Das Suchtgedächtnis: Woran erinnert es sich und wie können wir helfen zu "vergessen"? [Auszüge aus der Präsentation] 12. Oktober 2016 Dr. Martin Enke Fall: Eddi • Mitte 40 • Schreiner; verheiratet; 2 Kinder • Trinken nach Feierabend in Geselligkeit mit den "Jungs" (1-2 Bier) • Montage (Messebau): Exzesse nach 12-h-Tag zum Feiern & Abschalten • Belastung (Schmerzen, Zeitdruck): Flasche Wein vor Fernseher zum Entspannen • Ehekrisen durch zunehmenden Rückzug: Ärger durch Wodka betäubt (gleichgültig) • Scheidung: Einsamkeit, Selbstzweifel und Minderwertigkeit (5 Bier, 1 Fl Wein, 1 Fl Schnaps) • Jobverlust: Langeweile, keine Tagesstruktur, Gefühl von Nutzlosigkeit, Minderwertigkeit • Ekel vor Alkohol (Krämpfe, interessenlos, unzuverlässig), mit Alkohol fühlt er sich trotzdem fitter • Entscheidung aufzuhören / zu reduzieren • Phänomen Sucht: • Versuchung: in best. Situationen hatte er nicht mehr das Gefühl, frei entscheiden zu können • Automatismen: erlernte Gewohnheiten & erlerntes Entscheidungsverhalten entgegen Willen • Zwang: trotz höherer Ziele, Willen & schädlicher Folgen, immer wieder Rückfälle • Kontrollverlust trotz Wille: wachsende Minderwertigkeit, Leugnung, Tarnen & Täuschen • Aufgeben, Scham, Hilflosigkeit: Gründe für das Trinken finden ist einfacher als für das Scheitern Das Belohnungssystem Natürliche Anreize: Nucleus accumbens Dopaminausschüttung Essen Sexualität Erfolg Kommunikation Bewegung Musik Humor Das Belohnungssystem Frontalhirn kontrollierte Abwägungen bewusste Emotionsregulation Reflektion von Konsequenzen Motivation exekutive Selbstkontrolle Das Belohnungssystem • Lust/Anreiz (DA im NAc) motiviert Handeln • reagiert schon auf Hinweisreize (Erwartungssystem) • Vorfreude = schönste Freude • Rückkopplung! Beruhigung erst nach Erfolg? • Balance zwischen Versuchung und Kontrolle Der Einfluss von Suchtmitteln • DA-Transmission viel intensiver & anhaltender • Belohnungssystem überfrachtet • sehr starker Anreiz (Versuchung) • Homöostase beeinträchtigt Implizite Lernvorgänge (stabil & bewusstseinsfern) Doppelfunktion des Dopamins im Belohnungssystem 1. Glücksgefühl bei erfolgtem belohnendem Verhalten (Konsum) • Verstärkung des Konsums (Aufrechterhaltung!) • → Operante Konditionierung 2.Versuchung bei Erwartung der Belohnung (Anreiz) • neutrale Reize sagen den Belohnungseffekt vorher • Lust auf Suchtmittel schon vor Konsum (Verlangen) • → Klassische Konditionierung Implizite Lernvorgänge (stabil & bewusstseinsfern) Suchtgedächtnis Situative Reize Emotionale Zustände Craving Typische Gedanken Körperliche Faktoren Suchtreflex (automatisch) trotz Abstinenzwillens Implizite Lernvorgänge (stabil & bewusstseinsfern) • Konditionierungsprozesse bilden ein Netzwerk aus Drogen-Assoziationen (Suchtgedächtnis) • Lernerfahrungen sind unbewusst, dauerhaft und stabil • Belohnungserwartung: interne & externe Reize geben an, wann mit der Droge zu rechnen ist (Versuchung) • unbewusst, schlecht kontrollierbar • Erneuerung der Assoziationen jederzeit möglich • Ausmaß Suchtgedächtnis korreliert mit Trinkmenge Chronischer Konsum: zwanghaftes Drogensuchverhalten • Neurobiologische Verlagerung → Zwang • Reiz-Reagibilität! DA-Ausschüttung kaum noch auf die Droge, aber auf assoziierte Reize • Diskrepanz zwischen erwarteter & tatsächlicher Belohnung (Craving → Teufelskreis) • Verhaltensänderungen begünstigen repetitive, scheinbar unkontrollierbare Rückfälle ‣ automatische Aufmerksamkeitszuwendung ‣ automatische Drogen-Assoziationen ‣ Sucht-Automatismen Chronischer Konsum: zwanghaftes Drogensuchverhalten Automatismen: Das Gehirn funktioniert anders als man will blau rot grün gelb blau rot grün gelb Therapeutische Ausgangslage Balance zw. bewusst-kontrollierten & unbewusst-reizgetriebenen Prozessen durch Drogen beeinflusst Wirkung der Droge wird an alle Reize gekoppelt, die mit Konsum zusammenhängen (Suchtgedächtnis) Viele Reize können eine Konsumerwartung auslösen, ohne dass Droge präsent sein muss Suchtreflex (reizgetrieben, kaum steuerbar), trotz Abstinenzwillens Therapeutische Ausgangslage Rückfallzeitpunkte Wilhelmsheim Verteilung der Rückfälle in % 60 40 ∆ RF 20 0 a h e dR n e r h Wä at n o 3M a h e R h c a en c a n te a n o 6M a h e hR c a n te a n o 9M a h e hR a h e hR c a n r h a J 1 Die meisten Rückfälle ereignen sich innerhalb von 3 Monaten nach Reha in den bekannten Risikosituationen! Therapeutische Ausgangslage • Leben mit dem Suchtreflex: Sucht ist eine chronische Erkrankung mit Rezidiven! • Nicht der Rückfall ist das Problem, sondern der Umgang damit! • Rückfallorientierung erforderlich • Rückfallprävention als zentrales Element (Vorbereitung auf den Rückfall) • Minimierung Rückfalldauer (Vorfall vs. Rückfall) • "Käseglocken-Effekt" Therapieschwerpunkte Reduktion von automatisiert-reizgetriebenem und impulsivem Verhalten Stabilisierung Veränderung Konsolidierung Schützen Konfrontieren mit Suchtkontext Alltag erproben Therapieschwerpunkte Realistisches Krankheitsbild und Umgang mit Rückfällen ‣ Sensibilisieren / Vorfälle erwarten statt verleugnen ‣ nicht die Abstinenz ist der Normalfall, sonder der Rückfall ‣ Ein Rückfall ist kein Scheitern, sondern eine Lernerfahrung ‣ Umgang mit dem Rückfall üben ‣ ein Rückfall ist kein schambesetztes Tabuthema, sondern Teil der Krankheit ‣ Rückfälle bedeuten keine Willensschwäche sondern zeigen Trainingsbedarf auf Therapieschwerpunkte Den Suchtreflex "löschen": Konfrontieren & Üben Trigger Tresen Kiosk Flasche Ärger Stress erlernte Belohnungserwartung (Dopamin↑) Verlangen↑ nach Drogenwirkung Automatismen↑ SWE↓ Belohnungserwartung nicht bearbeitet Verleugnen Bagattelisieren Flüchten Therapieschwerpunkte Den Suchtreflex "löschen": Konfrontieren & Üben Trigger Tresen Kiosk Flasche Ärger Stress erlernte Belohnungserwartung (Dopamin↑) Extinktion Lernen, dass Belohnungserwartung falsch war (Dopamin↓) Belohnungserwartung nicht bearbeitet Verlangen↑ nach Drogenwirkung Automatismen↑ SWE↓ Verleugnen Bagattelisieren Flüchten Therapieschwerpunkte Den Suchtreflex "löschen": Konfrontieren & Üben Verlangen/ Versuchung Trigger 3 Trigger 2 Trigger 1 Tonband Exfrau internale/externale Trigger... Weinflasche Foto von Arbeitsplatz Zeitverlauf Therapieschwerpunkte Unterbewusstes Training: Cognitive Bias Modification Umkehrung unbew. Annäherungstendenzen (Gegenkonditionierung) Training eines inkompatiblen Handlungsimpulses zum Suchtreflex