Die geprellte Zahnarztwitwe

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Ärztewoche Mai/2005
Die geprellte Zahnarztwitwe
Praxis der Ordinationsablöse an einem Beispiel aus Wien, das beim
Obersten Gerichtshof landete
Die Weitergabe einer Kassenpraxis hat so ihre Tücken, wobei von Bundesland zu Bundesland unterschiedliche Usancen üblich sind.
Der Rechtsanwalt Dr. Karl Newole berichtet von einem lehrreichen Gerichtsfall: Einfach zum Nachdenken.
Ein Zahnarzt, Vertragspartner der Wiener Gebietskrankenkasse (GKK) und Mitglied der Ärztekammer für Wien (ÄKW), stirbt und hinterlässt als Alleinerbin seine Witwe.
Diese führt zunächst die Ordination ihres verstorbenen Mannes durch einen Vertreter weiter und will sie dann verkaufen. Ein von ihr beauftragtes Schätzgutachten ergibt
einen Wert der Ordination von (damals) 6 Millionen Schilling ATS. Die Kassenplanstelle wird ausgeschrieben und der von der ÄKW Erstgereihte der Witwe zugeführt, um
sich über „Ablöseforderungen“ zu einigen. Eine gesetzwidrige Praxis, von der die ÄKW aber nicht ablassen will.
Unterstützung der Kasse für den Erstgereihten
Der Erstgereihte meinte, der geforderte Kaufpreis sei zu hoch. Ein Mitarbeiter der GKK besichtigte daraufhin die Ordination (oberflächlich) und bestimmte deren Preis mit
ATS 4,5 Millionen. Die Witwe verwies wiederholt auf die von ihr durchgeführte Unternehmensbewertung, die einen wesentlich höheren Ordinationswert ergeben hatte.
Die GKK blieb bei ihrer Ansicht und forderte die Witwe mehrmals auf, die Ordination um nicht mehr als ATS 4,5 Millionen zu verkaufen. Ein Nachfolger würde sonst keinen
Kassenvertrag erhalten. Auch die ÄKW legte der Witwe nahe, die GKK-Schätzung zu akzeptieren. Schließlich verkaufte sie unter diesem Druck die Ordination um diesen
Betrag an den ihr zugeführten Erstgereihten.
Bei dieser Sachlage war der Weg zum Kadi nicht weit. Die Witwe begehrte durch gerichtliche Klage die Differenz zwischen dem von ihr ermittelten Wert der Ordination
und jenem Preis, den sie (gezwungenermaßen) akzeptieren musste, wollte sie nicht überhaupt ohne Kassenvertrag dastehen.
Oberflächliche Bewertung der Ordination durch GKK
Sie begründete dies vor allem damit, dass eine ordnungsgemäße Schätzung den wahren Wert der Ordination mit ATS 6 Millionen ermittelt hätte. Die GKK habe sich nur
mit einer oberflächlichen Bewertung zufrieden gegeben. Die Vereinbarung zwischen der GKK mit der ÄKW über „Reihungsbestimmungen“ für sich bewerbende
Kassenärzte entfalte so genannte „Schutzwirkungen“ auch zugunsten von Ärzten, die Mitglieder der ÄKW sind, wobei sich diese Schutzwirkung auch auf die
Rechtsnachfolger von diesen Mitgliedern erstrecke.
Bei Uneinigkeit ein Schätzgutachten einholen
Die Reihungskriterien sehen vor, dass bei Uneinigkeit über die Höhe einer zu zahlenden Ablöse von der GKK und der ÄKW ein Schätzgutachten eingeholt werden kann,
um den richtigen Wert einer Ordination zu ermitteln. Durch die Drohung, ein Käufer der Ordination würde keinen Kassenvertrag erhalten, wenn er mehr zahlen müsse, sei
die Witwe zum Abschluss des Kaufvertrages zu diesem Preis gezwungen worden. Auch die ÄKW habe sich rechtswidrig verhalten, denn sie hätte auf einer korrekten
Vorgangsweise beharren müssen. Die GKK bestritt naturgemäß alles. Die ÄKW versuchte sich dadurch aus der Affäre zu ziehen, indem sie argumentierte, sie erstatte
„lediglich Vorschläge für die Invertragnahme von Ärzten“, weshalb sie gar nicht in der Lage sei, Druck auf Übernehmer einer vakanten Kassenplanstelle auszuüben. Im
Übrigen sei der Wert der Ordination „unabhängig vom Bestehen eines Kassenvertrages zu ermitteln“, weil dieser mit dem Tod des Vertragsinhabers wegfalle. Die Witwe
sei auch nicht Mitglied der Ärztekammer, weshalb diese auch keine Fürsorgepflichten ihr gegenüber habe.
Zusatzvereinbarung zum Gesamtvertrag gilt
Der Oberste Gerichtshof (OGH) entschied, dass sich die Schutz- und Sorgfaltspflichten aus der genannten Reihungsrichtlinie – entgegen der Meinung der GKK und der
ÄKW – selbstredend auch auf die jeweiligen Ärzte beziehen. Es handle sich um eine Zusatzvereinbarung zum Gesamtvertrag zwischen den beiden Körperschaften, die
unter anderem Regelungen über Ordinationsübernahmen enthält. Die Regelungen sind daher als Inhalt dieses Gesamtvertrages anzusehen. Gemäß §341 Abs 3 ASVG ist
aber der Inhalt des Gesamtvertrages auch Inhalt der zwischen den einzelnen Sozialversicherungsträgern und den Vertragsärzten abzuschließenden Einzelverträge. Damit
ist, so der OGH, die Auswirkung der Regelungen im Gesamtvertrag auf den Vertragsarzt als Partei des Einzelvertrages „ganz offensichtlich“.
Die GKK und die ÄKW treffen daher laut Höchstgericht die von ihnen negierten Fürsorgepflichten gegenüber den Kassenvertragsärzten, wobei dies geradezu als
Selbstverständlichkeit auch auf deren Rechtsnachfolger durchschlägt. Dies sei insbesondere bei einer Materie wie der Ordinationsübernahme „nicht zu bezweifeln“, so der
OGH. Entgegen der Hoffnung der ÄKW, mit der Angelegenheit nichts zu tun haben zu müssen, stellte der OGH auch fest, dass für eine Raterteilung seitens der
Ärztekammer auch gehaftet werden muss, wenn er unentgeltlich erteilt wurde.
Der unmögliche Beweis
Der OGH verwies diese Rechtssache schließlich an das Erstgericht zurück, insbesondere zur Klärung der Frage, ob überhaupt jemand bereit gewesen wäre, mehr als
ATS 4,5 Millionen für die Ordination zu zahlen. Diesen Beweis konnte die Witwe zum großen Glück der Beklagten nicht erbringen. Ihre „Rache“ missglückte letztlich aus
diesem ziemlich banalen Grund.
D
Fazit des Rechtsanwaltes Dr. Karl Newole
• Ärztekammer und Sozialversicherung haben
aus den Reihungskriterien Schutz- und
Sorgfaltspflichten gegenüber Ärzten und auch
gegenüber deren Hinterbliebenen. Die
Verpflichtungen bestehen auch gegenüber
Ärzten, die sich um freie Kassenplanstellen
bewerben, also noch nicht Kassenvertragsärzte
sind, es aber werden wollen. Werden diese
Verpflichtungen verletzt, gebührt dem
Geschädigten grundsätzlich ein Ersatz.
• Der Praxis der ÄKW (die dafür auch die
Wiener GKK eingespannt hat), von sich
bewerbenden Ärzten zu verlangen, die
Ordination samt allfälligem Privatvermögen wie
etwa Wohnungen oder ganzen Häusern des
Vorgängers abzulösen (noch dazu auf
Grundlage des Kassenvertragsumsatzes), ist
illegal, aber zumindest in Wien bis auf Weiteres
nicht auszurotten. Andere Bundesländer haben
diesbezüglich bereits auf den Boden der
Rechtsstaatlichkeit zurückgefunden.
• Selbst die Bestimmungen in den vorliegenden
Reihungsrichtlinien werden offenbar weder von
der GKK noch von der ÄKW effektuiert. Diese
geben zumindest vor, dass die
Ablösebestimmungen einer Kontrolle durch
eine zuständige Kommission unterzogen
werden können, um die ärgsten Auswüchse
des Ablösewesens einzudämmen. Die geprellte
Witwe erfuhr von dieser Kommission im
Anlassfall freilich keinen Schutz.
• Je nachdem, ob man ein sich bewerbender
Arzt um eine Kassenplanstelle oder ein
scheidender Arzt ist, muss das Verhalten an
die Gegebenheiten und die gesetzlichen
Möglichkeiten angepasst werden. Rechtzeitige
und kompetente Beratung kann vermeiden,
dass es zu mitunter extrem kostspieligen
Fehlern kommt. Von der ÄKW oder der Wiener
GKK kann man im Einzelfall oft keine
Unterstützung erwarten.
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