gesamt zur Verfügung stehenden Zeit diejenige Zeit ab, die bis zum Auftreten der ersten Warnsignale vergeht, und berücksichtigt diejenige Zeit, die die tatsächliche Ausführung der Handlung dann noch benötigt, so erhält man diejenige Zeit, die dem Handelnden dann noch zum Überlegen bleibt. Das vorliegende Modell wurde aufgrund bereits im ursprünglichen Modell vorliegender weiterer Ansätze weiterentwickelt zum 8.3.2.2 Modell der kognitiven Zuverlässigkeit. Von Hannamann et al. 1984 entworfen, werden in diesem Modell die kognitiven Fehler, die im Laufe einer Handlungssequenz auftreten können, nun unterschieden in solche, die regelbasiert, solche die fähigkeitsbasiert und schließlich solche die wissensbasiert sind. Aus diesen verschiedenen Ebenen ergeben sich unterschiedliche Zeit - Zuverlässigkeitskurven, die für spezifische Situationen unterschieden werden können und die erstmalig die Annahme mit einschließen, daß Fehler andauern. Analysemethode dieses Modells ist die Korrelative Methode (keine nähere Ausführung im Text). Was leistet OATS (bzw. das Modell der kognitiven Zuverlässigkeit)? Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 120 Das vorliegende Modell sagt die Wahrscheinlichkeit dafür vorher, daß auf die Ankündigung eines Vorfalls noch keine Reaktion erfolgt ist, und zwar als Funktion der Zeit, die seit dem Auftreten des Vorfalls verstrichen ist. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 121 An diesem Vorgehen setzt dann auch wieder die Hauptkritik an: Neben fehlender formaler Validierung des Modells, was jedoch für Zuverlässigkeitsanalysemethoden nichts Besonderes ist, bemängeln Kritiker des Modells, daß sich dieses ausschließlich auf das Ausbleiben von Reaktionen auf einen Vorfall beschränke, nicht aber z.B. falsche Reaktionen mit in ihre Betrachtungen mit einschließe. Es wird nicht geklärt, warum die Reaktion ausbleibt, d.h. die unterschiedlichen psychischen Prozesse, die hier eine Rolle spielen könnten, werden nicht berücksichtigt. Vorteile des weiterentwickelten Modells der kognitiven Zuverlässigkeit sind hingegen Die schnelle und praktische Anwendungsmöglichkeit des Modells Die Berücksichtigung der Zeitabhängigkeit von Handlungen Die Berücksichtigung der verschiedenen Ausführungsebenen von kognitiven Fehlern Die gute Übereinstimmung mit Simulationsdaten Eingabedaten entsprechen Zuverlässigkeitsschätzungen von Hardware - Komponenten 8.3.3 TESEO = Teonica empirica stima errori operatori Das Modell der ENTE National Idrocaburi von 1982 beschäftigt sich allgemein mit der Wahrscheinlichkeit von Bedienungsfehlern, die vor, während und nach einem Unfall auftreten können. Methodisches Vorgehen besteht in der Verrechnung 5 verschiedener Parameter der Fehlerwahrscheinlichkeit K1 - K5, wobei allerdings nicht angegeben wird, wie diese Verrechnung erfolgen soll. Die 5 Parameter, die einbezogen werden, sind im folgenden: K1 als Tätigkeitstyp. D.h. bei diesem Parameter wird untersucht um welche Art der Tätigkeit es sich handelt - ist diese routinemäßig ausführbar oder nicht? Erfordert sie viel Aufmerksamkeit oder nicht?...Zur Ausprägung dieser verschiedenen Aspekte wird eine Skala von 0.001 - 0.1 angenommen. K2 bezeichnet den Aspekt von Stresseinwirkung während Routinetätigkeiten. Eine solche Stresseinwirkung könnte z.B. fehlende für die Ausführung zur Verfügung stehende Zeit sein. Die zu verwendende Skala bei Routinetätigkeiten reicht hierbei von 10 - 0.5, bei Nicht - Routinetätigkeiten von 10 - 0.1. K3 mißt das Ausmaß bestimmter Eigenschaften des Bedieners wie die Auswahl, Sachkenntnis und Ausbildung auf einer Skala von 0.5 - 3. K4 skaliert die Ängstlichkeit von 3 - 1 K5 stellt den ergonomischen Faktor, von 0.7 - 10 skalierbar, dar. Fazit: Das Modell ist bei spezifischen Arbeitsprozessen gut und relativ leicht einsetzbar. 8.3.4 Kofusionsmatrix Diese von Potash und Mitarbeitern 1981 entwickelte Technik hat sich speziell zur Aufgabe gemacht, zu untersuchen welche verschiedenen Arten von Fehldiagnosen im Verlauf einer Unfallsequenz denkbar sind. Berücksichtigung finden in diesem Vorgehen Zeitabhängigkeiten von verschiedenen Fehldiagnosen insofern, als Experten Schätzurteile über die Wahrscheinlichkeit abgeben, daß ein Bediener in einer Unfallsequenz zu Zeitpunkt t1 . . t5 z.B. auf verschiedene Ereignisse A1...D1 falsch reagiert. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 122 Vorteile dieses Modells liegen in seiner einfachen Struktur und der Tatsache, daß es sich hierbei um ein qualitatives anstelle eines quantitativen Analysewerkzeuges handelt. Die am Modell geübte Kritik bezieht sich vor allem darauf, daß die Wahrscheinlichkeitschätzungen verschiedener Experten nicht gut übereinstimmen und daß die gewonnenen Daten auf numerisch kleinen absoluten Wahrscheinlichkeiten beruhen. 8.3.5 Erfolgswahrscheinlichkeitsindex Ein der Konfusionsmatrix ähnliches Modell stellt der Erfolgswahrscheinlichkeitsindex dar, der ebenfalls als Mittel zur Erhebung und Strukturierung von Expertenurteilen entwickelt wurde. Annahmen, die diesem Modell zugrunde liegen sind dabei die Wahrscheinlichkeit für einen Fehler in einer bestimmten Situation läßt sich ableiten aus der Kombination einer relativ kleinen Anzahl von ausführungsbeeinflussenden Faktoren. Die Beurteiler sind in der Lage, adäquate Schätzurteile darüber abzugeben, wie positiv bzw. negativ ein ausführungsbeeinflussender Faktor in einer bestimmten Situation auf die notwendige Handlung wirkt. Die ausführungsbeeinflussenden Faktoren in einer Situation sind unabhängig voneinander. Das Vorgehen von SLIM (Success likelihood index methology) besteht also darin, typische Variablen, von denen man weiß, daß sie die Fehlerrate in einer Situation beeinflussen, in spezifischen Situationen zu untersuchen. Beispiele für solche typischen Variablen könnten dabei die Qualität der Ausbildung, die zur Verfügung stehende Zeit sowie die Verfahrenstechnik sein. Für jeden ausführungsbeeinflussenden Faktor wird ein Schätzurteil mit einer Gewichtung multipliziert, die die relative Wichtigkeit dieses Faktors in der Situation ausdrückt. Die Summe aller Produkte aller in einer Situation relevanter Faktoren wird als Erfolgsindex bezeichnet. Er kennzeichnet somit die Wahrscheinlichkeit dafür, daß in einer Situation erfolgreich gehandelt wird. Die Methode, deren sich SLIM bedient, ist ein Softwarepaket, das Modelle ermöglicht, die in der bestimmten Situation die Fehlerwahrscheinlichkeiten mit den Faktoren verbindet, die diese Wahrscheinlichkeiten beeinflussen. Unterschieden werden müssen dabei zwei verschiedene Arten von Softwarepaketen, wobei eines die Erfolgswahrscheinlichkeitsindizes (wie oben beschrieben) ableitet - SLIM - SAM Und mit dem anderen außerdem Sensitivitäts - Analysen und Kosten - Nutzen - Analysen durchgeführt werden können - SLIM - SARAH (sensitivity analysis for reliability assessment of humans) - . Vorteile dieses Modells liegen vor allem in seiner zeitsparenden Anwendung; die postulierte Unabhängigkeit zwischen den einzelnen Faktoren kann direkt durch das Modell geprüft werden, indem SLIM - SAM dem Benutzer das Ausmaß an gemeinsamer Varianz zweier Schätzurteile zurückmelden und damit eine zu hohe Korrelation zwischen 2 Faktoren feststellen kann. Schwierigkeiten treten bei der Kalibrierung von SLIM auf, da die Wahl zweier Vergleichsaufgaben, deren objektive Fehlerwahrscheinlichkeiten bekannt sind, problematisch ist sowie bei der Validierung des Modells. Weitere, sich noch im Entwicklungsstadium befindende Techniken, die auf dem Modell von SLIM beruhen sind Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 123 STAHR (socio - technical assessment of human reliability),das den Einfluß komplexer sozialtechnischer Faktoren untersucht ; Beispiele hier könnten moralische Haltungen, Organisationsmerkmale oder gruppendynamische Aspekte sein. SCHEMA (system for critical human error management and assessment). 8.3.6 SHARP (Systematic human action reliability procedure) ist keine Technik im voranbeschriebenen Sinne, sondern wie anfangs schon angekündigt, ein leitendes Instrument, um unter der Vielzahl möglicher Techniken (von denen vorangegangen nur eine kleine Auswahl dargestellt wurde), das jeweils passende Modell auszuwählen. Von Hannamann et al. 1984 entwickelt, soll dem Bediener hier ein Überblick über die jeweiligen Bedienerhandlungen sowie die Art der Modelle und Daten, die der entsprechenden Technik zugrunde liegen, gegeben werden. 8.4 Bewertung der Techniken der Zuverlässigkeitseinschätzung beim Menschen 8.4.1 Validierungsstudien Bisher gibt es sehr wenige Studien, in denen die Validität einzelner Techniken der Zuverlässigkeitseinschätzung verglichen wird. Dies hat verschiedenen Gründe, unter anderem die Tatsache, dass die Fachleute in dem Gebiet sich vor allem darauf konzentrieren, Zusatzmodelle zu bauen und die Furcht, dass die Ergebnissen den Erwartungen nicht entsprechen könnten. Beispielsweise sollten bei einer internen Prüfung von THERP (Brune, Weinstein & Fitzwater, 1983) 29 Experten im Bereich ‚human factors‘ Analysen der menschlichen Zuverlässigkeit für verschiedenen Situationen durchführen. Es zeigte sich eine äußerst geringe Reliabilität zwischen den einzelnen Analytikern, sowohl was die vorgeschlagenen Problemlösungen als auch die geschätzten Fehlerwahrscheinlichkeiten betraf. Dies führt natürlich zu großen Problemen bei praktischen Anwendungen. Williams, der eine Übersicht über bisher durchgeführte Validierungsstudien gibt (1985), meint, dass die Vorhersagegenauigkeit der Analysen der menschlichen Zuverlässigkeit zumindest den Standards der Methode der probabilistischen Risikoeinschätzung entsprechen sollte. Williams führte diesbezüglich eine Modellüberprüfung durch, die neben einigen oben genannten Methoden auch die Technik des absoluten Wahrscheinlichkeitsurteils (Median der numerischen Fehlerwahrscheinlichkeiten, die den einzuschätzenden Aufgaben von den Beurteilern direkt zugewiesen wurden) miteinbezog. Es zeigte sich, das dieses absolute Wahrscheinlichkeitsurteil am besten ist, wenn die Beurteiler nach Methoden zur Einschätzung menschlicher Zuverlässigkeit suchen, die hinsichtlich ihrer Vorhersagegenauigkeit mit allgemeinen Zuverlässigkeitsschätzungen vergleichbar sind. Ein weiteres interessantes Ergebnis war, dass Gruppenschätzungen keine besseren Leistungen erbringen als Einzelschätzungen. Insgesamt muss man jedoch sagen, dass sowohl die konzeptuelle wie auch die empirische Validität der verschiedenen Methoden erst noch ausreichend nachgewiesen werden muss. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 124 8.4.2 Die Studie „Zuverlässigkeitsrichtwerte im Bereich der Human Factors“ Einen systematischen Vergleich von Techniken zur Modellierung der Analyse der menschlichen Zuverlässigkeit im Kernkraftbereich führte das gemeinsame Forschungszentrum (Ispra) der Europäischen Kommission (Poucet 1988) durch. Dabei wurden verschiedenen Analysentechniken, u.a. auch THERP, SLIM, TESEO und das Modell der kognitiven Zuverlässigkeit beim Menschen, bei zwei Fallstudien angewandt: (a) bei der Analyse des routinemäßigen Testens und Wartens, wobei Fehler, die durch Testläufe entstehen, besonders berücksichtigt werden, und (b) bei der Diagnosegenauigkeit durch die Bediener und die Wirksamkeit korrigierender Handlungen. In beiden Fällen waren die quantitativen Ergebnisse sehr unterschiedlich, was vor allem daran liegt, dass die komplexe Realität auf sehr einfache Modelle abgebildet wird. Die Ergebnisse von THERP und SLIM stimmten innerhalb einer Gruppe gut überein. Dies rührt wohl aber daher, dass die Daten aus THERP bei der Kalibrierung von SLIM verwendet wurden. Bei der Studie wurde auch erkannt, dass man beim Benutzen einer großen Fehlerdatenbank wie bei THERP sehr dazu neigt, nur Fehler in Betracht zu ziehen, die darin vorkommen, und andere zu übersehen. Trotzdem hat sich THERP als praktisch geeignetste Methode erwiesen, vor allem deshalb, weil es als einziges über eine große Datenbank für Fehlerwahrscheinlichkeiten verfügt. 8.4.3 Qualitative Kriterien Von verschiedenen Autoren wird versucht, allgemeine Kriterien für gute Analysetechniken der menschlichen Zuverlässigkeit zu finden. Schuman & Banks (1984) beispielsweise überprüften neun Analysetechniken der menschlichen Zuverlässigkeit nach einer Vielzahl von Kriterien, u.a. die Kosten, die Leichtigkeit der Anwendung, die Vorhersagevalidität, die Wiederholbarkeit von Analysen. Kein Modell erreichte nach diesen Kriterien über 50 % der möglichen Gesamtpunktzahl. Hannaman et al. sprechen von acht Eigenschaften, die Analysemodelle der menschlichen Zuverlässigkeit haben sollten: (a) Sie sollten mit geläufigen Techniken der probabilistischen Fehlereinschätzung kompatibel sein und diese ergänzen. (b) Sie sollten überprüfbar, verifizierbar und wiederholbar sein. (c) Ihre Anwendung sollte zu einer Quantifikation der Erfolgswahrscheinlichkeit einer Bedienermannschaft als Funktion der Zeit führen. (d) Sie sollten verschiedene Arten kognitiver Prozesse beachten (fähigkeits - , regel - und wissensbasierte Ebene). (e) Sie sollten die Beziehung zu dem Modell der verschiedenen ausführungsformenden Faktoren erkennen lassen (z.B. relevante Konstruktionsmerkmale, Bedienerausbildung, Stressfaktoren, verfügbare Zeit). (f) Sie sollten möglichst gut mit Daten aus der Betriebspraxis, mit Simulationsdaten bzw. mit Expertenurteilen vergleichbar sein. (g) Sie sollten leicht einzuführen und anzuwenden sein. (h) Sie sollten Einsicht darin geben, über welche Möglichkeiten Bediener verfügen, um mit Situationen zurechtzukommen. Hierzu ist zu sagen, dass nur wenige Techniken das Wiederholbarkeitskriterium erfüllen, dass aber die qualitativen Kriterien immer besser erfüllt werden. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 125 Natürlich sind die bestehenden Methoden, wie Wreathhall (1981) sagt, noch sehr vereinfachend und noch nicht in der Lage, die Realität wirklich abzubilden, aber der Prozess ist in Gang gesetzt und lässt auf die Entwicklung von noch effektiveren Methoden hoffen, um den menschlichen Beitrag zu Systemunfällen zu quantifizieren. Durch die bisher genannten Analysemethoden werden vor allem Fehlerwahrscheinlichkeiten eingeschätzt, was aber gleichzeitig auch der Fehlerreduktion dient. Denn geht man davon aus, dass menschliches Fehlverhalten immer unvermeidbar sein wird, so ist es die beste Lösung, die Systeme für bestimmte menschliche Fehler toleranter zu machen. Dazu muss man wissen, welche Fehler eine Anlag am wahrscheinlichsten gefährden. Dann können diese durch verstärkte Sicherheitsvorkehrungen und Unterstützungssysteme abgewehrt werden. Auf diese Weise können probabilistische Risikoeinschätzung und Zuverlässigkeitsanalysen beim Menschen zur Reduktion der Auswirkungen von Fehlern beitragen. 8.5 Risikomanagement Durch die probabilistische Risikoeinschätzung wird ein bestimmtes Risikoniveau für eine Anlage bestimmt. Ist dieses Risiko noch zu hoch, muss der Konstruktionsplan verändert werden bis ein akzeptabler Wert erreicht ist. Zudem muss immer noch beachtet werden, dass zu dem errechneten Wert noch ein Zusatzrisiko hinzukommt, zum Beispiel wenn die Anlage nicht genau mit dem Modell übereinstimmt, wenn Bauteile verwendet werden, die in der Berechnung nicht berücksichtigt wurden oder wenn die Anlage in anderer Weise betrieben oder gewartet wird als angenommen. Es ist Aufgabe des Risikomanagements, diese Zusatzrisiken zu begrenzen, und zwar vor allem durch Qualitätskontrollen, Inspektionen und Durchsicht der Daten über Ausfälle und Betriebsstörungen. In den Funktionsbereich des Risikomanagements fallen auch menschliche Fehler in der Betriebsführung, die mit Hilfe der Kontrolle durch Rückmeldung reduziert werden sollen. 8.5.1 Mögliche Maßnahmen zur Fehlerreduktion Der letzte Teil dieses Kapitels, beschäftigt sich mit Möglichkeiten der Fehlerverringerung, die sich noch im Frühstadium der Forschung und Entwicklung befinden. Aufgrund der großen Vielfalt des menschlichen Fehlverhaltens, gibt es keine einmalige, universell anwendbare fehlerreduzierende Technik. Man muß sich weiterhin auf eine ganze Bandbreite von Hilfswerkzeugen verlassen können. 8.5.2 Die Beseitigung der Fehlereignung Der „freie Wille“ des Menschen ist scheinbar nicht so frei, denn die Eigenschaften von Objekten, die der Mensch benutzt, beeinflussen ihn dahingehend, daß sie ihm nur bestimmte Möglichkeiten darbieten, mit ihnen umzugehen. Solche Eigenschaften faßte man unter dem Begriff der „Fehlereignung“ zusammen. Donald Norman beschäftigte sich mit dieser Thematik. In seinem Buch „The Psychology of Everyday Things“ begründete er sein Interesse, sich diesem Thema zu widmen. Hier ein kleiner Auszug: „Über Jahre hinweg bin ich durchs Leben gestolpert, bin gegen Türen gelaufen, habe Wasserhähne nicht aufgekriegt, unfähig, die einfachen Dinge des täglichen Lebens zum Funktionieren zu bringen.......Aber als ich mich mit der Psychologie beschäftigte, als ich mir das Verhalten anderer ansah, erkannte ich allmählich, daß ich nicht Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 126 allein war.......War es möglich, daß die ganze Welt mechanisch unfähig war?.....Ich erkannte mit der Zeit, daß Fehler des Menschen aus schlechten Konstruktionen hervorgingen.“ In anderen Worten könnte man sagen, daß der Mensch ein Opfer von benutzerfeindlichen Objekten ist. Als Argument beschreibt Norman ein Ungleichgewicht zwischen dem Wissen draußen in der Welt und dem Wissen in den Köpfen der Menschen. Unterschätzt wird hierbei das Wissen draußen in der Welt. Das Wissen in der Welt ist zugänglich, muß nicht gelernt werden, bedarf auch nicht der Erinnerung, es muß allerdings interpretiert werden. Dies kann wieder zu Fehlern führen. Aufgrund dieser Annahme hat Norman 7 Konstruktionsprinzipien erschlossen, die die Fehlereignung minimieren sollen: 1. Benutze sowohl das Wissen in den Köpfen als auch das Wissen in der Welt. Es muß eine Übereinstimmung zwischen Konstrukteuren und Benutzer herrschen, so daß das System richtig verstanden wird. 2. Die Struktur der Aufgabe soll so simpel wie möglich gehalten werden, um eine kognitive Überbelastung zu vermeiden. 3. Der Ausführungsaspekt einer Handlung muß sichtbar sein, damit der Benutzer weiß, was möglich ist und wie etwas zu tun ist. Zudem führt die Klarheit des Bewertungsaspektes zu der richtigen Einschätzung der Effekte einer Handlung. 4. Natürliche Strukturähnlichkeiten zwischen Absichten und möglichen Handlungen sollten bei der Konstruktion berücksichtigt werden. 5. Natürliche und künstliche Zwänge sollten zur richtigen Entscheidung führen. 6. Bei der Planung sollte eventuell eintretende Fehler mit einkalkuliert werden. Es sollte leicht sein Handlungen rückgängig zu machen und schwer sein unumkehrbare Tätigkeiten auszuüben. 7. Wenn die vorgenannten Prinzipien nicht einsetzten, sollte man Handlungen, Ergebnisse, Gestaltungsmerkmale, Anzeigen, etc. vereinheitlichen. Dies führt zur Bedienungsvereinfachung. Eine empirische Untersuchung von Hull, Wilkins & Baddeley stütz die These von Norman. In diesem Laborversuch mußten 24 Männer und Frauen einen elektrischen Stecker an ein Kabel anschließen. Obwohl 23 Vpn bereits ein Stecker in den letzten 12 Monaten angeschlossen hatten, gelang es nur 5 Vpn dies zu wiederholen. Die hohe Fehlerquote lag laut Autoren an der Tatsache, daß die Vpn die Gebrauchsanweisung nicht gelesen haben, sie das alte Konstruktionsmuster nicht auf das neue transferieren konnten, zudem konnten die Konstrukteure keine physikalischen Hindernisse einbauen, die zur Fehlervermeidung geführt hätten. 8.5.3 Intelligente Systeme zur Entscheidungshilfe Reaktorunfälle, wie der auf Three Mile Island 1979 verdeutlichen welche Tragweite menschliche Fehlentscheidungen haben. Folgeuntersuchungen, die die Reaktorsicherheit erhöhen sollten, brachten drei Verbesserungsvorschläge hervor: 1. Ein technischer Berater wird der Schicht zugewiesen. Er soll die Ereignisse überwachen und bei der Interpretation der Daten mit Rat und Tat zur Verfügung stehen. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 127 2. Die Ausbildung wird intensiver, besonders in den Bereichen der Fertigkeiten, der Vorgehensweise in Notfällen, der besonderen Eigenschaften der Betriebsanlage, der grundlegenden Kenntnisse von AKW´s und der Entscheidungsmechanismen. 3. Elektronische Hilfssysteme sollen zum einen sicherheitsbezogene Parameter anzeigen und zum anderen vorhersagefähige begleitende Simulationen durchführen. Diese Methoden greifen aber nicht, wenn die Hilfssysteme aufgrund der Störung selbst Probleme haben, z.B. bei der Datenübertragung. Auch ist nicht immer gewährleistet, daß der technische Berater im richtigen Moment an der entscheidenden Stelle zur Verfügung steht. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 128 Dennoch wird über die Bereitstellung von intelligenten Entscheidungshilfen diskutiert. Es gibt dabei zwei gegensätzliche Denkweisen: 1. Es wird eine technische Lösung gefunden. „Kognitive Werkzeuge“ vereinfachen aktuelle Probleme in ihrer Komplexität und ihrer Undurchsichtigkeit, so daß der Bediener erfolgreich die Situation meistert. 2. Bedienerfehler entstehen aus einer schlechten Übereinstimmung zwischen den Eigenschaften des Systems als ganzes und denen der menschlichen Informationsverarbeitung, d.h. man hat das System nicht auf menschliche natürliche Heurismen und Verzerrungen abgestimmt. Kognitive „Prothesen“ sollen diese Fehlerquellen minimieren. Der Hauptunterschied der zwei Ansätze liegt im Rollenverständnis des Menschen. Die Befürworter des Ansatz 1 versuchen den Menschen so weit wie möglich aus dem System auszugrenzen, während im 2. Ansatz das System dem Menschen angeglichen werden soll. Zu beachten sei noch, daß die intelligenten Entscheidungshilfen auf allen Ebenen (Bediener der Anlage, Management, Konstrukteuren, etc.) greifen müssen, da nicht nur auf Bedienerebene Fehler gemacht werden. Natürlich muß der Benutzer angewiesen werden, das er seine diagnostischen Fähigkeiten weiterhin einsetzt und nicht blind den Entscheidungshilfen folgt. Unabhängig ob solche Entscheidungshilfen realisierbar sind, sollte man wissen, daß sie keineswegs latente Unzulänglichkeiten in Management und Organisation beheben können. Außerdem reichen oft einfache, gut durchdachte und verfügbare Maßnahmen aus, um Fehlerquellen zu minimieren (z.B. Gedächtnishilfen) 8.5.4 Gedächtnishilfen für das Wartungspersonal Viele Fehler in Kernkraftwerken kann man auf fehlerhafte Wartungsarbeiten zurückführen. Dazu zählen nicht aufgeräumtes Werkzeug, falsch positionierte Ventile, unterlassene Schritte von Wartungsvorgängen. Es gibt Faktoren, die diese Unterlassungsfehler erhöhen, diese seien hier kurz dargestellt: 1. Je mehr Einzelschritte eine Handlungsfolge beinhaltet, desto wahrscheinlicher wird eine Auslassung einer oder mehrerer Schritte. 2. Je informationshaltiger ein Einzelschritt ist, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, daß Einzelheiten ausgelassen werden. 3. Wird auf einen Verfahrensschritt nicht deutlich hingewiesen, oder steht dieser nicht in direkter linearer Abfolge zu den vorangegangenen Schritten, so erhöht sich die Auslaßwahrscheinlichkeit. 4. Bei mündlichen Anweisungen, die mind. 5 Schritte beinhalten, werden eher die mittleren Anweisungsschritte, als die am Anfang und am Ende, vergessen. 5. Bei schriftlichen Anweisungen werden eher die Schritte am Ende vergessen. 6. Beim Zusammenbauen werden mehr Schritte ausgelassen als beim Auseinanderbauen. 7. Unerwartete Unterbrechungen führen bei stark automatisierten Aufgaben zu Fehlern. Die Unterbrechung kann als Schritt „mitgezählt“ werden, so daß es zu Auslassungen kommt, oder man vergießt, wo man aufgehört hat und fängt an falscher Stelle wieder an. Oftmals beendet man vorzeitig einen Handlungsschritt, ohne diesen zu beenden, um den nächsten zu beginnen. Diese Fehler werden verstärkt wenn man unter Zeitdruck arbeiten muß. Diese Beobachtungen lassen Schritte erkennen, die am wahrscheinlichsten ausgelassen werden. Gezielte Arbeitsinstruktionen, die den Benutzer auffordern bestimmte Handlungsschritte zu überprüfen, die besonders gerne ausgelassen werden, können zur Fehlerreduktion führen. Diese Erkenntnis wurde von Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 129 Reason et al. genutzt und in Form eines Notebooks umgesetzt. Diese tragbare interaktive Wartungshilfe namens PIMA (portable interactive maintenance auxiliary) wurde entwickelt für Wartungstechniker, die einer hohen Informationsbelastung unterliegen und deren Fehler hohe Kosten verursachen können. Wird PIMA an den Computer der Anlage angeschlossen, so kann dieser auch Prüf - und Kontrollfunktionen erfüllen. Somit wird die elektronische Lücke zwischen Bediener der Anlage und der Anlage selbst geschlossen. Es besteht eine Schleife nach außen (Arbeitsbögen, technische Arbeitsinformationen, Gedächtnishilfen) und eine nach innen (technische Rückkopplung, Stechkarten, Plan - und Aufgabenüberprüfung). Die Ausführung einer Handlungssequenz kann man in drei Stadien einteilen. Da wäre die Formulierung des Planes, die Speicherung des Plans und die Ausführung des Plans. Das durchlaufen dieser Stadien erfordert unterschiedliche kognitive Prozesse. Die Planung ist aufmerksamkeitsintensiv und bewußt, während Speicherung und Ausführung schematisch (automatisch) abläuft. Diese unterschiedlichen Ebenen können nur durch verschiedene Hilfssysteme angegangen werden. Entscheidungshilfen unterstützen die Planung und Gedächtnishilfen die Speicherung und Ausführung. Entscheidungshilfen lenken die Aufmerksamkeit auf wichtige Aspekte des Problem, korrigieren die Tendenz, vertraute, aber unangebrachte Lösungen zu verwenden, sowie die Berichtigung von unvollständigem oder nicht korrektem Wissen. Gedächtnishilfen sagen das „Was“ und das „Wann“ der geplanten Handlung voraus. Dies erfolgt mit einer interaktiven Checkliste. Beiden Hilfen gemein ist die Erweiterung der Kapazität des Arbeitsgedächtnisses. 8.5.5 Ausbildungsaspekte Prozeduren oder Heuristiken? Keith Duncun et al. beschäftigten sich mit der Ausbildung zur Fehlerdiagnose. In früheren Untersuchungen versuchten sie die Vorgehensweise von Mitarbeitern darzustellen, wenn diese Systemfehler anhand der Felder der Kontrolltafel diagnostizierten. Dabei kam zum Vorschein, daß sie meistens kurze Sequenzen von Heuristiken anwandten. Hier seien einige dieser diagnostischen Faustregeln kurz dargestellt: 1. Auf der Kontrolltafel den allgemeinen Bereich des Fehlers ausfindig machen. 2. Überprüfung der Kontrollschleife im betroffenen Bereich, zudem schauen ob ungewöhnliche Ventilstellungen vorliegen. 3. Ein geringer Durchfluß in einem Gefäß weißt auf ein ausgefallenes Ventil oder auf einen Pumpenfehler hin. Sind die Ventile in Ordnung, dann liegt es wohl an der Pumpe. 4. Ein Störfall im Zylinderkopf könnte auf einen Ausfall des Kondensators hinweisen, vorausgesetzt alle Ventile und Pumpen arbeiten korrekt. Spätere Untersuchungen wurden in einer fiktiven petrochemischen Fabrik durchgeführt. Anfänger wurden trainiert Systemfehler anhand einer Anzeigetafel zu diagnostizieren. In einem Experiment gab es drei Versuchbedingungen: 1. Vpn erfuhren nichts über die Funktionsweise der Anlage. 2. Vpn bekamen einfache Erklärungen über die Grundvorgänge der Anlage. 3. Vpn wie 2., zudem erhielten sie Diagnoseregeln. Die diagnostischen Fähigkeiten der Vpn wurden anhand von bekannten (in der Testphase bereits trainierte) Störfällen, als auch bei unbekannte Defekten überprüft. Bei der Bedingung „bekannt“ gab es keine Unterschiede, bei der unbekannten Variation waren die Vpn der Gruppe 3 deutlich im Vorteil. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 130 Folgeuntersuchungen untermauerten die Ergebnisse. Die Kombination Grundkenntnisse der Anlage plus Diagnoseregeln führen zu Richtikdiagnosen auf dem Niveau von bekannten Störfällen. Ausbildung am Simulator Zwei große Probleme stehen der Ausbildung am Simulator im Wege. Zum einen ist es schwierig Fehler zu simulieren, die noch nie aufgetreten sind; zum anderen ist es problematisch Ereignisse zu simulieren, die nicht vorhersehbar sind. Obwohl nach einer Ausbildung am Simulator die Fehlerquote noch recht hoch liegt, geht Duncan davon aus, daß Diagnosefähigkeiten vermittelt werden, die auf nicht geübte Ereignisse übertragen werden können. Dazu müssen aber die Simulationsversuche dynamisch und interaktiv gestaltet sein, d.h. die Auszubildenden dürfen keine Unterschiede zwischen Simulation und tatsächliche Notfallsituation erkennen. Deshalb sind statische Simulationen ungenügend. Fehlermanagement Michael Frese und seine FAUST - Gruppe (Fehleranalyse zur Untersuchung von Software und Training) beschäftigten sich mit den Fehlern, die durch die Interaktion zwischen Mensch und Computer entstehen. Fehler, die während der Ausbildung begangen werden, können positive als auch negative Folgen mit sich führen. Diese positiven Effekte zu verstärken und die negativen zu mildern ist das Ziel des Fehlermanagements. Grundsätzlich kann man sagen, daß eine Ausbildung, die Fehler erlaubt effektiver ist als wenn keine Fehler gestattet sind. Positive Aspekte von Fehlern: Bei Aufgaben, die abstraktes Denken erfordern, helfen Fehler zu unterscheiden, welche Metakognition brauchbar ist und welche nicht. Fehler lassen Handlungsmuster bewußt werden, die sonst auf niedriger Prozeßebene kontrolliert werden. Automatisierungsprozesse werden dadurch verzögert. Fehler können Neugier hervorrufen und zum Ausprobieren animieren. Dies kann zu kreativen Problemlösungen und neue Erkundungsstrategien anregen. Negative Aspekte: Fehler können zu einem Rückgang der Motivation und der Selbsteinschätzung führen. Fehlerrückmeldungen bestehen aus einer informativen und aus einer affektiven Komponente. Letztere kann zu einem Gefühl der Unfähigkeit führen. Streß und Angst als Folge von geminderte Selbstsicherheit, erhöhen die kognitive Belastung des Auszubildenden und führt zum verstärktem Auftreten von Fehlern. Diese Beobachtungen führten zu folgenden Prinzipien, die besonders in komplexen Systemen anwendbar sind: 1. Folgt der Auszubildende den Anweisungen genau, so kann kein Fehlermanagement durchgeführt werden. Der Auszubildende soll ein eigenes, mentales Modell des Systems entwickeln. Riskante Strategien sollen animieren Aspekte zu erkundige, die nicht Unterrichtsthema waren. 2. Fehlertraining sollte während der gesamten Ausbildung stattfinden. Begangene Fehler soll der Auszubildende selbst beheben oder vorgegebene Fehler ausbügeln. Dies sollte nicht nur durch reines experimentieren erfolgen, sondern es müssen auch Strategien im Umgang mit Fehlern dem Lernenden vermittelt werden. Fehlertraining sollte paarweise durchgeführt werden, um es angenehmer zu gestalten. 3. Der Lernende muß erkennen, daß es gut ist Fehler zu machen. Die Einstellung: „Ich darf keine Fehler machen“ sollte weichen zugunsten der Aussage: „Mal sehen, was ich aus diesem Fehler lernen kann“. Dies erfolgt mit Hilfen von Heuristiken. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 131 4. Am Anfang einer Ausbildung sollte noch keine Fehlerrüchmeldung erfolgen. Lernende sind genügend ausgelastet mit dem neuen Inhalt. In der Mittelphase der Ausbildung kann mit dem Fehlertraining begonnen werden. Auszubildende haben jetzt die Möglichkeit erste Erfahrungen zu sammeln. Fehlertraining führt zu einer Verringerung von inneren Unbeständigkeiten (Fehler, die entstehen wenn Informationen abgerufen werden, bei Schlußfolgerungen und die mit der Bewegungskontrolle zusammenhängen). Leider sind die meisten Fehler von systematischer Art und hier greift das Training nicht. Diese Fehler sind in der Regel in adaptiven kognitiven Prozessen begründet, d.h. sie sind ein innerer Bestandteil des geistigen Funktionierens. Deshalb gehen viele Forschungsansätze dazu über, sich auf die Kontrolle von Fehlerfolgen zu konzentrieren. 8.5.6 Ökologische Schnittstelle Untersuchungen des Riso National Laboratory in Dänemark beschäftigen sich nicht mit der Fehlervermeidung, sondern sie versuchen die Fehlertoleranz des Systems zu erhöhen. Dieses Ziel versuchen sie zu erreichen durch sinnvolle Abbildungen der Prozesse in technischen Anlagen, die zugleich die fähigkeitsbasierten, regelbasierten und wissensbasierten Ebenen der Aufgabenausführung durch das Bedienungspersonal unterstützen. Konstruktionsverbesserungen wurden auf vier Fehlerkategorien begrenzt: 1. Fehler, die mit dem Lernen und der Anpassung zusammenhängen 2. Interferenzen zwischen konkurrierenden kognitiven Kontrollstrukturen 3. Ressourcenmängel 4. innere Unbeständigkeit des Menschen. Rasmussen und Vincente legten zehn Richtlinien vor, die zu einer Verbesserung des Systemdesign führen sollen: Fehler, die mit dem Lernprozeß zusammenhängen 1. Den Benutzer sollten die Grenzen des Systems sichtbar vorliegen, solange die Auswirkungen noch beobachtbar und umkehrbar sind. 2. Das System sollte immer Rückmeldungen geben, vor allem wenn Auswirkungen von Fehlern zeitversetzt auftreten können. Zudem müssen latente Zwänge, denen das Handeln unterliegt dabei sichtbar gemacht werden. 3. Eine Anzeige sollte Handlungshinweise geben, die leicht zu interpretieren sind und zudem symbolischen Gehalt, d.h. angeben unter welchen Bedingungen sie gelten, enthalten. 4. Instrumente sollten bereitstehen, anhand derer man Experimente durchführen kann und Hypothesen testen kann, ohne dabei einen Fehler an der hochriskanten Anlage zu begehen. Andererseits könnten auch Systemzustände rückführbar gemacht werden. Abschwächung der Auswirkungen von Fehlern, die durch das Interferieren kognitiver Kontrollstrukturen entstehen 5. Überblicksanzeigen, die der Überwachung dienen, sollen nicht die gesamte Aufmerksamkeit des Benutzers benötigen. 6. Einheitliche Muster als Handlungshinweise sollen die Ausführung von bewährte, aber falsche Regeln verhindern. 7. Externalisierte Schemazeichnungen, die bestehende Alternativen aufzeigen, sollen das Gedächtnis unterstützen, um die Wechselseitige Störung von konkurrierenden mentale Modelle zu verhindern. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 132 Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 133 Ausgleich mangelnder kognitiver Ressourcen 8. Daten, die zur Behebung von Fehlern geliefert werden, sollen für die fähigkeitsbasierte, regelbasierte und wissensbasierte Verarbeitung geeignet sein, besonders wenn die Fehlerursache Ressourcenmangel ist. 9. Die begrenzten Ressourcen des Arbeitsgedächtnisses sollen nicht übermäßig beansprucht werden. Deshalb sollten strukturierte Informationen Hinweise auf eine effektive Strategie geben. Verringerung der Effekte zufallsverteilter Fehler 10. Externe Gedächtnishilfen sollen dem Benutzer Informationen von Einzelheiten, Handlungen und Daten zuspielen, auch wenn er sie für die Aufgabe, die er gerade ausführt, nicht nutzen kann. 8.5.7 Selbsterkenntnis von Fehlertypen und - mechanismen Bedienungspersonal in hochriskanten Technologien sollten nicht nur über mögliche Systemzusammenbrüche informiert sein, sondern ihnen sollte auch ihr eigenes Fehlerpotential bekannt sein. Auf dieser Weise können Fehler vermieden werden. Beispielsweise bekommt das Besatzungspersonal von Flugzeugen beigebracht, daß ihre an die Erde gebundenen Sinne, bei einem dreidimensionalen Flug falsche Positions - und Bewegungsinformationen liefert. 9 Der Systemcharakter von Unfällen in hochtechnisierten Organisationen 9.1 Einführung In seinem Artikel „A system approach to organisational error“ (1995) stellt J. Reason ein theoretisches Modell der Fehlerverursachung in Organisationen vor, das den Systemcharakter von Unfällen in hochtechnologisierten Systemen untersucht und dabei die Rolle des Menschen im System betont. Systembasierte Ansätze zur Erklärung menschlichen Versagens sind nicht neu, was sich in der starken Anlehnung Reasons an die Überlegungen Meisters (1977) zu idiosynkratischen und situationalen Fehlerursachen zeigt, doch spielen sie mit der zunehmenden Technologisierung der Gesellschaft und den stetig komplexer werdenden Arbeits - und Organisationssystemem eine immer bedeutendere Rolle. Vor allem unter dem Eindruck von Katastrophen wie beispielsweise dem Störfall in Tschernobyl entwickelt sich bei den Entscheidungträgern großer Organisationen zunehmend ein Bewußtsein der vorhandenen Risiken und ein Bedarf an neuen Strategien, die weg von Schuldzuweisungen und Sanktionen, hin zum Erkennen und Beseitigen systemischer Schwachstellen führen. Hollnagel (1993) konnte in einer Literaturstudie belegen, daß sich der Anteil menschlichen Versagens beim Zusammenbruch potentiell risikoreicher Technologien zwischen 1960 und 1990 von 20% auf 80% vervierfacht hat. Senders und Moray (1991) geben dabei allerdings zu bedenken, daß solche Schätzungen in Abhängigkeit der Definition von Fehlern stark variieren können. Das menschliche Versagen läßt sich allerdings nicht auf das letzte Glied der Organisationskette, die Ausführungs - bzw. Kontrollebene, begrenzen, sondern kann auch alle anderen Bereiche des jeweiligen Systems betreffen, an denen Menschen beteiligt sind: Design, Konstruktion, Organisation, Management, Wartung und Regulation. Auch zählen nicht nur proximale Fehler dazu, sondern auch sogenannte „organisational errors“ - Fehlentscheidungen, die auf einer anderen Ebene des hierarchischen Organisationssystems Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 134 oder bereits einige Jahre vor dem tatsächlichen Unfall getroffen wurden. Dies sind beispielsweise Mängel in Sicherheitssystemen, Konkurrenz der Sicherheits - und Wettbewerbsziele, mangelndes Training für das Personal usw.. Die Klärung jenes komplexen Zusammenspiels zwischen Fehlentscheidungen der Planungs und der Ausführungsebene nimmt bei Untersuchungen nach Unglücksfällen mittlerweile einen großen Raum ein. Reasons Ziel ist es, ein theoretisches Modell zu entwickeln, das sowohl rückblickend Ereignisse erklären als auch allgemein die Vorgänge in komplexen sozio - technischen Systemen beschreiben kann. Kriterium soll dabei vor allem die praktische Anwendbarkeit sein. Reason stellt in seinem Artikel ein hierzu geeignetes Analyseverfahren vor, das sein Modell in die Praxis umsetzt und auf Grundlage eines systemischen Ansatzes das Fehlerpotential in Organisationen zu untersuchen oder die Ursachen für Unfälle zu identifizieren vermag. 9.2 Modell der Unfallverursachung in Organisationen Durch die technischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte sind technologische Systeme heute weitgehend abgesichert gegen vereinzelte durch Mensch oder Maschine bedingte Fehler. Durch eine an sich unwahrscheinliche Kombination mehrerer notwendiger, aber für sich nicht hinreichender Faktoren können diese Absicherungen jedoch durchbrochen werden. Eine solche Anhäufung latenter Fehler innerhalb eines Gesamtsystems wird wiederum durch die verstärkte Automatisierung und Computerisierung gefördert, weil die Technik für die Betreiber immer weniger durchsichtig/durchschaubar ist. Komplexe technologische Systeme werden so anfälliger für organisatorische Unfälle, die zwar selten sind, aber oft katastrophale Folgen haben. Ein Modell einer solchen Unfallverursachung nach Reason (1990) zeigt Abbildung 1. Organisation Management – entscheidungen und Organisations prozesse Arbeitsplatz begünstigende Bedingungen für Fehler und Fehlhandlungen Person/Team Sicherheitsmaßnahmen Fehler und Fehlhandlungen Ergebnis Unfälle Latenter Fehlerweg Abbildung 1: Modell der organisationalen Unfallverursachung Reason weist darauf hin, daß die Entscheidungen auf der Organisationsebene wiederum selbst durch den ökonomischen, politischen und finanziellen Kontext, innerhalb dessen die Organisation angesiedelt ist, beeinflußt werden, nimmt diese Größe jedoch nicht in sein Modell auf. Grundsätzlich unterscheidet er zwischen zwei Fehlerarten, die innerhalb von Organisationen auftreten können: latenten und den aktiven Fehlern. Latente Fehler werden über organisationale und institutionelle Wege auf den Arbeitsplatz übertragen, wo sie jene Bedingungen schaffen, in denen dann ein erhöhtes Risiko - und Fehlerpotential besteht. Die sicherheitsgefährdende Ausführung von Handlungen selber stellt den aktiven Fehler dar, der sich durch seine Lokation im Modell (Personen - / Teamebene) und seine geringe Dauer im Zutagetreten der negativen Auswirkungen der Fehlhandlung vom latenten Fehler unterscheidet. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 135 Anhand dieser Fehlerdifferenzierung ergeben sich die im Modell dargestellten zwei Fehlerwege, die Unfälle verursachen und hier noch einmal kurz zusammengefaßt werden: a) Der latente Fehlerweg Die Unfallsequenz nimmt ihren Anfang in organisatorischen Prozessen (Entscheidungen betreffend Planung, Design, Kommunikation, Regulation). Die so entstehenden latenten Fehler werden über verschiedene organisatorische Wege an den Arbeitsplatz übermittelt. Dort schaffen sie die lokalen Voraussetzungen für Fehler (errors) und Vorschriftsverletzungen (violations), z.B. hohe Arbeitsbelastung, mangelhafte Ausrüstung, Zeitdruck, Ermüdung, niedrige Arbeitsmoral, Normkonflikte. Latente Fehler werden also von Personen verursacht, die zeitlich und räumlich von Risiko entfernt sind. b) Der aktive Fehlerweg Die sicherheitsgefährdenden Handlungen selbst werden aktive Fehler genannt. Sie unterscheiden sich von latenten Fehler zum einen dadurch, daß sie sich ihre negativen Auswirkungen relativ schnell zeigen, zum anderen durch ihre Lokalisation: sie entstehen am „sharp end“, der direkten Mensch – Maschine – Schnittstelle. Die ausführenden Personen am Ende einer Organisationskette werden in diesem Modell eher als „Erben“ denn als Verursacher einer Unfallsequenz dargestellt. Dies soll jedoch nach Reason auch keine alleinige Schuldzuweisung an die obersten Entscheidungsträger bedeuten, da er die Suche nach Schuldigen aus folgenden Gründen nicht für hilfreich hält: zum einen geht es nicht um absichtsvoll fehlerhaftes Handeln, zum anderen führt die Identifikation von Schuldigen nicht zu effektiven Gegenmaßnahmen auf Systemebene. Auch seien Fehler oft gar nicht eindeutig von guten Entscheidungen zu unterscheiden, da fast jede Entscheidung einen Kompromiß darstelle und damit ein gewisses Gefahrenpotential berge. 9.2.1 Auswirkungen von latenten Fehlern Latente Fehler und Vorschriftsverletzungen beeinflussen sowohl die Wahrscheinlichkeit, daß Fehler an den Mensch – System – Schnittstellen auftreten, als auch deren Folgen. Sie unterscheiden sich jedoch insofern, als die Auswirkungen latenter Fehler weit ausstrahlen, nämlich sowohl die Arbeitsplatzbedingungen als auch die Sicherheitsvorkehrungen des Systems beeinträchtigen können (also u.U. die gesamte Organisation schädigen), Vorschriftsverletzungen hingegen einen begrenzteren Effekt haben: Sie betreffen hauptsächlich die Personen selbst, die den Regelverstoß begangen haben, indem sie von den sicheren Produktionsprozessen abgewichen sind. Die folgende Abbildung soll nochmals den Unterschied zwischen aktiven und latenten Fehler verdeutlichen: Organisation Arbeitsplatz Person/Team Sicherheitsvorkehrungen Aktiver Fehlerweg Latenter Fehlerweg Abbildung 2: Aktiver und latenter Fehlerweg der Unfallverursachung Ergebnis Unfälle Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 136 Wie im Modell veranschaulicht, fördern latente Fehler auf indirektem Weg die Entstehung von Unfällen: Durch bestimmte Entscheidungen auf Management - Ebene entstehen auf der Ausführungsebene Bedingungen, die Fehler wahrscheinlicher machen bzw. die Verletzung von Sicherheitsvorschriften geradezu „herausfordern“. Man kann sich leicht vorstellen, daß bspw. die Entscheidung, aus Kostengründen veraltete Geräte nicht durch moderne zu ersetzen oder auf Trainings - und Weiterbildungsmaßnahmen für das Personal zu verzichten, das Risiko erhöhen, daß es durch Materialermüdung zu Unfällen kommt bzw. daß das Personal im Notfall nicht adäquat reagiert. Latente Fehler können auch direkt auf die Sicherheitsvorkehrungenwirken, indem sie die Funktionstüchtigkeit der Sicherheitsvorkehrungen des Systems beeinträchtigen (z.B. durch Reduzierung der Kontrollen). Solche Sicherheitsmängel haben zur Folge, daß die negativen Folgen von Fehlern und Regelverletzungen am Arbeitsplatz schlechter kontrolliert und weniger gut in Grenzen gehalten werden können. Ist es bereits zu einem Fehler gekommen, wird die Wahrscheinlichkeit erhöht, daß es zu gefährlich bis katastrophalen Auswirkungen kommt (ein Extrembeipiel wäre ein Unfall in einem Atomkraftwerk). Die praktische Anwendbarkeit seines Modells zeigt Reason an einer „Fallstudie“ - der Untersuchung des „Dryden accident“, eines Flugzeugunglücks in Kanada - sowie an Untersuchungen menschlichen Versagens bei Ausnahmesituationen in Kernkraftwerken. 9.2.2 Das Dryden Flugzeugunglück Am 10 März 1989 startete eine Fokker – 28 der Air Ontario in starkem Schneetreiben vom Dryden Municipal Airport in Ontario und stürzte 1 km nach Ende der Startbahn ab. Dabei wurden 24 Menschen getötet. Unmittelbare Unfallursache für den Absturz war die Vereisung der Tragflächen und fehlende Maßnahmen der Crew gegen dieses Phänomen vor dem Abflug (aktiver Fehler der Flugcrew). Es stellte sich die Frage, warum der Pilot entschieden hatte, zu starten. Eingehende Untersuchung der beeinflussenden Faktoren zeigten Fehlentscheidungen / Versäumnisse in mehreren Gliedern der Organisationskette. Das Flugzeug war in Winnipeg am Morgen mit einer nicht funktionsfähigen APU (auxiliary power unit) gestartet. Da Dryden nicht über Bodenstarthilfe verfügte, mußte eine Turbine während des Aufenthalt in Betrieb gehalten werden. Da vom Hersteller Enteisen der Tragflächen bei Turbinenbetrieb strikt verboten war, wurde nicht enteist (aktiver Fehler der Flugcrew). Zusätzlich war beim Flugzeug fälschlicherweise ein Fehler des Feuerlöschsystems der APU festgestellt worden statt eines Fehlers im Feuerwarnsystems (aktiver Fehler der Techniker). Bei letzterem wäre der Betrieb der APU unter eingeschränkten Bedingungen noch möglich gewesen und die Turbine hätte zum Enteisen abgeschaltet werden können. Um solche Situationen wie die eben beschriebene zu vermeiden, lautete die Dienstvorschrift der Fluggesellschaft an die Fluglotsen, Flugzeuge ohne funktionstüchtige APU und Vereisung der Tragflächen zum Anfliegen eines anderen Flughafens mit Bodenstarthilfe aufzufordern. Dies geschah jedoch nicht (Aktiver Fehler des Fluglotsen). Weitere Schwachpunkte zeigten sich auf der Ebene der Firmenorganisation. Um als regionaler Anbieter wettbewerbsfähig zu sein, waren Düsenflugzeuge nötig. Jedoch hatten weder Firma noch die Piloten ausreichende Erfahrung mit Düsenflugzeugen. Die Piloten, erfahrene Propellermaschinenflieger, verfügten über weniger als 70 Flugstunden Jeterfahrung. Aufgrund dieser fehlenden Vertrautheit mit dem Flugzeugtyp und personalen Engpässen, mußten die vorhandenen Piloten häufiger und zu länger fliegen als andernfalls Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 137 erlaubt, um die Wettbewerbsfähigkeit zu gewährleisten (Latenter Fehler der Firmenleitung Verringerung der Flugsicherheit, Gestaltung der Arbeitsbedingungen). Die Vereisung der Tragflächen, die von einigen Piloten außer Dienst unter den Passagieren beobachtet und gemeldet worden war, durfte vom Flugpersonal laut Dienstanweisung nicht als Information an den Flupiloten weitergegeben werden (Latenter Fehler der Firmenleitung). Dieser hatte selber wenig Erfahrung mit dem Vereisungsproblem, verfügte über keine geeignete Bedienungsanweisung und Funktionsbeschreibung (Latenter Fehler in der Arbeitsplatzgestaltung). 9.2.3 Störfälle in Kernkraftwerken Bley (1994) stellte fest, daß viele schwere Reaktorunfälle durch einen dreistufigen Prozeß charakterisiert sind: 1. Die Betriebsanlage oder Technologie wird außerhalb der Regeln betrieben (da den Operatoren keine Regeln gegeben wurden oder diese unangemessen sind) 2. Die physikalischen Zusammenhänge werden nicht vollständig verstanden (dies zwingt die Operatoren dazu, ohne ausreichende Kenntnisgrundlage zu improvisieren) 3. Die Operatoren weigern sich, greifbare Beweise für die wahre Natur des Vorfalls zu akzeptieren (confirmation bias, fixation bias) Untersuchungen zeigen, daß Schwächen im System vor allem in bestimmten Betriebszuständen von Reaktoren auftreten, die wiederum die Art der Handlungsfehler, die von den Operatoren begangen werden, prägen. Es handelt sich dabei um Ausnahmezustände des Reaktors, die zwar nicht zwingend abnormal, aber auf jeden Fall selten sind wie beispielsweise verminderte Leistung des Reaktors oder Abschalten des Reaktors. Der Vergleich der Operatorenleistung bei Normalbetrieb des Reaktors mit den eben genannten Ausnahmezuständen zeigt, daß menschliches Versagen bei letzterem wesentlich häufiger ist (54%). Es kommt dabei auch häufiger zu Planungs - und Problemlösefehlern (61%) als zu Ausführungsfehlern (39%). Ein weiteres Merkmal von Operatorenleistung in Ausnahmesituationen ist, daß häufiger falsche Handlungen ausgeführt als Handlungen unterlassen werden (für Druckwasserreaktoren betrug das Verhältnis Fehlhandlung/ Handlungsunterlassung 88:12, für Heißwasserreaktoren 72:28) Dies läßt sich wiederum auf mehrere Faktoren zurückführen: 1. Obwohl Ausnahmezustände antizipiert werden, ist das Betriebsmanagement schlecht auf sie vorbereitet 2. Die Operatoren werden infolge dessen auf Ausnahmezustände nur unzureichend vorbereitet/trainiert 3. Während bei Normalbetrieb die Operatoren nur wenig direkten Handlungen vornehmen, da vorwiegend Sicherheitskräfte den Prozeß dominieren, steht bei Ausnahmezuständen Operatoren ein größerer Handlungsspielraum zur Verfügung, der dann die Gefahr für das Auftreten von Fehlern, vor allem von Fehlhandlungen (statt Handlungsunterlassungen) in sich birgt. 9.2.4 Auswirkungen von Vorschriftsverletzungen Der Begriff „menschliches Versagen“, der häufig zur Erklärung der Entstehung von Unfällen herangezogen wird, umfaßt bei genauerer Betrachtung verschiedene Arten von fehlerhaftem Verhalten, die auf unterschiedlichen psychologischen Mechanismen beruhen. So ist der Begriff „Fehler“ von dem Begriff „Vorschriftsverletzung“ zu unterscheiden. Während Fehler schon lange Gegenstand der Forschung sind, sind Vorschriftsverletzungen noch nicht so gut untersucht (sie erhalten mehr Aufmerksamkeit, seit man Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 138 feststellte, daß beim Reaktorunfall von Tschernobyl fünf von sieben identifizierten aktiven Fehlern Sicherheitsverletzungen und nicht Fehler waren). Unter Vorschriftssverletzungen versteht man das absichtsvolle Abweichen von sicheren Handlungsprozeduren, ohne jedoch die daraus folgenden negativen Konsequenzen zu beabsichtigen (im Unterschied zu Saboteuren). Sicherheitsverletzungen geschehen in sozialen Kontexten und schließen motivationale als auch kognitive Faktoren mit ein. Fehler hingegen sind unbeabsichtigt, zu anfangs willentlich, später als Teil eines automatisierten Verhaltensrepertoires Routine und stehen in Zusammenhang mit der Informationsverarbeitung des jeweiligen Individuums. Sie können in jeder beliebigen Situation auftreten. Sicherheitsrichtlinien in Betrieben sollen eigentlich die Wahrscheinlichkeit von Unfällen am Arbeitsplatz verringern. Durch Veränderungen im Arbeitsprozeß und vor allem als Reaktion auf Unfälle kommt es mit der Zeit oft zu einer zunehmenden Verschärfung der Vorschriften. Es kann dabei passieren, daß die Vorschriften schließlich theoretisch maximale Sicherheit gewährleisten, für die Praxis aber zu restriktiv sind, so daß sie von den Angestellten teilweise nicht befolgt werden (können), wenn sie effektiv arbeiten wollen / sollen. Die Verschärfung von Vorschriften - mit dem Ziel, die Sicherheit des Systems zu erhöhen kann also dazu führen, daß gegen eben diese Sicherheitsregeln häufiger verstoßen wird. Reason zufolge haben solche Regelverstöße an sich meist auch keine negativen Konsequenzen, sondern bringen den Verursachern sogar eher Vorteile, indem sie die Arbeit z.B. einfacher oder „aufregender“ machen. Auch wenn Regelstöße (z.B. Geschwindigkeitsübertretung beim Autofahren) allein meistens nicht zu Unfällen führen, sind sie auf zweierlei Weise mit Risikoerhöhung verbunden: 1. Erhöhte Wahrscheinlichkeit für Fehler: Durch fehlende Einhaltung von Vorschriften / Vorgaben gerät man in Bereiche, in denen man die physikalischen / technischen Vorgänge nicht gut versteht bzw. beherrscht (bspw. Lenkung oder Bremsweg eines Autos bei Höchstgeschwindigkeit). Damit erhöht sich die Wahrscheinlichkeit für Fehler. 2. Fehler haben gefährlichere Folgen, wenn sie in einem solchen Zustand erhöhten Risikos (jenseits der Vorgeben) erfolgen. Meist führt also erst eine Kombination mehrerer Faktoren zu einem Unfall. Reason faßt dies in der Formel „violations + errors = disaster“ zusammen. 9.3 Ansätze für „Gegenmaßnahmen“ Aus Reasons Theorie ergeben sich zwei praktische Fragestellungen: Wie läßt sich der Sicherheitsstandard einer Organisation bestimmen, so daß Manager Einsicht in potentielle aktive und latente Fehler erhalten? Wie können Organisationen aus vergangenen Ereignissen lernen? Zur Bestimmung der Sicherheitsstandards einer Organisation kann nur eine relativ geringe Anzahl aller potentiellen Indikatoren sozusagen stellvertretend gemessen werden. Die Wahl der Dimensionen ist trotz einer Vielzahl von Ansätzen in der Forschung und spezifischer Charakteristika der unterschiedlichen Branchen immer von zwei Prinzipien geleitet: 1. Dem Einschluß der am häufigsten auftretenden und am besten dokumentierten Mängel innerhalb von Organisationen (z.B. Hardwaredefekte, unvereinbare Ziele, hohe Arbeitslast) Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 139 2. Der repräsentativen Auswahl derjenigen Basisprozesse, die allen technologischen Organisationen gemein sind (z.B. Entwickeln, Herstellen, Kommunizieren). Derzeit werden zur Erfassung von Sicherheitsstandards in unterschiedlichen Organisationen drei Ansätze verwendet: 1. Tripod - DELTA (Shell) 2. REVIEW (British Rail) 3. MESH (British Airways) Sie verwenden folgende Maße: Tripod - Delta REVIEW MESH Hardware Werkzeuge und Ausrüstung Organisationsstruktur Design Material Führungsstil Management Supervision Ausstattung und Qualität der Werkzeuge Prozeduren Arbeitsumgebung Training und Personalauswahl Fehlerbegünstigende Personaleinstellungen Kommerzieller Druck Unvereinbare Ziele Haushaltung Planen und Einteilen Kommunikation Design Kommunikation Training Personalkommunikation Haushaltung Training Sicherheitsmaßnahmen Verordnungen Bedingungen Management Planen Tabelle 1: Maße für die Einschätzung des Sicherheitsstandards von Organisationen Tripod - DELTA verwendet sehr greifbare, spezifische Indikatoren, z.B. „Gibt es unangenehme Gerüche aus der Belüftungsanlage?“. Sie haben die Form von Ja – Nein – Checklisten. REVIEW und MESH hingegen verwenden allgemeinere, auf die einzelnen Dimensionen bezogene Indikatoren auf 5 – Punkt – Skalen. Die Messungen finden wöchentlich (lokale Faktoren) bzw. in Intervallen von 1 - 3 Monaten statt. Die Meßergebnisse werden als Balkendiagramm - Profile dargestellt, um diejenigen Faktoren herauszufinden, an denen Verbesserungsmaßnahmen am dringendsten ansetzen sollten, und ihre Veränderungen über die Zeit zu verfolgen. Dieses Vorgehen soll zeigen, wo jeweils am dringendsten Handlungsbedarf besteht. Aus Fehlern Lernen Reasons theoretisches Modell kann ebenso verwendet werden, um nach einem Unfall oder Störfall die zugrundeliegenden Ursachen zu identifizieren und möglichst zu korrigieren. Häufig geben sich Reason zufolge Untersuchungskommissionen mit der Klärung der proximalen Ursachen zufrieden, denn erst nach zeit - und kostenintensiven öffentlichen Anhörungen lassen sich die zugrundeliegenden Organisationsfehler finden. Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 140 Auf der Grundlage des oben vorgestellten Unfallverursachungsmodells (s.o.) wurde ein computerbasiertes Instrument zur Untersuchung von Unfällen in Organisationen, speziell im Bereich der Eisenbahn Infrastruktur, entwickelt. Im Untersuchungsmodus leitet es die erste Untersuchung eines Unfalles, im Analysemodus kann es Ursache – Wirkungs – Muster im Vergleich mehrerer Unfälle identifizieren. Bisher wurde es nur investigativ eingesetzt, es geht dabei in folgenden Schritten vor: 1. Schritt: Beschreibung des Unfallresultats 2. Schritt: Identifikation der latenten Schwächen in den Sicherheitssystemen 3. Schritt: Klassifikation der „unsicheren Handlungen“ anhand der Kategorien: Fehler, Vorschriftsverletzung, versehentliche Vorschriftsverletzung 4. Schritt: Identifikation und Kategorisierung der Aufgaben oder Tätigkeiten, die mit diesen Handlungen verbunden sind 5. Schritt: Identifikation lokaler Faktoren, die unsicheres Handeln gefördert haben 6. Schritt: Bestimmung der organisatorischen Ursachen des Unfalls; hierbei werden 10 Faktoren wie Ausrüstung, Training usw. berücksichtigt Der sechste Schritt umfaßt 3 unterschiedliche Stufen. Jeder der Sicherheitsfehler, die in Schritt 2 identifiziert wurden, wird nach seinem relativen Anteil an jedem der 10 Faktoren beurteilt. Werden diese Ratings summiert, ergibt sich ein Profil für den latenten Fehlerweg. Dieselbe Prozedur wird für alle in Schritt 6 identifizierten Faktoren durchgeführt. Nach Summierung der Ratings ergibt sich ein Profil für den aktiven Fehlerweg Die Profile von latentem und aktivem Fehlerweg werden zusammengefaßt und ergeben so einen Gesamtprofil für den Unfall 9.4 Diskussion Reason verbindet in seinem Modell zwei Größen, die das Geschehen von Unfällen in Organisationen aufgrund deren inhärenter Struktur determinieren: das Prinzip der Organisationshierarchie oder – kette und das die Charakteristik von Entscheidungen / Handlungen. Letztere werden aufgrund ihrer Lokation im Geschehen und ihrer Wirkungen in aktive und latente Fehler eingeteilt, was auch unmittelbar einsichtig ist. Die von Reason im Modell dargestellten Fehlerwege erscheinen in ihrer Benennung jedoch etwas unglücklich gewählt, da der aktive Fehlerweg auch latente Fehler miteischließt (z.B. Fehlentscheidungen auf Managementebene, die die Arbeitsbedingungen prägen), die dann in hierarchisch oder sequentiell späteren Strukturen in aktiven Fehlern der Ausführenden resultieren, genauso wie am Ende des latenten Fehlerwegs ein aktiver Fehler eines Operators stehen muß, um den Unfall überhaupt auszulösen. Mir wäre die Benennung „direkter“ = latenter und „indirekter“ = aktiver Fehlerweg sinnvoller erschienen, da sie für letzteren Fall die Fortpflanzung von Fehlern und ihr aufeinander Aufbauen über mehrere Organisationseinheiten besser verdeutlicht hätte. Auch differenziert Reason später zwischen Fehlern und Vorschriftsverletzungen, weist letzteren in seinem Modell jedoch keinen expliziten Platz zu. Es wäre zu klären, ob aktive und latente Fehler Oberbegriffe sind, die beide jeweils wieder Fehler und Vorschriftsverletzungen beinhalten können, was einleuchtend erscheint oder ob Reason diesbezüglich anders verstanden sein will. Von den definitorischen Unklarheiten abgesehen, zeichnet sich der Ansatz von Reason jedoch durch seine Praxisnähe aus. Indem er Ausnahmesituationen beschreibt und Gesetzmäßigkeiten und Ursachen des Handlungstheorien – Fehlhandlungen - Handlungsfehler Seite 141 Fehlhandelns von Menschen in diesen Situationen untersucht, bildet er Grundlagen für effektive Gegenmaßnahmen bzw. Analysemethoden von Sicherheitslücken. Erst durch Berücksichtigung aller beitragenden Faktoren auf allen organisationalen Ebenen ergibt sich die vollständige Rekonstruktion von Unfällen oder die bestmögliche Absicherung gegen zukünftige Unglücksfälle. Es geht darum, den Faktor „Mensch“ im System zu begreifen, um Sicherheit möglich zu machen. 9.5 Literatur Reason, J., (1995) : A systems approach to organisational error. Ergonomics, 38 (8) ; 1708 – 1721 10 Allgemeine Literaturangabe Im Rahmen des Seminars wurde für die einzelnen Themen folgende Literaturangaben gemacht: 1. „Wie wir handeln, was wir können – Ein Diskurs zur Einführung in die Handlungspsychologie“, Volpert, W. (1992) 2. „Gestaltpsychologische Beiträge zur Struktur und Dynamik fehlerhafter Handlungsabläufe“, Wehner, T. und Stadler, M. (1996) 3. „Arbeitshandlung und Arbeitstätigkeit als Gegenstände der Psychologie“, Hacker, W. (1998) 4. „Fehlhandlungen und Handlungsfehler“, Hacker, W. (1998) 5. „Untersuchungen zu menschlichen Fehlleistungen“, Reason, J. (1994) 6. „Ausführungsebenen und Fehlertypen“, Reason, J. (1994) 7. „Fehlerentdeckung“, Reason, J. (1994) 8. „Die Bestimmung und Verringerung des Fehlerrisikos beim Menschen“, Reason, J. (1994) 9. „A system approach to organisational error“, Reason, J. (1995)