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GLÜCK – WELCHES GLÜCK
06.03.2008 – 02.11.2008
Ein Projekt des Deutschen Hygiene-Museums Dresden und des
Siemens Arts Program
AUSSTELLUNGSRAUM 04
NEURONEN
Raumgestaltung:
Der Boden dieses Raums ist von einer begehbaren Gehirnlandkarte bedeckt. Die
Besucher können über interaktive Objekte Licht-Reaktionen auslösen, die auf
elementare Weise die Vorgänge im Belohnungszentrum des Gehirns verdeutlichen.
Ein dreidimensionales Herz und ein bewegliches Gehirnmodell, das sich über die
Gehirnlandkarte bewegt, ergänzen diesen interaktiven Raum der Ausstellung.
Einführungstext:
Hirnforscher können dem Gehirn heute gleichsam beim Glücklichsein zusehen. Seit
etwa zehn Jahren untersuchen sie, wie das Glück in unserem Kopf zustande kommt.
Eine wichtige Erkenntnis lautet: Der Mensch ist neurobiologisch gar nicht darauf
angelegt, dauerhaft Glück zu empfinden. Vielmehr sorgt das so genannte Belohnungssystem dafür, dass der Mensch nach immer neuen Momenten des Glücks
streben muss. Glücksgefühle spielen somit eine wesentliche Rolle für seine Wünsche, Überzeugungen und Werte. Sie unterstützen Lernprozesse und beeinflussen
Entscheidungen und Handlungen. Allerdings stellen die von der Hirnforschung
beschriebenen Mechanismen immer nur einen Ausschnitt der vielfältigen Funktionen
und Bedeutungen des Glücks dar. Vollständig erklären können auch sie es nicht.
BOTENSTOFF UND HIRNREGION
Bis vor wenigen Jahrzehnten waren Fragen nach dem Glück meist religiöser, philosophischer oder gesellschaftlicher Natur. Vorgänge in Körper und Kopf waren nur
dann von Bedeutung, wenn Krankheit oder Schmerz das Glück verhinderten.
Die Entdeckung, dass die elektrische Stimulation bestimmter Gehirnregionen positive
Gefühle hervorrufen kann, führte in den 1950er Jahren zur Beschreibung von
„Glückszentren“ im Gehirn. Heute vereint man unter dem Begriff „Belohnungssystem“
diejenigen Hirnregionen, Nervenbahnen und Botenstoffsysteme, die das Empfinden
von und das Verlangen nach Glück regulieren.
ESSEN UND SEXUALITÄT
Das Wohlgefühl, das sich beim Essen besonders guter Speisen oder beim Sex
einstellt, möchte man immer wieder verspüren. Denn Nahrung und Sex regen das
Belohnungssystem als „primäre Verstärker“ an.
Überlebensnotwendiges Verhalten – wie Ernährung und Fortpflanzung – wird dadurch gefördert, ohne erlernt worden zu sein. Auch das erfüllende Glück der Liebe
hängt mit der Aktivierung des Belohnungssystems zusammen. So sichern hohe emotionale Bindungen zum Kind und zum Partner das Überleben und Wohlbefinden des
Nachwuchses.
Ein besonders starkes Verlangen kann jedoch das Belohnungssystem derart verändern, dass Zufriedenheit in Unzufriedenheit umschlägt.
MACHT UND ANNERKENNUNG
Geld, Macht, Lob und Anerkennung sind sogenannte „sekundäre Verstärker“. Auch
sie aktivieren das Belohnungssystem, aber nur, wenn ihre Bedeutung und ihre positiven Auswirkungen erlernt wurden. Teure Prestigeobjekte, mutiges Verhalten und
intellektuelle Errungenschaften vermitteln soziale Überlegenheit und bringen Vorteile
mit sich, die zu besseren Überlebens- und Fortpflanzungschancen führen.
Es ist der Vergleich mit anderen, der glücklich oder unglücklich macht, wobei sich
rasch ein Gewöhnungseffekt einstellt. Daher verlangt der Mensch nach immer mehr
und befindet sich in einer Art Glücks-Hamsterrad – nur um das eigene Glücksniveau
halten zu können.
SUCHT UND DROGEN
Suchtmittel regen das Belohnungssystem stärker an als natürliche Belohnungsreize.
Im Gehirn findet eine Anpassung an die erhöhte Aktivierung statt. In der Folge
kommt es zu einem immer stärker werdenden Verlangen nach der Droge, schließlich
zu Gewöhnung, Entzugserscheinungen und Abhängigkeit. Auch exzessiv ausgeführte Handlungen, wie Spielen oder Einkaufen, können zu Veränderungen im Belohnungssystem führen und abhängig machen. Süchtige Menschen sprechen kaum
noch auf natürliche Belohnungsreize an. Das Belohnungssystem wird durch die
suchtbedingten Veränderungen zur lebensbedrohlichen Maschinerie.
GLÜCKSPILLEN UND ANTIDEPRESSIVA
Sind Schmerz und Unglück notwendig oder können Menschen zukünftig im Dauerglück leben? Eine Pille für anhaltende Freude gibt es bislang ausschließlich in der
Science Fiction.
Nicht nur Wissenschaftler interessiert, was den Miesepeter von der Frohnatur unterscheidet und auf welche Weise auch der ewig Unzufriedene zu seinem Glück
kommen könnte. Um Befindlichkeitsstörungen zu beheben, ist der Griff zum Medikament schon längst zur viel kritisierten Selbstverständlichkeit geworden. Dem
gegenüber steht die Depression als ernstzunehmende Krankheit, deren intensive Erforschung helfen soll, Betroffene vor oft tödlich endender Verzweiflung zu schützen.
LACHEN UND FREUDE
Lachen ist ein Zeichen von Freude und Glück. Es wirkt beruhigend und kann zu
einem umfassenden Wohlgefühl führen. Lachen löst Spannungen und macht das
Leben leichter. Mit einem Lächeln auf den Lippen lassen sich Stress und Ängstlichkeit überwinden. Gemeinsames Gelächter beschwichtigt erhitzte Gemüter. Die Wissenschaftler, welche die Auswirkungen des Lachens erforschen, nennen sich
Gelotologen (griech.: „gelos“ = Lachen). Sie konnten nachweisen, dass Humor und
Erheiterung das Belohnungssystem direkt aktivieren. Bei Lachtherapien und im
Lachyoga wird die heilsame Wirkung des Lachens für Körper und Seele genutzt und
gefördert.
GLÜCKSMESSUNG UND GLÜCKSGEFÜHL
Wollen Sie wissen, wie glücklich Sie sind? Glück kann auf viele Arten gemessen
werden. Glücksmomente können im Gehirn sichtbar gemacht werden; Gesichtsausdruck und Muskelanspannung verraten den Erregungszustand eines Menschen. Will
man allerdings wissen, wie glücklich sich Menschen fühlen, muss man Befragungen
durchführen. Meist geht es dabei nicht um die Erforschung eines momentanen
Glücks, sondern um die allgemeine Lebenszufriedenheit, deren Grundlagen erklärt
werden sollen. Dabei wird das Glück im Zusammenhang mit Faktoren wie Einkommen, Gesundheit, Familienverhältnisse, politische Veränderungen, Alter oder Bildung
untersucht.
Exponate (Auswahl):
Schädelabguss mit Beschriftungen
Franz Joseph Gall (1758–1828)
um 1800; Gips, Papier
Anthropologische Sammlung, Muséum national d'Histoire naturelle, Paris
Der Hirnforscher und Anatom Franz Joseph Gall glaubte durch Abtasten und
Vermessen der Kopfform den Charakter eines Menschen bestimmen zu können. Er
verortete 27 „Organe“ – jedes für eine besondere Charaktereigenschaft – auf dem
menschlichen Schädel. Die Gefühle, so schreibt er, sind aber ungewollte oder
passive Regungen, die entweder durch eines oder aber durch alle Organe hervorgerufen werden. Es sei daher nicht möglich, Stimmungen wie Trauer oder Freude auf
dem Schädel zu verorten.
Mécanisme de la physionomie humaine ou analyse électro-physiologique de
l'expression des passions (Mechanismen der menschlichen Physionomie oder
elektro-physiologische Analyse des Ausdrucks der Gefühle)
Guillaume Benjamin Amand Duchenne de Boulogne
1876; Paris
Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
Duchenne de Boulognes Fotografien aus den Jahren 1852–1856 gelten als die
ersten fotografischen Dokumente einer medizinischen Forschungsarbeit. Der französische Arzt schrieb damit Medizin- und Fotografiegeschichte. Duchenne konnte allein
durch elektrische Reizung jeden Gesichtsmuskel einzeln aktivieren und beschrieb als
erster die Zusammenhänge von Gefühlsausdruck und Muskeltätigkeit. Er erkannte,
dass man nur dann echt lächelt, wenn auch der Augenmuskel beteiligt ist. Erst beim
echten, nach ihm benannten Duchenne-Lächeln, treten die typischen Fältchen in den
Augenwinkeln auf.
Der Gänsehaut-Faktor
Auftragsproduktion DHMD, 2008
Mit freundlicher Unterstützung von Frederik Nagel, Hochschule für Musik und Theater, Hannover
Gibt es eine Musik, bei der jeder Mensch eine Gänsehaut bekommt? In einer Studie
der Hochschule für Musik und Theater, Hannover hörten 38 Personen zwischen 11
und 72 Jahren verschiedene Musikbeispiele. Sie beschrieben dazu ihre Gefühle und
die Herzfrequenz wurde aufgezeichnet. Eine Gänsehaut bekamen die Probanden vor
allem bei ihrer Lieblingsmusik – also individuell sehr unterschiedlich. Einige Grundregeln für den gefühlvollen Musikgenuss konnten dennoch aufgestellt werden. Der
Einsatz der Stimme, eine plötzliche Neuigkeit in der Musik, aber auch die gesammelten musikalischen Erfahrungen und die allgemeine Empfindsamkeit des Hörers,
entscheiden darüber, ob Musik ein starkes Gefühl hervorrufen kann. Musikalische
Knalleffekte rufen bei den meisten Menschen starke Gefühle hervor – das täte ein
Pistolenschuss wohl auch.
Die ferngesteuerte Ratte
Ausschnitt aus „Human Version 2.0“, BBC Horizon, 2006
Diese Forschungen werden kritisch diskutiert, da sie die Möglichkeit der Manipulierbarkeit von Menschen in Aussicht stellen. Das Forscherteam um John Chapin nutzte
die Kenntnisse über das Belohnungssystem zur Fernsteuerung von Ratten. Sie
implantierten drei Elektroden in das Gehirn von Versuchsratten: Zwei Elektroden
stimulierten die Gehirnregionen, die die Reize der Tasthaare verarbeiten; durch
deren Aktivierung wurde eine Berührung der jeweiligen Tasthaare simuliert. Die Ratte sollte daraufhin nach links bzw. rechts gehen. Die dritte Elektrode stimulierte das
Belohnungssystem. Wenn die Ratte eine korrekte Links- bzw. Rechtsbewegung
ausführte, bekam sie einen Belohnungsreiz. Chapin sagt: „Die Ratte arbeitet für die
Freude“.
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