Bericht über die Reise des Fördervereins nach Burgund vom 4. -11.10.2011. Frankreich, wir kommen! - Erwartungsvoll strebt eine dreißigköpfige Reisegruppe, bestehend aus Mitgliedern des Fördervereins und willkommenen Gästen, zusammen mit unserem bewährten Reiseleiter Herrn Meinke, der in seinem Heimatort Bonn zusteigt, und unserem erfahrenen Busfahrer Herrn Kliefurth am sonnigen Herbstmorgen des 04.10.2011 Richtung Burgund, um dort eine Woche lang Land und Kultur zu erkunden. Der Weg führt uns zunächst durch die malerische Eifel, vorbei an den monströsen Vergnügungsbauten des Nürburgrings, die auf täglich anfallende, geradezu unrealistische Besuchermassen hin konzipiert wurden und jetzt unvollendet bereits in einen „Dornröschenschlaf“ gefallen sind, sodann durch Luxemburg und Lothringen an Metz und Nancy vorbei südwestwärts Richtung Dijon bzw. unserem nordwestlich davon gelegenen ersten Hotelquartier in Montbard. Burgund, dieses von zahlreichen Flüssen sowie dem uns in den Folgetagen noch öfters begegnenden Canal de Bourgogne durchzogene, östlich von Saône und Rhône, westlich von Loire und Loing begrenzte geschichtsträchtige Gebiet südwestlich der Burgundischen Pforte ist ein westeuropäisches Kulturland, das heute die Départements Nièvres, Yonne mit dem Zentrum Auxerre, Côte-d’Or mit der Hauptstadt Dijon und Saône-et-Loire mit Chalons-surSaône umfasst und bis nördlich von Lyon reicht. Seine Geschichte lässt sich anhand von archäologischen Funden bis ca. 30.000 v. Chr. zurückverfolgen. Griechen und Römern verdankt die damalige Provinz Gallia Cisalpina mediterrane Kultur und den Weinanbau. Die Zeit der Völkerwanderungen ging nicht ohne tiefgreifende Bewegungen und Umschichtungen an Burgund vorbei, dessen Bewohner nachweislich zum Teil bis Bornholm und Hinterpommern gelangten. In den darauf folgenden Jahrhunderten der Christianisierung unter fränkischer bzw. karolingischer Herrschaft erschloss sich das jetzige Burgund durch Ordensgründungen und das Land urbar machende Klöster, um sodann im 14./15. Jh. unter den aus dem Hause Valois stammenden Burgundischen Herzögen Philipp der Kühne, der Margarete v. Flandern ehelichte und damit Flandern und Burgund zusammenführte, Johann ohne Furcht, Philipp der Gute und Karl der Kühne zur vollen Blüte zu gelangen, bevor es schließlich der französischen Krone einverleibt wurde. Bei der Anfahrt nach Montbard fällt auf, dass die Verkehrsdichte zunehmend nachlässt. Frankreich und mit ihm Burgund ist ein weites, wesentlich weniger besiedeltes Land als Westdeutschland. Die sanfthügelige burgundische Landschaft kennzeichnen neben lockerer Bewaldung satte Wiesen und wohlbestellte, meistens großschlägige Felder mit offensichtlich fruchtbarem Boden, da wir dort nur makellose Ackerkrume sehen und nicht einen Stein entdecken können. Baumgruppen und Feldrainbewachsungen durch Hecken stellen sich der Winderosion entgegen und gewähren einer vielgestaltigen Kleintierwelt Unterschlupf. Noch in der Dämmerung leuchtet auf den Wiesen das weiße Fell der zahlreichen Charolais- Rinder, deren Namensnennung Gourmets europaweit das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt, da diese Tiere ein besonders qualitativ hochstehendes Fleisch besitzen. Wir begreifen wieder einmal den Zusammenhang zwischen der Bedeutung Burgunds durch seine Fruchtbarkeit und seine strategisch wichtige Durchgangslage einerseits sowie der Begehrlichkeit weltlicher und geistlicher Herrscher andererseits, die bestrebt waren, sich diese Region zumindest teilweise einzuverleiben. Auf dem Hintergrund der einträglichen Herrschaft über dieses Land konnten sodann Kunst und Kultur gefördert werden. Zunächst jedoch werden unsere Überlegungen durch die abendliche Geschäftigkeit in Montbard beendet, wo wir im Hôtel de l’Ecu für vier Nächte unsere Zelte aufschlagen, bei Wein und Abendessen die französische Gastlichkeit genießen und nur angesichts der 1 üblicherweise eingeklemmten dünnen Wolldecken als Bettbezug ein wenig sehnsuchtsvoll an unsere heimatlichen Federoberbetten zurückdenken. Aber wie sagte doch ein Reiseteilnehmer in diesem Zusammenhang: „Man muss auch bei der Rückkehr etwas zum Freuen haben!“. Der nächste, wiederum sonnige Tag gehört Dijon, das uns in seinem Facettenreichtum von einer deutlich um korrekte deutsche Aussprache bemühten französischen Stadtführerin präsentiert wird. Madame führt uns zunächst zum berühmten Moses- Brunnen auf das Gelände der ehemaligen Karthause von Champmol, die heute eine psychiatrische Anstalt beherbergt. In einem verglasten Pavillon befindet sich das Relikt einer ursprünglich für den Kreuzgang von Champmol geplanten und von dem flämischen Bildhauer Claus Sluter zwischen 1395 - 1405/ 06 ausgeführten, über 12m hohen Kreuzigungsgruppe, die nur noch rudimentär existiert und im Archäologischen Museum in Dijon betrachtet werden kann. Den aus einem Brunnen emporsteigenden, noch vollständigen Sockel umstehen diejenigen, die Christi Kreuzestod im Alten Testament vorausgesagt hatten: Moses, die Propheten Daniel und Jeremia, Jesaja, König David und Zacharias, während auf den schmalen Säulenkapitellen zwischen diesen Figuren botticellihafte Engel, die von Sluters Neffen Claus de Werwe geschaffen wurden, schweben und mit ihren Flügeln den über ihnen hinausragenden, ebenfalls sechseckigen Sockel, auf dem früher die Kreuzigungsgruppe stand, tragen. Die gesamte Figurengruppe beeindruckt nicht nur durch die individuellen Gesichter der einzelnen Seher und Propheten, sondern vor allem durch die grandiosen, üppigen Gesamtgestaltungen der Haare, Barttrachten und faltenreichen Gewänder mit sorgfältiger, differenzierter Darstellung von plastischen Stoffmustern, Bordüren und Gürtelschnallen. Besonders schön ist die jeweilige Lockenpracht der Engel und das Gefieder der Flügel gestaltet. Hier erreicht die flämische Bildhauerkunst Sluters und de Werwes in der Blütezeit Burgunds einen geradezu vollendeten Status. Leider nur noch schemenhaft erkennt der Betrachter die frühere farbige Fassung der Gestalten, wogegen das Gold namentlich der Engelsflügel bedauerlicherweise völlig verblasst ist. Die qualitativ ebenbürtigen, wunderschönen Grabmäler Philipp des Kühnen aus der Sluter- Werkstatt und das Doppelgrabmal von Herzog Johann ohne Furcht und seiner Gemahlin Margarete v. Bayern von Jean de la Huerta mit den berühmten “Pleurants“ (den in Mönchskutten verschleierten, trauernden Gestalten) im Sockel ist zurzeit im benachbarten Museum nicht zugänglich, so dass wir uns mit dem Moses- Brunnen begnügen müssen. Beim Portal der auf dem Karthausen-Gelände stehenden Kirche entzückt die im Trumeau (Mittelpfeiler) stehende Madonna, die ebenso wie die Figuren des Moses- Brunnen durch reichen Faltenwurf beeindruckt und in gotischem Figurenschwung förmlich ihr Kind auf der linken Hüfte trägt, während in den Gewänden des Portals beiderseits die Stifterfiguren knien. Ein Teil der Portalfiguren wurde in der Französischen Revolution von der aufgebrachten Menge beschädigt. Bei der Stadtführung entlang von Parkanlagen, Kirchen und der fahnengeschmückten Hauptgeschäftsstraße bekommen wir nur einen ungefähren Eindruck von der wechselvollen Geschichte Dijons, das geraume Zeit auch Hauptstadt Burgunds war und jetzt noch als Departement-Zentrum zahlreiche Verwaltungsgebäude besitzt. Die ab 1220 erbaute Kirche Notre-Dame fällt zunächst dadurch auf, dass sie nur zwei kleine Türmchen besitzt sowie einen Glockenschlagturm (Jacquemart), den Philipp der Kühne 1312 als Siegestrophäe aus Belgien mitbrachte. Die Westfassade mit zwei schlanken Säulenarkaden wird von drei durchgehenden Reliefbändern mit Ranken und Wasserspeiern eingerahmt. Beim ahnungslos-erwartungsvollen Herannahen an die drei in einem offenen Narthex liegenden Portale zucken wir fast betroffen zusammen: sämtliche Figuren in den Tympana (Plural von Tympanon), in den Archivolten und Gewänden sind 1794 in den Turbulenzen der 2 Französischen Revolution von den aufgebrachten Massen dadurch zerstört worden, dass man zumindest die Gesichter abschlug - ein unersetzlicher Verlust, aber ein Phänomen, dem wir im Laufe der nächsten Tage noch öfters, wenn auch nicht in dieser brutalen Vollständigkeit begegnen werden! – Der Innenraum ist neben zwei kunsthistorisch wertvollen Madonnenfiguren vor allem durch die Gestaltung des sechsjochigen Langhauses interessant. Hier wird die bisher geschlossene Wandfläche der Romanik mit den Stilmitteln der Gotik aufgelöst. Es entsteht eine sogenannte „doppelschalige Wandstruktur“, d.h. über den zu den Seitenschiffen liegenden Spitzbögen befindet sich das Triforium, das hier mit wohlgestalteten Spitzbogenarkaden einen Umgang verkleidet. Darüber liegen die Obergadenfenster, durch die Licht in das Langhaus fällt. Zudem dringt vor allem Helligkeit durch die Vierungskuppel und die drei Fensterreihen der Apsis in den Innenraum. Zu den überraschenden Informationen, die uns Herr Meinke in dieser Woche vermittelt, gehört die Feststellung, dass der für die Gotik so typische Spitzbogen nachweislich burgundischen Ursprungs ist und nicht – wie wir bisher vermuteten - erst in den großen gotischen Kathedralen Nordfrankreichs (Reims, Chartres und Amiens) auftaucht. Zu diesen Spitzbögen korrespondieren dann im Außenbereich Strebepfeiler, die ihrerseits in der Gotik zunehmend differenzierter und graziler gestaltet wurden (s. Le Mans). Sie dienten ihrerseits ebenfalls dazu, das Gewicht der Baumassen von Dach und Seitenwänden aufzufangen und abzuleiten. Beim Abschied weist uns unsere Fremdenführerin auf eine an der äußeren linken Kirchenseite befindliche kleine steinerne Eule hin, deren Berührung mit der linken Hand nach dem Volksglauben einen Wunsch erfüllen soll. Die kleine Eule begleitet uns im Laufe des weiteren Stadtrundgangs noch wiederholt als ein in den Boden eingelassenes schmückendes Emblem. Die aus dem 19. Jh. stammenden gusseisernen Markthallen sind bei unserem Besuch zwar zugänglich, aber nicht in Betrieb, so dass wir den Reichtum an angebotenen Lebensmitteln und Delikatessen nur ahnen können. Die Spezialität der Stadt, der Dijon- Senf in vielerlei Geschmacksvariationen wird dennoch an dem zur Verfügung stehenden freien Nachmittag von vielen Reiseteilnehmern erworben. Dabei kann man das Stadtbild mit teilweise noch alten Fachwerkhäusern, aber auch barocken und klassizistischen Palais auf sich wirken lassen. – Unternehmenslustige erkunden nach unserer Rückkehr ins Hotel noch Montbard. Der Rest fällt später wohlig müde in die Kissen. Am nachfolgenden Morgen besuchen wir in Vézelay die berühmte Basilika St. Madeleine, die auf einer Anhöhe liegt und vom Busparkplatz aus nur zu Fuß erreicht werden kann. Entgegen vorheriger Warnungen erweist sich der Fußweg aber als ausgesprochen moderat und wohlgepflastert, wobei die zu seinen beiden Seiten liegenden pittoresken Häuser und Bistros, Souvenirläden und kleinen Galerien zur Haupttouristikzeit sicherlich frequentiert werden. Nun aber, an diesem herbstlich-kühlen Oktobermorgen, sind viele Geschäfte bereits geschlossen. Es pfeift ein kaltes Lüftchen, und so suchen wir nur allzu gerne zusammen mit Herrn Meinke den Schutz des Kirchengebäudes auf, das in seiner wesentlichen Gestalt ab 1120 erbaut wurde, um den Reliquien der Hl. Magdalena eine offizielle Heimstadt und den zahlreichen Pilgern somit ein Ziel zu geben, bevor den betreffenden Reliquien die Echtheit im Jahre 1270 durch Karl II. von Anjou bzw. nach einem Gutachterstreit von Papst Bonifaz VIII. zugunsten anderweitiger Reliquien aus der Provence aberkannt wurde. Gleichwohl gilt Vézelay weiterhin als eine der schönsten Kirchen Frankreichs, berühmt wegen ihrer Lichtarchitektur und der einmaligen Kapitellgestaltungen. „Von der Dunkelheit ins Licht“ – so sollten dereinst die Pilger geleitet werden, und so geschieht es mit den Besuchern auch heute noch. Ein geschlossener, kaum beleuchteter Narthex schirmt die drei 3 Eingangsportale ab und konnte sie so bisher nicht nur vor Witterungseinflüssen, sondern auch vor den Übergriffen der Französischen Revolution bewahren, wenn auch die Gesichter der Trumeau-Figur des Mittelportals (Johannes der Täufer) und kleinere Apostelfiguren in den Gewänden Beschädigungen aufweisen. In Tympanon des Mittelportals thront Christus als Weltenherrscher, zu seiner rechten Seite die aufrecht stehenden geretteten Seelen und zu seiner Linken die gebeugten Verdammten. Der darunter liegende Fries des Türsturzes enthält einen Zug der in der Alten Welt bekannten Völker, die sich auch noch in den Bildkästen der Archivolten fortsetzen. Darüber wechseln sich Tierkreiszeichen und Monatsdarstellungen mit den typischen agrarischen und handwerklichen Arbeiten ab. Im kleineren Südportal werden Verkündigung, Heimsuchung und Anbetung des Christuskindes durch Hirten und Könige dargestellt, während das Nordportal der Emmaus-Geschichte und der nachösterlichen Erscheinung Christi gewidmet ist. Dieses zumindest im Mittelportal nicht selten anzutreffende Bildprogramm begründet für sich allein nicht den kunsthistorischen Ruhm Vézelays. Es ist die Feinheit der nahezu vollständig plastischen Darstellungen an über 150 Kapitellen, die im Narthex bereits beginnen und sich vor allem im gesamten Kircheninneren in zwei Etagen fortsetzen. Dazu brilliert die Exaktheit der Raumgestaltung, wobei Simse und Bögen oftmals mit filigranen Ornamentbändern verziert werden. Zunächst betreten wir durch das Mittelportal das Langschiff, wobei schon von Ferne die vergleichsweise großen Fenster der Apsis leuchten, während die zehn Rundbögen des Langhauses mit ihren wechselnden hellen und dunklen Steinen fast archaisch-byzantinisch wirken, bzw. entfernt sogar an den Bogenwald in der andalusischen Mezquita erinnern. Die Wucht der Decke und der Seitenwände, die von Obergadenfenstern unterbrochen werden, fangen im Innenraum durch Kapitelle verzierte dreigeschossige Säulen mit vorgeblendeten Diensten auf, während die bereits in der Kirche Notre-Dame in Dijon anzutreffende zweischalige und zudem dreistufige Wandlösung den Querschiffen und der mit einem Kapellenkranz umgebenen Apsis vorbehalten bleibt. Überall entzücken filigrane Bänderfriese und Kapitelle mit den schon erwähnten nahezu vollplastischen Figuren aus der Zeit zwischen 1120-1130/35. Themen aus dem Alten und Neuen Testament und aus der Mythologie, speziell der Kampf zwischen Gut und Böse (Engeln und Dämonen), haben offenbar die Gläubigen der damaligen Zeit fasziniert und wurde zudem von ihnen auch auf Anhieb verstanden. Beim anschließenden Spaziergang rund um den Außenbereich der Kirche registrieren wir, wie die Wucht der Gebäudemassen durch Strebepfeiler vom Dach über die Seitenschiffe und den Kapellenkranz der Apsis abgeleitet wurde. Nur so konnte dauerhaft ein stärkeres Auseinanderstreben oder gar Einstürzen der Mauern vermieden werden. Nach der Mittagspause in Auxerre führt uns eine dorthin familiär „vertriebene“ deutsche Dame durch ihre Stadt. Oberhalb des Flusses Yonne gelegen, breitet sich rund um die Kathedrale St. Etienne bis zur Klosterkirche St. Germain die Altstadt mit zahlreichen farbig gefassten Fachwerkhäusern und einem prächtigen Uhrenturm aus dem 15. Jh. aus. Die außen mit den Stilmitteln der Gotik gestaltete Westfassade der Kathedrale besitzt nur den bis 1543 ausgebauten Nordturm. Die drei Figurenportale, insbesondere das Mittelportal mit dem Weltgericht aus dem 14. Jh. weist zum Teil erhebliche Beschädigungen auf, jedoch beeindruckt das bis 1260 vollendete südliche Taufportal im Tympanon und in den Archivolten mit figurenreichen Szenen aus dem Leben Jesu und Johannes des Täufers. Das nördliche Marienportal stammt ebenfalls aus dem 14. Jh. Bemerkenswert sind die in den Gewänden enthaltenen Sockelreliefs, die Genesis-Szenen enthalten und den damaligen Gläubigen ebenfalls vertraut waren.- Der Innenraum mit dem ursprünglich romanischen Langhaus überrascht durch die überformende, nun durchgehend gotische Raumgestaltung mit der bereits angesprochenen dreiteiligen und zugleich doppelschaligen Wandlösung: 4 Spitzbögen im Langhaus und auch zu den Seitenschiffen mit Säulen und Gurtbögen, die aus den Kreuzgratgewölben kommen und in vorgeblendete Dienste der Säulen münden.- Sodann ein durch den gesamten Kirchenraum führendes Triforium mit vorgeblendeten Säulen, das die Zweischaligkeit begründet und darüber gotische Maßwerkfenster als Weiterentwicklung der Obergadenfenster. Farbige Fenster, auch im Kapellenkranz, und leuchtende Rosetten aus den Querschiffen tauchen den Innenraum in feierliches Licht. Der imposante Eindruck setzt sich draußen in dem Kranz der Strebepfeiler fort. Insgesamt beherrscht die Kathedrale das Stadtbild, das mit zahlreichen Gässchen und alten Fachwerkhäusern, die im Erdgeschoss noch nach außen herausklappbare Läden enthalten, durchaus malerisch und anheimelnd wirkt, auch wenn unser Genuss durch kühles Regenwetter etwas gemindert wird. In früheren Jahrhunderten hat offenbar der an der Yonne gelegene Hafen das Stadtleben dominiert, wie es sich aus Lagerhäusern und der in Flussnähe an einem Haus befindlichen Figur des heiligen Nikolaus als Schutzpatron der Seefahrer und Kaufleute ergibt. Am Freitag, dem 7.10.2011, fahren wir zunächst zu der nahe Montbard bei Marmagne gelegenen Abtei Fontenay. Zwar haben sich die dunklen Wolken des Vortages noch nicht verzogen, aber es ist trocken. Dank der Umsicht von Herrn Meinke sind wir die ersten Besucher auf dem Gelände. Hier präsentiert sich eine zisterziensische Klosteranlage nach den Prinzipien des Hl. Bernhard v. Clairvaux, der letztlich als Hauptinitiator der von seinem Heimatkloster Cîteaux im 12 Jh. ausgehenden Reformbewegung gilt. Diese Reform richtete sich mit dem Gebot der Rückbesinnung auf die Klosterregeln des Hl. Benedikt v. Nursia aus dem 6. Jh. gegen die inzwischen zu üppigem Reichtum und weltlicher Machtfülle gelangten Lebensformen des Benediktinerklosters Cluny. Ursprünglich in einsamer Waldlandschaft in einem Areal mit Flusslauf und umliegender Landwirtschaft gelegen, wurde Fontenay im 12. Jh. gegründet, um den dort mit der stabilitas loci lebenden Mönchen einen zurückgezogenen, aber dauerhaften und autarken klösterlichen Lebensraum zu gewährleisten. Nicht nur die 1147 geweihte Kirche, die typischerweise keinen weit sichtbaren Turm, sondern nur ein kleines Glockentürmchen trägt, sondern auch die umliegenden Klostergebäude bestechen durch einen klaren, Dekorelemente sich weitgehend versagenden Baustil. Mächtige Quadratpfeiler nehmen im Langhaus, das durch zwei Reihen rundbogiger Fenster beleuchtet wird, während die drei oberen Fenster in der glatt abschließenden Apsis bereits gotische Elemente aufweisen, die spitzbogigen Arkaden, die geschlossene Wandzone und die Spitztonne mit Gurten auf. Die Seitenschiffe tragen über den Gurtböden Quertonnen und gehen im südlichen Teil in den Konventsbau über. Hier begegnen wir also wieder dem im 12. Jh. in Burgund als Stil- und Bauelement auftretenden Spitzbogen. Dazu korrespondieren sodann außen massive, aber schlichte Strebepfeiler.- Lediglich die im südlichen Querhaus stehende „Madonna von Fontenay“ aus dem späten 13./frühen 14. Jh. weist eine an die Trumeau -Madonna von Champmol in Dijon erinnernde Formensprache mit der signifikanten gotischen Körperhaltung auf. Kapitelsaal, Dormitorium mit einer hölzernen, einem umgekehrten Schiffsrumpf ähnelnden Decke, Wärme- und Krankenstube und die Wirtschaftsgebäude, u.a. eine Schmiede und eine wassergetriebene Mühle beeindrucken den modernen Betrachter durch ihre Funktionalität und Schlichtheit. Zudem ist der im warmen Sandsteinton strahlende große Kreuzgang atemberaubend schön! Doppelbögen, die von einem Rundbogen zwischen den Strebepfeilern zusammengefasst werden und an den Innenwänden liegende Vollsäulen fangen das ein Karree umlaufende massive Tonnengewölbe auf. Die Schwere mindern lediglich schlichte Kannelierungen der Gurte und Säulen, Architrave und Säulenbasen sowie allenfalls angedeutete Blattmotive der 5 Kapitelle. Insgesamt besitzt der das Gartenviereck umrahmende Kreuzgang eine einmalige Licht- und Schattenwirkung! In dem am Fluss Armançon in dem Département Côte-d’Or gelegenen Ort Semur-en-Auxois besichtigen wir anlässlich eines Stadtrundganges, bei dem wir ein noch erhaltenes Stadttor bewundern, die ab 1225 erbaute Kirche Notre-Dame, deren gotisches Erscheinungsbild im Laufe der nachfolgenden Jahrhunderte so gelitten hatte, dass es im 19. Jh. durch den berühmten französischen Restaurator und Wiederentdecker des Mittelalters Viollet-le-Duc wiederhergestellt werden musste. Neben der gotischen Innenraumgestaltung mit zweischaligem Triforium in der Apsis und zweigeschossigem Langhaus ist vor allem die außen am nördlichen Querschiffportal gelegene „“Porte des Bleds““ von etwa 1250 in Erinnerung. Hier wird im Tympanon die Geschichte des Apostels Thomas erzählt: seine anfängliche Ungläubigkeit gegenüber dem auferstandenen Christus, die Sage von seiner Reise nach Indien und der dortigen Tätigkeit als Baumeister, wobei er das anvertraute Geld an die Armen verteilt haben soll. Vor der Tischgesellschaft des Königs Gondolfus verrenkt sich eine in Stein modellierte Tänzerin. Neben ihr hält ein Hund die dem Koch, der Thomas geohrfeigt haben soll, daraufhin abgefallene Hand in seinen Fängen. Der weitere Nachmittag führt zum Schloss Tanlay, ein zwischen 1555-1648 erbautes dreiflügeliges, mit massiven Rundtürmen bewehrtes Wasserschloss, in dessen Ehrenhof eine mit zwei Obelisken besetzte und in einen Torbau mündende Brücke führt. Zur angemeldeten Führung empfängt uns eine angeblich nur französisch sprechende Dame, deren etwas herablassend-anmaßendes Verhalten uns heute noch argwöhnen lässt, dass sie zum Kreis der gegenwärtigen Eigentümer des Anwesens gehörte. Mobiliarbegriffe und Jahreszahlen wirbeln uns um die Ohren, aber als wesentlich bleibt die Deckenausmalung eines Zimmers im Südostturm in Erinnerung. Der damalige Eigentümer des Schlosses, de Coligny, stand zumindest durch seinen Bruder den Protestanten nahe und beauftragte vor 1569 Vertreter der Primaticcio -Schule mit der Fresko-Ausmalung der Turmzimmerdecke. Sie zeigt in der weitgehend nackten Gestalt antiker Götter die Vertreter der katholischen Liga und der Hugenotten. Als doppelköpfiger Janus blickt König Heinrich II. freundlich auf die Vertreter des Katholizismus, aber finster zu den Protestanten. Auf katholischer Seite stehen Mars und Venus, letztere mit den Zügen der Katharina v. Medici, während Neptun, Herkules und Minerva als Vertreter von Vernunft und Klugheit protestantische Tugenden verkörpern. Keine Seite wird letztlich verherrlicht, vielmehr wirken sie alle ein wenig eingebildet und engstirnig. Nach soviel Historie wenden wir uns nur zu bereitwillig mit einem elsässischen ehemaligen Sommelier und Angestellten aus dem Weingut „La Cave du Connaisseur“ dem im Ort Chablis angebauten gleichnamigen Weißwein zu, dessen Lagen wir zunächst von einem exponierten Aussichtspunkt aus betrachten können. Dabei erklärt uns der Weinfachmann die geltenden Klassifizierungen und weist daraufhin, dass alle Chablis-Weine, die als trockene Weine momentan im Verbrauchertrend liegen, von der Chardonnay-Traube stammen. Leider findet die anschließende Weinprobe in der Kellerei im Stehen statt, und wir sind doch an diesem Tag schon so fleißig gewesen... Für Samstag, den 8.10.2011, ist zunächst ein Zimmerwechsel angesagt, wobei wir beim Kofferverladen unsere kleine Straße vor dem Hotel in Montbard zwangsläufig völlig absperren. Danach steuern wir das am Fluss Arraix auf den Hügeln der Morvan -Höhenzüge 6 gelegene Autun an, das wie so viele Orte Burgunds auf eine über 2000jährige Geschichte und römische Gründung zurückblickt, wie noch einige Tor-Fragmente im Stadtbild bekunden. An diesem Samstagmorgen gibt sich der Ort ein wenig unzugänglich und verschlafen, und unsere deutschstämmige Stadtführerin scheint sich im Außenbereich der Kathedrale St.Lazare bei nasskaltem Wetter die zugigsten Stellen auszusuchen. Dennoch bleibt in Erinnerung, dass der circa 1120 begonnene Kirchenbau nach der feierlichen Überführung der Lazarus-Reliquien aus Marseille im Jahre 1146 Pilgerziel wurde. Gleichwohl setzten in den nachfolgenden Jahrhunderten Gefechte mit den Engländern und die Religionskriege der Kathedrale erheblich zu. Die dreischiffige Pfeilerbasilika mit Tonnengewölbe im Langhaus und der wiederum doppelschaligen dreistufigen Wandgestaltung mit Spitzbögen zu den Seitenschiffen, Blendtriforium und je einem Obergadenfenster pro Joch besticht durch die feine Kannelierung der Dienste, die die Kenntnis antiker Bauten verrät und eine subtile LichtSchatten-Wirkung erzeugt. Seitenkapellen, der dreischiffige Hochchor und der Vierungsturm wurden in der Spätgotik hinzugefügt. Weltberühmt ist die Kathedrale jedoch wegen ihrer unter der Leitung von Meister Gislebertus geschaffenen Bauplastiken. Hierzu zählen im Langhaus gut 100 Kapitelle und 49 in der Vorhalle. In einer Fontenay ebenbürtigen Weise werden nahezu vollplastische Szenen des Alten und Neuen Testaments, der Mythologie und der Fabel dargestellt. Aber auch im Außenbereich hat Meister Gislebertus mit seiner Werkstatt gearbeitet: Die Plastiken des ehemaligen Hauptportals im Norden ließen die Kanoniker selbst bereits 1766 abschlagen, jedoch ist das Programm gleichwohl noch zu entziffern: Überwindung des Todes und Wiedergeburt zum Heil mit der Erweckung des Lazarus und dem Sündenfall mit der noch im Original im Museum zu besichtigten, fast liegenden Eva. Die erhalten gebliebenen Gewände zeigen u.a. den reichen Prasser, an dessen Tür der arme Lazarus klopft. Wunderschön erhalten ist jedoch das unter dem Dach der Vorhalle gelegene Westportal, das etwa um 1150 vollendet, 1766 mit einer Mörtelschicht vermauert und ab 1836 wieder freigelegt und restauriert wurde. Es gilt als eines der schönsten Zeugnisse romanischer Portalgestaltungen in Burgund. Über dem Trumeau mit Lazarus in der Mitte und seinen Schwestern Maria und Martha zu seinen beiden Seiten thront in der Mandorla des Tympanons ein 3 m großer Christus als Weltenrichter. Zu seiner Rechten das Paradies mit Maria, den Aposteln, Petrus als Torwächter und herannahenden Seligen. Zur Linken der Erzengel Michael mit der Seelenwaage, Teufel, Verdammte und das Höllentor. Zu Christi Füßen oberhalb des Sturzes mit dem Zug der auferstandenen Gerechten und Verdammten zieht sich ein lateinisches Schriftband mit Christus-Zitat und mahnenden Worten an die Betrachter. Unmittelbar unterhalb der Christus-Füße hinterließ der Hauptmeister mit der Inschrift “Gislebertus hoc fecit“, seinen Namen – ein Zeugnis erwachenden Selbstbewusstseins und zudem ein Unikum in der ansonsten bestehenden Anonymität mittelalterlicher Baumeister! Die Mittagspause dient zum allgemeinen Aufwärmen und weckt wieder unsere Lebensgeister, sodass wir trotz des Regens erwartungsvoll Beaune entgegenstreben. Schon auf dem dortigen Busparkplatz kann kein Zweifel bestehen, dass wir nun in einen Schwerpunkt des Tourismus gelangt sind: Überall Menschenmengen, Fotoapparate, Sicherheitsvorrichtungen und Eintrittskontrollen! Das Hauptinteresse gilt dem Hôtel-Dieu, gestiftet im Jahre 1433 von Nicolas Rolins, dem Kanzler Philipp des Guten, dem die Geschichtsschreibung einen großen Anteil an der nicht immer integren Politik des Herzogs zuschreibt. Er und seine dritte Gemahlin Guigone de Salins gründeten das Hôtel-Dieu zur Sicherung ihres Seelenheils. Der Reichtum des Stiftungsvermögens basiert auch heute noch auf circa 800 Hektar Weinbergen mit 52 Hektar der besten Lagen Burgunds. Alljährlich findet im November die Versteigerung der Hospiz-Weine internationales Interesse. 7 Das einen Rechteckhof umschließende vierflügelige Gebäude mit drei Seiten farbig glasierter und zu geometrischen Mustern gelegter Dachziegel, spitzbogigen, zweireihigen Gaubenfenstern, Türmchen und fahnengeschmückten metallenen Dachreitern gehört zu den meistfotografierten Motiven Burgunds. Zentrum der Gesamtanlage ist der große Krankensaal, der das Hôtel-Dieu zum berühmtesten mittelalterlichen Krankenhaus Europas machte. Allein diese Tatsache lässt dunkel ahnen, wie es sonst um die damalige Krankenfürsorge bestellt war. In einem riesigen, holztonnengewölbten Krankensaal stehen an den Längsseiten jeweils 24 Betten, durch rote Stoffbahnen voneinander getrennt und zur Raummitte mit roten Vorhängen abgeschirmt. Jeweils ein Nachttischchen und ein Stuhl stehen neben jedem Bett. An der mit einem gotischen Maßwerkfenster verzierten Stirnseite des Saales befindet sich eine ebenfalls durch Vorhänge abtrennbare Kapelle mit einem Altar, sodass jeder Kranke der täglichen Messe zu seiner Ermutigung und Tröstung beiwohnen konnte. Ursprünglich thronte bis zur Revolution über dem Altar der berühmte Weltgerichtsaltar, den Rogier van der Weyden um 1450 schuf. Heute verlangen konservatorische Gründe und Sicherheitserwägungen eine isolierte museale Unterbringung des Altars in einem mit Türschleusen abgetrennten und abgedunkelten Raum. Nicht nur das Zentralbild mit jeweils vier Seitenflügelbildern kann dort bewundert werden. Die Außenflügel des Altars mit Grisaille-Malereien (Hl. Sebastian und Hl. Antonius) sind ebenso zu besichtigen wie die benachbarten knienden Stifterbilder des Nicolas Rolins und der Guigone de Salins. Die Fachwelt zieht Parallelen zum Genter Altar des niederländischen Malers van Dyck. In bewundernswürdiger Farbigkeit und drastischer Detailgenauigkeit, die ein wenig an Hieronymus Bosch erinnert, werden die Gestalten des Weltgerichts dargestellt: in der Mitte thront auf einem Regenbogen vor glühenden Wolken in purpurnem Mantel Christus als Weltenrichter, umschwebt von Engeln, die seine Leidenswerkzeuge präsentieren. Zu Christi Füßen, die auf einer goldenen Weltkugel ruhen, steht der Erzengel Michael mit seiner Seelenwaage, in deren Schalen bereits nackte auferstandene Seelen liegen, während Gerechte und Verdammte der Erde entsteigen und bestimmungsgemäß Himmel oder Hölle aufsuchen. Auf den Seitenbildern bitten die Mutter Gottes und Johannes sowie Apostel, Vertreter der mittelalterlichen Stände und wohl auch Papst Eugen IV. um Gnade für die zu Richtenden. Das Altarbild sollte die Patienten zu Umkehr und Buße mahnen und den Gerechten das Paradies verheißen. Gleichzeitig empfahl es die Stifter des Hospizes dem Gebet der Patienten und stellte sie bereits auf die Seite der Seligen. Während uns beim Betrachten des Krankensaales angesichts unseres heutigen Wissens um Infektionsgefahren ein wenig schaudert, wird gleichzeitig klar, dass diese Unterbringung in den vergangenen Jahrhunderten wohl ein ausgesprochener Luxus war, zumal offenbar ausreichend Schwesternpflegepersonal zur Verfügung stand. Wie wir in weiteren Räumen besichtigen können, gab es zudem eine ausgedehnte Apotheke mit Medikamenten des damaligen Erkenntnisstandes. Im Küchen- und Hauswirtschaftsbereich bemühten sich die Schwestern um eine angemessene Ernährung der Patienten, was damals wohl nicht selbstverständlich war. Wir betrachten noch wunderschöne Bildteppiche und kostbare flämische Gobelins, fliehen dann aber vor den Touristenströmen und freuen uns, abends unser neues Hotel de Bourgogne in Mâcon, im Süden Burgunds im Département Saône-et-Loire am Fluß Saône gelegen, beziehen zu können.- Dort gibt es kuschelige Bettdecken in Bezügen! 8 Nach einem angenehmen Nachtschlaf fällt das frühe Aufstehen am nächsten Morgen daher nicht schwer. Wir wollen rechtzeitig in Taizé zur Messe sein! Dort angekommen, erinnern zunächst das dunkle hölzerne Eingangstor und die beiderseits des Weges stehenden einfachen Häuser mit überdachten offenen Aufenthaltshallen gefährlich an Massenlager. Beim Betreten der Kirche öffnet sich aber eine ganz andere Welt, und die Alltagsdinge fallen förmlich als Ballast von jedem ab. Ein Gefühl der Ruhe und Sammlung überkommt uns, zumal die dezente Meditationsmusik und die gesamte Raumgestaltung diese Stimmungslage fördern. Es hieße das Erlebnis Taizé hier zu zerreden, deshalb sollten alle Reiseteilnehmer ihre eigenen Empfindungen hier überdenken und für sich bewahren. Nur soviel sei noch gesagt: Taizé zeigt, dass Ökumene gelingen kann. Wir stellen zudem fest, dass unsere eigenen Kirchen ausgesprochen unwirtlich wirken. Tief bewegt und glücklich treten wir die Weiterfahrt nach Cluny an und besichtigen im Anschluss an die Mittagspause die Relikte von Cluny III, der einstmals, d.h. vor dem Bau des Petersdoms, größten Kirche der Christenheit! Als Benediktinerabtei Anfang des 10. Jh. gegründet, gelangte Cluny alsbald im Rahmen der cluniazensischen Bewegung zur Papstunmittelbarkeit, war also bei der Ernennung seines Abtes frei von jeder weltlichen Einflussnahme. Das gesamte Kloster unterstand unmittelbar nur dem Papst, der auch den Abt ernannte. Die Abteien Cluny I und II folgten rasch aufeinander und ließen bereits ein zunehmendes rituelles Raumbedürfnis erkennen. Ende des 11. Jh. stand der Bau von Cluny III an. Der Orden war inzwischen durch weitläufigen Grundbesitz und die Tatsache, dass mächtige Adelsfamilien ihre Söhne in die Ordensgemeinschaft entsandt hatten, zu Macht und Wohlstand gelangt. Die Liturgie entwickelte sich gleichzeitig in Cluny zu einem gigantischen Schauspiel von Gesängen, Licht und Farben, damit zu einer komplexen Dramaturgie zur Veranschaulichung des Himmlischen Jerusalem. Insgesamt hatte sich Cluny inzwischen so weit von den Prinzipien des Benedikt v. Nursia entfernt, dass es die bereits angesprochene Reformbewegung der Zisterzienser mit Rückbesinnung auf die ursprünglichen Ordensregeln ihres Gründers förmlich provozierte. Mit der Abteikirche und Klosteranlage Cluny III entstand ein bisher nicht bekanntes Gesamtkunstwerk. Die Kirche selbst war 187 m lang und fast 30 m hoch, besaß ein fünfschiffiges Langhaus mit 11 Jochen, 2 Querhäuser mit jeweils 4 Ostapsiden, 2 Vierungstürme und einen Chorumgang mit 5 Kranzkapellen. Für 300 Mönche musste die Zahl der Altäre gegenüber den Vorgängerbauten sogar verdoppelt werden. Diese Abtei überdauerte die Jahrhunderte, wobei Cluny durch zahlreiche Tochterklöster und Konvente weiterhin in Westeuropa einflussreich blieb, zumal es seit 1169 unter dem unmittelbaren Schutz des französischen Königs stand. Es wurde eine an französische Kardinäle zu vergebende Kommende, u.a. erhielten es Richelieu und Mazarin. Im Zuge der französischen Revolution erfolgte ein weitgehender Abbruch der Gebäude. Schließlich verkaufte man die noch verbliebenen Reste an einen französischen Bürger, der den lukrativen Abbruch fortsetzte. Heute sind die Grundrisse der Abtei noch im Pflaster der umgebenen Straßen zu sehen, sodass Gäste nicht nur anhand des verbliebenen südlichen Seitenquerschiffes und diverser Ausstellungsmodelle eine Ahnung von der früheren Dimension erhalten. Unter Napoleon entstand auf dem damaligen Klostergelände u.a. ein Pferdegestüt, das heute noch existiert. Neben einigen Amtsgebäuden aus dem 18 Jahrhundert ist noch der mittelalterliche Kornspeicher mit einem hölzernen Tonnendach, das ebenfalls an einen umgekehrten Schiffsrumpf erinnert, vorhanden. Er dient als Museum und enthält vor allem wunderschön gestaltete Kapitelle, deren figürliche Darstellungen Vézelay ebenbürtig sind. 9 Der Tag klingt aus mit einem Besuch in Paray-le-Monial, wo wir die Basilika Sacré-Cœur besuchen. Sie steht am Fluss Bourbince in einer Grünanlage und wurde 1875 zur “basilica minor“ erhoben. Diese romanische Kirche ist insofern von kunsthistorischem Interesse, weil sie als eine um 2/3 verkleinerte „Taschenausgabe“ von Cluny III gilt. 1092 – 1109 unter Abt Hugo von Cluny errichtet, beeindruckt sie äußerlich durch zwei geringfügig differierende Türme, die die schlichte Fassade mit offenem Narthex einrahmen und wuchtige Strebepfeiler, die Türme, Langhaus und Seitenschiffe abstützen. Außerdem besitzt die Kirche einen achteckigen Vierungsturm, ausgeprägte Querschiffe und einen den Chor umgebenden Kapellenkranz. Dezent schmückende Bänderfriese mit Würfelornamenten oberhalb der Rundbogenfenster und kannelierte Säulen setzen sich im Innenraum fort, der nach einer kürzlichen Renovierung im warmen Ockergelb strahlt und somit selbst an diesem etwas wolkenverhangenen Nachmittag die Illusion wärmender Sonnenstrahlen vermittelt. Herr Meinke weist auf eine durchgehende „3er Symbolik“ hin: 3 Schiffe, 3 Joche im Langhaus, dortige Dreierlösung mit burgundischen Spitzbögen zu den Seitenschiffen, darüber zwischen den Jochen 3 Blendarkaden und 3 Obergadenfenster, 3 Kranzkapellen im Chorumgang. Beim Spaziergang durch den Ort passieren wir die Erscheinungskapelle der 1992 heilig gesprochenen Marguerite-Marie Alacoque, bleiben aber draußen, weil wir die dort betenden Pilger nicht stören wollen. Ein 1525 für den Tuchhändler Pierre Jayet errichtetes herrschaftliches Stadthaus mit Muschelornamenten und Medaillon-Porträts der Könige von Frankreich und andererAdliger dient heute als Rathaus. Nach einem erfüllten Sonntag kehren wir nach Mâcon zurück, um von dort am nächsten Morgen früh nach Bourg-en-Bresse aufzubrechen. Damit verlassen wir für einige Kilometer Burgund und begeben uns in das Département Ain, beziehungsweise in die Landschaft der Bresse, die ihrerseits berühmt ist für ihr weißfiedriges Geflügel. Wir steuern zunächst die im Randbereich von Bourg-en-Bresse liegende ehemalige Klosterkirche von Brou an. Zugegebenermaßen hat bisher niemand von uns etwas von Brou gehört, und so stehen wir überwältigt vor dem zwischen 1513 – 1532 von dem Brüsseler Baumeister Loys van Boghem in flämischer Spätgotik errichteten Meisterwerk, an das sich neben den üblichen Klostergebäuden ungewöhnlicherweise drei Kreuzgänge anschließen. Auf Geheiß der als Generalstatthalterin der Niederlande fungierenden Margarete v. Österreich, einer Tochter des Habsburgischen Kaisers Maximilian I. und seiner Gemahlin Maria v. Burgund wurden Kloster und Kirche errichtet, nachdem ihr geliebter Gatte Philibert, Herzog v. Savoyen, 1504 verstorben war und sie somit im Alter von 24 Jahren verwitwet wurde. Ihr Bestreben, ihm, ihrer Schwiegermutter Margarete v. Bourbon und sich selbst in der Tradition der Burgundischen Herzöge (s. Dijon) Grabmäler zu errichten und 12 Mönche auf Dauer für ihr jeweiliges Seelenheil beten zu lassen, war die Triebfeder für diesen Bau. Noch vor Vollendung des gesamten Vorhabens starb Margarete im Jahre 1530 in Mechelen im Alter von 50 Jahren, ohne das königliche Kloster in Brou jemals gesehen zu haben. Wir bleiben zunächst gebannt vor dem westlichen Hauptportal stehen. Der flamboyante Formenreichtum der dortigen Figuren und steingewordenen Vegetation überwältigt und erinnert an den spanischen „plateresken“ Stil der Spätgotik/ Frührenaissance, wie er uns in der Kathedrale von Bourgos begegnete. Diese Üppigkeit brabantischer Künstler um Jean de Bruxelles setzt sich im Kircheninneren im dortigen Lettner fort, hinter dem sich der durch fünf Fenster erleuchtete Chor mit reichem Gestühl und den drei Grabmälern öffnet. Schon die nach flämischen Vorlagen gefertigten Fenster mit Philibert und Margarete als Prinzenpaar und ihren Wappen sind bemerkenswert. Unglaublich schön sind jedoch die in 10 edelsten Materialien gefertigten und von Baldachinen überdeckten Grabmäler selbst. Am Grabmal der Margarete v. Bourbon trauern im Sockel Pleurants, d.h. verschleierte, gebeugte Mönchsfiguren, die wir leider nicht in Dijon an den dort im Museum aufgestellten Kunstwerken besichtigen konnten. Die Grabmale Philiberts und Margaretes sind zweistufig: über dem Sarg auf einem Prunkbett liegen in Festkleidung jeweils Philibert bzw. Margarete, die beide die Gesichtszüge des jeweiligen Todeszeitpunkts aufweisen. Darunter im Sockelbereich liegt mit gefalteten Händen der in ein Leichentuch gewickelte dazugehörige Leichnam, hier u.a. Margarete mit aufgelöstem langen Haar, wobei das verklärte Gesicht in der Hoffnung auf die Auferstehung nach Osten gewandt ist. Sämtliche Figuren in edelsten Materialien sind auf das sorgfältigste detailgetreu ausgeführt, sodass der helle Marmor förmlich zu leben scheint. Wir sind fasziniert und können beim anschließenden Gang durch das in den Klostergebäuden gelegene Gemäldemuseum die dortige Kostbarkeiten westeuropäischer Maler aus dem 16. – 19. Jh. kaum würdigen. Bourg-en-Bresse lockt später in der Altstadt mit schönen Fachwerkhäusern, und auch das pittoreske Städtchen Pérouges nördlich von Lyon, das oftmals als Kulisse für MusketierFilme dient, bezaubert an einem plötzlich wieder sonnigen Nachmittag, als wir dort fast die einzigen Besucher sind.- Wir begrüßen die Sonne, die uns anschließend ins BeaujolaisWeinanbaugebiet nach Denicé zum Weingut “Château de Cercy“ begleitet. Dort werden wir nach einer Kellerbesichtigung mit Exkurs des jungen Winzers über den Weinanbau seiner Region in einen gottseidank mit Stühlen bestückten großen Raum geleitet und zu einer Weinprobe eingeladen, die uns wegen der Qualität der dort angebotenen Getränke und der begleitenden kleinen Häppchen wahrlich erfreut. Man sieht allenthalben lachende Gesichter, und gar mancher schleppt anschließend einen schweren Weinkarton herbei, den Herr Kliefurth bereitwillig im Kofferraum des Busses verstaut.- Auf der Heimfahrt nach Mâcon sind die meisten dann anschließend ein wenig schläfrig-ruhig... Der Heimreisetag führt uns auf bewährter Route nordwärts zunächst nach Tournus, wo auf einer Anhöhe neben der Saône die Kirche St. Philibert liegt. Hier begegnet uns in dem Anfang des 11 Jh. begonnenen Kirchenbau reine Romanik mit mächtigen Mauern und Lisenen. Die Schießscharten der Fassade und die mit Zinnen und Pechnasen geschmückten Türme wirken fast wie eine Trutzburg. Massive Rundbögen und gemauerte Pfeiler bestimmen den dreischiffigen Innenraum. Das in den letzten Tagen oftmals beobachtete statische Problem, ein Auseinanderstreben insbesondere der Langhauswände zu vermeiden bzw. die Kraft der Dachgewölbe und Seitenwände durch Strebepfeiler aufzufangen und abzulenken, hat man in Tournus dadurch gelöst, dass zwischen den Langhausjochen Quertonnen eingezogen wurden. Schwibbögen ruhen auf kurzen Säulen, die den Schub des Gewölbes jeweils auf die hohen Säulen weiterleiten. Ungewöhnlich hohe Kreuzgratgewölbe schließen die Seitenschiffe ab. Wir steigen in die oberhalb des Narthex gelegene St.-Michaels-Kapelle, die älter als das Langhaus ist. Die archaischen Skulpturen an den Kapitellen, namentlich die Inschrift „Gerlannus“ am Triumphbogen datieren vermutlich noch aus der Karolingerzeit bzw. könnten auf das Jahr 1000 zurückgehen. Wir fragen uns, weshalb die Querjochlösung von Tournus nicht beispielhaft für spätere Kirchenbauten in Burgund wurde und können allenfalls spekulieren, dass man durch Längstonnen die Hinwendung des Eintretenden zum Altar betonen wollte, so wie sie in Vézelay zum Programm wurde. Bei der anschließenden Heimfahrt geraten wir spätestens nach Passieren der luxemburgisch – deutschen Grenze wieder in die alltagsbekannte Verkehrsdichte und Fülle von 11 Autobahnbaustellen. Zudem holt uns ein von Westen kommendes Regentief ein, das uns seit dem Busfahrerwechsel in Remscheid pausenlos begleitet. Es ist schon spät, als wir in Paderborn landen, und jeder strebt mit seinem Gepäck verständlicherweise schnell den heimatlichen Gefilden zu, nimmt aber reiche Eindrücke aus der vergangenen Woche mit. Brigitte Brütting 12