Sehr geehrte/r Frau/Herr MdB ............, ich wende mich an Sie in Ihrer Funktion als Abgeordnete/r des Deutschen Bundestages. In den letzten Tagen habe ich aufmerksam den nun vorliegenden ESM Vertrag gelesen. Darin stehen viele Dinge, die mich verwundert haben. Etwa jene Paragraphen, die beschreiben, dass der ESM nicht an Moratorien und ähnliches gebunden sein soll, auch die Unverletzlichkeit der Räumlichkeiten finde ich bedenklich. Wenn z.B. die EU ein Öl-Handelsembargo gegen den Iran verhängt, so kann der ESM trotzdem mit diesem Öl handeln. Auch eine Durchsuchungsaktion wie vor kurzem im Bundespräsidialamt, wegen des ehemaligen Sprechers von Christian Wulff, wäre beim ESM nicht denkbar. Diese beiden Hinweise mögen zunächst genügen. Wirklich ernsthaft beunruhigend sind aber jene Dinge, von denen im Vertrag nicht die Rede ist. Es gibt keine Regelung, die sich damit befasst, wie der ESM jemals wieder enden oder auslaufen könnte. Auch wenn heute viele aus finanzpolitischen und wirtschaftlichen Gründen diese Institution "dauerhaft" haben wollen, so heißt das doch nicht, dass sie "ewig" bestehen muss. Was spräche dagegen, in einem Artikel etwa folgendes zu formulieren? (Erster Vorschlag: "Die Staats- und Regierungschefs der ESM Mitgliedsstaaten prüfen regelmäßig alle 5 (oder 10 oder 12) Jahre, ob der Fortbestand des ESM weiterhin sinnvoll ist und entscheiden mit einfacher Mehrheit. Sollte der ESM beendet werden, laufen mit einer Übergangfrist von 3 (oder 5) Jahren die Geschäfte des ESM aus, die eingezahlten Beträge fließen an die beteiligten Staaten zurück.") (Zweiter Vorschlag, eleganter, logischer, knapper: „Der ESM wird automatisch beendet, wenn die Mitgliedsstaaten über mindestens 2 Jahre hinweg im Durchschnitt Zinsen für ihre Staatsanleihen bezahlen, die auf oder unter Vorkrisenniveau liegen.) Der Fiskalpakt, die schon bestehenden EU-Verträge, auch die an strikte Disziplin geknüpften Kredite des ESM selbst sollen und müssen dafür sorgen, dass die Finanzlage (Euro-)Europas wieder stabil und ruhig wird. Aber wenn diese Maßnahmen ihr Ziel in einigen Jahren erreicht haben, wird logischerweise die Existenzberechtigung des ESM nicht mehr gegeben sein. Den Erfolg des ESM wird man daran messen können, dass er sich überflüssig gemacht hat. Aus diesem Grund ist das Einfügen eines Artikels - in etwa so wie oben formuliert - sinnvoll, logisch und notwendig. Denn einerseits ist das Recht, eine Institution wie den ESM mit seiner überragenden Fülle an Macht einzurichten, an eine Not- und Krisensituation gebunden, andererseits wird der dauerhafte Betrieb des ESM ja mit hohen finanziellen Kosten verbunden sein, die immer im Verhältnis zum Nutzen stehen müssen. Nach meinem Verständnis von Demokratie gehört ein weiterer Artikel unbedingt in den Vertrag hinein. Es ist nämlich bisher nirgendwo geregelt, wie ein Staat, der einmal dem ESM beigetreten ist, wieder austreten könnte. Sicher, es sollen Entschlossenheit und Dauerhaftigkeit mit dem ESM verbunden sein. Niemand kann daher ein Interesse daran haben, dass ständig Mitglieder kommen und gehen wie sie wollen. Also wäre ein Austritt aus dem ESM mit langen Fristen und ggf. auch Strafzahlungen zu verbinden. Dennoch muss eine solche Möglichkeit im Prinzip aus folgendem Grund geschaffen werden: Angenommen eine demokratisch mit großer Mehrheit gewählte Regierung, die dem ESM gegenüber ablehnend eingestellt ist, übernimmt die Amtsgeschäfte in einem ESM Staat. Diese Regierung eines Nationalstaates, die ja immerhin die Wählermeinung des Volkssouveräns widerspiegelte, hätte in der vorliegenden Vertragsfassung nicht einmal eine langfristige Möglichkeit, den Wählerwillen auch umzusetzen. Rechtlich unterliegt der ESM als völkerrechtlicher Vertrag dem „Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge (WKV)“, dabei sind besonders die Artikel 54 und 56 im Abschnitt 3 von Bedeutung. Dort heißt es: Artikel 54 Beendigung eines Vertrags oder Rücktritt vom Vertrag auf Grund seiner Bestimmungen oder durch Einvernehmen zwischen den Vertragsparteien. Die Beendigung eines Vertrags oder der Rücktritt einer Vertragspartei vom Vertrag können erfolgen a) nach Maßgabe der Vertragsbestimmungen oder b) jederzeit durch Einvernehmen zwischen allen Vertragsparteien nach Konsultierung der anderen Vertragsparteien. Artikel 56 (1) Ein Vertrag, der keine Bestimmung über seine Beendigung enthält und eine Kündigung oder einen Rücktritt nicht vorsieht, unterliegt weder der Kündigung noch dem Rücktritt, sofern a) nicht feststeht, dass die Vertragsparteien die Möglichkeit einer Kündigung oder eines Rücktritts zuzulassen beabsichtigten, oder b) ein Kündigungs- oder Rücktrittsrecht sich nicht aus der Natur des Vertrags herleiten lässt. Selbst für einen Nicht-Juristen ist offensichtlich, dass eine Beendigung oder ein Rücktritt, ohne eine Verankerung im ESM-Vertrag, wegen der vorgesehenen „Einvernehmlichkeit“ (Artikel 54 Buchstabe b) außerordentlich schwierig, wenn nicht gar unmöglich sein wird. Sogar ein Austritt aus der Euro-Zone oder gar aus der EU selbst, ist noch kein Garant für einen Austritt aus dem ESM, da dieser ja zwischen Staaten, völlig unabhängig von der EU und deren vertraglichen Vereinbarungen, geschlossen wurde. Auf der anderen Seite ist in beiden genannten Artikeln des Wiener Übereinkommens ausdrücklich die Rede davon, dass Austritt und Ende im Vertrag geregelt werden können. Im Vertragsentwurf vom 2.2.2012 wird der Terminus „Einvernehmen“ mit „Einstimmigkeit“ definiert. Der Begriff „Qualifizierte Mehrheit“ wird dort übrigens auf 80 % festgelegt. Nach meinen bisherigen Ausführungen wird es Sie nicht überraschen, dass ich persönlich aus verschiedenen Überlegungen heraus den ESM Vertrag grundsätzlich ablehne. Angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Bundestag, wird aber der Vertrag dort absehbar mit großer Wahrscheinlichkeit gebilligt werden. Dennoch könnten Gegner und Befürworter des ESM Vertrages in einer Ablehnung des „Ewigkeits-Aspekts“ mit guten Gründen geeint sein. Denn der ESM Vertrag mit seinen überragenden Befugnissen ist aus der Krise geboren und für die Krise gemacht, aber für die „Ewigkeit“ konstruiert. Dies kann auch nicht im Sinne der grundsätzlichen Befürworter des ESM sein. Sehr geehrte/r Frau/Herr ................., ich möchte Sie daher bitten, sich bei den Beratungen zum ESM im Bundestag für die Aufnahme der zwei zusätzlichen, oben skizzierten Artikel in den ESM Vertrag einzusetzen. Sollte die Aufnahme weiterer Artikel nicht durchführbar sein und über den ESM Vertrag nur "ganz oder gar nicht" im Bundestag abgestimmt werden, so möchte ich Sie eindringlich bitten, den Vertrag in dieser Form aus den genannten Gründen abzulehnen. Am 20. Februar 2012 wird die Regierung voraussichtlich über den ESM Vertrag beraten. Falls Sie meine Argumentation stichhaltig finden, wäre es sicher sinnvoll, diese an die Minister weiterzuleiten, damit die genannten Aspekte auch innerhalb der Regierung beraten werden können. Mit freundlichen Grüßen ............(Name und vollständige Adresse)