Werte in der politischen Bildung

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Dr. Lüder Benne (© für diesen Text auf der Grundlage der angegebenen Quelle)
Werte in der politischen Bildung
Gedanken zur Gestaltung in der BBS
1. Nachdenken über Werte!
(Literatur: Breit, Schiele (Hrsg): „Werte in der politischen Bildung“, Wochenschau-Verlag
2000; dort zitierte weitere Lit.)
Mit politischer Bildung soll nach HIMMELMANN „zur Demokratie erzogen“ werden.
Wesentliche Grundlage verantwortlichen politischen Handelns ist das Bewusstsein für die
Grundlagen der Demokratie. Allgemein anerkannte Werte sichern die dauerhafte Existenz
der Gesellschaft – hierfür ist jeder Bürger mitverantwortlich.
Die ausgewertete Literaturquelle bezieht sich vorzugsweise auf allgemeinbildende Schulen.
Berufsschüler werden nur am Rande berührt (ein Phänomen, das in der pädagogischen
Literatur weit verbreitet ist).
Auch für den Politik-Unterricht in der BBS lohnt es sich, über die Orientierung an Werten
nachzudenken. Gemeint ist nicht „Moralisieren“, sondern das Besinnen auf allgemein
anerkannte Grundwerte, hier mit besonderem Bezug auf die Situation Auszubildender.
Darum wird der Versuch unternommen, den Sammelband zur Werte-Erziehung in der
politischen Bildung so aufzubereiten, dass die dort formulierten Ansätze in die
Unterrichtsgestaltung in der BBS übertragen werden können. Ggf. werden sie ergänzt um
eigene Interpretationen durch den Autor dieser Zusammenfassung.
2. Wertebegriff
2.1 Sachgrundlagen der Werte-Erziehung
2.1.1 Grundlegende Kategorien
BREIT ( S. 218 ff.) baut eine Sachgrundlage auf den folgenden Kernbegriffen und -aussagen
auf:
(1) Über Grundwerte herrscht in der politischen Kultur einer demokratischen
Gesellschaft Übereinstimmung trotz der Unterschiede in der Auslegung und
Konkretion.
(2) Lebensrecht wird gewährleistet durch inneren und äußeren Frieden.
(3) Freiheit kann verstanden werden als „Freiheit von“ (besonders staatliche Willkür
und Bedrückung durch Stärkere sowie unrechtmäßige Gewalt).
Freiheit ist auch und besonders „Freiheit für“ (besonders persönliche
Lebensgestaltung und auch Arbeitsbeziehungen).
Zusammengefasst bedeutet Freiheit sowohl Recht der Mündigkeit als auch
demokratische Ordnung.
(4) Gleichheit ist gemeint als Chancengleichheit zur Beteiligung und zur
Persönlichkeitsentfaltung.
(5) Solidarität erfordert das Bemühen um den Ausgleich von Ungleichheit und deren
Folgen.
(6) Mündigkeit drückt die Wahrnehmung der eigenen Menschenwürde aus.
Mündigkeit ist auch die Grundlage demokratischer Ordnung (Konfliktaustragung
nach demokratischen Regeln frei von unrechtmäßiger Gewalt).
S. REINHARDT (S. 290) schlägt die Aufschlüsselung des Begriffs „Solidarität“ nach
folgendem Muster vor:
Solidarität
personale
emotionale
instrumentelle
gemeinschaftliche
sozio-moralische
politische
Für die emotionale Solidarität ist zu beachten, dass sie sowohl freiwillig als auch unter Druck
zustande kommen kann. Hierin sieht die Autorin einen möglichen Widerspruch.
Dieser Gedanke ist wichtig für die Gestaltung der persönlichen Beziehungen am
Arbeitsplatz.
2.1.2 Grundwerte als Grundlage der Demokratie
Die Überlegungen im vorigen Abschnitt (2.1.1) können ergänzt werden mit den Gedanken
BREITs zu den Grundwerten als den allgemein anerkannten Grundlagen der Demokratie (S.
222):
1. Ein wesentlicher Grundwert ist die persönliche Freiheit. Beim Freiheitsbegriff (s.o.
2.1.1) ist zu unterscheiden zwischen der Freiheit „wovon“ und der Freiheit „wofür“ (S.
223). Hier bietet sich ein interessantes Feld zur Entwicklung dieses Grundwerts unter
dem Blickwinkel der Einführung Jugendlicher in die Arbeitswelt.
2. Der Grundwert Gleichheit wird in der Politik sehr unterschiedlich interpretiert; auch im
Lauf der Zeit wandelt sich die Betrachtungsweise. Zu empfehlen ist, den Autoren zu
folgen bei der Definition, dass Gleichheit Chancengleichheit bedeutet (S. 224). Der
Bezug zur Situation Auszubildender liegt damit besonders nahe: Fast alle Azubi
haben i.d.R. eine realistische Chance, die Ausbildung erfolgreich abzuschließen,
wenn dem nicht außergewöhnliche Umstände entgegenstehen (z.B.
Sprachprobleme, mangelnde Motivation, Mängel in den Ausbildungsbetrieben).
3. Solidarität ist die Voraussetzung für die Erhaltung der Menschenwürde Schwacher
(S. 225). Das gilt insbesondere in der Ausbildung: Azubi sind gegenüber anderen
Mitarbeitern schwächer und bedürfen der Solidarität Älterer; untereinander gilt das
Gleiche.
4. Die Beteiligung am Funktionieren der demokratischen Institutionen und die
Einhaltung der Regeln (S. 232) können in der Arbeitswelt konkretisiert werden in der
Entwicklung der Beziehungen am Arbeitsplatz.
Die Grundwerte müssen in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen (Bsp.:
Freiheit ohne Gleichheit führt zu mangelnder Sicherheit; absolute Gleichheit kann nur durch
Unterdrückung der Freiheit herbeigeführt werden).
Grundlegende Zusammenhänge zeigt das Schaubild aus S. 240 (=> in 6.2).
2.1.3 Gesellschaftlicher Rahmen der Sozialisation
Die Familie prägt i.d.R. die Grundlagen der Sozialisation Jugendlicher. Die früher (gerade
auch die Arbeitswelt in Handwerk und Industrie prägenden) Erziehungsziele „Gehorsam und
Unterordnung“ sowie „Ordnungsliebe und Fleiß“ sind weitgehend ersetzt durch das
Erziehungsziel „Selbständigkeit und freier Wille“ (S. 147 ff.). Gegen diese allgemeine
Aussage ist einzuwenden, dass die Sozialisationsweisen in den Familien sehr heterogen
waren und sind. Das ist für Auszubildende besonders wichtig: Vermutlich besteht ein großer
Einfluss der sozialen Herkunft auf das Erziehungsmuster; besonders deutlich dürfte dies bei
ausländischen1 Jugendlichen ausgeprägt sein.
1
Beachten: Gemeint ist die Umgebung während der frühen Sozialisation, also Aufwachsen im Ausland oder in
nicht assimilierter ausländischer Familie.
Von zunehmender Bedeutung sind die Auswirkungen der Beziehungen Gleichaltriger
untereinander auf die Sozialisationsprozesse, i.d.R. um so größer, je geringer der Einfluss
des Elternhauses ist.
Der Einfluss der Schule dürfte individuell unterschiedlich sein. Je älter die Jugendlichen,
desto weniger wird sich die Schule auf allgemeine Sozialisationsprozesse auswirken. Beim
Eintritt ins Berufsleben ändert sicher allerdings die Situation gravierend. Die BBS hat damit
eine Chance, auf der Basis der Vorprägung der Berufsanfänger die Werte-Erziehung neu
aufzubauen. Sie muss dazu hinreichend Rücksicht auf die Ausgangslage und die Interessen
der Schüler nehmen.
2.1.4 Merkmale der Sozialisation
Untersuchungen zur Situation der heutigen Jugend zeigen, dass die Sozialisationsprozesse
zu Grundhaltungen führen, die mit folgenden Merkmalen umrissen werden können (S. 143):
- Junge Menschen sind mehrheitlich bereit, sich für die Gemeinschaft einzusetzen.
- Die Beziehung zur Berufswelt ist weniger von einem Berufsethos geprägt als von
dem Zwang, sich den Verhältnissen am Arbeitsmarkt anzupassen.
- Junge Menschen haben ein distanziertes Verhältnis zur Politik, was sie aber heute
nicht eindeutig von anderen Generationen unterscheidet.
- In der Familie machen Kinder und Jugendliche die Erfahrungen von Gleichheit /
Unterordnung, Mitmachen und Verständigung, die sie auch aus anderen
Sozialbezügen kennen, also auch bei der Mitarbeit in einer Gruppe am Arbeitsplatz
(Gruppengröße ist hier sehr unterschiedlich, zumindest Meister und Azubi).
2.2 Wertewandel
Die Kommerzialisierung des heutigen Lebens führt sowohl zu Anpassungserscheinungen als
auch zum Bestreben, in Cliquen und anderen Gruppierungen Unabhängigkeit und
individuelle Lebensgefühle zu bewahren (S. 147).
Auswirkungen der Kommerzialisierung sind auch am Arbeitsplatz zu beobachten. Höherer
Leistungsdruck und Tendenzen, eher den arbeitenden Menschen an Maschinen und
Arbeitsprozesse anzupassen als umgekehrt behindern eine individuelle Entwicklung
während der Ausbildung. Der Grundwert Solidarität wird nicht mehr so stark adaptiert
(beachte als ein – nicht das einzige! – Symptom den sinkenden Organisationsgrad der
Arbeitnehmer in den Gewerkschaften, nicht nur in „modernen“ Berufen). Vereinzelung in der
Arbeitswelt verschlechtert aber die Basis einer demokratischen Sozialisation.
Der Mensch wünscht Selbstbestimmung! Dieses unverzichtbare Element der Demokratie ist
Ausdruck der dem Bürger in der Demokratie zugesicherten Menschenwürde.
Menschenwürde ist ein Gegengewicht zu Herrschaftsansprüchen, spätestens dann, wenn
Herrschaft über das legitime Maß in Demokratisch verfassten Ordnungen hinaus ausgedehnt
werden soll. Menschenwürde ist Voraussetzung für die gewaltfreie Austragung von
Konflikten. Aufgrund der sozialen Herkunft und der Bedingungen am Ausbildungsplatz ist im
Politik-Unterricht an BBS von dieser Situation auszugehen: Dem jungen Menschen ist kaum
bewusst, dass er in der Demokratie ein hinreichendes Maß an Selbstbestimmung erreichen
kann und soll. Fremdbestimmung ist ein unvermeidbares Element der Ausbildungssituation:
Eltern, Ausbilder und Lehrer, Arbeitsvorschriften und darüber hinaus Gruppendruck
beeinflussen das Handeln der Azubi.
Oft nicht hinreichend entwickelte Initiative zum selbständigen Lernen und zum Mitgestalten
der Arbeitsabläufe in der Ausbildung erschweren die Entwicklung zur Selbstbestimmung.
3. Bedingungen jugendlicher Auszubildender
3.1 Werte-Erziehung Heranwachsender
Für den Politik-Unterricht an BBS ist es eine besondere Herausforderung, die in der Regel
für allgemeinbildende Schulen konzipierten pädagogischen Ansätze für die Ansprüche der S
in den Bildungsgängen des dualen Systems zu transformieren.
Werte-Erziehung in der Demokratie muss selbstverständlich den Bürger in allen seinen
sozialen Bezügen sehen. Der Blickwinkel „Bürger am Arbeitsplatz“ ist hervorzuheben und zu
erschließen. Mit dieser Perspektive ist eine verstärkte Motivation möglich. Andererseits ist
aber zu bedenken, dass in typischen Berufsschulklassen die Komplexität stärker zu
reduzieren ist als in Klassen gymnasialer Bildungsgänge.
Werte-Erziehung in der BBS muss altersbezogene Phänomene mit dem Bezug zum Beruf
und zur Berufswelt verknüpfen. Soweit dieser Bezug nicht aus der Literaturquelle hervorgeht,
wird hier ein Versuch der Ergänzung vorgelegt.
Eine wesentliche Grundlage für Folgerungen bei der Gestaltung des Erziehungsprozesses
ist die Beobachtung, dass die Zielgruppen in der Regel sehr heterogen sind, sowohl in ihrer
sozialen Herkunft als auch in der persönlichen Zielperspektive – mit allen Auswirkungen auf
die Entwicklung eines individuellen Wertegebäudes.
3.2 Vor der Berufsausbildung entwickelte Werte
Fragen der primären Sozialisation können in diesem Rahmen nicht vertieft werden. Das
Umfeld, aus dem die Schüler in die BBS kommen, ist i.d.R. sehr heterogen. Deshalb ist auch
von einem breiten Spektrum in der Wertorientierung auszugehen:
- traditionelles Wertesystem des Herkunfts-Milieus, dessen Zuordnung (z.B.
Bürgertum, Arbeiterschaft etc.) aber zunehmend diffus ist
- aus religiöser Erziehung entwickelte Werte (oft nach Ende dieser Erziehung aber von
vielen Jugendlichen nicht mehr bewusst wahrgenommen)
- in der Familie entwickelte Werte (Bedeutung abhängig u.a. von der Intensität der
Zuwendung durch andere Familienmitglieder)
- in jugendtypischen Milieus entwickelte Werte (z.B. Vereine, informelle Gruppen).
Diese (unvollständige!) Liste der Wertgrundlagen deutet darauf hin, daß die Zielperspektive
der Werteentwicklung ebenso heterogen ist:
- auf der einen Seite des Spektrums Bereitschaft, sich solidarisch für eine
gesellschaftliche Gruppe einzusetzen – weitere Werte zu ergänzen
- auf der anderen Seite Gruppenegoismus, in dem Solidarität nur in Kleingruppen auf
Gegenseitigkeit gilt.
3.3 Heterogenität in den Lerngruppen der BBS
Die Berufsschulklassen im dualen System sind von der Heterogenität in der Vorbildung und
in der sozialen Herkunft geprägt. Dies fordert im Politik-Unterricht eine Unterrichtsgestaltung,
die bei der Werte-Erziehung die unterschiedlichen Entwicklungsstände berücksichtigt (S.
114). Die abstrakte Begründung eines Wertegebäudes als Grundlage des demokratischen
Staates ist zwar ein erstrebenswertes Bildungsziel. Jedoch kann bei dem geringen
Stundenumfang des Faches Politik (ebenso Religion) eine Erziehung zu den Grundwerten
einer Gesellschaft i.d.R. nur ein übergeordnetes Qualifikationsziel sein.
SUTOR empfiehlt die Zuordnung der Werte-Erziehung zu den politischen Institutionen, die
nur im demokratischen Sinne funktionieren können, wenn sie ethischen Grundsätzen folgen.
Diese eher abstrakten Ansätze sind bei der Gestaltung des politischen Unterrichts in der
BBS zu konkretisieren (s. 6.).
4. Erziehungsziele
Auf oberer Ebene werden verschiedene Ziel-Modelle angeboten. Aus der Sammlung sollen
zunächst die Zielsetzungen demokratischen Verhaltens für den Arbeitsplatz konkretisiert
(4.1), um dann 2 Modelle für die Qualifikation zu erörtern.
4.1 Ziele der Werte-Erziehung in der Demokratie
1. Freiheit am Arbeitsplatz kann nur in einer engen Beziehung zum korrespondierenden
Recht des Arbeitgebers gesehen werden. Der Azubi hat sich zunächst den
einschränkenden Bedingungen im Ausbildungsverhältnis zu fügen. Die
Konkretisierung des Begriffs Freiheit im Sinne der Sachanalyse (s.o. 2.1) kann dann
lauten:
 Freiheit wovon ist das Recht auf Freiheit von unzumutbaren Arbeitsbedingungen
und unangemessener Unterordnung (z.B. Beschäftigung überwiegend mit
Hilfsarbeiten statt geregelter Ausbildung; Mobbing gegen den Azubi als
Schwächsten).
 Freiheit wofür ist zu verstehen als das Bestreben des Azubi, in die Beziehungen
am Arbeitsplatz seine eigene Persönlichkeit einzubringen (Kreativität in der
Ausführung der Aufgaben; vgl. hierzu die Ansätze in modernen
Ausbildungsmethoden); dies setzt voraus, dass auch die Vorgesetzten und
Mitarbeiter zu diesen demokratischen Gestaltungsmethoden bereit sind.
2. Mündigkeit ist die Grundlage der Gestaltung der Beziehungen zu den Mitarbeitern
bis hin zur Austragung von Konflikten nach demokratischen Regeln – im Idealfall also
unter Gleichberechtigten.
3. Gleichheit ist begrenzt durch die Regeln der Ausbildung. Trotzdem anzustreben ist
die
4. Chancengleichheit aller Azubi zur Beteiligung, zur Persönlichkeitsentfaltung und zum
erfolgreichen Abschluss der Ausbildung.
5. Wesentlicher Grundwert am Arbeitsplatz ist Solidarität. Dies zu vermitteln ist
unverzichtbares Bildungsziel im Politik-Unterricht. Daraus folgt sich ein kaum zu
lösendes Dilemma in kritischen Situationen: Soll der Arbeitnehmer seine Rechte
wahrnehmen oder soll er Verstöße gegen geltendes Recht akzeptieren, wenn es um
seinen Arbeitsplatz geht (unabhängig von arbeitsgerichtlichen Entscheidungen, die
dem AN zwar i.R. in solchen Fällen Recht gibt, ihm aber den Arbeitsplatz meist nicht
erhalten kann).
6. Lebensrecht kann umfassend gesehen werden als Verpflichtung der Verantwortlichen
zur Erhaltung von Gesundheit und Arbeitskraft, also zur Vorsorge gegen
berufsbedingte Erkrankungen und gegen Arbeitsunfälle; dies schließt Solidarität mit
den Mitarbeitern ein.
Die Forderung nach einem ausgewogenen Verhältnis der Grundwerte zueinander ist in der
Arbeitswelt nach wie vor schwierig zu verwirklichen:
 Prinzipiell geht die Arbeitsorganisation auch heute noch von hierarchischen
Verhältnissen in der überwiegenden Zahl der Betriebe aus; dies gilt verstärkt für die
Ausbildung.
 Mitbestimmung hat sich weniger zum Recht des einzelnen Arbeitnehmers entwickelt als
zu einem Recht der Arbeitnehmer-Organisationen.
 Die Unterschiede zwischen den einzelnen Ausbildungsbetrieben sind weit gespannt.
Politik-Unterricht muss dies thematisieren: Dem möglichen Vorwurf, hier werde spioniert oder
üble Nachrede betrieben, ist durch Offenheit der Diskussion zu begegnen.
4.2 Werteerziehung nach den Rahmenrichtlinien
LOHMANN wendet sich „gegen eine direkte Werteerziehung als Ziel ... des Politik-Unterrichts“ (S. 220). Absolute (objektive) Werte sind aus philosophischen Gründen nicht
erreichbar. Deshalb soll der Politikunterricht „zu Problemen (führen), die das demokratische
Selbstverständnis der praktischen bzw. politischen Urteilsbildung betreffen“ (S. 211),
orientiert an den Grundwerten der Verfassung. Diese sind zu interpretieren, um sich
„praktische Werthaltungen“ (S. 213) anzueignen. Hiervon soll der L überzeugt sein und dies
auch den S übermitteln.
Die Rahmenrichtlinien für die BBS in Niedersachsen gehen nicht ausdrücklich auf die WerteErziehung ein. die dort aufgelisteten Qualifikationen sind allerdings durchweg werteorientiert. Die nachfolgend zitierten Qualifikationen werden auf ihren Werte-Gehalt
untersucht:
Q1 (Perspektive: Fähigkeit zur Interessenvertretung) zielt auf die Wahrnehmung der Rechte
und Interessen im Rahmen demokratischer Verhaltensweisen. Dies gibt die von den Autoren
formulierten Kernaussagen zu den Werten wieder, hier bezogen auf den Arbeitsplatz.
Q2: (Perspektive: Kommunikationsfähigkeit) bezieht sich auf die Gefahren, die durch
fehlgeleitete Kommunikation entstehen. Dem zu begegnen beruht auf einer wertorientierten
Grundhaltung.
Q3: (Perspektive: Konfliktfähigkeit) soll den Auszubildenden befähigen, Konflikte mit
demokratischen Mitteln auszutragen. Die Autoren stimmen darin überein, dass die
Anwendung demokratischer Mittel einen wesentlichen Kern des angestrebten
Wertegebäudes darstellt.
Q4: (Perspektive: Fähigkeit zur Entwicklung eines Lebenskonzepts) zielt auf die Bereitschaft
zur Toleranz.
Q5: (Perspektive: Solidaritätsfähigkeit) – hier spricht der Begriff schon hinreichend für sich!
Q6: (Perspektive: Friedensfähigkeit) erweitert den Horizont über die eigene Gesellschaft
hinaus. Damit werden erhöhte Anforderungen an die Entwicklung von Werten formuliert,
denn die Grundwerte im engeren Bereich der Entwicklung einer Persönlichkeit sollen nun auf
weitere kreise ausgedehnt werden.
Q7: (Perspektive: Zukunftsfähigkeit) stellt eine andere Horizonterweiterung dar als in Q6,
aber auf der gleichen Denkweise beruhend: Nicht die unmittelbare Wirkung steht im
Vordergrund, sondern hier die künftige.
4.3 Sozialisation als Qualifikationsziel
HENKENBORG (S. 274) formuliert 7 Qualifikationen als übergeordnete Lernziele.
Zur Anwendung dieser Qualifikationen wird für die BBS vorgeschlagen:
a) Vergleich mit den RRL (s.a. 4.2)
b) Anpassung an die Unterrichtssituation in der BBS.
Aus diesem Schritt entwickelt sich die Interpretation der Qualifikationen(Q) in den RRL:
Q1: „Kompetenz der Selbst- und Fremdwahrnehmung“: Der Anfänger am Arbeitsplatz
entwickelt die eigene Identität weiter. Dazu soll der Arbeitnehmer die eigene Situation im
Rahmen der Beziehungen zu anderen Menschen am Arbeitsplatz wahrnehmen, reflektieren
und eigene Werte entwickeln.
Q2: „Technologie-Kompetenz“ (HENKENBORGs Formulierung bezieht sich auf die
Technologie gesellschaftspolitischer Prozesse). Der junge Arbeitnehmer soll wahrnehmen,
wie sich die Beziehungen zwischen der Wirtschaft und der Politik entwickeln. Auf der
Grundlage der Q1 soll er verantwortlich an diesen Prozessen auf einer angemessenen
Ebene wertorientiert teilnehmen (d.h. zunächst sicher auf der betrieblichen Ebene).
Q3: „Kommunikative Kompetenz“: Am Arbeitsplatz ist die Fähigkeit zum offenen Umgang mit
Konflikten zu entwickeln, also sowohl die eigene Position zu vertreten als auch die anderer
zur Kenntnis zu nehmen.
Q4: „Ökologische Kompetenz“: Wo es im Arbeitsumfeld Umweltgefahren gibt, ist dies nicht
einfach hinzunehmen. Der Azubi soll in der Lage sein,
- mit Vorgesetzten und Mitarbeitern über diese Probleme zu reden und
- sie durch eigenes Verhalten zu bekämpfen.
Q5: „Historische Kompetenz“: Hier geht der Autor von einem umfassenden Ansatz aus. Auf
der Ebene des Azubi soll die Situation des Betriebes und der Branche in den historischen
Hintergrund eingeordnet werden. Damit wird die eigene Wertentwicklung in einen historisch
gewachsenen Zusammenhang gestellt.
Q6: „Gerechtigkeitskompetenz“: Maßstab für die eigenen Werte ist das Ziel einen
individuellen Maßstab für gerechte Konfliktlösungen zu finden – am Arbeitsplatz also
alltägliche Probleme mit Rücksicht auf die berechtigten Interessen der Kollegen (vgl. Q3) zu
lösen. Gerechtigkeit in diesem Sinne kann bei der Verteilung schwerer Arbeiten bedeuten,
die Kräfte einzelner Mitarbeiter zu berücksichtigen und bereit zu sein, begrenzt
Zusatzleistungen zu übernehmen.
Q7: „Politik-Kompetenz“: Der Azubi (und spätere Mitarbeiter) kann in der Arbeitswelt heute
im Wesentlichen durch Beteiligung in Betriebsrat, Jugendvertretung und Gewerkschaft
politisch mitwirken.
4.4 Zieldimensionen
HENKENBORG schlägt in einer umfangreichen Tabelle (S. 274) ein Lernzielraster vor, auf
der Prozess der Urteilsbildung bezogen werden kann.
Ausgehend von Schlüssel-Qualifikationen (Begriff wie in den Nds. RRL: 4.3) entfaltet er 3
Lernzieldimensionen. Im Folgenden wird versucht, sowohl einen Bezug zu den Nds. RRL
(auch dort Schlüssel-Qualifikationen; 4.2) herzustellen als auch eine Konkretisierung für die
BBS zu erreichen.
„... herausragende(s) Ziel politischer Bildung (ist) die Entwicklung politischer Rationalität und
politischer Urteilsfähigkeit ... Politische Urteile von Schülerinnen und Schülern sollen sich
durch politische Rationalität auszeichnen.“ (S. 273 f.).
Hierzu ein Beispiel: Ob das JugArbSchG sinnvoll gestaltet ist, soll an einfachen
Bestimmungen untersucht werden: Wenn es Ausnahmen von allgemeinen Vorschriften gibt
(Arbeitszeit ist früh morgens in einzelnen Berufen erlaubt), muss rational abgewogen
werden, ob und wann die sonst verbotene Belastung des Azubi in den im Gesetz
aufgelisteten Fällen vertretbar ist (und in den anderen nicht!).
Damit ist die kognitive Dimension (S. 277) angesprochen: Moralische Urteile basieren auf
Wissen und Erkenntnissen. Auf dem Urteil beruhendes Handeln soll zweckrational sein:
Wenn gegen solche Regeln wie die zitierte interveniert wird, muss das Ergebnis der
Intervention wirksam i.S. der Absicht sein. Das ist es aber nicht, wenn ein verfrühter
Arbeitsbeginn verboten ist und deshalb keine Ausbildungsplätze mehr angeboten werden.
Dieser Dimensionsbereich ist die moralische Rationalität, verknüpft mit der Kategorie
„Legitimität“. Der individuell zu entwickelnde Maßstab führt zur Kategorie „Wohlergehen“
(„präferenzielle Rationalität“).
Die Lernziel-Ebene „Methodenkompetenz“ soll durch Interaktionsfähigkeit „ein Miteinander
trotz und im Dissens“ ermöglichen (S. 277 / nach SUTOR). Die moralische Ebene zeigt sich
in der Verbindung des eigenen Standpunkts mit der Kenntnisnahme und Achtung anderer
Standpunkte, die damit den affektiven Bereich integriert.
Eine grundsätzliche Kritik von DETJEN findet sich auf S. 325 f. Er stellt fest, dass ethische
Grundfragen nicht der Lebenswirklichkeit von Schülern entsprechen. Problematisieren und
Hinterfragen moralischer Rechtfertigungen kann schon vorhandene Orientierungssicherheit
stören, so dass moralischer Relativismus das unerwünschte Ergebnis der Methode sein
kann. Im Alltag stoßen nur selten zwei gleichwertige Werte aufeinander. Oft ist es eher „so,
dass eine Norm und ein außer- oder sogar unmoralisches Handlungsmotiv wie Eigennutz ...
aufeinander treffen.“ Nicht moralisches Handeln wird also weniger durch Unwissen als durch
fehlende Willensstärke erzeugt.
5. Didaktische Überlegungen
5.1 Fremd- und Selbstbestimmung in der Arbeitswelt
Wenn von Tugenden die Rede ist, so werden die meisten heutigen Jugendlichen mit dem
Begriff wenig anfangen können (S. 228 ff):
1. Der Umgang mit Autorität am Arbeitsplatz ist besonders in Deutschland ambivalent
(S. 24): In Deutschland ist der Begriff und damit sein Inhalt historisch durch das Dritte
Reich belastet. Für die Ausbildung besteht das Kernproblem in der Frage, ob ein
kritisch eingestellter Jugendlicher sich mit einer Anordnung zufrieden gibt, die zu
befolgen ist, oder ob er die Anordnung durch Begründung einsieht und damit durch
Mitdenken erfolgreich umgesetzt wird. Mit neuen Ausbildungsmethoden
(Handlungskreis, Leittexte) wird Autorität durch Einsicht in die Zusammenhänge
eines Arbeitsablaufs entwickelt.
2. Konkretisiert mit Begriffen aus der Arbeitswelt wird aber deutlich, dass sowohl
Primär- als auch Sekundärtugenden unverzichtbare Grundlagen für das
Funktionieren der Zusammenarbeit im Betrieb bilden. Markante Beispiele:
 Wer nicht pünktlich im Betrieb ist, verzögert die Abfahrt zur Baustelle (o.ä. in
anderen Berufen) – sowohl der Betriebsablauf als auch die Arbeitszeit der
Kollegen wird belastet.
 Wer sich nicht solidarisch verhält – etwa versäumt, Kollegen auf Gefahren
hinzuweisen – gefährdet nicht nur das Betriebsklima, sondern auch die
Gesundheit Anderer.
Damit ist die Kategorie Gemeinwohl (S. 244) angesprochen. Dieser Begriff kann in der
Arbeitswelt mit der Perspektive „Ausbildungsbetrieb“ konkretisiert werden. Trotz
unterschiedlicher Interessen (Konflikte u.a. zwischen Chef und Mitarbeitern, zwischen
Männern und Frauen, zwischen Stammbelegschaft und Azubi) bleiben gemeinsame
Mindestziele, z.B. Erhaltung der Arbeitsplätze im Betrieb. Seine Grenze findet diese
Betrachtung, wenn Einzelne den Betrieb verlassen müssen, um damit die restlichen
Arbeitsplätze zu sichern. Für den Entlassenen kann es kein Trost sein, damit dem
Gemeinwohl gedient zu haben. Dieser Gedanke und die Erfahrung, dass Entlassung nicht
immer die einzige Möglichkeit zur Erhaltung der restlichen Arbeitsplätze ist, müsste im
Einzelfall näher untersucht werden (vgl. „Überwältigungsverbot“ im Beutelsbacher Konsens;
Kap. 7).
5.2 Ansätze zur Themenfindung
Zur Konkretisierung der Thematik schlägt SANDER (S. 198) folgendes Themenraster vor
(ergänzt um BBS-spezifische Beispiele):
Werterklärung
Fachunterricht Politik
Vorschlag BBS
Andere Fachbezüge
und Ansätze
fächerübergreifenden
Unterrichts
Vorschlag BBS
Förderung moralischkognitiver
Entwicklung
Politisch-moralische
Dilemmata, z.B.
„Krieg für
Menschenrechte?“
EmpathieEntwicklung
Wie kann ich mich für
bessere Beziehungen
am Arbeitsplatz
einsetzen?
Wenn Arbeitsplätze
wegrationalisiert
werden: Muss ich
oder ein soz.
schwacher Koll.
gehen?
Schneiden mit einer
Schere in der
„falschen“ Hand, weil
an der „richtigen“ der
Daumen fehlt.
Bsp.:
- Ethische Diskussion
der Gentechnik
in verschiedenen
Religionen.
Moralische
Dilemmata, z.B.:
- “Mein Freund
stiehlt.”
- „Sterbehilfe“.
Bsp.:
- Perspektivenwechsel durch
Literatur;
- Alltagsleben in
früheren
Gesellschaften.
- Ethische Diskussion
der Gentechnik unter
dem Blickwinkel der
Mitarbeiter solcher
Betriebe
- Grundwerte und
Menschenbild der
Regenwaldbewohner.
- „Umdeklarierung“
von Produkten am
eigenen Arbeitsplatz,
damit die Firma nicht
Pleite geht.
- Perspektivenwechsel durch
Rollenspiel;
- Berufsleben in
früheren
Gesellschaften.
Bsp.: „Wofür ich eine
Demonstration
organisieren würde.“
Bsp.: Stadterkundung
mit anderen Augen:
im Rollstuhl;
als Ausländerin
verkleidet.
5.3 Sozialisation in der Erziehung
HIMMELMANN (S. 250 ff.) schlägt einen grundlegenden Dreischritt vor, für den Vorschläge
für die BBS ergänzt werden. (Tab. auf Folgeseite)
5.4 Werte-Entwicklung am Arbeitsplatz und in der BBS
Auf der Grundlage vorher ausgeprägter Werthaltungen hat die Sozialisation in der
Berufsausbildung einen Einfluss, der viel vorher Ausgeprägtes in Frage stellt und damit in
einem neuen Bezugssystem weiter entwickelt. Positive Entwicklungen sind zu erwarten bei
- Solidarität mit Kollegen
- Entwicklung eines persönlichen Arbeitsethos
- Arbeit als Grundlage der Existenz.
Denkbare negative Aspekte können sein:
- Blinder Gehorsam
Solidarität auch in Situationen, in denen Kollegen (und Vorgesetzte) das nicht
verdient haben.
Hieraus können Gedanken entwickelt werden, um im Politik-Unterricht in der BBS den
Tendenzen zur Politik(er)-Verdrossenheit entgegenzuwirken (S. 24). Dabei hat der L die
Chance, auf Erfahrungen am Arbeitsplatz zurückzugreifen.
-
(Tab. zu 5.3)
Vorschlag HIMMELMANN:
Konkretisierung in der BBS:
(1) Das Individuum soll veranlasst werden,
eine eigene Identität zu entwickeln;
Grundlage ist ein Wertegebäude, das mit der
Demokratie harmoniert.
(1) Entwicklung einer individuellen beruflichen
Identität, ergänzt um Solidarität.
(2) Der Einzelne nimmt Kontakt mit seinem
Umfeld auf und übernimmt Werte von
anderen (Menschen, Gruppen), die er in sein
eigenes Wertegebäude integriert.
(2) Kontakt mit erfahrenen Kollegen und MitAzubi anderer Betriebe; damit Übernahme
von Werten Anderer, die in das eigene
Wertegebäude integriert werden.
(3) Das damit erzeugte Wertekonstrukt soll
(3) Damit wird ein Wertekonstrukt erzeugt,
zum Bewahren und Weiterentwickeln der
das zum Bewahren und Weiterentwickeln der Demokratie am Arbeitsplatz beitragen – auch
Demokratie beiträgt.
wenn dieser Prozess umstritten ist und das
Ziel „Demokratie“ hier nicht wie im politischen
Bereich erreichbar erscheint.
5.5 Kategorien
Die Bildung von Kategorien wird hier als Teil des Lernweges aufgefasst, der mit der
Problemanalyse beginnt. Zweckmäßig ist die Bildung von Kategoriengruppen mit den
Dimensionen (S. 266 ff.):
a) Bezogenheit von Politik auf die eigene Situation („Wie geht es mir?“)
b) Situationsanalyse („Was ist?“)
c) Möglichkeitserörterung („Was ist möglich?“)
d) Konsequenzen der Lösung („Was wird sein?“)
e) Entscheidung („Was soll sein?“)
Die als Beispiel angegebenen Schlüsselfragen sind zunächst allgemein formuliert. In dieser
Interpretation werden die im Original tabellarisch gefassten Erklärungen in Schaubilder
umgearbeitet. Damit soll HENKENBORGs Ansatz für die Situation in der Berufsbildung
konkretisiert werden.
(Abbildungen auf den folgenden Seiten)
5.6 Moralentwicklung nach Kohlberg
KOHLBERGs Theorie im Bereich moralischer Entwicklung und Erziehung gehört zu den am
meisten diskutierten Grundlagen dieses Gebiets. Auch in diesem Sammelband finden sich
mehrere Beiträge, die sich mit K.s Thesen auseinandersetzen. Markant sind die
Überlegungen SUTORs (S. 118 ff.) und DETJENs (S. 303 ff.), die sich auch mit der
befürwortenden Position REINHARDTs auseinander setzen. Hier kann nur auf einige
Kernproblem bei der Anwendung des Modells von K. eingegangen werden:
Wenn höhere Stufen nach K. entwickelt werden, müssen die niederen eingeschlossen sein –
sie werden durch die höheren Stufen nicht obsolet.
Die höchste Stufe internalisiert allgemeine Prinzipien im subjektiven Gewissen. Wird dieses
zu stark hervorgehoben, besteht die Gefahr des „Moralisierens“.
Zu 5.5: a) Bezogenheit von Politik auf die eigene Situation
Eigene Situation des Azubi
Gefühle der S bei der Identifikation
mit der neuen Arbeitssituation
Verstehen = soziale Perspektivenübernahme
- durch die S (Warum ist die Belastung
unvermeidbar – und damit keine Schikane?)
- durch den Ausbilder (Wie kann ich junge
Menschen entlasten ohne das Ausbildungsziel zu
gefährden? – oder: ... um das Ziel zu erreichen?)
subjektive Betroffenheit (z.B.
ungewohnte körperliche und
geistige Belastung)
(Wie fühle ich mich nach den
ersten Ausbildungswochen am
Berufsschultag?)
objektive Bedeutsamkeit (z.B. kurzund langfristige Folgen einer
kurzfristigen bzw. dauerhaften
Überlastung)
(Wie kann es mir nach Jahren an
diesem Arbeitsplatz gehen? – Fällt mir
an meinem Ausbilder etwas auf?)
Das Politische darf im Unterricht nach dem K.-Modell kein Anhängsel sein, sondern ist
zentraler Gesichtspunkt.
Von K.s Vorgehensweisen für die Moralerziehung ist nur die Diskussion von
Problemgeschichten in Form von Dilemmata für die BBS relevant. Seine Idee der „gerechten
Schulgemeinschaft“ dürfte an den Realitäten in der BBS scheitern – wiewohl die Grundidee
von Schule als Institution zur Mitwirkung ein Gestaltungsmittel des Schullebens auch in
dieser Schulform sein kann.
Wesentliche Probleme der Arbeit mit einem Dilemma sind nach Ansicht der Kritiker:
Gibt es „etwa gleichgewichtige moralische Güter, die sich gegenseitig ausschließen“ (S.
312)?
Ist der L fähig zur Konstruktion von Dilemmata, die von den S verstanden werden?
Gelingt es, Moralerziehung als Prozess zu gestalten, in dem nicht einfach nur vorgegebene
Grundwerte von den Lernenden adaptiert werden?
Sind die für den Unterricht geeigneten Dilemmata so scharf gezeichnet, dass nicht durch die
Entwicklung von Variationen das Dilemma aufgelöst wird i.S. einer pragmatischen Lösung?
In der Politik hängen Entscheidungen oft mit der Reaktion des pol. Gegners zusammen, so
dass das Dilemma weniger dichotom erscheint als es dem Modell entsprechen müsste.
Je mehr Akteure auftreten, desto komplexer wird der Problemzusammenhang – also weniger
dichotom.
5.7 Beutelsbach
(Forts. hinter „Zu 5.5 e)“)
Wenn der allgemein anerkannte Beutelsbacher Konsens in der Wertediskussion angewendet
wird, können wir verschiedene Zugänge nutzen:
Grundlage jeder Wertorientierung ist die Menschenwürde, z.B. wie im GG formuliert.
An ihr orientiert sich eine Analyse, die eine Unterrichtskonstruktion anhand der
Kriterien aus Beutelsbach prüft.
- Werden Dilemmata (KOHLBERG; s. oben unter 5.6) eingesetzt, kann bei fehlender
Symmetrie (S. 323) die im Beutelsbacher Konsens aufgeworfene Problematik nicht
positiv beantwortet werden: Die Gefahr der Überwältigung ist sehr groß.
Zu 5.5 b) Situationsanalyse
-
Betroffene / Beteiligte:
Azubi, Ausbilder, Unternehmer, Mitarbeiter, MitAzubi, Kammer, Innung, Eltern...
Bedürfnisse / Interessen:
(Azubi:) Lernen, keine Überlastung, ...
Gefühle / Lebensstile:
Rechtzeitiger Feierabend, weil der Freund wartet...
Problem- / Leidensdruck:
Überstunden, Beinahe-Unfall, Wirkung
von Staub, Lärm, starre Körperhaltung,
...
Deutungsmuster, z.B.:
- Das will ich mir nicht gefallen lassen!
- Wie wird das Problem woanders geregelt?
Gewordenheit:
Geschichte des Betriebes / des Berufes; Sozialisation der
Beteiligten, Vorschriften und deren Einhaltung im Betrieb ...
Zu 5.5 c) Möglichkeitserörterung
(  Ρ = Wichtige Ansätze für Politikunterricht )
Situation
Möglichkeitssinn:
Wie wäre die Arbeit ohne alle diese
vermeidbaren (?) Belastungen?
Wirklichkeitssinn:
Wie weit lassen sich die Belastungen
abbauen bzw. ihnen vorbeugen?
Prinzipienkonflikte und Dilemmata
(wertorientierte Erschließung)
Epochale Schlüsselprobleme
(Wie lange ist die Ausbildung in
meinem künftigen Arbeitsleben
nutzbar?)
Akute / exemplarische Fälle
(Belastungsfolgen / Überlastung
vermeiden / sich gegen
Überlastung wehren)
 Ρ
Institutionen (Werte als
Maßstab für Existenz
und Funktion)
Normen (Werte als
Maßstab für ihre
Konstruktion)
Macht / Herrschaft
(durch Ausbilder,
Unternehmer, Kammern,
Schule, Politik, ...)
= Normen setzen und die
Einhaltung kontrollieren
(durch Kammern, ...)
 Ρ
Recht
(JugArbSchG,
BerufsBildG,
HwO, ...)
 Ρ
Veränderbarkeit und deren
Grenzen

Ρ

Kommunikation
Partizipation
Lösungsmöglichkeiten
Zu 5.5 d) Konsequenzen der Lösung
Lösungsvorschlag
Beabsichtigte Folgen
Nebenfolgen (beabsichtigt / nicht)
(Bsp.: Protest des Azubi gegen unzumutbare
Arbeit hat nicht die Kündigung zur Folge
(gesetzlich nicht zulässig), sondern
Mobbingmaßnahmen bis zur Kündigung durch den
Azubi)
Zu bedenken (► did. Analyse:)
Chancen
Gefahren
Ungewissheit
gesellschaftliche Folgen
Zu 5.5 e) Entscheidung
Didaktischer Schwerpunkt:
Autonomiebildung (Wie werde ich fähig, eine
eigene Entscheidung i.S. langfristiger Ziele zu
treffen, die nicht von den Nebenfolgen meines
Handelns konterkariert wird?)
persönlicher Lebensstil
(wertorientiert!)
Gerechtigkeitsbegriff (wertorientiert!)
(Institutionen, Rechtssystem, Gesellschaft)
Eigene Konzeption für ein „Gutes Leben“
(Wie kann ich in meinem Beruf glücklich werden?)
Kategorien
Effizienz
Legitimität
Konflikte
Konsens
(Forts. 5.7)
BREIT(S. 241 f.) erläutert die Problematik der Überwindung am Beispiel des Unterrichts: Es
darf nicht zugelassen werden, dass Meinungsfreiheit im Unterricht missbraucht wird, um
ungehindert anderen die eigene Meinung aufzudrängen. Hier ist zur Werte-Erziehung nötig,
Meinungsäußerungen zu begrenzen (Ethos der Gegenseitigkeit).
Eine Auf eine berufliche Situation kann dies nur übertragen werden ist begrenzt durch die
Behandlung von Erfahrungen aus der Ausbildung im Unterricht: Die Bedeutung des
Überwältigungsverbotes ist einleuchtend, wenn Einzelerlebnisse in den Betrieben nur
begrenzt verallgemeinert werden können. Mängel im Umwelt- und Arbeitsschutz sind
markante Beispiele.
6. Methodische Ansätze
6.1 „Dreischritt“
Über Methoden, die zur Wertevermittlung geeignet sind, ist besonders bei KOHLBERG
diskutiert worden (5.6). Es sollte aber stets geprüft werden, ob nicht eine ohnehin gewählte
Methode aus dem allgemein gebräuchlichen Fundus geeignet ist, Wertevermittlung als
Bestandteil des Lernprozesses zu betreiben.
SUTOR (S. 117) schlägt vor:
„... Phasenstrukturen des Unterrichts (sind) variabel und unterschiedlich vorstellbar.
Idealtypisch habe ich dafür immer den ‚Dreischritt’ politischen Entscheidungsdenkens als
hilfreich empfunden, nämlich die Unterscheidung von Situationsanalyse,
Möglichkeitserörterung und Urteilsbildung bzw. Entscheidung. Ethische Kategorien haben
bei dieser Anordnung besonderes Gewicht in der dritten Phase, müssen hier deshalb in
hinreichender Differenzierung und dann auch begründet ins Spiel kommen. Aber
Begründungs- und Handlungsfragen sind zu unterscheiden. Methodisch können sie wohl
kaum in einem Schritt bearbeitet werden. Dabei gewinnt das seine Bedeutung, was man in
öffentlicher Diskussion abgekürzt ‚Grundwerte’ einer freiheitlich verfassten pluralistischen
Gesellschaft nennt, also: Menschenwürde und Menschenrechte, die politischen
Gemeinwohlziele Fried, Freiheit und Gerechtigkeit; ferner die Frage nach der Legitimität von
Entscheidungen, aber auch nach ihrer Zumutbarkeit im Verfassungskonsenses; schließlich
die Fragen nach Wirksamkeit und Folgen und nach Verantwortbarkeit von Handlungen.
Freilich kommen diese Wert- und Moralfragen nicht erst in diesem dritten Schritt ins Spiel.
Sie sind bereits virulent etwa in einem problemorientierten Einstieg, in der dabei
stattfindenden Artikulation von Meinungen und subjektiver Betroffenheit, und müssen hier als
Wertungen schon bewusst gemacht werden...“
Aus der Sicht der Berufsschulpädagogik ist diesem Vorschlag nichts Spezifisches hinzu zu
fügen, da diese Überlegungen hier problemlos anzuwenden sind.
6.2 Handlungsorientierung
Unter dem Titel „Soziales Lernen“ (S. 236) setzt sich BREIT in einem ausführlichen Kapitel
zu den „Grundwerten im Politik-Unterricht“ mit den Gestaltungsmöglichkeiten des Lernens
auseinander.
Die Fallanalyse ist danach besonders geeignet, Grundwerte zu erschließen: die
Perspektiven-Übernahme ermöglicht eine Identifikation mit den Problemen anderer
Personen, zu deren Lösung demokratische Grundwerte aktiviert werden müssen: Identifiziert
sich der S mit den Problemen Anderer, sucht er nach Lösungen für vergleichbare eigene
Probleme, die i.S. von Solidarität auch anderen helfen können. Problemlösung orientiert sich
am Menschen und am Grundwert Menschenwürde. In der Berufsschule kann neben
altersgemäßen Fragen und historischen Zusammenhängen der Berufsbezug sowohl für sich
als auch in dem genannten Zusammenhang gesucht werden. Das Problem des bei der noch
ungewohnten Arbeit überlasteten Jugendlichen kann zur Identifikation durch die
Berufsschüler führen, wenn herausgearbeitet wird:
Er leistet auch solche Arbeit, die er als übermäßig belastend empfindet (oder auch nicht –
keine Klischees bilden!).
Ausbilder vertreten auch heute noch den Standpunkt, das (also die starke Belastung bei der
Arbeit) sei schon immer so gewesen (oft aber in einem anderen gesellschaftlichen Umfeld).
Überlastung wirkt sich im privaten Umfeld aus, beginnend bei der Beziehung zu Partnern.
Für die Fallbearbeitung bedeutet das, eine für alle Beteiligten zumutbare Lösung zu finden.
Verallgemeinert kann das heißen, dass eine politische Entscheidung gefordert werden kann,
in der die von den S entwickelten individuellen Werte als Maßstab dienen sollen: Diese sind
dann nicht formal / abstrakt, sondern konkret.
BREIT stellt diesen Zusammenhang auf S. 240 mit der Abbildung „Demokratie als
Lebensform (= soziales Handeln)“ dar:
Demokratie als
Lebensform
macht soziales
Lernen notwendig
Grundwissen
(u.a. Grundwerte, Verhaltensnormen
bzw. Tugenden)
Soziale Informations- und Analysefähigkeit
(Wahrnehmen des anderen, soziale
Perspektivenübernahme, Außen- und
Innenperspektive)
Soziale Urteilsbildung
(Unterschiedliche Sichtweisen,
materiale und formale Wertethik)
Soziales Handeln
Politisches Handeln
(= Intervention)
Das so erreichbare „soziale Lernen“ folgt dann wertorientierten Regeln.
6.3 Situationslernen
HENKENBORG (S. 266) schlägt als Lernweg die Problemanalyse i.S. kategorialer Bildung
vor:
Bezogenheit von Politik auf eigene Situation
Betroffenheit / Bedeutsamkeit
Verstehen
Identifikation
Situation
Was ist?
Optionen
Welche Lösungen
sind möglich und
durchsetzbar?
Betroffene / Beteiligte
Bedürfnisse /
Interessen
Problemdruck /
Leidensdruck
Gewordenheit
Deutungsmuster
Ziele /
Prinzipienkonflikte
Veränderbarkeit
Grenzen
Macht / Herrschaft
Recht
Institutionen /
Konsequenzen
Welche
Konsequenzen sind
mit den Lösungen
jeweils verbunden?
Ungewissheit
Chancen / Gefahren
Geschlecht
Entscheidungen /
Ergebnisse
Entscheidung
Was soll sein?
Effizienz
Legitimität
Wohlergehen
Konflikt
Konsens
Differenz
Kompromiss
Gefühle
Lebensstile
Organisationen
Globalität
Partizipation
Auch hier ist es nicht schwierig, die vorgeschlagenen Grundbegriffe für die BBS zu
konkretisieren, wie schon weiter oben gezeigt. Wie bei BREIT soll auch hier der Schlüssel
zum Problem in seiner allgemeinen form in der Perspektivenübernahme liegen.
6.4 Argumentieren
Als Weg der Argumentation sollen diese Dimensionen erschlossen werden:
Argumentative Begründung
politische Rationalität
Argumentation / Auseinandersetzung
kognitiv
pragmatisch
affektiv
rationale Urteilsbildung
Für die methodische Umsetzung kann man sich gut vorstellen, eines der o.a. Probleme so zu
erschließen, dass die Wertedimension in der Argumentation der Rollenspieler und als
Beobachtungsmerkmal für die Nichtspieler erschlossen wird.
Abschließend schlägt HENKENBORG den Begriff „Deutungslernen“ vor: „reflexive und
kommunikative Auseinandersetzung mit eigenen und fremden Deutungen und Bedeutungen,
denen S ... in einer auf Schlüsselqualifikationen bezogenen, kategorial orientierten und in
Lernwegen angeordneten schüleraktiven Arbeit an den Themen des Politikunterrichts
begegnen oder sie selbst hervorbringen“ (S. 280).
Das empfohlene Formulieren von „Fragen an den Gegenstand“ kann als Aufforderung durch
den L initiiert werden, aus einem Fall (einer Problembeschreibung etc.) Fragen nach den
Zielen der Beteiligten, deren individuellen Werten, nach Verhaltensweisen zu entwickeln.
(Vgl. hierzu das Konzept zur Erschließung von Rechtsfällen / BENNE2).
In einem ausführlichen Anhang listet der Autor kategoriale Schlüsselfragen auf (S. 281 ff.).
6.5 Lernwege
Die Umsetzung dieser Konzepte (6.1 – 6.3) in der BBS ist schwierig, besonders bei einer
Verknüpfung mit dem Ansatz REINHARDTs (S. 294) zur Gestaltung eines passenden
Lernwegs: Das referierte Beispiel ist auf einer sehr komplexen Ebene ausgestaltet (KosovoKonflikt 1998 und internationales Recht). Vielleicht ist es aber leichter, Ansätze für
berufsbezogene Themen zu finden, so wie es im Folgenden vorgeschlagen wird:
(1) Konfrontation: Geplante Entlassung von Mitarbeitern aufgrund mangelnder
Auftragslage oder zur allgemeinen Kostensenkung.
(2) Erschließung des Falls: Hier wird von R. der Konflikt zwischen einem rechtlichen
Hintergrund und politischem Handeln erschlossen. Das hier vorgeschlagene Beispiel
geht von einer ähnlichen Dichotomie aus: Wirtschaftliches Handeln eines Betriebes
(mit deutlicher politischer Komponente) wird begrenzt durch eine rechtliche Bindung
(hier z.B. BetrVerfG). Die an anderer Stelle vorgeschlagene Technik der Sammlung
von Schlüsselfragen für die Bearbeitung der weiteren Stufen (B...) eignet sich auch
für diesen Lernweg, zumal sich wertorientierte Fragestellungen leicht entwickeln
lassen.
2
in der Netzseite „Politik“ des Seminars unter „Handlungsfelder“ aufzurufen
(3) Argumentation: Die Argumente der Betriebsleitung und des Betriebsrates werden
einander gegenübergestellt (Zitat „Handlungsorientierung“). Das von REINHARDT
vorgeschlagene Rollenspiel passt auch zu diesem Bsp. aus dem Arbeitsrecht. Die
vorgebrachten Argumente sind zu strukturieren, um in Stufe 4 vertieft zu werden.
(4) Reflexion der Gründe: Diese Phase dient der Bildung von Maßstäben für die
Weiterentwicklung eines individuellen Wertesystems.
(5) Die politische Phase kann auf verschiedenen Ebenen organisiert werden:
a) Betrieb: Fragen zum Verhalten der Akteure und zu den Hintergründen führen zur
Problematik der Beteiligung der AN an betrieblichen Entscheidungsprozessen:
Individuelles Handeln (oder Verweigern), Handeln der Gremien (oder Untätigkeit)
leiten über zur Ebene der ...
b) ... Interessenverbände: Diese handeln auf einer Ebene, die oft von der
betrieblichen Situation weit entfernt ist. Die Frage nach den Wertmaßstäben für die
Gestaltung dieses Einflusses darf getrost gestellt werden!
c) Politik und Recht: Rechtsprechung und zugrunde liegendes Recht sind wie oben
zu prüfen.
(6) Der Rückblick (auf das Vorgehen im Unterricht) ist, wenn die Erziehung zu einer
Werthaltung zentrales oder zumindest wesentliches Thema ist, auf die
persönliche Weiterentwicklung zu beziehen. Ein Vergleich mit den in (5)
angesprochenen Ebenen ist nötig, um Politik wertorientiert zu
beurteilen.
Der von SUTOR (S. 117) erwähnte Dreischritt:
 Situationsanalyse
 Möglichkeitserörterung
 Entscheidung / Urteilsbildung
enthält die gleiche Grundstruktur.
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