Konkurrenz- und Pluralismustheorie: Abschließende Antworten auf die Legitimationsfrage? Text 1 (Gruppe1): Die angelsächsische Konkurrenztheorie (the federalist) Die an den Theorien von Locke (u. a.) anknüpfende angelsächsische Konkurrenztheorie der Demokratie geht "... nicht vom einheitlichen Willen, sondern von der Gespaltenheit der Gesellschaft in unterschiedliche ökonomische Interessen und weltanschaulich-politische Willensrichtungen aus. Trotz dieser Verschiedenheit eine verbindliche Entscheidung immer wieder hervorzubringen ist die Aufgabe jenes Trusts der sozialen Kräfte, den man als „Staat" bezeichnet. Im .Federalist No. 10', einem jener 85 berühmten frühen Kommentare zur US-Bundesverfassung, entwirft James Madison (Präsident der USA von 1809-1817) die Skizze einer .Republik' (heute: repräsentativen Demokratie) mit unvermeidlich unterschiedlichen Interessengruppen (den ,factions'), einer großen Flächenausdehnung, repräsentativen Institutionen (Herrschaft durch gewählte Vertreter) und - nicht zuletzt - einer bundesstaatlichen Struktur. Dies sei die angemessenere, weil gemäßigtere, Freiheit und Gemeinwohl besser realisierende Staatsform gegenüber der unmittelbaren Stadtstaat-Demokratie, über die Madison ausführt: Politische Theoretiker, welche diese Regierungsform vorziehen, haben irrigerweise angenommen, daß, wenn man die Menschen zur völligen Gleichheit hinsichtlich ihrer politischen Rechte bringt, sie gleichzeitig in ihrem Eigentum, Meinungen und ihren Leidenschaften vollkommen gleich und ähnlich werden. Eine Republik, unter der ich einen Staat verstehe, in dem das Repräsentativprinzip herrscht, eröffnet einen anderen Ausweg und verspricht die Heilung, nach der wir suchen. (Federalist No. 10) Madison bezeichnet vor allem das Eigentum und seine Verteilung als Quelle von Egoismus und Streit. Daß er für einen Schutz der Besitzenden eintritt trägt heute zur Diskreditierung seiner Theorie der Republik bei. Dennoch hat sie dazu geholfen, Demokratie auch im Großflächenstaat und gerade unter den Bedingungen sozialer Verschiedenheit und politischer Streitfragen für möglich zu halten..." (Informationen zur politischen Bildung, H. 165, Demokratie - Rechtsstaat - Sozialstaat, S. 4 f.) Arbeitsaufträge: 1. Charakterisieren Sie Madisons Gesellschaftsauffassung und seine Anschauungen über die Funktion und Struktur des Staates. 2. Welche Begründungen führt James Madison für die Richtigkeit seiner Auffassungen an? 3. Charakterisieren Sie mögliche Kritikpunkte, die gegenüber dieser Demokratietheorie angeführt werden könnten. Text 2 (Gruppe 2): Die moderne Konkurrenztheorie „... Die moderne Konkurrenztheorie der Demokratie betrachtet Demokratie vor allem als ein System von Spielregeln, innerhalb deren Konflikte (Streitigkeiten) ausgetragen werden..." (ebd.) Es sei daran erinnert, daß unsere Hauptschwierigkeiten bei der klassischen Theorie sich um die Behauptung gruppierten, daß ,das Volk' eine feststehende und rationale Ansicht über jede einzelne Frage besitzt und daß es in einer Demokratie - dieser Ansicht dadurch Wirkungskraft verleiht, daß es Vertreter wählt, die dafür sorgen, daß diese Ansicht ausgeführt wird. So wird die Wahl der Repräsentanten dem Hauptzweck der demokratischen Ordnung nachgeordnet, der darin besteht, der Wählerschaft die Macht des politischen Entscheides zu verleihen. Angenommen nun, wir vertauschen die Rollen dieser beiden Elemente und stellen den Entscheid von Fragen durch die Wählerschaft der Wahl jener Männer nach, die die Entscheidung zu treffen haben. Oder um es anders auszudrücken: wir nehmen nun den Standpunkt ein, daß die Rolle des Volkes darin besteht, eine Regierung hervorzubringen oder sonst eine dazwischengeschobene Körperschaft, die ihrerseits eine nationale Exekutive oder Regierung hervorbringt. Und wir definieren: die demokratische Methode ist diejenige Ordnung der Institutionen zur Erreichung politischer Entscheidungen, bei welcher einzelne die Entscheidungsbefugnis vermittels eines Konkurrenzkampfs umdie Stimmen des Volkes erwerben. (Joseph A. Schumpeter: Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, Tübingen 519BO, S. 427 f.) Arbeitsaufträge: 1. Beschreiben Sie die moderne Konkurrenztheorie: a) Worin besteht das primäre Ziel der Mitbestimmung des Volkes? b) Skizzieren Sie die in der Konkurrenztheorie enthaltene Staatsauffassung. c) Interpretieren Sie das der Konkurrenztheorie zugrundeliegende Menschenbild. 2. Fassen Sie die mögliche Kritik an der modernen Konkurrenztheorie zusammen. Text 3 (Gruppe 3): Pluralismustheorie Die moderne Konkurrenztheorie der Demokratie hat sich zu einer Pluralismustheorie weiterentwickelt. Pluralismus ist die politische Rechtfertigung (Legitimation) der gesellschaftlichen Vielfalt (Heterogenität), also der Mannigfaltigkeit der sozialen Rollen des einzelnen (Familienmitglied, Berufstätiger, Gewerkschafter, Wähler und andere), der Interessenverbände aller Art und des politischen Mehrparteiensystems. Konflikte werden als legitim und notwendig anerkannt; allerdings wird die Geltung eines „Konsensus", einer -zumindest minimalenÜbereinstimmung aller Gesellschaftsmitglieder über einige Grundwerte und Grundregeln des Zusammenlebens, etwa die Menschenrechte, die wichtigsten Verfassungsprinzipien, das Ziel der sozialen Gerechtigkeit, gefordert. Dies faßt der amerikanische Soziologe Seymour Martin Lipset wie folgt zusammen: „Eine stabile Demokratie kann nur da existieren, wo sich ein Konflikt oder ein Auseinanderklaffen der Meinungen offenbart, so daß Kämpfe um Vormachtsstellungen, Angriffe gegen Regierungsparteien möglich sind: aber ohne gegenseitige Zustimmung - ein politisches System, welches dem friedlichen „Kräftespiel", der Anerkennung von Entscheidungen der Regierungspartei seitens der Opposition und von Rechten der Opposition seitens der Regierungspartei Raum läßt - ohne diesen „Konsens" kann es keine Demokratie geben. (Informationen zur politischen Bildung. H. 165, S. 5) Die Hobbesianische Frage, wie denn ein solches System existieren könne, ohne sich in einem Chaos unkoordinierter Gruppenpolitiken und antagonistischer Gruppenkonflikte aufzulösen, wurde in der Pluralismustheorie zunächst mit der doppelten Hypothese der mehrfachen Mitgliedschaft und der Effektivität latenter Interessen beantwortet: In der Regel gehört jeder einzelne gleichzeitig mehreren Gruppen an, so daß jede Gruppe in der Verfolgung exklusiver Ziele es vermeiden müsse, ihre Mitglieder intensiven Interessen- oder Loyalitätskonflikten auszusetzen. Zugleich sei den Mitgliedern aller Gruppen das latente Interesse an der Erhaltung der demokratisch-pluralistischen Ordnung selbst gemeinsam. Es brauche nicht organisiert zu sein, solange keine politisch aktive Gruppe dagegen verstoße. Jedoch sei es jederzeit mobilisierbar, sobald das gemeinsame Interesse an der Einhaltung demokratischer Spielregeln verletzt werde, und äußere sich dann entweder in der politischen Aktion spontan mobilisierter Gruppen oder wenigstens in verminderter Unterstützung durch andere Gruppen und die eigene Mitgliedschaft. (Fritz W. Scharpf; Demokratietheorie zwischen Utopie und Anpassung, Kronberg 1975, S. 30) Neokorporatismus Neokorporatismus wertet das Parlament als Träger der Volkssouveränität noch weiter ab, als es bereits der Verwaltungsstaat getan hat. Ob Konzertierte Aktion oder Tischrunde beim Kanzler, die Politik geht am Parlament vorbei. Ihm bleibt die Fleißarbeit der Ausschüsse und die Öffentlichkeitswirkung vordergründig polemischer Debatten im Plenum. Die Entscheidungsstruktur ist davon abgelöst und in einem Konsens der Eliten aufgehoben. Das Parlament hat nicht mehr viel zu sagen. Neokorporatismus schaltet allerdings nicht die Parteien dadurch aus, daß eine Direktleitung zwischen Staat und Verbänden eingezogen wird. Denn die großen Parteien sind mit beiden, Staat und Verbänden, in einem vielfältigen Netz von Beziehungen verknüpft. Allerdings löst sich die Verankerung der Parteien aus ihrer Basis. Der weite Mantel der Volkspartei verdeckt viele Interessen, die von den Verbänden direkter artikuliert und wahrgenommen werden. Neokorporatismus kann der Preis sein, der für die Regierbarkeit in hochindustrialisierten, arbeitsteiligen Industriestaaten gezahlt werden muß. Sein Umschlagen in autoritären Staatskorporatismus droht weniger, wenn demokratische Öffentlichkeit und Kontrolle erhalten und Mitgliederinteressen in den großen Verbänden artikulierbar bleiben. Insbesondere ist die Erhaltung der freien Tarifautonomie Grundvoraussetzung für die Möglichkeit des exit. (Ulrich von Alemann in: Die Zeit Nr. 39 vom 19.9.1980, S. 16) Arbeitsaufträge: 1. Beschreiben Sie die Pluralismustheorie: a) Welches Menschenbild kann aus den Annahmen dieser Demokratietheorie interpretiert werden? b) Beschreiben Sie die in ihr enthaltene Gesellschaftsund Staatsauffassung. c) Warum wird nach dieser Theorie die pluralistisch organisierte Gesellschaft trotz widersprüchlicher Interessen nicht „gesprengt"? 2. Welche Kritik kann nach Ihrer Meinung an der Pluralismustheorie geübt werden? Beziehen Sie in Ihre Überlegungen auch die Thesen zum Neokorporatismus ein.