Konkurrenz- und Pluralismustheorie: Abschließende Antworten auf die Legitimationsfrage? Die moderne Konkurrenztheorie „... Die moderne Konkurrenztheorie der Demokratie betrachtet Demokratie vor allem als ein System von Spielregeln, innerhalb deren Konflikte (Streitigkeiten) ausgetragen werden..." (ebd.) Es sei daran erinnert, daß unsere Hauptschwierigkeiten bei der klassischen Theorie sich um die Behauptung gruppierten, daß ,das Volk' eine feststehende und rationale Ansicht über jede einzelne Frage besitzt und daß es - in einer Demokratie - dieser Ansicht dadurch Wirkungskraft verleiht, daß es Vertreter wählt, die dafür sorgen, daß diese Ansicht ausgeführt wird. So wird die Wahl der Repräsentanten dem Hauptzweck der demokratischen Ordnung nachgeordnet, der darin besteht, der Wählerschaft die Macht des politischen Entscheides zu verleihen. Angenommen nun, wir vertauschen die Rollen dieser beiden Elemente und stellen den Entscheid von Fragen durch die Wählerschaft der Wahl jener Männer nach, die die Entscheidung zu treffen haben. Oder um es anders auszudrücken: wir nehmen nun den Standpunkt ein, daß die Rolle des Volkes darin besteht, eine Regierung hervorzubringen oder sonst eine dazwischengeschobene Körperschaft, die ihrerseits eine nationale Exekutive oder Regierung hervorbringt. Und wir definieren: die demokratische Methode ist diejenige Ordnung der Institutionen zur Erreichung politischer Entscheidungen, bei welcher einzelne die Entscheidungsbefugnis vermittels eines Konkurrenzkampfs um die Stimmen des Volkes erwerben. (Joseph A. Schumpeter: Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, Tübingen 519BO, S. 427 f.) Arbeitsaufträge: 1. Beschreiben Sie die moderne Konkurrenztheorie: a) Worin besteht das primäre Ziel der Mitbestimmung des Volkes? b) Skizzieren Sie die in der Konkurrenztheorie enthaltene Staatsauffassung. c) Interpretieren Sie das der Konkurrenztheorie zugrundeliegende Menschenbild. 2. Fassen Sie die mögliche Kritik an der modernen Konkurrenztheorie zusammen. Pluralismustheorie Die moderne Konkurrenztheorie der Demokratie hat sich zu einer Pluralismustheorie weiterentwickelt. Pluralismus ist die politische Rechtfertigung (Legitimation) der gesellschaftlichen Vielfalt (Heterogenität), also der Mannigfaltigkeit der sozialen Rollen des einzelnen (Familienmitglied, Berufstätiger, Gewerkschafter, Wähler und andere), der Interessenverbände aller Art und des politischen Mehrparteiensystems. Konflikte werden als legitim und notwendig anerkannt; allerdings wird die Geltung eines „Konsensus", einer -zumindest minimalen- Übereinstimmung aller Gesellschaftsmitglieder über einige Grundwerte und Grundregeln des Zusammenlebens, etwa die Menschenrechte, die wichtigsten Verfassungsprinzipien, das Ziel der sozialen Gerechtigkeit, gefordert. Dies faßt der amerikanische Soziologe Seymour Martin Lipset wie folgt zusammen: „Eine stabile Demokratie kann nur da existieren, wo sich ein Konflikt oder ein Auseinanderklaffen der Meinungen offenbart, so daß Kämpfe um Vormachtstellungen, Angriffe gegen Regierungsparteien möglich sind: aber ohne gegenseitige Zustimmung - ein politisches System, welches dem friedlichen „Kräftespiel", der Anerkennung von Entscheidungen der Regierungspartei seitens der Opposition und von Rechten der Opposition seitens der Regierungspartei Raum läßt - ohne diesen „Konsens" kann es keine Demokratie geben. (Informationen zur politischen Bildung. H. 165, S. 5) Die Hobbesianische Frage, wie denn ein solches System existieren könne, ohne sich in einem Chaos unkoordinierter Gruppenpolitiken und antagonistischer Gruppenkonflikte aufzulösen, wurde in der Pluralismustheorie zunächst mit der doppelten Hypothese der mehrfachen Mitgliedschaft und der Effektivität latenter Interessen beantwortet: In der Regel gehört jeder einzelne gleichzeitig mehreren Gruppen an, so daß jede Gruppe in der Verfolgung exklusiver Ziele es vermeiden müsse, ihre Mitglieder intensiven Interessen- oder Loyalitätskonflikten auszusetzen. Zugleich sei den Mitgliedern aller Gruppen das latente Interesse an der Erhaltung der demokratisch-pluralistischen Ordnung selbst gemeinsam. Es brauche nicht organisiert zu sein, solange keine politisch aktive Gruppe dagegen verstoße. Jedoch sei es jederzeit mobilisierbar, sobald das gemeinsame Interesse an der Einhaltung demokratischer Spielregeln verletzt werde, und äußere sich dann entweder in der politischen Aktion spontan mobilisierter Gruppen oder wenigstens in verminderter Unterstützung durch andere Gruppen und die eigene Mitgliedschaft. (Fritz W. Scharpf; Demokratietheorie zwischen Utopie und Anpassung, Kronberg 1975, S. 30) Arbeitsaufträge: 1. Beschreiben Sie die Pluralismustheorie: a) Welches Menschenbild kann aus den Annahmen dieser Demokratietheorie interpretiert werden? b) Beschreiben Sie die in ihr enthaltene Gesellschafts- und Staatsauffassung. c) Warum wird nach dieser Theorie die pluralistisch organisierte Gesellschaft trotz widersprüchlicher Interessen nicht „gesprengt"? 2. Welche Kritik kann nach Ihrer Meinung an der Pluralismustheorie geübt werden?