Trauern und nicht vergessen Von Trauer, Erinnerung und Hoffnung Einige Gedanken zum Thema, das der PLAN FÜR DEN KINDERGOTTESDIENST in diesem Jahr vorsieht, das uns aber darüber immer wieder - auch im Kindergottesdienst - beschäftigt. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich mein Kind mitnehme zur Beerdigung.“ Die Mutter, die dies sagte, begründete ihre Entscheidung damit, dass sie „dem Kind die Begegnung mit der Trauer und alldem ersparen“ wollte. Frage: Trauert das Kind nicht um die gestorbene Oma, wenn es nicht bei der Beerdigung ist? Ist die Entscheidung der Mutter im Grunde wirklich ein Schutz für das Kind – oder ist es nicht vielmehr ein Schutz für die Mutter? Wir können so schwer ertragen, dass Kinder uns Erwachsene so sehen: weinend, unsicher, den Halt verlierend. Und wir haben Angst vor dem Schluchzen des Kindes, das wir nicht abstellen können; vor den Fragen des Kindes, die wir nicht beantworten können. – Also auch hier wieder: Angst vor unserer eigenen Hilflosigkeit. Was wir dabei nicht bedenken: Das Kind ist traurig. Das Kind muss weinen und schluchzen. Das Kind hat die Fragen. Das Kind spürt unsere Unsicherheit. Daran können wir nichts verändern. Wenn wir diese Situation des Kindes ignorieren, ausblenden, es allein lassen, ihm also den Schmerz nicht erlauben, machen wir ihm die Begegnung mit dem Tod um so schwerer, unheimlicher, bedrohlicher und belastender. – Obwohl diese Begegnung ihm weder in Gestalt eines Verstorbenen oder auch nur eines Sarges und eines offenen Grabes tatsächlich geschehen ist. Aber auch das andere gibt es: “Wir konnten gemeinsam Abschied nehmen. Das war schwer. Aber dann konnten wir auch wieder zusammen fröhlich sein.“ So fasste eine andere Mutter zusammen, was sie mit ihrem Kind erlebt und durchlebt hatte: Kurze Besuche bei der schwerstkranken Oma, solange dies vom Kind gewünscht war. Zeit im Aufbahrungsraum des Friedhofes, gefüllt mit Weinen und Fragen und Reden und Erzählen. Die Beerdigung mit dem Weg über den Friedhof, und natürlich warf auch das Kind Erde in das offene Grab. Auch das Kind machte beim anschließenden Kaffee die Erfahrung, dass die unmittelbare Trauer voller Tränen und Sprachlosigkeit überging in Erzählen, Lachen und sich über Begegnungen zu freuen. Zusammen mit anderen Kindern und einem freundlichen älteren Herrn saßen sie schließlich mit einem Kartenspiel an einem Tisch – „Das haben wir mit Oma auch oft gespielt.“ Wenn wir im Kindergottesdienst das Thema „Trauern“ aufgreifen, dann müssen wir dabei bedenken, dass viele Kinder solche und ähnliche Erfahrungen mitbringen. Kindergottesdienste zum Thema Trauer zu feiern ist wichtig und richtig. Und es ist richtig und wichtig, den Kindern zuzugestehen, dass die Erfahrungen, die sie mitbringen oder später in ihrem Leben damit machen werden, tiefgreifend, schwer fassbar und sehr ernsthaft sind, und manchmal kaum Worte dafür da sind. Kindergottesdienst zum Thema Sterben und Trauer darf nicht banalisierend mit dem Thema umgehen. Wenn wir meinen, wir könnten mit Kindern nicht über das Sterben eines geliebten Menschen reden, sondern müssten den „sanfteren“ oder „harmloseren“ Umweg über das gestorbene Tier nehmen, dann signalisieren wir damit vor allem: „Da gibt es ein Tabu. Da kannst Du nicht mit mir drüber reden.“ Damit aber werden wir dem Thema nicht gerecht, und letztlich nehmen wir auch das Traurigsein über ein gestorbenes Haustier nicht ernst. Denn wir benutzen es ja nur für etwas eigentlich anderes. Erinnern und nicht vergessen Rituale des Erinnerns – nicht nur für Kinder Rituale sind gerade in Verbindung mit Trauer und Erinnerung wichtig. Denn zum Ritual gehört, dass es wiederholbar ist. Und in der Wiederholung selbst steckt ja schon die Erinnerung. In Bezug auf einen Verstorbenen bleibt nur die Erinnerung. Neue Begegnungen, neue gemeinsame Erlebnisse gibt es nicht mehr. Erinnerung ändert sich, wird in manchem blasser, anderes kommt hervor. Ganz persönlich will ich es sagen: Die vielen Sprüche, die mein Vater „drauf hatte“, erinnere ich jetzt, ein halbes Jahr nach seinem Tod viel deutlicher als zu seinen Lebzeiten. Wie oft ertappe ich mich bei dem – manchmal auch ausgesprochenen - Gedanken „Jetzt würde Papa dies oder das antworten.“ Und mein Gefühl ist dann eine Mischung aus Trauer (ich kann ihn nicht mehr hören) und Lachen (was für originelle Sprüche hatte er bloß zu jeder Gelegenheit auf den Lippen!). Ein Ritual der Erinnerung gibt diesen persönlichen Erfahrungen Ausdruck und Raum. Ein Ritual hat Anfang und Ende und setzt damit auch dem Trauernden wichtige Grenzen. Ein gutes Ritual kann davor bewahren, von Trauer und Erinnerung beherrscht zu werden. So öffnet es Lebensraum für Neues. Ein Ritual der Erinnerung ist ein Innehalten, um dann Schritte nach vorn gehen zu können. Ein Ritual macht die Erinnerung kostbar und bindet sie in das Leben ein. Unter diesen Aspekten will ich ein weit verbreitetes Ritual in Verbindung mit Trauer und Erinnerung einmal genauer bedenken: Das Anzünden von Kerzen. Ich kenne es sowohl aus Kindergottesdiensten als auch aus besonderen Gottesdiensten der Erinnerung in der Friedhofskapelle. Zweifellos beinhaltet diese Form die Wiederholbarkeit. Doch wie schaffe ich die Verbindung zur Erinnerung an den Verstorbenen? Was erinnere ich denn in diesem Licht? Zwei Schwerpunkte nenne ich: 1. Ein Mensch, der mir lieb war, ist gestorben; da ist ein Loch – neben mir, in mir. Es ist ein dunkles Loch. Indem ich in Erinnerung an diesen Menschen ein Licht anzünde, kann ich in diesem dunklen Loch erkennen, was für ein Licht und Leben dieser Mensch auch für mich war und immer noch ist. In meinem Beispiel von meinem Vater: Ich nehme nicht nur die fehlenden Sprüche wahr, sondern die Freude und den Schalk im Nacken, die er damit ausgedrückt und verbreitet hat. Das Licht bringt mich auch auf die Spuren, die das beendete Leben in mein Leben und in das Leben dieser Welt hinein gezogen hat und zieht. 2. Das Licht der Kerze erinnert mich an den, der sagt: „Ich bin das Licht der Welt“. Von ihm glaube ich, dass die „Welt“, die er beleuchtet, nicht da endet, wo ich nichts mehr verstehe und erfasse. So wird die Kerze zur Christuskerze, die mir signalisiert, dass das Leben des Verstorbenen in diesem Licht nicht verloren ist. Ich kann mit Kindern nur einen der beiden o.g. Gedanken verfolgen. Ich muss also bedenken, ob ich den Schwerpunkt auf das Erinnern legen will oder auf die ChristusAussage der Geborgenheit über den Tod hinaus. Beides hat sein Recht und erfordert je eigene Gestaltung des Rituals. 1. Erinnern In wenigen Sätzen spreche ich die Trauer über den Verlust eines Menschen an, den ich nicht mehr sehen, hören, berühren kann. Dann leite ich behutsam zum Erinnern über. Wenn ich an diesen Menschen denke, dann fällt mir so manches ein. Das ist, als wenn ein Licht da ist, so dass ich durch die dunkle Traurigkeit hindurch etwas sehen kann. Das ist schön. Wir zünden nach und nach für jeden Menschen, der gestorben ist, und an den wir uns erinnern wollen, ein Licht an. Jedesmal wird der Name (oder der Familienbezug (=z.B. mein Opa…) genannt und wenn das Kind mag, erzählt es eine Erinnerung dazu oder etwas, was von diesem Menschen immer wieder erzählt wird. Die Erinnerungskerzen stehen in der Mitte des Kreises oder auf einem niedrigen Tisch vor dem großen Altar-Tisch. Zum Ende dieses Rituales wird ein ruhiges Lied gesungen. Ein Dankgebet für so viel gute Erinnerungen mündet in das Unser Vater-Gebet. Am Ende des Gottesdienstes wird allen, die eine Kerze angezündet haben, angeboten, die Kerze mitzunehmen (zum Transport wird sie natürlich dann ausgepustet). Anregung: Wenn Du traurig bist, weil dieser Mensch nicht mehr da ist, kannst du die Kerze anzünden und an das denken, was du von ihm in guter Erinnerung hast. 2. Licht des Lebens In wenigen Sätzen wird angesprochen, dass Menschen, die wir lieb haben, gestorben sind. Wir haben vielleicht ein Grab, das wir sehen, mehr nicht. Man könnte denken: Dieser Mensch ist einfach fort, alles ist vorbei. Aber Gott vergisst keinen Menschen, egal ob der Mensch lebt, gestorben ist, oder noch nicht geboren ist. Bei Gott sind alle gut aufgehoben. Jesus hat das einmal so ausgedrückt: „Ich bin das Licht der Welt. Wer an mich glaubt, lebt und hat das Licht des Lebens.“ (Wenn vorhanden, kann hier der Bezug zur Osterkerze hergestellt werden) Wir vertrauen darauf, dass die Menschen, die gestorben sind, in Gottes Licht des Lebens gut aufgehoben sind. Darum wollen wir heute für Menschen, die gestorben sind und an die wir heute besonders denken, eine Kerze anzünden. Die Kerze zeigt uns: Gottes Licht des Lebens ist auch für sie da, ganz gewiss. - Es können Namen oder Familienbezüge genannt werden. Zu jedem einzelnen zündet das Kind oder ein Mitarbeiter eine Kerze an (wenn möglich an der Osterkerze). Auch ein wortloses Anzünden ist natürlich möglich! Ein Dankgebet für Gottes Licht des Lebens und die Geborgenheit bei ihm mündet in das Unser-Vater-Gebet. Die Kerzen bleiben brennend in der Kirche, bis alle Gottesdienstbesucher den Raum wirklich verlassen haben. So kann das Gefühl Raum bekommen: Der verstorbende Mensche ist gut aufgehoben bei Gott und ich kann mich loslösen von dem Verstorbenen und ins Leben gehen. Zu bedenken ist: 1. Gestaltung der Kerzen und Umgang mit ihnen a) In beiden Fällen sollen es schöne Kerzen sein (nicht Teelichter in Alu-Hüllen!), die etwas von Dauer, Ruhe und Kostbarkeit ausstrahlen. b) Ganz praktisch muss ausprobiert werden, ob das Anzünden und Aufstellen auch für Kinder problemlos zu bewerkstelligen ist. (Ein Teelicht in ein tiefes Glas zu ‚stellen’ endet oft mit dem Verlöschen des Lichtes oder mit heißen Fingern). Evtl. zum Anzünden ganz dünne, nichttropfende Anzündekerzen verwenden, denn dann muss die anzuzündende Kerze nicht bewegt werden. die Kerzen müssen standfest sein und so auf dem Tisch angeordnet werden, dass die Kinder gefahrlos das Anzünden vornehmen können. Diese Dinge sind weit mehr als technische Fragen! Denn jede Unsicherheit, jedes Gefühl von „misslingen“ zerstört fast unweigerlich das, was das Ritual eigentlich anbieten soll: Ruhe, Konzentration und eine gute Erfahrung im Umgang mit schmerzvoller Erinnerung. c) Von einer Gestaltung der Kerzen mit farbigem Verzierwachs rate ich weitgehend ab. Auf keinen Fall darf die Erinnerungskerze mit dem Namen eines Verstorbenen versehen werden. Denn was für ein Bild entwickelt sich, wenn dieser Name irgendwann wegschmilzt? d) Eine kleine Stumpenkerze steht sicher, wenn sie in einem passenden schlichten niedrigen Glas steht. In solchem Fall könnte sogar zur Erinnerung das Glas mit einem Namen o.ä. versehen werden. Dann ist die Kerze später zu Hause auswechselbar, aber der Bezug zum Erinnern bleibt. e) Das Auslöschen einer Kerze im Zusammenhang mit einem Ritual ist immer ein sehr empfindsamer Moment und muss darum bewusst bedacht oder eingeordnet werden. Denn als Handlung signalisiert es Tod, Ende, Dunkelheit – also all das, was wir gerade „gut aufgehoben“ haben. Beim Mitgeben der Kerzen und Gläser ist das Auslöschen notwendig, sollte dann aber mit einem entsprechenden Satz verbunden werden, der das Auslöschen für die Kinder weitgehend aus dem „Ritualhandeln“ herausnimmt. Kerzen, die im Kirchraum bleiben werden immer erst ausgelöscht, wenn alle Kinder die Kirche verlassen haben! Hier ist es wichtig, ggf. Küster und Presbyter entsprechend anzuweisen! Alles, was hier mit Blick auf Kinder genannt ist, gilt für Jugendliche und Erwachsene ganz genauso! Brigitte Messerschmidt, Xanten