Stephan Hessler: Das Offshore – Bankenwesen. Auf der Suche nach einer analytischen Kategorie für die (Zum-)Winkel der internationalen Finanzmärkte. (Kurzfassung eines Beitrages zur Festschrift Menzel, erscheint im Herbst 2008 im Nomos Verlag). Nach Berechnungen der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich entfielen in Jahr 2004 mehr als ein Viertel der weltweiten Bank- Assets auf Niederlassungen in Offshore – Standorten (BIS 2005). Hedge Funds und Private Equity- Unternehmen verstecken hier ihre Kriegskassen, Investmentbanken lagern dort bilanzierungspflichtige Risiken aus. Ruandische Hutu-Milizen, steueroptimierte Handwerksbetriebe, Drogenkartelle, Vermögende, islamische Terrororganisationen, christliche Parteikassenverwalter, Kleptokraten aus der Dritten Welt wie hiesige Topmanager bedienen sich des OffshoreBankenwesens. Wo liegt Offshore? Offshore - Standorte entziehen sich nicht nur einer Steuerung und Beeinflussung durch benachbarte Nationalstaaten und durch internationale Regulierungsinstitutionen, sondern auch einer präzisen begrifflichen Eingrenzung. Der Begriff ‚offshore’ verweist lexikalisch zunächst auf einen geologischen Inhalt, auf ein Gebiet, dass sich außerhalb des Festlandsockels befindet. Wie die Auflistung der wichtigsten Standorte aber belegt, trifft das geologische Kriterium auf einen immer geringeren Teil der Offshore- Standorte zu. Offshore- Finanz- und Handelsplätze gibt es seit Jahrhunderten. Die Mehrzahl dieser Handelsplätze hat eine koloniale oder pseudokoloniale Vergangenheit. Meist auf einer dem Festland vorgelagerten, kleinen Insel angesiedelt, agieren sie außerhalb des auf dem zugehörigen Mutterland geltenden oder angewandten rechtlichen Rahmens. Zu den bekanntesten und zugleich bedeutendsten Offshore –Standorten zählen die britischen Kanalinseln, etwa Guernsey, Jersey, Alderney und Sark, sowie einige karibische Eilande wie die Cayman Inseln, Antigua oder die Bahamas und die Britisch Virgin Islands, unter Finanzjongleuren kurz „the BVIs“ genannt. Soweit sie überhaupt einem internationalen Berichtsystem zugänglich sind, schlägt sich die Existenz von Offshore - Finanzmärkten statistisch in einem hohen Anteil registrierter Unternehmen pro Einwohner nieder (UNCTAD 1999), die freilich oft nur über eine Repräsentanz oder ein Postfach verfügen. Eine ebenso interessante wie kuriose statistische Annäherung an die Klassifikation von Offshore -Standorten bietet ein Blick in 1 die ländervergleichende Ausstattung von Haushalten mit Kommunikationsgeräten in den Statistiken der UNESCO: Dort sticht eine kleine Gruppe von Ländern heraus: durch die signifikant höhere Anzahl der Faxgeräte pro Einwohner. Weniger typisch sind in dieser Hinsicht einige romanische Kleinstaaten, die den historischen Prozess der Bildung großer Nationalstaaten und meist auch den Übergang zu republikanischen Verfassungen ‚unbeschadet’ überstanden haben, etwa die Fürstentümer Luxemburg, Andorra, Monaco oder Liechtenstein. Sie werden vielfach als geduldete Überbleibsel der feudalen Epoche belächelt. Dieses Lächeln wird von Finanzbehörden nicht geteilt, denn hinter der musealen Fassade verbergen sich aus ihrer Sicht fiskalische Abgründe. Dass sich die Steuerpolitik dieser Zwerg- und Kleinstaaten von denen großer Nachbarländer signifikant unterscheidet, hat nicht nur historische Ursachen sondern auch gute finanzmathematische Gründe: Die Zahl der Einwohner reicht nicht aus, um einen funktionierenden Staatsapparat durch Einkommensteuern finanzieren, was den Verzicht auf diese nahe legte. Auch außerhalb Europas und der OECD-Welt haben sich einige Standorte de jure oder de facto auf Steuerdumping spezialisiert. Zu den bekanntesten Vertretern dieser Gattung zählen Hongkong, das lange Zeit als Transitgebiet in der Systemkonkurrenz zwischen Taiwan und der Volksrepublik China fungierte, aber auch Singapur, Panama oder die pazifischen Eilande von Vanuatu, auf denen noch bis in die 1960er Jahre Fälle von Kannibalismus dokumentiert sind. In einschlägigen Ratgebern (Milroy 1999, Diamond 1998) zur (Vermeidung der) Unternehmensbesteuerung und in einer seit 1999 erstellten Negativliste zur Abwicklungssicherheit von Bankgeschäften der OECD (FATF 2000) finden sich insgesamt mehrere Dutzend Dependancen. Giegold (2003) zählt auf der Basis von neun offiziellen Studien sogar 86 Offshore – Territorien. Schätzungen beziffern die Vermögen auf Offshore – Konten auf etwa 9,4 Bio. US-$. Über 100.000 Firmen sind offshore registriert. Rechnet man die in der Schweiz geparkten Vermögenswerte heraus, dann bleibt immerhin noch eine Summe von rund 7.500 Mrd. US-Dollar an Offshore – Vermögen (CSFB: 2000; IMF 2000, Tax Justice Network 2006). Eine weitere, geographisch fassbare Kategorie bilden die zumeist in den 1980er Jahren konstituierten Sonderwirtschaftszonen, die Investoren die Möglichkeit einer OnshoreNiederlassung bieten, die zu Offshore- Regularien geführt werden kann. Dies führte zunächst zu einem Boom der Holding – Gesellschaften. In einem zweiten Schritt wurden 2 Unternehmensniederlassungen unter dem Rechtsform der PLC gegründet, um steuerintensive oder hochgradig risikoträchtige Finanzdienstleistungen, die auf strukturierten Finanzprodukten basieren, aus dem nationalstaatlichen Bilanzierungskorsett auszugliedern. Die Dubliner Docks zählen zu den erfolgreichsten Standorten. Weitere dauerhafte Gründungen überziehen die Autonomieregionen Europas, insbesondere in Spanien und Belgien. Definitionen Unter dem Begriff des „Offshore- business“ subsummiert Andrew Edwards (1998) drei Formen extraterritorialer Finanztransaktionen sowie die dort gebuchten Bestände, die geographisch und strukturell unterschiedlich gefasst sind. Unter Offshore- business versteht er: 1. solche Geschäfte, die direkt an relativ gleichartigen, kleinen Handelsplätzen außerhalb des „Mutterlandes“ abgewickelt werden. 2. Geschäfte in oder mit dem Mutterland zugehörigen Enklaven, die nicht geographisch, sondern strukturell vom Mutterland getrennt sind. Diese zweite Gruppe umfasst alle Formen von Sonderwirtschaftszonen, von staatlich subventionierten Produktions- und Exportzentren oder Regionen mit steuerlicher Sonderbehandlung, die überwiegend von Nichtgebietsansässigen in Anspruch genommen werden; Dazu sind etwa die Dubliner Docks, das österreichische Kleinwalsertal und nun auch die ehemalige Kronkolonie Hongkong zuzurechnen. 3. Finanzzentren, die unabhängig von ihrem Standort große Volumina nicht gebietsansässiger Geschäftspartner abwickeln oder deren Vermögen verwalten. Dies trifft zum Beispiel auf die Mehrzahl der in London getätigten Eurobondgeschäfte zu und ließe sich ohne bedenken auch auf die asiatischen Stadtstaaten Hongkong und Singapur ausweiten (Edwards 1998). Diese umfassende Definition nach Edwards schließt also geographische, rechtliche, funktionale und nichtlokale Finanzplätze ein. Ähnlich weit wird der Begriff „offshore business“ bei Julian Walmsley (1996) ausgelegt. Er sei zwar im populären Verständnis auf Steueroasen in territorialen Kleinstaaten, Enklaven und Inseln bezogen, umfasse aber 3 die gesamte Bandbreite von Finanztransaktionen, die nicht im Zusammenhang mit dem Standort der jeweiligen Abwicklungsinstitution stehen. Werden also in London überwiegend Devisengeschäfte zwischen nichtbritischen Geschäftspartnern und Währungen vermittelt, dann rechnet Walmsley solche Transaktionen ebenso dem Offshore business zu. Eine rein geographische „Offshore“- Definition sein schon deshalb irreführend, weil die meisten Geschäfte in Steueroasen von Geschäftspartnern betrieben würden, die „onshore“ residierten. Auch Hudson, dessen Beitrag in RIPE (1998) den postmodernen Aspekt nicht ortsgebundener Wirtschaftstätigkeit und deren Regulierungspraxis aus einer sozialkonstruktivistischen Perspektive der kritischen Geographie behandelt, verweist auf den dynamischen Charakter des Offshore- Begriffes. Er thematisiert die Neu-Entwicklung von Offshore- Zentren als einen Prozess der Entgrenzung, der mittlerweile die traditionelle territoriale Abgrenzung von Hoheitsgebieten und Staaten transzendiere. Bisher separate territoriale Einheiten (Inseln, Kleinstaaten) hätten sich zu einem Patchwork struktureller und geographischer Sonderzonen- und Geschäftsfelder ausgeweitet. Der flächendeckend kontrollierende und homogen strukturierte Nationalstaat werde von „regulatory landscapes“ verdrängt. Liechtenstein Liechtenstein, noch vor dem zweiten Weltkrieg das Armenhaus der Schweiz, hat sich durch ein zum Teil kurioses Gesellschaftsrecht den Status eines Offshore – Finanzplatzes beschert. Auf jeden der 25.000 Einwohner des Fürstentums kommen heute mehr als drei Gesellschaften Liechtensteinischen Rechts. Davon sind etwa die Hälfte (37.000) Stiftungen. Es folgen 21.700 Anstalten, des weiteren Trusts, Gesellschaften ohne Persönlichkeit, Treuunternehmen und schließlich 1.800 „normale“ Personengesellschaften. Selbst die im internationalen Vergleich recht hohen Abwicklungskosten und Gebührensätze scheinen die diskrete ausländische Klientel nicht abzuschrecken. 120 Treuhandbüros teilen sich den Markt. Sie vertreten als juristische Personen Liechtensteiner Rechts die Geschäfte ihrer nichtresidenten Auftraggeber (Bolla 2003). Die diskreten Regularien der Stiftungen sind eine Einladung zu Steuerbetrug und Geldwäsche: Liechtenstein berechnet nur eine symbolische Kapitalsteuer von 0,1%, die zudem ab einer Höhe von 2 Mio. SFR degressiv abfällt (Sele 1995). 4 Liechtenstein gewährt in der Regel keine Rechtshilfe an das Ausland. Im Gegenteil: Die Verletzung von Bank- und Treuhandgeheimnissen durch Bankangestellte, die mit fremden Ermittlungsbehörden kooperieren, steht unter Strafe. Über private Detekteien und Ermittler werden selbst Informanten internationaler Ermittlungsbehörden wie Europol oder Interpol, welche die Daten von Treuhändern und Banken in Missbrauchsfällen bereitgestellt haben, grenzüberschreitend verfolgt. Die liechtensteinische Treuhänderschaft dient der systematischen Aushebelung der Know Your Customer- Regel. Die wahren Eigentümer und Nutznießer der Stiftungen bleiben im Dunkeln. Der clandestine Charakter der Stiftungen kommt auch durch eine Reihe juristischer und administrativer Eigentümlichkeiten zum Ausdruck: Es gibt keine Eintragungen, bzw. erschwerter Zugang zu Registern, die ohnehin nur mit spartanischen Informationen aufwarten. Obwohl es sich bei der Mehrzahl der Stiftungen um operative Unternehmen handelt, entfällt die Bilanzpflicht. Besonders kurios erscheint die Dehnung des Stiftungsgedankens dahingehend, dass nicht unbedingt gemeinnützige Zwecke verfolgt werden müssen. Vielmehr ist die beliebige Eintragung von Begünstigten der Stiftungserträge üblich: Sowohl der Eigener der Stiftung selbst, als auch beliebige Erben, sowie andere Unternehmensformen oder Stiftungen können bedacht werden. Gerade die Verschachtelbarkeit weiterer Gesellschaftsformen und Geschäfte unter dem Dach der Stiftung mindert die Transparenz Liechtensteiner Sitzgesellschaften erheblich und macht sie zur idealen Plattform für illegale und halblegale Geschäfte (Heller 1996, Dieffenbacher 1993). Liechtenstein ist wohl auch das einzige Land der Welt, in dem sich die Wahlbevölkerung im 21. Jahrhundert mit überwältigender Mehrheit für einen Verzicht auf Demokratie ausgesprochen hatte. Nachdem das Fürstenhaus mit dem Wegzug ins Ausland gedroht hatte, räumten die Bürger Liechtensteins Ihrem Herrscherhaus umfangreiche Kompetenzen ein, die zuvor demokratisch kontrolliert worden waren. Pirates of the Caribean Liechtenstein ist keine Ausnahme. Wie ein Bericht von Sir Andrew Edwards im Auftrag des britischen Oberhauses aus dem Jahr 1998 zu Tage förderte, hält ein einzelner Schäfer auf der idyllischen Kanalinsel Sark, auf der früher Strandräuber ihr Unwesen trieben, 1.600 Direktorenposten britischer Unternehmen inne. Auf den Cayman Islands und anderen ehemaligen Piratenstandorten treiben heute postmoderne Freibeuter ihre 5 riskanten Finanzgeschäfte. So sind alleine auf den Caymans 2.200 Hedge Funds registriert. Der bekannteste Fund, die LTCM, havarierte 1998 und hinterließ einen Schaden in Milliardenhöhe, weil die riskanten Geschäfte im regulativen Vakuum des Offshore – Banking unsichtbar geblieben waren. Während sich in der kolonialen Vergangenheit dort überwiegend Freibeuter tummelten, sind die Offshore- Standorte heute zu Heimstädten postmoderner free rider der internationalen Finanzmärkte mutiert. Ihre Existenz basiert auf der systematischen Umgehung nationalstaatlicher Regulierungen im Bereich der Steuer- und Finanzsysteme. Die Virulenz des Offshore- Geschäftes für das internationale Finanzsystem geht von einer eigentümlichen Symbiose von Standortfaktoren und Akteursverhalten aus: Der graduell niedrigere Regulierungsgrad und die großzügige Auslegung von Bestimmungen, mit dem lokale Börsen aggressiv werben, kommt einem bestimmten Händlertypus entgegen, der sich signifikant vom klassischen Verständnis eines risikoaversen Bankers unterscheidet. Nicht zufällig residieren in Offshore- Gebieten gerade diejenigen Unternehmen der Finanzbranche, deren Geschäftstätigkeit durch das Prinzip der Nichtregulierung überhaupt erst möglich wurde. Private Equity Investoren und Hedge Funds nutzen die sicheren Häfen der Karibik und der Kanalinseln häufig zur unbeobachteten Ansammlung von Kriegskassen und zu Attacken auf ahnungslose Übernahmeopfer. In gewissem Sinne kann man von einer Perpetuierung des klassischen Freibeutertums sprechen. Die Tools haben sich über die Zeit verändert, der Enterhaken wurde durch derivative Finanzinstrumente ersetzt, das Selbstverständnis der Akteure aber ist gleich geblieben. Beide schöpfen ihre Legitimität aus dem Bewusstsein, inmitten eines regulativen Vakuums als Erfüllungsgehilfen einer siegreichen Ideologie zu fungieren (Millman 1995, Leeson/Whitley 1999). Die amerikanische Börsenaufsicht SEC (Securities and Exchange Commission) sieht in den karibischen Offshore- Faszilitäten großer amerikanischer Investmentbanken eines der Haupthindernisse für die Verfolgung bilanzbezogener Wirtschaftsverbrechen. Bilanzierungsrelevante Verlustpositionen können zwischen den OffshoreNiederlassungen beliebig transferiert und in Finanzkonstruktionen versteckt werden, um nach Außen eine solide Finanzlage zu vermitteln. Auch Insidergeschäfte und andere dreiste Selbstbedienungspraktiken in amerikanischen Unternehmen sind ohne OffshoreKonstrukte schwer durchführbar. So ermittelt die SEC in mehr als 100 Fällen wegen des 6 Verdachtes auf Insiderhandel in Verbindung mit der Einräumung von Stock Option – Gratifikationen an Führungsmanager. Hier versorgte sich das leitende Management von Unternehmen wie Apple, Home Depot oder Wal Mart durch geschicktes Lancieren von Ad Hoc- Meldungen mit Millionengewinnen auf Kosten der Aktionäre und Stakeholder. Ohne Offshore –Konten sind derartige Volumina nicht zu verbergen. (Lee /Heron 2006). Problemfelder: In der wissenschaftlichen Literatur zu Offshore – Finanzplätzen wird in der Regel zwischen drei großen Problemfeldern unterschieden: erstens das Steuerdumping, das zur Abwanderung von Unternehmen und zum Abfluss von Steuereinnahmen aus OECD-Ländern führt, zweitens die Sicherheitsproblematik, die durch das Fehlen oder Unterlaufen von Abwicklungsstandards im Bankengeschäft hervorgerufen wird, drittens der kriminelle und terroristische Hintergrund von Finanztransaktionen im Regulierungsvakuum der Offshore – Finanzplätze. Singuläre Virulenzen des Offshore Banking sind in den vergangenen Zeilen bereits angedeutet worden. Die weitaus größte Bedrohung geht von einer Kombination der drei Problemfelder aus. So vermischen sich Transaktionen zur Umgehung von Übermittlungsgebühren mit halblegalen Geschäften des „Steuermanagements“ mit Einkünften und Transfers aus der organisierten Kriminalität , mit Geldern aus Korruptions- und Bestechungsfällen, mit Waffengeschäften und der Terrorismusfinanzierung. Zugleich befördert die Regulierungsdifferenz zwischen Offshore – Zentrum und Territorialstaat einen „Race to the Bottom“ – Effekt. Unter dem Druck der Abwanderung von Kapital und von Akteuren werden auch in den Territorialstaaten immer laxere Abwicklungsregeln für Bankgeschäfte eingeführt. Statt zu deren Eindämmung kommt es zu einer globalen Ausweitung der Steuer- und Sicherheitsproblematik. Zugleich geht die Verschleierung von Konzernstrukturen und Herkunftsprinzipien mit einer Ausweitung der Betrugsmöglichkeiten bei Kapitalgeschäften einher. Umgekehrt wird die Ermittlungsarbeit zur Aufklärung von Delikten im Bereich der Wirtschaftskriminalität erheblich erschwert. So sahen sich die Ermittler im Falle ENRON einem Geflecht von 881 Tochterfirmen in Offshore – 7 Gebieten gegenüber. 692 Konzerntöchter residierten alleine auf den Cayman Islands (Johnston 2003). Steuerdumping Die Steuerproblematik wird im Kontext der Offshore – Finanzplätze in den Medien zumeist als ein individuelles Phänomen dargestellt und beschränkt sich dann auf die Steuerflucht vermögender Einzelpersonen wie von Spitzensportlern, Künstlern oder Fernsehstars. Diese Fälle mögen spektakulär und moralisch prekär sein, ihre steuermindernde Wirkung aber fällt kaum ins Gewicht. Der weitaus größte Teil der Steuerausfälle entfällt auf grenzüberschreitende Verlagerungen der „Besteuerungsmasse“ durch multinationale Unternehmen (Grigat 1997). Die enormen Auswirkungen des Vermögensportfolios, das heute in Offshore – Finanzzentren verwaltet wird, macht folgende Modellrechnung deutlich: Würden die Kapitalerträge (durchschnittlich 6 %) der „steueroptimiert“ im Offshore – Finanzsystem angelegten 9,4 Bio. US-Dollar mit einem Steuersatz von 35 % belegt, dann würden die Steuereinnahmen weltweit um knapp 200 Mrd. US-Dollar pro Jahr ansteigen. Weil diese Einnahmen fehlen, beobachten wir in nationalstaatlichen Steuersystemen eine Verschiebung des Steuerportfolios: weg von den Unternehmenssteuern und hin zu den Personensteuern. Während der Körperschaftssteueranteil an den gesamten Steuereinnahmen in allen OECD-Staaten abnimmt, steigt der Anteil der Mehrwert-, Lohn- und Einkommenssteuern beständig. In Deutschland lag der Anteil von Vermögens- und Gewinnssteuern 1977 noch etwa gleichauf bei rund 30 %. Heute liegt der Anteil der Unternehmen und Vermögenden am Steueraufkommen nur noch bei 15 %. Weitaus dramatischer wirkt der Steuerdumping – Effekt auf die Schwellen- und Entwicklungsländer. Vermögende aus Entwicklungsländern verursachen durch Transfers in Offshore - Finanzplätze nach Schätzungen von OXFAM (2000) pro Jahr etwa 15 Mrd. US-Dollar Steuerausfälle. Sonderwirtschaftszonen in Schwellenländern und steuerliche Vergünstigungen an multinationale Unternehmen kosten diese Staatengruppe pro Jahr rund 50 Mrd. USDollar. Dieser Betrag entspricht der durchschnittlichen Entwicklungshilfe aller OECDStaaten pro Jahr (1995-2005). 8 Sicherheit des globalen Bankensystems Neben niedrigen Grenzsteuersätzen bieten sich Niederlassungen in Offshore – Gebieten zur Verschleierung von Gewinnen oder Verlusten an. Hier korrespondiert die Steuerproblematik mit dem Sicherheitsproblem durch Offshore – Geschäfte. Bei Offshore – Finanzgeschäften handelt es sich um ein systematisches Abfließen von Kapital aus weitgehend sicheren und nationalstaatlich regulierten Geschäften in nichtregulierte Bereiche, die ein erhebliches Sicherheitsrisiko für die Weltwirtschaft bergen. Frühwarnsysteme könnten versagen, wenn nicht einmal Mindeststandards im Berichtswesen der Banken eingehalten werden. Im Falle eines lokalen Bankenzusammenbruchs kann es zu einer weltweiten Kettenreaktion kommen, die einzelne Geschäftsfelder und Unternehmen, aber auch ganze Staaten in den Abgrund stürzen können. Die Finanzkrisen der 1990er Jahre sind ein eindrucksvoller Beleg für die Virulenz von Offshore – Finanzgeschäften. So hatten Manager des Hedge Funds LTCM die Schieflage ihres Unternehmens lange Zeit verbergen können, weil sie über Transaktionen und Konten auf den Cayman Islands den wahren Zustand des Geschäfts verschleierten. Die Kosten des LTCM - Debakels beliefen sich auf rund 3,5 Mrd. US-Dollar und belasteten die Bilanzen der Banken in den Mutterländern steuermindernd (Levitt u.a. 1999). In Singapur konnte etwa der Spekulant damals 27jährige Nick Leeson Finanzgeschäften mit Index-Futures nachgehen, die in Japan oder der Bundesrepublik verboten waren, und am Ende die 237 Jahre alte Barings Bank in den Abgrund stürzen. Während der Finanzstandort Singapur offen mit einem laxen Regulierungsumfeld warb, unterliegen die Bürger des Stadtstaates bei Ordnungswidrigkeiten drakonischen Strafen. Empfindliche Geldstrafen und moderne Formen des Pranger sind hier die Regel. So werden rückfällige Parksünder im Stadtstaat in weiße Overalls gesteckt und zu Straßenreinigungsarbeiten herangezogen. Finanzmarktakteure dagegen genießen dort ungeahnte Freiheiten. Die Kombination eines laxen Regulierungsumfeldes, das die Eröffnung namenloser Konten ermöglicht, mit der Hebelwirkung diverser innovativer Finanzmarktprodukte macht das Offshore Banking zur prioritären Quelle von Marktturbulenzen. Offshore – Spekulationsgeschäfte hatten maßgeblich zur Verschärfung und Vertiefung der Finanzkrisen in den Schwellenländern Asiens, Lateinamerikas und in Russland beigetragen. Im globalen Wettbewerb um Finanzkapital hatten Thailand und Malaysia Offshore – Faszilitäten eingerichtet, die auf dem Höhepunkt der Asienkrise einigen 9 Spekulanten als operative Basis für verdeckte Währungsattacken dienten. Viele Offshore – Akteure verdienten an der Krise. Insgesamt 200 Mrd. US-Dollar, stellte der IMF und einige G7-Staaten zur Bereinigung der Finanzkrisen in Schwellenländern bereit. Im Verlauf der Krise wurden einige Offshore – Faszilitäten geschlossen und deren Geschäftspraktiken unterbunden. In Malaysia drohte für derivative Offshore – Devisengeschäfte gar die Todesstrafe. Geldwäsche und Terrorfinanzierung Bereits der Edwards Review hatte Querverbindungen von Tarnfirmen und Finanzinstituten auf den Kanalinseln mit dem internationalen Waffenhandel aufgedeckt. So wurden über einen Offshore – Standort Waffengeschäfte mit ruandischen HutuMilizen in Höhe von 3,3 Mio. Pfund abgewickelt (Edwards 1998). Die UNO schätzt, dass etwa 5 % des Weltsozialprodukts auf organisierte kriminelle Geschäfte zurückgehen. Neben Korruption und dem Waffenhandel bedienen sich auch Drogenkartelle, Prostitution, Sklavenhandel und die verschiedensten Varianten inhärenter Wirtschaftskriminalität den Möglichkeiten der Offshore - Finanzplätze. Offshore – Standorte werden in zunehmendem Maße auch zur Finanzierung des internationalen Terrorismus herangezogen. Die Urheber jener in der Woche vor dem 11. September 2001 getätigten und in Unfang und Zeitpunkt überaus verdächtigen Put Optionen auf American Airlines Aktien und Unternehmen, deren Stammsitz in den Twin Towers in New York angesiedelt war, operierten über Offshore – Konten. Immerhin hat die Bush-Administration unter dem Eindruck des Ermittlungsdesasters ihre Blockadehaltung in der FATF aufgegeben und die eigenen Möglichkeiten der Druckausübung und der Ermittlung von Finanztransfers durch den Patriot – Act erweitert. Diese sind aber in der Regel personenspezifisch und stofflich strukturiert. Sie erleichtern die Kontrolle standardisierter Swift-Transfers und der stofflichen, haptischen Geldwäsche. Dass sich bestimmte Geschäftsfelder, wie etwa der nicht börsengestützte Handel mit Optionsscheinen (OTC) für die postmodernen Geldwäscheanforderungen viel besser eignen, wird ausgeblendet. So kann ein transkontinentaler Vermögensübertrag in Milliardenhöhe durch wechselweise Verknüpfung von wertlosen Optionsscheinen und deren Kursbewegungen erfolgen, wenn der Handel über ein Offshore – Finanzsystem abgewickelt wird. 10 Institutionen zur Regulierung von Offshore - Finanzplätzen Die Beispiele zeigen, wie legale, halblegale und kriminelle, ja sogar terroristische Motive in der Nutzung von Offshore – Finanzplätzen zusammenfließen. Die Financial Action Task Force on Money Laundering (FATF), eine Kommission der OECD zur Bekämpfung der Geldwäsche, listet jährlich 20 Finanzstandorte auf, deren laxe Regularien für organisierte Kriminalität geradezu einladend wirken müssen. Die Zusammenstellung der Listen unterliegen nicht nur fachlichen Kriterien, sie sind ein Politikum: So setzen einzelne Mitgliedsstaaten das FATF- Expertengremium immer wieder unter Druck. Nach diplomatischen Interventionen verschwanden die Schweiz, Russland oder Israel zeitweise von den Ranking- Listen problematischer Offshore- Standorte, ohne dass sich deren Abwicklungspraxis nennenswert verbessert hätte (Rügemer 1999). Kleinere, weniger einflussreiche Standorte dagegen tauchen häufiger auf, wenn die FATF eine zögerliche Umsetzung von Best Practice- Vorgaben der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, des Financial Stability Forums und anderer Expertengremien feststellt. Manche Eilande versprechen sich gar von einem der vorderen Listenplätze im FATF- Jahresbericht eine Werbewirkung. Die FATF – Liste fungiert somit gleichermaßen als Pranger und Werbeplakat. Anprangern alleine wird kriminelle Offshore – Praktiken kaum verhindern. Bisherige Regulierungsanstrengungen der FATF, des Währungsfonds (IMF), der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) und des Financial Stability Forum (FSF) beinhalten ausnahmslos Empfehlungen und Richtlinien zur freiwilligen Befolgung an Offshore – Behörden und Finanzinstitute. Begünstigt durch die hohen Kosten, welche den privaten Banken während der Bereinigung des LTCM- Debakels entstanden waren, hat sich innerhalb des FSF eine Arbeitsgruppe etabliert, die sich speziell mit den Risiken von Offshore- Finanzplätzen und Hedge Funds – in der Terminologie des Forums als High Leveraged Institutions (HLI) – befasst (Financial Stability Forum 1999). In den Berichten dieser Arbeitsgruppe werden die wesentlichen Risiken zwar identifiziert und die Praktiken der Offshore Institute scharf kritisiert. Letztlich aber obsiegt auch hier die Freiwilligkeitsmaxime des neoliberalen Dogmas. Über Empfehlungen an die Marktteilnehmer gehen die Berichte des FSF nie hinaus. Sarkastisch ausdrückt: Die Fortschritte im Monitoring internationaler Finanzmärkte beschränken sich derzeit darauf, dass wir den monetären Aderlass des Weltfinanzsystems durch das Offshore – Banking 11 besser quantifizieren können. Von der Aufgabe, die Blutung zu stoppen, sind wir soweit entfernt wie nie zuvor. Fazit: In den vergangenen fünfzig Jahren haben die OECD-Staaten und die internationalen Finanzinstitutionen einen regulativen Rahmen geschaffen, der nationale und internationale Wirtschaftsbeziehungen förderte und erleichterte, indem Rechtsicherheit, Transparenz und Verbindlichkeit auf möglichst viele Staaten und Wirtschaftsbereiche ausgeweitet wurden (wenn auch mit erheblichen Mängeln, was die gerechte Verteilung des Nutzens angeht). Die offensichtlichen Vorteile dieses Systems aber könnten zunichte gemacht werden, sollte die regulative Einbindung der Offshore- Finanzzentren misslingen. Auf der Agenda vieler finanzmarktkritischer NGOs steht ein Verbot von OffshoreFinanzgeschäften. Solche Verbotsansätze gibt es bereits im Steuerrecht vieler OECDStaaten (Frick/Graf 2006). Sie wirken aber teilweise diskriminierend, weil sie die einzige Einnahmequelle diverser unterentwickelter Small States treffen, oder sie wirken gar nicht, weil sich längst lukrative Alternativen zu den steuer-, gesellschafts- und bilanzrechtlichen Einschränkungen herausgebildet haben. Fiskalische Innovationen könnten einen effizienteren Beitrag leisten. Sie sind im marktwirtschaftlichen System immanent, weisen eine vergleichsweise geringe Komplexität auf, ihre Implementierung wäre technisch unproblematisch und der monetäre Erfolg durch Umlenkungseffekte wäre enorm. Eine konsequente Besteuerung internationaler Finanztransaktionen wäre ein erster Schritt zur Indienststellung der wohlfahrtsfördernden Funktionen internationaler Finanzmärkte. Bisher trägt die Masse der Bürger die Steuerlast der Finanzmarktakteure mit, etwa durch die Umsatzsteuer: Während ein realwirtschaftlicher Akteur wie der Tischler, der einen Stuhl verkauft, 19 % Umsatzsteuer abführt, und ein als gemeinnützig eingestuftes Produkt wie das Buch mit 7 % Steuer belegt wird, zahlt ein Devisenhändler für den Verkauf seiner „Produkte“ keine Umsatzsteuer. Um wie viel gemeinnütziger als der Handel mit Büchern ist der Handel mit Devisen? Demokratische Kontrolle darf sich nicht alleine auf die Ausgestaltung einer nationalstaatlichen und globalen institutionellen Regulierung beschränken. Sie kann und darf nicht vor den Toren der multinational tätigen Finanzunternehmen halt machen. Dort offenbaren die Umwälzungen in der Produktpalette und in den Geschäftsmodellen ein 12 strukturelles Scheitern der innerbetrieblichen Kontrollinstanzen. Das Prinzip der unternehmerischen Selbstkontrolle, sei es durch Inhouse- Gremien oder durch extern vermittelte, kommerzielle Prüfungsinstanzen, die allzu oft eine ökonomische Interessenkongruenz zum Untersuchungsobjekt aufweisen, verzeichnete im Zuge diverser Korruptions- und Managementskandale in den USA und Europa einen erheblichen Attraktivitätsverlust. Auch Best Practice – Anleitungen und gemeinsame Vorgaben durch Gremien wie die Cromme- Kommission in Deutschland oder der Code Bouton in Frankreich (Bouton 2004) haben die Offshore- Praktiken einiger Akteure nicht im Griff. Am laufenden Band versagen unternehmensinterne Transparenz- und Evidenzmechanismen. Machtbeziehungen innerhalb der Unternehmenswelt werden erschüttert, Kontrollgremien sind überfordert. Unternehmensmacht wird folglich nicht unbedingt zum Nutznießer der strukturellen Veränderungen, sondern selbst zum Opfer. Der Ruf nach dem Staat, der ausgerechnet aus dem Munde der einstigen Protagonisten des monetären Freibeutertums, der amerikanischen Investmentbanker, oder von einem ehemals übermächtigen Vorstandssprecher der Deutschen Bank erschallt, leitet womöglich einen Paradigmenwechsel in der Wirtschaftsphilosophie der kommenden Jahre ein. Die Ära, in denen sich das Weltsystem auf ein Nozick’sches Modell zubewegten, scheint vorbei und eröffnet neue Gestaltungsräume. Wird nun die ordnende Hand des Staates und internationaler Institutionen wird wiederentdeckt oder geht es einmal mehr nur um die Sozialisierung der Kosten ungezügelten Wirtschaftens? Wenn „wir“ nicht unser System auf die Offshore- Bankenplätze ausweiten, wird sich das Offshore- System bei uns ausbreiten. Literatur: Alesina, Alberto / Enrico Spolaore (1997): On the Number and Size of Nations. In: Quarterly Journal of Economics. November. BIS (Bank for International Settlements (2005): Quarterly Review. 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Der Inhalt bediente weniger die akademische Neugier als die Interessen einer auf die Verfolgung grenzüberschreitender Wirtschaftskriminalität spezialisierten Klientel. Einige der verwendeten Quellen sowie detaillierte Beschreibungen der Geschäftsmodelle fehlen aus verständlichen Gründen. 17