Editorial - Schattauer

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© 2016 Schattauer GmbH, Stuttgart
Editorial
S
ucht, Abhängigkeit, Missbrauch, Konsum –
Drogen, illegal oder legal – substanzgebunden oder substanzungebunden: das alles sind
Begriffe, die im psychotherapeutischen und Klinikalltag meist eine negative Konnotation haben. Negativ durch das Mitschwingen von: kann
man das nicht auch lassen?
Dabei wird in Klinik und Praxis oft vergessen,
dass ein psychisch stabiler Mensch keine Sucht
entwickeln dürfte – dass also in der Regel eine
psychische Störung zugrunde liegt, deren andere Symptome von den Behandlern als weniger
negativ empfunden und bewertet werden. Hier
sind zu nennen Flashbacks, Dissoziationen,
Halluzinationen, Phobien, Ängste und und und.
Außerhalb der auf Abhängigkeitserkrankungen spezialisierten Bereiche hat sich die negative Sicht, hier keine originäre psychische Erkrankung vorliegen zu haben, bis heute wenig verändert. Innerhalb dieser Bereiche hat sich langsam die Sicht verändert von „Sucht ist eine eigenständige Krankheit“ hin zu „Dieser Krankheit
liegt eine tiefgreifende Störung zugrunde“.
Das Thema Sucht war schon einmal Thema
eines PTT-Heftes, aber das war bereits 1998 und
bedarf somit einer Neubearbeitung. Sucht ist unter Patienten mit Persönlichkeitsstörungen weit
verbreitet und gewissermaßen ein „normales“
Symptom. Als ein solches wird es aber von Therapeuten in Kliniken und Praxen immer noch zu
selten betrachtet. Schon ein bloßer Abusus (hier
ist bewusst nicht von Sucht die Rede) ist immer
noch oft genug ein Grund, einen Patienten nicht
in ambulante oder stationäre Behandlung zu
nehmen, ihn zu entlassen oder eine ambulante
Behandlung zu beenden.
Wenig sinnvoll ist es auch, mit persönlichkeitsgestörten Patienten bei einem Rückfall umzugehen wie mit einem Fußballspieler, der einen Mitspieler gefoult hat. Das Verteilen von
gelben und roten Karten oder das Zählen von
Verwarnungen ist wenig therapeutisch und dient
vor allem der Pseudostabilisierung des Behand-
lerteams. Außer bei schwer Süchtigen („primäre
Sucht“, wenn es das denn überhaupt gibt) ist ein
Rückfall in der Regel Folge von einer Kränkung,
einem Verlassen werden, einer schweren Selbstentwertung – um nur einige Beispiele zu nennen. Hier wäre psychotherapeutische Aufarbeitung angesagt, nicht eine bloße Sanktionierung.
Wir sind ja Therapeuten (die selbstredend Grenzen setzen müssen) und nicht Ordnungshüter
(die selbstverständlich disziplinieren müssen).
Es ist auch für die Therapeut-Patient-Beziehung –
und diese stellt einen besonders großen Wirkfaktor bezüglich eines Behandlungserfolges dar
– von eminenter Bedeutung, ob ein Patient disziplinarisch oder ob er zur Grenzsetzung, verbunden mit dem Angebot einer Wiederaufnahme, entlassen wird.
Einen einführenden Text über Sucht und Persönlichkeitsstörungen, aber auch über Gegenübertragungsphänomene hat Marius Ütö verfasst. Über Glückspielsucht sowie über Internetsucht und Persönlichkeitsstörung hat Monika
Vogelgesang Beiträge geliefert. Das Thema
„Workaholic und Persönlichkeitsstörung“ hat
Stefan Poppelreuter bearbeitet. In einem gewissermaßen zweiten Teil dieses Heftes werden
spezifische Therapieverfahren vorgestellt: Sucht
und Übertragungsfokussierte Psychotherapie
(Michael Rentrop), Sucht und Mentalisierungsbasierte Therapie (Svenja Taubner und Björn Philipps), Sucht und Dialektisch-behaviorale Therapie (Thorsten Kienast), Sucht und Schematherapie (Eckhard Roediger) sowie Sucht und Körpertherapie (Karen Strziga).
Wir, die Herausgeber dieses PTT-Heftes, verbinden mit dem Edieren die Hoffnung, dass die
Beiträge zu einer besseren Behandlung dieser
nicht eben einfachen Patientengruppe beitragen.
Zudem soll unser Heft einen Anstoß geben, die
von Ütö diskutierten Grenzen zwischen Suchtmedizin und Psychotherapie schrittweise abzubauen.
Birger Dulz und Michael Rentrop
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