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Zusammengefasst von: http://www.russlanddeutschegeschichte.de
GESCHICHTE DER RUSSLANDDEUTSCHEN
Teil I
1763 - 1820
Auswanderung der Deutschen
Inhalt:
0 Einführung "Was sind Russlanddeutsche?"
Teil I "Auswanderung der Deutschen"
1 Gründe für die Auswanderung
1.1 Wirtschaftliche Auswanderungsgründe
1.1.1 Bevölkerungswachstum
1.1.2 Anerbrecht und Realabteilung
1.1.3 Belastungen und Leistungen
1.1.4 Binnenkolonisation
1.1.4.1 Nebenerwerb
1.1.5 Verarmung
1.1.5.1 Armenhilfe
1.1.5.2 Armenhäuser
1.1.5.3 Arbeits-, Werk- und Zuchthäuser
1.2 Politische Auswanderungsgründe
1.3 Religiöse Auswanderungsgründe
1.3.1 Mennoniten
1.3.2 Werbung von Mennoniten
1.3.3 Ansiedlung von Mennoniten
1.3.3.1 Gnadenbrief
1.4 Auswanderung als Ausweg
1.4.1 Auswanderungsgebiete
Karte 1 Hessen
Karte 2 Württemberg
Karte 3 Baden
Karte 4 Rheinpfalz
1.4.2 Sammelpunkte
1.4.2.1 Dominoeffekt
2 Abwerbung
2.1 Katharina II.
2.2 Ansiedlungspolitik Katharina II.
2.2.1 Peuplierungspolitik
2.2.2 Manifest vom 14. Oktober 1762
2.2.3 Manifest vom 22. Juli 1763 (Katharina II.)
2.2.3.1 Wortlaut des Manifestes
2.2.4 Lomonossow
2.3 Privilegien der Siedler
2.3.1 Freijahre
2.3.2 Militärdienst
2.3.3 Tutelkanzlei
2.3.3.1 Mir-System
2.3.4 Verbreitung des Manifestes in Deutschland
2.3.4.1 Verhältnisse im Siedlungsgebiet
2.3.4.1.1 Christian Gottlob Züge
2.3.4.2 Werber
2.3.4.2.1 Baron Ferdinand de Canneau de Beauregard
2.3.4.2.2 Direktoren
2.4 Leibeigene
2.5 Auswanderungsverbote
2.5.1 Auswanderungsverbot des Bischofs von Trier vom 28. April 1763
2.5.2 Weitere Auswanderungsverbote
2.6 Staatsbauern
3 Bedingungen für die Einwanderung
3.1 Zielgebiete
3.2 Kolonistengesetz
3.2.1 Vertragsformular
3.3 Manifest vom 20. Februar 1804
3.3.1 Preußische Kriterien
3.3.1.1 Einwanderungszahlen
3.4 Treueid
4 Ankunft im Siedlungsgebiet
4.1 Reisewege nach Russland
4.1.1 Von Lübeck nach Oranienbaum
4.1.1.1 Bernhard Ludwig Platen
4.1.1.1.1 Poem-Platen
4.1.2 Von Oranienbaum an die Wolga
4.1.3 Von Ulm nach Odessa
4.1.3.1 Die Ulmer Schachtel
4.2 Erste Eindrücke
4.3 Charakterisierung der Kolonisten
4.3.1 Reisebericht von J.P.B. Weber
4.4 Siedlungsgebiete (Übersicht)
5 Anfang und Aufbau
5.1 Boden und Klima
5.1.1 Berg- und Wiesenseite
5.2 Konflikte mit den Einheimischen
5.3 Selbstverwaltung
5.4 Fortschritte
5.4.1 Liste der Wolgakolonien
5.4.1.1 Tochterkolonien
5.5 Bericht Peter Simon Pallas
5.5.1 Peter Simon Pallas
5.5.2 Lebenserwartung
5.5.3 Katharinenstadt
Zeittafel - bis 1820
Gründe für die Auswanderung
Warum wanderten so viele Menschen aus?
Als wichtigste Auswanderungsgründe sind zu nennen:
 Wirtschaftliche Auswanderungsgründe
Das Bevölkerungswachstum, die damit einher gehende Verknappung des
Bodens und die von der ländlichen Bevölkerung zu erbringenden
Belastungen und Leistungen sowie Stagnationserscheinungen im
Handwerk führten zur Verelendung und Verarmung breiter
Bevölkerungsschichten.
 Politische Auswanderungsgründe
Der Siebenjährige Krieg von 1756 bis 1763 mit all seinen negativen
Begleiterscheinungen (Zwangsrekrutierungen, Kriegssteuern), die
Besetzung der rheinischen Gebiete durch Frankreich am Ende des 18. und
Anfang des 19. Jahrhunderts und die erzwungene Teilnahme an
napoleonischen Feldzügen ließen die Zahl der Auswanderer ansteigen.
 Religiöse Auswanderungsgründe
Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Glaubensrichtung war oft mit
vielen Sanktionen und Verfolgungen sowie wirtschaftlichen
Beschränkungen verbunden. Dies bewog vor allem viele Mennoniten zur
Auswanderung.
Für einen Teil der Bevölkerung blieb daher nur noch die Auswanderung als
Ausweg
Teil 1
1.1
Wirtschaftliche Auswanderungsgründe
Das anhaltende Bevölkerungswachstum in Deutschland während des gesamten
18. Jahrhunderts ließ die Einwohnerzahl auf ca. 22 Millionen ansteigen. Dieses
Wachstum setzte sich auch im 19. Jahrhundert fort.
Das Bevölkerungswachstum führte zu einer Verknappung des landwirtschaftlich
nutzbaren Bodens. Anerbrecht und Realerbteilung erzeugten einen
Abwanderungs- bzw. Auswanderungsdruck. Die Zahl der Menschen, die sich
ausschließlich von den Erträgen ihres eigenen Hofes ernähren konnten, nahm
stetig ab. Die der Landarmen und Landlosen stieg dagegen stark an. Sie waren zur
Existenzsicherung auf einen Nebenerwerb angewiesen.
Die Belastungen und Leistungen, die bäuerliche Höfe zu tragen und
aufzubringen hatten, sicherten oft nur den einfachsten Lebensunterhalt. Bei
außergewöhnlichen Belastungen drohte die Verschuldung oder der Verlust des
Hofes.
Der Versuch, durch die Binnenkolonisation zusätzliche Bauernstellen zu
schaffen, stieß wegen der schlechten Bodenqualität schnell an seine Grenzen.
Das städtische und ländliche Handwerk bot nur noch in geringem Maße die
Möglichkeit zur Sicherung des Lebensunterhaltes.
In ihrer Gesamtheit führten die genannten Faktoren zu einer massenhaften
Verelendung und Verarmung der Bevölkerung, die als Pauperismus bezeichnet
wird.
Teil 1
1.1.1
Bevölkerungswachstum
Das Bevölkerungswachstum unterlag in der Geschichte starken Schwankungen.
Perioden, die von einer starken Zunahme der Bevölkerung geprägt waren,
wurden immer wieder von Zeiten der Stagnation oder sogar eines dramatischen
Rückganges unterbrochen.
Nach einer längeren Phase des durch Seuchen und Kriege bedingten Rückgangs
der Bevölkerung zeichnete sich seit der Mitte des 18. Jahrhunderts in
Deutschland eine neue Phase des Bevölkerungswachstums ab, die bis zur Mitte
des 19. Jahrhunderts in einzelnen Regionen zu einer Überbevölkerungskrise und
somit zur Verarmung (Pauperismus) führte. Ein Ausweg aus dieser Situation war
für viele die Auswanderung nach Nordamerika oder in Siedlungsgebiete in
Südost- und Osteuropa. Zeitweise wurde die Auswanderung zu einer
Massenerscheinung. Allein zwischen 1846 und 1855 wanderten etwa 1 Millionen
Deutsche nach Nordamerika aus.
Eine langfristige und dauerhafte Abwendung der drohenden Verelendung
breitester Bevölkerungsschichten konnte erst durch die sich in Deutschland um
1840 durchsetzende Industrialisierung erreicht werden..
Teil 1
1.1.2
Anerbrecht und Realerbteilung
Beim Anerbrecht, das in den norddeutschen Gebieten dominierte, erhielt nur ein
Erbe den gesamten Hof. Alle anderen Erben wurden abgefunden. Ihnen boten
sich als Alternativen:

Eine Arbeit als Knecht oder Magd und damit ein Absinken in die Schicht der
landlosen dörflichen Bevölkerung,

der Erwerb eines eigenen Hofes durch Kauf, durch Einheirat oder durch die
Abwanderung in ein Siedlungsgebiet (wobei der Binnenkolonisation durch
die Bodenqualität Grenzen gesetzt waren),

im städtischen oder ländlichen Handwerk eine Erwerbstätigkeit zu finden.
Bei der Realerbteilung erhielt jedes Kind einen gleich großen Landanteil. Die
daraus resultierende Zersplitterung des Bodens führte zu immer kleineren
bäuerlichen Wirtschaften, deren Größe ab einem bestimmten Punkt nicht mehr
ausreichte, um eine Familie von den Erträgen zu ernähren. Diese Situation trat
am Ende des 18. Jahrhundert ein. Etwa zwei Drittel der ländlichen Bevölkerung
konnte sich nicht mehr von dem ihnen zur Verfügung stehenden Land
ausreichend ernähren. Auch die Möglichkeiten, durch andere Einnahmequellen
das Existenzminimum abzusichern, waren begrenzt. Als Fazit blieb ein Leben in
permanenter Armut..
Teil 1
1.1.3
Belastungen und Leistungen

Die Belastungen eines Hofes, die sich aus Abgaben und Leistungen für den
Staat und den Grundherren zusammensetzten, überstiegen oft die Einkünfte.
Der Erlös, der aus dem Verkauf pflanzlicher Produkte erzielt wurde, stellte die
bedeutendste Einnahmequelle dar. Um alle Abgabenforderungen erfüllen zu
können, musste auch ein Teil der Erlöse aus der Tierzucht dafür verwendet
werden. Das bäuerliche Gesamteinkommen wurde also auch von dieser Seite
her geschmälert.

Je kleiner ein bäuerlicher Hof war, um so höher war die proportionale
Belastung durch Abgaben und Leistungen. Kleinere Bauernhöfe waren im
Vergleich zu größeren stärker belastet.

"Es ist also der Ertrag dieses geringen und daneben sehr onerierten
Meierhofes kaum dazu hinreichlich, daß ein zeitiger Colons (Bauer)
für sich und seine Familie mit möglichster Einschränkung nur
diejenige Bedürfnisse davon genießt, ohne welche sein Dasein zum
Zweck der Dienstleistung und gutsherrlichen Prästation nicht
bestehen kann."
Dieses Fazit findet sich in einem Ertragsanschlag vom 4.Januar 1794 für
einen mittelmäßigen Meierhof in Jetenburg im Amt Bückeburg, nachdem vom
Berichterstatter alle möglichen Einnahmequellen aufgelistet und deren
Erträge zusammengezählt worden waren. Nach Abzug aller Abgaben und
Leistungen (Natural- und Geldabgaben wie Zinshühner, allgemeine Steuern,
Hofzins, Kontributionen, Kriegssteuern, Mahlgeld, Brandsteuer, Wächtergeld)
wie auch der Aufwendungen für einen Knecht und eine Magd sowie der für
die Aufrechterhaltung des Betriebes und für die eigene Lebenshaltung
blieben dem Bauern keinerlei Reserven für außergewöhnliche Belastungen,
zu denen in diesem Fall auch die Verpflichtungen zu zählen sind, "die ein
zeitiger Colonus obschon nur nach dem Maß der Policey -Ordnung
seinen Kindern beim Heiratsfalle leisten muß..."

Bei derartigen oder anderen zusätzlichen Belastungen drohte dem Hof die
Verschuldung und damit über kurz oder lang dessen Verlust durch eine
Zwangsversteigerung. Dass derartige Zwangsversteigerungen keine
Einzelfälle waren, zeigen Bemühungen der hessischen Regierung, durch
geeignete Maßnahmen (Gewährung zinsfreier Darlehen und ratenweise
Zurückzahlung) eine solche Entwicklung zu verhindern und so weitere
Bauern vom Auswandern abzuhalten.

Dem Bauern Johann Peter von der Haid aus Schwickartshausen konnten
diese Maßnahmen anscheinend in seiner Situation nicht mehr helfen. In einer
Eingabe an den Landgrafen von Hessen schreibt er:
"So wahr wir uns beeifern, die herrschaftlichen Gelder richtig
abzutragen, und uns von anderen Schulden zu entledigen, so wenig
sind wir imstande gewesen, diesen Vorsatz zu erfüllen, sonder wir
sind und kommen von Tag zu Tag tiefer hinein, so daß wir dermalen
kein Mittel mehr vor uns sehen, uns ferner zu ernähren, als wenn wir
mit nach den russischen Reichen ziehen."
Teil 1
1.1.4
Binnenkolonisation
Die Binnenkolonisation hatte das Ziel, Menschen im eigenen Herrschaftsbereich
auf bisher nicht genutztem Boden anzusiedeln.
Folgendes Beispiel zeigt den Versuch, minderwertiges Land für eine
landwirtschaftliche Nutzung zu erschließen:
Im Sommer 1788 verloste die münsterische Regierung unter Fürstbischof
Maximilian Franz insgesamt 441 Siedlerstellen in 14 Kolonien im Bourtanger
Moor.
Diese Landschaft war menschenleer, unwegsame Moorflächen beherrschten sie.
Sie bildeten natürliche Grenzlinien zu den benachbarten Territorien. Insgesamt
waren zur Zeit der Kolonisation ca. 40% des nördlichen Emslandes von Mooren
bedeckt, die nicht oder kaum bewirtschaftet wurden.
Trotz der dünnen Besiedlung - gegen Ende des 18. Jahrhunderts lebten im
gesamten Emsland ca. 50.000 Menschen - stellte sich das nördliche Emsland zu
dieser Zeit, gemessen an seinen landwirtschaftlichen Ressourcen und der
Einwohnerzahl, bereits als eine überbevölkerte Landschaft dar.
Die 1788 begonnene Kolonisation der Moorgebiete verfolgte zwei Ziele:
I. Die Schaffung zusätzlicher Siedlerstellen und Anbauflächen sollte die
Lebenssituation bäuerlicher, vor allem aber unterbäuerlicher Schichten
verbessern. Dies entsprach den merkantilistischen Interessen des
Bischofs.
II. Die Kolonisation war zugleich eine grenzstabilisierende Maßnahme
gegenüber den Gebietsansprüchen des benachbarten Hollands.
Die staatlichen Aktivitäten bei der Kolonisation beschränkten sich allerdings nur
auf die Bereitstellung der Siedlerstellen und eine zehnjährige Steuerbefreiung.
Trotz der zu erwartenden enormen Schwierigkeiten bei der Erschließung und
Urbarmachung des Moorlandes war die Resonanz auf das Kolonisationvorhaben
des Fürstbischofs vor allem bei der besitzlosen Landbevölkerung groß. Die
Kolonisten mussten aber bald feststellen, dass die Erträge ihrer Höfe nicht zur
Existenzsicherung ausreichten. Sie waren auf einen Nebenerwerb angewiesen.
Heinrich Blanke, ein Bauer aus dem Emsland, berichtet:
"So kamen die Siedler mit wenigen Ausnahmen aus ferneren Gegenden
des Vaterlandes, und man sagt, sie seien aus sieben verschiedene n
Gegenden gekommen: aus dem Münsterland, Alt -Hannover, Hildesheim,
Paderborn und sogar aus Holland und Brabant. Familie um Familie
kamen angezogen, und es schien den alten Bewohnern des Emslandes,
als ob eine Völkerwanderung eingesetzt habe. Doch viele ka men nur bis
an den Rand des Moores. Aus Not und kümmerlichem Leben waren sie
in der frohen Hoffnung weggegangen, bald einen großen Acker und
wohlbestallten Hof ihr eigen nennen zu können. Beim Anblick des
Moores verließ sie aber der Mut, und enttäuscht keh rten sie um. Und
nur die Familien, die zu jedem Opfer und jeder entsagungsvollen Arbeit
entschlossen waren, blieben. [...] Nur mit wenig Hab und Gut - und
einer großen Schar Kinder - im buchstäblichen Sinne des Wortes arm,
begannen die ersten Kolonisten ihr neues Leben. Da gings hart her. Da
war keine Sippe und keine Gemeinschaft. Jeder sprach einen anderen
Dialekt.".
Teil 1
1.1.5
Verarmung
Armut im Sinne von Besitzlosigkeit und Bedürftigkeit ist ein Phänomen, das aus
allen historischen Epochen bekannt ist.

Armut als Massenerscheinung, die Verarmung und Verelendung breiter
Bevölkerungsschichten trat seit dem Ende des Mittelalters immer stärker in
Erscheinung. Das Armenproblem wurde fortwährend drückender und die
Einrichtungen, die für dessen Milderung geschaffen wurden, gelangten schon
während des ausgehenden 16. Jahrhunderts an ihre Grenzen. Dies traf auch
für die so genannte "offene Armenfürsorge" (Arme erhielten eine
wöchentliche Unterstützung in Form von Geld oder Naturalien) zu, so dass
Armen an bestimmten Tagen offiziell das Betteln zur Existenzsicherung
erlaubt werden musste.

Die steigende Zahl der Armen machte sich auch in einer veränderten Haltung
der Gesellschaft gegenüber diesen Menschen bemerkbar. Es kam zu einer
immer schärferen Verfolgung und Vertreibung "fremder Armer" und
arbeitsunwilliger Personen.

Unterstützung sollten nur noch die offiziell als arm anerkannten Personen, die
"eingeschriebenen Armen", und die so genannten "verschämten Armen" oder
"Hausarmen" erhalten. Den "eingeschriebenen Armen" war es übrigens nicht
erlaubt, ein Wirtshaus zu betreten. Um die Einhaltung dieses Verbotes
überprüfen zu können, mussten die Betreffenden ein Zeichen an ihrer
Kleidung tragen.

Die massenhafte Verarmung und Verelendung seit Mitte des 18. Jahrhunderts
wird als Pauperismus bezeichnet.
Die Zahl der umherziehenden Bettler, Vaganten (umherziehende Spielmänner),
Kriegsinvaliden und Alten wuchs sehr stark an. Immer mehr Menschen waren auf
staatlich, kommunal, kirchlich oder privat organisierte Armenhilfe angewiesen.
Im gleichen Maße nahm auch deren Verfolgung zu, wuchs die Zahl der
Armenhäuser und Arbeits-, Werk- und Zuchthäuser, in denen sie untergebracht
wurden.
Dem Bevölkerungswachstum stand eine unzureichende Anzahl von wenigstens
das Existenzminimum garantierenden Arbeits- und Erwerbsmöglichkeiten
gegenüber, denn:

Zusätzliche Bauernhöfe waren kaum noch zu schaffen, da der Boden zu
knapp war.

Die Zahl der Kleinbauern wuchs, die sich nicht mehr allein von ihrer
landwirtschaftlichen Arbeit ernähren konnten. Am Ende des 18. Jahrhunderts
waren davon ca. zwei Drittel der ländlichen Bevölkerung betroffen.

Zur Existenzsicherung waren zusätzliche handwerkliche Tätigkeiten als
Nebenerwerbsmöglichkeit erforderlich. Sie fanden aber nicht die
entsprechende Nachfrage nach ihren Gütern und Leistungen.

Durch das sich ausdehnende ländliche und städtische Exportgewerbe
konnten zwar Arbeitsplätze geschaffen werden, aber ihre Zahl reichte nicht,
um mit dem Bevölkerungswachstum Schritt zu halten.
Die Situation der unteren Bevölkerungsschichten verschärfte sich noch durch
steigende Nahrungsmittelpreise, die somit zu steigenden Lebenshaltungskosten
führten.
Für verarmte oder von Verarmung bedrohte Menschen bot sich die
Auswanderung als Ausweg an. In dieser Situation fiel das Angebot der
russischen Zarin Katharina II. noch unerschlossenes Land in Russland
ausländischen Siedlern zur Verfügung zu stellen, auf fruchtbaren Boden.
Neben Nordamerika wurde Osteuropa ein bevorzugtes Auswanderungsziel. Nach
Russland zogen im 18. Jahrhundert fast 100.000 Menschen.
Teil 1
1.1.5.1
Armenhilfe
Nach dem 30jährigen Krieg zwangen die enormen Zerstörungen und die damit
einhergehende Verarmung breiter Bevölkerungsschichten zu einer
Neugestaltung der Armenhilfe. Die bisher auf kommunaler Ebene organisierte
Hilfe und deren Verwaltung wurden mehr und mehr vom Staat übernommen. Das
rigorose Vorgehen gegen Bettler, Gaukler, Spielleute, Zigeuner und Vagabunden
wurde zu einer zentralen Aufgabe.
Die Strafen, die diesen Menschen angedroht wurden, waren vielfältig. Wer nach
einer Ausweisung noch einmal in den Landes- oder Stadtgrenzen aufgegriffen
wurde, dem drohte eine öffentliche Auspeitschung und im Wiederholungsfall die
Brandmarkung, die Zwangsrekrutierung zum Militär, ja sogar die Todesstrafe.
Auch wurde die Beherbergung dieser Menschen bei Strafe untersagt.
Im 18. Jahrhundert kam es dann zu regelrechten Treibjagden auf das "fahrende
Volk". An den Landesgrenzen bzw. den Grenzen der Gemeinden und Kommunen
tauchten so genannte "Zigeunerstöcke" auf. Das waren Schilder mit der
Aufschrift "Gauner und Zigeuner Straff". Um auch Analphabeten ihre Aussage
unmissverständlich zu verdeutlichen, waren sie noch mit einem Bild versehen,
das einen gestäupten (stäupen = Prügelstrafe) Zigeuner und einen Galgen zeigte.
Strafandrohungen bzw. deren Vollzug waren jedoch kein Konzept, um die Armut
wirksam zu bekämpfen. Die Einrichtung geschlossener Anstalten, die als
Armenhäuser, Arbeits- oder Zuchthäuser bezeichnet wurden, war der nächste
Schritt.
Mit der Einrichtung derartiger Anstalten wurden mehrere Ziele verfolgt:

Schaffung einer stationären Armen- und Altenfürsorge in Hospitälern, Irrenund Waisenhäusern.

Erziehung zur Arbeit, die Sozialdisziplinierung von Menschen, die durch ein
abweichendes Verhalten auffielen.

Durch die abschreckende Wirkung der Arbeits- und Zuchthäuser
(Überwachung und Arbeitszwang) sollte eine deutliche Verringerung der
Zahl der "mutwilligen" Armen erreicht werden.

Die Nutzung der Arbeitskraft aller Untertanen durch den Staat.
Von der praktischen Umsetzung war nur ein geringer Teil der Bevölkerung
betroffen..
Teil 1
1.1.5.2
Armenhäuser
Für einen großen Teil der Bevölkerung ist für die zweite Hälfte des 18.
Jahrhunderts zu konstatieren, dass sich die Versorgung mit Lebensmitteln,
Kleidung und Wohnung auf einem sehr niedrigen, zum Teil auf einem
existenzbedrohenden Niveau befand.
Als Beispiel für eine solche Versorgung mit Nahrungsmitteln sind die
Verpflegungssätze für die Insassen des Hamburger Armenhauses zu nennen:
Morgens - 1/4 Maaß (= 0,29 Liter, 1 Maaß = 1,14 Liter) dünne Suppe + 1/2 Pfund
Brot
Mittags - Gerichte, zu deren Zubereitung man ausschließlich einheimische
Gewürze verwendete und ausschließlich auf einheimisches Gemüse zurückgriff.
Es wurde kein Fett, sondern Milch bzw. Buttermilch verwendet.
Die wöchentliche Speisefolge war stereotyp. Die Abfolge der Gerichte war immer
die gleiche. Auf Graupen folgten Möhren, Kohl, Rüben, Erbsen, Linsen,
Kartoffeln, zusätzlich gab es 1/2 Pfund Brot.
Das Abendessen bestand aus einem 3/4 Pfund Brot, Suppe und Käse. Man zog
noch in Erwägung, aus den Resten der anderen Mahlzeiten eine Suppe
zuzubereiten und so den Käse einzusparen.
Zu jeder Mahlzeit gab es 1/2 Liter Bier. Fleisch gab es nur zu besonderen
Festtagen (Weihnachten) und auch dann nur in geringen Mengen. Insgesamt
standen damit den Insassen täglich etwa 2500 kcal zur Verfügung. Angehörige
der Unterschichten dürften sich in gleicher oder ähnlicher Weise ernährt haben.
Die Wohnverhältnisse waren primitiv. Die in Museen ausgestellten Gebäude und
deren Einrichtung, aber auch die Bekleidung standen nur einem kleinen Teil der
Bevölkerung zur Verfügung. Jedes Kleidungsstück, jeder Gebrauchsgegenstand
und jedes Möbelstück waren es wert, einzeln in Testamenten aufgeführt zu
werden..
Teil 1
1.1.5.3
Arbeits-, Werk- und Zuchthäuser
Aus dem 17. und 18. Jahrhundert kennen wir die Unterbringung und
Beschäftigung von Armen in speziellen Einrichtungen, die man als Armen-,
Arbeits-, Werk- oder Zuchthäuser bezeichnete.
Derartige Anstalten dienten mehreren Zielen:
Das landesherrliche Interesse an der Nutzung möglichst aller Arbeitskräfte führte
frühzeitig zu dem Gedanken der Arbeitserziehung. Die zeitgenössische Ansicht,
allein Arbeit mache den Menschen glücklich, sie sei die beste Form der
Fürsorge, führte zur Verbindung des Strafvollzuges mit Zwangsarbeit.
Eine zeitgenössische Definition für ein Werk- oder Zuchthaus lautet:
Eine solche Einrichtung "ist ein Haus oder Gebäude, so von der Obrigkeit
unterhalten wird, daß darin trotzige und ungehorsame Kinder,
erwachsene unbändige, in dem Müßiggang und Boßheit verwilderte
Leute, sammt denen durch rechtlichen Anspruch zur Arbeit
verwiesenen Missethätern, unter der Aufsicht eines Zuchtmeisters und
anderer hierzu bestellter Leute bezwungen, gebessert und streng
gehalten werden."
Als potentielle Insassen dieser Anstalten wurden "Faulenzer und
Müßiggänger, die nicht arbeiten wollen, da sie doch wohl könnten,
sondern nur daheim müßig sitzen, die Hände in schoß legen, auf
anderer Leute Brod=Schränke sich verlassende, indem sie ihnen die
Kinder häuffig vor die Thüren schicken, und die Bettel=Stück sich
zutragen lassen ... oder wenn das Betteln nicht zureichen will, sie sich
auf das Stehlen in Felde, Gärten und Häusern begeben" betrachtet.
Das 1732 in Bamberg eröffnete Zuchthaus hatte neben der Züchtigung
"ungetreuer, trotziger Dienstboten" ausdrücklich den Zweck, erzieherisch auf
vernachlässigte Jugendliche einzuwirken und "faule Bettler" zu beschäftigen.
Hier tritt der Aspekt der "Sozialdisziplinierung" deutlich hervor.
Neuankömmlinge wurden im Bamberger Zuchthaus übrigens mit zwölf
Stockhieben empfangen, sozusagen als Einstimmung auf das Regime, dem sie
von nun an unterworfen waren.
Die männlichen Insassen wurden unter anderem zum Glasreinigen, Holzspalten
und Anfertigen von Weidenkörben eingesetzt. Wem es gelang, mehr als sechs
Weidenkörbe in der Woche zu flechten, der erhielt für jeden zusätzlichen Korb 13
Pfennige. Weitere 13 Pfennige wurden gespart. Dieses Geld erhielt derjenige
dann bei seiner Entlassung, bei der nochmals 12 Stockhiebe zu ertragen waren.
Die angestrebte sozialdisziplinierende Wirkung der Werk- oder Zuchthäuser
resultierte vor allem aus ihrem abschreckenden Ruf, der auf der Behandlung der
Insassen, ihrer Unterbringung und Verpflegung sowie den Arbeitsbedingungen
in den Anstalten beruhte.
Teil 1
1.2
Politische Auswanderungsgründe
Die Gebiete, aus denen die meisten Auswanderer kamen, litten seit dem
Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts
immer wieder unter zahlreichen militärischen Auseinandersetzungen. Die
Herkunft der Auswanderer aus diesen Gebieten war deshalb besonders groß.
Aus den zahllosen Kriegen ergaben sich negative Folgen wie Plünderungen,
Zwangsrekrutierungen (Soldatenwerbung unter Zwang), Requirierungen (für
Heereszwecke beschlagnahmen) und Kontributionen (vom Sieger erhobene
Geldzahlung beim Besiegten).
Die Rekrutierungen zum Militärdienst wurden mit großer Härte durchgeführt, was
viele junge Männer veranlasste, sich ihnen durch Flucht oder Abwanderung zu
entziehen.
Der Siebenjährige Krieg verursachte nicht nur hohe Kriegssteuern, sondern löste
auch eine Nachkriegsdepression aus, die ihrerseits eine immense
Preissteigerungswelle nach sich zog.
Kriegsbedingte Ernteausfälle und Missernten ließen vor allem die
Lebensmittelpreise sprunghaft ansteigen, was die untersten Schichten am
härtesten traf. Der Anstieg der Getreidepreise führte am Ende des 18. und zum
Beginn des 19. Jahrhunderts zu regelrechten Hungerkrisen.
Steigende Lebensmittelpreise bewirkten eine sinkende Nachfrage nach
Dienstleistungen und gewerblichen Produkten, so dass die
Einkommensentwicklung im Handwerk negativ verlief.
Neben den Besatzungs- und Kriegskosten wurde die Bevölkerung durch
Abgaben für die prunkvolle Hofhaltung der Landesherren belastet.
Teil 1
1.3
Religiöse Auswanderungsgründe
Religiöse Motive waren es, die außer Pietisten (ev. Glaubensrichtung) vor allem
Mennoniten veranlassten, als Kolonisten nach Russland zu ziehen.
Ihrem Glauben gemäß lehnen die Mennoniten nicht nur jede Eidesleistung oder die
Übernahme von Staatsämtern ab, sondern auch jeden Kriegs- oder Militärdienst.
Vor allem ihre Einstellung zum Kriegs- oder Militärdienst ließ sie immer wieder in
Konflikt mit der Staatsgewalt kommen.
Die Aufhebung des 1780 von Friedrich II. verfügten Gnadenprivilegs für die in
Preußen lebenden Mennoniten durch Friedrich Wilhelm II. im Jahr 1787 hatte
weitreichende Konsequenzen.
War es den Mennoniten zunächst nur verboten in größerem Umfang Land zu
kaufen, so wurde ihnen ab 1789 jeder Landerwerb unmöglich gemacht, da er
nunmehr an die Wahrnehmung der Wehrpflicht gebunden war. Auf diese Weise
konnten sie ihren Kindern auch kein wirtschaftliches Auskommen für die Zukunft
sichern.
Vor diesem Hintergrund fanden die Bemühungen des im Auftrag der Zarin
Katharina II. handelnden Werbers Trappe um die Werbung von Mennoniten und die
Ansiedlung von Mennoniten in Südrussland ein positives Echo.
Teil 1
1.3.1
Mennoniten
Bei Mennoniten handelt es sich um Vertreter einer Glaubensrichtung, die sich
vor allem auf die Aussagen des Neuen Testamentes berufen.
Die Anhänger der nach ihrem Gründer Menno Simons benannten
Glaubensrichtung lehnen eine Kindertaufe, wie sie in der lutherischen und
katholischen Kirche praktiziert wird, ab. Sie plädieren für eine
Erwachsenentaufe.
In konsequenter Auslegung der Bergpredigt von Jesu Christi lehnen die
Mennoniten jeden Kriegs- oder Militärdienst ebenso wie den Staatsdienst und die
Eidesleistung ab. All dies waren Gründe, die zu ihrer Verfolgung führten.
Bereits im 16. Jahrhundert entzogen sich Mennoniten religiösen Verfolgungen,
indem sie aus Süddeutschland und Flandern in das Mündungsgebiet der
Weichsel auswichen, wo sie durch Trockenlegung von Sümpfen Land
erschlossen.
1780 erhielten sie von Friedrich II. ein Gnadenprivileg, das sie vom Militärdienst
befreite. Außerdem wurde ihnen Schutz bei der Ausübung ihres Gewerbes - sie
waren vor allem in der Textilherstellung und -verarbeitung tätig - zugesagt. Land
durften sie aber nur mit Genehmigung des Königs erwerben.
Der nachfolgende König Friedrich Wilhelm II. lehnte die Bestätigung des
Gnadenprivilegs ab, im Gegenteil, er verschärfte das Verbot des Landerwerbs..
Teil 1
1.3.2
Werbung von Mennoniten
Der von der russischen Zarin Katharina II. mit der Anwerbung mennonitischer
Siedler beauftragte Georg von Trappe rief mit dem unten stehenden Flugblatt die
in und um Danzig lebenden Mennoniten auf, in die für sie bereitgestellten
Siedlungsgebiete Südrusslands zu ziehen.
Die Werbung hatte Erfolg. In einer ersten Welle zogen 1788 über 200 Familien
nach Russland, um sich auf der Dnjepr-Insel Chortiza anzusiedeln.
Jedoch bestand in Preußen schon ein Verbot zur Auswanderung preußischer
Untertanen. Um Verwicklungen aus dem Weg zu gehen, verkauften die
preußischen Mennoniten ihre Habe und mieteten sich anschließend auf Danziger
Gebiet ein. Von den dortigen Gemeinden erhielten sie eine
Aufenthaltsbescheinigung. Damit wurde das Verbot umgangen.
»Denen wertgeschätzten und wohlachtbaren Mitgliedern derer beyden
Mennonisten-Gemeinden in Dantzig, vornemlich allen, denen daran
gelegen seyn kann, und welche die Vollmacht für die Rußland gesandt
gewesene Abgeordnete unterzeichnet haben, wird hierdurch bekannt
gemacht, daß eben diese Abgeordnete, nachdem sie laut ihrer
Instruction sehr fruchtbare Ländereyen am Dniepr-Strom ausgewählet
haben, gesund und glücklich zurückgekommen sind, und am 13. May
dieses Jahres neuen Styls, das ist, am 2. May alten Styls, die hohe
Gnade genossen haben, durch S. Durchlaucht den Herrn Reichs Fürsten von Potemkin-Tavrischeskoi in der Stadt Krementschuk Ihre
Kayserrl. Majestät in Gegenwart des Kabinets -Ministers, Herrn
Reichsgrafen v. Bresborodko Erlaucht, des Römisch -Kaiserl.
Ambassadeurs, derer Gesandten von England und Frankreich, und noch
vieler anderen hohen Standespersonen, vorgestellet zu werden, und
aus der allerhuldreichsten Russischen Monarchin eigenem Munde die
Versicherung des allerhöchsten Kaiserl. Schutzes und Gnade für sich
und alle Mennonisten-Familien von Dantzig die nach Rußland ziehen
wollen, auf die allergnädigste und leutseligste Weise zu erhalten.
Weil nun auch Ihre Kaiserl. Majestät allen Mennonisten, die von dem
Dantziger Gebiet Lust und Belieben finden möchten, nach Rußland zu
ziehen, ausser 65 Dessjetinen, die ohngefehr 4 Hufen ausmachen, der
schönsten Ländereyen für jede Familie, solche herrliche
Gnadenwohltaten, Geldvorschüsse und Vorrechte allergnädigst zu
bewilligen geruhet haben, dergleichen während Allerhöchst Dero 25 jährigen ruhmvollen und ewigdenkwürdigen Regierung noch keinen
Ausländern verliehen worden; als werden alle Mennonisten vom
Danziger Gebiet, denen es noch gefällig seyn möchte, von dieser
grossen kaiserlichen Huld und Gnade für sich und ihre Familien und
Nachkommen Gebrauch zu machen, hierdurch eingeladen, sich am
bevorstehenden 19. Januarii des von Gott zu erwartenden 1788sten
Jahres Vormittags um 9 Uhr allhier in Danzig im Ruß. Kays.
Gesandschafts-Palais auf Langgarten, persönlich einzufinden, damit
ihnen die Privilegia und allerhöchste Kayserliche Kabinets
Resolutiones in originalibus vorgeleget werden, und sie sich nach
ihrem Gutdünken, und so wie es freyen Leuten, deren Vorfahren aus
Holland hierher gekommen sind, und die nun bey ihrem Abzuge
praestanda praestieren werden, nicht gewehret werden darf, erklären
können.
Danzig, den 29. Decemb. 1787«
Teil 1
1.3.3
Ansiedlung von Mennoniten
Als Beauftragter der russischen Zarin Katharina II. trat Georg von Trappe 1786
vor Mennoniten in Danzig auf. Es gelang ihm, diese für eine Ansiedlung in
Russland zu gewinnen.
Zunächst aber reiste eine Delegation der Gemeinde in das vorgesehene
Siedlungsgebiet, um sich vor Ort einen Eindruck von den Verhältnissen zu
machen und die konkreten Siedlungsbedingungen auszuhandeln.
Nach Abschluss der Verhandlungen mit dem Beauftragten der Zarin, Fürst
Potjomkin, wurden im September 1787 folgende Punkte durch Katharina II.
bestätigt:
Den Mennoniten wurde Religionsfreiheit zugesagt.
Jede Kolonistenfamilie erhielt 65 Desjatinen Land zugeteilt .
Die russische Regierung verpflichtete sich, Holz für den Hausbau sowie
Baumaterial für die Errichtung von zwei Mühlen zur Verfügung zu stellen.
Für den Kauf landwirtschaftlicher Geräte und Saatgut erhielt jede Familie ein
Darlehen von 500 Rubeln, das nach 10 Jahren in drei Raten zurückzuzahlen war.
Für die Zeit bis zur ersten Ernte wurde eine Unterstützung von 10 Kopeken pro
Tag und Person zugesagt.
Für die ersten zehn Jahre nach der Ansiedlung musste keine Landsteuer
entrichtet werden. Danach waren pro Desjatine und Jahr 15 Kopeken zu zahlen.
Befreiung vom Militärdienst, Fuhrdiensten, öffentlichen Arbeiten und
Einquartierungen.
Die Mennoniten waren verpflichtet, Brücken und Wege in ihrem Siedlungsgebiet
zu pflegen und gegebenenfalls zu reparieren.
Für die Reise in das Siedlungsgebiet erhielt jeder Erwachsene pro Tag 25 und
jede Person unter 15 Jahren 12 Kopeken.
1789 fand die erste Ansiedlung preußischer Mennoniten in Russland statt. 228
Familien (rund 1.000 Personen) aus Marienwerden wurden auf der Dnjepr-Insel
Chortiza im heutigen Gouvernement Jekaterinoslaw angesiedelt.
Als Kolonisten hatten sich vor allem "kleine Leute" wie Zimmerleute, Milchträger,
Leineweber, Tagelöhner, Knechte und nachgeborene Bauernsöhne, deren
Chance auf einen eigenen Hof angesichts der Landknappheit gering war,
gemeldet.
Zwischen 1793 und 1796 kamen insgesamt weitere 118 Mennonitenfamilien nach
Russland, die auf die bereits bestehenden Kolonien auf Chortiza, im Kreis
Alexandrowsk und Neu-Moskau aufgeteilt wurden. Insgesamt entstanden
zwischen 1789 und 1797 elf mennonitische Kolonien.
Eine Bestätigung ihrer Privilegien erhielten die Mennoniten 1800 durch einen
Gnadenbrief vom russischen Zaren Paul I.
Die Aufhebung aller Privilegien der Russlanddeutschen durch den russischen
Zaren Alexander III. im Jahr 1871 traf vor allem die Mennoniten hart. Die ihnen
zugesagte Befreiung vom Militärdienst war damit hinfällig geworden. Zwar
konnte in Verhandlungen ein Ersatzdienst durchgesetzt werden, dennoch zogen
es viele Mennoniten vor, Russland in Richtung Nord- und Südamerika zu
verlassen. Zwischen 1874 und 1879 wanderten Tausende von ihnen aus.Teil 1
1.4
Auswanderung als Ausweg
Karl Stumpp schreibt in seinem Buch "Die Auswanderung aus Deutschland nach
Rußland in den Jahren 1763 bis 1862":
"Nirgends war nur ein Grund für die Auswanderung allein
ausschlaggebend. Immer wirkten mehrere Gründe zusammen, wobei in
dem einen Lande der eine, in dem andern der andere Grund überwog.
Die Voraussetzung für solch eine Massenauswanderung aber war nicht
nur im Auswanderungs-, sondern auch im Einwanderungslande
gegeben.
Im damaligen Deutschland:

Politische Unterdrückung durch fremde Mächte, aber auch durch
die eigene Regierung und Fürsten

Heeres- und Frondienst im eigenen Land und für Fremdmächte

Wirtschaftliche Not, Missernten, Hungerjahre, Landmangel,
Steuerlasten

Strenge und oft ungerechte Verwaltung

Einführung von Neuerungen auf schulischem und kirchlichem
Gebiet
In Russland:

Freie Lebens- und Entfaltungsmöglichkeiten

Befreiung vom Militärdienst "auf ewige Zeiten"

Angebot von Land, fast unbegrenzte Landankaufmögl ichkeiten,
Steuerfreiheit

Freie Gemeindeverwaltung

Volle Freiheit auf religiösem Gebiet
Das war damals Grund genug, der Heimat den Rücken zu kehren und
sich in der Ferne eine neue bessere Heimat zu suchen."
Die aus verschiedenen Auswanderungsgebieten stammenden Aussiedler traten
die Reise nach Russland von Sammelpunkten aus an.
Teil 1
1.4.1
Auswanderungsgebiete
Die Auswanderer kamen vor allem:
aus Hessen,
aus Württemberg,
aus Baden und aus
der Rheinpfalz.
Teil 1
1.4.2
Sammelpunkte
Unter anderem gab es im hessischen Büdingen einen Sammelpunkt für
Ausreisewillige. Von hier aus traten mehrere hundert Menschen ihre Reise nach
Russland an.
Da die russische Regierung ein großes Interesse an Familien und Ehepaaren
hatte, wurde vor der Auswanderung eine Eheschließung angestrebt. Dies
spiegelt sich im so genannten Kopulationsregister des evangelischen
Pfarramtes in Büdingen wider (siehe Bild rechts). Zwischen dem 24. Februar
1766 und dem 8.Juli 1766 wurden dort insgesamt 375 Paare getraut, an manchen
Tagen 11 Paare. Im Heiratsregister ist für 170 Männer und 110 Frauen der
Heimatort angegeben, daraus ist ersichtlich, dass die meisten der hier
registrierten Auswanderer aus Hessen stammten. Allein aus der Stadt
Gelnhausen wanderten 112 Personen aus, wobei es sich hier nur um die legalen
Auswanderer handelte. Die Zahl der illegal, heimlich ausgewanderten Personen,
die auf diese Weise vor ihren Gläubigern flohen, dürfte sehr viel höher gewesen
sein.
Durch das anhaltinische Roßlau, das von Friedrich August als Sammelpunkt für
ausreisewillige Siedler bestimmt worden war - die Werber selber hatten Coswig
vorgeschlagen - zogen 11 Kolonistenzüge mit insgesamt 3.440 Personen. Diese
Tatsache wirkte überzeugender als alle Werber (Dominoeffekt).
Von den 15.000 Einwohnern in Anhalt-Dessau verließen zur Auswanderungszeit
97 Männer, 105 Frauen und 250 Kinder das Land. Darunter befanden sich 21
alleinstehende Frauen mit 32 Kindern. Aus der Heiratsliste ist ersichtlich, dass
von den 25 heiratenden Männern 18 ihren Beruf angaben, 17 von ihnen waren
Handwerker, nur einer war ein "Ackersknecht". Als Handwerksberufe wurden
Leineweber, Fleischhauer, Maurermeister, Zimmermann, Weißbäcker,
Bandmacher, Drechsler, Knopfmacher, Damastweber und Schuhmacher
genannt.
Teil 1
1.4.2.1
Dominoeffekt
Die Kolonnen von Ausreisewilligen, die zu den Sammelpunkten zogen,
bewirkten, dass sich viele Leute, die zuvor keinerlei Kenntnis von der Ausreise
hatten, spontan den Trecks anschlossen.
Einen Eindruck von dieser "Sogwirkung", den durchziehende
Kolonistentransporte auf die örtliche Bevölkerung in den deutschen Kleinstaaten
ausübten, vermittelt ein Auszug aus dem Kirchenbuch von Stockhausen bei
Gießen. Den Transporten schlossen sich 46 Einwohner an. Im Kirchenbuch heißt
es dazu:
"Wofern nicht ein herrschaftliches Verbot Einhalt gegeben, so wäre,
aus eitler Träumerei nach einem gelobten Land, wohl d as halbe Dorf
entvölkert worden."
Ein weiteres Beispiel für den Dominoeffekt liefert der Bericht von Oberpfarrer
Boeckner aus Schlitz, nördlich von Fulda, in dem er über den Durchzug eines
Transportes von Aussiedlern 1766 schrieb:
"Heute den 13.Mai 1766 ist der erste Transport Leute durch Slitz
gezogen. Es liefen auch Bauern aus dem Schlitzer Land heimlich fort
und ließen ihre Güter stehen und gaben vor, ihre Obrigkeit sei zu
streng und die Arbeit sei zu viel."
Der Oberpfarrer berichtet von sieben Transporten, die durch den Ort zogen, jeder
mit etwa 500 Personen.
Aus Roßlau schlossen sich junge und bis dahin ledige Frauen den Transporten
an. Durch öffentliche Aushänge wurden sie aufgefordert, Auswanderer zu
heiraten.
"Zu Roßlau bey Dessau im Schwarzen Bär en werden sie Verpflegung
erhalten, auch wird alles bestens gesorgt werden. Nehmlich der
Gastwirth Hoffmann bezahlet jedem Manne täglich vier Groschen sechs
Pfennige, dabey frey Quartier und Transport, ingleichen werden ledige
Frauenspersonen zur Verheuratung verlanget und angenommen, es
muß sich aber ein jedes bald möglichst daselbst einfinden, weil der
Commissarius binnen 4 Wochen nach Sankt Petersburg abgehet."
Teil 1
2
Abwerbung
Schon im Mittelalter zogen Deutsche nach Russland. Im 12. bis 15. Jahrhundert
waren es Hansekaufleute, die von Lübeck oder Danzig aus einen schwunghaften
Handel mit Holz, Pelzen, Pech und anderen Dingen trieben.
Im 16. Jahrhundert begann die Ausdehnung des Russischen Reiches nach Süden.
Nachdem im weiteren das Land am unteren und mittleren Lauf der Wolga erobert
worden war, konnten in zwei Kriegen mit dem Osmanischen Reich die nördliche
Schwarzmeerküste und die Krim für Russland gewonnen werden.
Um diese Eroberungen zu sichern, wurde neben dem Bau von
Befestigungsanlagen auch eine aktive Ansiedlungspolitik betrieben.
Nach der Verlagerung des politischen Machtzentrums Russlands nach Moskau
kamen zahlreiche Deutsche in die Stadt. Sie waren hier als Lehrer, Offiziere, Ärzte
und Beamte tätig und lebten alle in der so genannten "Deutschen Vorstadt"
(nemezkaja sloboda).
Unter Zar Peter I. wurden viele deutsche Wissenschaftler,
Handwerker, Techniker, Offiziere und Beamte angeworben, die
bei der angestrebten Modernisierung des russischen Staates
behilflich sein sollten. Die meisten dieser Spezialisten, die oft
nur für einige Jahre in Russland weilten, lebten im 1703
gegründeten Sankt Petersburg.
Die im 18. Jahrhundert verstärkt betriebene Besiedlungspolitik
der russischen Regierung lehnte sich an die von anderen
europäischen Mächten betriebene Kolonisationspolitik an, die
auch als Peuplierungspolitik bezeichnet wird.
Die massenhafte Ansiedlung bäuerlicher Kolonisten diente
neben der wirtschaftlichen Erschließung der eroberten Gebiete
auch deren Verteidigung gegen Überfälle nomadisierender Stämme. Da aber ca.
75% der russischen Bauern als Leibeigene an ihre Herren gebunden waren, kamen
für diese Aufgaben nur die so genannten "Staatsbauern" (Kronsbauern) oder aber
ausländische Kolonisten in Frage.
Erst durch die Zarin Katharina II. kam es zu einer planmäßigen Ansiedlungen von
bäuerlichen Kolonisten in den neu eroberten und noch unerschlossenen Gebieten
im Süden des Reiches. Die meisten dieser Kolonisten kamen aus Deutschland.
Die Ansiedlungspolitik war mit Privilegien für die Siedler verbunden. In den
deutschen Territorien reagierte man mit Auswanderungsverboten.Teil 1
2.4
Leibeigene
Im Verlauf des 17. Jahrhunderts kam es zur endgültigen Aufhebung der
persönlichen Freiheit der russischen Bauern. Sie verloren ihr Recht auf
Freizügigkeit. Noch im 16. Jahrhundert hatten sie zumindest formal die
Möglichkeit, zu einem bestimmten Termin im Jahr (meist am 23. November, dem
St. Georgs-Tag) ihren Herrn zu verlassen. Nun wurden die Bauern verpflichtet,
ihrem Herrn ewig zu dienen. Wenn ein Bauer dennoch seinen Herrn verließ,
konnte ihn dieser zeitlich unbegrenzt zurückholen, einerlei woher.
Die Verschärfung der persönlichen Abhängigkeit wurde von einer weitgehenden
Umwandlung der bisher in Naturalien zu entrichtenden Abgaben in Geldabgaben
begleitet. Dies betraf sowohl die Abgaben, die aus der persönlichen Unfreiheit
resultierten (z. B. die Heiratsabgabe) als auch die Leistungen, die aus der
Nutzung des herrschaftlichen Landes herrührten.
Neben den Abgaben waren Frondienste (Hand- und Spanndienste, Ackerdienste)
mit den eigenen Geräten zu leisten. Die Dienste waren weder quantitativ noch
qualitativ begrenzt. In den Urkunden, die Aussagen zu den bäuerlichen
Verpflichtungen enthalten, heißt es: "er hat jede Arbeit zu verrichten", "hat
Dienste zu leisten, wie es die Nachbarn tun".
Die persönliche Abhängigkeit der Bauern vom Grundherrn drückte sich aber
nicht nur in der fehlenden Freizügigkeit und den Abgaben aus. Die Leibeigenen
konnten auch verschenkt, verkauft oder verpfändet werden.-.
Teil 1
2.6
Staatsbauern
Staatsbauern wurden als "Kronsbauern" bezeichnet. Sie bewirtschafteten Land,
dessen Obereigentümer die Krone war. Sie durften keine Leibeigenen besitzen
und waren an die Gemeinde und den Boden gebunden.
Rechtlich gesehen gehörten auch die Kolonisten zu dieser Gruppe. Auch sie
erhielten Land zu erbrechtlichen Bedingungen, dessen Obereigentümer die Krone
war. Im Unterschied zu den Staatsbauern waren bei ihnen die Erbfolge (Minorat),
die Besteuerung und die Frage der Selbstverwaltung anders geregelt.
Die russischen Kronsbauern nahmen regelmäßig Umverteilungen des der
Gemeinde gehörenden Landes vor, wobei das Land nach der Anzahl der
männlichen "Seelen" auf die Familien aufgeteilt wurde.
Teil 1
2.1
Katharina II.
Katharina II., die Große
(russ. Jekaterina II. Alexejewna)
Geb. 2. Mai 1722 in Stettin
Gest. 17. November 1796 in Petersburg
Zarin von Russland. Geboren als Prinzessin Sophie Friederike Auguste von Anhalt-Zerbst. Tochter
des preußischen Generals Fürst Christian August von Anhalt-Zerbst.
Seit 1745 mit dem russischen Thronfolger Peter III. verheiratet, der kurz nach seiner Krönung 1762
bei einer Palastrevolte ermordet wurde.
Katharina ließ sich daraufhin selbst als Zarin ausrufen.
Sie sah sich in der Tradition Peters I. und leitete als Vertreterin des aufgeklärten Absolutismus
Reformen ein, die in ihrer Tragweite allerdings bescheiden blieben.
Neben Maßnahmen zur Modernisierung des Staatsapparates leitete Katharina II. die planmäßige
Besiedlung noch unerschlossener ländlicher Gebiete im Süden des Reiches ein.
Teil 1
2.2
Ansiedlungspolitik Katharina II.
In ihrer Ansiedlungspolitik ließ sich Katharina II. ebenfalls von der in Westeuropa
betriebenen Peuplierungspolitik leiten, deren Grundzüge auch in Vorschlägen
von Lomonossow enthalten waren.
Ein erster Schritt zur Anwerbung von Kolonisten war das Manifest vom 14.
Oktober 1762, in dem der Senat ausdrücklich die Erlaubnis erhielt, Ausländern
die Ansiedlung im Land zu gestatten.
Da die Veröffentlichung dieses ersten Manifestes wegen seines nur
summarischen Inhalts nicht die erhoffte Resonanz im Ausland hatte,
unterschrieb Katharina II. das Manifest vom 22. Juli 1763, in dem weitgehende
Privilegien für die Siedler in Aussicht gestellt wurden...
Teil 1
2.2.1
Peuplierungspolitik
»Menschen halte ich für den größten Reichtum.«
Dieser Ausspruch des preußischen Königs Friedrich Wilhelm I. beschreibt das
Ziel der Peuplierungspolitik. Die Macht des Staates sollte vor allem durch die
Steigerung der Bevölkerungszahl und die Erweiterung des Territoriums erhöht
werden.
Diese Politik setzten nach Friedrich Wilhelm I. in Preußen, dessen Sohn Friedrich
II. (Schlesien, Brandenburg, Westpreußen) und für die Habsburger Monarchie
Maria Theresia und deren Nachfolger Joseph II. (Donauschwaben auf dem
Balkan) in die Tat um. In Russland tat dies Katharina II.
Der Hauptvertreter dieser Theorie, Johann Heinrich Gottlob Justi (1720-1771),
vertrat die These, dass der Staat dafür zu sorgen habe, "daß zuförderst die, zu
der Republik gehörigen, Länder recht cultiviret und angebauet werden
müssen." Die Nutzung der "unbeweglichen Güther" vergrößere den Nutzen des
Staates, dessen "Glückseligkeit" auf seiner Macht und Stärke beruhe.
Wesentlichste Voraussetzung dafür war nach Justi eine ausreichend hohe
Bevölkerungszahl.
Ähnlich wie Justi sah auch Joseph von Sonnenfels in der Vermehrung der
Bevölkerung ein Hauptziel staatlichen Handelns. Denn durch eine wachsende
Einwohnerzahl würden auch die Zahl der Steuerpflichtigen und damit die
Staatseinnahmen steigen. Außerdem würde neben dem zu erwartenden
wirtschaftlichen Wachstum auch die innere und äußere Sicherheit vergrößert.
Sonnenfels forderte, dass jede staatliche Maßnahme dahingehend zu überprüfen
sei, ob sie einen Beitrag zum Bevölkerungswachstum leisten könne.
Eine deutliche Beschleunigung des Wachstums der Einwohnerzahl sollte durch
die Aufnahme von Ausländern erzielt werden. Denn diese brächten nicht nur ihr
Vermögen mit, sondern würden auch den gesamten Wirtschaftskreislauf
anregen.
Als wesentliche Voraussetzung für die Einwanderung bezeichnete Sonnenfels
die Gewährung der persönlichen Freiheit durch den Staat, die Förderung von
Handel und Gewerbe, die befristete Befreiung von Abgaben und die finanzielle
Unterstützung der sich niederlassenden Ausländer durch die Bereitstellung von
Baumaterial, Gerätschaften und Krediten.
Solche Gesichtspunkte findet man im russischen Manifest vom 22. Juli 1763.
Teil 1
2.2.2
Manifest vom 14.Oktober 1762
Ukas Katharinas II. an den Senat vom 14.Oktober 1762
Ukas an unseren Senat.
„Da in Rußland viele öde, unbevölkerte Landstriche sind, und viele
Ausländer uns um Erlaubnis bitten, sich in diesen öden Gegenden
anzusiedeln, so geben Wir durch diesen Ukas Unserem Senat ein für
allemal die Erlaubnis, den Gesetzen gemäss und nach Vereinbarung mit
dem Kollegium der auswärtigen Angelegenheiten - denn dies ist eine
politische Angelegenheit - in Zukunft alle aufzunehmen, welche sich in
Russland niederlassen wollen, ausgenommen Juden. Wir hoffen
dadurch, den Ruhm Gottes und seiner rechtgläubigen, griechischen
Kirche, sowie die Wohlfahrt des Reiches zu mehren."
Katharina
"Dasselbe gilt für alle russischen Uebersiedler."
Katharina
Auf einen beigefügten Zettel an den Generalprokureur Alexander lwanowitsch
Glebow wies Katharina an:
"Dieses Manifest soll in allen Sprachen veröffentlicht und in allen
ausländischen Zeitungen abgedruckt werden. Den 4. December 1762."
Katharina
Wegen der geringen Resonanz dieses Manifestes im Ausland erließ Katharina II.
am 23. Juli 1763 ein weiteres Manifest, mit dem im Ausland Siedler gewonnen
werden sollten.
Teil 1
2.2.3
Manifest vom 22. Juli 1763
Teil 1
2.2.3.1
Wortlaut des Manifestes
Manifest der Zarin Katharina II. vom 22. Juli 1763
Von Gottes Gnaden
Wir Catharina die Zweite, Zarin und Selbstherrscherin aller Reußen zu Moskau,
Kiew, Wladimir, Nowgorod, Zarin zu Casan, Zarin zu Astrachan, Zarin zu Sibirien,
Frau zu Pleskau und Großfürstin zu Smolensko, Fürstin zu Esthland und Lifland,
Carelien, Twer, Jugorien, Permien, Wjatka und Bolgarien und mehr anderen;
Frau und Großfürstin zu Nowgorod des Niedrigen Landes, von Tschernigow,
Resan, Rostow, Jaroslaw, Belooserien, Udorien, Obdorien, Condinien, und der
ganzen Nord-Seite, Gebieterin und Frau des Jurischen Landes, der
Cartalinischen und Grusinischen Zaren und Cabardinischen Landes, der
Tscherkessischen und Gorischen Fürsten und mehr anderen Erb-Frau und
Beherrscherin.
Das Uns der weite Umfang der Länder Unseres Reiches zur Genüge bekannt, so
nahmen Wir unter anderem wahr, daß keine geringe Zahl solcher Gegenden noch
unbebaut liege, die mit vorteilhafter Bequemlichkeit zur Bevölkerung und
Bewohnung des menschlichen Geschlechtes nutzbarlichst könnte angewendet
werden, von welchen die meisten Ländereyen in ihrem Schoose einen
unerschöpflichen Reichtum an allerley kostbaren Erzen und Metallen verborgen
halten; und weil selbiger mit Holzungen, Flüssen, Seen und zur Handlung
gelegenen Meerung gnugsam versehen, so sind sie auch ungemein bequem zur
Beförderung und Vermehrung vielerley Manufacturen, Fabriken und zu
verschiedenen Anlagen.
Dieses gab Uns Anlaß zur Erteilung des Manifestes, so zum Nutzen aller Unserer
getreuen Unterthanen den 4. December des abgewichenen 1762 Jahres
publiciert wurde. Jedoch, da wir in selbigen Ausländern, die Verlangen tragen
würden, sich in Unserem Reich häuslich niederzulassen, Unser Belieben nur
summarisch angekündiget; so befehlen Wir zur besseren Erörterung desselben
folgende Verordnung, welche Wir hiermit feierlichst zum Grunde legen, und in
Erfüllung zu setzen gebieten.
1.
Verstatten Wir allen Ausländern, in Unser Reich zu kommen, um sich in allen
Gouvernements, wo es einem jeden gefällig, häuslich niederzulassen.
2.
Dergleichen Fremde können sich nach ihrer Ankunft nicht nur in Unsere
Residenz bey der zu solchem Ende für die Ausländer besonders errichteten
Tütel-Canzley, sondern auch in den anderweitigen Gränz-Städten Unseres
Reiches nach eines jeden Bequemlichkeit bey denen Gouverneure, der
wodergleichen nicht vorhanden, bey den vornehmsten Stadts-Befehlshabern zu
melden.
3.
Da unter denen sich in Rußland niederzulassen Verlangen tragenden Ausländern
sich auch solche finden würden, die nicht Vermögen genug zu Bestreitung der
erforderlichen Reisekosten besitzen: so können sich dergleichen bey Unseren
Ministern und an auswärtigen Höfen melden, welche sie nicht nur auf Unsere
Kosten ohne Anstand nach Rußland schicken, sondern auch mit Reisegeld
versehen sollen.
4.
Sobald dergleichen Ausländer in Unserer Residenz angelangt und sich bei der
Tütel-Canzley oder in einer Gränz-Stadt gemeldet haben werden; so sollen
dieselben gehalten sein, ihren wahren Entschluß zu eröffnen, worinn nehmlich
ihr eigentliches Verlangen bestehe, und ob sie sich unter die Kaufmannschaft
oder unter Zünfte einschreiben lassen und Bürger werden wollen, und zwar
nahmentlich, in welcher Stadt; oder ob sie Verlangen tragen, auf freyem und
nutzbarem Grunde und Boden in ganzen Kolonien und Landflecken zum
Ackerbau oder zu allerley nützlichen Gewerben sich niederlassen; da sodann
alle dergleichen Leute nach ihrem eigenen Wunsche und Verlangen ihre
Bestimmung unverweilt erhalten werden; gleich denn aus beifolgendem Register
zu ersehen ist, wo und an welchen Gegenden Unseres Reiches nahmentlich
freye und zur häuslichen Niederlassung bequeme Ländereyen vorhanden sind;
wiewohl sich außer der in bemeldetem Register aufgegebenen noch ungleich
mehrere weitläufige Gegenden und allerley Ländereyen finden, allwo Wir
gleichergestalt verstatten sich häuslich niederzulassen, wo es sich ein jeder am
nützlichsten selbst wählen wird.
5.
Gleich bei der Ankunft eines jeden Ausländers in Unser Reich, der sich häuslich
niederzulassen gedenket und zu solchem Ende in der für die Ausländer
errichteten Tütel-Canzley oder aber in anderen Gränz-Städten Unseres Reiches
meldet, hat ein solcher, wie oben im 4ten § vorgeschrieben stehet, vor allen
Dingen seinen eigentlichen Entschluß zu eröffnen, und sodann nach eines jeden
Religions-Ritu den Eid der Unterthänigkeit und Treue zu leisten.
6.
Damit aber die Ausländer, welche sich in Unserem Reiche niederzulassen
wünschen, gewahr werden müssen, wie weit sich Unser Wohlwollen zu ihrem
Vorteile und Nutzen erstrecke, so ist, dieser Unser Wille:
1. Gestatten Wir allen in Unser Reich ankommenden Ausländern unverhindert
die freie Religions-Übung nach ihren Kirchen-Satzungen und Gebräuchen; denen
aber, welche nicht in Städten, sondern auf unbewohnten Ländereyen sich
besonders in Colonien oder Landflecken nieder zu lassen gesonnen sind,
erteilen Wir die Freyheit, Kirchen und Glocken-Türme zu bauen und dabey
nöthige Anzahl Priester und Kirchendiener zu unterhalten, nur einzig den
Klosterbau ausgenommen. Jedoch wird hierbey jedermann gewarnt keinen in
Rußland wohnhaften christlichen Glaubensgenossen, unter gar keinem
Vorwande zur Annehmung oder Beypflichtung seines Glaubens und seiner
Gemeinde zu bereden oder zu verleiten, falls er sich nicht der Furcht der Strafe
nach aller Strenge Unserm Gesetze auszusetzen gesonnen ist. Hiervon sind
allerley an Unsere Reiche angrenzende dem Mahometanischen Glauben
zugethane Nationen ausgeschlossen; als welche Wir nicht nur auf eine
anständige Art zur christlichen Religion zuneigen, sondern auch sich selbige
unterthänig zu machen, einem jeden erlauben und gestatten.
2. Soll keiner unter solchen zur häuslichen Niederlassung nach Rußland
gekommene Ausländer an unsere Cassa die geringsten Abgaben zu entrichten,
und weder gewöhnliche oder außerordentliche Dienste zu leisten gezwungen,
noch Einquartierung zu tragen verbunden, sondern mit einem Worte, es soll ein
jeder von aller Steuer und Auflagen folgendermaßen frey sein: diejenigen
nehmlich, welche in vielen Familien und ganzen Colonien eine bisher noch
unbekannte Gegend besetzen, genießen dreyßig Frey-Jahre; die sich aber in
Städten niederlassen und sich entweder in Zünften oder unter der
Kaufmannschaft einschreiben wollen, auf ihre Rechnung in Unserer Residenz
Sankt-Petersburg oder in benachbarten Städten in Lifland, Estland,
Ingermanland, Carelien und Finland, wie nicht weniger in der Residenz-Stadt
Moscau nehmen, haben fünf FreyJahre zu genießen. Wonechst ein jeder, der
nicht nur auf einige kurze Zeit, sondern zur würklichen häuslichen
Niederlassung, nach Rußland kommt, noch über dem ein halbes Jahr hindurch
frey Quartier haben soll.
3. Allen zur häuslichen Niederlassung nach Rußland gekommenen
Ausländern, die entweder zum Kornbau und anderer Handarbeit, oder aber
Manufacturen, Fabriken und Anlagen zu errichten geneigt sind, wird alle
hülfliche Hand und Vorsorge dargeboten und nicht allein hinlanglich und nach
eines jeden, erforderlichen Vorschub gereichet werden, je nachdem es die
Notwendigkeit und der künftige Nutzen von solchen zu errichtenden Fabriken
und Anlagen erheischet, besonders aber von solchen, die bis jetzo in Rußland
noch nicht errichtet gewesen.
4. Zum Häuser-Bau, zu Anschaffung verschiedener Gattung im Hauswesen
benöthigten Viehes, und zu allerley wie beym Ackerbau, also auch bey
Handwerken, erforderlichen Instrumenten, Zubehöre und Materialien, soll einem
jeden aus unserer Cassa das nöthige Geld ohne alle Zinsen vorgeschossen,
sondern lediglich das Kapital, und zwar nicht eher als nach Verfließung von zehn
Jahren zu gleichen Theilen gerechnet, zurück gezahlt werden.
5. Wir überlassen denen sich etablirten ganzen Colonien oder Landflecken die
innere Verfassung der Jurisdiction ihrem eigenen Gutdünken, solcher-gestalt,
daß die von Uns verordneten obrigkeitlichen Personen an ihren inneren
Einrichtungen gar keinen Antheil nehmen werden, im übrigen aber sind solche
Colonisten verpflichtet, sich Unserem Civil-Recht zu unterwerfen. Falls sie aber
selbst Verlangen trügen eine besondere Person zu ihrem Vormunde oder
Besorger ihrer Sicherheit und Verteidigung von uns zu erhalten, bis sie sich mit
den benachbarten Einwohnern dereinst bekannt machen, der mit einer
Salvegarde von Soldaten, die gute Mannszucht halten, versehen sey, so soll
Ihnen auch hierinnen gewillfahret werden.
6. Einem jeden Ausländer, der sich in Rußland niederlassen will, gestatten Wir
die völlige zollfreie Einfuhr seines Vermögens, es bestehe dasselbe worinn es
wolle, jedoch mit dem Vorbehalte, daß solches Vermögen in seinem eigenen
Gebrauche und Bedürfnis, nicht aber zum Verkaufe bestimmt sey. Wer aber
außer seiner eigenen Nothdurft noch einige Waaren zum Verkaufe mitbrächte,
dem gestatten Wir freyen Zoll für jede Familie vor drey Hundert Rubel am Werte
der Waaren, nur in solchem Falle, wenn sie wenigstens zehn Jahre in Rußland
bleibt: widrigenfalls wird bey ihrer Zurück-Reise der Zoll sowol für die
eingekommene als ausgehende Waaren abgefordert werden.
7. Solche in Rußland sich niederlassende Ausländer sollen während der
ganzen Zeit ihres Hierseins, außer dem gewöhnlichen Land-Dienste, wider Willen
weder in Militär noch Civil-Dienst genommen werden; ja auch zur Leistung
dieses Land-Dienstes soll keines eher als nach Verfließung obangesetzter
Freyjahre verbunden seyen: wer aber frey-willig geneigt ist, unter die Soldaten in
Militär-Dienst zu treten, dem wird man außer dem gewöhnlichen Solde bey seiner
Enrollierung beym Regiment Dreißig Rubel Douceur-Geld reichen.
8. Sobald sich Ausländer in der für sie errichteten Tütel-Canzley oder sonst in
Unsern Gränz-Städten gmeldet und ihren Entschluß eröffnet haben, in das
Innerste des Reiches zu reisen, und sich daselbst häuslich niederzulassen, so
bald werden selbige auch Kostgeld, nebst freyer Schieße an den Ort ihrer
Bestimmung bekommen.
9. Wer von solchen in Rußland sich etablirten Ausländern dergleichen
Fabriken, Manufacturen und Anlagen errichtet, und Waaren daselbst verfertigt,
welche bis dato in Rußland noch nicht gewesen, dem gestatten Wir, dieselben
Zehn Jahre hindurch, ohne Erlegung irgend einigen inländischen See- oder
Gränze-Zolles frey zu verkaufen, und aus Unserm Reiche zu verschicken.
10. Ausländische Capitalisten, welche auf ihre eigenen Kosten in Rußland
Fabriken, Manufacturen und Anlagen errichten, erlauben Wir hiermit zu solchen
ihren Manufacturen, Fabriken und Anlagen erforderliche leibeigene Leute und
Bauern zu erkaufen. Wir gestatten auch:
11. Allen in Unserm Reiche sich in Colonien oder Landflecken
niedergelassenen Ausländern, nach ihrem eigenen Gutdünken Markt-Tage und
Jahrmärkte anzustellen, ohne an Unsere Cassa die geringsten Abgaben oder Zoll
zu erlegen.
7.
Aller obengenannten Vorteile und Einrichtung haben sich nicht nur diejenigen zu
erfreuen, die in Unser Reich gekommen sind, sich häuslich nieder zu lassen,
sondern auch ihre hinterlassene Kinder und Nachkommenschaft, wenn sie auch
gleich in Rußland geboren, solchergestalt, daß ihre Freyjahre von dem Tage der
Ankunft ihrer Vorfahren in Rußland zu berechnen sind.
8.
Nach Verfließung obangesetzter Freyjahre sind alle in Rußland sich
niedergelassene Ausländer verpflichtet, die gewöhnlichen und mit gar keiner
Beschwerlichkeit verknüpften Abgiften zu entrichten, und gleich Unsern anderen
Unterthanen, Landes-Dienste zu leisten.
9.
Endlich und zuletzt, wer von diesen sich niedergelassenen und Unsrer
Bothmäßigkeit sich unterworfenen Ausländern Sinnes würde, sich aus Unserm
Reiche zu begeben, dem geben Wir zwar jederzeit dazu die Freyheit, jedoch mit
dieser Erleuterung, daß selbige verpflichtet seyn sollen, von ihrem ganzen in
Unserm Reiche wohlerworbenen Vermögen einen Theil an Unsere Cassa zu
entrichten; diejenigen nehmhich, die von Einem bis Fünf Jahre hier gewohnet,
erlegen den Fünften, die von fünf bis zehen Jahren und weiter, sich in Unsern
Landen aufgehalten, erlegen den zehenden Pfennig; nachher ist jedem erlaubt
ungehindert zu reisen, wohin es ihm gefällt.
10.
Wenn übrigens einige zur häuslichen Niederlassung nach Rußland Verlangen
tragenden Ausländer aus einem oder anderen besonderen Bewegungsgründen,
außer obigen noch andere Conditiones und Privilegien zu gewinnen wünschen
würden; solche haben sich deshalb an Unsere für die Ausländer errichteten
Tütel-Canzley, welche uns alles umständlich vortragen wird, schriftlich oder
persönlich zu wenden: worauf Wir alsdann nach Befinden der Umstände nicht
anstehen werden, um so viel mehr geneigte Allerhöchste Resolution ertheilen,
als sich ein jeder von Unserer Gerechtigkeitshiebe zuversichtlich versprechen
kann.
Gegeben zu Peterhof, im Jahre 1763 den 22ten Juli, im Zweyten Jahre Unserer
Regierung
Das Original haben Ihre Kayserliche Majestät
Allerhöchst eigenhändig folgendergestalt unterschrieben:
Gedruckt beym Senate den 25. Juli 1763.Teil 1
2.2.4
Lomonossow
Der russische Gelehrte Michail Wassiljewitsch Lomonossow, der wohl
bedeutendste Vertreter der Aufklärung in Russland, schrieb in einem Brief an
Iwan Iwanowitsch Schuwalow vom 1. November 1761 unter anderem:
"Den Platz der ins Ausland Geflohenen könnte man bequem durch die
Aufnahme von Ausländern ausfüllen, wenn entsprechende Maßnahmen
getroffen werden. Die gegenwärtigen unheilvollen Kriegszeiten in
Europa zwingen nicht nur einzelne Menschen, sondern auch ganze
ruinierte Familien, ihr Vaterland zu verlassen und Orte aufzusuchen, die
weit entfernt vom Kriegsschauplatz und seinen Greueltaten liegen. Das
weite Reich unserer großen Monarchin ist in der Lage, ganze Völker in
seinen sicheren Schoß aufzunehmen und mit allem Nötigen zu
versehen; es erwartet für sein Gedeihen nicht mehr als eine den
menschlichen Kräften angemessene Arbeit."
Ob diese Gedanken Lomonossows der Zarin Katharina II. bekannt waren und
inwieweit sie ihre Entscheidungen beeinflusst haben, ist nicht bekannt.
Aber ungeachtet dieser Unsicherheit findet man hier Gesichtspunkte, die eine
Auswanderung nach Russland und die Kolonisation bisher unerschlossener
Gebiete für viele Menschen zu einer attraktiven Alternative machten..
Teil 1
2.3
Privilegien für die Siedler
Im Gegensatz zum Manifest vom Oktober 1762 enthielt das vom 22. Juli 1763 eine
ganze Reihe von Privilegien, die für Aussiedlungswillige verlockend waren.
Als wichtigste sind zu nennen:

Die Kolonisten und ihre Nachkommen sollten persönlich frei sein.

Ihnen wurde Freizügigkeit (§ 1 und 4) zugesagt, also das Recht, sich an
jedem beliebigen Ort im Russischen Reich niederzulassen und das Land
auch jederzeit wieder verlassen zu dürfen.

Die Reise- und Transportkosten übernahm die russische Regierung. Die
Kolonisten erhielten außerdem ein nach Geschlecht und Alter
differenziertes Tagegeld (§ 3).

Sie erhielten das Recht, ihre Religion ungehindert zu praktizieren (§ 6.1).

Ihnen wurde eine finanzielle Unterstützung (§ 6.4) für den Hausbau, den
Kauf von Vieh und landwirtschaftlichen Geräten versprochen. Der zinslose
Kredit musste erst nach zehn Jahren zurückgezahlt werden.

Die Kolonisten erhielten die Erlaubnis, sich auch in geschlossenen Kolonien
anzusiedeln, für die eine lokale Selbstverwaltung zugesichert wurde (§
6.5).

Das Manifest räumte den Siedlern und ihren Nachkommen Freijahre ein und
sagte die völlige Befreiung vom Militärdienst (§ 6.7) zu.

Als oberste, der Zarin direkt unterstellte Behörde, die sich mit allen die
Kolonien betreffenden Fragen zu befassen hatte, wurde die so genannte
Tutelkanzlei eingerichtet (§ 6.8).
Einen entscheidenden Anteil an der Verbreitung des Manifestes in Deutschland
und der daraus resultierenden "Massenauswanderung" hatten die im Auftrag der
russischen Regierung aktiv werdenden Werber, die so genannten Lokatoren.
Gegen deren Aktivitäten richteten sich die aus verschiedenen deutschen
Territorien überlieferten Auswanderungsverbote, die vor allem aus Sorge um die
sich verringernden Steuereinnahmen erlassen wurden.
Teil 1
2.3.1
Freijahre
Zeitraum, in dem Kolonisten von allen staatlichen Abgaben, Diensten
(Landdienste) und Steuern befreit wurden. Im zweiten Manifest der russischen
Zarin Katharina II. wurde eine Differenzierung vorgenommen. Im Gegensatz zu
den Kolonisten, die sich in Städten des Russischen Reiches als Handwerker
oder Kaufleute niederlassen wollten und die nur fünf Freijahre zugesagt
bekamen, wurden den Kolonisten, die sich in noch unbesiedelten Gebieten
niederließen, dreißig Freijahre eingeräumt. Nach Ablauf der Freijahre, in deren
Genuss auch die Nachkommen der Siedler kommen sollten, waren die
Kolonisten zu allen "gewöhnlichen und gar keine Beschwerlichkeit verknüpften
Abgiften" und den Landdiensten "gleich unsren anderen Unterthanen"
verpflichtet. Freijahre waren ein durchaus übliches Mittel, um ausländische
Siedler zu gewinnen.
So versprach der dänische König Friedrich V. in seinem Manifest vom 29.
November 1748 allen ausländischen Siedlern 20 Freijahre.Teil 1
2.3.2
Militärdienst
Im Manifest der russischen Zarin Katharina II. vom 22. Juli 1763 wurde den
Kolonisten und ihren Nachkommen die Befreiung vom Militärdienst zugesagt.
Für die aus deutschen Fürstentümern und
Grafschaften kommenden Siedler war die in Aussicht
gestellte Befreiung vom Militärdienst angesichts des
"Hungers" ihrer Landesväter nach immer neuen
Soldaten ein entscheidender Punkt. Erinnert sei hier
nur an die Tatsache, dass aus Hessen in der ersten
Hälfte des 18. Jahrhunderts Zehntausende
"Landeskinder" an die englische Krone verkauft wurden, um als Soldaten in
Nordamerika kämpfen zu müssen.
In Russland bedeutete Militärdienst, dass der Betroffene, der per Losentscheid
aus dem Kreis der wehrpflichtigen Männer einer Gemeinde bestimmt wurde, für
25 Jahre zu diesem Dienst verpflichtet war.
Die Befreiung der deutschen Siedler vom Militärdienst war ein besonderes
Privileg, das wirkte.-
Teil 1
2.3.3
Tutelkanzlei
Auf Anweisung Katharinas wurde am 22. Juli 1763 eine "Kanzlei der
Vormundschaft der Ausländer", als Tutelkanzlei oder Vormundschaftskanzlei
bezeichnet, mit Sitz in St. Petersburg geschaffen.
Zum Vorsitzenden dieser Kanzlei, die an "Macht und Vorzügen" den
Staatskollegien (Ministerien) gleichgestellt war, wurde der Vertraute der Zarin Graf
Orlow ernannt.

Aufgabe der Tutelkanzlei war es: "alle gerechten Forderungen zu
befriedigen", welche die Neuankömmlinge stellten und dafür Sorge zu
tragen, dass sie bei ihrem Eintreffen in Russland keinerlei Erschöpfungen
unterliegen und ihnen bei erster Gelegenheit provisorische Wohnstätten
zugewiesen werden, bis "jeder nach seinem eigenen Wunsche
eingewiesen wird."

Das jährliche Budget der Kanzlei belief sich auf 200.000 Rubel. Von diesem
Geld sollten die Unterstützungszahlungen an die Kolonisten für den
Hausbau wie für den Kauf von Saatgut, Hornvieh, Pferden und
Gerätschaften gezahlt werden.

Um die bei der Ansiedlung auftretenden Fragen und Probleme vor Ort lösen
zu können, wurden regionale Kontore eingerichtet. Das erste von ihnen
war das 1766 in Saratow geschaffene Tutelkontor. Dieses Kontor kann als
Träger der im Manifest von 1763 zugesicherten lokalen Selbstverwaltung
betrachtet werden.

Nach der Niederschlagung des Pugatschow-Aufstandes (1773-1775) nahm
Katharina II. eine Reform der staatlichen Verwaltung in Angriff. Russland
wurde in Gouvernements eingeteilt, die in den folgenden Jahren mit
Verwaltungsorganen und Behörden ausgestattet wurden. 1782 erfasste
diese Reform auch die Sonderverwaltungen für die Kolonien bzw. die
Ausländer.

Am 28. April 1782 wurden durch einen Ukas Katharinas II. die
Vormundschaftskanzlei in Petersburg und das Vormundschaftskontor in
Saratow aufgehoben. Die Kolonisten wurden nun zusammen mit den
russischen Kronsbauern, der privilegiertesten Gruppe der russischen
Bauern, der Leitung des Kameralhofes in Saratow unterstellt.

Die "kontorlose Zeit" hatte aber nur 15 Jahre Bestand. 1797 hob Zar Paul I.
diese Reform wieder auf. Das Tutelkontor wurde wieder eingerichtet. Im
Jahre 1800 wurde ein Tutelkontor für Neurussland in Jekaterinoslaw
eröffnet. Bei den deutschen Kolonisten blieb die kontorlose Zeit als eine
Zeit des Chaos und der Verunsicherung im Gedächtnis haften.

Während der kontorlosen Zeit kam es in einigen russlanddeutschen
Kolonien zur Übernahme des "Mir-Systems".

Das am 4. Juni 1871 von Zar Alexander II. erlassene Kolonistengesetz hob
nicht nur alle Privilegien der Kolonisten auf. Sie wurden nun auch der
allgemeinen Verwaltung unterstellt. Die bisher für diese Aufgabe
zuständigen Kontore wurden geschlossen. Damit war auch die lokale
Selbstverwaltung beendet.
Teil 1
2.3.3.1
Mir-System
M i r bedeutet so viel wie Dorfgemeinschaft. Bezeichnet wird so auch eine für das
zaristische Russland des 18./19. Jahrhunderts spezifische Agrarordnung, die
"Umteilungsgemeinde":
Das Land war Gemeindeland. Es durfte nicht auf ein Familienmitglied vererbt
werden, sondern musste auf die lebenden männlichen Personen periodisch
immer wieder neu verteilt werden. Dieses System förderte das Interesse an
großen Familien – je mehr männliche Familienmitglieder vorhanden waren, um
so mehr Land stand einer Familie zu.
Wie bereits erwähnt, erhielten die Kolonisten das Land nicht wie versprochen als
freies Eigentum, sondern nur zur Erbleihe. Obereigentümer des Bodens blieb die
Krone. Das Land wurde der Gemeinde zur Nutzung übergeben. Sie war auch für
die Leistung der Geld- und Naturalabgaben verantwortlich. Das nun vorgesehene
Erbrecht stieß bei den Kolonisten auf wenig Gegenliebe. Es widersprach ihren
heimatlichen Traditionen. Zudem war es gar nicht möglich, dass alle älteren
Söhne als Handwerker in benachbarten Städten ihren Lebensunterhalt verdienen
konnten. Sie mussten ebenfalls in der Landwirtschaft untergebracht werden.
Um das notwendige Land bereitstellen zu können, begannen die Siedler in den
Wolgakolonien bereits in den achtziger Jahren des 18. Jahrhunderts das MirSystem zu übernehmen. Die Auflösung der Tutelkanzlei durch Katharina II. im
Jahre 1782 und die folgende "kontorlose Zeit" beförderten dies. So konnte
zumindest kurzfristig der Landmangel behoben werden. Langfristig aber hatte
diese Entwicklung negative Folgen. Der Landanteil der einzelnen Bauern
verkleinerte sich ständig. Seit 1793 verringerte sich der Anteil der einzelnen
Familien auf 20 Desjatinen Land. 1840 lag er bereits unter 15 Desjatinen und
umfasste somit nur noch die Hälfte des ursprünglichen Landbesitzes, der jeder
Kolonistenfamilie bei ihrer Ansiedlung zur Verfügung gestellt worden war.
Die später gegründeten Schwarzmeerkolonien übernahmen das Mir-System
nicht. Die Kolonisten erhielten hier aber im Unterschied zu den Siedlern in den
Wolgakolonien 60 Desjatinen Land und befolgten das Verbot, das Land unter den
Erben aufzuteilen. Die nichterbberechtigten Söhne mussten den väterlichen Hof
tatsächlich verlassen und ein Handwerk erlernen. Als einzige Alternative blieb
ihnen der Status eines "Anwohners". In diesem Fall waren sie zwar Inhaber einer
eigenen kleinen Wirtschaft ohne Ackerland, sie mussten sich aber im
Nebenverdienst als Tagelöhner bei ihrem erbberechtigten Bruder verdingen.
Dies führte in den Schwarzmeerkolonien dazu, dass im 19. Jahrhundert die
meisten Landarbeiter selbst Russlanddeutsche waren.Teil 1
2.3.4
Verbreitung des Manifestes in Deutschland
Das Manifest wurde in französischen, englischen und deutschen Zeitungen
gedruckt. Doch erreichten diese Zeitungen nur einen geringen Teil der ländlichen
Bevölkerung und nur wenige davon waren des Lesens kundig.
Der Inhalt des Manifestes wurde in den Kirchen verlesen. Bei dieser Gelegenheit
konnten den Zuhörern die Verhältnisse im Siedlungsgebiet in den schönsten
Farben geschildert werden.
Im Auftrag der russischen Regierung waren Werber aktiv, die von verschiedenen
Orten im Reich aus tätig wurden.
Aus Orten, durch die die Aussiedler zogen oder in denen sie sich sammelten,
schlossen sich ihnen immer neue Menschen an.
Auch die Briefe und Nachrichten von den Siedlern, die die zurückgebliebenen
Familienmitglieder und Nachbarn erreichten, werden auf den einen oder anderen
nicht ihre Wirkung verfehlt haben.
Teil 1
2.3.4.1
Verhältnisse im Siedlungsgebiet
Den Bewohnern des Dorfes Mettenheim in der Grafschaft Wartenberg wurde von
der Kanzel unter anderem zugerufen:
"Die Bekenner einer jeden Konfession sind willkommen. Der Ort ist am
Wolgastrom gelegen im Königreich Astrachan bei der neuen deutschen
Stadt Katharinenburg, die Gegend kommt derjenigen am Oberrhein
gleich, was Mäßigkeit der Luft und Fruchtbarkeit de s Erdreiches
anbelangt, es sei reich an Wein, Getreide, Wiesenwachs, Holz und
fischreichen Flüssen ... Wer bei uns nichts hat, kann dort glücklich
werden. Alle diejenigen nun, welche Lust haben, sich obiger herrlicher
Vorteile teilhaftig zu machen und sich in Russland niederlassen, wo
bereits eine Kolonie von mehr als 1.000 deutschen Kolonisten
befindlich ist, die können sich zu Worms anmelden, woselbst den 13.
März 1766 Schiffe abgehen werden und wo ihnen das Tagegeld
ausbezahlt wird."
Auch die Aussicht auf eine weite und kostenlose Reise sowie die Möglichkeit,
fremde Völker kennen zu lernen, wurde als Lockmittel eingesetzt.
Ob der Brief, den ein aus Anhalt-Dessau ausgewanderter Bauer 1788 an seinen
Heimatort schickte und in dem er über seine Situation in Russland berichtete,
jemanden zur Auswanderung nach Russland bewegte, wissen wir nicht. Aber
Eindruck wird die Schilderung seiner Arbeits- und Lebensverhältnisse gemacht
haben – "... und habe Gott sey Danck Äcker, Wiesen-Pferde, Kühe und ander Vieh
so viel, ja mehr als ich bestreiten kann, habe als noch nie über Mängel zu klagen
gehabt, Kirche und Schulen haben wir auch".
Nicht nur die Aussicht auf ein besseres Leben veranlasste Menschen dazu, ihre
Heimat zu verlassen. Es war zum Teil auch eine gehörige Portion Neugier und
Abenteuerlust.
Diese Motive waren es wohl, die in dem Handwerksgesellen Christian Gottlob
Züge den Entschluss reifen ließen, Deutschland zu verlassen. Seine ursprüngliche
Absicht, nach Amerika auszuwandern, um "von meinem Vaterland fern gelegene
Gegenden der Welt zu beseh´n", änderte er kurzfristig. In Lübeck überredeten ihn
"einige gut gekleidete Leute", mit ihnen nach Russland zu gehen, "denn dort hat
jetzt die große Catharina, selbst Deutsche, allen ihren Landsleuten, welchen es
daheim nicht gefällt, ein neues Paradies eröffnet. Dorthin geht man einem
gewissen Glück entgegen, durchstreift bis an das Ziel der Reise einen nicht
kleinen Theil der Welt, lernt Kosaken, Kalmücken, Morduinen, Tschuktschen und
eine Menge anderer unbekannter Völker kennen und sieht unzählige Dinge, von
welchen man hier zu Lande kaum einmal hat reden hören."
Teil 1
2.3.4.1.1
Christian Gottlob Züge
Der 1746 als Sohn eines Zeugmachers in Gera geborene Handwerksgeselle
Christian Gottlob Züge gelangte 1764 auf seiner Wanderschaft nach Lübeck. Hier
schloss er sich einem Zug von Auswanderern an.
In seinem 1802 erschienenen Buch "Der russische Colonist oder Christian Gottlob
Züge´s Leben in Russland. Nebst einer Schilderung der Sitten und Gebräuche der
Russen, vornehmlich in den asiatischen Provinzen" gibt er nicht nur eine wenig
schmeichelhafte Charakteristik der nach Russland auswandernden Menschen,
sondern er beschreibt auch seine Eindrücke von der Reise in die Siedlungsgebiete
und von den Schwierigkeiten nach der Ankunft.
Nach der Ankunft im Siedlungsgebiet zog er bald nach Saratow, wo er zunächst in
einer Manufaktur arbeitete. Danach war er Mitglied einer Schauspielertruppe.
Nachdem ihm mit Hilfe eines falschen Passes die Flucht aus Russland gelungen
war, kehrte er 1774 in seine Geburtsstadt zurück.
Teil 1
2.3.4.2
Werber
Da mit der Veröffentlichung des Manifestes vom 22. Juli .1763 in Zeitungen und
auf Flugblättern die ländliche Bevölkerung nur in unzureichendem Maße erreicht
werden konnte, war der Einsatz von Werbern notwendig. Dabei handelte es sich
um Agenten, die neben den "Kronkommissaren" (Beamte im Dienst der
russischen Regierung) auftraten. Sie organisierten als Privatunternehmer die
Werbung der Kolonisten und deren Abreise nach Russland. Einer der
bekanntesten Werber war der Baron Ferdinand de Canneau de Beauregard. In
dieser Funktion tritt er auch in den so genannten Heymannschen Dokumenten
auf.
Außer einer Prämie von fünf bis zehn Rubeln für jede geworbene Familie
erhielten die Werber für 100 Familien drei Parzellen in den Ansiedlungsgebieten.
Als finanzielle Starthilfe kam ein zinsloser Zehnjahreskredit in Höhe von 4.000
Rubeln dazu. Die Werber erhielten zudem das Recht, mit den Auswanderern
Sonderrechte und -leistungen zu vereinbaren. Welche Sonderrechte und leistungen dem Werber dabei eingeräumt wurden, zeigt der Entwurf eines
derartigen Ansiedlungsvertrages. Darin wurde dem Werber das Vorkaufsrecht
auf alle Produkte eingeräumt, die der Siedler verkaufen wollte. Gleichzeitig
konnte er aber den Preis nicht frei aushandeln. Dieser durfte nur so hoch sein,
wie er allgemein von Dritten verlangt wurde. Der Siedler verpflichtete sich auch
zur Zahlung des Zehnten, also des zehnten Teils von allen Getreideprodukten
und dem Geflügel an den Leiter der Kolonie - den ehemaligen Werber.
1764 unterstanden 63 der insgesamt 104 Dörfer auf beiden Seiten der Wolga
ehemaligen Werbern, die jetzt als Direktoren fungierten. Gegen deren Ansprüche
wehrten sich die Kolonisten.
Den Werbern wurde für jede von ihnen gewonnene Familie eine Prämie gezahlt.
Auch hier ist Christian Gottlieb Züge ein gutes Beispiel. Als Handwerksgeselle
dürfte er kaum die notwendige Qualifikation besessen haben, um sich in
Russland als Bauernkolonist eine neue Lebensgrundlage aufzubauen. Diese
Qualifikation wie auch den Willen, sich eine neue und bessere Lebensgrundlage
aufzubauen, spricht Züge seinen Reisegefährten in seiner Charakterisierung ab,
wobei andere ihm darin folgten (vgl. Ankunft im Siedlungsgebiet).
Er war kein Einzelfall, wie die Ergebnisse einer 1769 von Katharina II. verfügten
Inspektion der Wolgakolonien zeigten. Damals wurde festgestellt, dass rund 9
Prozent aller Kolonistenfamilien nicht für die Landwirtschaft geeignet waren. Von
den 6.433 dort lebenden Familien waren es 579. Bei einer zweiten Inspektion
1774 stieg dieser Anteil sogar auf 10 Prozent. Dieser Zustand war aber nicht
allein den Werbern anzulasten, sondern auch der russischen Regierung. Sie lies
sich offenbar von dem Gedanken leiten, allein eine hinreichende Zahl von
Menschen würde die Kolonisation erfolgreich gestalten.
Teil 1
2.3.4.2.1
Baron Ferdinand de Canneau de Beauregard
Der in den Quellen sowohl als Schweizer wie auch als Brabanter bezeichnete
Ferdinand de Canneau de Beauregard war der wohl bedeutendste Werber im
Dienst der russischen Regierung. Er hatte mit ihr einen Vertrag abgeschlossen,
in dem er sich zur Anwerbung von 4.000 Kolonisten verpflichtete. Für ihren
Transport nach Hamburg und Lübeck wurde ihm ein Darlehen von 15.000 Rubeln
eingeräumt. Als weitere Gegenleistung wurden ihm drei Prozent des
Siedlungsgebietes für einen eigenen Wirtschaftsbetrieb in Aussicht gestellt.
Außerdem sollte er für die Ansiedlung von je 100 Kolonistenfamilien ein
zinsloses Darlehen von 350 Rubeln erhalten.
In den Verträgen mit Siedlern sicherte sich Canneau de Bauregard die Zahlung
des Zehnten und ein Vorkaufsrecht für landwirtschaftliche Produkte (vgl.
Vertragsformular für Kolonisten).
Ihm gelang es jedoch nur, etwa 2.000 Kolonisten zu gewinnen. In der Folge kam
es zu Unstimmigkeiten zwischen ihm und der russischen Regierung. Katharina II.
lehnte eine weitere Zusammenarbeit mit den Worten ab "... mit selben nichts
weiters will verhandeln".
Der Name des Werbers kehrt in den Bezeichnungen für zwei auf der Wiesenseite
der Wolga gelegene Kolonien (Kaneau und Beauregard) wieder. Auch seine
Familienmitglieder fanden Eingang in die Geschichte der Wolgakolonien. Die
Kolonien in der Nähe von Katharinenstadt Ernestinenfeld und Philippsfeld
erinnern an seine Tochter und seinem Sohn. Das nördliche Susannental wurde
nach seiner Frau benannt (vgl. Liste der Wolga-Kolonien)..
Teil 1
2.3.4.2.2
Direktoren
Den in Süddeutschland tätigen privaten Werbern wurde – wie bereits erwähnt –
das Recht zugestanden, mit den geworbenen Kolonisten Sonderbedingungen
auszuhandeln.
In den Kolonien beanspruchten die ehemaligen Werber und nunmerigen
Direktoren nochmehr. Sie versuchten zum Teil auch die Polizeigewalt und die
Rechtsprechung unter ihre Kontrolle zu bringen.
Um sich von den Ansprüchen der Direktoren auf den Zehnten auf Getreideernte
und Geflügel zu befreien, traten Siedler mit der Bitte an die Tutelkanzlei heran, ihre
Kolonien in Kronkolonien umzuwandeln, denn die unter der Herrschaft der Krone
lebenden Kolonisten waren abgabenfrei.
Der Vorsteher Ludwig aus der Kolonie Kamenny Owrag ersuchte 1768 untertänigst
"uns von der Direction zu befreyen und als Crons-Colonisten allergnädigst aufund anzunehmen". In seinem Schreiben hatte der Vorsteher auch darauf
aufmerksam gemacht, dass von den versprochenen Geistlichen, Schullehrern,
Doktoren und Hebammen noch nichts zu sehen sei.
Die Direktoren wurden Anfang der 70er Jahren des 18. Jahrhunderts abgelöst. Der
Forschungsreisende Simon Pallas konnte bereits 1773 feststellen, dass von 1.000
Familien rund 900 der Krone unterstanden. Es dauerte aber noch einige Jahre, bis
die ehemaligen Werber durch die Tutelkanzlei entschädigt und alle Kolonisten
gleichgestellt werden konnten.-
Teil 1
2.5
Auswanderungsverbote
Es lag in der Regel nicht im Interesse der herrschenden Gesellschaftsklasse, wenn
sich im 18. Jahrhundert in den verschiedenen deutschen Fürstentümern eine
größere Anzahl von Landeskindern zur Auswanderung in ein anderes Staatsgebiet
außerhalb des Reiches entschloss. Daher wurden von vielen Landesherren
Auswanderungsverbote verfügt, die in entsprechenden Erlassen an die Beamten
des jeweiligen Fürstentums ihren Niederschlag fanden.
Zwei Grundgedanken durchziehen solche Erlasse:
es wird der Verlust der Arbeitskraft für den Staat beklagt,
es wird immer wieder auf die "Sorge" der Landesherren über die vermeintlich
unsichere Zukunft der Auswanderer verwiesen.
Tatsächlich dürfte der Verlust an Steuereinnahmen das wahre Motiv für die
Landesherren gewesen sein, denn in einem solchen Erlass wurde ein Vermögen
von über 100 Gulden als ein Auswanderungshindernis angeführt.
Beispiele: Auswanderungsverbot des Erzbischofs von Trier vom 28. April 1763,
das kaiserliche Auswanderungsverbot von 1768 und weitere
Auswanderungsverbote...
Teil 1
2.5.1
Auswanderungsverbot des Bischofs von Trier vom 28. April 1763
Als Grund für dieses Verbot - erste derartige Verfügungen gab es bereits 1724 und
1726 - wurde der Wegzug mehrerer Familien "auf Anstiften und Verführung
boshaftiger Leute ... in die so genannte(n) neue(n) Länder, oder sonst andere
Herrschaft Bottmäßigkeit" angeführt. Die Wegziehenden hätten aus "einbilischer
Hoffnung zu finden mehreren Glücks" gehandelt, was als Verletzung ihrer
Untertanenpflichten betrachtet wurde.
Um in Zukunft diesem für das Land "schädliche Unweesen mit Nachdruck" zu
begegnen, wurde verfügt:

Untertanen, die versuchen auszuwandern, wird nicht nur die
Beschlagnahme (Confiscation) ihres gesamten Besitzes angedroht. Sie
haben auch mit einer Körperstrafe (Leibs-Strafe) zu rechnen.

Von allen, die von ausreisewilligen Untertanen deren Hab und Gut kaufen,
wird dieses entschädigungslos zu Gunsten der erzbischöflichen "HofRent-Kammer" eingezogen.

Mit einem Wegzug verlieren alle Personen das Recht, später wieder auf
ihren alten Hof zurückzukehren.

Sie und ihre Nachkommen verlieren damit auch alle erbrechtlichen
Ansprüche im gesamten Erzbistum, egal woraus sich diese ergaben. Sie
fallen an die "Rent-Kammer".

Allen Personen, die erzbischöfliche Untertanen für eine Auswanderung
werben, droht der Verlust ihres gesamten Besitzes und die
lebenslängliche Ausweisung aus dem Erzbistum.

Vor der Ausweisung müssen sie mehrere Stunden öffentlich am Pranger
stehen. Dabei ist ihnen ein Schild mit der Aufschrift "Verführer der
Unterthanen" um den Hals zu hängen.

In besonders schweren Fällen kann auch die Todesstrafe verhängt und
vollstreckt werden.
Teil 1
2.5.2
Weitere Auswanderungsverbote
Als Ergänzung zum Auswanderungsverbot des Erzbischofs von Trier soll hier nur
noch kurz auf weitere Verbote dieser Art eingegangen werden:
I. Das Auswanderungsverbot der pfälzischen Regierung vom 29. April.1766.
II. Es unterscheidet sich von anderen Auswanderungsverboten durch die
"Warnung" vor den Gefahren, die Auswanderer in der Fremde erwarten
würden.
Die Pfalz hatte bereits seit 1709 einen erheblichen Bevölkerungsverlust durch
Auswanderungen zu verkraften. Seither verließen bis zur Mitte des 18.
Jahrhunderts zwischen 12.000 und 15.000 Menschen das Land in Richtung
Nordamerika. Angesichts dieses Aderlasses hatte die pfälzische Regierung bereits
am 27. Februar 1764 ein erstes Auswanderungsverbot erlassen, dass sich
namentlich gegen russische Werber richtete.
Es wurde befohlen:

Alle Werber, die das pfälzische Herrschaftsgebiet betreten, "gefänglich
einzuziehen" und zu verhören.

Die Untertanen zu ermahnen, dieser "Gattung Leuten, die wegen der ihnen
zugesagten Belohnung, sie gleichsam nur zu erkaufen suchten, keinen
Glauben bei(zu)messen, wohl aber die sich zuziehenden Leibes- und
Lebensgefahr und sonstige Unbequemlichkeiten (zu) betrachten".

Zugleich wurden die Untertanen gewarnt, "das ihnen großen Teils
angeborene, von Gott und Natur hinreichend gesegnete Land" nicht gegen
ein solches einzutauschen, "welches wegen der beschwerlichen Überfahrt
der See, wenig zu erreichen Hoffnung hätten, und worinnen sie der fremde
Himmelsstrich vielen Krankheiten aussetze, dessen Sprache und
Lebensart sie unkundig, dazu auch nicht wissen könnten, welche Lage
ihnen zuteil würde, werden, und ob, statt einer vorgeblich guten, nicht in
einer sumpfigen, öden und unfruchtbaren, auch unsicheren Gegend ihren
Wohnsitz aufschlagen mögten ..."

Die örtlichen Vertreter der Obrigkeit (Ortsvorstände) wurden angewiesen,
auf die "verdächtigen unvermöglichen Untertanen gut Acht zu haben, und
durch dann und wann nächtlicher Teil in dem Ort herumschickende
Wachen solches Vorhaben zu behindern trachten ..."

Die abziehenden Untertanen waren zu verfolgen, einzuholen und
"arrestierlich hin(zu)setzen", zu verhören und nach Maßgabe der
Vorgesetzten zu bestrafen. Denjenigen, die trotz des Verbotes abzuziehen
versuchten, drohte eine "Belegung mit der Zuchthaus oder sonstigen
Straf".

Den Ortsvorständen, die eine Abwanderung nicht verhindert hatten, drohte
ebenfalls eine Strafe.
II. Der Fürstabt von Fulda - aus dessen Herrschaftsgebiet und dem der
angrenzenden Ritterschaft insgesamt 300 Familien abgezogen waren warnte ähnlich wie die pfälzische Regierung die Zurückgebliebenen vor
den Versprechungen der Werber:
"Über Regensburg haben wir erfahren, daß den Emigranten an
der Grenze das vorgestreckte Geld wieder abgenomen, sie auf der
Stirn gebrandmarkt werden, damit sie, falls sie flüchtig werden,
bald erkannt, und daß die ödesten Strecken als Sklaven
zugewiesen werden."
Teil 1
3
Bedingungen für die Einwanderung
Eine Karte zeigt die Zielgebiete der Kolonisten.
In Ergänzung zum Manifest wurde am 19. März 1764 ein Kolonistengesetz
erlassen, in dem die Zahl der zu gründenden Kolonien und die Größe der
einzelnen Grundstücke festgelegt wurden. Auch die Verfügungsgewalt über den
Boden wurde reglementiert. Die Siedler erhielten das Land nicht wie versprochen
zu freiem Eigentum, sondern nur zur Erbleihe.
Neben den durch die russische Regierung vorgegebenen Bedingungen für die
Kolonisten wurden zwischen Werbern und Ausreisewilligen noch darüber
hinausgehende Abmachungen getroffen.
Der Enkel Katharinas II., Zar Alexander I., setzte mit seinem Manifest vom 20.
Februar 1804 die Kolonisationspolitik seiner Großmutter fort. Er legte aber
größeres Gewicht auf qualitative Faktoren. Bereits bei der Werbung von
Kolonisten sollte darauf geachtet werden, dass es sich hierbei um erfahrene
Landwirte handelte.
Neben der persönlichen Freiheit wurde den Kolonisten auch weitgehende
Freizügigkeit versprochen. Diese Zusage zerschlug sich allerdings bereits bei der
Ankunft in Russland. Den meisten Kolonisten scheint die im Manifest enthaltene
Bestimmung nicht aufgefallen zu sein, dass jeder Ausländer, der sich als Kolonist
bei einer der Grenzstädte oder bei der Tutelkanzlei meldet, einen Treueid zu leisten
hatte.Teil 1
3.1
Zielgebiete der Kolonisten
Teil 1
3.2
Kolonistengesetz
In Vorbereitung auf den sich abzeichnenden Zustrom ausländischer Siedler erließ
Katharina II. am 19. März 1764 ein weiteres Gesetz, das Kolonistengesetz.
Im Vertragsformular des Kolonistengesetzes finden sich speziellen
Verpflichtungen, gegen die sich die Kolonisten nach ihrer Ansiedlung wehrten.
Das Gesetz regelte:

Die Einteilung des Siedlungsgebietes an der Wolga in
kreisförmige Bezirke (volost) mit einem Durchmesser von 60
bis 70 Werst (1 Werst = 1,067 km), in denen jeweils 100 Familien
angesiedelt werden sollten.

Die Zahl der zu gründenden Kolonien - 52 auf der Bergseite und
52 auf der Wiesenseite.

Die Einteilung der Kolonien nach Konfessionen.

Die Ausstattung jeder Familie mit 30 Desjatinen Land zur
Erbleihe. Das Land durfte nicht geteilt, verkauft oder verpfändet
werden. Es blieb Eigentum der Gemeinde.

Die Nutzung des zugeteilten Landes: 15 Desjatinen als
Ackerland, 5 als Weideland, 5 als Hof- und Gartenland. Hinzu
kamen noch 5 Desjatinen Waldanteil je Familie.

Die Erbfolge. Es galt das Anerbrecht. Im Wolgagebiet setzte
sich das Minorat durch. Nur der jüngste Sohn sollte Alleinerbe
sein. Im Schwarzmeergebiet dagegen traf dies auf den ältesten
Sohn zu. War der Erbberechtigte unfähig, durfte der Vater einen
anderen Sohn oder einen Verwandten zum Erbe bestimmen.
Ziel dieser Regelung war, "daß jeder Vater, der dieses Gesetz
kennt, sich zwangsläufig bemühen wird, seine Kinder vom
jüngsten Alter an verschiedene Handarbeiten zu lehren."

Die Selbstverwaltung der Gemeinden und Kreise. Jeder
Kolonist hatte bei seiner Ansiedlung zu schwören, dass er die
Regelungen der inneren Jurisdiktion, also die Gesetze der
Selbstverwaltung, anerkennt und befolgen wird.
Durch diesen Gesetzeskodex etablierten sich die Kolonisten als eigenständiger
Stand mit beträchtlichen Privilegien und Freiheiten. Von der einheimischen
Bevölkerung wurden die deutschen Kolonisten als "wolnyje ljudi" (freie
Menschen) bezeichnet.
Zusammen mit einer Reihe von Ergänzungen hatten diese Bestimmungen als
Kolonialkodex über 100 Jahre Gültigkeit. Sie wurden 1871
Teil 1
3.2.1
Vertragsformular
Der nachstehende Vertragsentwurf wurde von den angeworbenen Kolonisten
durch ihre Unterschrift akzeptiert.
In dem Vertrag wurden alle Leistungen von russischer Seite und die daraus
resultierenden Rechte und Verpflichtungen des Kolonisten fixiert.
Der Vertrag wurde formal zwischen dem Direktor (Directeur) Baron Caneau de
Beauregard als dem Beauftragten Katharinas II. für die Besiedlung der Kolonie
Cathrinen Lehn und dem Kolonisten abgeschlossen. Als Vertreter des Barons tritt
der auch vom zweiten Direktor, Herr Otto Friedrich von Monjou, autorisierte
Kommissar Johann Friedrich Wilhelm von Nolting zu Schloss Fauerbach, unweit
Friedberg in der Wetterau, auf.
I. Aus diesem Formular geht hervor, dass die Kolonisten bereits bei ihrer
Ankunft in Russland gegenüber der russischen Regierung verschuldet
waren. Diese Verschuldung wuchs durch die Gewährung eines Darlehens
weiter an.

Der Kolonist erhält für die Reise von ... bis nach Petersburg
über Lübeck tgl. 15 Kreuzer, seine Frau 10, die mannbaren
Kinder ebenfalls 10 und die unmündigen Kinder 6 Kreuzer tgl.
Dieses Geld ist ebenso wie die Zahlungen, die der Kolonist,
seine Erben oder Nachkommen nach seiner Ankunft erhält
("Vorschuß" in Geldern oder Sachen), nach Ablauf von zehn
"Wohnungs-Jahren in Catharinen-Lehn" in den
darauffolgenden drei Jahren zu je einem Drittel zurückzuzahlen.
Zinsen werden nicht berechnet. Die Transportkosten von
Petersburg bis zum Wohnort übernimmt die Krone.

Für den Fall einer Ausreise aus Russland innerhalb der
nächsten zehn Jahre sind nur die Transportkosten und der
Reisezuschuss bis nach Petersburg zurückzuzahlen. Außerdem
hat der Kolonist auf alle Güter, die er in den ersten fünf Jahren
erworben hat, den fünften Pfennig abzugeben. Zieht er erst
zwischen dem 6. und 10. Jahr ab, so ist der zehnte Pfennig
fällig.

Jeder Kolonist erhält bei Ankunft Geld für Anschaffungen (Vieh,
Gerätschaften, Haus, Stall, Saatgut). Auch hier war er zur
Zurückzahlung verpflichtet.

Befreiung von allen Geldabgaben und Frondiensten gegenüber
dem Russischen Reich für die nächsten 30 Jahre.

Der Termin, an dem die Rückzahlung der Schulden beginnen
sollte, wird festgelegt.

Das Erbrecht wird genau definiert.

Die Zollfreie Einfuhr von Waren bis zu einem Wert von 300
Rubeln war bei der Einreise gestattet
II. Die Verpflichtungen des russischen Staates gegenüber den Kolonisten
werden ebenfalls angeführt.

Religionsfreiheit.

Bau von wohlbestellten öffentlichen Schulen für jede Religion.

Medizinische Versorgung wird sichergestellt.

Freijahre werden bestätigt.

Die Möglichkeit zur Ausreise wird eingeräumt, wenn eine Reihe
von Vorbedingungen erfüllt wurden.
III. Der Kolonist erhält Land ("Äcker, Wiesen, Holzungen und dergleichen von
der besten und fruchtbarsten Art, als zu der ganzen Familie Unterhalt und
Gebrauch immer vonnöthen") zum erblichen Eigentum.
Kommen bereits erwachsene Kinder mit, die eine eigene Familie gründen,
so erhalten diese Land zu den gleichen Bedingungen.
IV. Der Kolonist verpflichtet sich im Gegenzug, sich während seines
Aufenthaltes in Russland als treuer Untertan der Zarin zu benehmen, also
sich deren "Landes-Gesetzen und Ordnungen auch denen in der Colonie
errichteten Policey-Verfügungen ... behörig (zu) untergeben".
Jährlich den Zehnten an den Leiter der Kolonie abzuführen, diesem alle
landwirtschaftlichen Produkte, die er zu verkaufen gedenkt, zum Vorkauf
anzubieten und den Preis dabei nicht höher zu veranschlagen als dies bei
einem Dritten der Fall wäre.
Teil 1
3.3
Manifest vom 20. Februar 1804
In ihrem Manifest vom 20. Februar 1804 warb die russische Regierung vor allem
um
"Einwanderer, welche in ländlichen Beschäftigunge n und Handwerken
als Beispiel dienen können ... gute Landwirte, Leute, die im Weinbau, in
der Anpflanzung von Maulbeerbäumen und anderen nützlichen
Gewächsen hinreichend geübt oder in der Viehzucht, besonders aber in
der Behandlung und Zucht der besten Sch afrassen erfahren sind, die
überhaupt alle notwendigen Kenntnisse zu einer rationellen
Landwirtschaft haben ...".
Die wesentlichsten Bestimmungen des Manifestes neben diesen qualitativen
Anforderungen waren:

Den Kolonisten wurde eine zehnjährige Steuer-, Abgaben- und
Dienstfreiheit zugestanden. Nach Ablauf dieser Zeit sollten sie
in den folgenden zehn Jahren 15 - 20 Kopeken Grundsteuer
pro Desjatine entrichten. Gleichzeitig waren innerhalb dieser
Zeitspanne auch die Schulden beim Staat zu tilgen, die bei der
Ansiedlung durch finanzielle und materielle Unterstützungen
entstanden waren. Nach Ablauf dieser zweiten Dekade sollten
die von den Kolonisten zu entrichtenden Steuern und
Landesdienste denen der Staatsbauern angeglichen werden.

Die Einreisewilligen mussten ein Barvermögen in Höhe von 400
Rubeln bzw. 300 Gulden nachweisen.

Die Kolonisten sollten verheiratet sein und Kinder haben.
Alleinstehende hatten die Bereitschaft zur Gründung einer
Familie nachzuweisen.

Für die Reise von der russischen Grenze bis zum Ort der
Ansiedlung erhielt jeder erwachsene Kolonist täglich 10
Kopeken, Minderjährige bekamen 6 Kopeken. Dieses Geld
brauchte nicht zurückgezahlt zu werden.

Für den Hausbau, die Anschaffung von landwirtschaftlichen
Geräten und Vieh wurde den Kolonisten ein Kredit in Höhe
von 500 Rubeln gewährt.

Neben ihrem Vermögen durfte jede Familie auch zum Verkauf
bestimmte Waren im Wert von 300 Rubeln mitbringen.

Der Aufbau von Fabriken und Handwerksbetrieben war erlaubt.
Ebenso der Handel mit Waren im gesamten Reich.

Wer seine Schulden und die Steuern für drei Jahre im Voraus
bezahlte, durfte auch wieder auswandern.

Wer den Anweisungen der Behörden nicht Folge leistete oder
sich "Ausschweifungen hingebe", dem drohte nach
Rückzahlung seiner Schulden die Ausweisung.

Die Kolonisten im Schwarzmeergebiet erhielten 60 Desjatinen
Land, denen auf der Krim wurden nur 20 Desjatinen
zugestanden. Den Kolonisten wurde aber bereits am 18. April
1804 das Recht eingeräumt, Land zu kaufen.

Die russischen Vertreter im Ausland wurden aufgefordert, sich
eine Bestätigung der Heimatgemeinde vorlegen zu lassen,
durch die nachgewiesen wurde, dass die Ausreisewilligen alle
Verpflichtungen gegenüber ihrem Landesherren erfüllt hatten.
Diese Forderung konnte in der Praxis aber kaum verwirklicht
werden. Zur Begründung verwies man darauf, dass viele
Ausreisewillige die Reisevorbereitungen nur heimlich treffen
könnten.
Bei der Abfassung des Manifestes wandte die russische Regierung preußische
Kriterien für die Ansiedlung von Kolonisten an.
Teil 1
3.3.1
Preußische Kriterien
Der russische Gesandte in Stuttgart, Jakowlew, berichtete im August 1803 seiner
Regierung über die Erfahrungen, die Preußen in den letzten Jahren mit
Einwanderern aus Süddeutschland gemacht habe. Unter ihnen befänden sich
"oft schlechte Wirte und liederliche Leute". Dem preußischen König ginge es
aber "nicht um viele, sondern um gute Ansiedler". Um sicherzustellen, dass die
Ansiedler diesen Kriterien entsprachen, habe man in Preußen eine Kommission
eingesetzt, die eine Reihe von Richtlinien festlegte, nach denen die Werbung von
Ansiedlern zu erfolgen hatte:

Es sollten nur die angenommen werden, die alle Abgaben und Leistungen
gegenüber ihrer Landesherrschaft erfüllt hatten.

Bei der Werbung von Kolonisten sollten keine "falschen Vorspiegelungen
und Verheißungen" gemacht werden. Nur die Vorteile, die bei einer
Ansiedlung wirklich zu erwarten seien, dürften genannt werden.

Den Einwanderern sollten preußische Pässe ausgestellt werden, in denen
auch Reiseroute und Zielort verzeichnet sein sollten.

Die vorherige Begutachtung des Siedlungsgebietes durch eine Delegation
war erlaubt.

Alle Kolonisten hatten ein noch festzulegendes Barvermögen
nachzuweisen, von dem die eine Hälfte bei Reiseantritt vorhanden sein
musste, die zweite Hälfte war innerhalb der nächsten zwei bis vier Jahre
vorzulegen.

Freie Religionsausübung (lutherisch, reformiert, katholisch) wurde ebenso
zugesagt wie der Schulunterricht in diesen Glaubensrichtungen.

Im letzten Punkt wurde jedem Kolonisten, "der fleißig und arbeitsam,
insbesondere des Kern-, Obst- und Gartenbaues kundig ist" versprochen,
dass "er ein gutes Auskommen finden und ein wohlhabender Mann
werden könne." Begründet wurde dieses Versprechen mit der Tatsache,
dass diese Fertigkeiten in der Koloniegegend noch weitgehend unbekannt
seien.
Siehe auch: EinwanderungszahlenTeil 1
3.3.1.1
Einwanderungszahlen
Die Zahl der Auswanderungswilligen war nicht wie vorgesehen zu kontrollieren.
Bereits im Januar 1804 hatten sich etwa 1.500 Familien aus Süddeutschland als
Kolonisten einschreiben lassen und viele vermögende Familien hatten ihr
Interesse bekundet. Aus Litauen meldete der dortige Militärgouverneur im März
1804, dass rund 2.000 Sachsen - Weber, Porzellanmacher, Bergleute und
"Fabricanten aller Art" - auf ihre Einreise warteten.
Reisepass
Insgesamt kamen 1804 allein 5.329 Personen aus dem Rheinland sowie aus Westund Süddeutschland nach Russland.
Um eine weitere weitgehend unkontrollierte Einwanderung nach Russland zu
verhindern, wurden die russischen Gesandten in Regensburg und München
angewiesen, in Zukunft nur noch je 100 Familien als Kolonisten anzunehmen.
Außerdem sollten in ausländischen Zeitungen Erklärungen veröffentlicht werden,
in denen ausdrücklich darauf verwiesen werden sollte, dass niemand einwandern
dürfe, der die im Manifest vom 20. Februar 1804 enthaltenen Bestimmungen nicht
erfülle und keinen Pass der zuständigen russischen Gesandtschaft besitze.
Angesichts des wachsenden Interesses zahlreicher Menschen vor allem in
Westdeutschland an einer Auswanderung nach Russland - Ursache waren die
wirtschaftlichen und politischen Bedingungen in ihrer Heimat - hob die russische
Regierung die von ihr 1804 eingeführte zahlenmäßige Beschränkung vier Jahre
später wieder auf, bot sich ihr doch die Gelegenheit "ordentliche Leute" anwerben
zu können. Die Zahl der Siedler stieg..
Teil 1
3.4
Treueid
Bei seiner Ankunft in Russland musste jeder Kolonist, wie im Manifest von 1763
gefordert, einen Treueid auf die russische Krone ablegen. Der entsprechende
Paragraph 5 hatte folgenden Wortlaut:
"Gleich bei der Ankunft eines jeden Aus länders in Unser Reich, der
sich häußlich niederzulassen gedenket und zu solchem Ende in der für
die Ausländer errichteten Tutel-Cantzelley, oder aber in anderen
Grentz-Städten Unseres Reichs meldet, hat ein solcher, wie oben im
Paragraph 4 vorgeschrieben steht, vor allen Dingen seinen eigentlichen
Entschluß zu eröffnen, und sodann nach eines jeden Religions -Ritu den
Eid der Unterthänigkeit und Treue zu leisten."
Die über die Ostsee einreisenden Kolonisten leisteten den Eid entsprechend ihrer
Religionszugehörigkeit in Oranienbaum. In der dortigen Schlosskirche
versammelten sie sich zur Eidesleistung. Der Text des Treuegelöbnisses, der vom
dortigen Pastor Johann Christian König vorgesprochen wurde, musste von allen
Anwesenden wiederholt werden. Durch diesen Eid, der Voraussetzung für die
Einwanderung war, verpflichteten sich die Ankömmlinge zur russischen
Untertanenschaft. Spätestens jetzt wurde wohl allen klar, dass sie von nun an
Untertanen der Zarin geworden waren und eine Rückkehr nicht ohne weiteres
möglich sein dürfte. Um aber vor dem eigenen Gewissen nicht eidbrüchig zu
werden, wenn man doch wieder in die alte Heimat zurückkehren wollte, bewegte
so mancher, wie Christian Gottlob Züge beobachtete, "nur die Lippen, ohne etwas
zu sagen".
Teil 1
4
Ankunft im Siedlungsgebiet
Die eigene hoffnungslose wirtschaftliche Situation vor Augen, trafen die im
Manifest vom 22. Juli 1763 enthaltenen Zusagen und die Beschreibungen der
Werber über das gute Klima, die Fruchtbarkeit des Bodens und den Fischreichtum
der Gewässer auf offene Ohren. Fisch, Geflügel, Gemüse und andere Lebensmittel
sollten in den Siedlungsgebieten "fast umsonst zu bekommen" sein. Im Vergleich
zur Not in der Heimat dürften dies paradiesische Zustände gewesen sein, die den
Menschen in Aussicht gestellt wurden, die sich als Kolonisten meldeten.
Insgesamt zogen bis 1774 rund 30.000 Siedler nach Russland.
Jedoch zahlreiche Menschen überlebten die Strapazen auf den Reisewegen nach
Russland nicht. Viele starben vor Hunger oder wurden von Epidemien
dahingerafft. Andere zogen es vor zu fliehen, weil sie den Mut vor der ungewissen
Zukunft verloren hatten. So zogen bis 1774 rund 26.500 Kolonisten von Petersburg
aus nach Saratow. Aber nur etwa 23.000 kamen dort an.
Bei der Ankunft in Russland geben erste Eindrücke wieder, dass etliche der im
Manifest zugesagten Freiheiten den Kolonisten nicht zugestanden wurden, so
dass sich angesichts der unwirtlichen Steppenlandschaft und des dort
herrschenden Klimas zunächst Mut- und Hoffnungslosigkeit breit machten.
Die Zusage, dass jeder Ausländer sich dort niederlassen dürfe "wo es sich ein
jeder am nützlichsten selbst wählen wird", wurde ebenso wenig eingehalten wie
das Versprechen, ein jeder dürfe sein erlerntes Gewerbe ausüben. Die Vorstellung,
dass sie ihre handwerklichen Fähigkeiten und Kenntnisse in Städten nutzen und
weitergeben könnten, zerschlug sich sehr schnell. Die Kolonisten sahen sich dem
Zwang ausgesetzt, sich im Wolgagebiet anzusiedeln und dort eine
landwirtschaftliche Tätigkeit aufzunehmen, auch wenn viele von ihnen darin keine
oder nur geringe Erfahrungen besaßen. Ihre berufsspezifischen Kenntnisse und
Erfahrungen blieben ungenutzt.
Aber auch die Freiheit, das Russische Reich wieder verlassen zu können, wurde
erheblich eingeschränkt. Im Manifest aus dem Jahr 1763 wurde zwar jedem
Ausländer, der sich in Russland niedergelassen und sich mit dem Treueid der
"Botmäßigkeit" der Krone unterworfen hatte, das Recht eingeräumt, das Land
auch wieder verlassen zu können. Voraussetzung dafür war aber, dass abhängig
von der Aufenthaltsdauer vorher ein bestimmter Prozentsatz vom erworbenen
Vermögen abzuführen war. Wollte jemand innerhalb der ersten fünf Jahre das
Reich wieder verlassen, so mussten zwanzig Prozent des "wohlerworbenen
Vermögens" an die Krone abgeführt werden. Hatte man aber erst nach diesem
Zeitabschnitt diese Absicht, so wurden nur noch 10 Prozent gefordert.
Außerdem musste vorher natürlich auch das Geld zurückgezahlt werden, das den
Kolonisten in Form von Tagegeldern und als Starthilfe zum Erwerb von
landwirtschaftlichen Geräten, Zugvieh und Saatgut zur Verfügung gestellt wurde.
Finanzielle Verpflichtungen und der Treueid machten eine legale Ausreise nahezu
unmöglich. Es blieb nur die Flucht. Von Christian Gottlob Züge wissen wir, dass
ihm dieses Unterfangen auf abenteuerlichen Wegen gelang und er in seine
Heimatstadt zurückkehren konnte. Von anderen erfolglosen Versuchen wissen wir
aber auch. So wurde eine Gruppe von Kolonisten, die versuchte, über Saratow in
die Heimat zurückzukehren, von Kosaken in ihre Siedlungen zurückgetrieben.
Andere wiederum wurden von Tataren überfallen und getötet.
Die Charakterisierung der Kolonisten fiel sehr differenziert aus.
Übersicht über Siedlungsgebiete.
Teil 1
4.1
Reisewege nach Russland
Auf der Karte werden die wichtigsten Reiserouten gezeigt, die deutsche
Kolonisten in den verschiedenen Ansiedlungswellen bis etwa 1830
benutzten.

Die zwischen 1763 und 1768 einwandernden deutschen Siedler kamen
vorrangig aus dem hessischen Raum. Ihre Reise führte sie über die Ostsee
von Lübeck nach Oranienbaum bei St. Petersburg. Weiter ging es von
Oranienbaum an die Wolga in die dortigen neuen Siedlungsgebiete.

Zwischen 1789 und 1804 zogen vor allem Mennoniten aus der
Weichselniederung östlich Danzig in das damalige Neurussland
(Südrussland). Sie wurden beiderseits des Dnjeprs im Umkreis von
Jekaterinoslaw (jetzt Dnjepropetrowsk/Ukraine) angesiedelt.

Von 1804 bis 1824 kamen weitere Auswanderer aus dem südwestdeutschen
Raum (Elsass, Baden, Württemberg) über die Donau von Ulm nach
Odessa, die zum größten Teil im Raum Cherson, nördlich des Asowschen
Meeres und in Bessarabien angesiedelt wurden. Andere zogen in den
Südkaukasus, südlich von Tiflis.
Teil 1
4.1.1
Von Lübeck nach Oranienbaum
Lübeck war für die meisten Kolonisten die letzte Reisestation auf deutschem
Boden. Von hier aus organisierte der im Dienst der russischen Regierung
stehende Kaufmann Christoph Heinrich Schmidt die Weiterfahrt über die Ostsee
nach St Petersburg. Nach seinem Tod übernahm der Lübecker Jurist Gabriel
Christian Lemke ab dem 30. Mai 1766 diese Aufgabe.
Bereits im Januar 1764 empfahl das Kollegium für Auswärtige Angelegenheiten in
St. Petersburg den Seeweg als die geeignetste Reiseroute für den Transport von
Kolonisten. Der Landweg hatte sich nicht nur als zu lang erwiesen, er war auch zu
teuer. Die Vorstellung, die in Lübeck verfügbaren Schiffe würden für den Transport
ausreichen, musste angesichts der Aussiedlerzahlen allerdings bald korrigiert
werden. Es erwies sich als notwendig, auch Schiffe aus Kiel und Neustadt sowie
sogar aus England unter Vertrag zu nehmen. Daneben kamen auch russische
Schiffe zum Einsatz.
Die so genannten Paketboote und Pinken, die eigentlich nicht für einen
Personentransport konstruiert worden waren, brachten rund 3.100 Kolonisten
nach Russland. Insgesamt traten über 22.000 Menschen von Lübeck aus ihre
Reise nach Russland an.
Die Aussiedlertrecks kamen entweder über Regensburg – Weimar – Lüneburg
nach Lübeck oder sie fuhren zunächst von Worms den Rhein abwärts, um dann
durch Westfalen und Hannover auf dem Landweg in die Hansestadt zu gelangen.
In Lübeck angekommen, mussten sich die Kolonisten wegen des großen
Andrangs auf eine längere Wartezeit einrichten. Den Vermögenderen unter ihnen
wies der Kommissär Schmidt eine Unterkunft in einem der Bürgerhäuser zu. Die
anderen wurden in Baracken in der Nähe des Hafens untergebracht. Diese
Gebäude wurden streng bewacht, um Fluchtversuche zu unterbinden.
Während der Wartezeit erhielten die Kolonisten ein Tagegeld, das nach Geschlecht
und Alter differenziert war. Männer erhielten pro Tag 8, Frauen 5, Kinder 3 und
Kleinkinder 1 Schilling. Das Geld und die Nahrungsmittel wurden von
ausgewählten Männern ausgeteilt, denen Amtsbezeichnungen wie "Schulze",
"Vogt" oder "Vorsteher" gegeben wurden.
In Lübeck war das große Echo auf das Angebot der Zarin Katharina II. in seinem
ganzen Ausmaß erkennbar. Bereits 1765 warteten hier Tausende Menschen auf
ihre Einschiffung.
Die damals im Einsatz befindlichen Schiffe waren in der Lage, 280 Passagiere zu
befördern.
Endlich eingeschifft, stand diesen Menschen gewöhnlich eine Seereise von neun
bis elf Tagen bevor. War das Wetter ungünstig (Flauten oder Stürme), so konnte
die Schiffsreise aber auch sechs Wochen dauern, so dass Brot und Wasser knapp
werden konnten. Es gab aber auch immer wieder Kapitäne, die die Reise künstlich
in die Länge zogen, um so die Kolonisten zu zwingen, ihr gesamtes für zwei
Wochen berechnetes Reisegeld für den Kauf von Proviant auszugeben.
Bernhard Ludwig von Platen beschreibt in seinem 1766-67 entstandenen Poem
"Reise-Beschreibungen der Kolonisten wie auch Lebensart der Rußen" diese
Seereise.
Nach einer zweiwöchigen Wartezeit in Lübeck wurde von Platen mit anderen
Kolonisten eingeschifft:
"Da ward ein jeder Mann/Mit Brofiant versehen/Und so nach
Petersburg/Ins Schiff hinein zu gehen/Allein condrerer Wind/Macht uns
die Reise schwer/Das Brofiant ging auf/Die Taschen wurden leer. Sechs
Wochen mußten wir/Die Wasserfahrt ausstehen/Angst, Elend,
Hungersnoth/Täglich vor Augen sehen/Also daß wir zuletzt/Salz Wasser, schimmlich Brod/Zur Lebens unterhalt /Er - hielten kaum zur
Noth."
Wäherend dieser Seereisen waren auch die ersten Toten zu beklagen.
Der Bäckermeisters Johannes Hühn aus Gelnhausen gab 1766 zu Protokoll, dass
er mit dem Ehepaar Dölck und dessen beiden Töchtern auf einem Seefahrzeug des
Schiffers Jakob Bauer von Lübeck nach Russland transportiert worden sei. Am
zweiten Tag der Überfahrt seien die Töchter, die er sehr gut gekannt habe, an einer
auf dem Schiff ausgebrochenen verheerenden Krankheit gestorben. Die Toten
wurden der Gewohnheit nach vor seinen Augen in das Meer gelassen.
In Kronstadt, einer Festung vor St. Petersburg, angekommen, ging die Reise sofort
nach Oranienbaum, dem heutigen Lomonossow, weiter. Dort konnten sich die
Kolonisten gegen Vorlage einer vom Vorsteher ausgegebenen Bescheinigung eines Billets - mit neuer Kleidung ausstatten.
Während ihres dortigen Aufenthaltes, dessen Dauer unbestimmt war, leisteten sie
auch den Treueid auf die russische Krone.
Die Reise in die neuen Siedlungsgebiete ging weiter von Oranienbaum an die
Wolga.
Teil 1
4.1.1.1
Bernhard Ludwig von Platen
Der wahrscheinlich 1733 in Pommern geborene von Platen diente im
Siebenjährigen Krieg als Offizier im Preußischen Heer. 1766 schied er aus dem
Dienst aus und ließ sich in Lübeck für die Auswanderung anwerben.
Auf der Überfahrt dichtete er 1766/67 das Poem "Reise-Beschreibung der
Kolonisten wie auch Lebensart der Rußen", das in 67 Strophen seine
Auswanderungserlebnisse beschreibt.
Bei der Anwerbung hatte Platen unter Hinweis auf seinen Adelstitel den Wunsch
geäußert, auch der Zarin als Offizier dienen zu können ("Sagt daß ich ein
Offizier/Auch gut von Adel wär. Bat mir zu Gnaden aus/Der Kaiserin zu
dienen."). Dieser Wunsch wurde nicht erfüllt. Auch er wurde zunächst in einem
Dorf an der Wolga als Bauer angesiedelt. Die Enttäuschung darüber äußerte er in
seiner Reisebeschreibung mit den Worten: "Kein Adel Charakter/Kein
Amtrecht kein Offizier/Ihr müßt nun Bauern seyn/Da ist kein Rath dafür."
Da Platen sich weigerte, als Bauer zu arbeiten, musste er seinen Lebensunterhalt
als Dorflehrer (Proceptor) verdienen.
1774 starb Bernhard Ludwig von Platen in der Gemeinde Jost auf der Wiesenseite
der Wolga. Mit seinem Leben als Kolonist, in dem er "viel Plag und Kummer
leiden/Betrübniß viel Verdruß" erleiden musste, konnte er sich allem Anschein
nach nicht anfreunden. Dies drückt sich in den Zeilen "Drum bin ich ärgerlich/In
diesem neuen Stande" deutlich aus.
Platen gilt als der erste wolgadeutsche Dichter.
Teil 1
4.1.2
Von Oranienbaum an die Wolga
In Begleitung einer Wachmannschaft unter Führung eines Offiziers wurde von
Oranienbaum aus die Reise fortgesetzt. Die Weiterfahrt erfolgte auf zwei
verschiedenen Reiserouten.
Petersburg
Ein Teil der Kolonisten zog auf dem Landweg weiter, während der andere Teil dies
auf dem Wasserweg tat. Diese Route erwies sich vor allem für größere Gruppen
mit mehreren Hundert Kolonisten als günstiger. Sie führte von Petersburg über die
Newa, den Ladoga-Kanal und den Wolchow nach Nowgorod. Hier wurden die
Kranken zurückgelassen, die sich während des Winters erholen konnten. Von
Nowgorod aus ging es weiter über den Fluss Msta bis nach Wyschni Wolotschok.
Auf dem Landweg zog man dann über Torshok, Twerza bis nach Twer, um von hier
auf der Wolga an Jaroslawl, Kostroma und Nishni Nowgorod vorbei nach Saratow
zu fahren.
Die Kolonisten, die auf dem Wasserweg in das Wolgagebiet kamen, wurden auf
dieser Reise mit der gleichen Taktik konfrontiert, die sie bereits auf der
Schiffsreise von Lübeck nach Kronstadt erlebt hatten. Auch hier waren die
Schiffsführer bestrebt, die Reise so lange wie möglich auszudehnen, um eine
größere Menge Lebensmittel zu überhöhten Preisen an die Reisenden verkaufen
zu können.
Die Landroute dagegen führte über Peterhof, Nowgorod, Twer, Moskau, Rjasan
und Pensa nach Pokrowsk an der Wolga, dem heutigen Engels, das Saratow
gegenüberliegt.
Saratow
In Saratow angekommen, erhielten alle Kolonisten 150 Rubel ausgezahlt. Von
diesem Geld sollten sie sich ein Haus kaufen bzw. den Hausbau finanzieren sowie
Saatgut, Vieh und landwirtschaftliche Geräte anschaffen. Von Saratow aus reisten
die Siedler dann in die für sie vorgesehenen Siedlungsgebiete. Sie waren am Ziel.
Welche Gefühle und Eindrücke sie beim Anblick ihrer neuen Heimat bewegten,
beschreibt Christian Gottlieb Züge.
Teil 1
4.1.3
Von Ulm nach Odessa
Zwischen 1804 und 1818 gelangten zahlreiche Siedler aus dem schwäbischen
Raum auf der Donau von Ulm über Wien - Budapest und Belgrad bis zur
ehemaligen türkischen Festung Ismail im Donaudelta. Von dort aus ging es weiter
nach Odessa. Hier erfolgte die Zuweisung in die einzelnen Kolonien im
Schwarzmeergebiet oder im Kaukasus.
Über die Strapazen und Gefahren, denen die zukünftigen Kolonisten ausgesetzt
waren, gibt es Reiseberichte, die als Beschreibungen oder als Briefe vorliegen.
So beschrieb der aus Oetlingen stammende Johann Chr. Bidlingmaier die Fahrt
auf der Ulmer Schachtel in einem Brief vom 18. Juli 1817 an die zurückgebliebenen
Nachbarn und Verwandten. Wir erfahren von der großen Anteilnahme, die die
Ausreisenden in Wien erfuhren. Dort verglich man die Reise etwas euphorisch mit
dem Auszug der Kinder Israels ins Heilige Land. Die Reisebeschreibung vermittelt
dem Leser nicht nur den Optimismus, mit dem die Menschen die Reise antraten,
sondern auch die Hoffnung, nun den schlechten Verhältnissen in der Heimat
entronnen zu sein. So schreibt er:
"Überhaupt sind wir im Leiblichen recht wohl geraten, von Ulm aus
bis jetzt, so dass wir öfters denken, wie mangelhaft es bei euch
hergehen werde. Wenn wir euch nur mit Unterhalt auch dienen
könnten, bei so wohlfeilen Preisen ... Alles ist hier wohl feiler ...
Wenn wir euch nur mitteilen könnten in eurem Mangel."
Der Optimismus gründete sich auf Eindrücke, die die augenscheinlich fruchtbaren
Landschaften auf die Auswanderer machten:
"Die Landteile durch die wir reisen, sind alle so ergiebig von Wien
bis daher (Galatz), so daß wir uns verwundern mußten ... So
ettliche Württemberger hätten sich so wohl zu nähren, und soviel
haben nicht einen Schuh breit bei uns!"
Warum sollte es in der neuen Heimat anders sein?
Die Reisebeschreibung des 1817 aus Rosenfeld ausgewanderten Johann Georg
Höhn enthält zudem zahlreiche Passagen über Krankheiten ("Nerven- und andere
Fieber, gelbe und rothe Ruhr, große Geschwüre an Kopf und Hals wüteten heftig"),
die sich unter den Reisenden ausbreiteten und denen ein Teil von ihnen zum Opfer
fiel. Mitunter waren über 400 Menschen auf einem Schiff zusammengedrängt, was
solche Vorgänge ganz sicher begünstigte.
Auch Friedrich Schwarz, der mit seiner Frau und neun Kindern unter
"allerbitterste(m) Trennungsschmerz" am 26. Juni 1817 die Reise nach Russland
antrat, berichtete von Opfern unter den Mitreisenden. Für den 29. August 1817
notierte er:
"Von allen 5 Schiffen starben in diesen Tagen, die wir in Galatz
zubringen mußten (Ankunft war am 19.8.), 42 Menschen." Fast die
Hälfte aller Aussiedler war erkrankt. Weitere Todesopfer waren dann
während der mehrwöchigen Quarantäne vor Ismail zu beklagen. Für die
kranken Familienmitglieder hatte Friedrich Schwarz "gar nichts zur Labung
als Donauwasser ..."
Wie viele der von Ulm nach Odessa aufgebrochenen Kolonisten letztendlich ihr
Ziel erreichten und wie viele von ihnen durch Unfälle oder Krankheiten umkamen,
ist nicht mit Gewissheit zu sagen. Man schätzt, dass von den rund 9.000
Auswanderern, die 1816/17 Württemberg verließen, etwa 3.000 in Ismail
verstarben. Johann Georg Höhn erwähnte in seinem Bericht, dass dort "1.328
Emigranten ... begraben liegen. "
Teil 1
4.1.3.1
Die Ulmer Schachtel
Mit der "Ulmer Schachtel" gelangten zwischen 1804 und 1818 viele schwäbische
Kolonisten auf dem Wasserweg nach Russland.
Von Ulm aus fuhren sie mit diesen Booten die Donau abwärts bis Ismail (Stadt an
der Mündung der Donau ins Schwarze Meer) und dann an der Küste entlang bis
nach Ovidiopol bei Odessa.
Bei der "Ulmer Schachtel" handelte es sich um einen langen Lastkahn mit einem
hausartigen Aufbau. Die Länge betrug insgesamt 30 m, die Höhe der Bordwand,
gemessen in der Mitte des Lastkahns, 150 bis 160 Zentimeter, die größte Breite 7,5
m, die Länge des hausartigen Aufbaus 5 bis 6 m. Die Höhe des Kahns betrug
insgesamt etwa 4 m. Das Fahrzeug verfügte am Bug und in der Mitte des Schiffes
über 2 Ruderblätter, am Heck über 2 bis 4. Mit diesen Ruderblättern wurde auch
gesteuert. Mangelhafte Organisation und fehlende Erfahrungen hatten zur Folge,
dass die Menschen unvorbereitet harten Bedingungen ausgesetzt waren.
Teil 1
4.2
Erste Eindrücke
Der Geraer Zeugmachergeselle Christian Gottlob Züge vermittelt uns auch heute
noch einen lebendigen Eindruck über die Enttäuschung, die sich unter den
Kolonisten bei der Ankunft in den Siedlungsgebieten breit machte.
Erste Eindrucke
In seinem Buch "Der russische Colonist" lesen wir:
"Unser Führer rief halt! Worüber wir uns sehr wunderten, weil es zum
Nachtlager noch zu früh war; unsere Verwunderung gieng aber bald in
Staunen und Schrecken über, als man uns sagte, daß wir hier am Ziel
unserer Reise wären. Erschrocken blickten wir einander an, uns hier in
einer Wildniß zu sehen, welche, so weit das Auge reichte, außer einem
kleinen Walde, nichts als fast drei Schuh [entspricht etw a einem Meter]
hohes Gras zeigte. Keins von uns machte Anstalt von seinem Roße
oder Wagen herabzusteigen, und als das erste allgemeine Schrecken
sich ein wenig verloren hatte, las man auf allen Gesichtern den
Wunsch, wieder umlenken zu können ... Das ist a lso das Paradies, das
uns die russischen Werber in Lübeck verhießen, sagte einer meiner
Leidensgefährten mit einer traurigen Miene! ... Es war freilich eine
Thorheit von uns gewesen, daß wir uns in Russlands unbewohnten
Gegenden einen Garten Eden dachten; die Täuschung war aber
dagegen auch allzu groß, dafür eine Steppe zu finden, die auch nicht
einmal den mäßigsten Forderungen entsprach. Wir bemerkten in dieser
unwirthbaren Gegend nicht die geringsten Anstalt zu unserer
Aufnahme, sahen auch im Verlauf mehrerer Tage keine machen, und
doch schien, bei dem nicht mehr fernen Winter Eile nöthig zu sein."
Zemljanka
Auch wenn die Siedler, wie Züge bemerkt, nach einer näheren Untersuchung der
Umgebung feststellten, dass sie anscheinend doch nicht ganz so unfruchtbar zu
sein schien wie anfänglich befürchtet, so fanden sie dennoch nicht die ihnen
versprochenen Bedingungen vor. Das für den Bau der Häuser lag nicht in
ausreichender Menge vor und der Bau der Häuser verzögerte sich. Einige
Kolonisten mussten deshalb mehrere Monate in Erdhütten (semljanki) Schutz vor
den Unbilden der Witterung suchen.
Die russische Regierung war augenscheinlich durch die hohe Zahl der Kolonisten
mit der Organisation der Ansiedlung überfordert..
Teil 1
4.3
Charakterisierung der Kolonisten
Christian Gottlob Züge beschreibt in seinem Buch "Der russische Colonist ..."
auch die Menschen, mit denen er von Lübeck aus die Reise in die
Siedlungsgebiete an der Wolga unternahm. Sein Urteil, aber nicht nur seines, ist
wenig schmeichelhaft. Man sollte dabei aber immer bedenken, dass sich Züge als
"ehrbarer Handwerksgeselle" berechtigt fühlte, mit einer gewissen Arroganz bzw.
mit Standesdünkel auf seine Reisegenossen herabzublicken. Er war hier ganz und
gar "ein Kind seiner Zeit".
"Auswürflinge, die in fernen, unwirthbaren Gegenden ein Unterkommen
suchten, weil das Vaterland sie ausgespien hatte, oder ihnen zumindest
ein solches Schicksal drohte ... Sittenlose Menschen, die sich in jeder
Lage wohl befinden, sobald sie nur ihren groben Lüsten ungestört
frönen können, bildeten eine zweyte, nicht weniger mißfällige Classe.
Zur dritten, der kleinsten von allen, formten sich einige Unglückliche,
welche der Druck widriger Schicksale oder die Verfolgung ihrer
Mitbürger aus dem Vaterlande jagten ... Die vierte un d zahlreichste
Classe war zusammengesetzt aus Abentheurern, Leichtsinnigen, die zu
jedem gewagten Unternehmen bereit sind ..., oder Unerfahrenen, welche
listigen Ueberredungen Gehör gegeben hatten, und an den goldenen
Bergen, die man ihnen versprach, nicht im geringsten zweifelten."
Die Meinung, die der russische Dichter Alexander Puschkin von den deutschen
Kolonisten hatte, war ebenfalls wenig schmeichelhaft. Für ihn waren es
"Landstreicher und Taugenichtse", die sich dem Führer des Bauernaufstandes
Jemeljan Pugatschow angeschlossen hätten. Ihre Zahl dürfte allerdings gering
gewesen sein.
Peter Simon Pallas dagegen schätzte die Kolonisten als zumeist "gute
Ackersleute". Weniger optimistisch liest sich dagegen der Reisebericht von J. P.
B. Weber..
Teil 1
4.3.1
Reisebericht von J. P. B. Weber
In seinem 1787 erschienen Buch "Die Russen oder Versuch einer
Reisebeschreibung nach Russland und durch das russische Reich in Europa"
zeigt Weber, mit welchen Versprechungen Menschen zur Auswanderung bewegt
wurden und welche Schwierigkeiten die Ankommenden erwarteten. Dies und seine
Beschreibung von der Ankunft eines Kolonistenzuges vermittelt eine Ahnung
davon, was für Menschen sich damals auf den Weg gemacht hatten. Man hat nicht
den Eindruck, dass es sich hier um "Abenteurer" oder "Leichtsinnige" (Ch. G.
Züge) handelte, sondern um Menschen, die sich mit ihrer Familie und den wenigen
Habseligkeiten in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft ausgezogen und, am Ziel
ihrer Reise angekommen, der örtlichen Obrigkeit und den Unbilden des fremden
Landes ausgeliefert waren.
"Um diese Gegend zu bevölkern, und zur Cultur zu bringen, glaubte die
Regierung genug zu thun, wenn sie Menschen d ahin lockte. Sie sandte
daher nach allen Gegenden Colonisten-Werber, welche zu Folge der
diesfälligen Ukase und ihrer Instruktionen den Colonisten die
vortheilhaftesten Versprechungen machten. Jeder Colonist sollte ein
Haus, eine Kuh, einen verhältnismäßigen Grund zur Beurbarung, und
das nöthige Ackergerät erhalten. Den Handwerksleuten ward der (sic!)
abgängige Werkzeug, das Materiale für den ersten Verarbeitungs Bedarf, und überdieß noch eine jährliche Besoldung versprochen,
welche nach dem Grade des Bedürfnißes ihres Gewerbes, für jene des
ersten Bedürfnißes zum Beispiel für Zimmerleute, Maurer, Tischler auf
600 Rubel bestimmt, und nach dem größeren oder geringeren Grade des
Bedürfnißes bis auf 100 Rubel abgestuft war. Zur Bestreitung dieser,
und der sonstigen Gouvernements-Auslagen an Beamten-Besoldung,
Bauführungen etc. etc. erhielt der Gouverneur jährlich 18 Millionen
Rubel.
Allein die Sache gewann eine ganz andere Gestalt ... Es wurden ... alle
aus Frankreich, Italien, hauptsächlich aber aus allen Gegen den und
Provinzen Deutschlands zuströmenden Colonisten, bis auf einige
wenige, welche in Cherson bei ihren Landsleuten Unterkunft und
Unterstützung fanden, nach dem Caucasus instradirt, da ... wurden die
meisten vom Hunger, Witterung und Elend consumirt un d giengen zu
Grunde. Während meines Aufenthaltes zu Cherson sah ich einen
Colonisten Transport von ein Paar Hundert Mann aus Deutschland
ankommen, sie waren alle zu Fuße und für Cherson bestimmt. Einige
hatten ihre Weiber und Kinder bey sich, und nur wenig e trugen etwas
Habseligkeiten in einem Bündelchen unter dem Arme. Sie wurden vor
dem Policey-Hause aufgestellt, nach der Liste, die der Conducteur mit
sich brachte, mit ihrem Namen verlesen, wobey sie 2 bis 4 Rubel auf die
Hand erhielten, und hierauf entlassen, da sie dann, der eine dorthin,
der andere dahin verliefen. Daß bey solchen Anstalten das
Coloniewesen nicht zum besten bestellt seyn könne, erhellet von
Selbst."
Teil 1
4.4
Siedlungsgebiete
Wanderwege und Wanderziele
Kolonie Belowesh (1765)
St. Petersburg (1765)
Riebendorf (1765)
Jamburg (1767)
Kolonie Berislaw (1782/1804)
Josefstal (1784)
Alt-Danzig (1786)
Kolonie Chortiza (1789)
Kolonie Halbstadt (1804)
Krim (1804/1810)
Kolonie Odessa (1804/24)
Kolonie Prischib (1804/27)
Kolonie Beresan (1809)
Wolhynien (1816/31/61)
Südkaukasus (1817)
Kolonie Mariupol (1823/42)
Bessarabien (1841/42)
Kolonie Samara (1854/59)
Wolgagebiet (1764/67)
Den in Petersburg eintreffenden Siedlern wurden von zuständigen Beamten
detaillierte Beschreibungen "aller unbewohnten Ländereien" übergeben.
Gleichzeitig erfassten die Beamten alle mitgeführten Mittel und Güter.
Als Siedlungsgebiete wurden vor allem das Steppengebiet an der Wolga, das zwar
erobert, aber nie völlig befriedet werden konnte, ausgewiesen. Die Ansiedlung der
Kolonisten in diesem Gebiet hatte also auch wehrstrategische Bedeutung. Die
Siedlungsgebiete erhielten im Zuge der Verwaltungsreform die Namen der
Gouvernements Samara und Saratow.
Zwischen 1765 und 1770 wurden hier 104 Kolonien gegründet. Die erste
Gründerkolonie von 1764 erhielt den Namen Katharinenstadt (russ. Baronsk,
später Marxstadt). Im Jahre 1772 zählte die von evangelischen Siedlern
gegründete Kolonie bereits 283 Einwohner. In der im gleichen Jahr auf der so
genannten Bergseite gegründeten evangelische Kolonie Galka waren es 240
Einwohner. Die 1765 gegründete evangelische Kolonie Balzer zählte 459
Einwohner; die katholische Kolonie Mariental wurde 1766 gegründet und zählte
400 Einwohner. Die evangelische Kolonie Warenburg, 1767 gegründet, hatte im
Jahre 1772 schon 592 Einwohner.
Teil 1
5
Anfang und Aufbau
Nachdem die lange und strapaziöse Reise überstanden war, sahen sich die
Kolonisten mit einer ganzen Reihe von Schwierigkeiten konfrontiert.
Das Klima entsprach in keiner Weise den Versprechungen der Werber. Es
war im Vergleich zu den gewohnten, heimatlichen Wetterbedingungen
extrem unterschiedlich.
Der Boden war zum Teil salzhaltig und sandig. Wasser war oftmals knapp.
Boden und Klima waren mit den bisherigen Erfahrungen nicht zu meistern.
Konflikte mit Einheimischen und nomadisierenden Stämmen forderten
immer wieder Opfer.
Auseinandersetzungen mit den Direktoren um den Status als Kronskolonien.
Aufbau einer Selbstverwaltung.
Trotz aller Schwierigkeiten konnten bald Fortschritte beim Aufbau der Kolonien
erreicht werden. Dazu auch der Bericht Peter Simon Pallas.
Teil 1
5.1
Boden und Klima
Viele Menschen wurden mit der Versicherung zur Ausreise bewegt, dass
"Mäßigkeit der Luft und Fruchtbarkeit des Erdreichs" in den Siedlungsgebieten
wie am Oberrhein seien. In "ein Land wie Italien" glaubte man zu ziehen.
Im Wolgagebiet angekommen, mussten die Kolonisten aber feststellen, dass sich
das hier herrschende Klima extrem von dem unterschied, das sie aus ihrer Heimat
kannten – von dem in Italien ganz zu schweigen.
Im Siedlungsgebiet an der Wolga fällt das Gros der Niederschläge zwischen
Oktober und April. Es musste also tief und vor allem rechtzeitig gepflügt und gesät
werden, damit die Getreidesaat genügend Feuchtigkeit erhielt und nicht verdorrte.
Denn die im März und April auftretenden starken bis stürmischen Winde
trockneten den Boden aus. Die Kolonisten mussten in dieser Jahreszeit aber auch
immer noch mit Spätfrösten rechnen, die die Ernte ebenfalls gefährden konnten.
Im Winter tobten Schneestürme, die einerseits zu Verwehungen führten,
andererseits aber immer wieder die Schneedecke auf den Feldern aufrissen. In
zwischenzeitlichen Tauwetterperioden schmolz der Schnee. Der folgende Frost
verwandelte die Felder dann in Eisflächen.
Neben Frost und Dürre konnten Hagelschauer und Mäuse zu einem erheblichen
Ernteausfall führen. Um gegen unvorhersehbare Ernteausfälle gewappnet zu sein,
wurden Getreidespeicher angelegt.
Die Bodenqualität im Siedlungsgebiet, das aus einer Berg- und einer Wiesenseite
bestand, ließ neben dem Anbau von Weizen den von Gerste, Wassermelonen,
Kartoffeln, Lein und Sonnenblumen zu. Aber auch die Färberpflanze Waid gedieh
hier.
Teil 1
5.1.1
Berg- und Wiesenseite
Es ist ein bei den meisten Flüssen im europäischen Teil Russlands zu
beobachtendes Phänomen, dass die linke (östliche) Uferseite flach, die rechte
(westliche) dagegen ein Steilufer ist.
In dem von den Kolonisten besiedelten Gebiet wurde das linke Wolgaufer als
"Wiesenseite" bezeichnet. Das rechte Ufer dagegen war die so genannte
"Bergseite".
Bergseite
Die "Wiesenseite" weist in unmittelbarer Flussnähe einen sumpfigen
Überschwemmungsstreifen auf. Die Wiesen des Überschwemmungsgebietes, mit
üppiger Flora und Fauna, wurden von den Wolgadeutschen zur Heugewinnung
und als Viehweide genutzt. Der sich anschließende Steppenboden eignete sich
nach seiner Urbarmachung besonders für den Getreideanbau (Weizen).
Bei der "Bergseite" handelt es sich um eine Hochebene, die steil zum Ufer abfällt
und von zahlreichen Flusstälern durchschnitten wird.
Während den Kolonisten auf der "Wiesenseite" genügend Land für die
Erschließung und weitere Besiedlungen zur Verfügung stand, war dies auf der
"Bergseite" nicht möglich. Hier lebten im angrenzenden Gebiet russische Bauern..
Teil 1
5.2
Konflikte mit Einheimischen
Angst und Warnungen vor Überfällen durch nomadisierende Stämme aus dem
asiatischen Raum waren nicht unbegründet. Die Kolonisten zogen es vor, sich
stets bewaffnet und in Gruppen von fünf bis zehn Mann vom Dorf zu entfernen.
Überfall
Es wurden nicht nur Einzelpersonen verwundet oder getötet, sondern ganze
Dörfer angegriffen und zerstört. 1772 wurde zum Beispiel die 1766 gegründete
Kolonie Cäsarfeld von Kasachen überfallen und zerstört. 1774 erging es dem von
katholischen Bauern gegründeten Dorf Chaisol nicht besser. Insgesamt
verschleppten Kasachen (auch als Kajsachen bekannt) allein 1774 aus sieben
Kolonien 1.573 Siedler, von denen nur etwa die Hälfte wieder freigekauft werden
konnte. Die anderen waren tot oder wurden als Sklaven verkauft. Noch zwanzig
Jahre später trafen bei den betroffenen Familien Nachrichten von den
Verschleppten ein, in denen diese um ihre Befreiung baten.
1776 wurde die Kolonie Mariental überfallen, ihre Bewohner gefangen genommen
und in die Sklaverei verkauft. Ein Aufgebot von rund 150 Männern aus dem
benachbarten Katharinenstadt, das dem bedrohten Dorf unter Führung des
evangelischen Pastors Wernborner zur Hilfe eilte, wurde überwältigt.
Der Überlieferung nach verriet der Ton der Kirchenglocke, die die Gläubigen zum
Gottesdienst rief, den Kasachen die Lage des Dorfes. Der anschließende Überfall
lebt in der Geschichte "Schön Ammi von Mariental und der Kirgisen-Michel. Ein
Wolga-Steppenbild aus dem 18. Jahrhundert" fort..
Teil 1
5.3
Selbstverwaltung
Die Kolonisten erhielten 1769 auf lokaler Ebene das Recht auf Selbstverwaltung.
Sie durften alle drei Jahre einen Dorfschulzen und seine Beisitzer wählen. Auf
Bezirksebene - drei bis fünfzehn Dörfer zusammengefasst - wurde ein Oberschulze
gewählt. Die Gewählten mussten allerdings von der Tutelkanzlei bestätigt werden.
Zu Schulzen und Beisitzern sollten nur "nüchterne und unverdächtige" Männer
mittleren Alters mit einfacher Stimmenmehrheit gewählt werden, die sich als
tüchtige Landwirte erwiesen hatten.
Die Befugnisse der Schulzen waren relativ weitreichend. Sie konnten
unordentliche und faule Siedler ermahnen und mit Geldstrafen belegen. Wenn es
ihnen notwendig erschien, vermochten sie die Betreffenden aber auch mit
Gemeindearbeiten zu beauftragen oder sogar bei "Wasser und Brot" zu arretieren.
Brachten diese Strafen nicht den gewünschten Effekt, so war der Dorfschulze im
Einverständnis mit den angesehensten Kolonisten sogar berechtigt, Körperstrafen
zu verhängen (bis zu 30 Peitschenhiebe).
Bei Verstößen gegen kirchliche Gesetze konnten Geldstrafen verhängt werden,
wobei diese in die Kirchenkasse eingezahlt werden mussten.
Das so genannte Kolonialstatut fasste 1857 die einzelnen Bestimmungen zur
Selbstverwaltung zusammen. Danach hatten die Schulzen und ihre Beisitzer
neben den bereits erwähnten Aufgaben darauf zu achten, dass

sich alle arbeitsfähigen Kolonisten ständig in der Landwirtschaft "üben"
und "fleißig mit ihrer Wirtschaft beschäftigen",

niemand "in seinem Haus liederliche(n) Manns- und Weibspersonen eine
Zuflucht" gab,

die Siedler die Dreifelderwirtschaft praktizierten und sich außerdem mit der
Sechs- und Siebenfelderwirtschaft beschäftigten,

jeder genügend Vorräte für den Eigenbedarf und die neue Saat anlegte, die
Geräte in Ordnung hielt, in aller Frühe auf die Felder fuhr, tief genug
pflügte, rechtzeitig täglich eine bestimmte Fläche mit Sommer- und
Wintergetreide bestellte, während der Erntezeit bei gutem Wetter drosch
und das Korn sorgfältig lagerte,

das Vieh im Winter gut untergebracht wurde und die Frauen regelmäßig
Butter herstellten und Geflügel hielten,

von allen genügend Heu eingefahren wurde. War dies bei einem Siedler
nicht der Fall, so durfte der Betreffende das Feld so lange nicht verlassen,
bis eine ausreichende Menge Heu vorhanden war,

alle Häuser, Wirtschaftsgebäude und Zäune in einem guten Zustand waren.
So sollten die Schulzen darauf achten, dass alle Dorfbewohner "ein nüchternes,
ruhiges und arbeitsames Leben führten, wie es ihrem Stand zukommt." Sowohl
diejenigen, die diese Normen erfüllten, als auch Personen, die dagegen verstießen,
sollten in einer Liste erfasst werden. Den Letztgenannten drohte nach mehrmaliger
Ermahnung der Verlust ihres Landes. Es sollte "guten und fleißigen Familien"
zufallen, bei denen sie dann als Knechte zu arbeiten hätten. Eine Aufforderung zur
Denunziation, von der aber, so weit bekannt, kein Gebrauch gemacht wurde.
Unter einem "nüchternen, ruhigen und arbeitsamen Leben" wurde auch der
Verzicht auf jedwede "Ausschweifung" verstanden. Die Schulzen sollten darauf
achten, dass bei Kindstaufen oder Hochzeiten keine übertrieben üppigen
Ausgaben getätigt werden.
Bei wiederholten Verstößen waren diese Personen zusammen mit einem Bericht
an die Obrigkeit zu überstellen. Ihnen drohten Haftstrafen.
Teil 1
5.4
Fortschritte
Aus einer Erhebung aus dem Jahr 1769 ergibt sich, dass zu dieser Zeit 104
Kolonien (siehe Liste der Wolgakolonien ) beiderseits der Wolga existierten, auf
der Bergseite waren es 45 und auf der Wiesenseite 59. Die strikte Trennung der
beiden großen Konfessionen führte dazu, dass sich in 43 Kolonien die Siedler der
Katholischen und in 64 der Protestantischen Kirche angehörten. In ihnen lebten
6.433 Familien bzw. 12.145 männliche und 10.964 weibliche Personen. Sie wohnten
in 4.560 Gebäuden. An Vieh wurde gezählt:
13.842 Pferde
11.552 Kühe und Kälber
704 Ochsen
1.019 Schweine.
Eine bei der Erhebung durchgeführte Umfrage belegt, dass sich 579 der 6.433
Familien als für die Landwirtschaft ungeeignet einschätzten.
Über die weitere wirtschaftliche Entwicklung gibt der deutsche Gelehrte Peter
Simon Pallas in dem 1773 erschienen Buch "Reise durch die verschiedenen
Provinzen des Russischen Reiches" Auskunft.
45 der Mutterkolonien lagen auf der Berg- und 59 auf der Wiesenseite. Bei ihrer
Gründung erhielten die Orte ihre Namen zunächst nach den ersten Vorstehern
oder den Werbern bzw. Direktoren. Erst 1768 wurden amtliche russische
Ortsbezeichnungen eingeführt, die zum Teil von Flüssen, Bächen, Gräben und
Tälern abgeleitet wurden. Diese fanden sehr lange Zeit keinen Eingang in das
Alltagsleben des Kolonisten, die die ursprünglichen Namen weiter benutzten. Für
einige Orte gab es sogar zwei oder drei verschiedene Bezeichnungen.
Schweizerische Ortsnamen – z. B. Basel, Schaffhausen, Solothurn, Zürich oder
Zug – sind nicht auf die Ansiedlung von Kolonisten aus der heutigen Schweiz
zurückzuführen. Diese Namen gab ihnen der Werber Ferdinand de Canneau de
Beauregard.
Teil 1
5.4.1
Liste der Wolgakolonien
Die in der Liste aufgeführten Orte Cäsarsfeld und Chasselois wurden 1774 durch
Kirgisen bzw. kasachische Stämme völlig zerstört und aufgegeben. Im gleichen
Jahr wurden auch Keller und Leitzinger überfallen und zerstört. Die
zurückgebliebenen Bewohner der beiden zuletzt genannten Kolonien gründeten
später zusammen eine neue (Neukolonie, Kustarnaja Krasnorynowka).
In den folgenden Jahrzehnten wuchs die Zahl durch die Gründung von
Tochterkolonien.
I. Bergseite
Gründungsname
amtlicher Name
Gründungs
jahr
Anton
Sewastjanowka
1764
Bähr
Kamenka
1765
Balzer
Goloi Karamysch
1765
Bauer
Karamyschewka
1766
Baum
Jagodnaja Poljana
1767
Beideck (auch Baideck)
Talowka
1764
Brehning
Popowka
1767
Degott (auch Deegott)
Kammeny Owrag
1766
Dietel (auch Dittel)
Oleschna
1767
Dobrinka
Nischnaja-Dobrinka
1766
Dönnhof
Gololobowka
1766
Dreispitz
Werchnaja-Dobrinka
1766
Frank
Medwedizkoi
Krestowoi-Bujerak
1767
Franzosen
Rossoschi
1765
Galka (auch Meierhöfer)
Ust-Kulalinka
1764
Göbel
Ust-Grjasnucha
1767
Grimm
Lesnoi-Karamysch
1767
Hildmann
Panowka
1767
Holstein
Werchnaja Kulalinka
1765
Huck
Splawnucha
1767
Husaren
Jelschanka
1767
Hussenbach
Linewo Osero
1767
Kauz
Werschinka
1767
Köhler
Karaulny-Bujerak
1767
Kolb
Peskowatka
1767
Kraft
WerchnajaGrjasnucha
1767
Kratzke
Potschinnaja
1766
Leichtling
Ilawla
1767
Merkel
Makarowka
1766
Messer
Ust-Solicha
1766
Moor
Klutschi
1766
Müller
Krestowoi-Bujerak
1767
Pfeifer
Gniluschka
1767
Rothammel
Pamjatnoje
1767
Röthling ?
Semenowka ?
Sarepta
1767
1765
Schilling
Sosnowka
1764
Schuck
Grjasnowatka
1766
Schwab
Bujdakow-Bujerak
1767
Sewald
Werchowje
1767
Stephan
Wodjänoi-Bujerak
1767
Stricker?
Tscherbakowka
1765
Volmar (auch Vollmer)
Kopenka
1767
Walter
Gretschinnaja-Luka
1767
Weigand
Norka
1767
II. Wiesenseite
Bangert
Saumorje
1767
Beauregard (auch Borgard)
Bujerak
1766
Beckerdorf (auch Ernestinendorf, Ernestinenfeld)
Bettinger
1767
Baratajewka
1767
Biberstein (auch Glarus)
1767
Bohn (auch Hockerberg)
1767
Boisroux (auch Boaro)
Bordowskoje
1767
Brabanter (auch Audincourt)
Kasizkaja
1767
Cäsarsfeld (1774 von Kirgisen zerstört)
1767
Chasselois (auch Chaisol, 1774 von Kirgisen
zerstört)
1766
Dehler (auch Deller)
Beresowka
1767
Dinkel (auch Oberholstein)
Tarlykowka
1767
Eckardt (auch Eckert oder Zürich)
Sorkino
1767
Enders
Ust-Karaman
1767
Fischer
Teljausa
1765
Gattung (auch Zug)
Marijinskoje
1767
Graf
Krutojarowka
1766
Herzog (auch Susly)
Hölzel (auch Neuendorf)
1766
Kotschetnoje
Hummel (auch Brockhausen)
Jost (auch Obernberg)
1767
Popowkina
Kaneau (auch Kano)
Keller (von Kirgisen 1774 zerstört)
1767
1767
1767
Krasnorynowka
1767
Kind
Baskakowka
1767
Krasnojar (auch Walter)
Krasnojarowka
1767
Kratz (auch Basel)
Wassiljewska
1767
Kukkus (auch Neubrabant)
Wolskoje
1767
Laub (auch Weidenfeld)
Tarlyk
1767
Lauwe (auch Laube)
Jablonowka
1767
Leitsinger (1774 von Kirgisen zerstört)
Kustarewa
1767
Louis
Ostrogowka
1766
Marxstadt (auch Baronsk, Katharinenstadt)
1767
Meinhard (auch Unterwalden)
Podijesnoje
1767
Näb
Resanowka
1767
Nieder-Monjou
Bobrowka
1767
Ober-Monjou
Kriwowka
1767
Orlowskaja
1767
Paulskoje
1767
Pfannenstiel (auch Mariental)
Tonkoschurowka
Philppsfeld
1766
1767
Preuß (auch Choisi le Roy)
Krasnopolje
1767
Reinhard
Ossinowka
1766
Reinwald
Stariza
1767
Remmler (auch Römler, Luzern)
Michailowka
1767
Rohleder (auch Rohlender)
Raskaty
1766
Rosenheim
Podstepnoje
1765
Schäfer
Lipnowka
1766
Schaffhausen
Wolkowo
1767
Schönchen
Paninskoje
1767
Schulz
Lugowaja Grjasnucha
1766
Schwed
Sworanewka
1765
Seelmann (auch Krezenach)
Rownoje
1767
Stahl (am Karaman, auch Schwed)
Swonarewkut
1766
Stahl (am Tarlyk)
Stepnoje
1767
Straub (auch Wiesental)
Skatowka
1767
Urbach
Lipow-kut
1767
Warenburg
Priwalnoje
1767
Winkelmann (auch Susannental)
Wittmann (auch Solothurn)
1767
Solotoje
1767
Teil 1
5.4.1.1
Tochterkolonien
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam es zur Gründung neuer Siedlungen,
die zunächst in der Nähe der zuerst angelegten Siedlungen - der Mutterkolonien entstanden. Ursache war die Landknappheit in den einzelnen Gemeinden.
Die Landknappheit führte zu einer Binnenwanderung in weiter östlich gelegene
Gebiete Russlands. Über das Dongebiet und den Nordkaukasus wurden dabei
auch Westsibirien, Kirgisien und Kasachstan erreicht.
In den Familien der Kolonisten waren sechs, acht und mehr Kinder keine
Seltenheit. Die Kinder brachten zwar ihre Arbeitskraft in die Entwicklung der
elterlichen Höfe ein. Aber der Kinderreichtum führte auch dazu, dass die
bestehenden Arbeits- und Wohnverhältnisse bereits in der zweiten Generation an
ihre Grenzen stießen. Zusätzliches Bau- und Ackerland musste durch die
Gemeinden zur Verfügung gestellt werden. Da die neuen Höfe an den bisherigen
Dorfausgängen angelegt wurden, dehnten sich die Dörfer immer weiter aus, so
dass um 1800 einige bereits eine Länge von mehreren Kilometern hatten.
Die verheirateten Kinder lebten zwar zunächst noch auf dem väterlichen Hof.
Spätestens nach der Geburt von Kindern musste dann für das junge Ehepaar ein
eigenes Haus gebaut werden. Das Paar erhielt dem Mir-System folgend einen
Landanteil vom väterlichen Hof zugewiesen. Durch diese, den ursprünglichen
Bestimmungen widersprechende Praxis (Minorat) kam es zu einer immer stärkeren
Zersplitterung und Verkleinerung der den einzelnen Familien zur Verfügung
stehenden Landfläche. Die Verarmung einiger Familien war die logische
Konsequenz. In der Kolonie Gorodok entfielen laut Einwohnerliste von 1807 nur
noch 3,5-7 Desjatinen Land auf eine Person. Diese negative Entwicklung setzte
sich in allen Belowesher Dörfern fort und konnte durch die Gründung von
Tochterkolonien nur zeitweise aufgehalten werden.
Bereits in seinem Manifest vom 20. Februar 1804 hatte Zar Alexander I. deutsche
Bauernfamilien zur Ansiedlung am Schwarzen Meer aufgerufen. In Dörfern der
Belowesher Kolonie wurde nun über die Gründung einer Tochterkolonie diskutiert,
um so einen Ausweg aus dem akuten Landmangel zu finden. Den
Gemeindemitgliedern wurde nahegelegt, sich für die Gründung einer
Tochterkolonie zu entscheiden. Aber erst 1817 hatte man sich zur Wahl von
Vertrauensleuten und von Delegationsführern durchgerungen. Vertrauensleute
und Delegationsführer legten in den folgenden Jahren den Gemeinden einen
Ansiedlungsplan vor, der durch Selbstbesteuerung finanziert werden sollte. Jede
an der Gründung beteiligte Familie hatte entsprechend der Größe ihrer Wirtschaft
einen Beitrag zu leisten. Man einigte sich auf einen Kompromiss, der die
vermögenderen Bauern zu Sonderleistungen (z. B. mehr Spanndienste zur
Beschaffung von Baumaterial) verpflichtete. Erhebliche finanzielle Mittel waren für
die Erstausstattung der Tochterkolonie notwendig. Neben landwirtschaftlichen
Geräten wie Wagen, Pflug, Egge mussten Vieh, Brot- und Saatgetreide sowie
Futtermittel gekauft werden. Nach Klärung dieser Fragen konnten genauere
Erkundungen über das zu besiedelnde Land eingezogen werden. Die im
Schwarzmeergebiet gesammelten Eindrücke schreckten zunächst aber von einer
Besiedlung ab. Es handelte sich um bisher nur als Viehweide genutztes
Steppenland. Auch die Bedingungen, unter denen dort die ersten Siedler
(Mennoniten) lebten, luden nicht ein.
Es wurde aber ein Ablaufplan erstellt, nach dem die Ansiedlung dann auch
erfolgte:

Vorplanung in allen Bereichen

Ablauf der Ansiedlung in mehreren Etappen - als erstes
Entsendung von Bauleuten zur Errichtung der Wohnhäuser

Nach deren Fertigstellung Zuzug der ersten Familien

Sukzessiver Nachzug aller weiteren Familien

Kinderreiche und arme Familien sollten durch angeworbene
junge Männer unterstützt werden.
1823 sollten die ersten Siedler in die Tochterkolonie ziehen, 1824 die nächsten und
1825 die letzte Gruppe.
Aber erst im Mai 1831 trafen die ersten Siedler in der zu gründenden
Tochterkolonie – sie lag ca. 750 km von der Mutterkolonie entfernt – ein.
Auf die fünf zu gründenden Dörfer wurden jeweils 26 Familien verteilt. Jede
Gemeinde war mit 1.800 Desjatinen ausgestattet. Nach der Landvermessung und zuweisung an die einzelnen Familien konnte die Gründung der Tochterkolonie als
beendet betrachtet werden. Die Anlage der Tochterkolonie war der der
Mutterkolonie nachempfunden. Es handelte sich auch hier um ein typisches
Straßendorf.
Teil 1
5.5
Bericht Peter Simon Pallas
Der Forschungsreisende Peter Simon Pallas konnte 1773 auf seiner Rundreise
durch die Wolgakolonien 6.194 deutsche Kolonistenfamilien mit insgesamt 25.781
Personen (13.441 männliche und 12.340 weibliche) zählen. Im Vergleich zu der bei
der Inspektion 1769 festgestellten Bevölkerungsentwicklung bedeutete dies zwar
eine Verringerung der Anzahl der Familien, aber gleichzeitig ein nicht
unbeträchtlicher Bevölkerungszuwachs, und dies trotz der geringen
Lebenserwartung.
Spinnrad
Die Abnahme der Familienzahl ist wahrscheinlich auf die Abwanderung derjenigen
Familien zurückzuführen, die sich für die Landwirtschaft als ungeeignet erwiesen
hatten. Bereits 1769 war festgestellt worden, dass dies 569 von 6000 Familien
betraf. Die meisten dieser Familien blieben in den Dörfern und arbeiteten als
Handwerker oder Tagelöhner. Einige wanderten aber auch in die Städte ab, um
dort ein Handwerk auszuüben oder als Gelegenheitsarbeiter in einer Fabrik zu
arbeiten.
Da aber nicht nur Siedler, die als "untauglich" für die Landwirtschaft eingestuft
wurden, mit Schwierigkeiten (Klima, Boden) zu kämpfen hatten, musste die
russischen Regierung eingreifen. Sie räumte 1775 den Kolonisten weitere Kredite
ein, damit diese ihre Verluste an Saatgut, Vieh und Geräten ausgleichen konnten.
Außerdem wurden die Schulden der Kolonisten bei der Krone für weitere fünf
Jahre gestundet.
Für das Bevölkerungswachstum in den Kolonien ist die hohe Kinderzahl
verantwortlich zu machen. Familien mit bis zu zehn und mehr Kindern waren keine
Seltenheit. Peter Simon Pallas schreibt, dass in den Kolonien "ein schöner
Zuwachs an frischester Jugend" zu sehen sei.
Der Autor der "Reise durch verschiedene Provinzen des Rußischen Reichs in den
Jahren 1768-73" erwähnt auch die Vertreter der unterschiedlichen Gewerbe, die
als Kolonisten nach Russland kamen, um hier ihr Glück zu finden. Für viele von
ihnen hat sich dieser Traum nicht erfüllt. Ihr Spezialwissen war nicht gefragt, sie
mussten sich mit der Landwirtschaft "begnügen". Über die in Katharinenstadt
lebenden Handwerker berichtet Pallas:
"Man findet in keiner Kolonie mehrere und bessere Professionisten
als hier und einige fangen auch wegen der Nachbarschaft Saratow
an, etwas Nahrung zu bekommen. Ein geschickter Tischler, gute
Drechsler, einige Hutmacher, Schönfärber, Tuchmacher,
Zeugweber, der Stellmacher, Messerschmied, Schlosser und Turm Uhrenmacher verdienen hauptsächlich erwähnt zu werden. Noch
weniger fehlt es an gemeinen Handwerkern, Schneidern, Schustern,
Bäckern, Müllern, Fleischern, Böttchern usw. Auch ein paar
Bergbauer haben sich in die Städte verirrt und müssen statt der
Keilhaue den Pflug gebrauchen, um ihre Nahrung zu f ördern. Wäre
in der Nähe mehr Gelegenheit, die Handwerker zu beschäftigen, so
könnte Katharinenstadt ein nahrhafter Ort werden. Mit dem
Ackerbau will es wegen der gar zu gewöhnlichen dürren Jahre und
des daraus nun so oft erfolgten, allen Mut benehmenden
Misswachses gar nicht fort."
Teil 1
5.5.1
Peter Simon Pallas
Der am 22. September 1741 in Berlin geborene und auch dort am 8. September
1811 verstorbene Arzt und Forschungsreisende war einer der bedeutendsten
universellen Naturwissenschaftler seiner Zeit.
In Berlin als Professor für Naturgeschichte tätig, kam er auf persönlichen Wunsch
von Zarin Katharina II. 1767 nach St. Petersburg. Hier wurde er zum Adjunkten der
Russischen Akademie der Wissenschaften ernannt und mit einer fünfjährigen
Forschungsreise durch Südrussland beauftragt. Seine Eindrücke und
Erkenntnisse über das Wolga- und Schwarzmeergebiet, den Kaukasus und
Transkaukasien legte er in verschiedenen wissenschaftlichen Schriften nieder.
1777 wurde Pallas zum Mitglied der topographischen Abteilung der Akademie
berufen und 1787 zum Historiographen des Akademiekollegiums ernannt.
1793/94 unternahm Pallas eine zweite Forschungsreise durch Südrussland. Auf
dieser Reise beschäftigte er sich vor allem mit dem Klima im Schwarzmeergebiet
und auf der Krim. Als wissenschaftlicher Ertrag erschienen 1800-1801 in Leipzig
die "Bemerkungen auf einer Reise in die südlichen Statthalterschaften des
Russischen Reiches in den Jahren 1793 und 1794".
In Würdigung seiner Verdienste schenkte ihm Katharina II. ein Gut auf der Krim,
auf das sich Pallas 1796 zurückzog.
Kurz vor seinem Tod kehrte er nach Berlin zurück.
Teil 1
5.5.2
Lebenserwartung
Die Auswertung von Einwohnerlisten verschiedener Schwarzmeerkolonien aus den
Jahren 1807 und 1809 ergibt, dass die Lebenserwartung in den Kolonien relativ
gering war. Nur wenige Menschen erreichten das sechzigste Lebensjahr oder
wurden älter.
Vergleicht man das mit der Lebenserwartung in Deutschland um die Wende vom
18. zum 19. Jahrhundert, so zeigt sich, dass dort der Anteil der alten Menschen an
der Gesamtbevölkerung im Durchschnitt höher war. Die gestiegene
Lebenserwartung der Menschen wurde in Deutschland zu einem Problem. Die
vergleichsweise geringere Lebenserwartung der Kolonisten in Russland ist wohl
auf die hohen Belastungen zurückzuführen, denen die Menschen in den ersten
Jahren ausgesetzt waren. In der ersten Phase des Aufbaus waren hohe Energieund Arbeitsleistungen erforderlich, um neben dem Haus- und Stallbau auch die
Felder urbar zu machen und so die Grundlage für die weitere Sicherung des
Lebensunterhaltes zu schaffen. Das Sprichwort: "Die ersten Jahre brachten den
Tod, die nächsten Jahre noch immer Not, erst die letzten Jahre brachten uns Brot"
umreißt in etwa diesen Prozess.
Teil 1
5.5.3
Katharinenstadt
Auf der Wiesenseite war Katharinenstadt, nordöstlich von Saratow gelegen, das
einzige nennenswerte Gewerbezentrum.
Katharinenstadt
Aus einem Grundbuch von 1776 geht hervor, dass damals insgesamt 716
Menschen in dem Ort lebten, von denen 602 aus Deutschland kamen. Die anderen
stammten aus Holland, dem heutigen Belgien, Frankreich, Österreich, der
Schweiz, Dänemark, Luxemburg, dem Baltikum und aus Ungarn.
Zur Bevölkerung von Katharinenstadt zählten 29 Bauern, 2 Apotheker, 10 Bäcker,
2 Bader, 1 Bergmann, 5 Böttcher, 1 Brauer, 1 Kantor, 3 Kattunglänzer, 1 Chemiker,
4 Chirurgen, 1 Koch, 1 Destillateur, 4 Drechsler, 1 Färber, 1 Feldscher, 2 Fischer, 6
Fleischer, 3 Gärtner, 1 Glaser, 1 Goldschmied, 1 Grobschmied, 3 Hutmacher, 1
Jäger, 6 Kaufleute, 1 Kupferstecher, 5 Leinweber, 1 Lotgießer, 2 Maler, 4 Maurer, 6
Müller, 2 Musiker, 2 Ökonomen (Hausverwalter), 1 Parfümeur, 1 Perückenmacher,
2 Porzellanfabrikanten, 1 Puder- und Stärkemacher, 3 Offiziere, 1 Radmacher, 2
Sattler, 1 Seiler, 16 Schneider, 12 Schuster, 2 französische Sprachlehrer, 5
Strumpfweber, 1 Studierter, 8 Tischler, 3 Töpfer, 5 Tuchmacher, 1 Wachsbleicher,
2 Weißgerber, 1 Wollkämmerer, 4 Zeugmacher, 2 Zimmerleute, 1 Zinngießer.
Den Vertretern einiger Gewerke wird es sicherlich nicht viel anders ergangen sein
wie dem auch von Peter Simon Pallas erwähnten Bergmann. Ihre
Spezialkenntnisse dürften in den Kolonien kaum gefragt gewesen sein. Es fällt
jedenfalls schwer sich vorzustellen, dass zum Beispiel ein Perückenmacher oder
ein Porzellanfabrikant ihren Lebensunterhalt im Kolonisationsgebiet mit dem von
ihnen erlernten Beruf bestreiten konnten. Sie und andere dürften auf den im
Manifest enthaltenen Passus vertraut haben, der jedem einwanderungswilligen
Ausländer die Ansiedlung an jedem Ort innerhalb des Russischen Reiches
versprach.
Teil 1
Zeittafel - bis 1820
1549
In Wien erscheinen die Reiseberichte »Rerum moscovitarum commentarii« des
Freiherrn von Herberstein (dt. 1557 »Beschreibung Moskaus«). Das Buch, in dem
auch »deutsche Söldner« in russischen Diensten erwähnt werden, wurde zum
Standardwerk der politischen Landeskunde Russlands
1652
Gründung der »Deutschen Vorstadt« (»Nemeckaja Sloboda«) in Moskau
1703
Gründung der Stadt St. Petersburg
1727
»St. Petersburger Zeitung«, die erste deutsche Zeitung in Russland erscheint
(1916 verboten, 1991 wiedergegründet)
1763
22. Juli - Manifest der Zarin Katharina II. (1762-1796). Aufruf an Ausländer zur
Einwanderung nach Russland
1764
19. März - Kolonialkodex: Festlegung der Agrarordnung in den Kolonien
1765
Gründung der Herrnhuter Gemeinde in Sarepta/Wolga
1773
Gründung der Erzdiözese Mohilew, Residenz St. Petersburg. Zuständig für alle
Katholiken in Russland
1774-92
Russland erwirbt in zwei Türkenkriegen das gesamte Küstenland am Schwarzen
Meer zwischen Dnjestr und Kuban, einschließlich der Krim (Taurin, Neurussland)
1789
Juli - Chortiza, erste mennonitische Kolonie in Südrussland am Dnjepr gegründet.
Auch »Altkolonie« genannt. 1794 Gründung der Hafenstadt Odessa
1800
6. September - Gnadenprivileg Pauls 1. (1796-1801) zugunsten der Mennoniten
1804
20. Februar - Manifest Alexanders 1. (1801-1825). Einladung zur Ansiedlung
Deutscher im Schwarzmeergebiet
1804-1824
Gründung zahlreicher Kolonien im Schwarzmeergebiet durch Einwanderer aus
Süddeutschland und Danzig-Westpreußen
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