Aktuelle Euphemismen Die folgenden Wörter und Wendungen stammen aus dem aktuellen politischen Sprachgebrauch. Versucht zu ermitteln, in welchem politischen Zusammenhang und mit welcher Absicht sie von welchen politischen Gruppierungen gebraucht werden. finaler Rettungsschuss Kernkraftwerk Störfall Todeszone Zonengrenze Oder-Neiße-Linie antifaschistischer Schutzwall Westberlin wilder Streik freisetzen Vertriebene Rebellen Angriffskrieg atomarer Sprengkopf nuklearer Ernstfall Presseamt Kriegsministerium polizeilicher Todesschuss Atomfabrik Unfall Friedensgrenze West Staatsgrenze West Schandmauer Berlin (West) spontane Arbeitsniederlegung entlassen Aussiedler Befreiungsbewegung Vorwärtsverteidigung Sondermunition Atomkrieg Propagandaministerium Verteidigungsministerium Sammelt selbst weitere Beispiele. Ob ein Euphemismus mit manipulativer Absicht gebraucht wird, ist oft nicht leicht zu entscheiden. Nachweisen lässt sich die politische Einflussnahme, wenn man für den beschönigenden Ausdruck (z. B. „nuklearer Ernstfall") sagen kann, wie es eigentlich oder normalerweise heißen müsste („Atomkrieg"). Strahlenschutz — Eine Windschutzscheibe hält den Regen fern, eine Sonnenschutzcreme verhütet Schäden durch Sonnenstrahlen. Die Strahlenschutzverordnung dagegen legt lediglich Grenzen des zulässigen (!) Schadens fest, betreibt u.a. ,Schutz' durch Verdünnung, erweckt aber den Anschein, sie könne in ähnlicher Weise für Schutz sorgen, wie es, immerhin, noch der Luftschutz des 2. Weltkrieges in bescheidenem Umfang vermochte. Untersucht, wie der Verfasser vorgeht, um den Begriff „Strahlenschutz" als Euphemismus zu entlarven. Warum zieht er andere Zusammensetzungen mit „Schutz" heran? Brennstab — Atommüll — Belastung — Strahlung — Brennstoffkreislauf — Atommeiler Welche Assoziationen werden durch diese Wörter geweckt? Klingen sie eher friedlich oder eher bedrohlich? Gibt es andere Wörter mit derselben oder ähnlicher Bedeutung? Hans-Günter Wallraff: Hier und dort (1966) Hier und II I hier freiheit dort knechtschaft hier aufbau dort zerfall hier wohlstand dort armut hier friedensheer dort kriegstreiber hier friedfertigkeit dort kriegslüsternheit hier leben dort tod hier liebe dort hass dort böse hier gut dort satan hier gott III jenseits von hier Dort hier gleichheit dort ausbeutung und such ich mir nen fetzen land wo ich mich ansiedle ohne feste begriffe fernab von dort AUFGABE: Erläutern Sie unter Verwendung der entsprechenden Fachbegriffe den Wortinhalt von „Westen" und „Osten"! ERLÄUTERUNG Diese Kurzaufgabe im Umfang von ca. 50 Minuten zielt auf folgende Ergebnisse: Das Denotat (= begrifflicher Kern) hat sich gewandelt, es umfasste früher nur den geographischen, seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges zusätzlich einen politischideologischen Gehalt; die Wörter sind polysemantisch. Das Konnotat (= emotive Nebenbedeutungen) der Wörter ist in der DDR und der Bundesrepublik verschieden. Aus westlicher Sicht ist „der Westen" durch Freiheit, Freizügigkeit, Pluralismus, Wohlstand usw. gekennzeichnet, „der Osten" durch Unfreiheit, Gleichschaltung, angsteinflößende Macht usw. Aus der Sicht der DDR gehört konnotativ zum „Westen" Imperialismus, Ausbeutung der Arbeiterklasse, Scheindemokratie, Korruption usw., zum Wort „Osten" kommen als Nebenbedeutungen Gleichheit, Freiheit von Ausbeutung, echte Demokratie, Aufbau einer besseren Zukunft usw. hinzu. AUFGABE; Erläutern und erklären Sie die semantischen Unterschiede der folgenden Begriffspaare ! TEXT (1) Staatsgrenze West / Zonengrenze (2) Werktätiger / Arbeitnehmer (3) Nationale Volksarmee / Bundeswehr (4) Staatsfeindlicher Menschenhandel / Fluchthilfe ERLÄUTERUNG Bei dieser Aufgabe von ca. 100 Minuten Arbeitszeit sind Begriffspaare so zusammengestellt, dass verschiedenartige Intentionen der Begriffsprägung und des Sprachgebrauchs erfasst werden. Zu 1: Staatsgrenze West betont die Staatlichkeit, dahinter steht das Streben nach völkerrechtlicher Anerkennung, das lange Zeit die Politik der DDR beherrscht hat; in der Bundesrepublik sagt man Landesgrenze oder Grenze, wenn man Staatsgrenze meint. Zonengrenze betont die Besonderheit dieser Grenze, dahinter steht das Sichnicht-Abfinden, das Streben nach Überwindung der Teilung. Der Begriff stammt aus der frühen Nachkriegszeit, er ist heute denotativ ein Anachronismus, befriedigt aber konnotativ emotionale politische Bedürfnisse. Zu 2: Der Begriff Werktätiger demonstriert die Aufhebung des Privateigentums an Produktionsmitteln und überbrückt verbal den Gegensatz zwischen Unternehmensleitung und untergeordnet Beschäftigten; er bedeutet gegenüber Arbeiter eine Aufwertung, indem der Werkbegriff Verbindungen zum Schöpferischen und zur Gemeinschaftsleistung herstellt. Arbeitnehmer gehört demgegenüber in das ideologische System der Privatwirtschaft, der Begriff impliziert den Arbeitgeber als Sozialpartner, zugleich signalisiert das Nehmen Unterordnung, Abhängigkeit, Bedürftigkeit. Zu 3: Volksarmee soll Volksverbundenheit beschwören, das Attribut national soll Eigenstaatlichkeit demonstrieren und steht wie Staatsgrenze im Dienste der Abgrenzungspolitik. Bundeswehr ist eine Analogiebildung zu Reichswehr (wie Bundestag, Bundeskanzler, Bundesbank, Bundesbahn u. v. a. Analogiebildungen im Rückgriff auf die Weimarer Republik sind), der Begriff drückt den Defensivcharakter der Armee sowie die föderative Struktur des Staates aus. Zu 4: Menschenhandel leugnet das aktive Interesse der Fluchtwilligen am Verlassen des Landes, macht den Flüchtenden zum Objekt; zugleich wird der Helfer durch die Gleichsetzung mit einem Sklavenhändler vergangener Zeiten in extremer Weise diffamiert, werden lautere Motive ausgeschlossen. Mit dem Attribut staatsfeindlich soll die Tat zum schlimmsten, weil politischen Verbrechen abgestempelt werden. Fluchthilfe nennt den Tatbestand sachlich zutreffend, wobei zugleich die positive Wertung des Begriffs Hilfe (mit den Assoziationen von Hilfeleistung, Erste Hilfe, Rettung u.a.) zur Geltung kommt.