1. August-Rede 2005 gehalten von Gemeinderätin Franziska Stadelmann-Meyer in Muttenz Liebe Muttenzer und Muttenzerinnen, Geschätzte Anwesende Es freut mich und ist mir zugleich eine grosse Ehre, dass ich heute Abend zum Nationalfeiertag einige Worte an Sie richten darf. Eine der Stärken unseres Landes ist seine Stabilität. Das hat zu tun mit unserer politischen Kultur der direkten Demokratie. Es ist ein Privileg Bewohner oder Bewohnerin dieses Landes zu sein, ein Privileg in einer unbestrittenen Demokratie leben zu dürfen. In einem Land, das seinen Bürger und Bürgerinnen grosse politische Einflussnahme auf allen Ebenen zugesteht und ebenso die Freiheit zur persönlichen Entfaltung einräumt. Für die meisten Menschen der Welt ist das, was für uns als Standard gilt, alles andere als selbstverständlich, teilweise gar unvorstellbar. Unsere politische Kultur ist zukunftsfähig. Wir müssen ihre Werte hochhalten und zu ihnen Sorge tragen. Unser System verlangt viel von den Bürgerinnen und Bürgern, und so zeigt uns die Stimmbeteiligung in manchen Fällen, wie schwierig es ist, dem Volk komplexe Sachverhalte näher zu bringen. Auch ist es schon vorgekommen, dass neun verschiedene Vorlagen gleichzeitig zur Abstimmung gelangten. So übersteigt die Stimmbeteiligung nur äusserst selten die 50-Prozent-Marke, oft liegt sie sogar unter 30 Prozent, kommt hinzu, dass die Wahlbeteiligung bei Jugendlichen sehr gering ist. Erwachsene klagen sehr häufig, dass eine Mehrzahl von Jugendlichen sich immer weniger politisch engagieren will und kaum in Vereinen und Parteien präsent ist. Verschiedene Studien belegen dass eine gewisse Politikverdrossenheit besteht. Gleichzeitig wird aber aufgezeigt, dass viele Jugendliche ihrerseits die Politik als „jugendverdrossen“ empfinden und herkömmlichen Politikstrukturen oftmals skeptisch gegenüber stehen. Mangelndes Vertrauen und nicht ernst genommen werden zwischen Jugendlichen und Erwachsenen sind hierbei die Schlüsselbegriffe. Aber, geschätzte Damen und Herren, sind denn unsere Jugendlichen wirklich so politikverdrossen, wie oft behauptet wird? Ich behaupte nein! Junge Menschen wollen sich engagieren und Verantwortung übernehmen, wenn sie spüren, dass sie ernst genommen werden. Sie haben eine eigene Meinung und wollen anerkannt werden. Zugegeben, die Distanz der Jugendlichen zur Politik wächst immer mehr. Notwendig ist jedoch, dass ihnen gute Rahmenbedingungen geschaffen werden, die auf sie zugeschnitten sind, das heisst, sie müssen konkrete Möglichkeiten erhalten, ihr Lebensumfeld mitzugestalten. Die politische Beteiligung bei Entscheidungen, welche die Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen betreffen wird oft abgelehnt, mit der Begründung, ihnen fehle die politische Reife und ihre Anliegen würden ohnehin von den Erwachsenen fürsorglich wahrgenommen. Es gibt aber gute Argumente, die dafür sprechen, die Jugendlichen stärker einzubinden, denn die Politik von heute betrifft immer auch die nächste Generation. Eine stärkere Einbeziehung der Jugendlichen fördert den notwendigen Generationendialog. Ausserdem gibt es bereits heute Bereiche, in denen Jugendliche mit ihrem Wissen und Können vielen Erwachsenen weit voraus sind, denken wir nur im Bereich der neuen Medien, wie z.B. Computer etc. Und schliesslich gibt es in Jugendfragen keine besseren Experten als die Jugendlichen selbst. Um eine wirkungsvolle Einbindung von Jugendlichen in die Politik zu gewährleisten, muss man sich die Frage nach den Qualitätskriterien stellen. Und hier sind wir alle, Politik, Schulen und Gesellschaft gefordert. Ergebnisse einer internationalen Vergleichsstudie zur Politischen Bildung belegen, dass Schweizer Schüler und Schülerinnen über unterdurchschnittliches politisches Wissen verfügen, das Vertrauen in staatliche Institutionen ist zwar hoch, aber sie identifizieren sich kaum mit unserem Land. Resultate, die einem zu Denken geben. Es macht den Anschein, dass bis anhin davon ausgegangen wurde, dies aufgrund unserer langjährigen demokratischen Tradition, dass Demokratieverständnis und entsprechendes politisches Handeln sozusagen mit in die Wiege gelegt wurden. Wie schon eingangs erwähnt, erfordert unser System viel von den Bürgerinnen und Bürgern, indem sie über das politische Leben gut informiert sind und sich politisch beteiligen. Politische Bildung und demokratische Erziehung gehören meines Erachtens zu den grundlegenden allgemeinen Aufgaben von Schule und Jugendarbeit. „Demokratie“ bezeichnet eine historische Errungenschaft, die sich nicht von selbst ergibt, sondern die vom Wissen, von den Überzeugungen und vom Handeln von allen abhängt. Demokratie leben, muss gelernt sein. Was heisst also Demokratie lernen? Demokratie lernen, heisst Gewaltverzicht, Toleranz, friedliches Zusammenleben, und die Bereitschaft, sich zu engagieren. Demokratie lernen braucht Wissen, braucht guten Unterricht über Politik. Schulwissen allein reicht aber nicht aus. Zum Wissen müssen eigenes Handeln und eigene Erfahrung hinzukommen. Demokratie lernen braucht die Erfahrung von Interessengegensatz und -ausgleich, von Widerständen und Niederlagen, von Überzeugung und überzeugt werden, also Erfahrungen, die zum Wesen von Demokratie und Politik gehören. Die Schule muss demzufolge den Unterricht und die Vermittlung von Wissen mit eigenem Handeln und eigenen Erfahrungen verbinden. Was Kinder und Jugendliche lernen, wie gross ihre Bereitschaft ist, sich intensiv zu engagieren, hängt auch davon ab, was Schule und Gesellschaft hier anbieten, was 2 sie erwarten, welche Mittel sie bereit sind dafür einzusetzen und wie sie auf entsprechende Leistungen antworten. In Sachen Jugendarbeit begeht Muttenz neue Wege. Mit dem neuen Konzept der offenen Jugendarbeit, das ab Herbst 2005 zur Umsetzung gelangt, soll nebst der herkömmlichen Jugendhausarbeit neu auch ein Streetworker eingesetzt werden. Dadurch besteht die Chance, Fragen und Anliegen der Jugendlichen frühzeitig zu erkennen, sie aufzunehmen und gemeinsam mit den Jugendlichen selbst Bewältigungsstrategien zu entwickeln. Durch die persönlichen Begegnungen im Rahmen der unverbindlichen aber auch verbindlichen Aktivitäten sollen Gesprächssituationen entstehen, die den Jugendlichen konkret Unterstützung und Beratung bieten. Diese Gesprächssituationen laufen oft ungeplant und spontan ab. Dieses Kennzeichen ist gleichzeitig die Stärke der Offenen Jugendarbeit: Jugendberatung geschieht aus dem natürlichen Leben der jungen Menschen heraus. Spontan, freiwillig und doch professionell. Damit besteht die Möglichkeit, Fragen und Problemkreise der jungen Menschen direkt aus ihrem Lebensalltag heraus zu erkennen und zu thematisieren. Die Praxis zeigt, dass junge Menschen sehr wohl die Auseinandersetzung mit erwachsenen Personen schätzen. Weiter soll Offene Jugendarbeit auch im Bereich Jugendhilfe ein erstes niederschwelliges Angebot sein. Unterstützung bei der Lehrstellensuche, beim Schreiben von Bewerbungen, Vermittlung von weiterführenden Hilfsangeboten, Unterstützung bei der Bewältigung von persönlichen Fragen aus dem Freizeit-, Familien-, Schulund Berufsalltag. Mit dem neuen Weg, den wir in Muttenz einschlagen werden, erhoffen wir uns, unsere Jugendlichen anzusprechen, sie einzubeziehen und dass sie diese Möglichkeiten auch wahrnehmen. Persönlich erwarte ich aber auch, meine Damen und Herren, dass unsere Jugendlichen sich engagieren und aktiv mitmachen, und dass sie sich bewusst sind, dass damals unsere Vorfahren mit Fleiss und Engagement ein lebenswertes Land geschaffen haben mit Grundwerten, die unser Land prägen. Unsere direkte Demokratie ist kein Geschenk, das man für immer in Besitz nehmen kann. Nein, direkte Demokratie muss täglich erkämpft und verteidigt werden. Es braucht Zeit um sich über die Politik zu informieren, sich eine eigene Meinung zu bilden und mehrmals im Jahr abzustimmen. Denn eine lebendige Demokratie ist auf die Mitwirkung und das Engagement gerade ihrer jungen Bürger und Bürgerinnen angewiesen. Wir brauchen die Kreativität, die Unbefangenheit, die Kritik und die Ideen junger Menschen mit ihrem Zukunftsglauben. So möchte ich meine Rede mit einem Zitat des griechischen Philosophen Aristoteles beenden das lautet "Die Freiheit ist die Basis der Demokratie“. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen ein wunderschönes Fest. An dieser Stelle möchte ich auch die Gelegenheit nutzen dem Verkehrsverein und dem Jodlerclub Muttenz für die Organisation dieser schönen Feier zu danken. 3