SYMPOSIUM: MOSKAUER MEMORANDUM 1955 – SIGNAL FÜR DEN FRIEDEN IN EUROPA Podiumsdiskussion: Muss Europa Weltmacht werden? Prof. Herfried Münkler: Das Wort Weltmacht klingt ganz einfach, und wir meinen zu wissen was es bedeutet, aber es ist schwieriger. Wenn man es zerlegt: Welt, dann ist zunächst einmal nicht klar ob es den globalen Zusammenhang betrifft, oder aber die je eigenen Welten von größeren Machtzusammenballungen, die gar nicht global sein müssen sondern Großraumbeziehungen darstellen können. Von daher positioniert sich schon entlang des Weltbegriffs Europa zweimal. Die Frage Weltmacht ist im wesentlichen auf globaler Ebene eine Frage der Beziehung zu den Vereinigten Staaten , die Frage ihrer eigenen Welt ist eine Frage von Osteuropa , dem Nahen Osten, der Kaukasusregion und der Nordküste Afrikas. Noch schwieriger ist das Wort Macht, denn darunter werden gewissermaßen, wenn ich das mal etwas abkürzend sagen darf, unterschiedliche Machtsorten subsumiert. Wenn wir genauer hinschauen, kann man da vielleicht Überlegungen von Michael Man in seinem voluminösen Buch über Macht folgen, sind zu unterscheiden: ökonomische Macht, politische Macht, militärische Macht und das, was er ideologische Macht nennt. Also vielleicht mit Joseph Knight soft power. Die Attraktivität eines Zentrums, die nicht unmittelbar ökonomische, nicht unmittelbar politischer Art ist. Große Mächte sind im Prinzip darum große Mächte, weil sie in der Lage sind auf alle vier Sorten von Macht tendenziell gleichmäßig zurückgreifen zu können. Tendenziell heißt, dass sie nicht immer in gleicher Weise darauf zurückgreifen können. Bekanntlich befinden sich die Europäer mit den Vereinigten Staaten in ökonomischer Hinsicht zumindest auf Augenhöhe, in militärischer Hinsicht nicht, was vielleicht vermuten lässt, dass die Vereinigten Staaten immer dann, wenn die Frage der kompetitiven Situation zwischen den Europäern und den USA etwas zugespitzt wird und möglicherweise relevante Akteure daran denken ihre Devisenreserven von Dollar auf Euro umzustellen und eine starke Versuchung haben andere Machtsorten ins Spiel zu bringen, um von der Situation der Augenhöhe auf die Situation des Riesen und des Zwerges umzuschalten. Das würde heißen, dass die Schwäche der Europäer bei ganz bestimmten Machtsorten in einer kompetitiven Situation, die nicht dauerhaft ist, aber die immer wieder auftauchen kann, gewissermaßen das Umschalten auf Machtsorten, die uns vielleicht nicht besonders lieb sind, provoziert. Deswegen hat es ja auch in jüngster Zeit bei uns Europäern durchaus eine relativ intensive Diskussion gegeben, dass sie ihre eigenen Möglichkeiten des Rückgriffs auf unterschiedliche Sorten von Macht etwas stärker ausbalancieren müssen. So zu sagen das Portfolio bei dem die Ökonomie relativ stark gefüllt ist, Politik wahrscheinlich weniger, Ideologie mäßig und militärische Macht sehr wenig, dies mehr auszubalancieren. Das ist ein Zwang, der, wenn Sie meinen Überlegungen zu folgen bereit sind, eher von außen induziert ist als er von innen heraus kommt, weil der Zwang eine bestimmte Machtsorte innerhalb des Portfolio aufzufüllen natürlich erhebliche Belastungen für denjenigen hat, der auffüllen muss. Wenn man diese beiden Überlegungen zu Welt und zu Macht vorweglegt, dann kann man vielleicht zunächst einmal einen Blick auf die Fragen der näheren und weiteren Grenzen des verfassten Europa werfen. Wir haben ja gesehen in welcher Weise günstige oder ungünstige Rahmenbedingungen das Handeln von Akteuren, in diesem Falle das Handeln der österreichischen Regierung, ermöglichen oder blockieren, begünstigen oder erschweren. Innerhalb der alten EWG war die Situation relativ unproblematisch, weil gewissermaßen die Grenzen der Ausdehnungsfähigkeit definiert waren. Dass die Briten nicht mitmachen konnten lag an Frankreich, das wollte de Gaulle nicht. Die östliche Expansionsgrenze oder Eintrittsgrenze war durch den Eisernen Vorhang definiert, und die südliche eher dadurch, dass die potentiellen Beitrittskandidaten der 70er Jahre zu diesem Zeitpunkt Diktaturen waren, also nicht beitrittsfähig. Es war eine Situation in der über einen relativ langen Zeitraum kein Druck von außen in Form von Beitrittswünschen auf Informationen zum Symposium, den Teilnehmern und unserem Institut entnehmen Sie bitte unserer website: www.iip.at 1 SYMPOSIUM: MOSKAUER MEMORANDUM 1955 – SIGNAL FÜR DEN FRIEDEN IN EUROPA die alte EWG entstanden war; eine relativ ruhige Situation in der das Pflänzlein so zu sagen im Treibhaus gedeihen konnte. Diese Situation hat sich fundamental verändert. Sie hat sich in den 70er Jahren verändert mit dem Verschwinden der Diktaturen in Griechenland, Spanien und Portugal und an der so genannten Süderweiterung Europas. Das hat einen Sog bewirkt, der dann zur Norderweiterung Europas, Skandinavien, geführt hat, und das Ende des Ost- Westkonfliktes hat schließlich die jüngste Beitrittsrunde zur Folge gehabt. Die Konsequenz dessen war, dass das erfasste Europa, im weitesten Sinne geographische Europa, ein ganz anderes Gewicht gehabt hat. Man kann sich das in gewisser Hinsicht so vorstellen, dass nunmehr eine Beitrittsrunde die andere jagt. Eine ist gerade abgeschlossen, schon ist die nächste vor der Tür und die übernächste steht an. Also ein Prozess der schwierig ist. Wie kann man darauf reagieren, weil sicherlich sichtbar ist, dass bei einer Erweiterung Europas auf Zuruf von außen am Schluss die Konsequenz stehen wird, dass es sich selbst überfordert? Dieser Begriff, den man bei Gibbon findet, und den Paul Kennedy in seinem Buch über die großen Mächte wieder aufgenommen hat, des imperial overstrech und overcommitment ist hier sicherlich anzuwenden. Ich denke, dass von daher über kurz oder lang, und die Diskussion hat ja eigentlich in der Frage des möglichen Türkeibeitritts schon begonnen, man gezwungen ist in Europa andere Formen des Beitritts zu erfinden. Aus der Geschichte, oder der Struktur von imperialen Ordnungen weiß man, dass sich hier die Ränder langsam abflachen. Ich denke, dass wenn die gegenwärtige Situation sich so darstellt, dass zwischen Vollmitgliedschaft und lockerer Assoziation es keine Zwischenstufen gibt, dann immer wieder eine Situation entstehen wird, die das Weiterschieben der EU-Grenze gewissermaßen erzwingt. Das paradoxe Ergebnis hat eine neue Beitrittsrunde zu provozieren, zu überfordern, also abflachende Ränder. Ob dafür der Begriff der privilegierten Partnerschaft, wie er, wenn ich das richtig sehe von Schäuble erfunden wurde, ob er der richtige ist das weiß ich nicht, aber jedenfalls das Erfinden von Zwischenstufen zwischen Assoziation und Vollmitgliedschaft. Und dabei würde man dann zurückgreifen auf Modelle von Integration, nicht so zusagen der staatlichen Ordnung sondern eher, das sage ich ganz wertfrei aus der objektiven Betrachtungsweise des Politikwissenschaftlers, der imperialen Strukturen nämlich der sich abflachenden Ränder mit nachlassenden Formen der Integration und der Vereinheitlichung des Raumes. Das scheint mir besonders interessant und wichtig zu sein, insbesondere im Hinblick auf den Südosten und den Süden Europas. Ich möchte das gerne am Beispiel der Türkei diskutieren. In meinem Land zumindest ist die Diskussion über weite Strecken geführt worden als so zu sagen die Luxusdiskussion, die man sich im Prinzip leisten konnte als man noch in der alten EWG gewesen ist, nämlich als eine Identitätsdiskussion. Identitätsdiskussionen glaube ich sind Luxusdiskussionen. Wenn man keine anderen Probleme hat, dann kümmert man sich um solche Fragen wie man Identität ausbilden kann, dann spricht man über die Verbreitung von Parmesan bis nach Skandinavien und macht daran eine europäische Identität fest. Die andere Diskussion ist die der Frage der äußeren Herausforderungen. Ich glaube ich bin nicht allein wenn ich davon ausgehe, dass eine der großen Krisenregionen gegenwärtig schon und wohl auf unabsehbare Zukunft, die alte Wetterecke des Nahen- und Mittleren Ostens bleiben wird, aber in zunehmendem Maße dazu kommt die Kaukasusregion. Wenn Sie sich das auf der Karte vor Augen führen, dann sehen Sie, dass gewissermaßen die Türkei wie ein Sperrriegel dazwischen liegt und, wenn sie hinreichend stabil ist, das Zusammenfließen beider Krisenregionen verhindern kann. Aber die Türkei ist in einer, einerseits komfortablen, andererseits prekären Situation, weil zurzeit die politische Klasse an der europäischen Karte sehr interessiert ist. Würde ihnen die Tür aber Informationen zum Symposium, den Teilnehmern und unserem Institut entnehmen Sie bitte unserer website: www.iip.at 2 SYMPOSIUM: MOSKAUER MEMORANDUM 1955 – SIGNAL FÜR DEN FRIEDEN IN EUROPA zugeschlagen haben sie schon zwei andere Karten mit denen sie schon ein bisschen herumgespielt haben. Ich glaube nicht, dass diese Karten schwächen werden, aber wenn sie mit ihnen spielen hat das weitreichende Folgen. Erstens das Anknüpfen an die alte großtürkische Option, also so zu sagen Dominanz zu gewinnen über Turkvölker, türkisch nach Mittelasien und in den kaukasischen Raum hinein. Was im Ergebnis wohl zu einer Destabilisierung dieser Räume führen würde. Und umgekehrt die islamistische Karte, die sicherlich auch nicht zu einer Stabilität führen wird. Das heißt, wenn das passieren würde, würden letzten Endes die politischen und ökonomischen Kosten eines Flächenbrandes größeren Ausmaßes und vor allen Dingen gewaltiger Ausdehnung die Europäer zu zahlen haben, weil, das ist das einfachste, sich die Flüchtlingsströme sich wesentlich nach Europa richten werden. Das heißt wir haben ein vitales Interesse daran, und zwar aus unserem wohlverstandenen Eigeninteresse, nicht weil wir so gute Menschen sind und anderen Wohltaten erweisen wollen, hier die Ränder zu stabilisieren, Einfluss zu nehmen, wirtschaftlichen Einfluss, politischen Einfluss und auch so zusagen den Einfluss ideologischer Art, also die Attraktivität des europäischen Models dort hinein zu kommunizieren. Informationen zum Symposium, den Teilnehmern und unserem Institut entnehmen Sie bitte unserer website: www.iip.at 3