Ambivalenzen der europäischen Energiepolitik

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Böhme/Dunn: Energiesicherheit, aber wie?
Dimo Böhme und Malcolm H. Dunn
Energiesicherheit, aber wie? – Ambivalenzen der
europäischen Energiepolitik und die Notwendigkeit
einer globalen Lösung
Abstract
Das Streben nach Energiesicherheit ist Dauerthema in der politischen Diskussion, nicht
nur in Europa. Der Wettlauf um Ressourcen gewinnt an Intensität. Die Auffassungen
darüber, was Energiesicherheit bedeutet, sind dabei durchaus unterschiedlich, je nach
Interessenlage der verschiedenen staatlichen und privatwirtschaftlichen Akteure. Die
EU bemüht sich, als Antwort auf die dargestellten Herausforderungen eine gemeinsame
Energiepolitik zu definieren. Interessengegensätze ihrer Mitglieder verhindern dies
bisher. Die drei Hauptziele Versorgungssicherheit, Liberalisierung und Nachhaltigkeit
werden so nur schwer verwirklicht werden können. Doch gerade in Hinblick auf den
Klimawandel wird klar: eine dauerhafte und tragfähige Lösung kann nur global sein,
denn das Energieproblem ist ein globales.
Zwei Konzepte prallen aufeinander
Der starke Anstieg der Öl- und Gaspreise, der 2003 begann, brachte die Energiefrage
erneut auf die politische Tagungsordnung, insbesondere in Europa. Die Öffentlichkeit
wurde daran erinnert, welche zentrale Rolle Energie für unsere Wirtschaft und unser
Wohlergehen spielt. Energiesicherheit, oder auch Versorgungssicherheit, ist seitdem
zum vieldiskutierten Thema geworden. Damit verbunden sind allerdings nicht nur
energie- und wirtschaftspolitische, sondern auch außen- und sicherheitspolitische
Fragestellungen. Es ist die Rede von einer globalen Rohstoffkrise, hauptsächlich
verursacht durch die steigende Nachfrage aus China und Indien. Und gemeint sind
zuallererst auch Energierohstoffe. Die Befürchtung wird geäußert, Energie könnte als
politische Waffe missbraucht werden. Vor dem Hintergrund einer ständig steigenden
Nachfrage nach Energie bei gleichzeitig nachlassender Investitionstätigkeit in
Exploration und Produktion scheint das internationale Gleichgewicht auf den
Weltenergiemärkten bedroht.
Das Konzept der Energiesicherheit allerdings ist nicht allgemeingültig definiert, es
orientiert sich irgendwo zwischen Geopolitik und Marktwirtschaft. Bedeutet
Energiesicherheit in den Augen der Abnehmer zuallererst Sicherheit des Angebots, so
betrachten die Erzeuger vor allem die Sicherheit der Nachfrage. Den neuen
strategischen Trends in den Energiepolitiken der Schlüsselproduzenten von fossilen
Brennstoffen liegen zwei verschiedene Interessenlagen zugrunde. Zum einen die
westliche, darauf ausgerichtet, politische Barrieren für den freien Zugang zu
Rohstoffen, Öl- und Gasreserven auszuräumen und neue Märkte zu öffnen.
Ausländische Direktinvestitionen werden hier zum bestgeeigneten Instrument um Ölund Gassektoren zu entstaatlichen. Nach dieser Auffassung sollte die WTO verbindliche
1
Böhme/Dunn: Energiesicherheit, aber wie?
Regeln für den Zugang zu nationalen Energieressourcen und einen freien Handel mit
Energiedienstleistungen beschließen. Zum anderen gibt es Staaten, die ihre Ressourcen
als Teil ihrer nationalen Souveränität betrachten, und demzufolge danach streben,
möglichst große Kontrolle über die Wertschöpfungskette Produktion – Transport –
Vertrieb - Konsum zu haben. Sie haben ihre eigenen Vorstellungen von Globalisierung
formuliert und wollen an der Weltwirtschaft teilhaben unter der Maßgabe, dass sie ihre
nationalen Interessen wahren und ihre Vorteile optimal nutzen können.1
Im Gegensatz zu den Erwartungen des IWF haben es diese Staaten verstanden, die
Effizienz privaten Managements mit staatlicher Kontrolle zu verbinden.2 So sehen
einige Energieproduzenten die Energieressourcen und Infrastruktur als Mittel, um ihre
geostrategische Position zu stärken. Diese Staaten wenden eher den "BeijingConsensus" an.3 "Wer die Energieversorgung und die Infrastruktur eines Staates
verkauft, verkauft den gesamten Staat und macht die Politik zur Marionette des Geldes",
so beurteilt der russische Präsident Putin die Lage.4 Doch auch in den USA galt und gilt
z.B. der Spruch "The oil business is too important to leave it to the oil people".
Zumindest im Bereich der Energie gilt also das Primat der Politik über wirtschaftliche
Fragestellungen. Ein Rückschlag für die Liberalismusanhänger? Oder nur Einsicht in
das Rationalkalkül der Realpolitik? Die OECD-Länder betonen ihre Sorgen angesichts
der Tatsache, dass 85 Prozent des Weltölmarktes von staatlichen Fördergesellschaften
kontrolliert werden. Die großen börsennotierten Konzerne, die die westlichen
Industrienationen versorgen, haben nur einen entsprechend kleinen Teil der Reserven
unter ihrer Kontrolle. Unterschiedliche Interessen und Motivlagen prallen also
aufeinander und führen zu Konflikten – nicht nur zwischen Erzeugern und
Verbrauchern, sondern auch mit den Transitländern. Und doch handelt es sich nicht um
eine Wiederholung der Rohstoffkrise der 70er Jahre. Die Energieexporteure versuchen
nicht, reinen politischen Druck auf die Konsumenten auszuüben. Sie verstärken ihre
Bemühungen, zu verhindern, dass die eigenen Ressourcen in fremde Hände gelangen
mit dem Ziel, sich ausreichende Energieressourcen für die eigene wirtschaftliche
Entwicklung zu sichern.
Die europäische Energiepolitik
Politikziele auf Gemeinschaftsebene
Vor dem Hintergrund dieser globalen Entwicklungen entsteht die Frage nach einer
europäischen Energiepolitik – gibt es diese überhaupt? Nun, wir haben es jedenfalls
nicht mit einer kohärenten Politik zu tun, sondern es gilt zwischen der Politik seitens der
Europäischen Union, im engeren Sinne der Europäischen Kommission, und den
Energiepolitiken der einzelnen Mitgliedstaaten zu unterscheiden. Das Spannungsfeld,
welches zwischen beiden existiert, ist Ursache einer Reihe von Ambivalenzen und
Inkongruenzen.
1
Dieses Konzept ist unter dem Schlagwort energy sovereignty bekannt. Vgl. auch Danila Bochkarev und
Greg Austin: Energy Sovereignty and Security, East West Institute, New York (2007).
2
Das IWF-Konzept der Liberalisierung des Welthandels wird oftmals als „Washington Consensus“
zusammengefasst und beinhaltet u.a. den Abbau von Handelshemmnissen und den Rückzug des Staates
aus der Wirtschaft.
3
Dabei handelt es sich um sozioökonomische Modelle, die im Gegensatz zu dem "WashingtonConsensus" stehen. Vgl. Joshua Cooper Ramo: The Beijing Consensus, The Foreign Policy Centre,
London (2004), verfügbar unter <http://fpc.org.uk/fsblob/244.pdf>.
4
zitiert nach Kneissl, Karin: Energiepoker. Wie Erdöl und Erdgas die Weltwirtschaft beeinflussen,
Finanzbuch Verlag, München (2006), S. 93.
2
Böhme/Dunn: Energiesicherheit, aber wie?
Während die eigenen verfügbaren Energierohstoffe kontinuierlich abnehmen und nicht
durch neue Funde ersetzt werden, steigt die Nachfrage in allen Branchen stetig um 1-2
Prozent pro Jahr.5 Dies bedeutet, dass die Abhängigkeit der EU von Energieimporten in
naher Zukunft und auch langfristig steigen wird. Wenn also die aktuelle Entwicklung
anhält, wird die EU-Importquote von heute 50 Prozent bis zum Jahr 2030 auf 70
Prozent zunehmen. 90 Prozent ihres Ölbedarfs und 70 Prozent ihres Gasbedarfs wird die
EU dann einführen müssen.
Bereits im Jahre 2000, und erneut im März 2006 schlug die Kommission eine
europäische Strategie für Versorgungssicherheit vor. Laut Grünbuch verfolgt die
Energiepolitik der EU drei Ziele: Versorgungssicherheit, einen funktionierenden
wettbewerblichen Energiebinnenmarkt sowie nachhaltigen Umweltschutz und
insbesondere die Verringerung der CO2-Emissionen.6 Dabei hat die Kommission sechs
Prioritäten formuliert:
• Senkung der Energienachfrage durch Energieeffizienz,
• Sicherstellung ordnungsgemäß funktionierender Strom- und Gasbinnenmärkte,
• Förderung der erneuerbaren Energien,
• bessere Verknüpfung der Energiepolitik mit der Umwelt- und Forschungspolitik,
• Verbesserung der nuklearen Sicherheit und der Sicherheitsüberwachung sowie den
• Ausbau der energiepolitischen Außenbeziehungen.
Angesichts wachsender Importabhängigkeit wächst zwar die Einsicht in die
Notwendigkeit gemeinsamen Handelns, allerdings fehlt bislang der politische Wille im
Ministerrat, um zu klären, welche Maßnahmen auf einzelstaatlicher und
Gemeinschaftsebene notwendig sind. Zum Beispiel wird die Harmonisierung der
Energiesteuern durch das Einstimmigkeitsprinzip im Ministerrat erschwert. Allenfalls
ist die Einhaltung der Klimaverpflichtungen noch konsensfähig. Eine gemeinsame
Energiestrategie fehlt, stattdessen haben wir ein Bündel von Einzelmaßnahmen vom
Binnenmarkt bis hin zur Umweltweltpolitik. Es existiert keine europäische
Energiepolitik, die zu strategischen Entscheidungen führen könnte. Die deutsche
Ratspräsidentschaft hatte sich das Thema Energie auf die Fahnen geschrieben, doch
wird es wohl bei der Annahme eines im Januar 2007 vorgelegten Aktionsplans bleiben,
der im wesentlichen Energieeinsparungen von 20 Prozent bis 2020 vorsieht.
In Ihrem Bericht an den Rat stellt die Kommission fest, dass das legitime Recht der
Mitgliedstaaten, eigene Außenbeziehungen zu führen und den Energiemix selbst zu
wählen, unangetastet bleibt. Dennoch sei eine gemeinsame EU-Energieaußenpolitik
effizienter, um das Ziel der nachhaltigen und ökologischen Versorgungssicherheit zu
erreichen. Auf bilateraler, regionaler und multilateraler Ebene soll ein Dialog mit
Erzeugern, Verbrauchern und Transitländern geführt werden. Die konkret
vorgeschlagenen Maßnahmen sind
1.
2.
3.
4.
5.
6.
die Entwicklung einer verbesserten Energiepartnerschaft mit Russland,
der Ausbau einer neuen Versorgungsinfrastruktur,
die Gründung einer europaweiten Energiegemeinschaft,
die Gemeinschaftshilfe bei Versorgungsnotfällen,
die Vertiefung der Energiebeziehungen und der
Abschluss eines internationalen Abkommens über Energieeffizienz.
5
Piebalgs, Andris: Herausforderungen für die europäische Energiepolitik der nächsten Jahre, Vortrag
auf dem VDEW-Kongress, Berlin 09.06.2005.
6
Verfügbar unter <http://ec.europa.eu/energy/green-paperenergy/doc/2006_03_08_gp_document_en.pdf>.
3
Böhme/Dunn: Energiesicherheit, aber wie?
Das Problem dieser Reglungen besteht darin, dass die Mitgliedstaaten für die drei
genannten
Ziele
der
EU-Energiepolitik
Mitverantwortung
tragen:
Im
Verfassungsvertrag spricht man von geteilter Kompetenz. Damit verbleibt den
Mitgliedstaaten genügend Spielraum, um nationale Interessen durchzusetzen. Diese
Spielräume werden dann ihrerseits von Unternehmen ausgenutzt, um über ihre
Regierungen Druck auf Brüssel auszuüben. Ein Beispiel dafür ist die deutsche
Kohlepolitik. Solange die Kommission nicht die nötigen Kompetenzen hat, um diese
gemeinsame Energieaußenpolitik in Angriff zu nehmen, verbleibt diese im nationalen
Rahmen. Eine Folge davon sind die fehlende Koordination und Widersprüchlichkeit der
europäischen Energiepolitik.
Uneinigkeit und nationale Industriepolitik
Nicht alle Mitgliedstaaten sind gleich stark von der Energieproblematik betroffen. Jeder
Staat hat seinen eigenen Fahrplan und seine eigene Modellpolitik. Dass es ein eigenes
Energiekapitel im erst einmal gescheiterten Verfassungsvertrag gibt, kann man zwar als
Fortschritt betrachten, doch eigentlich wird in ihm lediglich gesagt, was die EU nicht (!)
regeln darf. Insofern war die Kommission auch gegen dieses Kapitel, denn ihr
Handlungsspielraum würde dadurch eher eingeengt statt erweitert. Nationale
Industriepolitiken führen dazu, dass die Übernahme nationaler Konzerne durch andere
europäische Konzerne be- oder verhindert wird. Die Akteure scheinen weit davon
entfernt zu sein, nationale Sichtweisen zu überwinden. Doch den Nationalbegriff mit
der europäischen Identität harmonisch zu verbinden, sieht die EU als wichtige Aufgabe
an. Im Energiebereich ist ihr dies bisher nicht gelungen.
Uneinigkeit, um ein weiteres Beispiel zu zeigen, besteht auch hinsichtlich des
Energiemix. Zum einen gibt es die Gruppe der relativ autarken Länder, die wenig
Energie importieren müssen und die über eigene „sichere“ Energiequellen verfügen. 7
Diese Staaten bestehen auch in Krisenzeiten auf nationaler Verfügung über ihre Öl- und
Gasreserven, was einer gemeinsamen Energiestrategie widerspricht. Andererseits sind
auch diese Staaten über den Höhepunkt ihrer Fördermengen hinweg, mittelfristig
werden auch sie von Exporteuren zu Nettoimporteuren werden. Darüber hinaus gibt es
die Gruppe der Transitländer, die widersprüchliche Interessen vertreten. Zum einen
selbst abhängig, profitieren sie zum anderen nicht unerheblich von den über ihr
Territorium verlaufenden Pipelines und damit von der Abhängigkeit der weiter westlich
liegenden Mitgliedstaaten.
Ein weiteres Thema ist die Förderung alternativer Energien, die nicht harmonisiert ist.
So können die geographischen Vorteile der EU nicht genutzt werden, wenn nationale
Förderung sich nur auf Tätigkeiten im Heimatland bezieht. Bei der Errichtung einer
Solaranlage in Spanien erhält ein deutsches Unternehmen keine deutsche Förderung.
Auch im Bereich der Kernenergie gibt es keine einheitliche europäische Politik, im
Gegenteil, Europa ist in dieser Frage gespalten. In einigen Staaten lehnt die Mehrheit
der Bevölkerung Kernenergie ab, so z.B. in Österreich. Frankreich hingegen wird auch
in Zukunft nicht auf seine Kernenergie verzichten können, dort werden 70 Prozent des
Stroms in Atomkraftwerken produziert, und der politische Wille fehlt, daran etwas zu
ändern. Finnland, Bulgarien und Rumänien bauen neue Kernkraftwerke oder verlängern
die Laufzeiten der bestehenden. Deutschland mit seinem Atomausstieg steht allein.
Konsens hingegen besteht in der Klimapolitik, hier hat die EU mit den Richtlinien über
den Emissionshandel Neuland beschritten. Doch auch bei diesem Thema mussten
nationale Widerstände, z.B. Deutschlands, überwunden werden. Die EU hat sich
7
Dies sind in erster Linie die Nordseeanrainerstaaten Großbritannien, Dänemark und die Niederlande.
4
Böhme/Dunn: Energiesicherheit, aber wie?
verpflichtet, nicht nur im Rahmen des Abkommens von Kyoto die Emission von
Treibhausgasen, vor allem von CO2 zu verringern, sondern sie hat auch die globale
Verringerung der Emissionen um bis zu 70 oder mehr Prozent bis zum Ende dieses
Jahrhunderts zu ihren Zielen erklärt.
Wettbewerb oder Marktmacht?
Bei der Verwirklichung des Wettbewerbs auf dem Binnenmarkt für
Energiedienstleistungen gibt es große Defizite. Dies wird auch bereitwillig von der
Kommission eingeräumt, die wegen der Nichtumsetzung der Gas- und
Elektrizitätsrichtlinie gegen zehn Staaten Verfahren anstrengen musste. Vor allem die
Trennung von Erzeugung und Vertrieb ist nicht verwirklicht. Das betrifft insbesondere
die unternehmerische Verfügungsgewalt über die Verteilernetze. Netzzugang und
Gebühren werden durch nationale Behörden kontrolliert.
In der Praxis haben sich Oligopole gebildet, die Verbraucherpreise sind höher als vor
der Privatisierung. Die Liberalisierung ist nicht vollendet worden. In Deutschland zum
Beispiel beliefern vier große Energieversorger 90 Prozent des nationalen Strommarktes.
Eine Veräußerung der Netze würde die Konzerne ein Großteil ihrer Marktmacht kosten.
Und auch in Brüssel hat man mittlerweile offene Ohren dafür, dass Europa im globalen
Wettbewerb um Energieversorgung Unternehmen benötigt, die es mit anderen Global
Players aufnehmen können. Von einer Politik der nationalen Champions ist die Rede,
wie sie einige Mitgliedsstaaten offensichtlich betreiben. Deutliches Beispiel sind die
Fusionen von EDF und Suez in Frankreich, oder auch der Widerstand gegen die
Übernahme der spanischen Endesa durch EON.8
Die Partnerschaft mit Russland
Die Energiebeziehungen mit Russland sind für die EU von besonderer Bedeutung.
Deutschland als größte Volkswirtschaft in der Union bezieht mehr als ein Drittel seines
Öl- und Gasverbrauchs aus Russland. Für die EU 25 liegen diese Zahlen jeweils über 25
Prozent.9 Laut Schätzungen der IEA wird sich die Importabhängigkeit der EU auf 70
Prozent erhöhen.10 Mit Blick auf die Preiserhöhungen von Gazprom für Weißrussland
und die Ukraine brach in Europa eine Hysterie der Unsicherheit der Energieversorgung
los. Gleichzeitig wird die Liberalisierung des russischen Marktes und der
Transportnetze gefordert. Russland solle endlich die Energiecharta ratifizieren.11
Gazprom ist in der Tat ein Staatsunternehmen mit marktbeherrschender Position im
internationalen Geschäft. Es kontrolliert 61 Prozent der russischen Gasreserven und
verfügt als alleiniger Betreiber der Pipelines über das Exportmonopol. Gazprom
erwirtschaftet ein Großteil der ausländischen Devisen, ein Viertel des
Steueraufkommens des russischen Staates, was die strategische Bedeutung des
Unternehmens für Russland hinreichend erklären dürfte. Die Verträge zur Lieferung
von Gas sind langfristig und preislich an den Ölpreis gekoppelt. Bestrebungen von
Gazprom, eine möglichst umfassende Kontrolle über das Transportnetz anzustreben,
sind aus Kosten- und Sicherheitsgesichtspunkten verständlich. Es ist zu beachten, dass
8
Vgl. Röller et al. (2007), S. 33.
Vgl. <http://www.euractiv.com/de/energie/eu-russland-energiedialog/article-151074>. Zahlen für
Deutschland (2004): 41 Prozent der Gasimporte, 34 Prozent der Ölimporte stammten aus Russland.
10
Vgl. Natural Gas Market Review 2006 – Towards a Global Gas Market, OECD/IEA, Paris (2006).
11
In diesem Vertrag ist vorgesehen, dass die Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) auf den Handel
mit Energie und Energieerzeugnissen mit denjenigen Staaten angewandt werden, die nicht Mitglieder der
WTO sind, den Vertrag über die Energiecharta jedoch unterzeichnet haben. Vgl.
<http://www.encharter.org/index.php?id=28>.
9
5
Böhme/Dunn: Energiesicherheit, aber wie?
gegenwärtig 80 Prozent der russischen Gasexporte in die EU über die Ukraine laufen
und damit eine große Abhängigkeit besteht. Deutschland ist der größte Absatzmarkt und
durch seine zentrale Lage in Europa als Verteiler für russisches Gas bestens geeignet.
Daher auch strebt Gazprom nach Beteiligungen – im übrigen eine gegenseitige
Entwicklung: EON und BASF sind an der Erschließung neuer Gasfelder in Russland
beteiligt.
Diese Politik, zurückgehend auf die Ära Schröder, wird gegenwärtig von der deutschen
Regierung unter dem Stichwort Annäherung durch Verflechtung weitergeführt.12
Verflechtung soll zu gemeinsamen Interessen und Sichtweisen von Produzenten und
Konsumenten führen. Dies ist also die Linie des deutschen Außenministeriums, aber
auch der Europäischen Kommission und der anderen Mitgliedstaaten?
Partnerschaftliche Energiebeziehungen sind auch im Interesse Russlands, denn
Abhängigkeiten sind gegenseitig. Russland ist auf europäisches Know-how und Kapital
angewiesen, um seine Wirtschaft zu modernisieren und den eigenen Energiebedarf
effizienter zu decken. Erforderlich ist dafür ein politischer Realismus auf beiden
Seiten.13 Marktöffnung, Reform und Liberalisierung kann man verlangen, wenn man sie
selbst konsequent umsetzt. Russland befürchtet, dass durch den erleichterten Zutritt
zentralasiatischer Produzenten in sein Gasnetz das gesamte System der langfristigen
Lieferverträge mit den europäischen Kunden gefährdet wäre. Zudem sei für die
Ratifizierung der Energiecharta „keine Gegenleistung der EU erkennbar“. 14 Seine
Ablehnung sieht Russland dadurch bestätigt., dass Energiexporteure wie Norwegen und
Australien ebenso die Ratifizierung verweigern.15 Dazu mag auch das erklärte Ziel
europäischer wie amerikanischer Politik beitragen, durch neue Erdöl- und -gasleitungen
Russland zu umgehen.16 So berechtigt diese Bestrebungen im Sinne der
Diversifizierung sein mögen, so erscheint es doch ratsam, sie im Dialog zu entscheiden.
Zwar führt Europa einen Energiedialog mit Russland und mit der OPEC, doch sind es
die Mitgliedstaaten, die zusammen mit den nationalen Großkonzernen strategische
Entscheidungen beeinflussen. Von einer europäischen Außenpolitik in Sachen Energie
ist man weit entfernt.
Welche Möglichkeiten für internationale Institutionen?
Eine globale Lösung für ein globales Problem!
Zunächst einmal lohnt es sich festzuhalten, dass der privatwirtschaftlich organisierte
Energiesektor erst seit ca. 15 Jahren existiert. Damals begannen die europäischen
Staaten, sich aus der Energieversorgung zurückzuziehen. Mit anderen Worten,
zumindest seit der Entstehung der Nationalstaaten und der Industrialisierung waren
Energiefragen stets von außerordentlichem strategischen und damit politischen
Interesse. Mit der staatlichen Verantwortung für den Energiebereich war die
Versorgungssicherheit gewährleistet, wenn auch verbunden damit, dass
Effizienzgesichtspunkte weniger eine Rolle spielten.
12
Außenminister Frank-Walter Steinmeier, z.B. in einem Interview vom 14.10.2006, verfügbar unter
<http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Infoservice/Presse/Interviews/2006/061014SteinmeierRBB.html>.
13
So Coby van der Linde auf der Konferenz „Energiemix und Versorgungssicherheit“ der KonradAdenauer-Stiftung, Berlin 24.10.2006.
14
Vgl. Götz, Roland, S. 29/30.
15
Vgl. Götz, Roland, S. 29/30.
16
So z.B. die Baku-Tbilisi-Ceyhan-Pipeline, die geplante Nabucco-Pipeline durch die Türkei, oder auch
Überlegungen, Pipelines aus Zentralasien über Afghanistan an die pakistanische Küste zu führen.
6
Böhme/Dunn: Energiesicherheit, aber wie?
Die Antwort auf das gegenwärtige Dilemma der Energiesicherheit besteht darin, das
Problem der Unsicherheit im globalen Kontext anzugehen. Dafür ist die Akzeptanz
verschiedener Sichtweisen und Modelle, wenn man so will, die realistische Betrachtung
jenseits ideologischer Sichtweisen, eine Bedingung. Streben nach Energiesouveränität
resultiert in stärkerer Kontrolle der Energieressourcen und der Transportinfrastruktur.
Dies ist ein normales ökonomisches und politisches Phänomen. Benötigt wird ein
international verbindlicher institutioneller Rahmen dafür.
Nun existieren bereits auf internationaler und regionaler Ebene eine Reihe von
Organisationen und Agenturen, doch keine hat eine universelle Mission, bindende
Regeln oder gar ein Mittel, um den Gegensatz zwischen Erzeugerländern und
Konsumentenländern zu überwinden. Es wäre Aufgabe einer solchen Institution,
Strategien zu beiderseitigem Vorteil zu entwickeln. Nötig ist die konstruktive
Diskussion um Investitionsbedingungen und Zugang zu Transportsystemen und
Ressourcen. Die Vernachlässigung oder Geringschätzung neuer politischer Trends im
Energiebereich kann Konflikte entstehen lassen, die zur Bedrohung für die globale
Sicherheit werden. Erwähnt sei nur das Beispiel Iran, wo sich die internationale
Gemeinschaft nicht in der Lage zeigt, ein effizientes und zu beiderseitigem Vorteil
gereichendes Überwachungssystem für das Nuklearprogramm einzurichten.
Bisher fehlen die internationalen Institutionen, die Energiesicherheit garantieren
könnten. Zwar hat insbesondere die IEA versucht, ihre Aufgaben um Energiesicherheit,
wirtschaftliche Entwicklung und Umweltschutz zu erweitern. Doch ist es ihr nicht
gelungen, zum internationalen Forum für Energiesicherheit, Technologietransfer und
Umweltproblematik zu werden. Sie bleibt eine Veranstaltung der reichen entwickelten
Länder. Die BRIC-Staaten17 und traditionelle Lieferländer wie Saudi-Arabien sind keine
Mitglieder. Die ganz überwiegende Zahl von Energieressourcen befindet sich so
außerhalb des Territoriums der IEA-Mitglieder, genauso wie die Hälfte des
Weltenergiekonsums. Der IEA gelang es nicht, ein Kooperationsrahmenabkommen mit
Energielieferländern abzuschließen.
Andere supranationale Strukturen sind indes auch nicht besser als die IEA geeignet, um
auf das Problem der Energiesicherheit zu reagieren. Die G8 bieten nur einen formalen
Rahmen, das International Energy Forum in Saudi-Arabien versammelt die
Energieminister der Produzenten- und Konsumentenstaaten, allerdings ohne feste
Struktur und klar formulierte Aufgabe. Die OPEC ist lediglich ein Kartell
erdölexportierender Staaten, ähnliche Bestrebungen gibt es inzwischen auch bei den
Gasexporteuren. Ein Forum zur Streitschlichtung für Transit- und Investmentthemen
wurde mit der Energiecharta vorgeschlagen. International bindende Regeln sind aber die
Voraussetzung für die Einrichtung eines internationalen Schiedsgerichtes für
Energiefragen.
Empfehlungen für ein umfassendes Energiekonzept
Ein globales Energiesicherheitskonzept sollte, unter Beachtung der Umweltaspekte, auf
den Marktgesetzen von Angebot und Nachfrage beruhen. Für den Fall, dass die Märkte
nicht schnell genug auf die Nachfragesignale reagieren, sollten Vorsorgemechanismen
geschaffen werden. Das Konzept von Energiesicherheit sollte in diesem Kontext
entpolitisiert und neu definiert werden. Nur so können die Energiemärkte stabilisiert
und die Bedingungen für Entwicklung und Einsatz neuer Technologien geschaffen
werden. Nationale Sicherheitspolitik an sich kann keine Energiesicherheit schaffen, aber
auch Marktkräfte können nicht allein für das gesamte globale Energiesystem
verantwortlich sein.
17
Brasilien, Russland, Indien, China.
7
Böhme/Dunn: Energiesicherheit, aber wie?
Ein neues globales Energiesicherheitskonzept sollte die Interessen aller Stakeholder
einbeziehen. Eine Priorität dabei müssen nationale Notfall- und Vorsorgeprogramme
sein, die es auf internationalem Level zu organisieren gilt. Die überwiegende Mehrzahl
der Staaten verfügt nicht einmal über die einfachsten Krisenprogramme. Ein
internationaler Mechanismus sollte geschaffen werden, der das Teilen von Information
und best practices sicherstellt. Das Notfallreaktionsprogramm der IEA kann dafür
theoretisch die Grundlage sein. Es umfasst z.B. das Speichern von Ölreserven und einen
Plan für ihre Nutzung im Bedarfsfall, Nachfragebegrenzungen, Kraftstoffsersatz,
nationale Notfalloperationen, Hilfestellung und Rat für die Industrie.
Die internationale Gemeinschaft muss zudem konkrete Maßnahmen ergreifen, um dem
Klimawandel zu begegnen. Dieser ist als Folge der extensiven Nutzung fossiler
Brennstoffe eine der bedeutendsten Bedrohungen des 21. Jahrhunderts, und zwar in
Umwelt-, wirtschaftlicher, politischer und sozialer Hinsicht. Deshalb muss in eine
nachhaltige kohlenstofffreie Energiegewinnung investiert werden. Letztlich kommen
dafür, insbesondere auch unter wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten, nur globale
Lösungen in Frage. Staaten wie Indien und China, die die künftigen Energiemärkte
entscheidend mitbestimmen, müssen eingebunden sein. Bindende Vereinbarungen, etwa
ein verschärftes Kyoto-Protokoll sind nötig. Einhergehen mit einer Neuausrichtung auf
erneuerbare Energien muss die Steigerung der Energieeffizienz in Bezug auf nukleare
und herkömmliche Energien. Wenn immer möglich, sollte marktwirtschaftlichen
Instrumenten wie z.B. dem Emissionshandel Vorrang gewährt werden, denn über die
Einpreisung negativer Umwelteffekte und die damit verbundenen Anreizänderungen
werden neue Energien und Technologien am effizientesten gefördert.
Eine weitere Bedingung für einen Weltenergiemarkt ist der Ausbau des
Transportsystems. Globale Energiesicherheit ist nur mit neuen Netzen möglich. Zwar
sind Nordamerika und Europa mit einem dichten Pipeline- und Elektrizitätsnetz
überzogen, doch diese Netze sind lokal und regional kaum vernetzt. Im Falle größerer
Störungen ist es ziemlich schwierig, Stromgenerierungskapazität zu ersetzen und
zusätzliche Energielieferungen sicherzustellen. In der EU beschränken die fehlenden
Verbindungen dadurch das Prinzip der Energiesolidarität zwischen den Mitgliedstaaten.
Fehlende Kapazitäten in den dürftigen Netzverbindungen behindern auch den
angestrebten Wettbewerb.18 Industrielle wie private Konsumenten sind von einer sehr
begrenzten Anzahl lokaler Versorger abhängig. Große Unsicherheit herrscht über die
tatsächlich vorhandenen Energieressourcen. Verschiedene Systeme zur Bewertung und
Messung tragen zur Unklarheit bei. Diese müssen vereinheitlicht werden. Indes
beschränkt sich dieses Auditing nicht auf die fossilen Brennstoffreserven, sondern
ebenso auf Investitionsmöglichkeiten, Zeithorizonte und technologischen Fortschritt.
Natürlich gehört auch die Diskussion alternativer Energiequellen und deren Reichweite
dazu. Denn auch wenn diese theoretisch das Potential haben, die wachsende
Energienachfrage zu bedienen, tragen sie derzeit gerade 1 Prozent zur Deckung bei.
Des weiteren muss die Konvergenz der drei regionalen Gasmärkte 19 mit einem
transparenten und vorhersagbaren Preisregime unterstützt werden, ebenso wie es
wichtig ist, Spekulationen wie auf dem Ölmarkt zu begrenzen. Ein Durchbruch in neuen
Technologien bezüglich der Gasverflüssigung, clean coal etc. sollte genutzt werden, um
die Interoperabilität zu verstärken und die Abhängigkeit von nur einer Energiequelle zu
reduzieren. Regierungen sollten eng mit dem privaten Sektor zusammenarbeiten, um die
politischen und technologischen Grundlagen für einen wirklich globalen Energiemarkt
zu schaffen.
18
19
Vgl. <http://www.neueenergie.net/index.php?id=1355>.
Europa, Asien und Nordamerika.
8
Böhme/Dunn: Energiesicherheit, aber wie?
Bibliographie:
Bochkarev, Danila und Greg Austin: Energy Sovereignty and Security, East West Institute,
New York (2007)
Europäische Kommission: Grünbuch zur Energie: Eine europäische Strategie für nachhaltige,
wettbewerbsfähige und sichere Energie, 8. März 2006
Götz, Roland: Die Debatte um Europas Energieversorgungssicherheit, Stiftung Wissenschaft
und Politik (SWP), Berlin (2007)
Grewe, Hartmut: Energiesicherheit als strategisches Ziel - Anforderungen an eine
Energieaußenpolitik, Analysen und Argumente aus der Konrad-Adenauer-Stiftung, Nr.
36/2006
Haus Rissen Hamburg – Internationales Institut für Politik und Wirtschaft: Nationalstaaten
verhindern gemeinsame europäische Energiepolitik, aktuelle Analyse Nr. 156, 24. März 2006
Notz, Kristina: Energie für Europa - Im Spannungsfeld von Sicherheit, Nachhaltigkeit und
Wettbewerb, Centrum für Angewandte Politikforschung (CAP aktuell Nr. 5/2006), LudwigMaximilians-Universität, München 2006
Röller, Lars-Hendrik, Juan Delgado und Hans W. Friederiszick: Energy: Choices for Europe,
European School for Management and Technology (ESMT), Berlin (2007)
Umbach, Frank: Globale Energiesicherheit. Strategische Herausforderungen für die
europäische und deutsche Außenpolitik, Forschungsinstitut der DGAP, Reihe „Internationale
Politik und Wirtschaft“, Bd. 70, Oldenburg, München 2003
Van der Linde, Coby et al.: Study on Energy Supply Security and Geopolitics – Final Report,
Clingendael Institute for International Relations, Den Haag (2004)
9
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