GLÜCK – WELCHES GLÜCK 06.03.2008 – 04.01.2009 Ein Projekt des Deutschen Hygiene-Museums Dresden und des Siemens Arts Program AUSSTELLUNGSRUNDGANG PROLOG ZUR AUSSTELLUNG Raumgestaltung: Bevor die Besucher die Ausstellung selbst betreten, erwartet sie im Foyer davor die wandfüllende Reproduktion eines monumentalen Ölgemäldes aus dem 19. Jahrhundert: Die Jagd nach dem Glück Rudolf Friedrich August Henneberg (1826–1876) Um 1863–1868, Öl auf Leinwand, 200 x 383 cm Staatliche Museen zu Berlin, Alte Nationalgalerie Glück wurde nach der Aufklärung zu einer großen Vokabel. Der technische Fortschritt ermöglichte neue gesellschaftliche Aufstiege und damit neue gesellschaftliche Klassen und Normen. Streben nach Glück wurde zur individuellen Befreiungsformel. Allegorische Darstellungen des Glücks waren in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts ein beliebtes Thema. Hennebergs Gemälde gehörte zu den prominentesten der Zeit und wurde auf den Weltausstellungen in Wien 1873 und Paris 1878 sowie den Internationalen Kunstausstellungen in München 1868 und 1870 gezeigt. Die Eingangstür zur Ausstellung ist gerahmt von einem Spalier aus roten Rosen. Durch diesen Rosenbogen betreten die Besucher den ersten Raum. 1 AUSSTELLUNGSRAUM 01 LIEBE Raumgestaltung: Der erste Raum der Ausstellung wird beherrscht von einer Tapete, die Meschac Gabas Variante des klassischen „locus amoenus“ zeigt. Ausgestellt sind eine Gartenlaube mit Exponaten zum Thema „Liebe“ und eine angedeutete Kirchenarchitektur, die das Thema „Spiritualität“ markiert. Die großen Plexiglasbuchstaben „U-T-O-P-IE“, enthalten ein „Archiv der Utopien“. Einführungstext: Schon immer träumen die Menschen von einem paradiesischen Ort, an dem sich ihre Glücksvorstellungen verwirklichen. Das Paradies gilt als ein idealer Ort, an dem alle Widersprüche und Nöte des Alltagslebens aufgehoben sind. Das Christentum und andere Religionen kennen Orte im Jenseits, an denen sich ihre Ideen höchster Glückseligkeit vollenden. Manche visionäre Denker wollten das Paradies aber bereits auf Erden errichten. In ihren Utopien schufen sie Modelle für eine neue Gesellschaft und eine bessere Welt. Utopisches Denken fand seinen Niederschlag in Stadtplanung und Architektur, in Literatur und Kunst, aber auch in Forschung und Wissenschaft. Die meisten Menschen denken beim Paradies allerdings an etwas ganz Naheliegendes: an ihr individuelles Glück in der Liebe, dass sich selbst genügt. LIEBE Paradiesvorstellungen verbinden sich für jeden einzelnen Menschen am unmittelbarsten mit dem Liebesglück. Jedoch liegen Liebesglück und Liebesleid nahe beieinander. Liebende erleben den Himmel auf Erden. Unglücklich Verliebte leiden Höllenqualen. Die Bilder der Liebe sind zeitlos und vielfältig. Sie erzählen von Sehnsucht und Werbung, von Verführung und Glückseligkeit, aber auch von Vergeblichkeit und Enttäuschung, von Eifersucht und Abschied. Exponate (Auswahl): Spiegelkapsel mit sich umarmendem Paar, Um 1150, Bronze, vergoldet Frankfurt am Main, Museum für Angewandte Kunst Der Spiegelgriff stellt ein eng umschlungenes Paar dar. Die Rückseite der Spiegelkapsel ziert die Darstellung zweier Liebender auf einem Lager, zu deren Füßen ein Harfenspieler sitzt. Dieser früheste bekannte Spiegel aus dem Mittelalter, ein exklusiver Gebrauchsgegenstand, war wahrscheinlich ein Minnegeschenk an eine Dame. Der Kuss, 1886 Auguste Rodin (1840–1917) Abguss vor 1912, Bronze Halle, Stiftung Moritzburg, Kunstmuseum des Landes Sachsen-Anhalt Der französische Bildhauer Auguste Rodin wurde durch das ebenso intensive wie schmerzvolle Verhältnis zu der jungen Bildhauerin Camille Claudel zu sehr subtilen und eindringlichen Plastiken angeregt. „Der Kuss“ ist eine der berühmtesten. 2 SPIRITUALITÄT Ein Versprechen auf das Ende von Leid und auf Befreiung von irdisch erfahrenem Unglück gibt die frohe Botschaft der Religionen. Diese kann unterschiedlich aussehen. In traditionalen afrikanischen Religionen steht der Ahnenkult im Zentrum der „Versöhnung“: Bei rituellen Handlungen werden verstimmte Ahnen und üble Naturgeister beruhigt, um das Gleichgewicht von Natur und Menschen wieder herzustellen. Im Hinduismus bleibt der Mensch grundsätzlich eingebunden in den ewigen Kreislauf von Leben und Tod, während im Buddhismus die Erkenntnis des Lebens als Leiden zur Voraussetzung der Erlösung wird: Sie erfüllt sich im „Verwehen“ aus dem ewigen Kreislauf. In Judentum, Christentum und Islam bildet Gott als Schöpfer und Erbarmer die überirdische Macht, die den Gläubigen schon im Diesseits leitet und ihm nach dem Tod persönliches Glück durch Begegnung mit dem Ursprung schenkt. In keiner dieser Überlieferungen ist das Jenseits ein Ort: Es ist immer ein Zustand von Glück oder wenigstens von „Leidfreiheit“. Exponate (Auswahl): Buddhistischer Schurz Ladakh, Nordindien 19./frühes 20. Jahrhundert, Menschenknochen Staatliche Museen zu Berlin, Museum für Asiatische Kunst, Kunstsammlung, Süd-, Südost- und Zentralasien Diese Schurze finden bei rituellen Handlungen und Tänzen der tibetischen Buddhisten Verwendung, wenn sie den Sieg über negative Kräfte feiern. Die reliefbeschnitzten rechteckigen Plättchen zeigen einige der acht buddhistischen Glückssymbole, wie Fische, den unendlichen Knoten oder die Schatzvase. Sie gelten als Glück verheißend und sind gebräuchliche Dekorationselemente. Gebetsteppich Türkei, Milas um 1700, Wolle, geknüpft Staatliche Museen zu Berlin, Museum für Islamische Kunst Gebetsteppiche dienen den Moslems zur Verrichtung ihrer Gebete. Sie sind meist mit einer reich ausgestatteten Bordüre und in der Mitte mit einer Gebetsnische versehen, die von einem Giebel bekrönt wird. Zum Gebet wird der Teppich nach Mekka, dem Geburtsort Mohammeds und religiösen Zentrum des Islams ausgerichtet. UTOPIE Utopien sind Wunschvorstellungen. Erste gesellschaftliche Utopien entstanden nach 1500 als Gegenentwürfe zu den Jenseitsdarstellungen des Mittelalters. Sie fixierten einerseits noch unentdeckte, ideale Orte, aber auch Zukunftsvisionen von Gemeinschaften, die sich als Kritik an der bestehenden Gesellschaft verstanden und auf soziale, ökonomische, technische oder naturwissenschaftliche Ziele gerichtet waren. Der Verwirklichung von Utopien stehen allerdings meist die jeweiligen konkreten Voraussetzungen entgegen. Die menschliche Fantasie hat jedoch auch Dystopien, negative Utopien, hervorgebracht, die zu Untergangsvisionen wurden. 3 AUSSTELLUNGSRAUM 02 RESTAURANT Raumgestaltung: Dieser Raum, in dem es um das Themenfeld Genuss, Gerechtigkeit und Migration geht, ist beherrscht von einem großen Esstisch und einer Küchenzeile, die als Exponatträger dienen. Teile der Ausstattung wurden uns freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Einführungstext: Dass Geld allein nicht glücklich macht, weiß der Volksmund schon lange. Dennoch ist das Streben nach materiellen Werten ein wichtiger Antrieb für viele Menschen. In unserer Welt des immer schnelleren Umlaufs von Waren, Kapital und Dienstleistungen wird der Verteilung von Reichtum und Macht große Bedeutung beigemessen. Der globalisierte Markt hat in den letzten Jahren auch zu einer weltweiten Steigerung des Wohlstands geführt. Aber dieser Prozess geht gleichzeitig zu Lasten der natürlichen Ressourcen, und die Schere zwischen Reich und Arm öffnet sich immer weiter. Weil aber Wohlstand keine Garantie für Glück ist, beschäftigt sich die aktuelle Glücksforschung intensiv mit der Frage, welche anderen Faktoren die Menschen glücklich machen. ESSEN Essen ist der Anfang von allem, denn Menschen müssen sich ernähren. Essen stillt nicht nur den Hunger, Essen kann trösten, zufrieden und glücklich machen, ablenken oder belohnen. In den Wohlstandsgesellschaften gehen die Menschen allerdings immer achtloser mit Essen und Trinken um. Das Grundbedürfnis der Nahrungsaufnahme scheint Nebensache zu sein. Ökonomisch gesehen ist der Wert des Essens ständig zurückgegangen, doch für das Glück der Menschen bleibt es kostbar, sofern sie es zu schätzen wissen. Einerseits verdrängen Convenience, Junk und Fast Food die häusliche Kochkunst und Tischgemeinschaft immer mehr. Andererseits erleben wir einen Boom der Naturkost und der regionalen Küche. In den letzten Jahren hat sich eine regelrechte Slow-Food-Bewegung formiert, deren Anhänger Wert auf lokal und saisonal verfügbare Gerichte legen, auf sorgfältige Zubereitung in eigener Regie und genussvolles Essen. Exponate (Auswahl): Cimon und Pero Italienisch 18. Jahrhundert, Öl auf Leinwand Landesmuseum Joanneum, Alte Galerie Graz Der Philosoph und Seher Cimon wurde zum Tode durch Verhungern verurteilt. Er überlebte dank der Fürsorge seiner Tochter Pero, die ihm Vater an ihrer Brust nährte. Im christlichen Denken ist diese Geschichte ein Symbol für Nächstenliebe und Barmherzigkeit. 4 Kleine Insel, 1968 Dieter Roth (1930–1998) Brot, Küchenabfall, Draht, Nägel, Schrauben, Gips, Acryl- und Ölfarbe auf Spanplatte Hamburg, Dieter Roth Foundation Dieter Roth thematisiert in seinen Arbeiten Zerfallsprozesse kunstfremder Materialien wie Fleisch, Schokolade oder Brot. Aus den über die Zeit verschimmelnden Lebensmitteln entstehen zerfallene, verwitterte Landschaftsbilder. MIGRATION Glück hat sehr viel mit der Beschaffenheit der Gesellschaft zu tun, in der wir leben. Frieden und persönliche Freiheit, Arbeit und finanzielles Auskommen gehören zu den elementaren Faktoren, die die Lebensqualität eines jeden Menschen ausmachen. Kriege, politische und ökonomische Instabilität sowie religiöse Konflikte bewirken, dass sich Menschen in Bewegung setzen, in der Hoffnung, anderswo auf bessere Lebensbedingungen zu stoßen. Aber auch in den Wohlstandsgesellschaften fordert der Arbeitsmarkt eine immer höhere geografische Flexibilität. Wer sich nicht darauf einlässt, hat häufig deutlich weniger Chancen. Exponate (Auswahl): Weltkarte des Glücks / World Map of Happiness Adrian White, University of Leicester, School of Psychology 2007 In den letzten 20 Jahren hat sich eine immer differenziertere Glücksforschung entwickelt. Nationale und internationale Glücksstudien und -umfragen stehen vor allem im Fokus von Psychologie und Ökonomie. Untersucht werden Faktoren, die das subjektive Wohlbefinden beeinflussen. Das subjektive Wohlbefinden (subjective well-being) steht dabei als „Maßeinheit“ für das Glück. Aufstellung Harun Farocki (*1944 Novy Jicin, Tschechien, lebt in Berlin) 2005, Video auf DVD, 16 Min. Im Besitz des Künstlers Harun Farocki hinterfragt in seinem Stummfilm die mediale Darstellung von Migranten. Darin wiederholen sich reduzierte Stereotypen, die direkt oder indirekt unsere öffentliche Wahrnehmung von und Meinung über Migranten beeinflussen. ÖKONOMIE Die Jagd nach Glück war schon immer auch mit der Jagd nach Geld verbunden. Der legendäre König Midas wünschte sich, dass alles, was er berühre, zu Gold werde. Goethe konstatierte in seinem Faust: „Nach dem Golde drängt, an dem Golde hängt doch alles“. In der westlichen Kultur wurde das Glücksstreben früh rationalisiert und in die Hände ökonomischer Steuerungskompetenzen gelegt. Bereits die Kaufleute der Renaissance wussten ihr Schicksal durch Handel und Geldgewinne günstig zu beeinflussen. Heute rasen gigantische Geldströme auf den weltweit vernetzten Finanzmärkten rund um den Globus. Sie bringen für viele Volkswirtschaften zwar 5 Wohlstand, bergen aufgrund ihrer oft unkontrollierbaren Dynamik aber auch große Risiken. Exponate (Auswahl): Middlemen Aernout Mik (*1962 Groningen, lebt in Amsterdam) 2001, Videoinstallation, Loop Courtesy carlier│gebauer Zum Zeitalter der Globalisierung gehören nicht nur eine rund um die Uhr verbörste Welt, sondern auch rund um die Uhr agierende Anleger. Der Megamarkt der Weltbörse bietet ihnen eine stets wachsende Zahl von Produkten. Nichts darf börsenfrei bleiben, auch politische Ereignisse nicht. Paradies I–III Miguel Rothschild (*1963, Buenos Aires, lebt in Berlin) 2004, C-Print, Glas, Leuchtstoffröhren Im Besitz des Künstlers Die heutige Warenwelt entpuppt sich als große bunte Klischeefabrik. Sie weckt immer neue Sehnsüchte, manipuliert durch geschickte Inszenierungen und verspricht stets ein immer glücklicheres Leben. 6 AUSSTELLUNGSRAUM 03 SPORT Raumgestaltung: Der Raum zum Thema Sport ist ganz in einem leuchtenden Blau gehalten, wie man es aus Basketballhallen kennt. Fotografien und Filmcollagen zeigen Extremsportler in Aktion: Freeclimber, Surfer, Skifahrer, Taucher etc. In der Mitte des Raums ragt eine Wand auf, die auf beiden Seiten mit szenografischen Objekten Meschac Gabas bespielt ist: Einer Rakete, die auf Schwerelosigkeit und Weltraumeroberung verweist, und einem Taucher, der in der Tiefe nach Erdölvorkommen taucht. Einführungstext: Viele Gefahren und Risiken des Lebens sind in unseren westlichen Gesellschaften beherrschbar geworden. Gleichzeitig sind manche Menschen auf der Suche nach Glücksempfindungen, die sie nur auf riskante Weise erleben können. So genannte Risikosportarten erfreuen sich wachsender Beliebtheit. Sie vermitteln das beglückende Gefühl, durch eigene Leistung mit seinen Ängsten fertig zu werden. Das freiwillig gesuchte Wagnis wird so zum reinen Vergnügen und zum Experimentierfeld für das Ich. Das eigene Leben wird dabei einem Kitzel ausgesetzt, der als extremes Glückserlebnis erfahren wird. KICK & FLOW Im Extremsport geht es um das selbstvergessene, rauschhafte Verweilen in der Gegenwart. Die Sportler suchen nicht-alltägliche Sinneseindrücke, den Zustand kalkulierter Desorientierung. Sie spielen mit der Kontrolle über das Gleichgewicht, streben eine körperliche Leichtigkeit an, die in der Utopie gipfelt, die Schwerkraft wie im Flug zu beherrschen. Mit Hilfe technisch immer ausgefeilterer Sportgeräte lassen sich dabei natürliche Bewegungsgrenzen des Körpers überwinden. MODERNE HELDEN Extremsportler begeben sich mit größter Radikalität auf die Suche nach ihrem persönlichen Glück. Sie nutzen die stimulierende Wirkung der Angst und des Scheiterns, um dadurch das eigene Lebendigkeitsgefühl zu steigern. Die demonstrative Selbstgefährdung des eigenen Lebens verleiht ihnen die Aura des Besonderen und Verwegenen, des modernen Helden. Risikosport hat immer ein offenes Ende – sogar Todesfälle sind nicht ausgeschlossen. 7 AUSSTELLUNGSRAUM 04 NEURONEN Raumgestaltung: Der Boden dieses Raums ist von einer begehbaren Gehirnlandkarte bedeckt. Die Besucher können über interaktive Objekte Licht-Reaktionen auslösen, die auf elementare Weise die Vorgänge im Belohnungszentrum des Gehirns verdeutlichen. Ein dreidimensionales Herz und ein bewegliches Gehirnmodell, das sich über die Gehirnlandkarte bewegt, ergänzen diesen interaktiven Raum der Ausstellung. Einführungstext: Hirnforscher können dem Gehirn heute gleichsam beim Glücklichsein zusehen. Seit etwa zehn Jahren untersuchen sie, wie das Glück in unserem Kopf zustande kommt. Eine wichtige Erkenntnis lautet: Der Mensch ist neurobiologisch gar nicht darauf angelegt, dauerhaft Glück zu empfinden. Vielmehr sorgt das so genannte Belohnungssystem dafür, dass der Mensch nach immer neuen Momenten des Glücks streben muss. Glücksgefühle spielen somit eine wesentliche Rolle für seine Wünsche, Überzeugungen und Werte. Sie unterstützen Lernprozesse und beeinflussen Entscheidungen und Handlungen. Allerdings stellen die von der Hirnforschung beschriebenen Mechanismen immer nur einen Ausschnitt der vielfältigen Funktionen und Bedeutungen des Glücks dar. Vollständig erklären können auch sie es nicht. BOTENSTOFF UND HIRNREGION Bis vor wenigen Jahrzehnten waren Fragen nach dem Glück meist religiöser, philosophischer oder gesellschaftlicher Natur. Vorgänge in Körper und Kopf waren nur dann von Bedeutung, wenn Krankheit oder Schmerz das Glück verhinderten. Die Entdeckung, dass die elektrische Stimulation bestimmter Gehirnregionen positive Gefühle hervorrufen kann, führte in den 1950er Jahren zur Beschreibung von „Glückszentren“ im Gehirn. Heute vereint man unter dem Begriff „Belohnungssystem“ diejenigen Hirnregionen, Nervenbahnen und Botenstoffsysteme, die das Empfinden von und das Verlangen nach Glück regulieren. ESSEN UND SEXUALITÄT Das Wohlgefühl, das sich beim Essen besonders guter Speisen oder beim Sex einstellt, möchte man immer wieder verspüren. Denn Nahrung und Sex regen das Belohnungssystem als „primäre Verstärker“ an. Überlebensnotwendiges Verhalten – wie Ernährung und Fortpflanzung – wird dadurch gefördert, ohne erlernt worden zu sein. Auch das erfüllende Glück der Liebe hängt mit der Aktivierung des Belohnungssystems zusammen. So sichern hohe emotionale Bindungen zum Kind und zum Partner das Überleben und Wohlbefinden des Nachwuchses. Ein besonders starkes Verlangen kann jedoch das Belohnungssystem derart verändern, dass Zufriedenheit in Unzufriedenheit umschlägt. 8 MACHT UND ANNERKENNUNG Geld, Macht, Lob und Anerkennung sind sogenannte „sekundäre Verstärker“. Auch sie aktivieren das Belohnungssystem, aber nur, wenn ihre Bedeutung und ihre positiven Auswirkungen erlernt wurden. Teure Prestigeobjekte, mutiges Verhalten und intellektuelle Errungenschaften vermitteln soziale Überlegenheit und bringen Vorteile mit sich, die zu besseren Überlebens- und Fortpflanzungschancen führen. Es ist der Vergleich mit anderen, der glücklich oder unglücklich macht, wobei sich rasch ein Gewöhnungseffekt einstellt. Daher verlangt der Mensch nach immer mehr und befindet sich in einer Art Glücks-Hamsterrad – nur um das eigene Glücksniveau halten zu können. SUCHT UND DROGEN Suchtmittel regen das Belohnungssystem stärker an als natürliche Belohnungsreize. Im Gehirn findet eine Anpassung an die erhöhte Aktivierung statt. In der Folge kommt es zu einem immer stärker werdenden Verlangen nach der Droge, schließlich zu Gewöhnung, Entzugserscheinungen und Abhängigkeit. Auch exzessiv ausgeführte Handlungen, wie Spielen oder Einkaufen, können zu Veränderungen im Belohnungssystem führen und abhängig machen. Süchtige Menschen sprechen kaum noch auf natürliche Belohnungsreize an. Das Belohnungssystem wird durch die suchtbedingten Veränderungen zur lebensbedrohlichen Maschinerie. GLÜCKSPILLEN UND ANTIDEPRESSIVA Sind Schmerz und Unglück notwendig oder können Menschen zukünftig im Dauerglück leben? Eine Pille für anhaltende Freude gibt es bislang ausschließlich in der Science Fiction. Nicht nur Wissenschaftler interessiert, was den Miesepeter von der Frohnatur unterscheidet und auf welche Weise auch der ewig Unzufriedene zu seinem Glück kommen könnte. Um Befindlichkeitsstörungen zu beheben, ist der Griff zum Medikament schon längst zur viel kritisierten Selbstverständlichkeit geworden. Dem gegenüber steht die Depression als ernstzunehmende Krankheit, deren intensive Erforschung helfen soll, Betroffene vor oft tödlich endender Verzweiflung zu schützen. LACHEN UND FREUDE Lachen ist ein Zeichen von Freude und Glück. Es wirkt beruhigend und kann zu einem umfassenden Wohlgefühl führen. Lachen löst Spannungen und macht das Leben leichter. Mit einem Lächeln auf den Lippen lassen sich Stress und Ängstlichkeit überwinden. Gemeinsames Gelächter beschwichtigt erhitzte Gemüter. Die Wissenschaftler, welche die Auswirkungen des Lachens erforschen, nennen sich Gelotologen (griech.: „gelos“ = Lachen). Sie konnten nachweisen, dass Humor und Erheiterung das Belohnungssystem direkt aktivieren. Bei Lachtherapien und im Lachyoga wird die heilsame Wirkung des Lachens für Körper und Seele genutzt und gefördert. 9 GLÜCKSMESSUNG UND GLÜCKSGEFÜHL Wollen Sie wissen, wie glücklich Sie sind? Glück kann auf viele Arten gemessen werden. Glücksmomente können im Gehirn sichtbar gemacht werden; Gesichtsausdruck und Muskelanspannung verraten den Erregungszustand eines Menschen. Will man allerdings wissen, wie glücklich sich Menschen fühlen, muss man Befragungen durchführen. Meist geht es dabei nicht um die Erforschung eines momentanen Glücks, sondern um die allgemeine Lebenszufriedenheit, deren Grundlagen erklärt werden sollen. Dabei wird das Glück im Zusammenhang mit Faktoren wie Einkommen, Gesundheit, Familienverhältnisse, politische Veränderungen, Alter oder Bildung untersucht. Exponate (Auswahl): Schädelabguss mit Beschriftungen Franz Joseph Gall (1758–1828) um 1800; Gips, Papier Anthropologische Sammlung, Muséum national d'Histoire naturelle, Paris Der Hirnforscher und Anatom Franz Joseph Gall glaubte durch Abtasten und Vermessen der Kopfform den Charakter eines Menschen bestimmen zu können. Er verortete 27 „Organe“ – jedes für eine besondere Charaktereigenschaft – auf dem menschlichen Schädel. Die Gefühle, so schreibt er, sind aber ungewollte oder passive Regungen, die entweder durch eines oder aber durch alle Organe hervorgerufen werden. Es sei daher nicht möglich, Stimmungen wie Trauer oder Freude auf dem Schädel zu verorten. Mécanisme de la physionomie humaine ou analyse électro-physiologique de l'expression des passions (Mechanismen der menschlichen Physionomie oder elektro-physiologische Analyse des Ausdrucks der Gefühle) Guillaume Benjamin Amand Duchenne de Boulogne 1876; Paris Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz Duchenne de Boulognes Fotografien aus den Jahren 1852–1856 gelten als die ersten fotografischen Dokumente einer medizinischen Forschungsarbeit. Der französische Arzt schrieb damit Medizin- und Fotografiegeschichte. Duchenne konnte allein durch elektrische Reizung jeden Gesichtsmuskel einzeln aktivieren und beschrieb als erster die Zusammenhänge von Gefühlsausdruck und Muskeltätigkeit. Er erkannte, dass man nur dann echt lächelt, wenn auch der Augenmuskel beteiligt ist. Erst beim echten, nach ihm benannten Duchenne-Lächeln, treten die typischen Fältchen in den Augenwinkeln auf. Der Gänsehaut-Faktor Auftragsproduktion DHMD, 2008 Mit freundlicher Unterstützung von Frederik Nagel, Hochschule für Musik und Theater, Hannover Gibt es eine Musik, bei der jeder Mensch eine Gänsehaut bekommt? In einer Studie der Hochschule für Musik und Theater, Hannover hörten 38 Personen zwischen 11 und 72 Jahren verschiedene Musikbeispiele. Sie beschrieben dazu ihre Gefühle und die Herzfrequenz wurde aufgezeichnet. Eine Gänsehaut bekamen die Probanden vor allem bei ihrer Lieblingsmusik – also individuell sehr unterschiedlich. Einige Grundregeln für den gefühlvollen Musikgenuss konnten dennoch aufgestellt werden. Der Einsatz der Stimme, eine plötzliche Neuigkeit in der Musik, aber auch die gesammelten musikalischen Erfahrungen und die allgemeine Empfindsamkeit des Hörers, entscheiden darüber, ob Musik ein starkes Gefühl hervorrufen kann. Musikalische 10 Knalleffekte rufen bei den meisten Menschen starke Gefühle hervor – das täte ein Pistolenschuss wohl auch. Die ferngesteuerte Ratte Ausschnitt aus „Human Version 2.0“, BBC Horizon, 2006 Diese Forschungen werden kritisch diskutiert, da sie die Möglichkeit der Manipulierbarkeit von Menschen in Aussicht stellen. Das Forscherteam um John Chapin nutzte die Kenntnisse über das Belohnungssystem zur Fernsteuerung von Ratten. Sie implantierten drei Elektroden in das Gehirn von Versuchsratten: Zwei Elektroden stimulierten die Gehirnregionen, die die Reize der Tasthaare verarbeiten; durch deren Aktivierung wurde eine Berührung der jeweiligen Tasthaare simuliert. Die Ratte sollte daraufhin nach links bzw. rechts gehen. Die dritte Elektrode stimulierte das Belohnungssystem. Wenn die Ratte eine korrekte Links- bzw. Rechtsbewegung ausführte, bekam sie einen Belohnungsreiz. Chapin sagt: „Die Ratte arbeitet für die Freude“. 11 AUSSTELLUNGSRAUM 05 MUSIK Raumgestaltung: Dieser Raum kommt ohne Objekte aus, denn er ist ganz dem Hören und dem Singen gewidmet. In einer Karaoke-Box können die Besucher die Probe aufs Exempel machen: Macht Musik glücklich? Einführungstext: In Deutschland zählen Musikhören und Musizieren zu den beliebtesten Freizeitbeschäftigungen. Musik macht aber nicht nur glücklich, sie kann auch traurig stimmen oder aggressiv. Musik weckt durch ihren unmittelbaren Einfluss auf emotional bedeutsame Gedächtnisinhalte auch unser Erinnerungsvermögen. Sie aktiviert unser Belohnungszentrum im Gehirn und kann sogar Leiden und Schmerzen lindern, indem sie Gehirnbereiche blockiert, die Angst und Furcht vermitteln. Aufgrund dieser vielfältigen, teils gegensätzlichen Wirkungen wird Musik in der Werbung ebenso eingesetzt wie in der politischen Propaganda. KARAOKE-BOX Regelmäßiges Singen wirkt sich positiv auf Geist und Seele aus, auf Konzentrationsfähigkeit, Stress-Resistenz, soziales Verhalten und Lebenszufriedenheit. Neuere wissenschaftliche Untersuchungen und Befunde belegen: Singen regt vielfältige Vernerungen im Gehirn an: Das Belohnungszentrum wird aktiviert und das Hormon Oxytocin ausgeschüttet. Gleichzeitig wird die Konzentration der Stress- und Aggressionshormone Testosteron und Cortisol gesenkt. Musizieren und Singen unterstützen nicht nur die Entfaltung der Persönlichkeit, sondern auch die Entwicklung von Kreativität und Fantasie. MUSIK UND EMOTIONEN Ein Leben ohne Musik kann sich kaum jemand vorstellen. Musik begleitet den Menschen von der vorgeburtlichen Zeit bis hin zum Sterbebett. In allen Kulturen wussten die Menschen um die heilende Wirkung der Musik. Denn das Ohr verschafft Zugang zu Stimmungen und Gefühlen unmittelbarer als das Auge. Musik ist deshalb besoners geeignet, das zu entdecken, was im Unterbewussten liegt. Bewusstes Hören bewirkt eine Entfaltung von Wahrnehmungs- und Erlebnisfähigkeit. Die Kraft der Musik wird in vielen Bereichen eingesetzt. Die unterschiedlichen Religionen nutzen Musik zur Beeinflussung von Stimmungen: Die Kirchenmusik des Abendlands stimmt feierlich, kann trösten oder einschüchtern. Im Gospel kann man weinen und lachen. Die Rhythmen bei einer Voodoozeremonie versetzen Menschen in Trance. Im privaten Bereich nutzen wir Musik, um in andere Welten einzutauchen, zum Verführen und Lieben oder zum Tanzen. Musik kann Generationen und auch Völker unterschiedlicher Traditionen verbinden. Sie wirbt von sich aus für das Nachvollziehen und die Faszination fremder Mentalitäten und Temperamente. Dies reicht vom indischen Raga über spanischen Flamenco oder jüdischen Klezmer bis hin zur afro-amerikanischen Rap-Musik. Allerdings mag nicht jeder Mensch jede Art von 12 Musik. Bewusst oder unbewusst schützt er sich dadurch auch vor ungewollten Stimmungen. Denn wir sind der Musik, die wir hören, emotional ausgeliefert. 13 AUSSTELLUNGSRAUM 06 KÖRPER Raumgestaltung: Prägend für diesen Raum ist das szenografische Bild eines Schönheitssalons. Er bietet die Bühne für das Schaulaufen der Objekte zum Thema Schönheit und Unsterblichkeit, die sich vor dem kritischen Auge der Besucher ausbreiten. Einführungstext: Der menschliche Körper ist sowohl Medium als auch Projektionsfläche für Glücksgefühle und Glückssehnsucht. Seine Schönheit und Gesundheit sind Idealvorstellungen, die eng mit dem Glück verbunden sind. Für viele ist der Körper heute aber auch zu einem Schauplatz für Identitätssuche und Selbstinszenierung geworden. Auf einem sich ausweitenden Markt kann man aus einem breiten Angebot von Körperbildern wählen. Der perfekte Körper erscheint in diesen Images als ein Weg zum Glück. Die Verbindung von Medizin, Biologie und Genetik eröffnet weitere Möglichkeiten einer „Verbesserung“ des Körpers. Doch die neuen Biotechnologien stellen ehemals feste Größen der menschlichen Natur in Frage. Geburt, Krankheit und Gesundheit, Altern und Tod scheinen dem Denken und Handeln heute frei verfügbar. Aber was ist der Mensch eigentlich, was soll er sein und was kann aus ihm tatsächlich werden? SCHÖNHEIT Schönheit nimmt in unserer Gesellschaft einen hohen Stellenwert ein. Schöne Menschen scheinen glücklicher zu sein als der Durchschnitt. Sowohl im zwischenmenschlichen Bereich als auch im Beruf werden sie häufig besser eingestuft und besser behandelt. Obwohl sich die Ideale und Normen stetig wandeln, bleibt Schönheit offenbar ein knappes und daher begehrenswertes Gut. Die Wirtschaft profitiert in hohem Maß von der Sehnsucht nach dem perfekten Aussehen. Umgekehrt beeinflusst die Schönheit die Lifestyle-Gestaltung breiter Massen. Dabei kann sich die Lust an der Inszenierung des eigenen Körpers schnell in ihr Gegenteil verkehren. Wenn das Streben nach Schönheit allerdings zum Zwang wird, kann es auch krank machen. Exponate (Auswahl): Aphrodite / Venus Kallipygos Gipsabguss Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Skulpturengalerie Kallipygos bedeutet „schöne Hinterbacken“. Zwei schöne Mädchen stritten einst, welche von ihnen das schönere Hinterteil besitze. Der als Schiedsrichter herbeizitierte Jüngling verliebte sich in die ältere, sein Bruder in die Jüngere. Zum Dank für die Vermählung gründeten die beiden Schönen einen Tempel und weihten ihn der „schönhintrigen Venus“. Teilnehmerinnen der ersten Miss-Amerika-Wahl 1921, Fotografie © Hulton Archive / Getty Images 14 UNSTERBLICHKEIT Wohl kaum eine Erfahrung berührt die Menschen in ihrer Existenz so sehr wie die Erfahrung ihrer Sterblichkeit. Das Nachdenken über den Tod bedeutete aber immer schon zugleich eine Auseinandersetzung mit seiner Überwindung. Daher übt die Vorstellung des ewigen Lebens seit jeher eine große Faszination aus. Beinahe alle Religionen bieten Perspektiven der Unsterblichkeit oder Wiedergeburt an. In der heutigen Zeit entwickelt die moderne Medizin stetig neue Technologien, um die Lebenserwartung kontinuierlich zu steigern. Sie strebt danach, den Tod irgendwann einmal besiegen zu können. Exponate (Auswahl): Der Jungbrunnen Hans Sebald Beham (1500–1550) um 1530, Holzschnitt Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin Die Darstellungen von Jungbrunnen in der Renaissance verbinden religiöse Vorstellungen mit medizinischer Heilquellenkunde. Sie zeugen von dem Wunsch, die christliche Idee von der Erneuerungskraft des Wassers (Taufe, Wunderheilung) ganz konkret auf das Diesseits zu beziehen. Organspende Meschac Gaba (*1961, lebt in Benin und Rotterdam) 2008, Installation mit Feuchtpräparaten und Spalteholzpräparaten Häufig ist für schwer kranke Patienten die Transplantation von Organen die einzige Möglichkeit zur Lebenserhaltung und Lebensverlängerung. Organtransplantationen gehören seit 1980 zu den Standardtherapieverfahren. Der Mangel an geeigneten Spenderorganen stellt inzwischen ein zentrales Problem dar. Ein nicht minder gravierendes besteht im florierenden illegalen Organhandel. 15 AUSSTELLUNGSRAUM 07 FORTUNA Raumgestaltung: Im letzten Raum der Ausstellung befindet sich ein Labyrinth aus Glasbausteinen. In die Steine sind Geldscheine eingelassen, die aus Ländern aller fünf Kontinente stammen. In den Sackgassen des Labyrinths können die Besucher die Exponate zu den einzelnen Abteilungen entdecken. Im Zentrum des Labyrinths hat Meschac Gaba eine Art Wohnzimmer inszeniert, dessen imaginäre Bewohner sich gegen ihre Umwelt abschotten und ihren Wohlstand mit einer Fülle von Amuletten und Talismanen schützen. Einführungstext: Das Glück ist oft nur von kurzer Dauer. Im menschlichen Dasein folgen Gewinn und Verlust, Erfolg und Misserfolg ständig aufeinander. Das Glück ist nicht logisch und nie berechenbar. Es ist das irrationale Moment im Leben eines jeden. Verbindet das Glück sich mit dem Zufall, nennt man es Schicksal, günstige Gelegenheit oder göttliche Fügung. Das Glücklichsein selbst kann in rauschhaften Momenten bestehen, die man aber nicht ins Unendliche verlängern kann. Dennoch versucht der Mensch seit jeher das Glück festzuhalten. Er will sein Schicksal beeinflussen durch Berechnungen, Vorhersagen, Beschwörungen oder Opfer. Aber die Jagd nach dem ganz großen, dem immer währenden Glück ist aussichtslos. Und: Welches Glück suchen wir überhaupt? UNGLÜCK Ins Unglück zu fallen gehört ebenso wie Glücklichsein zu den grundlegenden menschlichen Erfahrungen. Unglück bedeutet nicht einfach nur die Abwesenheit von Glück. Unglücksfälle konfrontieren mit Fragen nach der Vergänglichkeit, nach Zufall und Sinn, nach den Grenzen unserer Handlungsfreiheit. Und sie erinnern Mensch und Gesellschaft daran, dass sie potenziell unter Risiko stehen und Risiken zu bewältigen haben. Der technische Fortschritt vermag zwar die Lebenssicherheit zu steigern und soziale Sicherungssysteme helfen, die Folgen von Unglück abzufedern. Sie können jedoch nicht über die grundsätzliche existenzielle Abhängigkeit der Menschen hinweg täuschen. Exponate (Auswahl): Zaubertischchen mit aufgelegter Zauberscheibe aus Pergamon 3. Jahrhundert n. Chr., Bronze, Drei Plättchen aus schwarzem Stein, beidseitig beschriftet, Antikensammlung, Staatliche Museen zu Berlin Dieser antike Wahrsageapparat stellt eine große Seltenheit dar. In der Antike bestand neben dem offiziellen Götterkult ein volkstümlicher Aberglaube, der sich der Zauberei bediente. Der griechisch-römische Zauberglaube beruht auf der Vorstellung, dass alle Teile des Kosmos miteinander in Verbindung stehen. Unfallfotografien aus den Jahren 1961 bis 1981 Arnold Odermatt (*1925 Oberdorf, lebt in der Schweiz) Fotografie © Urs Odermatt, Windisch (Schweiz) 16 Courtesy Springer & Winckler Galerie, Berlin Arnold Odermatt arbeitete 42 Jahre als Polizeifotograf. Seine Fotografien von Autounfällen waren ursprünglich zur rein juristischen Verwertung gedacht, als Beweisaufnahmen für polizeiliche Zwecke. ZUFALL Nach der Auffassung von Albert Einstein: „Gott würfelt nicht“ gibt es keinen Zufall, auch nicht beim Kartenspiel oder bei der Ziehung der Lottozahlen, es gibt nur ein Informationsdefizit. Inzwischen ist die Physik weiter, sie kennt „nichtdeterministische“ Prozesse, die sich prinzipiell nicht vorhersagen lassen. Das Alltagsleben ist voll von guten und bösen Überraschungen, die wir manchmal dem Zufall zuschreiben. Man kann dem Zufall nicht entgehen, aber man kann etwas daraus machen. Durch Zufall kann Neues entstehen, das unsere Kreativität herausfordert. Exponate (Auswahl): Torso mit Kopf, eröffnet 1920er Jahre, Gipsguss nach Naturabformung Stiftung Deutsches Hygiene-Museum Dresden Die Intuition, die rechte Entscheidung im rechten Moment, beruht auf einem großen unbewussten Wissen. Die Menschen aller Kulturen lokalisieren den Sitz der Intuition im Bauch. Das Bauchgehirn fühlt, denkt mit und erinnert sich, und es lässt uns intuitiv „aus dem Bauch heraus“ entscheiden. Mind Ball 2007, interaktive Computerinstallation Interactive Productline IP AB, Kista, Schweden FORMELN Was wäre das für ein Glück, das sich berechnen ließe? Wir hoffen auf den „Sechser“ im Lotto oder beim Würfeln. Die Zufälligkeit, mit der das Ergebnis eintritt, fordert das Bestreben heraus, nach Formeln zur Berechnung von Glück oder Unglück zu suchen. Wer aber die tatsächlich berechenbare Wahrscheinlichkeit von Glück oder Unglück kennt, der wird sicher nicht zum Lottospieler. Mit Hilfe der Wahrscheinlichkeitsrechnung lässt sich die relative Häufigkeit von Glück zwar vorhersagen, aber bedarf das wirkliche Glück, um Glück zu sein, nicht gerade der Unvorhersagbarkeit? Exponate (Auswahl): Drei Fahrstuhlschilder Christian Siekmeier (*1971 Berlin, lebt in New York) 2007, Fotografie auf Alu/Dibond © Christian Siekmeier Die Zahl 13 gilt in einigen Kulturen als Unglückszahl und in anderen als Glückszahl. Menschen mit Triskaidekaphobie (irrationale Furcht vor der Zahl 13) meiden Räume, Stockwerke oder allgemein die Zahl 13. Christian Siekmeier fotografierte in den USA Aufzug-Schilder, auf denen die Etage mit der Nummer 13 nicht vorkommt. 17 TRESOR Der Glaube an die magische Wirkung von Talismanen und Amuletten ist bis heute in vielen Kulturen weit verbreitet, trotz des wissenschaftlichen und technischen Fortschritts. Nach wie vor wird der Alltag von kleinen oder großen Unwägbarkeiten bestimmt, die sich nicht rational erklären lassen. In einer als unsicher oder gar gefährlich empfundenen Welt bieten Talismane und Amulette das Gefühl von Sicherheit. Sie dienen der Stärkung und dem Schutz ihres Besitzers, sollen Unheil abwehren und stattdessen Glück bringen. Exponate (Auswahl): Phallus-Amulett um 500 v. Chr., Bronze Skulpturensammlung, Staatliche Kunstsammlungen Dresden Phallusanhänger dieser Art wurden in der römischen Antike am Pferdegeschirr befestigt. Amulette mit sexuellen Symbolen sollten böse Menschen und Dämonen ablenken und Schutz vor Neid und dem „Bösen Blick“ bieten. Segenshand khamsa Nordafrika/Tunesien 20. Jh., Silber Landesmuseum Natur und Mensch, Oldenburg Die Hand ist schon in den steinzeitlichen Höhlenmalereien als Abwehrsymbol zu finden. Die Khamsa (arabisch: fünf) als sogenannte „Segenshand“ (oder „Hand der Fatima“ nach der fünften Tochter Mohammeds) in Form einer offenen Hand mit geschlossenen Fingern soll Glück bringen und vor dem „Bösen Blick“ schützen. 18