Trauer ist wie ein Cocktail (DOCX | 19.6 KB) - Barbara Pachl

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Trauer ist ...
Trauer ist wie ein Cocktail. Eines von diesen Getränken, in denen sich
verschiedene Säfte, Sirup und Alkoholika im Glas übereinander stapeln, sodass wir
die einzelnen Schichten und ihre Farben bewundern können. „Phasen“. Das ist die
physikalische Bezeichnung für Flüssigkeiten verschiedener Dichte, die sich nicht
miteinander vermischen, sondern übereinander liegen.
Für mich sind die Phasen der Trauer wie flüssige Phasen in einem Cocktailglas.
Ich tauche meinen Strohhalm ein, und je nachdem wie tief ich tunke, umso mehr
Phasen berühre ich zugleich.
Die Flüssigkeit weicht unseren Strohhalm auf – er ist ja aus natürlichem
Material. Die Schwerkraft zieht ihn nach unten. Wo wir zunächst betäubt waren
wie von Schnaps, lernen wir bald das Salz der Tränen kennen. Wir stochern herum,
wir üben den Wechsel zwischen Ablenkung, Weinen, Schlafen und ins-LeereStarren. Die nächste Phase kommt hinzu, je nach Cocktail ist sie sauer, scharf,
brennend oder fad. Sie macht uns trunken, mutlos oder setzt uns in Bewegung. Die
Phasen, die wir zuvor gekostet haben, bleiben uns erhalten, immer wieder können
wir das Glas absetzen und nippen, an dem, was wir bereits kennen. Es liegt an uns,
wie weit wir das Glas kippen.
Der Weg durch die Trauerphasen ist für mich ein Weg der Erweiterung. Immer
tiefer tauchen wir ein in den Kosmos der Gefühle und Möglichkeiten, immer breiter
wird unser bewusstes und unbewusstes Repertoire.
Der Bodensatz des Cocktails ist süß. Wir haben geübt, zu ruhen. Wir haben den
spirituellen Raum betreten und für uns geklärt, wie wir zu ihm stehen. Wir haben
Fragen gestellt, Antworten gesichtet und ausgewählt. Wir haben gelernt, unsere
Gefühle zu differenzieren und die Bedürfnisse zu erkennen, die hinter diesen
Gefühlen stecken. Wir haben gelernt, uns zu helfen, wir haben gelernt, uns im
neuen Alltag zu orientieren. Wir haben gelernt, für uns selbst zu sorgen.
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Diese Fähigkeiten bauen aufeinander auf, und doch ist der Weg durch die
Phasen der Trauer keine Einbahnstraße. Wir haben die Wahl. Wir dürfen immer
wieder zu Start zurück.
Der Sirup am Boden verspricht: Du bist nicht allein. Die Zeit ist dein Freund, sie
hilft mit, alle Phasen zu durchschreiten, alles zu lernen, was es zu lernen gibt und
das zu erkennen, was du ohnehin schon kannst. Das meiste, was wir in der Trauer
durchleben, ist auch im normalen Leben allgegenwärtig, wenn auch nicht so klar
umrissen, nicht so deutlich und groß. Was wir in der Trauer lernen, können wir
später brauchen. Manches, was wir in der Trauer brauchen, haben wir schon
vorher gelernt. Vieles im Cocktail der Trauer schmeckt bekannt. An andere
Geschmacksrichtungen müssen wir uns erst gewöhnen. Manche wollen wir nicht
haben, doch wir müssen durch, wenn wir zum Zuckersirup gelangen wollen.
Ein Umtauschrecht haben wir nicht. Unser Cocktail ist speziell für uns gemixt. Er
ist ein Elixier, das uns der Tod auf den Tresen gestellt hat, und das dennoch Leben
verheißt. Ein Leben, das mehr kennt als vorher. Ein Leben, das vielfältig schmeckt,
nach großer, weiter Welt.
In einer Trauerbegleitung habe ich einer jungen Frau das Bild vom Cocktail
aufgezeichnet und meine Assoziation zu den Trauerphasen erklärt. „Ich weiß, in
welcher Phase ich gerade bin“, sagte sie. „In der Stabmixerphase!“
Es gibt Zeiten, da ist alles durcheinander, da trinken wir alle Gefühle zugleich.
Das ist normal. Der Barkeeper unserer Trauer trägt keine Samthandschuhe. Können
wir darauf vertrauen, dass keine der Flüssigkeiten giftig ist? Können wir lernen,
kleine Schlucke zu machen, um unseren Magen nicht zu überfordern? Die Zeit ist
auf unserer Seite. Sie macht Ordnung, sie bringt immer wieder alles an seinen Platz.
Der Sirup ab Boden der Trauer – aus welchen Früchten ist er gepresst? Aus
Übung. Aus der Erfahrung, dass auch auf Überraschungen Verlass ist. Aus
gewachsenem Vertrauen. Aus dem Wissen um unseren Mut und unsere Kraft. Wir
dürfen ihn genießen, wir haben ihn uns verdient.
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