Botschafter Dr - International Institute for Peace

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SYMPOSIUM: MOSKAUER MEMORANDUM 1955 – SIGNAL FÜR DEN FRIEDEN IN EUROPA
Botschafter Dr. Rostislav Sergeev
Durchbruch bei den Moskauer Verhandlungen im April 1955
Zum 50. Jahrestag der Unterzeichnung des österreichischen Staatsvertrages
Der 11. April 1955 war trüb und kalt. Der Regen, der fiel, war mit Schnee vermischt. Der Himmel
über dem, an der Leningrader Chaussee gelegenen Zentralflughafen Moskaus war mit einem grauen
Dunstschleier überdeckt.
In der Nähe der kleinen, meteorologischen Station, in deren Erdgeschoß sich der Empfangssaal für
Regierungsdelegationen befand (an diesem Standort befindet sich heute ein modernes Hotel) hatten
sich die Mitglieder der Regierungsdelegation der UdSSR zum Empfang der Regierungsdelegation
Österreichs versammelt. Unter den Wartenden befanden sich die Mitglieder des Präsidiums des ZK
der KPdSU und Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrates, W.M. Molotow und A.I.
Mikojan, der Minister für Außenhandel I.G. Kabanow, der Stellvertreter des Außenministers W.S.
Semjenow, der sowjetische Oberste Kommissar in Österreich, I.I. Iljitschow, der Leiter der
Europäischen Abteilung im MID (Ministerium für auswärtige Angelegenheiten) der UdSSR S.G.
Lapin und andere verantwortliche Mitarbeiter der MID.
Das aus Wien ankommende Flugzeug IL14 fuhr langsam zur Gruppe der Wartenden. Von Bord des
Flugzeuges kamen der Bundeskanzler Österreichs J. Raab, der Vizekanzler A. Schärf, der
Außenminister L. Figl, der Staatssekretär B. Kreisky und andere begleitende Personen. Die
Wartenden begrüßten die Ankommenden. Unter Marschmusik schritten J. Raab, W.M. Molotow
und A.I. Mikojan eine angetretene Ehrenwache der Einheiten der Moskauer Garnison ab. Es wurden
die Nationalhymnen Österreichs und der UdSSR gespielt.
Nach der feierlichen Zeremonie fand ein kurze Beratung über den Ablauf der Verhandlungen statt.
Nach einem sechsstündigen Flug (damals dauerte ein Flug von Wien nach Moskau so lange) wurde
den Gästen vorgeschlagen, sich etwas zu erholen und die offiziellen Gespräche am nächsten Tag zu
beginnen.
Am Morgen des 12. April fanden die Besuche der österreichischen Delegation bei dem
Vorsitzenden des Ministerrates der UdSSR N.A. Bulganin und bei W.M. Molotow statt. So
begannen die Verhandlungen, die zur Unterschrift des Österreichischen Staatsvertrages führten.
Bis 1955 befand sich die österreichische Frage schon 8 Jahre im Gespräch, in dieser Zeit fanden
ungefähr 400 Treffen und Sitzungen statt. Auf der Berliner Konferenz der Außenminister der
UdSSR, Großbritanniens, der USA und Frankreichs unter Teilnahme Österreichs im Februar 1954
wurde keine Einigung über die österreichische Frage erreicht. Die Westmächte wollten keinen
Friedensvertrag mit Deutschland unterschreiben und waren gegen eine Wiedervereinigung, die
Sowjetunion hielt eine Lösung der österreichischen Frage ohne Lösung des deutschen Problems,
das auch ein Verbot einer Annexion Österreichs beinhaltete, für unmöglich.
Sergejev, Rostislav Alexandrowitsch, Außerordentlicher und Bevollmächtigter Botschafter,
Vorsitzender des Rates für Umweltsicherheit der Außenpolitischen Assoziation, von 1953 bis 1959
Teilnehmer and den Verhandlungen und Gesprächen zur Beilegung der Nachkriegsprobleme der
österreichischen und deutschen Fragen.
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Hitlerdeutschland und an der Befreiung Österreichs teilnahm, und auf seinem Territorium die
Schaffung von ausländischen Militärbasen nicht zuzulassen.
Zur schnellsten Beilegung der österreichischen Frage schlug die sowjetische Regierung die
Einberufung einer Beratung der Vier-Mächte vor, die den Abschluss des österreichischen
Staatsvertrages behandeln sollte. In der Mitteilung wurde darauf verwiesen, dass die Ratifizierung
der Pariser Abkommen, die einen Weg für die Wiedergeburt des Militarismus Westdeutschlands
darstellt, eine ernsthafte Gefahr für eine Annexion darstellen würde.
Der österreichische Botschafter N. Bischoff bat sofort nach dem Bericht Molotows um Erläuterung
der sowjetischen Vorschläge im MID der UdSSR. In Unterredungen mit W.M. Molotow im Februar
und März wurden diese Erläuterungen gegeben. Im Einzelnen teilte der Minister mit, dass die
sowjetische Seite die Lösung der Frage über Österreich nicht von der Lösung der deutschen Frage
abhängig macht, und nur auf den Zusammenhang hinweise, der natürlich zwischen diesen beiden
Fragen bestehe. In Wien hatte man verstanden, dass somit die sowjetische Seite einen wichtigen
Schritt vorwärts gemacht hatte. Mitte März teilte die Regierung Österreichs mit, dass das Land nicht
die Absicht hat, sich einer militärischen Vereinigung anzuschließen oder die Gründung von
Militärbasen auf seinem Territorium zuzulassen.
Gleichzeitig mit der Sondierung, welche der Botschafter Österreichs im MID der UdSSR
durchführte, wurde im ZK der KPdSU die Frage von zweiseitigen Gesprächen mit Österreich und
der Einladung einer österreichischen Regierungsdelegation nach Moskau besprochen. Von Februar
bis April 1955 richtete das MID der UdSSR mehrere Denkschriften zur österreichischen Frage an
das ZK der KPdSU. Im Präsidium des ZK der KPdSU wurde die Frage über die Frist des Abzuges
der Truppen erörtert. In der ersten Denkschrift wurde ein Zeitraum von 36 Monaten vorgeschlagen.
Später wurde er gekürzt. Außerdem wurde die Möglichkeit des Einmarsches von Streitkräften im
Falle der Gefahr einer Annexion oder der Verwendung des Territoriums Österreichs zu
militärischen Zielen gegen einen der Staaten der Antihitlerkoalition vorgesehen, aber auch die
Aufrechterhaltung eines begrenzten Kontingents sowjetischer Streitkräfte für 7 Jahre.
Die gegenseitigen sowjetisch-österreichischen Sondierungen setzten sich fort, unabhängig davon,
dass in der BRD und Frankreich im Februar-März 1955 die Ratifizierung der Pariser Abkommen
erfolgte. Das Präsidium des ZK der KPdSU beschloss Ende Februar, im Falle des positiven
Ausgangs der Sondierungstreffen mit der österreichischen Seite zweiseitige Gespräche mit
Einladung einer Regierungsdelegation nach Moskau zu beginnen.
Die Die österreichische Seite nahm nicht sofort den sowjetischen Vorschlag an. Mitte März teilte
Wien mit, dass „eine endgültige Lösung der österreichischen Frage durch eine Konferenz aller
interessierten Staaten unter Teilnahme Österreichs gefunden werden kann“. Gleichzeitig hat man
sich dafür ausgesprochen, die durch die sowjetische Seite aufgeworfenen Fragen zu klären (über die
Gefahr eines Anschlusses, über den Nichtbeitritt zu militärischen Bündnissen und die
Nichtzulassung von Militärbasen).
Die Westmächte sperrten sich wie früher gegen bilaterale sowjetisch-österreichische Gespräche, da
sie befürchteten, dass ein möglicher erfolg in der österreichischen Frage Einfluss auf das deutsche
Problem hat. Trotzdem setzte sich der zweiseitige Meinungsaustausch zwischen Moskau und Wien
fort. Am 24. März 1955 überreichte Molotow den österreichischen Botschafter N. Bischoff ein
Dokument der Regierung der UdSSR, in welchem das Einverständnis mit den Positionen erklärt
wurde, die in der Erklärung der Regierung Österreichs von Mitte März zum Ausdruck gebracht
wurden. Im Laufe des stattgefundenen Gespräches wurde dem Bundeskanzler J. Raab und anderen
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Repräsentanten Österreichs der Vorschlag gemacht, nach Moskau zu kommen „um den
persönlichen Kontakt zwischen den führenden Persönlichkeiten der Sowjetunion und Österreich
herzustellen“. Es wurde bestätigt, dass die „sowjetische Regierung bereit ist die Frage über den
österreichischen Vertrag auf einer Viermächtekonferenz mit Beteiligung Österreichs gesondert
behandelt werde“. Am 29. März 1955 wurde in Wien der Beschluss gefasst, eine
Regierungsdelegation zu Gesprächen nach Moskau zu entsenden.
Anfang April rief mich der Assistent des Ministers I.M. Lawrow an und teilte mir mit, dass die
Führung mich zu sich rief. Nach einigen Minuten trat ich in das Büro des Ministers ein, welches in
der siebten Etage im Haus am Smolensker Platz gelegen ist. W.M. Molotow sagte mir, dass ich zum
Dolmetscher der sowjetischen Delegation bei den sowjetisch-österreichischen Verhandlungen
berufen bin, die am 11. April beginnen. An den verbleibenden Tagen machte ich mich mit den
Materialien für die Verhandlungen vertraut, besonders mit denen, die die Aussagen der
österreichischen Staatsmänner und Führer anderer Staaten hinsichtlich der Neutralität Österreichs
betrafen. Darüber sprach im einzelnen J. Raab im Gespräch mit dem Botschafter der UdSSR zu
Österreich I.I. Iljitschew am 5. März 1955. Der Bundeskanzler bemerkte unter anderem, bei der
österreichischen Regierung „gewinne die Idee der Neutralität nach dem Vorbild der Schweiz
zunehmend Anhang“.
Der sowjetischen Verwaltung war es bekannt, dass die Einsprüche gegen die Aufstellung des Status
eines neutralen Staates Österreich nicht von der österreichischen Seite und nicht von der
österreichischen Regierung stammten, sondern von der Seite der Westmächte. Die Staatsbeamten
Österreichs, insbesondere die führenden Kräfte der Sozialistischen Partei befürchteten, dass sie die
Unterstützung des Westens verlieren könnten.
Die erste Sitzung der Regierungsdelegation der UdSSR und Österreichs fand am 12. April im
Kabinett Molotows im Kreml statt.
Auf der einen Seite des großen Tisches saßen W.M. Molotow, A.I. Mikojan, I.G. Kabanow, W.S.
Semjenow, I.I. Iljitschow, S.G. lapin, M.G. Gribanow (Stellvertreter des Leiters der III.
Europäischen Abteilung). Auf österreichischer Seite befanden sich am Tisch J. Raab, A. Schärf, L.
Figl, B. Kreisky, Botschafter N. Bischoff, Gesandter K. Schöner, Gesandter S. Verosta.
Dolmetscher der österreichischen Delegation war W. Kindermann. Während der Gespräche war das
Nachbarzimmer den Referenten für Österreich der II. Europäischen Abteilung des
Außenministeriums MID mit A.M. Alexandrow - Agentow an der Spitze zugeteilt.
Nach der Begrüßung richtete Molotow einleitende Worte an die Anwesenden. Er sagte, dass die
Angelegenheit der Beilegung der österreichschen Frage hinreichend vorbereitet ist. Obwohl die
Unterzeichnung des Staatsvertrages mit Österreich Sache der vier Mächte und Österreichs ist und
nicht nur der zwei Seiten UdSSR und Österreich, erleichtert dies den Abschluss eines Vertrages,
wenn die Vertreter der Sowjetunion und Österreichs eine gemeinsame Grundlage in dieser Frage
finden. Der Minister unterstrich, dass die Sowjetunion davon überzeugt sein muss, dass Österreich
nicht Aufmarschbasis für irgendwelche Arten von Militärmanövern wird, da die historische
Erfahrung an das Streben anderer Staaten in der Vergangenheit erinnert, dieses Land in ihre Waffe
für das Betreiben einer aggressiven Politik umzuwandeln.
Sich zu Wort meldend stellte J. Raab fest, dass der vorhandene Vertragsentwurf früher als
Grundlage genommen wurde. Wie auf der Berliner Konferenz als auch nach ihr hat die
österreichische Regierung offiziell mitgeteilt, setzte J. Raab fort, dass sich Österreich auch nicht
irgendeinem Militärbündnis anschließen würde und wünscht von Militärkoalitionen frei zu sein. Die
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österreichische Seite würde gern wissen wollen, wie die sowjetische Delegation sich die Frage der
Sicherheit Österreichs und die Garantie der Nichtteilnahme an militärischen Bündnissen vorstelle.
Molotow verwies auf den Bericht der sowjetischen Regierung von 8. Februar 1955, den er auf der
Tagung des Obersten Sowjets der UdSSR vortrug. In den Vorgesprächen mit dem österreichischen
Botschafter N. Bischoff, bemerkte er, wurden einige Fragen, die mit den sowjetischen Fragen vom
8. Februar verbunden sind, präzisiert. Ein Teil der Fragen blieb unbeantwortet und die sowjetische
Delegation würde gern die Meinung der österreichischen Seite zu diesen Fragen erfahren. Der
Minister hatte die Garantie und die Gewährleistung der Freiheit und Unabhängigkeit Österreichs
gegen den Anschluss und die Ergreifung entsprechender Maßnahmen gegen diese im Auge,
darunter auch die Neutralität.
J. Raab bezog sich auf Artikel 17 des Vertragsentwurfes, welcher ein bestimmtes Kontingent an
Streitkräften vorsah, die dem Schutz der Unabhängigkeit Österreichs dienen sollen. Der
österreichische Kanzler stellte fest, dass Österreich zur Remilitarisierung Westdeutschlands
keinerlei Beziehungen hat. Die Frage des Anschlusses war auch Inhalt des Saint-Germain-Vertrages
(1919), aber er enthielt keine Angaben über Garantien bei einem Anschluss. Als 1938 Deutschland
Österreich überfiel, unterstrich J. Raab, haben der englische und der französische Botschafter „nur
mit den Achseln gezuckt“ und nichts zum Schutz der Unabhängigkeit Österreichs unternommen.
Wenn sich jetzt die vier Mächte zur Frage über die Garantien bei einem Anschluss Österreichs
verabreden, so kann die Regierung Österreichs auch für die Festlegung eines genauen Zeitraumes
des Abzugs der Streitkräfte eintreten. Darauf antwortete seinerseits der sowjetische Minister, dass
die Zeiträume des Abzuges der Streitkräfte Gegenstand der gegenwärtigen Verhandlungen sind.
Weiter wurde die Frage der Garantien beraten. W. Molotow brachte die Meinung zum Ausdruck,
dass die österreichische Regierung eine konkrete Mitteilung machen könnte, dass sie an der
Neutralität festhalten wird und keine Errichtung von Militärbasen auf seinem Territorium zulassen
wird. Die vier Mächte könnten ihrerseits auch die Garantie geben, dass sie solch einen Status
Österreichs anerkennen werden. J. Raab sagte, dass die österreichische Regierung mitteilen könnte,
dass sein Land keinem Militärbündnis beitritt und dass sie gegen ausländische Militärbasen auf dem
Territorium Österreichs ist. Dabei machte er wieder eine Bemerkung, dass die Delegation die Frage
über die Mitteilung einer Gesamtansicht hinsichtlich der Neutralität noch beraten muss. „Wir
versuchen eine Formulierung zu finden und sie möglicherweise schon morgen darzulegen“, sagte
er. W. Molotow äußerte die Meinung, dass „wenn eine Übereinkunft über eine konkrete Erklärung
über Wahrung der Neutralität erfolgt, könnten alle übrigen Fragen ohne Schwierigkeiten gelöst
werden.“
Die Seiten streiften danach die Fragen der Streichung einiger veralteter Thesen aus dem Entwurf
des Staatsvertrages oder wie J. Raab sie nannte „alter Möbel“.
Mit diesem und damit einverstanden, dass die österreichische Regierung an die vier Mächte einen
Vorschlag zum Treffen und zur endgültigen Vorbereitung eines Staatsvertrages richten würde,
unterstrich W. Molotow, dass vor diesem Treffen die vier Mächte eine gemeinsame Plattform
finden müssen. Die sowjetische Regierung ist sehr interessiert an einer entsprechenden Mitteilung,
sowohl von der österreichischen Regierung als auch von den vier Mächten.
Die Sitzung wurde damit beendet, dass die sowjetische Seite die Frage zur Übergabe des Deutschen
Eigentums, welches sich auf dem Territorium Österreichs befindet, an die österreichische
Regierung unter der Bedingung der Zahlung von 150 Mio. Dollar und der Nichtzulassung der
Rückgabe dieses Eigentums an Deutschland, wie es im Entwurf des Staatsvertrages lautet, stellte.
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Die sowjetische Seite teilte auch mit, dass sie bereit ist, die Frage der Übergabe von Erdölquellen
und der Donaudampfschifffahrtsgesellschaft an Österreich zu beraten, die Eigentum der UdSSR
sind, zu Bedingungen, die noch festgelegt werden müssen.
Zum Abschluss der ersten Sitzung äußerten beide Seiten die Meinung, dass die Gespräche einen
guten Anfang gefunden hätten. Abends (um 18 Uhr) am 12. April wurde ein großer Empfang zu
Ehren der österreichischen Delegation in der Villa des MID gegeben, auf dem sowjetische
Staatsmänner und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, Gelehrte sowie Persönlichkeiten aus
der Kultur anwesend waren. Unter den Gästen war auch der Marschall der Sowjetunion I.S.
Konjew, andere sowjetische Militärführer, die an der Befreiung Österreichs teilnahmen.
Anschließend gab es am gleichen Tag um 20:30 Uhr in der österreichischen Botschaft ein Essen zu
Ehren der sowjetischen Delegation. Normalerweise versendet der Botschafter für eine solche Art
von Veranstaltung Einladungen an alle Mitglieder der obersten Führung des Aufenthaltslandes,
besucht wird solch eine Protokollveranstaltung aber nur von Personen, welche an den Gesprächen
teilnehmen. Für dieses Mal geschah für den österreichischen Botschafter etwas Unerwartetes. In die
Botschaft kamen neben W.M. Molotow und A.I. Mikojan der Vorsitzende des Ministerrates der
UdSSR N.A. Bulganin, die Mitglieder des Präsidiums des ZK der KPdSU L.M. Kaganowitsch,
M.G. Perwuchin und A.I. Kossygin. Aus dem ovalen Saal der Botschaft, wo sich die Gäste
einfanden, konnte man sehen, wie der österreichische Botschafter und der Protokollattaché im
Nachbarsaal eilig Änderungen in der Sitzordnung am Esstisch vornahmen, in dem sie
Namenskarten mit den unerwarteten Gästen und Bestecke ergänzten. An diesem Abend sprachen
die Hausherren und die Gäste über den Verlauf der Gespräche. Schwerpunkt war die Wichtigkeit
des Beschlusses über den Neutralitätsstatus Österreichs. In irgendeinem Moment entfernten sich J.
Raab, N. Bulganin und N. Bischoff aus dem ovalen Saal in ein Kabinett. Nach ungefähr 20 Minuten
kamen sie zu den Gästen zurück und Bulganin sagte zu den Gästen im ovalen Saal hinwendend
„Alles läuft gut“.
Am nächsten Tag, dem 13. April, versammelten sich die Delegationen in voller Zusammensetzung
in der Villa des MID der UdSSR in der A. Tolstoi Strasse (heute Spiridonowka Strasse).
Hauptsache waren die Fragen der Neutralität Österreichs und die Bedingungen bei der Rückgabe
der Erdölquellen an das Land.
Die österreichische Seite brachte erneut Formulierungen ein: „Freiheit von Militärbündnissen“ und
„Nichtzulassung von ausländischen Militärstützpunkten auf dem österreichischen Territorium“.
Ungeachtet der allgemeinen Aussagen hinsichtlich der Neutralität, die am Vorabend von der
österreichischen Seite gemacht wurden, erwähnte die österreichische Delegation dieses Mal am
Anfang nichts davon.
W.M. Molotow zitierte ein gewichtiges Argument zugunsten der Neutralität Österreichs erklang in
einer Erklärung von J.F. Dulles auf der Berliner Konferenz am 13. Februar 1954: „Im
österreichischen Staatsvertrag in der Form, in der er bisher verfasst war, würde Österreich die
Freiheit haben, die Stellung eines neutralen Staates ähnlich der Schweiz zu wählen.
Selbstverständlich würden die Vereinigten Staaten diese Wahl anerkennen, wie sie auch solch eine
Wahl der schweizer Nation honoriert. Herr Dulles Dulles hat weiter festgestellt, dass eine von
außen aufgezwungene Neutralität nicht annehmbar sei. Die Sowjetunion schlägt so etwas auch
nicht vor, unterstrich W. Molotow. Sie wünscht, dass die österreichische Regierung von sich aus
eine Erklärung abgibt. Molotow zitierte die Aussagen des amtierenden Präsidenten Österreichs T.
Körner, die noch im Jahre 1952 in der Zeitung „Journal de Genéve“ gemacht wurden und der sagte:
„Was die endgültige Befreiung Österreichs anbelangt, so ist die Schweiz ein Beispiel politischer
Weisheit.“
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Der Verweis Molotows auf die Aussage J.F. Dulles und T. Körner war wichtig für einen Teil der
Mitglieder der österreichischen Delegation, welche eine negative Reaktion der Westmächte vor
Augen hatten. A. Schärf und L. Figl stellten eine Reihe präzisierender Fragen. Die Österreicher
fragten, ob nicht Schwierigkeiten in den Beziehungen mit den drei Westmächten hinsichtlich des
Begriffes „Neutralität“ auftreten würden, ob er Anlass für das Hinziehen des Abschlusses eines
österreichischen Vertrages sein könnte. Gerade deshalb, sagten sie, legt die Delegation solch eine
politische Position dar, welche im Wesen bedeutet, dass Österreich die Neutralität einhalten wird,
das Wort „Neutralität“ selbst aber nicht verwendet.
Die sowjetischen Delegierten äußerten ihre Überzeugung, dass die Verwendung des Begriffes
„Neutralität“ durch die Regierung Österreichs in ihrer Deklaration keine Erschwernisse hervorrufen
wird.
In diesem Moment bat J. Raab eine 15-20-minütige Pause zu machen, um innerhalb der Delegation
diese Frage zu beraten. Die österreichische Delegation entfernte sich in das Nachbarkabinett (dort
wo die Bilder von Michael Wrubel „Morgen“, „Mittag“ und „Nacht“ hängen). Nach 15 Minuten
kehrten die Österreicher in den Saal zurück und J. Raab teilte mit, das die österreichische
Delegation beschloss, dass die österreichische Bundesregierung eine gesonderte Deklaration über
die Neutralität Österreichs der Art abgeben werde, wie sie von der Schweiz gehandhabt wird. Eine
wichtige Frage der Verhandlungen war damit entschieden.
Weiter gingen die Delegationen zur Beratung der Frage der Bedingungen der Übergabe der
Erdölfelder an Österreich über. Die sowjetische Seite nannte einen Wert dieser Objekte in Höhe von
72 Mio. Dollar. Es entstand eine Diskussion hinsichtlich der Richtigkeit der Wertsumme der
Erdölquellen. J. Raab verwies darauf, dass die Erdölquellen schon 10 Jahre genutzt werden und
wahrscheinlich stark verschlissen sind. Es wurde beschlossen, die wirtschaftlichen Fragen auf
einem gesonderten Treffen zwischen A.I. Mikojan und der österreichischen Delegation zu
behandeln (dieses Treffen fand noch am gleichen Tag statt, aber brachte kein Ergebnis).
Danach gingen die Seiten zur Beratung der Frage des Zeitraumes des Abzugs der Streitkräfte der
Verbündeten au Österreich über. W.M. Molotow schlug einen Zeitraum von 6 Monaten nach
Ratifizierung des Staatsvertrages vor. J. Raab und A. Schärf sprachen sich gegen diesen Vorschlag
aus. Nach der Diskussion erklärte sich die sowjetische Seite bereit, ihre Truppen im Falle des
Zustandekommens des Staatsvertrages spätestens mit 31. Dezember 1955 abzuziehen.
Am Ende der Beratung warf die österreichische Delegation die Frage über die Freilassung der
österreichischen Kriegsgefangenen und internierten Österreicher in der UdSSR auf. J. Raab teilte
mit, dass der Präsident T. Körner einen Brief an den Vorsitzenden des Obersten Sowjets der UdSSR
K.E. Woroschilov mit der Bitte der Begnadigung der genannten Personen gerichtet hatte. Noch am
selben Tag empfing dieser die österreichische Delegation und versprach, dass das Präsidium des
obersten Sowjets die Bitte des österreichischen Präsidenten prüfen wird.
Am 14. April fand die abschließende Sitzung, auf der die wirtschaftlichen Fragen und der Entwurf
des Abschlussdokumentes der Verhandlungen beraten wurden, statt.
Einen bedeutenden Platz nahm die Beratung der Fragen über die Lieferung von Erdöl an die UdSSR
als Bezahlung für die an Österreich übergebenen Erdölquellen ein. Die sowjetische Seite schlug
eine jährliche Lieferung von 50% (1,6Mio t) des geförderten Erdöls an die UdSSR über 6 Jahre vor
und 6 Jahre lang jeweils 5% zuzuschlagen. Dies hätte mehr als 11 Mio. Tonnen innerhalb von 6
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Jahren bedeuten können. Die österreichische Seite teilte mit, dass dieser Vorschlag schwer für
Österreich wird. Im Laufe der Diskussion stellte A.I. Mikojan fest, dass es zwei Möglichkeiten für
ein Herangehen an die Fragen gibt, bis zur Ohnmacht zu verhandeln oder sachlich an die Frage
heranzugehen. Molotow sagte, dass wenn es für Österreich schwer ist, 50% der Ausbeute über 6
Jahre zu liefern, dass dann die sowjetische Seite ausgehend von der Zielstellung der Verbesserung
der Beziehungen zwischen der UdSSR und Österreich bereit ist, eine feste Lieferung für jedes Jahr
zu vereinbaren.
J. Raab bat wieder um eine Pause (das zweite Mal in der Zeit der Verhandlungen), um innerhalb der
österreichischen Delegation eine Beratung durchführen zu können.
Nach dieser Pause teilte die österreichische Delegation mit, dass Wien bereit ist jährlich 10 Mio.
Tonnen Rohöl an die Sowjetunion über einen Zeitraum von 10 Jahren zu liefern „solange die
Quellen des Öls nicht versiegen“. Darauf teilte die sowjetische Delegation mit, dass sie mit
Ausnahme der ergänzenden Bemerkung der österreichischen Delegation „solange die Quellen des
Öls nicht versiegen“, bereit ist, vor ihrer Regierung den Vorschlag, über einen Zeitraum von 10
Jahren 10 Mio. Tonnen Erdöl an die UdSSR zu liefern, bereit ist zu unterstützen. Dabei wurde
unterstrichen, dass sich die sowjetische Delegation nicht nur on wirtschaftlichen sondern
hauptsächlich von politischen Gesichtspunkten leiten ließ. Die österreichische Delegation gab ihre
Zustimmung.
Im Zusammenhang mit dem Besuch der österreichischen Delegation bei K.E. Woroschilov teilte
Molotow mit, dass das Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR die Fragen über die
Begnadigung der verurteilten Kriegsgefangenen und der internierten Österreicher, die vorfristige
Entlassung von 300 österreichischen Kriegsgefangenen, die Übergabe von 92 österreichischen
Kriegsverbrechern und von 306 Personen, die wegen Verbrechen gegen den sowjetischen Staat
verurteilt sind, über die Ausreise von 17 österreichischen Staatsbürgern, die in der Verbannung
leben und die Ausreise von 31 Verurteilten wegen Spionagetätigkeit prüft. Alle Kriegsgefangenen
und internierten Österreicher repatriiert sein. W. Molotow übergab eine Liste von Kriegsgefangenen
und Inhaftierten.
J. Raab brachte seine tiefe Dankbarkeit über diese Mitteilung zum Ausdruck.
Als Grundlage für das Abschlussdokument, das Memorandum, wurden Vorschläge der
österreichischen Delegation genommen. Sie enthielten:
-
Die Erklärung über den Nichtbeitritt Österreichs zu Militärbündnissen und die
Nichtzulassung von Militärbasen aus seinem Territorium.
Die Deklaration der österreichischen Bundesregierung über die immerwährende
Neutralität der Art, wie sie von der Schweiz gehandhabt wird.
Die Vereinbarung, über die deutschen Aktiva (Unternehmen) in Österreich, die der
UdSSR entsprechend den Vereinbarungen der Siegermächte gehören.
Es wurde eine Redaktionskommission gebildet, deren Aufgabe die Vorbereitung des endgültigen
Textes des Memorandums über die Ergebnisse der Verhandlungen zwischen den
Regierungsdelegationen der Sowjetunion und der Republik Österreich war. Die Kommission
arbeitete am 14. April und in der Nacht vom 14. zum 15. April.
Abends am 14. April fand im Katharinen-Saal des großen Kremlpalastes ein Essen auf Einladung
des Vorsitzenden des Ministerrates der UdSSR statt. An dem Essen nahm für die Österreicher
überraschend der 1. Sekretär des ZK der KPdSU N.S. Chruschtschow teil. Die Tische waren, wie
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für solche Fälle üblich, reichlich mit verschiedenen russischen Vorspeisen und Gerichten gedeckt.
Die Stimmung bei beiden Seiten war feierlich. Besonders tat sich N.S. Chruschtschow hervor,
welcher einen Toast nach dem anderen vorbrachte. Das Essen endete vor Mitternacht mit
freundschaftlichem Händedrücken und Umarmungen. Über den Zustand der Gäste zeugt diese
Episode. Nachdem ein aus dem Saal kommender Österreicher fast an einen die gesamte Wand
einnehmenden Spiegel am Ausgang des Katharinen-Saals gestoßen hätte, wenn nicht ein
diensthabender Mitarbeiter am Eingang mit einer gewandten Bewegung der Hand den
unvermeidbaren Zusammenstoß aufgehalten hätte.
Die offiziellen österreichischen Gäste waren gegangen. Ihnen folgte Molotow. Im Gästezimmer des
Katharinen-Saals verblieben N.S. Chruschtschow, N.A. Bulganin, A.I. Mikojan und leitende
Mitarbeiter des MID – A.A. Gromyko, W.W. Kusnetzov, W.A. Sorin, W.S. Semjenov, I.I.
Iljitschov, S.G. Lapin, O.A. Trojanowskij, M.G. Gribanov. N.S. Chruschtschow begann plötzlich,
den Mitarbeitern des MID für ihre Initiativlosigkeit in der österreichischen und anderen Fragen der
Außenpolitik die Leviten zu lesen. Sich an Gromyko wendend sagte er, dass er schon längere Zeit
in Gesprächen mit den Westmächten über die Abrüstung die Formel über die Kürzung der
Streitkräfte um ein Drittel verwendet wird, diese aber absolute Zahlen der Kürzung vorschlagen, die
viel kleiner sind als das von uns geforderte Drittel. Sich zu W.W. Kusnetzov drehend fragte ihn
Chruschtschow: „Wozu haben wir Sie ins MID geschickt, doch für Parteiarbeit! Sie aber verstecken
sich hinter dem Minister, der uns die ganze Zeit erzählt, dass man sich nicht beeilen soll. Kann es
sein, dass die Treue älterer Mitarbeiter des MID zu ihrer Behörde stärker als Parteilichkeit ist?“
Einige schroffe Bemerkungen machte Chruschtschow auch an die Adresse von W.S. Semjenow.
Das war das erste Mal, dass sich N.S. Chruschtschow öffentlich, wenn auch in einem begrenzten
Kreis von Leuten, kritisch an die Adresse W.M. Molotows gewandt hatte. Später, wie bekannt ist,
missbilligte Chruschtschow die Arbeit Molotows auf dem Plenum des ZK der KPdSU. Für jeden
Anwesenden wurde klar, dass es zwischen Chruschtschow und Molotow erste Differenzen gibt und
dass Chruschtschow auch in Fragen internationaler Angelegenheiten zu führenden Figur wird.
Am Morgen des 15. April fand die feierliche Unterzeichnung des Memorandums im Kremlkabinett
von Molotow statt. Danach begaben sich beide Delegationen zum Zentralflughafen.
Der Ablauf der Verabschiedung war wie bei der Ankunft: Abschreiten einer Ehrenwache,
Abspielen der Nationalhymnen. Auf dem Flughafen teilte J. Raab mit, dass die Mitglieder der
österreichischen Delegation als „glückliche Menschen“ nach Wien zurückkehren und dass „in
Moskau eine gute Arbeit geleistet wurde, die eine große Bedeutung für den Frieden hat“.
Der in Moskau über die österreichische Frage erreichte Durchbruch in den Verhandlungen schuf die
Bedingungen für den baldigen Abschluss der Verhandlungen der vier Mächte und Österreich, sowie
die Unterzeichnung des Staatsvertrages betreffend die Wiederherstellung eines unabhängigen und
demokratischen Österreich in Wien am 15. Mai 1955, wie auch die Annahme des
Verfassungsgesetzes über die Staatsneutralität vom österreichischen Bundestag am 26. Oktober
1955. Das ist der Verdienst der Verhandlungsteilnehmer und, in erster Linie, der österreichischen
Delegation, geführt von dem Bundeskanzler, Julius Raab, die ihren Willen zur Selbständigkeit bei
Beschlussfassungen während der Verhandlungen in Moskau bekundet hatten.
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