1 2. Kapitel Das Tagebuch Die Abschrift des in Kurrentschrift verfassten Originals ist wortgetreu verfasst, wobei mir meine Mutter besonders geholfen hat. Anmerkungen und Erklärungen meinerseits sind kursiv geschrieben. Angefangen mit Gott am 27. 6. 15 in Frohnleiten!1 In Fürnitz angekommen am 28. um 4 Uhr früh bei Regenwetter. 29. Vormittag Übung. Nachmittag frei. 30. Übung. Nachmittag Schützengraben. 1. Nichts Besonderes. 2. Nichts Besonderes. 3. Nichts Besonderes. 4. 8 Uhr: Retraite2 5. 2 Uhr Tagwache; Marsch nach dem Dobratsch; 120 scharfe Munition Reserve und Verpflegung mit. Heimgekommen um 2 Uhr 10 nachts; todmüde, während des ganzen Marsches kein Wasser. 6. Vormittag frei, Nachmittag Schützengraben. 7. Marsch nach Faaker See, furchtbare Hitze, todmüde. Dann die übrige Zeit nichts Besonderes. 17. Juli: Abmarsch nach Kronau3, angekommen um 1 Uhr Nachmittag über den Wurzenpaß, Kronau Rast bis 5 Uhr, abends Weitermarsch zum Mojstrovka Paß 4, dort angekommen um ½ 10 Uhr abends, Kaffee gekocht, zum Lagern kein Platz lauter Steingeröll, 10 Uhr Gewitter angefangen bis in der Früh. 18. Juli: Kalt und naß bis auf die Haut, den Weitermarsch bis nach Trenta 5, 10 Uhr vormittags wieder schön. Alles wieder trocken, gute Menage6, Rast bis 7 Uhr abends, dann Marsch bis Soca (Ortschaft), dort angekommen 10 Uhr abends. Zelt aufgeschlagen, endlich wieder geschlafen. 1 Kleinstadt nördlich von Graz Ausdruck für Zapfenstreich bei der Kavallerie 3 Kransjka Gora 4 Vrsic Pass 5 Ortschaft im oberen Sočatal 6 Essen, Verpflegung 2 2 19. Juli: Tagwache 4 Uhr, Kaffeekochen, 5 Uhr Weitermarsch zu den Stellungen. Inzwischen gute Menage beim Gefechtstrain nach längerer Rast um 4 Uhr nachmittags. Beim Gefechtstrain schon italienische Granaten, dann Aufstieg. Zuerst schöner Zick-Zack Weg, aber nicht lange, dann ist die wällische 1 Artillerie eingeschossen drauf. Die ganze Höhe dann bis zum Regimentskommando (auf der Duplje Planina) über Steingeröll und sehr steil. Zum Sterben müde beim Kommando angekommen um 12 Uhr nachts. In Decken einwickeln und schlafen bis ½ 2. Müssen noch bei Nacht weiter marschieren, da sonst die Italiener vom Krn aus den Aufstieg sehen. 20. Juli: Gut angekommen bei den Stellungen der 12. Kompanie um 4 Uhr früh. Dort schlagen schon Granaten ein, ein furchtbarer Knall und große Gefahr wegen der Steine. Der Italiener schießt immer zu uns herüber. Im Laufe des Vormittags schlagen gewiß 20 Granaten in unserer unmittelbaren Umgebung ein. Dann fängt unsere Artillerie ein wenig an, aber nicht viel. Ist scheußlich, dieses furchtbare Heulen über unseren Köpfen, von unseren eigenen Geschossen. Italiener still, dann längere Zeit Pause, dann fangen wieder die Italiener an. In ungleichen Pausen (Abständen) senden sie 15er Granaten2 herüber. Ich habe schon zwei Steine bekommen, aber nicht grob. Unsere Artillerie ganz still. Auf einmal wieder Granaten und Korporal Götzhaber schwer verwundet an beiden Füßen. Furchtbare Wunden. Auf einmal, zirka 6 Uhr abends fängt unsre Artillerie an mit einer solchen Gewalt, wie noch nie gehört. Italiener sofort still, bis neun Uhr abends sausen unsere Granaten und Schrapnells in die feindlichen Stellungen. Wahrscheinlich hat unsere Artillerie gutes Ziel entdeckt. Italiener machen keinen Muckser. Sobald es finster ist, geht es weiter in den einzelnen Stellungen. Meine Stellung gefällt mir ganz gut, nur sollte mehr Platz sein. ½ 10 Uhr melden die Horchposten, daß der Feind vorrückt. Alles mäuserlstill. Tatsächlich hört man ihn, trotz der Patschen, die die Alpini anhaben, Steine herunterrollen. Sofort Kompaniealarm – jeder zu seinem Schußloch. Mich interessiert die Geschichte sehr. Feind ist mit seinen Stellungen nur 500 Schritte entfernt. Auf einmal kracht es auf unserer Seite, auf ein gegebenes Zeichen Leuchtraketen und Leuchtkugeln beleuchten den Raum vor uns taghell. Da ging der Tanz an, denn die Italiener konnten sich nicht schnell genug decken, in dem steilen Felsabhange. Auch ich entdeckte auf einer Schneelawine Italiener und der ganze Schwarm (7 Mann) richtete sein Feuer dorthin. Liegen auch heute noch zwei Tote dort. So geht es fort bis zirka 12 Uhr. 21. Juli: Dann Ruhe bis 2 Uhr. Dort fängt das Artillerieduell an, aber so fürchterlich, daß einem Hören und Sehen vergeht, dauert bis 10 Uhr Vormittag. Nachbarkompanie hat 21 Verluste (2 Tote, 19 Verwundete). Wir keine Verluste. Nachmittag Ruhe. Abends, wenn es finster ist, werden die Schäden, die die Granaten anrichteten, ausgebessert. Ich lege mich auf mein Steinlager und schlafe bis 6 Uhr morgens. [1.5 - 1.6 – 1.7 – 1.9 – 2.0 – 2.1 – 2.1a (5 F / 2 SW)] 22. Juli: Sofort Kaffee und Sterz kochen, Sterz wird mit dem reinen Schuhfett, welches wir ausfassen, abgeschmalzen, schmeckt ausgezeichnet. So weit bringt man es. Dann heraus aus den Stellungen und hinunter in die Tageshöhle, wo man halbwegs vor Granaten sicher ist. Gestern sehr interessantes Schauspiel. Wir haben sehr gutes Maschinengewehr und sehen einem Handgemenge vis-a-vis auf dem Pyramidenkofel3 zu. Leider müssen unsere zurück, sie halten sich aber ausgezeichnet den ganzen Tag, aber die feindliche Übermacht (2 Regimenter gegen ein Bataillon) ist zu groß. Stundenlang bekämpfen sie sich gegenseitig mit Steinen, da zum Schießen keine Gelegenheit ist, weil 1 italienische Hohlgeschosse mit 15 cm Durchmesser 3 Batognica, 2164m, besonders umkämpfter Gipfel neben dem Krn 2 3 alles hinter den Steinen liegt. Die ganze Nacht endlich einmal Ruhe. Neugierig wie es heute Nacht wieder wird. 22. – 23. Nacht für uns Ruhe, denn Gewehrfeuer ist für uns keine Ruhestörung mehr. Dafür ging es aber am Pyramidenkofel schrecklich zu. Nach entsprechender Feuereinleitung kam es zum Handgemenge, bei dem wir das Geschrei (3 km) deutlich hörten. Wie wir heute früh sahen, haben die Unseren die Wallischen auch ziemlich vertrieben, aber noch nicht ganz, hoffentlich gelingt es noch. Gehe jetzt wieder in meine Tageshöhle etwas schlafen. Dieser Abschnitt des Kriegstagebuchs ist historisch besonders interessant, da man diese Schilderung der Kämpfe direkt mit historischen Aufzeichnungen vergleichen kann. Die Angriffe begannen am 19. Juli 1915 und fallen bereits in die 2. Isonzoschlacht. Der Beschuss der ö.u. Stellungen erfolgte während der ganzen Nacht vor dem Angriff. Ab 5 Uhr früh griff die italienische Infanterie die Verteidigungsstellungen der 3. Gebirgsbrigade auf der Batognica (Pyramidenkofel!) und parallel dazu die Stellungen des Gebirgsschützenregiments Nr.1 auf dem Veliki Lemez (Stellungsbereich meines Großvaters!) an. Kärntner Schützen, die dort die Stellungen hielten, schlugen die Angriffe zurück. Die 3. Gebirgsbrigade musste die italienischen Angreifer auf der Batognica (Pyramidenkofel) mit einem Gegenangriff zurückwerfen. Beide Seiten hatten hohe Verluste. Nachdem italienische Verstärkungen eingetroffen waren, kam es am 21. Juli zu einem neuerlichen Angriff im Bereich Vogel – Lemez (vgl. Tagebuch 21. Juli!). Wiederum gelang es den Kärntner Schützen den Angriff abzuwehren. Noch Schlimmeres spielte sich auf der Batognica (Pyramidenkofel) ab. Den Italienern war es gelungen, mit ihrer Artillerie die Steinwälle der Verteidiger vollkommen zu zerschlagen. Anschließend wütete ein Kampf Mann gegen Mann unter Zuhilfenahme von Steinen (vgl. Tagebuch 22. Juli!). Seit dem 19. Juli hatte die 3. Gebirgsbrigade 1.300 Mann verloren. In der Nacht vom 22. auf den 23. Juli erfolgte der nächste Angriff auf der Batognica (vgl. Tagebuch 22. – 23.). Nach dessen Abwehr wiederholte sich dasselbe am Tag. Auch der Angriff während eines Gewitters scheiterte am 24. Juli. Schließlich gelang es den Verteidigern sogar mit einem Gegenangriff am 25. ihre Position am Ostrand der Batognica zu verbessern. (Historische Aufzeichnungen nach Klavora, Vasja: Schritte im Nebel, Hermagoras Verlag) Es waren vor allem die lebendigen und beeindruckenden Schilderungen der Vorgänge auf dem Pyramidenkofel (Batognica) im Tagebuch meines Großvaters, die mich dazu brachten, diesen Berg aufzusuchen bzw. mich mit ihm genauer zu beschäftigen. Bei einer Tour im Herbst 2008 auf den KrnGipfel besuchte ich anschließend erstmals die Batognica. Von der Krn–Scharte (Krnska skrbina) stieg ich den Alpinisteig hinauf zum Gipfelplateau. Wenn man die breit angelegten betonierten Stufen bergan steigt, kann man sich gar nicht vorstellen, dass sie dazu dienten, tödliches Material und "frische" Soldaten auf den Berg und verletzte und tote Soldaten vom Berg zu transportieren. Immer wieder, wenn ich zwischen dem Ortler und dem Karst an der Adria die Stellungen, Kavernen oder Unterkünfte der italienischen Soldaten des 1. Weltkrieges sehe, bin ich überrascht von deren baulichen Ausführungen: exaktes Mauerwerk, Rundbögen, Innenund Außenverputz. Man könnte fast vergessen, zu welchem Zweck sie errichtet wurden. Von hier aus trieben die italienischen Mineure1 im Verlauf des Krieges ihre Stollen in den Berg. Insgesamt waren es 2 Hauptstollen und 5 Seitenstollen sowie 3 Sprengkammern. Der Minenkrieg ist eine der weiteren fürchterlichen Facetten dieses absurden und sinnlosen Krieges. An der italienischen Front ist wohl die Sprengung des Col di Lana durch die Italiener am 17. April 1916 am bekanntesten. Dabei kamen durch die Sprengung des Gipfels, den die Italiener als "Col di Sangue" (Blutsberg) bezeichneten, 100 österreichische Soldaten ums Leben. Die Sprengung des Monte Cimone di Tonezza durch die Österreicher im September desselben Jahres forderte wesentlich mehr italienische Opfer. Der Minenkrieg auf der Batognica, den die Italiener Monte Rosso und zumindest die Kärntner Schützen Pyramidenkofel nannten, ist insofern eine Besonderheit, da hier die feindlichen Stollenbauer im Berginneren aufeinander stießen. In den Stollen kam es zu Kampfhandlungen, bei denen sogar Maschinengewehre im Einsatz waren. Den Österreichern gelang es am 11. und 15. 1 für den Minenkrieg ausgebildete Soldaten 4 August 1917 zwei italienische Sprengkammern zu räumen. Am 16. August zündeten die Italiener mittags ihre 3. Sprengkammer, die allerdings zu weit weg war und deshalb ebenso wie die österreichische Sprengung um 16 Uhr desselben Tages keine besondere Wirkung erzielte. Ende August begannen die Italiener erneut mit ihren Minierarbeiten. Als die Österreicher am 23. September feststellten, dass die Italiener nur mehr 2 bis 3m entfernt waren, entschloss man sich zur Sprengung. Über 4000 kg Sprenggelatine1 wurden in 12-stündiger Arbeit an das Ende des 3. österreichischen Stollens gebracht und am 24. September um 6 Uhr in der Früh gezündet. Die gewaltige Explosion ließ den ganzen Berg erzittern und unter einem mehr als 10 Meter tiefen und 20 Meter breiten Krater liegen heute noch etwa 200 Alpini begraben. Der Name dieses Berges ist Symbol für einen fürchterlichen, erbitterten Kampf, in dem zuerst an der Oberfläche mit allen Mitteln, im Nahkampf mit Bajonetten und Steinen gerungen wurde. Schließlich der Kampf tief im Berginneren, in den Stollen und letztlich die Sprengung mit dem Sprengstoff, den man dem Gegner im Berg davon getragen hat. Am Gipfelplateau erfasst mich eine Betroffenheit, wie ich sie selten verspürt habe. Hier bekommt dieser Krieg ein noch hässlicheres, abstoßendes Gesicht. Langsam gehe ich weiter, irgendwie habe ich das Gefühl, als ob ich mich selbst von außen beobachtete. Vorbei an den hier immer noch zahlreich herumliegenden Kriegsrelikten komme ich zu den österreichischen Stellungen. Erst als ich auf die gegenüber liegenden Stellungen am Vogel und Lemez schaue, lässt mich die schaurige Vergangenheit sozusagen langsam wieder los. Dann die Südostseite. Hier haben sich die Soldaten der 3. Gebirgsbrigade festgeklammert. Da sind die Stollen der Österreicher, durch die sie den Sprengstoff in den Berg brachten. Betonierte österreichische Stellungen in Richtung Batognica-Sattel sind Zeugen dafür, wie wichtig den Militärs das Halten dieses Bereiches war. Beim Abstieg in Richtung Krn-See komme ich noch an gewaltigen Granattrichtern vorbei, die vor der Felswand der Batognica eingeschlagen haben. Beim Abstieg zur Krn-See-Hütte bin ich froh allein zu sein. 23. Juli: der ganze Tag verläuft für uns ruhig, bis auf Gewehrfeuer. Um Pyramidenkofel wird den ganzen Tag erbittert gekämpft ohne Entscheidung. Wenn die Italiener den Kogel in ihren Besitz bringen, müssen auch wir unsere Stellungen räumen, da wir sonst Flankenfeuer erhalten. Schlechtes Wetter wird sicher eintreffen, da der Wind so reißt. Um 9 Uhr früh hinein ins Zelt, um zu schlafen bis ½ 1 Uhr, dann Dienst bis in der Früh. [2.2 – 2.3 – 2.4 - 2.5 – 2.6 – 2.7 – 2.8 ( 7F)] Naß und kalt fängt der Samstag (24.) an, dass einem Hören und Sehen vergeht. Ist wohl traurig, unendlich traurig in diesem Wetter wie ein gekrümmter, getretener Wurm allein in dem öden , furchtbaren Felsengebirge auf Posten zu stehen, keinen Augenblick vor der tödlichen Kugel sicher. In solchen Momenten bitte ich die Himmelsmutter wohl inständig um eine ehebaldige Erlösung durch eine Verwundung. Die Gedanken an daheim, an die teuren Lieben, könnten einen wahnsinnig machen. Habe auch tatsächlich weiße Haare im Bart und an den Schläfen. Wenn doch endlich die Erlösung käme. Jetzt wird es in 2 Tagen Jahr2, daß ich das erste Mal fort zog in den Krieg. Wie wenn es gestern gewesen wäre, kann ich mich an diese bittere Stunde erinnern. Wer hätte damals gedacht, daß sich dieser furchtbare Krieg so ausdehnen wird. Wird denn der liebe Herrgott nicht bald ein Ende machen, dieser fürchterlichen Strafe, die er über die Menschheit verhängte. Heute sind es genau 8 Tage, daß ich mich nicht mehr gewaschen habe und wer weiß, wie lange noch nicht? Ganz und gar versauen muß man hier. Läuse peinigen einen so, daß man es wie die Schweine macht, mit dem Rücken gegen den Felsen und so kratzen. Manche unerfahrene Burschen, die mit mir jetzt zum erstenmal ins Feld zogen, haben ihre Unerfahrenheit schon in den ersten Tagen mit dem Leben bezahlt. Arme Eltern! Wenn ich 1 2 mit Kollodium gelatiniertes Nitroglyzerin; noch heute einer der stärksten gewerblichen Sprengstoffe Beginn des 1. Weltkrieges: 28. Juli 1914 5 nur noch einmal meine herzlieben Kleinen in die Arme schließen könnte! Du grundgütiger Herrgott, warum so fürchterliche Strafe? Nebelig ist es heute, daß man nicht 10 Schritte weit sieht. Im Tal unten scheint die Sonne. Da heißt es doppelt aufpassen auf die hinterlistigen Teufel uns gegenüber, daß er sich nicht das Wetter zunutzen macht und uns mit seiner Übermacht überrumpelt. Aber es wird ihm nicht gelingen, er hat es hier nicht mit Kindern zu tun, sondern mit Männern, deren Tatkraft gestählt, deren heiliger Zorn auf das höchste gesteigert ist. Heute ist grad ein Tag zum Schreiben. Wenn ich halt doch das Glück hätte, noch einmal glücklich in die Heimat zu kommen, so soll mir dieses Büchl eine kostbare Reliquie sein. Wenn's mir schlecht geht, oder (mich) irgend etwas ärgert, da soll dieses Büchl her, als Mahner! Ach Gott, wenn's nur so weit wäre. Ich baue immer Luftschlösser, bis mich (nicht) das Einschlagen eines Geschosses an die rauhe Wirklichkeit erinnert. Jetzt habe ich Mittag gegessen und zwar das gestrige Rindfleisch aufgewärmt. Schmeckt zwar nicht allzu gut, aber der Hunger ist….. usw. So ein Wetter wie heute ist zum Verzweifeln. Da hockt man zitternd vor Kälte im Zelt auf den Steinen und der Wind stoßt mit voller Kraft drein, dann wechselt wieder Regen mit Hagel und Schnee ab. Ein Wetter zum Krankwerden, wenn ich's nur würde! Aber ich werd's nicht, es greift mich nicht an. Bis auf ein bißchen Scheißerei bin ich ganz gesund. Und unter solchen Verhältnissen! Wasser gibt es keines, nur den Schnee in den Klüften, den man sich mit Lebensgefahr holen muß. Die Menage, bis sie heraufkommt, ist, wenn's gut geht, lauwarm. In der Schale wird Kaffee, Sterz, Rindfleisch, Suppe usw. gekocht und gewärmt und zum Abwaschen hat man nichts. Den Schweinen zuhause wird der Trog ausgeputzt, uns ist das nicht vergönnt. Jetzt tut es mir leid, daß ich meine Briefe heimschickte, könnt ich doch diese wieder lesen und so mich im Geiste mit meinen Herzlieben unterhalten. Wenn nur wieder schönes Wetter wäre, würde ich auch nicht so viel Zeit zum Nachdenken haben. Das schlechte Wetter hört nicht auf, wenn nur die heutige Nacht einmal vorbei wäre. Einige italienische Überläufer haben noch ausgesagt, daß für die Nacht vom 24. – 25. ein großer Angriff geplant ist. Dienst. Sonntag d. 25.: Also die Nacht ist vorbei, aber wie. Die Italiener sind nicht gekommen, dafür aber was anderes. Etwas zum Lachen, aber mir war's nicht zum Lachen. Bis 1 Uhr im Dienst, ging ins nasse Zelt hinein, um ein wenig auszurasten. Liege so auf einem Stein und verschlafe wirklich ein wenig, trotz Nässe und Kälte. Auf einmal werde ich wach, will aufstehen und meine Not verrichten, da ich spüre, daß es höchste Zeit ist, aber es kam anders. Ich aufstehen und die Hose voll haben war eins. Jetzt war guter Rat teuer. Wohin in der stürmischen Nacht. Hagel und Regen wetteifern miteinander. Hier ist kein Abort, wo man sich umziehen könnte. Mit der vollen Hose konnte ich es auch nicht lang aushalten und so packte ich eine Hose aus dem Rucksack und stieg hinunter in die Tageshöhle, das war ein Gestell! In der Höhle naß und kalt wie der Teufel, bei den Fugen rinnt es nur so herab und da stehe ich drinnen im bloßen Hemd vor Kälte mit den Zähnen klappernd. Mir war's zum Weinen näher wie zum Lachen. Meine Scheißerei wird überhaupt immer ärger. Werd' morgen zur Marodenvisite 1 gehen. Die Sonne will auch nicht recht scheinen, daß man sich wieder trocknen könnte und so hocke ich herum in meiner nassen Kluft, daß Gott erbarm. Jetzt ist zuhause Kirchzeit aus und ich sitz hier auf einem Felsen und geize um das bißchen Sonne, welches hie und da durch die Wolken bricht. Gott sei Dank scheint die Sonne Nachmittag etwas mehr. Auch mein Bauch wird etwas besser. Frühzeitig ins Nest gegangen, da um 12 Uhr nachts der Dienst beginnt. Katzelmacher2 verhalten sich sehr anständig. Sonntag abend passiert noch ein Unglück: Ein Korporal der Telephon – Abteilung ging gerade zu unserer Stellung längs der Leitung herab, war ein wenig unvorsichtig dabei und 1 2 Krankenuntersuchung abwertende Bezeichnung für die Italiener 6 zeigte den Wällischen für einen Moment den Oberkörper und schon hatte er eine Kugel mitten in der Stirn und hinten heraus, war sofort tot. Die Ludern haben einige ausgezeichnete Scharfschützen auf vorgeschobenen, gut gedeckten Stellen und so mancher mußte diese Treffsicherheit an seinem Leib verspüren, aber tödlich getroffen wurde bis dato noch niemand, außer diesem Korporal. 26. Juli: Jahrestag der Mobilisierung1. Ganzen Tag Regen, gegen Abend hörte es auf. Unsere Artillerie muss die gegnerische ausgekundschaftet haben, da wir nichts mehr hören von den verfl. Wällischen. Dienstag, den 27. Juli: Nichts Besonderes, das erste Mal allein Sterz gekocht und gar nicht schlecht ausgefallen. Schaue furchtbar schlecht aus und fehlt mir nichts, habe auch Mordshunger. Die täglichen Fassungen funktionieren einfach tadellos. Wir bekommen täglich Speck oder Käse, freilich nicht viel, Rum oder Wein, Zuckerl oder Schokolade. Täglich Brot, welches sehr gut ist und Kaffeekonserven. Schweinefett haben wir auch schon einmal ausgefaßt zum Polenta kochen. Auch Zigaretten, Tabak und Rauchtabak. Freilich nur sehr wenig, 1 – 2 Löffel Rum, ein Achtel bis ein Viertel Wein usw. Auf die Zuckerl sind wir alle froh, ich weiß selbst nicht warum, aber ich habe selbst eine große Freude damit. Wenn wir nur gutes Wasser hätten, dann wäre es nicht so schlimm. Auch an das Nichtstrinken gewöhnt man sich mit der Zeit. Wenn wir Zucker fassen, kochen wir Tee ohne Rum, ist auch ganz gut, hauptsächlich für (gegen) den Durst. Mittwoch, 28. Juli: Warte schon auf eine Post von daheim, sonst nichts Besonderes. Julie 2 würde große Augen machen, wenn sie mich schwarzen Kaffee und Sterz kochen und auch essen sehen würde. Eine ganze Schale von Kaffee und eine Schale voll Polenta. Zuhause hätten wir alle genug davon, was ich hier auf einmal friß. Gestern hat so ein Luder Wallisch einen von unserer Kompanie schwer verletzt. Inft. (Infanterist) Straninger war schon 6 Monate ununterbrochen im Feld und gestern sitzt er in der Deckung und putzt sein Gewehr. Wie er fertig war, steht er auf und will einen Schuß machen, geht zur Schieß-Scharte und schon hatte er eine Kugel im Halse, die Schlagader ab. Hat das Luder genau bei der Scharte herein getroffen. Über sein Schicksal weiß ich noch nichts. Lebt er noch oder nicht. Soeben erfahre ich, daß er bereits gestorben ist. Heute ist neblig, sieht man kaum 10 Schritte weit. Da ist nichts mit dem Schlafen, die halbe Mannschaft auf Posten, die halbe Bereitschaft. Gewehre und Munition zum fertigen Gebrauch herrichten. Gekommen ist er nicht, wahrscheinlich hat er selbst auch Furcht, daß nicht wir angreifen. Denn jetzt geht's ihm viel schlechter als früher, wo er Ungarn gegen sich hatte, diese haben auch den "Krn"3 verloren. Haben verschlafen und so gelang es dem Katzlmacher sie zu überrumpeln. Wie bereits früher erwähnt handelt sich hier um eine typische Propagandalüge, die innerhalb der Armee verbreitet wurde. Die Italiener (herab machend Wa(ä)llische oder Katzlmacher genannt) wurden immer als falsch, feige und hinterlistig dargestellt. Deshalb "durfte" es einfach nicht sein, dass ihnen ein derartiges Husarenstück gelang. In der Nacht vom 15. auf den 16. Juni stiegen 2 italiensche Kompanien in 50 Mann Gruppen aufgeteilt vom Kožljak4in Richtung Krn-Gipfel auf. Es waren Berg erfahrene Alpinsoldaten, die außer Gewehren noch Blankwaffen und Handgranaten mit sich führten. Außerdem trugen sie mit Erde gefüllte Rucksäcke mit, die ihnen beim Angriff als einzige Deckung am felsigen und ausgesetzten Bergrücken dienen sollten. Gleichzeitig griffen vom Norden Einheiten des Bataillons "Susa" an. Der Gipfel wurde nur von einer ungarischen Kompanie verteidigt, die aus Zeitgründen und Mangel an Arbeitskräften nur Stellungen aus Steinwällen errichtet hatte. Vor den Stellungen am und unter dem Gipfel gab es keinerlei Drahtverhaue, die die Angreifer aufhalten hätten 1 Die Mobilisierung begann 2 Tage vor dem Kriegsausbruch. Frau des Thomas Bergners 3 16. Juli 1915: Italiener besetzen den Krngipfel 4 südlicher Vorberg des Krn (1587m) 2 7 können. Dazu kam, dass die Ungarn natürlich keine Bergerfahrung hatten und sich einfach nicht vorstellen konnten, dass sie auf so einem Gelände angegriffen werden könnten. Auf alle Fälle gerieten am Krn nur etwa 10 ö.u. Soldaten in italienische Gefangenschaft. Wenigen gelang die Flucht auf die Batognica, die anderen waren tot oder schwer verletzt. Den im hochalpinen Bereich natürlich völlig unerfahrenen und ungeübten Ungarn konnte man leicht die Schuld geben. Die italienische Aktion selbst war ein tollkühnes Unternehmen und selbst die offizielle österreichische Kriegsberichterstattung hat das so gesehen. Dem Inft. Teuscher ist heute auch ein Unglück passiert. Er ging auf die Latrine und bekam einen Steinsplitter in den Spitz des Geschlechtsteiles, muß furchtbare Schmerzen haben, der arme Teufel. Donnerstag, 29. Juli: In der Früh schön, um 7 Uhr fängt schon wieder der Regen an. Ist scheußlich das Wetter, macht einen ganz mutlos und niedergeschlagen. Jetzt heißt es, daß wir abgelöst werden sollen. Die Stellungen haben wir fertig gebaut und so ging es uns wahrscheinlich zu gut. Unser Regiment muß immer dort sein, wo es am heißesten zugeht. Die Görzer1 Schlacht hören wir auch ganz schön, muß fürchterlich umgehen. Tag und Nacht dröhnen die Geschütze. Am Abend Nebel und Regen, die ganze Nacht nicht schlafen, da strenge Bereitschaft. Freitag, 30. Juli: Regen und noch einmal Regen, ist zum Verzweifeln. Es ist uns so kalt, daß die Zähne klappern. Die ganze Nacht Regen. Samstag, 31. Juli: In der Früh endlich ein bißchen Sonne. Man weiß wohl wirklich nicht, wie schön man es daheim hat. Hier dankt man von ganzem Herzen unserem Herrgott für ein bißchen Sonne, daß man sich wieder einmal wärmen kann. Der Himmel fängt sich schon wieder an zu bewölken. In einer Stunde haben wir schon wieder Regen. Anstatt Regen kam fast bei feurigem Himmel dichter Hagel, der uns sofort in die Zelte jagte, dann Regen. Heute Nacht wieder strenger Dienst, da am 1. August Namenstag vom Polenta – König2 ist. Sonntag, den 1. 8.: Italiener haben sich nicht getraut, irgend etwas zu unternehmen. Schön, aber der Wind geht. Sind jetzt schon 14 Tage, daß ich mich nicht mehr gewaschen habe. Habe heute die Himmelmutter wieder inständig gebeten um eine Verwundung. Gott gib's, daß es bald in Erfüllung geht mein Gebet. Gehe jetzt Frühstück kochen. Heute gibt es doch einmal am Sonntag etwas zu feiern, da die Sonne scheint. Kann man doch wenigstens heraußen sitzen, da die Granaten seit einiger Zeit verschwunden sind. Die Stellung der italienischen Batterie, die uns so beschoß, ist durch einen Überläufer (Grazer Südfrüchtehändler) verraten und selbstredend durch unsere Artillerie vernichtet worden. Am Abend wie gewöhnlich dieser unheimlich dichte Nebel, so daß immer strengste Bereitschaft ist. In der Nacht so cirka 11 Uhr hören wir auf einmal ein Geschrei von irgend einer Höhe her. "Hoch Österreich, Bravo und Jauchzen." Sind schon neugierig, was etwa vorgefallen ist. Montag, den 2. Aug.: Trübes Wetter, aber kein Regen, hoffe, daß es schön werden wird. Soeben erfahren wir, daß die Nachricht vom Falle "Lublins"3 diese nächtlichen Freudenausbrüche hervorgerufen hat. Heute wird Korporal Potetschnig zum 1. Zug übersetzt und muß nun ich den Schwarm übernehmen. Bin somit Kmdt. 4 über 11 Mann. Etwas mehr Schererei bei der Fassung und bei der Diensteinteilung auch. Am Abend dichter Nebel wie heute Gorizia (ital. Teil), Nova Gorica (slow. Teil) – Die Stadt konnte erst im Zuge der 6. Isonzoschlacht am 9. 8. 1916 von den Italienern besetzt werden. 2 Viktor Emanuel III., ital. König 3 ostpolnische Stadt an der Bystrzyca, wurde am 1. August 1915 von k.u.k. Truppen besetzt. 4 Kommandant 1 8 gewöhnlich. Pioniere sprengen heute in unserer Stellung einige Steinkolosse, so daß wir jetzt mehr Platz haben. Dienstag, den 3. Aug.: Regen, kalt, kalt u. Regen. Es ist furchtbar dieses Wetter, schon um 10 Uhr abends fing es an, jetzt ist 3 Uhr Nachmittag und es regnet noch immer. Die Zelte lassen schon Wasser durch, es ist rein zum Verzweifeln. Keinen trockenen Faden am Leib so herhocken und warten müssen, bis die liebe, liebe Sonne wieder einmal kommt, daß man sich trocknen und wärmen kann. Wenn's daheim auch so regnet, bringt niemand auch nur eine Garbe1 trocken in den Stadl. Wenn ich doch einmal eine Post bekommen würde von zuhause. Jeden Tag bei der Postverteilung die gleiche bittere Enttäuschung. Jetzt heißt es fassen gehen, wird eine liebe Fassung werden. Menage eiskalt, zum Wärmen kein Feuer, ist ja alles naß, Brot, Mehl, Kaffee alles gleich naß, so daß man morgen auch nichts hat. Am Abend wird es heiter, aber kalt. Das war angenehm in der durchnässten Kluft, bei diesem eisigen Wind Dienst halten bis ½ 1 Uhr nachts. Mittwoch, den 4. Aug.: Ein strahlend schöner Morgen, ist doch die Sonne die größte Wohltat, die unser Herrgott seinen armen Menschenkindern spendet. Heute seit dem 17. Juli das erste Mal die Schuhe ausgezogen. So halbnackt von der Sonne gewärmt, Hemd abgezogen u. fleißig lausen. Heute die erste Post erhalten von zuhause. Gott sei Dank! Auch Paket bekommen. Nachmittag schon wieder Regen bis auf die Nacht. Ums Dunkelwerden wird die Nachricht vom Fall "Iwangorods"2 bekannt. Sofort wird die Nachricht unter Jauchzen und Hurras von hunderten Soldatenkehlen dem gegenüberliegenden Feinde bekannt gegeben. Ein prasselndes Gewehrfeuer war die Antwort der wütenden Italianski. Hat aber keinen Schaden angerichtet. Donnerstag, den 5. Aug.: Schönes, warmes Wetter! Fest schnapsen 3 mit Primig und Krobath, Primmig 7 Bumm4 u. Krobath 4 u. 1 Schneider5, ich 1 Bumm. Heute nach langer Zeit der erste schöne Tag. Am Abend auf gegebenes Zeichen steigen von allen Stellungen Leuchtraketen auf. Die gesamte Artillerie löst ihre Geschütze und wir geben dem Feind unter Jauchzen und Hurras die Nachricht vom Falle "Warschaus"6 bekannt. War sehr lustig. Bei der Nacht anhaltendes, erbittertes Gewehrfeuer vom Pyramidenkofel. Auf die unfassbaren, schrecklichen Ereignisse, die sich auf der Batognica (Pyramidenkofel) abspielten, bin ich bereits an früherer Stelle eingegangen. Um diese Sinnlosigkeit noch drastischer darzustellen, möchte ich den Inhalt der Tagebucheintragungen des Virgilio Bonamore (1915 Tagebuch - Museum Kobarid) wiedergeben. Wörtliches Zitieren ist mir nicht möglich, da ich nur eine sehr schlechte deutsche Übersetzung zur Verfügung habe. "Juli 26, 1915 Um etwa 7 Uhr haben wir auf dem Berg gegenüber des Krn, der jetzt der unsere ist, und den wir, weil er so mit Blut getränkt ist, Monte Rosso nennen (Stellung bezogen.) August 2, 1915 Heute schreibe ich wieder in mein Tagebuch. Während der letzten vier Tage, die ich auf dem Berg Batognica verbrachte, konnte ich nicht schreiben. In diesen Tagen erlebte ich die fürchterlichsten Schrecken dieses entsetzlichen Krieges. 24 Stunden verbrachte ich in 1 gebündelte Getreidehalme russische Stadt an der Grenze zu Estland, die am 4. August 1915 im Rahmen der Offensive der Mittelmächte von k.u.k. Truppen besetzt wurde. 3 Kartenspiel 4 Bezeichnung für verlorenes Spiel 5 Bezeichnung für verlorenes Spiel, bei dem der Gegner keinen Punkt geschrieben hat. 6 deutsche Truppen besetzen am 5. August Warschau. 2 9 hockender Stellung wenige Meter vom Feind entfernt. Die Toten konnten nicht entfernt werden und es herrschte ein unerträglicher Gestank. Wir hatten kaum Wasser, das uns in Taschen gebracht worden war. Und es stank entsetzlich. Zwei Tage hatte ich praktisch nichts zu trinken und zu essen. August 14, 1915 Dann passierte plötzlich eine unfassbare Tragödie. Zwei Maschinengewehre, deren Position uns nicht bekannt war, eröffneten ein Kreuzfeuer und mähten alle in den Stellungen unter uns nieder. Wir wurden Zeugen dieses furchtbaren Schlachtens. Manche Körper waren wie aufgeplatzt. August 15, 1915 Erst heute begreife ich, wie unermesslich diese Katastrophe war. Das 21. Bataillon mit Ausnahme von 50 Überlebenden gibt es nicht mehr. Die 7. und die 9. Division des 36. Bataillons wurden halbiert. Und das 23. Bataillon wurde stark dezimiert. Ein schreckliches Debakel……" Freitag, den 6. Aug.: Schönes Wetter, wie lange, weiß noch nicht. Gestern wieder Packerl bekommen, ganzen Tag schön, wir werden ganz übermütig und lustig. Schon der 2. Tag schön und warm. Samstag, den 7. Aug.: Regnerisches Wetter, wird bald niedergehen. Ist wieder aus mit der Herrlichkeit. Hoffentlich bekomme (ich) heute wieder Post. Hat sich ausgemacht und war den ganzen Tag schön. Sonntag, den 8.: Schönes Wetter, zu Mittag fürchterliche Hitze. Montag, den 9. Aug.: Schönes Wetter, muß heute zum Regimentskommando hinunter, mit 10 Mann Butter fassen, unterwegs schöner Gebirgssee1. Wasser trinken, seit drei Wochen das erste frische Wasser (außer Schnee), das erstemal gewaschen. Steig führt knapp den See entlang, sieht man etwas Blaues drinnen. Ist nur ein bosnischer Menageträger 2, samt vollem Kochkessel, der den steilen Abhang hinunterstürzte und nun schon einige Zeit drinnen ruht. Wir saufen das Wasser mit Wohlbehagen, welches den toten Bosniaken umspült – ein Kriegsidyll! Dienstag, den 10. Aug.: Schönes Wetter, ich bin müde von gestern, da ich erst um 10 Uhr abends heraufgekommen u. dann bis ½ 3 Uhr Dienst hatte. Während ich hier schreibe, sausen unsere Art.(illerie) Geschosse ununterbrochen über unsere Köpfe hinweg in die feindlichen Stellungen. Scheint aber, daß der Herr ausgezogen ist. Wenn wir nur nicht nach müssen, dann ist alles gut. Sonst zahlen wir wohl anständig drauf, wenn wir angreifen müssen in diesem Gelände. Mittwoch, 11./8.: Nachmittag fängt Kopfweh an. Bitte abends für die Nacht um dienstfrei. Donnerstag, den 12.: Kopfweh wird nicht besser. Appetit keinen. Abends 6 Uhr gehe (ich) Marodenvisit, da mir auch der Bauch anfängt zu schmerzen, habe 38,4 Fieber. Bekomme Zettel zum Rgmt. (Regiments-) Hilfsplatz. 1 2 Krn - See Bosnier trugen blaue Uniformen. 10 Freitag, den 13. Aug.: In der Frühe fort zum Hilfsplatz. Rüstung1 tragen meine Leute, die hinunter Holz holen gehen. Sie kommen mir ziemlich weit heroben schon wieder mit dem Holz entgegen und sind zugleich fort gegangen! Am Hilfsplatz sofort vom Herrn Rgmt. Arzt untersucht, Fieber gemessen 38,1. Habe dann wieder Zettel bekommen zur Divisions – Sanitätsanstalt hinunter, dort stand schon drauf auf dem Zettel "Typhus Verdacht". Dieses Hinabmarschieren hinunter nach Soca werde ich mir auch merken, solang ich lebe. Anstatt 3 Stunden brauchte ich 7 Stunden. Den ganzen Tag bin ich mit meinen furchtbaren Kopfschmerzen und meinem Fieber fast 13 Stunden gegangen. Natürlich regnete es auch. Zum Rüstungstragen nahmen wir (da wir mehrere waren, aber ich war der schlechteste dabei) mehrere Bosniaken. Endlich um 7 Uhr abends bei der Div. San. Anstalt angekommen. Dort wieder Fieber gemessen und untersucht. Fieber 39. Der Doktor stellt Darmkatarrh fest. Einen Schwarzen getrunken und um 8 Uhr geht es weiter mit Gebirgs – San. – Wagen (modernes Folterwerkzeug)2 nach Unter Pret3. Bei Tag kann man nicht fahren, schießt der Wallische her mit der Artillerie. Um ½ 12 Uhr nachts angekommen. Ein schönes Haus dieses Interims – Spital. Ein Gasthaus, wo der Wirt ausgezogen ist. Dort auf Strohpritschen geschlafen bis in der Früh. Nachmittag 1 Uhr geht es wieder weiter. Zuerst zirka 5 Minuten mit dem Folterwägelchen hin zum Stollen. Der Wallisch beschießt nämlich die Übergangstraße4 von Unterpret nach Raibl5. Ist aber ein schöner Stollen, der durch den ganzen Berg führt, vorhanden. Drinnen geht eine schmalspurige "Elektrische". Da man über den Berg nicht kann, geht man durch den Berg. Kalt war die ½ stündige Fahrt im Inneren der Erde wohl sakrisch. Und mir schlecht zum Umfallen. Endlich halten die Teufelswagerl, ein paar hundert Schritte zu Fuß hin zum Stollen – Aufzug. Ist ein spaßiges Gefühl dies. Ich habe mir schon lange gewunschen, dies einmal zu sehen, aber daß ich es als Kranker anschauen werde, hätte ich nie gedacht. So hätte mich diese ganz abenteuerliche Weiterbeförderung riesig interessiert, während ich als Kranker für sonst nichts Interesse hatte, als daß ich nicht hinausfalle. Bereits im Jahre 1904 wurde der 4.800 Meter lange Entwässerungsstollen des Bergwerkes Raibl bei Tarvis durch den Predil fertig gestellt. Die teils hochgiftigen Abwässer des Raibler Blei- und Zinkbergwerkes wurden nach Mittelbreth (Log pod Mangartom) in die Koritnica6 geleitet. Bereits beim Bau wurden Schienen verlegt, um das Material abtransportieren zu können. Im Krieg benützten die Militärs die elektrische Schmalspurbahn als sicheren Transportweg. Pro Tag konnten bis zu 600 Personen transportiert werden. Um eine rasche Zugfolge zu erreichen, fuhren die Züge in Raibl noch unter Tag zurück. Die Leute wurden in Förderkörben über 200m an die Erdoberfläche gebracht. Der Erzabbau in Raibl wurde erst im Jahr 1991 eingestellt. An der Erdoberfläche angekommen, ertönte aus aller Mund ein wohliges "Ah", so schön warm kam es uns vor, trotzdem es in Strömen regnete. Zu unseren Füßen lag Raibl. Es erwarteten uns schon die großen Sanitäts – Autos, die uns in rascher Fahrt nach Tarvis brachten. Dort im Spitale abgeladen und sofort gebadet. Das tat gut. Montur wurde uns ebenfalls abgenommen zur Desinfizierung. Ist ein angenehmes Gefühl in frischer Wäsche und am Körper von Ungeziefer rein in einem reinen Bett zu liegen. In Tarvis hätte es mir gut gefallen, aber leider blieben wir nicht länger als bis Sonntag, den 15. Aug.: 1 Uhr Nachmittag auf den Bahnhof geführt und einwaggoniert in Ochsenwaggon. Aber jeder auf einer Tragbahre, so, daß jeder liegen kann. In Villach langer 1 Ausrüstung Sanitäts-Krankenwagen (umfunktionierter Omnibus) mit Hartgummibereifung 3 Log pod Mangartom 4 Straße über den Predilpass 5 Cave del Predil 6 entspringt zwischen Mangart und Jalovec und mündet bei Bovec (Flitsch) in die Soča 2 11 Aufenthalt, kamen in Klagenfurt erst um ½ 8 Uhr abends an. Dort mit der Elektrischen ins Westschulhaus1 transportiert. Montag, 16. Aug.: In der Frühe wieder baden, frische Wäsche, Montur abermals desinfiziert. Nachmittag kommt Herr Doktor und zapft jedem am Arm cirka 1/3 l Blut ab. Dieses wird zur Untersuchung, ob Typhusbazillen drinnen sind, benötigt. Zum Essen in der Früh Kaffee, Vormittag Tee (abscheulich). Zu Mittag eine undefinierbare Suppe, Nachmittag Kaffee, abends Milch. Zum Trinken eine Teelacke, nicht zu sagen, aber genug. Dienstag, 17. 8.: Nichts Besonderes, ich habe stark Fieber. Menage täglich gleich. Mittwoch, 18. 8.: Bekommt jeder eine Extralöhnung, Inft. (Infanterist) 80 H(eller), Gft. (Gefreiter) 1 K(rone), Kpl. (Korporal) 1 K, 20 H u.s.f. Donnerstag, den 19. Aug.: Paket erhalten, Fieber gleich. Freitag, den 20.: Fieber läßt etwas nach. Schlußuntersuchung beendet, Typhus konstatiert 2. Samstag, den 21. 8.: Fieber läßt nach. Sonntag, den 22. 8.: Nichts Besonderes. Montag, den 23. 8.: In der Früh bekommen wir ein Glump 3 von einer Montur zurück, kein Mensch die gleiche, wie er abgegeben. Um ½ 11 Uhr mit der Elektrischen 4 nach dem Bahnhof und gleich einwaggoniert. Wetter herrlich schön, wir fahren in einem Sanitäts – Zuge, ist schön hell und licht drin. In Knittelfeld angekommen um 4 Uhr Nachmittag. Müssen in den Waggons geschlagene 3 Stunden bis 7 Uhr warten, bis wir auswaggoniert u. gleich in den eigens hiefür hergerichteten kleinen Waggons der Feldbahn resp.5 Lagerbahn einwaggoniert werden. Wieder eine halbstündige Fahrt, bis wir endlich an Ort und Stelle sind. Gleich wieder hinaufgetragen von den Russen6 ins Bad, dort schneidet mir ein Russe die Haare ab, die Halbscheit reißt der Teufel aus. Dort wird uns alles weggenommen, Geld, Uhr, Montur, Rucksack samt Inhalt. Jeder erhält eine Nummer um den Hals gehängt, an den Sachen die gleiche Nummer. Außerdem erhält jeder zwei Papiersäckchen, wo er seine Taschen-Utensilien hinein tun kann. Dann wird jeder in die ihm bestimmte Baracke getragen, wo gesondert wird von der Schwester. Deutsche zusammen, Ungarn dto.7, Polen usw. Ein reiner guter Strohsack mit reinen Leintüchern und 2 weiche Kotzen 8 in unserer Schlafstätte. Gut geschlafen. Auf einem Areal von fast einem Quadratkilometer entstand hier 1914 ein Kriegsgefangenenlager. Von 1914 bis 1915 waren hier bis zu 33.000 Menschen interniert. In einer Baracke waren bis zu 600 Menschen untergebracht. Dadurch kam es immer wieder zum Ausbruch von Seuchen und Epidemien. Wie aus verschiedenen Berichten bekannt ist, wurden vor allem die russischen Kriegsgefangenen alles andere als gut behandelt. Interessant ist, dass das Internationale Rote Kreuz dem Lagerkommandanten trotz der unvorstellbaren Überbelegung ein gutes Zeugnis ausgestellt hat. 1 Schule in der Lerchenfeldstraße in Klagenfurt feststellen, bestätigen 3 minderwertiges Material 4 Eröffnung einer Pferdestraßenbahn 1891; elektrische Straßenbahn ab Mai 1911 5 respektive = beziehungsweise 6 1914-1915 war es ein Kriegsgefangenenlager mit bis zu 35.000 Insassen (vorwiegend Russen) 7 detto = auch 8 Decken 2 12 1915 wurde das Lager in ein Lazarett für die Soldaten der Isonzofront umgewandelt. Die Höchstanzahl der Verletzten und Kranken betrug 4.500. Dienstag, 24. Aug.: Menage ziemlich gleich, nur erhalten die, welche fieberfrei sind, zu Mittag Eierspeise. Abends ist für solche Milchspeise (Reis). Mittwoch, 25. Aug.: Gleich, ich bin fieberfrei. Donnerstag, 26. Aug.: Mittags Kalbsbraten, Zuspeise kenne (ich) nicht, kann sie nicht essen. Freitag, 27.: Erhalte ebenfalls 2. Diät. Hunger habe ich wohl, schmecken tut es mir auch u. doch fürchte ich, daß es zu früh ist u. ich am Ende einen Rückfall erleide. Freitag das erstemal Wein zu Mittag bekommen, ein Stockglas voll. Das hat geschmeckt. Nachmittag erhalte ich die Begleitadresse1 vom Packtl2 Zigaretten. Da strenge Kontumaz3 ist, wegen Scharlach, bin ich neugierig, wie ich das Paket erhalten werde. Samstag, den 28. Aug.: Muß jetzt für Scheißerei einnehmen. Aber helfen tut es nichts dieses Opium. Jetzt habe ich gestern die Begleitadresse von meinen Zigaretten bekommen, heute in der Früh die unterschriebene Anweisung der Schwester gegeben, jetzt ist schon lange die Post gekommen, mein Paket noch immer nicht u. ich hab nichts zum Rauchen, ist zum Durchgehn. Sonntag, den 29. 8.: Schwester bringt meine Begleitadresse nicht an, da niemand hinaus darf. Werd schaun durch die Wache mein Paket zu bekommen. Heute Mittag hatten wir Erddäpfelsoß. Ich voll Begier gegessen. Abends Erdäpfelsuppe. In der Nacht Magenweh. Montag, den 30.: Gestern durch einen Zivilisten Zigarettentabak bekommen, bin wohl froh. Esse heute fast nichts. Dienstag, den 31. 8.: Heute Mittag zum Braten Erdäpfel – Püree. Ausgezeichnet gut. Habe aber nur die Hälfte gegessen. Um 4 Uhr ist Kaffee. Kaum mache ich den ersten Schluck, mußte ich schon laufen auf den Abort und brach dort alles her, was nur drunten war. Ich schwitzte dabei wie nicht gescheit. Mittwoch, den 1. Sept.: Mein Magen ist nicht recht beinand. Ich esse fast nichts. Heute Geld bekommen. Donnerstag, den 2. 9.: Habe kein Blut, da mir immer die Füße kalt ist. Bis auf schlechten Appetit bin ich ganz frisch und munter. Heute geht Schwester in die Stadt, muß schauen, Äpfel zu bekommen, da Herr Doktor einen pro Tag erlaubt hat. Auf Salat lustet4 es mich riesig. Werd' wohl noch eine gute Weile warten müssen. Freitag, den 3. 9.: Schwester hat mir gestern einen Rettich gebracht, hat mir der geschmeckt. Appetit sofort besser. Samstag, den 4. 9.: Appetit steigert sich. Bis jetzt haben wir in der Früh immer Kaffee gehabt. Gestern schon Brennsuppe5 zur Jause. Vormittag sowieso immer Brennsuppe. Und diese Postpaketadresse – vom Absender auszufüllendes Formular, das Paketsendungen beizugeben ist Packerl 3 Verkehrssperre, um die Ausbreitung von Seuchen zu verhindern 4 Gusto (Appetit) haben auf 5 Suppe auf Einbrennbasis (Fett u. Mehl) 1 2 13 gewöhnlich versalzen. Esse jetzt trotz Appetit in der Früh und vormittags nur Brot. Mittags Menage nicht schlecht, aber wenig. Nachmittags 4 Uhr Kaffee. Abends Milchreis, aber nichts wert. Mittagessen immer erst um 1 – ½ 2 Uhr nachmittags. Sonntag, 5. 9.: Schlechtes Wetter, den ganzen Tag liegen und Trübsal blasen. Gestern, den 4. erstmals Grazer Tagespost bekommen. Bin wohl sehr froh. Kaufe jetzt, da die Ordonanz in die Stadt hinaus darf, alle Tage Butter und Wein, derweil das Geld glangt 1. Helfen tut es wohl, werde zusehends stärker. Lange wird das Geld nicht dauern (reichen), um 1K2 Butter ist grad recht für Frühstück u. Nachtessen, Wein kostet auch ½ l 40kr3, 5kr Trinkgeld geht (ergibt) alle Tage 1 Gulden. Seit 1900 gibt es in der gesamten Monarchie die 1892 eingeführte Kronenwährung (Scheidemünze Heller). Offensichtlich werden die alten Bezeichnungen Gulden und Kreuzer teilweise im Alltagsgebrauch weiter verwendet. Hoffentlich komme ich im Laufe dieser Woche zu den Rekonvaleszenten, dort wird hoffentlich mehr und besser zum Fressen sein, da der Nachschub an Typhuskranken sehr groß ist. Montag, den 6. 9.: Menage wird immer schlechter. Jetzt ist in der Frühe schlechte Brennsuppe, Vormittag das gleiche, Mittag gewöhnlich kalt. Nachmittag haben wir gar schimmliges Brot erhalten zur Brennsuppe. Abends der gewöhnliche Wasserreis. Heute Nacht ist der 7te gestorben in der Baracke, seit wir hier sind. Dienstag, den 7. 9.: Jetzt darf die Ordonanz nichts mehr bringen als Tabak, hat gestern einer, der schon besser war, abends 40,9 Fieber gehabt, und da hat das die Schuld, wenn man etwas anderes ißt, als was man bekommt. Bei der Menage und der kalten Baracke wird jeder gesunde Mensch krank, u. da soll ein (ein) Mensch, der schwer krank war, gesund werden? Zum Krepieren ist diese Lebensweise besser als zum Gesunden. Hoffe nur, daß wir bald hinauskommen aus dieser verfluchten Baracke. Wasser stinkt auch, nicht einmal dies hat man hier. Gestern war der Feldpater hier (nach meiner Anschauung ist's ein Tscheche) mit Kalendern, aber nur für die Polen und Ungarn hatte der Schuft welche, für die Deutschen ist nichts. Das gleiche ist bei den Zeitungen, diese haben Zeitungen, wir Deutsche keine. Neben mir liegt einer, der fast bei jeder Mahlzeit bricht, da muß man essen dabei. Weiter unten ( 4 Betten dazwischen) hat einer wahrscheinlich die Cholera4. So oft er was ißt, muß er schon auf den Leibstuhl. Da muß man essen dabei. Meinen Rucksack samt den Hausschuhen, Himbeersaft hab ich noch immer nicht. Dies armselige Spital hier hat keine Patschen5, da muß der Fieberkranke mit bloßen Füßen hinaus auf den Abort, dort auf dem Zementpflaster sich verkühlen u. da soll einer gesund werden dabei. Eine grenzenlose Lumpenwirtschaft hier, der schon so manches Menschenleben zum Opfer gefallen ist. Frauentag, den 8. 9.: Kalt ist's und die russischen Handwerker arbeiten noch immer an unserer Baracke. Heute werden Fenster und Fensterstöcke angestrichen, und da müssen 40 Kranke bei offenem Fenster liegen. Gestern habe ich Zimmermann Lex hier getroffen, er arbeitet schon seit Fasching hier. 1 ausreicht Krone 3 Kreuzer 4 epidemische Infektionskrankheit mit heftigen Brechdurchfällen 5 Hausschuhe 2 14 Donnerstag, den 9. 9.: Heute soll ein neuerliche Blutprobe an uns gemacht werden, damit konstatiert werden kann, ob wir wohl wirklich typhusfrei sind. Hoffentlich komme ich hinaus aus dieser verfl. Baracke. Hier würden wir keiner in Jahr und Tag gesund werden. Dann werde ich endlich meine Sachen auch bekommen, meine Hausschuhe, meinen Himbeersaft und die ganzen Sachen. Rheumatismus meldet sich auch schon, habe ihn hier in der Baracke aufgefaßt, wo man immer mit bloßen Füßen herum gehen muß. Wird für spätere Zeiten ein unangenehmer Gast und Mahner werden an die Zeiten im Knittelfelder Lagerspital. Freitag, den 10. 9.: Statt Blutprobe war Stuhlprobe. Mußte jeder etwas Kot hergeben zur Untersuchung. Samstag, den 11. 9.: Nichts Besonderes. Habe 4. Diät bekommen. Ist aber auch der gleiche Dreck, nur daß man zu Mittag statt Kalbsbraten Rindfleisch hat. Abends statt Milchreis ist Erdäpfelsuppe. Sonntag, den 12. 9.: Heute von Lex Geselchtes hereingekriegt, war das gut. Abends heute sogar Gulasch. Montag, den 13. 9.: Heute wurde endlich verlesen, wer am nächsten Tage fortkommt. Gottlob bin ich dabei! Die Suppen werden immer schlechter, lauter warmes Wasser. Dienstag, den 14. 9.: Heute ist hoffentlich der letzte Tag herinnen in der Läusebaracke. Aber zum Anziehen haben wir noch nichts. Weiß nicht, werden wir in Hemd und Gatien 1 wandern. Da verkühlt man sich ja nicht dabei, mit bloßen Füßen extra draußen herum zu spazieren. Dreckswirtschaft verdammte! Mittwoch, den 15. 9.: Natürlich sind wir noch herinnen! Aus irgend einem Grunde gehen wir erst heute hinaus, wenn's wahr ist. Heute entschlüpfte der Schwester etwas, was vollständig zu der hier herrschenden Mißwirtschaft paßt. Wie im Tagebuch am 6. d. M. vermerkt, starb einer. Laut Diagnose an Lungentuberkulose. Einige Tage vor dem Tode ersuchte unser Arzt (ein blutjunger Ungar, er ist auch nur Fähnrich) einen Offiziersstabsarzt, der bei schweren Fällen schon des öfteren hier war, auch bei diesem Kranken eine Diagnose abzugeben. Er untersuchte den Kranken und sagte laut, so daß wir es alle hörten, ob der Mann nicht Flecktyphus2 hat, jedenfalls ist er höchst verdächtig. In einer geraumen Zeit danach (etwa 1 Stunde) kamen über Veranlassung des vorerwähnten Doktors noch einige Doktoren, die jedoch nach oberflächlicher Untersuchung keine Spur von Flecktyphus zu erkennen vermochten. Der mit seiner Meinung allein stehende Doktor wurde noch mitleidig belächelt und der Sache freien Lauf gelassen. Ein paar Tage nachher starb der Arme. Bei der Sezierung, der jeder Tote unterzogen wird, stellte sich heraus, daß "Flecktyphus" alleinige Todesursache war. Ist ja nichts dahinter, ist nur um einen verheirateten Familienvater weniger! Die Herren haben sich eben geirrt, als sie vom anderen Doktor auf die Flecken an der Brust aufmerksam gemacht, selbe für Narben eines früheren Ausschlages erklärten. Die Herren spüren von der Not der armen Witwe mit den kleinen Kindern, die in irgend einem Winkel Böhmens 3 Hunger leiden, von diesen schönen Sachen spüren die Herren ja nichts. 1 Gat(j)ehose: ostösterr. lange Unterhose Fleckfieber, meist epidemische Infektionskrankheit, die unbehandelt bei 10-20% zum Tod führt. 3 historische Landschaft Mitteleuropas, heute Kernland der Tschechischen Republik 2 15 "Lieb' Vaterland magst ruhig sein!"1 Unser Patriotismus wächst täglich, stündlich! Mit einem handgezeichneten Monogramm enden mit diesem Datum die Tagebuchaufzeichnungen. Trotz intensiver Nachforschungen konnte ich keine weiteren Niederschriften auffinden. [ 3.0 – 3.1 – 3.2 – 3.3 – 3.4 – 3.5 ( 3F / 3SW)] 3. Kapitel Briefe Als zusätzliche Information gibt es noch 7 Briefe meines Großvaters an meine Großmutter sowie ein Antwortschreiben. Die Briefe werden wortgetreu und inklusive orthographischer und grammatikalischer Fehler wiedergegeben. Wobei es auffällig ist, dass er in den Briefen häufiger Fehler macht, als in den Tagebuchaufzeichnungen. Klagenfurt den 29/X. 14 Meine liebe Julie ! Habe Deinen Brief mit herzlichem Danke erhalten, er traf mich auch in guter Laune an, denn seit man mir die Klampfern2 von der Wunde herauszog, gehe ich viel leichter, auch ist der Schnitt schon bereits verheilt. Halmer3 habe ich wohl schon geschrieben, ich kann's aber nicht bestimmt sagen, kann sein, daß ich's mir blos gedacht habe ihm zu schreiben. Betreffs des Gewehres möchte ich Dich freundlich ersuchen, selbes wenn überhaupt möglich um jeden Preis herzugeben. Ist ja so nichts damit. Mit dem Urlaub ist nichts, wie ich Dir schon mitteilte. Haben vor einigen Tagen die Gendarmen wieder 2 Urlauber eingeliefert, die gleich eingebrochen hatten. Wir müssen dadurch leiden. Es ist auch sehr, sehr fraglich ob ich für einen Tag Urlaub bekommen werde. Heute stellen sie unten im Hof wieder ein Marsch-Baon4 zusammen, sind die Halbscheit5 halbgenesene Verwundete. Besucht hat mich niemand, weder die Feldnerischen noch der Ebner, noch der Michl in Kulm6. Wenn ich die Wahrheit gestehen will, so ist's mir sogar lieber, daß du keines von den Kleinen mitgebracht hast, wäre der Trennungsschmerz noch größer und bitterer gewesen. Jetzt bin ich ja vielleicht noch einige Zeit hier, so daß ja ein Wiedersehen auf kurze Zeit nicht unmöglich ist. Die Karte die ich Dir schrieb, wirst wohl kennen. Es ist mein Kollege, der lustige, dem sie die Kugel zugleich mit mir aus der Hand herausschnitten. Wir gehen auch zusammen hinaus. Haben Freundschaft geschlossen mit einander. Du mußt Dich selbst mehr aufrichten. Schau muß ja ich es auch tragen und Du hast noch die Kleinen. Es stehen uns eben ernste, schwere Zeiten bevor u. da muß jedes seinen Platz voll u. ganz ausfüllen, sonst taugt man nichts. Du daheim, ich im Felde. So Gott will wird ja noch einmal alles gut werden. Es grüßt und küßt Dich u. meine lieben Kleinen viel 1000 mal Dein Thomas. Klagenfurt den 30./X. 14 1 eigentlich: "Lieb' Vaterland kannst ruhig sein"- Schneckenburger / Wilhelm, Wacht am Rhein Klammern 3 Bauer aus St. Veit in der Gegend 4 Bataillon (400-800 Mann) 5 Hälfte 6 3 Bauern aus seiner Heimat 2 16 Meine liebe Julie ! Habe Deine Karte mit herzlichem Danke erhalten u. teile Dir mit, daß ich mich sehr freuen würde, wenn Hansl herunter kommen würde. Freilich wäre es mir lieber, wenn er am Sonntag hätte kommen können, da wir am Armenseelentag1 nicht Feiertag haben. Zwar habe ich auch dort Zeit, fast den ganzen Nachmittag. Wenn er fährt, soll er (am) Rudolfsbahnhof2 aussteigen, ich bin in der alten Landwehrkaserne. Man sieht sie vom Bahnhof aus schon, sind mehrere rote Gebäude zusammen. Zugeteilt bin ich zur V. Kompagnie. Ist nur diese dort von unserem Regimente. An Wäsche benötige ich ein Hemd u. 1 Gatie. Aber nicht von den neuen. Ferner möchte ich Dich bitten, wenn Herr Freitler so gut wäre u. ein amtliches Beglaubigungsschreiben betreffs der Verzehrungssteuer3 - Abfindung am 4./XI. ausstellen möchte. Ich würde selbes dann beim Rapport4 vorweisen. Ich würde dann halt doch vielleicht 2 Tage Urlaub bekommen. Herr Freitler wird schon wissen, wie es zu lauten hat, daß ich einen Erfolg damit erziele. Gestern bin ich gegen Cholera geimpft worden... Der Brief wurde hier abgetrennt. Der folgende Brief ist das einzige erhaltene Antwortschreiben meiner Großmutter. Der Brief ist mit 3. August 1915 datiert und offensichtlich eine Reaktion auf die sehr drastischen Schilderungen der Situation im Bereich des Krn in der zweiten Julihälfte, wie sie auch im Tagebuch nachzulesen sind. Außerdem zeigt der Brief, mit seiner regelrecht "gemalten" Schrift, mit welcher Mühe er verfasst wurde und wie ungeübt die Verfasserin im Vergleich mit ihrem Gatten im Ausdruck und in der Rechtschreibung war. St. Veit am 3./8 1915 Mein lieber Thomas ! Wie geht es Dir, habe immer schreklich Angst um Dich, thun woll immer fleißig beten führ Dich daß Dich der liebe Gott beschützen soll, es geht ja schreklich zu bei Euch wie man ließt. Vom Fleischhauer Pichler in Neumarkt weiß die Frau schon über ein Monat nichts. Auf das Ergebnis der jetzigen Musterung bin ich sehr neugierig da auch der Prethaler 5 dabei ist, dem wäre es woll vergönt wen er thät verbleiben. Ich schließe mein Schreiben mit viel tausend Bußerl von mir und Deinen lieben Kleinen Deine Julie. Der liebe Gott schütze Dich. Klagenfurt den 10./9.15 Bei dem Datum muss es sich um einen Zahlensturz handeln – richtig 9.10.15 – am 10.9. lag er noch mit Typhus im Lazarett in Knittelfeld. Meine liebe Julie ! 1 Allerseelentag, 2. November heute Klagenfurt Ost 3 1829 in Österreich eingeführte Liniensteuer am Land für Getränke und Schlachtvieh 4 eigentlich Rapport: dienstliche Meldung 5 Bauer in St. Veit 2 17 Das ist ein Leben hier in diesem schönen Klagenfurt. Exerzieren und ausrücken. Gestern wollte (ich) mit Zugsführer ins Kino gehen. Da steht aber ein Offizier u. fragt jeden um Erlaubnis. Wer keine hat muß zurück. Selbst dieses Vergnügen gebührt dem Soldaten der im Felde war nicht. Und teuer das Leben, wenn ich abends ein Gulasch esse, weiß ich nicht ob ich etwas gegessen habe. Ist zum Teufel holen. Um eine Krone Speck ist grad recht für einmal Jause. Und der Hunger zwingt aber zu 2maliger Jause. 800 Urlaubsgesuche liegen in der Kanzlei und 16 bis 17 hundert Leute sind hier in der Sammelstelle. Ist ein Durcheinander daß einem Hören und Sehen vergeht. Bis jetzt gehen alle Tage 50 auf Urlaub u. alle Tage kommen 100 u. mehr dazu. Werde wahrscheinlich wohl nicht mehr nach Hause kommen, gleich ins Feld wieder gehen auf Urlaub. Ist wohl ein trauriges Los das Soldatenlos. Diejenigen die zu Hause sein können, wissen ja nicht, wie gut sie es haben. Das Geld zerrinnt nur so, und man kauft doch nichts als wieder für den Magen u. noch einmal für den Magen. Ich schäme mich so viel Geld zu verbrauchen und kann mir doch nicht helfen. Früher habe ich nicht so viel gegessen aber jetzt. Was machen denn die Kleinen? Klein Minna1 möchte ich so gerne wieder einmal sehen und dann Klein Hermann2 vielleicht sehen. (Zeile unleserlich) Komm bald herunter einmal zu mir. Indessen grüßt und küßt Dich sammt den Kleinen herzlichst Dein Thomas. Paket keines schicken, da es mir so gestohlen wird. Standort, 28./VII. 1916 Meine liebe Julie ! Habe heute eine schlechte Nacht durchgemacht wegen dieser verflixten Artillerie, die ganze liebe Nacht durch und jetzt noch, wo ich Dir schreibe (es ist 9 Uhr Vormittag) kracht und dröhnt es, daß der Erdboden zittert wie bei einem Erdbeben. Wir haben bis jetzt Gott sei Dank keine Verluste, dank unserer sehr gut gedeckten Stellung. Unsere eigene Artillerie gibt natürlich nicht nach, schießt auch wie der Teufel u. zwar mit recht gutem Erfolg. Unsere Geschosse haben eine furchtbare Wirkung, man sieht es selbst und gefangene Italianski3 erzählen uns mit Grausen von der furchtbaren Wirkung unserer Geschosse. Heute ist wieder der verd… Dreck überall drin zum stecken bleiben. Trotz guter Beschuhung wird man naß und wo trocknen? Gestern mußten wir schwören wegen Wassertrinken, daß Niemand ungekochtes Wasser trinkt. Wie froh bin ich auf die Zitronensäure, denn ohne allen ist das gekochte Wasser nicht zum saufen. Das Essen ist nicht schlecht, aber ausgiebig ist es nicht. Speziell der "Bims" 4 ist sehr gut, aber man muß sich Gewalt antun, daß man nicht gleich bei der Fassung die ganze Portion bei Putz u. Stingel aufißt. Was dann abends u. in der Früh in den Kaffee hinein tun? Der mehr als respektable Apetitt und die gute, aber nicht ausgebende Menage passen halt eben zusammen wie die Faust aufs Auge. Über mir in den Lüften rattern die Maschinengewehre, sind wieder 2 Flieger zusammengekracht. Schade daß man den Ausgang des Kampfes nicht beobachten kann, da man sie nur mehr hört, nicht mehr sieht. 1 meine Mutter, geb. 1912 Den 1915 geborenen Sohn Hermann hatte er noch nie gesehen. 3 Italiener 4 Brot 2 18 So leben wir alle Tage dahin, teilen unsere Zeit in lange Arbeits u. möglichst kurze Ruhepausen ein, erleben alle Viertelstunden was Neues, müssen jede Minute gefaßt sein, in der nächsten schon in der Ewigkeit zu sein. Wenn das Wetter schön ist, bricht sich gleich der unverwüstliche Humor Bahn, man sitzt beisammen und macht eifrig Jagd auf die nimmersatten Ruhestörer. Auf die Läuse. Bei Nacht ist es wieder hauptsächlich das liebe, traute Daheim, das einem vorschwebt, in das sich die Phantasie durch liebliche Bilder hineinlebt, bis das Platzen eines nahen krepierenden Schrapnells1 oder das Pfeifen einer Kugel einen zur rauhen Wirklichkeit zurückruft. Bitte wieder um Schreibmaterial, bin schon wieder zu Ende damit. Gott befohlen indessen! Dich und die Kleinen aber grüßt und küsst herzlichst Dein Thomas. Dieser Brief ist natürlich aus historischer Sicht der interessanteste, weil er im Stellungsbereich geschrieben wurde. Die Datierung zeigt , dass es auch zwischen den einzelnen Schlachten lang anhaltende Artillerieduelle gegeben hat. Die 5. Isonzoschlacht hatte am 16. März geendet und die 6. begann am 4. August. Natürlich ist auch der Standort nicht zu eruieren, da ich ja nicht weiß, wo er nach seiner Krankheit am Isonzo eingesetzt wurde. Die Aussagen über den Schmutz, in dem man stecken bleibt, und über das abzukochende Wasser lassen eher darauf schließen, dass er nicht mehr im Hochgebirge, sondern eher weiter südlich stationiert war. Auch der die ganze Nacht dauernde Artilleriebeschuss weist eher auf den Bereich Görz oder Karst hin, wo ja die Hauptoffensive der Italiener in der kurz darauf folgenden 6. Isonzoschlacht erfolgte. Der folgende Brief kommt aus Baden bei Wien. Nach einer neuerlichen schweren Schussverletzung (Durchschuss beider Gesäßbacken und Schienbeinbruch) während der 9. Isonzoschlacht am 2. November 1916 ist er dort als Rekonvaleszenter. Baden den 20./XII. 16 Meine liebe Julie ! Habe Deinen Brief dankend erhalten. Auch der Verband ist wohl schon weg, aber mit dem Fuß kann ich jetzt weniger denn früher. Die geringste Bewegung schmerzt, was früher nicht mehr der Fall war. Der Fuß ist geschwollen wie ein Krapfen u. tut jetzt grad so, als wenn er nicht zu mir gehöre. Die Wunden sind schön verheilt, fürchte aber, daß die Einschußwunde wieder aufbrechen wird. Auftreten soll ich, kann aber nicht. Außerdem ist der Haxen jetzt noch verdreht, kann nur mit der Außenseite auftreten, das wird sich aber hoffentlich durch die Bäder heilen, vorausgesetzt daß ich noch in Baden bin. Gestern soll nämlich wieder ein Telegramm gekommen sein, daß die Wohltätigkeit aufzulösen sei. Bitte daher nicht antworten auf dieses Schreiben, bevor Du nicht ein weiteres Schreiben erhältst. Denn weiß Gott, wo sie uns hinstecken, wenn wir hier fort müssen. Schuh bring ich nicht an, und Patschen haben sie keine u. so pendelt der Fuß ganz bloß herum. Gestern abends hatten wir Christbescherung. War ganz schön die Feier, Gesang u. Vorträge u.s.w. Hernach war Verteilung. Gaben waren wirklich viel. Ich und viele andere bekamen eine Armbanduhr, eine Brieftasche mit 2 K, eine Schachtel Zigaretten, ein Fläschchen Wein, Gebäck, Äpfel u.s.w. Macht für 250 Mann eine hübsche Summe aus. Soeben erfahre ich, daß unsere Herren heute in aller Früh nochmals nach Wien gefahren sind, wegen der Auflösung. Vielleicht bleibt es aber doch aus. Heute Mittag erfahren wir es schon. Urlaub ist ganz ausgeschlossen, nachdem ich gar nicht gehen kann, vielleicht im Laufe des Jänner einmal. 1 Artilleriegranate (Sprenggeschoß), mit Metallkugeln gefüllt 19 In der Hoffnung, daß wir uns doch bald einmal wieder sehen wünsche Dir und den Kleinen recht frohe Weihnachtsfeiertage. Die nächsten feiern wir sicher zusammen. Herzlichste Grüße und Küsse Dir und den Kleinen Dein Thomas. Baden den 25. / XII. 16 Meine liebe Julie ! Herzlichen Dank für Guglhupf und Taback. Hat mir sehr gut geschmeckt. Gestern war ich das erstemal in der Kirche und Nachmittag ging ich ein bischen spazieren. Natürlich mit Krücken, denn auftreten kann ich noch gar nichts. Habe bei einem Heurigen, d. h. wo der Weinhauer seinen Wein ausschenkt, ein Viertel getrunken, kostet 1 K! Heute früh hätte ich bald Unglück gehabt. Hüpfte beim Bettmachen mit dem gesunden Fuß herum u. kam damit unter den Teppich und fiel natürlich ziemlich grob auf den Zementboden. Der kranke Hax tut mir heute dadurch ziemlich weh, geschehen ist aber Gottlob nichts. Vor einem nochmaligen Bruche habe (ich) wohl Angst, da das Schienbein dann nicht mehr zusammenheilen will. Für mich ist der Krieg wahrscheinlich wohl schon aus u. hoffentlich wird es ja so zum Frieden kommen. Mit einem gebrochenen Fuße wird man gewöhnlich superarbitriert1, strengsten Falles zu leichten Hilfsdiensten verwendet. Wäre froh, wenn die Feiertage schon wieder vorbei wären, denn solche Tage, wie heute und gestern der Hl. Abend erinnern nur noch mehr an daheim und wecken das Heimweh aufs neue. Ich kann zu Neujahr wohl eben so wenig Urlaub fahren wie jetzt, vielleicht in einem Monate ??? Meine Christbaum – Uhr habe (ich) einem Kollegen, der von der Front auf Urlaub kam und mich hier besuchte, spendiert, wert war sie so nicht viel. Er hatte eine Eselsfreude damit. Das andere Paket habe ich noch nicht erhalten. Herzliche Grüße u. Küsse Dir u. den Kleinen Dein Thomas Bitte um Halbmeier seine Adresse ! Baden den 16. / I. 17 Meine liebe Julie ! Deinen Brief mit herzlichem Danke erhalten. Habe jetzt schon den 2ten Tag ziemlich heftigen Zahnweh. Muß halt immer was sein. Auch von Hans habe (ich) eine Karte erhalten. Freut mich, daß er endlich einmal einen Urlaub erhalten hat. Hoffentlich kann er zum Kader einrücken. Liebe Julie! Bitte schicke mir im Laufe dieses Monats nachstehende Bestätigung: Bestätigung, daß Thomas Bergner, Kpl2 im K.K. Lin 4, derzeit verwundet im K.K. Wohltätigkeits - Hause in Baden, seit Mai 1915 nicht mehr zu Hause war. Bergner ist in hiesiger Gemeinde Gastwirt, verheiratet u. wäre dessen Anwesenheit zwecks Ordnung und Einsichtnahme seiner Geschäftsverhältnisse dringend erwünscht. (Stempel) St. Veit am 20. / I. 17 Moser 1 2 österr.: dienstuntauglich erklärt Korporal 20 Werde mein Glück zu Anfang des nächsten Monats noch einmal probieren. Bis dahin hoffe (ich) schon mit einem Stecken gehen zu können. Hilft es nichts, so schadet es nichts. Wäre halt allzu gerne wieder einmal zu Hause. Herzlichste Grüße und Küsse Dir und den Kleinen Dein Thomas. Sowohl im Tagebuch als auch in den Briefen ist nichts mehr vom Hurrapatriotismus zu merken, der zu Kriegsbeginn verbreitet wurde. Die Texte unterscheiden sich in der Grundhaltung kaum von Texten, die von Soldaten anderer Nationen stammen, ganz gleich, ob sie auf der einen oder auf der anderen Seite standen. Die Ernüchterung hatte sehr schnell eingesetzt. So schrieb Josip Prelesnik in seinem Tagebuch, das im Museum von Kobarid aufbewahrt wird, schon im Dezember 1914, dass "der Tod nicht das schlimmste war, er war die Erlösung von der schrecklichen Hölle des Weltkrieges".1 Bei den meisten bisher veröffentlichten Tagebüchern und Erinnerungen handelt es sich um Aufzeichnungen von Personen mit einem höheren militärischen Dienstgrad, vom Unteroffizier aufwärts. So schreibt etwa Irena Novak-Popov in ihrem Beitrag im Buch "Isonzofront 1915-1917. Die Kultur des Erinnerns.": "Mit Ausnahme des Infanteristen und gewöhnlichen Soldaten Karl Battisutti, eines 26-jährigen Beamten, der eine Volksschule und eine zweijährige Handelsschule absolviert hatte, waren die Verfasser der Kriegstagebücher durchwegs höher gebildete Personen, die zumindest eine Mittelschule besucht hatten."2 Deshalb sind die Aufzeichnungen meines Großvaters, der zu den einfachen Soldaten gehörte, aber offensichtlich trotzdem einen höheren Bildungsstandard hatte, besonders interessant.3 Wenn ich seinen Text mit dem Tagebuch Mussolinis vergleiche, aus dem ich später in meinem Buch noch zitiere, muss ich feststellen, dass der damalige italienische "Starjournalist" nicht einmal annähernd an die Authentizität meines Großvaters herankommt. Wobei natürlich klar ist, dass Mussolinis Tagebuch (in Österreich erschien es 1930) an dessen zwischenzeitliches politisches Denken "angepasst" worden war. Tagebücher sind ja weniger wegen ihrer historischen Faktenvermittlung von Interesse, sondern wegen der alltäglichen, verschiedenartigen und persönlich gefärbten Information, die sie uns vermitteln. Die vorhin angeführte Autorin Irena Novak Popov drückt das folgendermaßen aus: "Das Tagebuch als die intime Form der autobiografischen Prosa verbindet Selbsterkenntnis mit Welterfahrung, in dem es sich auf einzelne Ereignisse konzentriert, auf Reflexionen und emotionale Reaktionen."4 [ 3.6 – 3.7 (2SW)] Rajšp, Vincenc: Isonzofront 1915-1917. Die Kultur des Erinnerns, Wien – Ljubljana 2010, S. 14 ebenda, S. 121 3 Über seine Schulbildung gibt es keine Dokumente, laut Aussagen älterer Verwandter soll er eine abgebrochene Priesterausbildung hinter sich gehabt haben. 4 ebenda, S.120 1 2