Kassette 1 Bericht über die Reise des Fördervereins

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Bericht über die Reise des Fördervereins nach Burgund vom 4. -11.10.2011.
Frankreich, wir kommen! - Erwartungsvoll strebt eine dreißigköpfige Reisegruppe, bestehend
aus Mitgliedern des Fördervereins und willkommenen Gästen, zusammen mit unserem
bewährten Reiseleiter Herrn Meinke, der in seinem Heimatort Bonn zusteigt, und unserem
erfahrenen Busfahrer Herrn Kliefurth am sonnigen Herbstmorgen des 04.10.2011 Richtung
Burgund, um dort eine Woche lang Land und Kultur zu erkunden. Der Weg führt uns
zunächst durch die malerische Eifel, vorbei an den monströsen Vergnügungsbauten des
Nürburgrings, die auf täglich anfallende, geradezu unrealistische Besuchermassen hin
konzipiert wurden und jetzt unvollendet bereits in einen „Dornröschenschlaf“ gefallen sind,
sodann durch Luxemburg und Lothringen an Metz und Nancy vorbei südwestwärts Richtung
Dijon bzw. unserem nordwestlich davon gelegenen ersten Hotelquartier in Montbard.
Burgund, dieses von zahlreichen Flüssen sowie dem uns in den Folgetagen noch öfters
begegnenden Canal de Bourgogne durchzogene, östlich von Saône und Rhône, westlich von
Loire und Loing begrenzte geschichtsträchtige Gebiet südwestlich der Burgundischen Pforte
ist ein westeuropäisches Kulturland, das heute die Départements Nièvres, Yonne mit dem
Zentrum Auxerre, Côte-d’Or mit der Hauptstadt Dijon und Saône-et-Loire mit Chalons-surSaône umfasst und bis nördlich von Lyon reicht. Seine Geschichte lässt sich anhand von
archäologischen Funden bis ca. 30.000 v. Chr. zurückverfolgen. Griechen und Römern
verdankt die damalige Provinz Gallia Cisalpina mediterrane Kultur und den Weinanbau. Die
Zeit der Völkerwanderungen ging nicht ohne tiefgreifende Bewegungen und Umschichtungen
an Burgund vorbei, dessen Bewohner nachweislich zum Teil bis Bornholm und
Hinterpommern gelangten. In den darauf folgenden Jahrhunderten der Christianisierung unter
fränkischer bzw. karolingischer Herrschaft erschloss sich das jetzige Burgund durch
Ordensgründungen und das Land urbar machende Klöster, um sodann im 14./15. Jh. unter den
aus dem Hause Valois stammenden Burgundischen Herzögen Philipp der Kühne, der
Margarete v. Flandern ehelichte und damit Flandern und Burgund zusammenführte, Johann
ohne Furcht, Philipp der Gute und Karl der Kühne zur vollen Blüte zu gelangen, bevor es
schließlich der französischen Krone einverleibt wurde.
Bei der Anfahrt nach Montbard fällt auf, dass die Verkehrsdichte zunehmend nachlässt.
Frankreich und mit ihm Burgund ist ein weites, wesentlich weniger besiedeltes Land als
Westdeutschland. Die sanfthügelige burgundische Landschaft kennzeichnen neben lockerer
Bewaldung satte Wiesen und wohlbestellte, meistens großschlägige Felder mit offensichtlich
fruchtbarem Boden, da wir dort nur makellose Ackerkrume sehen und nicht einen Stein
entdecken können. Baumgruppen und Feldrainbewachsungen durch Hecken stellen sich der
Winderosion entgegen und gewähren einer vielgestaltigen Kleintierwelt Unterschlupf. Noch
in der Dämmerung leuchtet auf den Wiesen das weiße Fell der zahlreichen Charolais- Rinder,
deren Namensnennung Gourmets europaweit das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt, da
diese Tiere ein besonders qualitativ hochstehendes Fleisch besitzen. Wir begreifen wieder
einmal den Zusammenhang zwischen der Bedeutung Burgunds durch seine Fruchtbarkeit und
seine strategisch wichtige Durchgangslage einerseits sowie der Begehrlichkeit weltlicher und
geistlicher Herrscher andererseits, die bestrebt waren, sich diese Region zumindest teilweise
einzuverleiben. Auf dem Hintergrund der einträglichen Herrschaft über dieses Land konnten
sodann Kunst und Kultur gefördert werden.
Zunächst jedoch werden unsere Überlegungen durch die abendliche Geschäftigkeit in
Montbard beendet, wo wir im Hôtel de l’Ecu für vier Nächte unsere Zelte aufschlagen, bei
Wein und Abendessen die französische Gastlichkeit genießen und nur angesichts der
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üblicherweise eingeklemmten dünnen Wolldecken als Bettbezug ein wenig sehnsuchtsvoll an
unsere heimatlichen Federoberbetten zurückdenken. Aber wie sagte doch ein Reiseteilnehmer
in diesem Zusammenhang: „Man muss auch bei der Rückkehr etwas zum Freuen haben!“.
Der nächste, wiederum sonnige Tag gehört Dijon, das uns in seinem Facettenreichtum von
einer deutlich um korrekte deutsche Aussprache bemühten französischen Stadtführerin
präsentiert wird. Madame führt uns zunächst zum berühmten Moses- Brunnen auf das
Gelände der ehemaligen Karthause von Champmol, die heute eine psychiatrische Anstalt
beherbergt. In einem verglasten Pavillon befindet sich das Relikt einer ursprünglich für den
Kreuzgang von Champmol geplanten und von dem flämischen Bildhauer Claus Sluter
zwischen 1395 - 1405/ 06 ausgeführten, über 12m hohen Kreuzigungsgruppe, die nur noch
rudimentär existiert und im Archäologischen Museum in Dijon betrachtet werden kann. Den
aus einem Brunnen emporsteigenden, noch vollständigen Sockel umstehen diejenigen, die
Christi Kreuzestod im Alten Testament vorausgesagt hatten: Moses, die Propheten Daniel und
Jeremia, Jesaja, König David und Zacharias, während auf den schmalen Säulenkapitellen
zwischen diesen Figuren botticellihafte Engel, die von Sluters Neffen Claus de Werwe
geschaffen wurden, schweben und mit ihren Flügeln den über ihnen hinausragenden, ebenfalls
sechseckigen Sockel, auf dem früher die Kreuzigungsgruppe stand, tragen. Die gesamte
Figurengruppe beeindruckt nicht nur durch die individuellen Gesichter der einzelnen Seher
und Propheten, sondern vor allem durch die grandiosen, üppigen Gesamtgestaltungen der
Haare, Barttrachten und faltenreichen Gewänder mit sorgfältiger, differenzierter Darstellung
von plastischen Stoffmustern, Bordüren und Gürtelschnallen. Besonders schön ist die
jeweilige Lockenpracht der Engel und das Gefieder der Flügel gestaltet. Hier erreicht die
flämische Bildhauerkunst Sluters und de Werwes in der Blütezeit Burgunds einen geradezu
vollendeten Status. Leider nur noch schemenhaft erkennt der Betrachter die frühere farbige
Fassung der Gestalten, wogegen das Gold namentlich der Engelsflügel bedauerlicherweise
völlig verblasst ist. Die qualitativ ebenbürtigen, wunderschönen Grabmäler Philipp des
Kühnen aus der Sluter- Werkstatt und das Doppelgrabmal von Herzog Johann ohne Furcht
und seiner Gemahlin Margarete v. Bayern von Jean de la Huerta mit den berühmten
“Pleurants“ (den in Mönchskutten verschleierten, trauernden Gestalten) im Sockel ist zurzeit
im benachbarten Museum nicht zugänglich, so dass wir uns mit dem Moses- Brunnen
begnügen müssen.
Beim Portal der auf dem Karthausen-Gelände stehenden Kirche entzückt die im Trumeau
(Mittelpfeiler) stehende Madonna, die ebenso wie die Figuren des Moses- Brunnen durch
reichen Faltenwurf beeindruckt und in gotischem Figurenschwung förmlich ihr Kind auf der
linken Hüfte trägt, während in den Gewänden des Portals beiderseits die Stifterfiguren knien.
Ein Teil der Portalfiguren wurde in der Französischen Revolution von der aufgebrachten
Menge beschädigt. Bei der Stadtführung entlang von Parkanlagen, Kirchen und der
fahnengeschmückten Hauptgeschäftsstraße bekommen wir nur einen ungefähren Eindruck
von der wechselvollen Geschichte Dijons, das geraume Zeit auch Hauptstadt Burgunds war
und jetzt noch als Departement-Zentrum zahlreiche Verwaltungsgebäude besitzt.
Die ab 1220 erbaute Kirche Notre-Dame fällt zunächst dadurch auf, dass sie nur zwei kleine
Türmchen besitzt sowie einen Glockenschlagturm (Jacquemart), den Philipp der Kühne 1312
als Siegestrophäe aus Belgien mitbrachte. Die Westfassade mit zwei schlanken Säulenarkaden
wird von drei durchgehenden Reliefbändern mit Ranken und Wasserspeiern eingerahmt. Beim
ahnungslos-erwartungsvollen Herannahen an die drei in einem offenen Narthex liegenden
Portale zucken wir fast betroffen zusammen: sämtliche Figuren in den Tympana (Plural von
Tympanon), in den Archivolten und Gewänden sind 1794 in den Turbulenzen der
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Französischen Revolution von den aufgebrachten Massen dadurch zerstört worden, dass man
zumindest die Gesichter abschlug - ein unersetzlicher Verlust, aber ein Phänomen, dem wir
im Laufe der nächsten Tage noch öfters, wenn auch nicht in dieser brutalen Vollständigkeit
begegnen werden! – Der Innenraum ist neben zwei kunsthistorisch wertvollen
Madonnenfiguren vor allem durch die Gestaltung des sechsjochigen Langhauses interessant.
Hier wird die bisher geschlossene Wandfläche der Romanik mit den Stilmitteln der Gotik
aufgelöst. Es entsteht eine sogenannte „doppelschalige Wandstruktur“, d.h. über den zu den
Seitenschiffen liegenden Spitzbögen befindet sich das Triforium, das hier mit wohlgestalteten
Spitzbogenarkaden einen Umgang verkleidet. Darüber liegen die Obergadenfenster, durch die
Licht in das Langhaus fällt. Zudem dringt vor allem Helligkeit durch die Vierungskuppel und
die drei Fensterreihen der Apsis in den Innenraum.
Zu den überraschenden Informationen, die uns Herr Meinke in dieser Woche vermittelt,
gehört die Feststellung, dass der für die Gotik so typische Spitzbogen nachweislich
burgundischen Ursprungs ist und nicht – wie wir bisher vermuteten - erst in den großen
gotischen Kathedralen Nordfrankreichs (Reims, Chartres und Amiens) auftaucht. Zu diesen
Spitzbögen korrespondieren dann im Außenbereich Strebepfeiler, die ihrerseits in der Gotik
zunehmend differenzierter und graziler gestaltet wurden (s. Le Mans). Sie dienten ihrerseits
ebenfalls dazu, das Gewicht der Baumassen von Dach und Seitenwänden aufzufangen und
abzuleiten.
Beim Abschied weist uns unsere Fremdenführerin auf eine an der äußeren linken Kirchenseite
befindliche kleine steinerne Eule hin, deren Berührung mit der linken Hand nach dem
Volksglauben einen Wunsch erfüllen soll. Die kleine Eule begleitet uns im Laufe des weiteren
Stadtrundgangs noch wiederholt als ein in den Boden eingelassenes schmückendes Emblem.
Die aus dem 19. Jh. stammenden gusseisernen Markthallen sind bei unserem Besuch zwar
zugänglich, aber nicht in Betrieb, so dass wir den Reichtum an angebotenen Lebensmitteln
und Delikatessen nur ahnen können. Die Spezialität der Stadt, der Dijon- Senf in vielerlei
Geschmacksvariationen wird dennoch an dem zur Verfügung stehenden freien Nachmittag
von vielen Reiseteilnehmern erworben. Dabei kann man das Stadtbild mit teilweise noch alten
Fachwerkhäusern, aber auch barocken und klassizistischen Palais auf sich wirken lassen. –
Unternehmenslustige erkunden nach unserer Rückkehr ins Hotel noch Montbard. Der Rest
fällt später wohlig müde in die Kissen.
Am nachfolgenden Morgen besuchen wir in Vézelay die berühmte Basilika St. Madeleine, die
auf einer Anhöhe liegt und vom Busparkplatz aus nur zu Fuß erreicht werden kann. Entgegen
vorheriger Warnungen erweist sich der Fußweg aber als ausgesprochen moderat und
wohlgepflastert, wobei die zu seinen beiden Seiten liegenden pittoresken Häuser und Bistros,
Souvenirläden und kleinen Galerien zur Haupttouristikzeit sicherlich frequentiert werden.
Nun aber, an diesem herbstlich-kühlen Oktobermorgen, sind viele Geschäfte bereits
geschlossen. Es pfeift ein kaltes Lüftchen, und so suchen wir nur allzu gerne zusammen mit
Herrn Meinke den Schutz des Kirchengebäudes auf, das in seiner wesentlichen Gestalt ab
1120 erbaut wurde, um den Reliquien der Hl. Magdalena eine offizielle Heimstadt und den
zahlreichen Pilgern somit ein Ziel zu geben, bevor den betreffenden Reliquien die Echtheit im
Jahre 1270 durch Karl II. von Anjou bzw. nach einem Gutachterstreit von Papst Bonifaz VIII.
zugunsten anderweitiger Reliquien aus der Provence aberkannt wurde.
Gleichwohl gilt Vézelay weiterhin als eine der schönsten Kirchen Frankreichs, berühmt
wegen ihrer Lichtarchitektur und der einmaligen Kapitellgestaltungen. „Von der Dunkelheit
ins Licht“ – so sollten dereinst die Pilger geleitet werden, und so geschieht es mit den
Besuchern auch heute noch. Ein geschlossener, kaum beleuchteter Narthex schirmt die drei
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Eingangsportale ab und konnte sie so bisher nicht nur vor Witterungseinflüssen, sondern auch
vor den Übergriffen der Französischen Revolution bewahren, wenn auch die Gesichter der
Trumeau-Figur des Mittelportals (Johannes der Täufer) und kleinere Apostelfiguren in den
Gewänden Beschädigungen aufweisen. In Tympanon des Mittelportals thront Christus als
Weltenherrscher, zu seiner rechten Seite die aufrecht stehenden geretteten Seelen und zu
seiner Linken die gebeugten Verdammten. Der darunter liegende Fries des Türsturzes enthält
einen Zug der in der Alten Welt bekannten Völker, die sich auch noch in den Bildkästen der
Archivolten fortsetzen. Darüber wechseln sich Tierkreiszeichen und Monatsdarstellungen mit
den typischen agrarischen und handwerklichen Arbeiten ab. Im kleineren Südportal werden
Verkündigung, Heimsuchung und Anbetung des Christuskindes durch Hirten und Könige
dargestellt, während das Nordportal der Emmaus-Geschichte und der nachösterlichen
Erscheinung Christi gewidmet ist. Dieses zumindest im Mittelportal nicht selten anzutreffende
Bildprogramm begründet für sich allein nicht den kunsthistorischen Ruhm Vézelays.
Es ist die Feinheit der nahezu vollständig plastischen Darstellungen an über 150 Kapitellen,
die im Narthex bereits beginnen und sich vor allem im gesamten Kircheninneren in zwei
Etagen fortsetzen. Dazu brilliert die Exaktheit der Raumgestaltung, wobei Simse und Bögen
oftmals mit filigranen Ornamentbändern verziert werden.
Zunächst betreten wir durch das Mittelportal das Langschiff, wobei schon von Ferne die
vergleichsweise großen Fenster der Apsis leuchten, während die zehn Rundbögen des
Langhauses mit ihren wechselnden hellen und dunklen Steinen fast archaisch-byzantinisch
wirken, bzw. entfernt sogar an den Bogenwald in der andalusischen Mezquita erinnern. Die
Wucht der Decke und der Seitenwände, die von Obergadenfenstern unterbrochen werden,
fangen im Innenraum durch Kapitelle verzierte dreigeschossige Säulen mit vorgeblendeten
Diensten auf, während die bereits in der Kirche Notre-Dame in Dijon anzutreffende
zweischalige und zudem dreistufige Wandlösung den Querschiffen und der mit einem
Kapellenkranz umgebenen Apsis vorbehalten bleibt. Überall entzücken filigrane Bänderfriese
und Kapitelle mit den schon erwähnten nahezu vollplastischen Figuren aus der Zeit zwischen
1120-1130/35. Themen aus dem Alten und Neuen Testament und aus der Mythologie, speziell
der Kampf zwischen Gut und Böse (Engeln und Dämonen), haben offenbar die Gläubigen der
damaligen Zeit fasziniert und wurde zudem von ihnen auch auf Anhieb verstanden.
Beim anschließenden Spaziergang rund um den Außenbereich der Kirche registrieren wir, wie
die Wucht der Gebäudemassen durch Strebepfeiler vom Dach über die Seitenschiffe und den
Kapellenkranz der Apsis abgeleitet wurde. Nur so konnte dauerhaft ein stärkeres
Auseinanderstreben oder gar Einstürzen der Mauern vermieden werden.
Nach der Mittagspause in Auxerre führt uns eine dorthin familiär „vertriebene“ deutsche
Dame durch ihre Stadt. Oberhalb des Flusses Yonne gelegen, breitet sich rund um die
Kathedrale St. Etienne bis zur Klosterkirche St. Germain die Altstadt mit zahlreichen farbig
gefassten Fachwerkhäusern und einem prächtigen Uhrenturm aus dem 15. Jh. aus. Die außen
mit den Stilmitteln der Gotik gestaltete Westfassade der Kathedrale besitzt nur den bis 1543
ausgebauten Nordturm. Die drei Figurenportale, insbesondere das Mittelportal mit dem
Weltgericht aus dem 14. Jh. weist zum Teil erhebliche Beschädigungen auf, jedoch
beeindruckt das bis 1260 vollendete südliche Taufportal im Tympanon und in den
Archivolten mit figurenreichen Szenen aus dem Leben Jesu und Johannes des Täufers. Das
nördliche Marienportal stammt ebenfalls aus dem 14. Jh. Bemerkenswert sind die in den
Gewänden enthaltenen Sockelreliefs, die Genesis-Szenen enthalten und den damaligen
Gläubigen ebenfalls vertraut waren.- Der Innenraum mit dem ursprünglich romanischen
Langhaus überrascht durch die überformende, nun durchgehend gotische Raumgestaltung mit
der bereits angesprochenen dreiteiligen und zugleich doppelschaligen Wandlösung:
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Spitzbögen im Langhaus und auch zu den Seitenschiffen mit Säulen und Gurtbögen, die aus
den Kreuzgratgewölben kommen und in vorgeblendete Dienste der Säulen münden.- Sodann
ein durch den gesamten Kirchenraum führendes Triforium mit vorgeblendeten Säulen, das die
Zweischaligkeit begründet und darüber gotische Maßwerkfenster als Weiterentwicklung der
Obergadenfenster. Farbige Fenster, auch im Kapellenkranz, und leuchtende Rosetten aus den
Querschiffen tauchen den Innenraum in feierliches Licht.
Der imposante Eindruck setzt sich draußen in dem Kranz der Strebepfeiler fort.
Insgesamt beherrscht die Kathedrale das Stadtbild, das mit zahlreichen Gässchen und alten
Fachwerkhäusern, die im Erdgeschoss noch nach außen herausklappbare Läden enthalten,
durchaus malerisch und anheimelnd wirkt, auch wenn unser Genuss durch kühles
Regenwetter etwas gemindert wird. In früheren Jahrhunderten hat offenbar der an der Yonne
gelegene Hafen das Stadtleben dominiert, wie es sich aus Lagerhäusern und der in Flussnähe
an einem Haus befindlichen Figur des heiligen Nikolaus als Schutzpatron der Seefahrer und
Kaufleute ergibt.
Am Freitag, dem 7.10.2011, fahren wir zunächst zu der nahe Montbard bei Marmagne
gelegenen Abtei Fontenay. Zwar haben sich die dunklen Wolken des Vortages noch nicht
verzogen, aber es ist trocken. Dank der Umsicht von Herrn Meinke sind wir die ersten
Besucher auf dem Gelände. Hier präsentiert sich eine zisterziensische Klosteranlage nach den
Prinzipien des Hl. Bernhard v. Clairvaux, der letztlich als Hauptinitiator der von seinem
Heimatkloster Cîteaux im 12 Jh. ausgehenden Reformbewegung gilt. Diese Reform richtete
sich mit dem Gebot der Rückbesinnung auf die Klosterregeln des Hl. Benedikt v. Nursia aus
dem 6. Jh. gegen die inzwischen zu üppigem Reichtum und weltlicher Machtfülle gelangten
Lebensformen des Benediktinerklosters Cluny.
Ursprünglich in einsamer Waldlandschaft in einem Areal mit Flusslauf und umliegender
Landwirtschaft gelegen, wurde Fontenay im 12. Jh. gegründet, um den dort mit der stabilitas
loci lebenden Mönchen einen zurückgezogenen, aber dauerhaften und autarken klösterlichen
Lebensraum zu gewährleisten. Nicht nur die 1147 geweihte Kirche, die typischerweise keinen
weit sichtbaren Turm, sondern nur ein kleines Glockentürmchen trägt, sondern auch die
umliegenden Klostergebäude bestechen durch einen klaren, Dekorelemente sich weitgehend
versagenden Baustil. Mächtige Quadratpfeiler nehmen im Langhaus, das durch zwei Reihen
rundbogiger Fenster beleuchtet wird, während die drei oberen Fenster in der glatt
abschließenden Apsis bereits gotische Elemente aufweisen, die spitzbogigen Arkaden, die
geschlossene Wandzone und die Spitztonne mit Gurten auf. Die Seitenschiffe tragen über den
Gurtböden Quertonnen und gehen im südlichen Teil in den Konventsbau über. Hier begegnen
wir also wieder dem im 12. Jh. in Burgund als Stil- und Bauelement auftretenden Spitzbogen.
Dazu korrespondieren sodann außen massive, aber schlichte Strebepfeiler.- Lediglich die im
südlichen Querhaus stehende „Madonna von Fontenay“ aus dem späten 13./frühen 14. Jh.
weist eine an die Trumeau -Madonna von Champmol in Dijon erinnernde Formensprache mit
der signifikanten gotischen Körperhaltung auf. Kapitelsaal, Dormitorium mit einer hölzernen,
einem umgekehrten Schiffsrumpf ähnelnden Decke, Wärme- und Krankenstube und die
Wirtschaftsgebäude, u.a. eine Schmiede und eine wassergetriebene Mühle beeindrucken den
modernen Betrachter durch ihre Funktionalität und Schlichtheit.
Zudem ist der im warmen Sandsteinton strahlende große Kreuzgang atemberaubend schön!
Doppelbögen, die von einem Rundbogen zwischen den Strebepfeilern zusammengefasst
werden und an den Innenwänden liegende Vollsäulen fangen das ein Karree umlaufende
massive Tonnengewölbe auf. Die Schwere mindern lediglich schlichte Kannelierungen der
Gurte und Säulen, Architrave und Säulenbasen sowie allenfalls angedeutete Blattmotive der
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Kapitelle. Insgesamt besitzt der das Gartenviereck umrahmende Kreuzgang eine einmalige
Licht- und Schattenwirkung!
In dem am Fluss Armançon in dem Département Côte-d’Or gelegenen Ort Semur-en-Auxois
besichtigen wir anlässlich eines Stadtrundganges, bei dem wir ein noch erhaltenes Stadttor
bewundern, die ab 1225 erbaute Kirche Notre-Dame, deren gotisches Erscheinungsbild im
Laufe der nachfolgenden Jahrhunderte so gelitten hatte, dass es im 19. Jh. durch den
berühmten französischen Restaurator und Wiederentdecker des Mittelalters Viollet-le-Duc
wiederhergestellt werden musste. Neben der gotischen Innenraumgestaltung mit
zweischaligem Triforium in der Apsis und zweigeschossigem Langhaus ist vor allem die
außen am nördlichen Querschiffportal gelegene „“Porte des Bleds““ von etwa 1250 in
Erinnerung. Hier wird im Tympanon die Geschichte des Apostels Thomas erzählt: seine
anfängliche Ungläubigkeit gegenüber dem auferstandenen Christus, die Sage von seiner Reise
nach Indien und der dortigen Tätigkeit als Baumeister, wobei er das anvertraute Geld an die
Armen verteilt haben soll. Vor der Tischgesellschaft des Königs Gondolfus verrenkt sich eine
in Stein modellierte Tänzerin. Neben ihr hält ein Hund die dem Koch, der Thomas geohrfeigt
haben soll, daraufhin abgefallene Hand in seinen Fängen.
Der weitere Nachmittag führt zum Schloss Tanlay, ein zwischen 1555-1648 erbautes
dreiflügeliges, mit massiven Rundtürmen bewehrtes Wasserschloss, in dessen Ehrenhof eine
mit zwei Obelisken besetzte und in einen Torbau mündende Brücke führt. Zur angemeldeten
Führung empfängt uns eine angeblich nur französisch sprechende Dame, deren etwas
herablassend-anmaßendes Verhalten uns heute noch argwöhnen lässt, dass sie zum Kreis der
gegenwärtigen Eigentümer des Anwesens gehörte. Mobiliarbegriffe und Jahreszahlen wirbeln
uns um die Ohren, aber als wesentlich bleibt die Deckenausmalung eines Zimmers im
Südostturm in Erinnerung. Der damalige Eigentümer des Schlosses, de Coligny, stand
zumindest durch seinen Bruder den Protestanten nahe und beauftragte vor 1569 Vertreter der
Primaticcio -Schule mit der Fresko-Ausmalung der Turmzimmerdecke. Sie zeigt in der
weitgehend nackten Gestalt antiker Götter die Vertreter der katholischen Liga und der
Hugenotten. Als doppelköpfiger Janus blickt König Heinrich II. freundlich auf die Vertreter
des Katholizismus, aber finster zu den Protestanten. Auf katholischer Seite stehen Mars und
Venus, letztere mit den Zügen der Katharina v. Medici, während Neptun, Herkules und
Minerva als Vertreter von Vernunft und Klugheit protestantische Tugenden verkörpern.
Keine Seite wird letztlich verherrlicht, vielmehr wirken sie alle ein wenig eingebildet und
engstirnig.
Nach soviel Historie wenden wir uns nur zu bereitwillig mit einem elsässischen ehemaligen
Sommelier und Angestellten aus dem Weingut „La Cave du Connaisseur“ dem im Ort Chablis
angebauten gleichnamigen Weißwein zu, dessen Lagen wir zunächst von einem exponierten
Aussichtspunkt aus betrachten können. Dabei erklärt uns der Weinfachmann die geltenden
Klassifizierungen und weist daraufhin, dass alle Chablis-Weine, die als trockene Weine
momentan im Verbrauchertrend liegen, von der Chardonnay-Traube stammen. Leider findet
die anschließende Weinprobe in der Kellerei im Stehen statt, und wir sind doch an diesem
Tag schon so fleißig gewesen...
Für Samstag, den 8.10.2011, ist zunächst ein Zimmerwechsel angesagt, wobei wir beim
Kofferverladen unsere kleine Straße vor dem Hotel in Montbard zwangsläufig völlig
absperren. Danach steuern wir das am Fluss Arraix auf den Hügeln der Morvan -Höhenzüge
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gelegene Autun an, das wie so viele Orte Burgunds auf eine über 2000jährige Geschichte und
römische Gründung zurückblickt, wie noch einige Tor-Fragmente im Stadtbild bekunden.
An diesem Samstagmorgen gibt sich der Ort ein wenig unzugänglich und verschlafen, und
unsere deutschstämmige Stadtführerin scheint sich im Außenbereich der Kathedrale St.Lazare bei nasskaltem Wetter die zugigsten Stellen auszusuchen. Dennoch bleibt in
Erinnerung, dass der circa 1120 begonnene Kirchenbau nach der feierlichen Überführung der
Lazarus-Reliquien aus Marseille im Jahre 1146 Pilgerziel wurde. Gleichwohl setzten in den
nachfolgenden Jahrhunderten Gefechte mit den Engländern und die Religionskriege der
Kathedrale erheblich zu. Die dreischiffige Pfeilerbasilika mit Tonnengewölbe im Langhaus
und der wiederum doppelschaligen dreistufigen Wandgestaltung mit Spitzbögen zu den
Seitenschiffen, Blendtriforium und je einem Obergadenfenster pro Joch besticht durch die
feine Kannelierung der Dienste, die die Kenntnis antiker Bauten verrät und eine subtile LichtSchatten-Wirkung erzeugt. Seitenkapellen, der dreischiffige Hochchor und der Vierungsturm
wurden in der Spätgotik hinzugefügt. Weltberühmt ist die Kathedrale jedoch wegen ihrer
unter der Leitung von Meister Gislebertus geschaffenen Bauplastiken. Hierzu zählen im
Langhaus gut 100 Kapitelle und 49 in der Vorhalle. In einer Fontenay ebenbürtigen Weise
werden nahezu vollplastische Szenen des Alten und Neuen Testaments, der Mythologie und
der Fabel dargestellt. Aber auch im Außenbereich hat Meister Gislebertus mit seiner
Werkstatt gearbeitet: Die Plastiken des ehemaligen Hauptportals im Norden ließen die
Kanoniker selbst bereits 1766 abschlagen, jedoch ist das Programm gleichwohl noch zu
entziffern: Überwindung des Todes und Wiedergeburt zum Heil mit der Erweckung des
Lazarus und dem Sündenfall mit der noch im Original im Museum zu besichtigten, fast
liegenden Eva. Die erhalten gebliebenen Gewände zeigen u.a. den reichen Prasser, an dessen
Tür der arme Lazarus klopft. Wunderschön erhalten ist jedoch das unter dem Dach der
Vorhalle gelegene Westportal, das etwa um 1150 vollendet, 1766 mit einer Mörtelschicht
vermauert und ab 1836 wieder freigelegt und restauriert wurde. Es gilt als eines der schönsten
Zeugnisse romanischer Portalgestaltungen in Burgund. Über dem Trumeau mit Lazarus in der
Mitte und seinen Schwestern Maria und Martha zu seinen beiden Seiten thront in der
Mandorla des Tympanons ein 3 m großer Christus als Weltenrichter. Zu seiner Rechten das
Paradies mit Maria, den Aposteln, Petrus als Torwächter und herannahenden Seligen. Zur
Linken der Erzengel Michael mit der Seelenwaage, Teufel, Verdammte und das Höllentor. Zu
Christi Füßen oberhalb des Sturzes mit dem Zug der auferstandenen Gerechten und
Verdammten zieht sich ein lateinisches Schriftband mit Christus-Zitat und mahnenden
Worten an die Betrachter. Unmittelbar unterhalb der Christus-Füße hinterließ der
Hauptmeister mit der Inschrift “Gislebertus hoc fecit“, seinen Namen – ein Zeugnis
erwachenden Selbstbewusstseins und zudem ein Unikum in der ansonsten bestehenden
Anonymität mittelalterlicher Baumeister!
Die Mittagspause dient zum allgemeinen Aufwärmen und weckt wieder unsere Lebensgeister,
sodass wir trotz des Regens erwartungsvoll Beaune entgegenstreben. Schon auf dem dortigen
Busparkplatz kann kein Zweifel bestehen, dass wir nun in einen Schwerpunkt des Tourismus
gelangt sind: Überall Menschenmengen, Fotoapparate, Sicherheitsvorrichtungen und
Eintrittskontrollen! Das Hauptinteresse gilt dem Hôtel-Dieu, gestiftet im Jahre 1433 von
Nicolas Rolins, dem Kanzler Philipp des Guten, dem die Geschichtsschreibung einen großen
Anteil an der nicht immer integren Politik des Herzogs zuschreibt. Er und seine dritte
Gemahlin Guigone de Salins gründeten das Hôtel-Dieu zur Sicherung ihres Seelenheils. Der
Reichtum des Stiftungsvermögens basiert auch heute noch auf circa 800 Hektar Weinbergen
mit 52 Hektar der besten Lagen Burgunds. Alljährlich findet im November die Versteigerung
der Hospiz-Weine internationales Interesse.
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Das einen Rechteckhof umschließende vierflügelige Gebäude mit drei Seiten farbig glasierter
und zu geometrischen Mustern gelegter Dachziegel, spitzbogigen, zweireihigen
Gaubenfenstern, Türmchen und fahnengeschmückten metallenen Dachreitern gehört zu den
meistfotografierten Motiven Burgunds. Zentrum der Gesamtanlage ist der große Krankensaal,
der das Hôtel-Dieu zum berühmtesten mittelalterlichen Krankenhaus Europas machte. Allein
diese Tatsache lässt dunkel ahnen, wie es sonst um die damalige Krankenfürsorge bestellt
war.
In einem riesigen, holztonnengewölbten Krankensaal stehen an den Längsseiten jeweils 24
Betten, durch rote Stoffbahnen voneinander getrennt und zur Raummitte mit roten Vorhängen
abgeschirmt. Jeweils ein Nachttischchen und ein Stuhl stehen neben jedem Bett. An der mit
einem gotischen Maßwerkfenster verzierten Stirnseite des Saales befindet sich eine ebenfalls
durch Vorhänge abtrennbare Kapelle mit einem Altar, sodass jeder Kranke der täglichen
Messe zu seiner Ermutigung und Tröstung beiwohnen konnte. Ursprünglich thronte bis zur
Revolution über dem Altar der berühmte Weltgerichtsaltar, den Rogier van der Weyden um
1450 schuf. Heute verlangen konservatorische Gründe und Sicherheitserwägungen eine
isolierte museale Unterbringung des Altars in einem mit Türschleusen abgetrennten und
abgedunkelten Raum. Nicht nur das Zentralbild mit jeweils vier Seitenflügelbildern kann dort
bewundert werden.
Die Außenflügel des Altars mit Grisaille-Malereien (Hl. Sebastian und Hl. Antonius) sind
ebenso zu besichtigen wie die benachbarten knienden Stifterbilder des Nicolas Rolins und der
Guigone de Salins. Die Fachwelt zieht Parallelen zum Genter Altar des niederländischen
Malers van Dyck. In bewundernswürdiger Farbigkeit und drastischer Detailgenauigkeit, die
ein wenig an Hieronymus Bosch erinnert, werden die Gestalten des Weltgerichts dargestellt:
in der Mitte thront auf einem Regenbogen vor glühenden Wolken in purpurnem Mantel
Christus als Weltenrichter, umschwebt von Engeln, die seine Leidenswerkzeuge präsentieren.
Zu Christi Füßen, die auf einer goldenen Weltkugel ruhen, steht der Erzengel Michael mit
seiner Seelenwaage, in deren Schalen bereits nackte auferstandene Seelen liegen, während
Gerechte und Verdammte der Erde entsteigen und bestimmungsgemäß Himmel oder Hölle
aufsuchen. Auf den Seitenbildern bitten die Mutter Gottes und Johannes sowie Apostel,
Vertreter der mittelalterlichen Stände und wohl auch Papst Eugen IV. um Gnade für die zu
Richtenden.
Das Altarbild sollte die Patienten zu Umkehr und Buße mahnen und den Gerechten das
Paradies verheißen. Gleichzeitig empfahl es die Stifter des Hospizes dem Gebet der Patienten
und stellte sie bereits auf die Seite der Seligen.
Während uns beim Betrachten des Krankensaales angesichts unseres heutigen Wissens um
Infektionsgefahren ein wenig schaudert, wird gleichzeitig klar, dass diese Unterbringung in
den vergangenen Jahrhunderten wohl ein ausgesprochener Luxus war, zumal offenbar
ausreichend Schwesternpflegepersonal zur Verfügung stand. Wie wir in weiteren Räumen
besichtigen können, gab es zudem eine ausgedehnte Apotheke mit Medikamenten des
damaligen Erkenntnisstandes. Im Küchen- und Hauswirtschaftsbereich bemühten sich die
Schwestern um eine angemessene Ernährung der Patienten, was damals wohl nicht
selbstverständlich war.
Wir betrachten noch wunderschöne Bildteppiche und kostbare flämische Gobelins, fliehen
dann aber vor den Touristenströmen und freuen uns, abends unser neues Hotel de Bourgogne
in Mâcon, im Süden Burgunds im Département Saône-et-Loire am Fluß Saône gelegen,
beziehen zu können.- Dort gibt es kuschelige Bettdecken in Bezügen!
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Nach einem angenehmen Nachtschlaf fällt das frühe Aufstehen am nächsten Morgen daher
nicht schwer. Wir wollen rechtzeitig in Taizé zur Messe sein! Dort angekommen, erinnern
zunächst das dunkle hölzerne Eingangstor und die beiderseits des Weges stehenden einfachen
Häuser mit überdachten offenen Aufenthaltshallen gefährlich an Massenlager. Beim Betreten
der Kirche öffnet sich aber eine ganz andere Welt, und die Alltagsdinge fallen förmlich als
Ballast von jedem ab. Ein Gefühl der Ruhe und Sammlung überkommt uns, zumal die dezente
Meditationsmusik und die gesamte Raumgestaltung diese Stimmungslage fördern. Es hieße
das Erlebnis Taizé hier zu zerreden, deshalb sollten alle Reiseteilnehmer ihre eigenen
Empfindungen hier überdenken und für sich bewahren. Nur soviel sei noch gesagt: Taizé
zeigt, dass Ökumene gelingen kann. Wir stellen zudem fest, dass unsere eigenen Kirchen
ausgesprochen unwirtlich wirken.
Tief bewegt und glücklich treten wir die Weiterfahrt nach Cluny an und besichtigen im
Anschluss an die Mittagspause die Relikte von Cluny III, der einstmals, d.h. vor dem Bau des
Petersdoms, größten Kirche der Christenheit!
Als Benediktinerabtei Anfang des 10. Jh. gegründet, gelangte Cluny alsbald im Rahmen der
cluniazensischen Bewegung zur Papstunmittelbarkeit, war also bei der Ernennung seines
Abtes frei von jeder weltlichen Einflussnahme. Das gesamte Kloster unterstand unmittelbar
nur dem Papst, der auch den Abt ernannte. Die Abteien Cluny I und II folgten rasch
aufeinander und ließen bereits ein zunehmendes rituelles Raumbedürfnis erkennen. Ende des
11. Jh. stand der Bau von Cluny III an. Der Orden war inzwischen durch weitläufigen
Grundbesitz und die Tatsache, dass mächtige Adelsfamilien ihre Söhne in die
Ordensgemeinschaft entsandt hatten, zu Macht und Wohlstand gelangt. Die Liturgie
entwickelte sich gleichzeitig in Cluny zu einem gigantischen Schauspiel von Gesängen, Licht
und Farben, damit zu einer komplexen Dramaturgie zur Veranschaulichung des Himmlischen
Jerusalem. Insgesamt hatte sich Cluny inzwischen so weit von den Prinzipien des Benedikt v.
Nursia entfernt, dass es die bereits angesprochene Reformbewegung der Zisterzienser mit
Rückbesinnung auf die ursprünglichen Ordensregeln ihres Gründers förmlich provozierte. Mit
der Abteikirche und Klosteranlage Cluny III entstand ein bisher nicht bekanntes
Gesamtkunstwerk. Die Kirche selbst war 187 m lang und fast 30 m hoch, besaß ein
fünfschiffiges Langhaus mit 11 Jochen, 2 Querhäuser mit jeweils 4 Ostapsiden, 2
Vierungstürme und einen Chorumgang mit 5 Kranzkapellen. Für 300 Mönche musste die Zahl
der Altäre gegenüber den Vorgängerbauten sogar verdoppelt werden.
Diese Abtei überdauerte die Jahrhunderte, wobei Cluny durch zahlreiche Tochterklöster und
Konvente weiterhin in Westeuropa einflussreich blieb, zumal es seit 1169 unter dem
unmittelbaren Schutz des französischen Königs stand. Es wurde eine an französische
Kardinäle zu vergebende Kommende, u.a. erhielten es Richelieu und Mazarin. Im Zuge der
französischen Revolution erfolgte ein weitgehender Abbruch der Gebäude. Schließlich
verkaufte man die noch verbliebenen Reste an einen französischen Bürger, der den lukrativen
Abbruch fortsetzte. Heute sind die Grundrisse der Abtei noch im Pflaster der umgebenen
Straßen zu sehen, sodass Gäste nicht nur anhand des verbliebenen südlichen
Seitenquerschiffes und diverser Ausstellungsmodelle eine Ahnung von der früheren
Dimension erhalten. Unter Napoleon entstand auf dem damaligen Klostergelände u.a. ein
Pferdegestüt, das heute noch existiert. Neben einigen Amtsgebäuden aus dem 18 Jahrhundert
ist noch der mittelalterliche Kornspeicher mit einem hölzernen Tonnendach, das ebenfalls an
einen umgekehrten Schiffsrumpf erinnert, vorhanden. Er dient als Museum und enthält vor
allem wunderschön gestaltete Kapitelle, deren figürliche Darstellungen Vézelay ebenbürtig
sind.
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Der Tag klingt aus mit einem Besuch in Paray-le-Monial, wo wir die Basilika Sacré-Cœur
besuchen. Sie steht am Fluss Bourbince in einer Grünanlage und wurde 1875 zur “basilica
minor“ erhoben.
Diese romanische Kirche ist insofern von kunsthistorischem Interesse, weil sie als eine um
2/3 verkleinerte „Taschenausgabe“ von Cluny III gilt. 1092 – 1109 unter Abt Hugo von Cluny
errichtet, beeindruckt sie äußerlich durch zwei geringfügig differierende Türme, die die
schlichte Fassade mit offenem Narthex einrahmen und wuchtige Strebepfeiler, die Türme,
Langhaus und Seitenschiffe abstützen. Außerdem besitzt die Kirche einen achteckigen
Vierungsturm, ausgeprägte Querschiffe und einen den Chor umgebenden Kapellenkranz.
Dezent schmückende Bänderfriese mit Würfelornamenten oberhalb der Rundbogenfenster
und kannelierte Säulen setzen sich im Innenraum fort, der nach einer kürzlichen Renovierung
im warmen Ockergelb strahlt und somit selbst an diesem etwas wolkenverhangenen
Nachmittag die Illusion wärmender Sonnenstrahlen vermittelt.
Herr Meinke weist auf eine durchgehende „3er Symbolik“ hin: 3 Schiffe, 3 Joche im
Langhaus, dortige Dreierlösung mit burgundischen Spitzbögen zu den Seitenschiffen, darüber
zwischen den Jochen 3 Blendarkaden und 3 Obergadenfenster, 3 Kranzkapellen im
Chorumgang.
Beim Spaziergang durch den Ort passieren wir die Erscheinungskapelle der 1992 heilig
gesprochenen Marguerite-Marie Alacoque, bleiben aber draußen, weil wir die dort betenden
Pilger nicht stören wollen. Ein 1525 für den Tuchhändler Pierre Jayet errichtetes
herrschaftliches Stadthaus mit Muschelornamenten und Medaillon-Porträts der Könige von
Frankreich und andererAdliger dient heute als Rathaus.
Nach einem erfüllten Sonntag kehren wir nach Mâcon zurück, um von dort am nächsten
Morgen früh nach Bourg-en-Bresse aufzubrechen. Damit verlassen wir für einige Kilometer
Burgund und begeben uns in das Département Ain, beziehungsweise in die Landschaft der
Bresse, die ihrerseits berühmt ist für ihr weißfiedriges Geflügel.
Wir steuern zunächst die im Randbereich von Bourg-en-Bresse liegende ehemalige
Klosterkirche von Brou an. Zugegebenermaßen hat bisher niemand von uns etwas von Brou
gehört, und so stehen wir überwältigt vor dem zwischen 1513 – 1532 von dem Brüsseler
Baumeister Loys van Boghem in flämischer Spätgotik errichteten Meisterwerk, an das sich
neben den üblichen Klostergebäuden ungewöhnlicherweise drei Kreuzgänge anschließen.
Auf Geheiß der als Generalstatthalterin der Niederlande fungierenden Margarete v.
Österreich, einer Tochter des Habsburgischen Kaisers Maximilian I. und seiner Gemahlin
Maria v. Burgund wurden Kloster und Kirche errichtet, nachdem ihr geliebter Gatte Philibert,
Herzog v. Savoyen, 1504 verstorben war und sie somit im Alter von 24 Jahren verwitwet
wurde. Ihr Bestreben, ihm, ihrer Schwiegermutter Margarete v. Bourbon und sich selbst in der
Tradition der Burgundischen Herzöge (s. Dijon) Grabmäler zu errichten und 12 Mönche auf
Dauer für ihr jeweiliges Seelenheil beten zu lassen, war die Triebfeder für diesen Bau. Noch
vor Vollendung des gesamten Vorhabens starb Margarete im Jahre 1530 in Mechelen im Alter
von 50 Jahren, ohne das königliche Kloster in Brou jemals gesehen zu haben.
Wir bleiben zunächst gebannt vor dem westlichen Hauptportal stehen. Der flamboyante
Formenreichtum der dortigen Figuren und steingewordenen Vegetation überwältigt und
erinnert an den spanischen „plateresken“ Stil der Spätgotik/ Frührenaissance, wie er uns in der
Kathedrale von Bourgos begegnete. Diese Üppigkeit brabantischer Künstler um Jean de
Bruxelles setzt sich im Kircheninneren im dortigen Lettner fort, hinter dem sich der durch
fünf Fenster erleuchtete Chor mit reichem Gestühl und den drei Grabmälern öffnet.
Schon die nach flämischen Vorlagen gefertigten Fenster mit Philibert und Margarete als
Prinzenpaar und ihren Wappen sind bemerkenswert. Unglaublich schön sind jedoch die in
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edelsten Materialien gefertigten und von Baldachinen überdeckten Grabmäler selbst. Am
Grabmal der Margarete v. Bourbon trauern im Sockel Pleurants, d.h. verschleierte, gebeugte
Mönchsfiguren, die wir leider nicht in Dijon an den dort im Museum aufgestellten
Kunstwerken besichtigen konnten.
Die Grabmale Philiberts und Margaretes sind zweistufig: über dem Sarg auf einem Prunkbett
liegen in Festkleidung jeweils Philibert bzw. Margarete, die beide die Gesichtszüge des
jeweiligen Todeszeitpunkts aufweisen. Darunter im Sockelbereich liegt mit gefalteten Händen
der in ein Leichentuch gewickelte dazugehörige Leichnam, hier u.a. Margarete mit
aufgelöstem langen Haar, wobei das verklärte Gesicht in der Hoffnung auf die Auferstehung
nach Osten gewandt ist. Sämtliche Figuren in edelsten Materialien sind auf das sorgfältigste
detailgetreu ausgeführt, sodass der helle Marmor förmlich zu leben scheint. Wir sind
fasziniert und können beim anschließenden Gang durch das in den Klostergebäuden gelegene
Gemäldemuseum die dortige Kostbarkeiten westeuropäischer Maler aus dem 16. – 19. Jh.
kaum würdigen.
Bourg-en-Bresse lockt später in der Altstadt mit schönen Fachwerkhäusern, und auch das
pittoreske Städtchen Pérouges nördlich von Lyon, das oftmals als Kulisse für MusketierFilme dient, bezaubert an einem plötzlich wieder sonnigen Nachmittag, als wir dort fast die
einzigen Besucher sind.- Wir begrüßen die Sonne, die uns anschließend ins BeaujolaisWeinanbaugebiet nach Denicé zum Weingut “Château de Cercy“ begleitet. Dort werden wir
nach einer Kellerbesichtigung mit Exkurs des jungen Winzers über den Weinanbau seiner
Region in einen gottseidank mit Stühlen bestückten großen Raum geleitet und zu einer
Weinprobe eingeladen, die uns wegen der Qualität der dort angebotenen Getränke und der
begleitenden kleinen Häppchen wahrlich erfreut. Man sieht allenthalben lachende Gesichter,
und gar mancher schleppt anschließend einen schweren Weinkarton herbei, den Herr
Kliefurth bereitwillig im Kofferraum des Busses verstaut.- Auf der Heimfahrt nach Mâcon
sind die meisten dann anschließend ein wenig schläfrig-ruhig...
Der Heimreisetag führt uns auf bewährter Route nordwärts zunächst nach Tournus, wo auf
einer Anhöhe neben der Saône die Kirche St. Philibert liegt. Hier begegnet uns in dem Anfang
des 11 Jh. begonnenen Kirchenbau reine Romanik mit mächtigen Mauern und Lisenen. Die
Schießscharten der Fassade und die mit Zinnen und Pechnasen geschmückten Türme wirken
fast wie eine Trutzburg. Massive Rundbögen und gemauerte Pfeiler bestimmen den
dreischiffigen Innenraum. Das in den letzten Tagen oftmals beobachtete statische Problem,
ein Auseinanderstreben insbesondere der Langhauswände zu vermeiden bzw. die Kraft der
Dachgewölbe und Seitenwände durch Strebepfeiler aufzufangen und abzulenken, hat man in
Tournus dadurch gelöst, dass zwischen den Langhausjochen Quertonnen eingezogen wurden.
Schwibbögen ruhen auf kurzen Säulen, die den Schub des Gewölbes jeweils auf die hohen
Säulen weiterleiten. Ungewöhnlich hohe Kreuzgratgewölbe schließen die Seitenschiffe ab.
Wir steigen in die oberhalb des Narthex gelegene St.-Michaels-Kapelle, die älter als das
Langhaus ist. Die archaischen Skulpturen an den Kapitellen, namentlich die Inschrift
„Gerlannus“ am Triumphbogen datieren vermutlich noch aus der Karolingerzeit bzw. könnten
auf das Jahr 1000 zurückgehen. Wir fragen uns, weshalb die Querjochlösung von Tournus
nicht beispielhaft für spätere Kirchenbauten in Burgund wurde und können allenfalls
spekulieren, dass man durch Längstonnen die Hinwendung des Eintretenden zum Altar
betonen wollte, so wie sie in Vézelay zum Programm wurde.
Bei der anschließenden Heimfahrt geraten wir spätestens nach Passieren der luxemburgisch –
deutschen Grenze wieder in die alltagsbekannte Verkehrsdichte und Fülle von
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Autobahnbaustellen. Zudem holt uns ein von Westen kommendes Regentief ein, das uns seit
dem Busfahrerwechsel in Remscheid pausenlos begleitet. Es ist schon spät, als wir in
Paderborn landen, und jeder strebt mit seinem Gepäck verständlicherweise schnell den
heimatlichen Gefilden zu, nimmt aber reiche Eindrücke aus der vergangenen Woche mit.
Brigitte Brütting
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