Zur Entwicklung der Presse in Deutschland 1945

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Walter J. Schütz
Vielfalt oder Einfalt? Zur Entwicklung
der Presse in Deutschland 1945 - 1995
Ministerialrat Dr. Walter Schütz arbeitet im Presse- und Informationsamt der
Bundesregierung
Grundlagen der Presse nach 1945
Lediglich die ersten vier der seither vergangenen fünfzig Jahre waren durch das
Handeln der Besatzungsmächte geprägt, aber in dieser Zeit sind von ihnen in vier
Bereichen entscheidende und bis heute weiterwirkende Grundlagen geschaffen
worden:
1.
2.
3.
4.
die Einteilung in die deutschen Länder,
die Demoskopie,
der öffentlich-rechtliche Rundfunk und
die heutige Zeitungslandschaft.
Zwei der vier genannten Bereiche beziehen sich also auf die Medien. An die Spitze
meines Beitrages stelle ich sogar die Feststellung: Alle größeren deutschen
Zeitungen gehen direkt oder indirekt auf die Entscheidungen alliierter Presseoffiziere
in der sogenannten Lizenzzeit zwischen Kriegsende und Konstituierung der
Bundesrepublik Deutschland zurück - und das in Ost wie West, denn auch in
Mitteldeutschland wurden die Länder und die Zeitungsstruktur nach 1945 durch
Entscheidungen der sowjetischen Besatzungsmacht festgelegt.
Lizenzzeitungen und die Forderung nach Pressefreiheit
Im Herbst 1948, gut drei Jahre nach Kriegsende und kurz nach der Währungsreform,
forderte jedoch eine "Arbeitsgemeinschaft für Pressefragen" in einer Resolution die
"Wiederherstellung von Pressefreiheit" in (West)Deutschland. Nun gab es ja bei uns
schon wieder überall die "Lizenzzeitungen" - und sie waren sicher freier in ihrer
Berichterstattung und Kommentierung als die mit der Niederlage Deutschlands
endgültig verschwundene gelenkte Presse des Dritten Reiches. Doch hinter der
erwähnten "Arbeitsgemeinschaft für Pressefragen" standen die von der
Lizenzerteilung nach Kriegsende ausgeschlossenen sogenannten Altverleger, die für
ihr Verlangen nach Aufhebung des Lizenzzwanges und damit auch für ihre
Frontstellung gegen die neuen demokratischen Zeitungen die Unterschriften von
Prominenz aus ganz unterschiedlichen politischen Lagern bekommen hatten:
nämlich von Konrad Adenauer (CDU), dem Präsidenten des Parlamentarisches
Rates, und von Carlo Schmid (SPD), in Tübingen stellvertretender Staatspräsident
des Landes Württemberg-Hohenzollern.
Erste Konzentrationswelle
Wenn die Prämissen dieser Resolution von 1948 richtig waren, dann haben wir in
Deutschland auch heute noch immer keine Pressefreiheit - oder sie ist uns durch
Vorgänge der Pressekonzentration wieder verloren gegangen. Denn als ein Jahr
später mit der Aufhebung der Lizenzvorschriften auch die Altverleger ihre früheren
Titel wieder herausbringen konnten, erschienen im Herbst 1949 in den drei
westlichen Besatzungszonen noch oder immerhin 137 "Lizenzzeitungen". Heute, 46
Jahre später, wird Zeitungsvielfalt in Deutschland durch genau 136 Zeitungen mit je
einer eigenen Vollredaktion, den "Publizistischen Einheiten", repräsentiert.
Aber diese Gesamtzahl schließt auch die Titel in einem durch die neuen Länder nun
größer gewordenen Deutschland ein; im alten Bundesgebiet gibt es derzeit noch 114
dieser "Publizistischen Einheiten". Die erste Konzentrationswelle auf dem deutschen
Zeitungsmarkt folgte fast unmittelbar der Aufhebung des Lizenzzwanges. Und es
waren gerade nicht die von den Alliierten zwischen 1945 und 1949 lizenzierten
Blätter, die dem Zeitungssterben zum Opfer fielen; sie waren wesentlich stabiler als
vor allem von den Altverlegern vermutet. Zwar wurden sie - nach einem Boom mit
Hunderten von Zeitungswiedergründungen im Herbst/Winter 1949 - mit intensivem
publizistischem und wirtschaftlichem Wettbewerb konfrontiert, der - wie in einem
marktwirtschaftlichen System an sich selbstverständlich - auch von Konzentration auf
dem Zeitungsmarkt begleitet war.
Lizenzzeitungen wirtschaftlich stabil
Aber vor allem dann, wenn die Lizenzblätter nicht auf politische Parteien festgelegt,
sondern in ihrer redaktionellen Linie eher unabhängig waren, wenn ihr Verbreitungsgebiet nicht zu ausgedehnt war, und wenn sie bis zum Ende der Lizenzzeit
dort keinen oder nur geringem Wettbewerb ausgesetzt waren, erwiesen sie sich als
inzwischen durchaus gefestigt. Umgekehrt mußten die neu oder nach vieljähriger
Unterbrechung wieder auf den Markt kommenden alten Zeitungen, die entsprechend
der deutschen Zeitungstradition meist nur ein lokales Verbreitungsgebiet hatten, nun
gegen schon bestehende Blätter mit größerem Verbreitungsgebiet und folglich auch
höherer Auflage den Wettbewerb um Leser aufnehmen. Dabei zeigte sich rasch, daß
die Hoffnung weitgehend unbegründet war, die Leser würden von selbst zu den
ihnen von früher vertrauten Titeln zurückkehren.
Erstes Zeitungssterben
Zudem waren die wirtschaftlichen Ressourcen der meisten Neugründungen nach der
Währungsreform und nach der Lizenzphase zu schwach, um den bisherigen
Lizenzzeitungen ein den gestiegenen Ansprüchen der Abonnenten genügendes
publizistisches Produkt entgegenzustellen. Eine Kooperation mit den
Lizenzzeitungen, die meist auch die erste Stufe zu späteren Zusammenschlüssen
war, suchten die Altverleger kaum. Unter den oben genannten Bedingungen war
Konfrontation die Regel . Schon im ersten Halbjahr 1950 wurden kaum noch
Zeitungen wiedergegründet und - bezogen auf das gesamte Jahr 1950 - lag die Zahl
der Zeitungseinstellungen bereits höher als der Zuwachs. Die meisten Verlage, die
das erste große "Zeitungssterben" überlebten, schlossen sich zu
Redaktionsgemeinschaften zusammen, die für alle dort kooperierenden Zeitungen
mindestens den aktuellen überregionalen Teil, den sogenannten Zeitungsmantel,
produzierten. So kam es, daß sich fünf Jahre nach Ende des Lizenzzwanges die Zahl
der Zeitungsverlage in Westdeutschland gegenüber der Lizenzzeit fast verfünffacht
(624 gegenüber 137), die Zahl der "Publizistischen Einheiten", der Vollredaktionen,
sich aber nur knapp verdoppelt hatte (225 gegenüber 137). Rein numerisch war also
nach dem Ende der Lizenzzeit mehr Vielfalt entstanden, und es stand den
ehemaligen Lizenzzeitungen mit meist hoher Auflage eine Vielzahl kleinerer
Verlagsunternehmen an vielen Standorten mit jeweils nur geringer Auflage
gegenüber. Dagegen hatte sich in der Zeit der Neuformierung des deutschen
Zeitungsmarktes bis 1954 die Zahl der unterschiedlichen lokalen/regionalen
Zeitungsausgaben in diesen fünf Jahren nur um rund ein Drittel auf 1.500 erhöht.
Wettbewerb und Pressekonzentration
Als fatal erwies es sich in der Folgezeit, daß die kleineren Zeitungen
Zusammenarbeit lediglich für ihre publizistischen Aufgaben in den
Gemeinschaftsredaktionen praktizierten, jedoch bei allen wirtschaftlichen Problemen
des Sich-Behauptens gegenüber den großauflagigen Regionalzeitungen auf sich
selbst gestellt waren. Anzeigengemeinschaften konnten auf Dauer kein Ersatz für
eine von der Marktsituation her zwingend gebotene engere verlegerische
Kooperation sein. Ein freier Medienmarkt ist aber immer auch durch publizistischen
und wirtschaftlichen Wettbewerb bestimmt. Privatwirtschaftlich organisierte Medien
können in einem solchen Wettbewerbsmarkt keine Sonderstellung einnehmen,
wollen sie nicht den Regeln dieses Marktes zuwiderhandeln. Das bedeutet, daß den
Wünschen nach Vielfalt, ausgedrückt durch eine Vielzahl von Presseerzeugnissen,
die Tendenz von Presseunternehmen gegenübersteht, den eigenen Marktanteil zu
Lasten der Konkurrenz zu erweitern und in Konsequenz daraus auch die Erst- oder
Alleinanbieterposition anzustreben, wobei in der Regel bei reduziertem oder nicht
mehr vorhandenem Wettbewerb sich auch das publizistische Angebot entsprechend
verringert. Vorgänge der Pressekonzentration sind deshalb marktbedingt
unausweichlich.
Zeitungssterben von Öffentlichkeit unbemerkt
Das Zeitungssterben vollzog sich in den 50er Jahren aber als latenter Prozeß, den
die Öffentlichkeit kaum beachtete. Nach den kleinauflagigen Parteizeitungen
verschwanden die Titel vom Markt, die in viert- oder drittrangiger Marktposition auf
die Dauer keine Chance hatten, weil hier das Prinzip der "Anzeigen-AuflagenSpirale" (d.h. mehr Anzeigen mehr Inhalt - mehr Leser bzw. weniger Anzeigen verminderter Inhalt - weniger Leser) voll zum Tragen kam. Ihre Einstellung stützte
einerseits die Position der verbleibenden Zeitungen und schwächte andererseits die
noch bestehenden Redaktions-gemeinschaften nachhaltig, was sich wiederum
negativ auf die Kooperationsmöglichkeiten der in ihnen noch verbliebenen Titel
auswirkte.
Pressekonzentration weiter beschleunigt: Verlust an Vielfalt
Da - wie erwähnt - Pressekonzentration kein medienpolitisch relevantes Thema war,
nutzten die wirtschaftlich potenten Verlagsunternehmen ihre Möglichkeiten, um durch
Übernahme kleinerer Zeitungen (gegebenenfalls über die Vorstufe der Kooperation)
in ihrem Verbreitungsgebiet ihre Erstanbieterposition auszubauen und lokale
Alleinstellungen, also Lokalmonopole zu erringen. Die dabei benutzten Methoden
des "publizistischen Bauernlegens" waren oft nicht von der feinsten Art, aber
durchaus von Erfolg begleitet: Zwischen 1954 und 1974, also in zwei Jahrzehnten,
ging die Zahl der deutschen Zeitungsverlage um mehr als 50 Prozent zurück - ein
deutliches Indiz für das "Zeitungssterben". Das Tempo der Zeitungseinstellungen und
- übernahmen eskalierte in der zweiten Hälfte der 60er Jahre, als nunmehr auch
Zeitungen in zweitrangiger Marktposition Opfer des Zeitungssterbens wurden und
damit dem Publikum der Verlust an Vielfalt in der ortsbezogenen Berichterstattung
zum Bewußtsein kam. Medienpolitiker griffen das Thema Konzentration auf, als über
bloße Verlagsabsprachen hinaus durch reale Verlagsverschachtelungen auch
finanziell gesunde und redaktionell leistungsfähige "Publizistische Einheiten"
ausschließlich wirtschaftlichen Vorteilen geopfert wurden. Konkret traf dies auf den
Fall der "Neuen Württembergischen Zeitung" zu, die nicht weit von Bad Urach in
Göppingen verlegt wurde. Der Verlust ihrer eigenen Vollredaktion gab der
medienpolitischen Diskussion eine neue Qualität.
Pressefusionskontrolle
Unbestreitbar war nun eine Pressefusionskontrolle notwendig geworden, die der
Deutsche Bundestag dann 1975 verabschiedete. Skepsis war angebracht, ob sie das
leisten konnte, was man von ihr erhoffte. Sie kam ganz sicher zu spät, nachdem der
Zeitungsmarkt zwischen den Verlagen bereits weitgehend aufgeteilt war.
Rückblickend läßt sich aber sagen, daß es seither so spektakuläre Fälle von
Pressekonzentration wie vorher nicht mehr gegeben hat. Außerdem wären Lösungen
wie die Übernahme von Zweitzeitungen in einen wirtschaftlichem Verbund mit der
marktstärkeren Zeitung bei weiterhin bestehendem publizistischen Wettbewerb ohne
Pressefusionskontrolle nicht entstanden. Als Beispiele hierfür seien das zuerst in
Stuttgart für "Stuttgarter Zeitung" und "Stuttgarter Nachrichten" gefundene
sogenannte Stuttgarter Modell und als größter derartiger Verbund die "WAZ-Gruppe"
in Essen erwähnt.
Das Zeitungssterben ist im westlichen Bundesgebiet zwar nicht zum Stillstand
gekommen, hat sich aber doch bedeutend verlangsamt. Die meisten kleinauflagigen
Zeitungen erscheinen nicht mehr (der Anteil der Zeitungen unter 5.000 Exemplaren
Auflage an der Zahl der westdeutschen Verlage betrug 1954 45%, 1993 nur noch
13%). Die weiter bestehenden Titel mit kleiner und mittlerer Auflage konnten deutlich
von neuen Satz- und Drucktechniken profitieren, die sie schneller als größere
Unternehmen einzusetzen in der Lage waren. Das vor allem erklärt einen
überraschenden, wenn auch nur vorübergehenden Anstieg der "Publizistischen
Einheiten" zwischen 1976 und 1985. Fast alle Zeitungen haben - weitgehend
unabhängig von ihrer Auflagenhöhe - inzwischen eine solide Marktposition, die
Veränderungen weitgehend ausschließt: In nachrangiger Marktposition gibt es nur
noch eine Minderheit von westdeutschen Zeitungen, wobei auch deren Verlage zu
einem erheblichenTeil mit der jeweils am Erscheinungsort führenden Zeitung
verflochten sind.
Lokales Zeitungsangebot konkurrenzlos
In engem Zusammenhang damit steht das lokale Zeitungsangebot, aus dem der
Leser "vor Ort" seine Informationen beziehen kann. Die Zeitungsdichte betrug im
alten Bundesgebiet 1954 noch fast 2; d.h. durchschnittlich konkurrierten in jeder
Gebietskörperschaft (Kreis, Stadt) noch zwei Zeitungen miteinander. In knapp vier
Jahrzehnten ist dieser Wert deutlich zurückgegangen, auch wenn man die lokal
berichtenden Straßenverkaufszeitungen hier mit einbezieht.
Marktpositionen im lokalen Markt sind kaum zu verändern. Die führende Zeitung
besitzt so viele Wettbewerbsvorteile, daß Titel in nachrangiger Position gegen sie so
gut wie keine Chancen haben. Mir ist seit 1954 eigentlich nur ein Fall bekannt, wo die
frühere Zweitzeitung ihren größeren Konkurrenten überflügeln konnte. Wenn aber
Zeitungen einmal eine in ihrem Verbreitungsgebiet unangefochtene Marktposition
erreicht haben, ist auch der Marktzutritt über Neugründungen so gut wie unmöglich.
Solche dürfen nicht verwechselt werden mit der Ausdehnung des
Verbreitungsgebietes einer bereits etablierten Zeitung (obwohl Zeitungen häufig ihr
Verbreitungsgebiet eher verkleinern als vergrößern und damit die Zeitungsdichte
ausdünnen). Echte Neugründungen waren seit 1954 bei regionalen und lokalen
Abonnementzeitungen nur in drei Fällen auf Dauer erfolgreich; zahlreiche Versuche
aber sind unter hohen Verlusten gescheitert.
Ursachen der Pressekonzentration
1. Fassen wir noch einmal die Faktoren zusammen, die im alten Bundesgebiet
Pressekonzentrationsvorgänge ausgelöst haben, ergänzt um zusätzliche
Aspekte:
2. Der Zeitungsmarkt ist ein Wettbewerbsmarkt, in Deutschland primär lokaler
und regionaler Natur.
3. Jeder Anbieter strebt einen hohen Marktanteil an mit dem Ziel, alleiniger
Anbieter zu werden.
4. Zeitungen hoher Auflagen haben wegen der auflagenunabhängigen
Vorbereitungskosten (Redaktion, Satz) und der Vergabepraxis bei Anzeigen
erhebliche Vorteile gegenüber Titeln mit kleiner Auflage.
5. Diese können ihre schwächere Position auch durch Kooperation nicht
nachhaltig verbessern.
6. Jedoch entscheidet nicht die absolute Höhe der Auflage über den
wirtschaftlichen Erfolg: Auch Zeitungen mit kleiner Auflage haben gute
Ergebnisse, wenn sie Erst- oder Alleinanbieter sind. Umgekehrt gerieten
Zeitungen mit hohen Auflagen in wirtschaftliche Schwierigkeiten und wurden
Objekte von Pressekonzentrationsvorgängen, wenn sie in großen
Verbreitungsgebieten mit erheblichem Vertriebsaufwand auf nachrangige
Wettbewerbspositionen beschränkt waren.
7. Der Zeitungsmarkt besteht aus einem Nebeneinander vieler voneinander
unabhängiger regionaler/lokaler Einzelmärkte.
8. Auch intensive redaktionelle Anstrengungen, die kleineren Zeitungen ohnehin
schwerfallen, verändern nicht oder nur marginal die Stellung am Markt.
9. Neugründungen haben gegen bestehende lokale Abonnementzeitungen, die
als eine Art von "kommunaler Versorgungseinrichtung" die Interessen einer
breiteren Leserschaft abdecken, keine Chance.
Zeitschriftenmarkt folgt anderer Enwicklung
Doch das alles gilt nicht oder kaum für den Bereich der Presse, der neben den
Tageszeitungen existiert: den Markt der Zeitschriften. Es ist bezeichnend, daß mit
Pressekonzentration eigentlich immer nur der Zeitungsbereich gemeint ist, nicht aber
die Zeitschriftenpresse. Zwar hat es auch hier Konzentrationsvorgänge gegeben,
aber entscheidend ist, daß Zeitschriften bundesweit angeboten und abgesetzt
werden: Vier, fünf Zeitschriftengroßverlage liefern sich intensiven Wettbewerb, bei
dem Titel aufsteigen, fallen, eingestellt oder neugegründet werden. Mit Innovationen,
mit publizistischen Leistungen lassen sich Nischen besetzen, neue Marktsegmente Inhalte wie Publica - betreten. Man kann konkurrierende Titel überflügeln und sogar
vermeintlich unangreifbare Alleinstellungen aufbrechen.
Ganz offensichtlich sind Zeitschriftenkäufer und -leser ein flüchtigeres Publikum als
Zeitungsleser. Wenn es so ist, dann leistet der Zeitungsleser selbst seinen Beitrag
zur Pressekonzentration und damit zur Minderung des ihm zur Verfügung stehenden
Angebotes.
Die Entwicklung seit der Wende, insbesondere in den neuen Ländern, ist dafür
eigentlich ein guter Beleg: Von den Zeitschriften der DDR-Zeit ist so gut wie keine
übrig geblieben, aber in bestimmten Nischen haben sich spezifische Titel erhalten
oder placieren lassen.
Der Zeitungsmarkt in den neuen Ländern
Umgekehrt haben sich frühere DDR-Zeitungen als stabil erwiesen - gegen alle
Erwartungen, die Leser würden sich von diesen Titeln nach dem Ende des SEDRegimes mit Ekel, Abs cheu und Empörung abwenden. Diese von vielen
(westdeutschen) Verlegern gehegte Hoffnung war völlig unrealistisch, wenn man die
Erfahrungen aus fünfzig Jahren Nachkriegsgeschichte der westdeutschen Presse,
die hier in ihren Grundlinien vorgestellt wurden, berücksichtigt.
In der DDR endete die Zulassungspflicht für Periodika nach der Wende im Februar
1990. 38 Tageszeitungen (darunter 37 mit Vollredaktionen) waren Teil des von der
SED gelenkten Mediensystems, das seit 1952 keinerlei Veränderungen mehr
unterworfen war. Erst die Öffnung und der Fall der innerdeutschen Grenze sowie die
sich anschließende Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion lösten auf dem
ostdeutschen Pressemarkt Konzentrationsvorgänge aus, die - bei durchaus
unterschiedlichen Ausgangsbedingungen - doch weitgehend denen entsprachen, die
auch in Westdeutschland die Entwicklung seit 1949 bestimmt hatten. Die
"Zentralorgane" der Parteien und Organisationen wurden überwiegend eingestellt;
soweit sie unter besonderen Umständen bis heute überlebten, verloren sie 95
Prozent ihrer früheren Auflage und sind weiterhin von Einstellung bedroht. In diese
Kategorie fällt die derzeit letzte Zeitungseinstellung in Deutschland: das frühere
Organ der Ost-CDU "Neue Zeit", gegründet 1945, wurde im Juli 1994 aufgegeben.
Aber die 15 Bezirkszeitungen der SED besaßen und besitzen eine besonders hohe
Leser-Blatt-Bindung, weil im großen und ganzen nur sie eine lokale Berichterstattung
boten. Ihre aus der Vergangenheit bestehende Marktbeherrschung hat sich noch
verstärkt. Die Parallelen zu den vormaligen Lizenzzeitungen in Westdeutschland
liegen auf der Hand. Die früher nur regional und kaum lokal berichtenden Zeitungen
der sogenannten Blockparteien sind dagegen seit 1990 überwiegend eingestellt
worden.
Konzentrationsschub durch Treuhand
Seit der Wiedervereinigung Deutschlands ist damit auch die Konzentration im Markt
der Zeitungen wieder zum Thema der aktuellen medienpolitischen Diskussion
geworden. Die SED hatte ihren Parteizeitungen gegenüber allen anderen Zeitungen
in der DDR eine bevorzugte Stellung eingeräumt. Die daraus erwachsene
herausragende Marktposition - und damit ein Strukturelement der früheren SEDMedienlenkung - hat die Treuhandanstalt noch verfestigt, indem sie diese 15
ehemaligen Bezirkszeitungen 1990/91 jeweils als ganze Betriebe mit allen
technischen Einrichtungen an große westdeutsche Medienunternehmen verkaufte.
Unter diesen waren auch Verlage, die bis dahin vor allem Zeitschriften
herausgebracht hatten, und die dadurch erstmals im deutschen Zeitungsgewerbe
Fuß faßten. Die ausschließlich unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten getroffene
Entscheidung der Treuhandanstalt, die alle ordnungspolitischen Bedenken und
medienpolitischen Einwände außer acht ließ (wobei die Möglichkeit einer
Entflechtung nicht einmal geprüft wurde), erwies sich als verhängnisvoll für die
Zeitungsstruktur in den neuen Ländern und löste den größten Konzentrationsschub
in der deutschen Pressegeschichte aus.
Westliche Neugründungen ohne Chance
So gut wie alle der mehreren Dutzend lokalen Zeitungen, die nach der Öffnung und
dem Fall der Mauer in den neuen Ländern durch etwa 60 kleinere und mittlere
Zeitungsverlage aus dem Westen Deutschlands gegründet worden waren, hatten
deshalb gegenüber den auflagestarken alten ostdeutschen Blättern keine Chance;
die meisten von ihnen sind inzwischen dem intensiven Wettbewerb zum Opfer
gefallen.
1995 sind die 15 ehemaligen SED-Bezirkszeitungen die führenden
Regionalzeitungen in den neuen Ländern. Sieht man von dem (Ost)Berliner und den
drei Thüringer Titeln ab, so haben die übrigen nicht wie früher nur eine Erstanbieter-,
sondern nunmehr eine überwiegende Alleinanbieterposition am Markt. Ihr
Auflagenanteil an der Gesamtauflage aller Abonnementzeitungen in den fünf
Ländern Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und
Thüringen betrug Mitte 1994 91,7%, denen ein Anteil von 3,0% der (wenigen noch
existierenden) Zeitungen der ehemaligen Blockparteien und ein Anteil von 5,3% von
seit der Wende neu gegründeten Zeitungen gegenübersteht. Auch publizistisch hatte
die Fehlentscheidung der Treuhandanstalt einen gravierenden Verlust an Vielfalt zur
Folge: In den neuen Ländern gibt es 1995 neben den 14 Vollredaktionen
("Publizistische Einheiten") dieser Bezirks-/Regionalzeitungen nur noch - jedoch mit
ihnen wirtschaftlich verflochten - die Vollredaktion einer einzigen neugegründeten
Zeitung und zwei Vollredaktionen von Straßenverkaufsblättern.
In "Ost" und "West": Verlust an Vielfalt
Weil die Neu- bzw. Wiedergründungsphase sich in Ostdeutschland 40 Jahre später
als im westlichen Bundesgebiet vollzog, ist der Konzentrationsgrad dort noch höher.
Das läßt sich in drei Zahlen ausdrücken: Es gibt 339 Zeitungsverlage im westlichen,
41 im östlichen Teil des Bundesgebietes, und von den 20 größten deutschen
Abonnementzeitungen wird genau die Hälfte in den neuen Bundesländern verlegt.
Die durch Pressekonzentration eingeschränkte Vielfalt des Angebotes auf lokaler
Ebene ist beiden Teilen Deutschlands gemeinsam. Leipzig besaß nach der Wende
1990 für kurze Zeit sieben lokal berichtende Abonnementzeitungen; heute wird dort
nur noch ein Titel angeboten.
Örtliche Zeitungsmonopole
Die Folgen von Zeitungseinstellungen werden deshalb vor allem sichtbar im
Rückgang der Zeitungsdichte, d.h. dem Angebot, unter dem der Bürger seine
Auswahl treffen kann: Derzeit liegt Berlin (noch) mit sechs Abonnementzeitungen an
der Spitze, aber in 28 von 83 deutschen Großstädten besteht gegenwärtig (1995) ein
örtliches Zeitungsmonopol; in 15 weiteren Großstädten findet Konkurrenz nur noch
zwischen jeweils zwei Zeitungen des gleichen Verlages oder der gleichen
Verlagsgruppe statt. Unter den Großstädten ohne oder mit eingeschränktem
Wettbewerb von Tageszeitungen sind allein acht der 16 Landeshauptstädte der
Bundesrepublik Deutschland. Die Bundesrepublik Deutschland als Ganzes, also Ost
und West, hat derzeit eine durchschnittliche Zeitungsdichte von 1,6, weil 299 von 543
Kreisen im Bundesgebiet (das sind 55,1% aller Kreise) Ein-Zeitungs-Kreise sind, in
denen 38,2% der deutschen Bevölkerung keine Auswahl unter lokal berichtenden
Titeln und damit auch keine "Vielfalt" durch örtlich miteinander konkurrierende
Zeitungen hat.
Gesamtdeutsch haben nun (Stand: 1993) 38% der Verlage von
Abonnementzeitungen mit einem Auflagenanteil von 46% eine Alleinanbieterposition,
in Erstanbieterposition sind 47% aller Verlage mit 44% der relevanten Auflage und
nachrangig sind nur noch 15% der Verlage mit 10% Auflagenanteil, wobei die
letztgenannte Gruppe meist durch Vorgänge "latenter Pressekonzentration" bereits
mit dem größeren Mitbewerber verflochten ist.
Im vereinten Deutschland arbeiten gegenwärtig noch 136 Vollredaktionen
("Publizistische Einheiten"). Es sind wie schon oben erwähnt - damit noch weniger
als 1949 im westlichen Bundesgebiet, nach dem die Alliierten durch Aufhebung des
Lizenzzwanges die Voraussetzungen für einen freien Pressemarkt schufen. Er ist seit
dieser Zeit jedoch nicht vielfältiger geworden. Über Vielfalt der Zeitungen oder Vielfalt
in der Zeitung können wir diskutieren, registrieren müssen wir monopolisierte Einfalt.
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