Gert Pickel Politische Kultur und Demokratieforschung 1. Einleitung: Das Interesse an der Erforschung politischer Stabilität In der Anfangszeit der Politikwissenschaft, setzte sich die Analyse politischer Systeme hauptsächlich mit den Institutionen und systemischen Gegebenheiten politischen Handelns auseinander. Der Bürger kam in diesen Betrachtungen häufig nur am Rande vor und spielte für das politische Geschehen eine untergeordnete Rolle. Er war ja diesen Ansätzen zufolge überwiegend von Außenbedingungen determiniert und entsprechend handlungsbeschränkt. An dieser Sichtweise änderte sich erst mit Beginn der 1960er Jahre etwas. Abgeleitet aus den Grundgedanken der Systemtheorie Talcott Parsons (1951), den Erfahrungen der Entwicklungsländerforschung, dem Behaviorismus verbunden mit den neuen Möglichkeiten der Surveyforschung, entwickelten verschiedene angelsächsische Politikwissenschaftler (Gabriel Almond, Sidney Verba, David Easton, Seymour M. Lipset) Konzepte, die den Bürgern einen größeren Einfluss auf Stabilität und Wandel politischer Systeme zuwiesen. Diese Konzepte wurden in der Folgezeit unter dem analytischen Ansatz der politischen Kulturforschung zusammengefasst. 1 Sie stellten den Rahmen für eine Vielzahl theoretischer Überlegungen und empirischer Analysen, die versuchten, Aussagen über die Verankerung der politischen Systeme in ihren Gesellschaften vorzunehmen. Das zentrale Ziel der politischen Kulturforschung ist die Erfassung „subjektiver“ Rahmenbedingungen, welche die Stabilität eines politischen Systems fördern oder aber gefährden. Dabei kommt dem Wertegerüst der Bürger und ihren Einstellungen zur politischen Struktur eine wichtige Rolle zu. 2 Fehlt eine zumindest positiv-neutrale Haltung gegenüber dem politischen System, dann unterliegt dieses im Krisenfall (egal, ob er nun ökonomisch, politisch oder sozial ist) der Gefahr eines Zusammenbruchs. Schließlich sind die Bürger nicht bereit, für das gegenwärtige System einzutreten, und dieses findet hinsichtlich seiner Regeln und Normen immer weniger Folgebereitschaft in der Bevölkerung. Auf der Gegenseite muss allerdings auch die politische Struktur, zum Beispiel die Institutionen des Systems, den Erwartungshaltungen der Bürger gerecht werden. So werden republikanische bzw. demokratische Einstellungen der Bürger eher zum Sturz einer Monarchie als zu deren Bestehen beitragen. Konsequenz: Nur eine Kongruenz zwischen einer vorherrschenden politischen Struktur und ihrer politischen Kultur (der 1 2 Dieser analytische Begriff ist von einem normativen Verständnis von politischer Kultur zu unterscheiden, der politische Kultur im Sinne politischer Umgangsformen oder Politikstile versteht und sie zumeist unter einem wertenden Aspekt (Verstoß, Mangel, Verlust usw.) betrachtet. Für wissenschaftliche Zwecke ist der analytische – und originär wertneutrale – Zugang zu politischer Kultur eindeutig zu bevorzugen, wenn nicht sogar unvermeidlich. An dieser Stelle ist es wichtig anzumerken, dass nicht dem Einzelbürger und dessen Einstellungen, sondern dem Kollektiv und dessen repräsentativen Überzeugungen das Augenmerk der politischen Kulturforschung gilt. 2 Gert Pickel gesammelten Überzeugungen der Bürger zum System) kann eine Persistenz des Systems über einen längeren Zeitraum sichern. So benötigen zum Beispiel demokratische Institutionen eine demokratische politische Kultur, um sich entfalten zu können. Dies impliziert ein gewisses Wohlwollen der Bürger gegenüber der Struktur ihres demokratischen Systems und die Akzeptanz demokratischer Grundwerte wie auch die Einhaltung der demokratischen Regeln durch die Politik. Es gilt also: Nur wenn keine größeren Gruppen in einem politischen System existieren, die dieses ablehnen oder – noch problematischer – abschaffen wollen, ist dessen Überleben über eine längere Zeit zu erwarten (vgl. Diamond 1999).3 Im Gegenteil benötigt ein demokratisches System sogar eine möglichst weit verbreitete Anerkennung seiner Grundprinzipien, was nicht bedeuten muss, dass der Bürger immer mit allen Entscheidungen oder den aktuell Regierenden einverstanden sein muss. Aus den letzten Ausführungen wird bereits erkennbar, dass die politische Kulturforschung von ihrem Beginn an vor dem Hintergrund demokratischer Systeme gedacht wurde. Zwar verweisen nahezu alle Ansätze der politischen Kulturforschung auf die allgemeine Anwendbarkeit des Konzeptes, also seine Passförmigkeit für die Erklärung verschiedener, auch autoritärer politischer Systeme. Faktisch effektiv erwies es sich aber bei der Anwendung auf demokratische Systeme oder Systeme, die bereits auf dem Weg zur Demokratie waren (Transformationsstaaten). Diese Ausrichtung resultiert einerseits aus der Herkunft der Begründer dieses Ansatzes, ist aber auch eine Folge der engen methodischen Anbindung an das Instrumentarium der Umfrageforschung. Diese unterliegt in autoritären Systemen methodologischen Problemen (Effekte sozialer Erwünschtheit), die eine verlässliche Messung der Haltungen zu politischen Ordnungen (und insbesondere zu Aspekten der Demokratie) erheblich erschweren, wenn nicht unmöglich machen. Um Aussagen über die politischen Kulturen treffen zu können, benötigt man aber genau diese Ergebnisse. In den letzten Jahren, genauer seit Beginn der Transformation Lateinamerikas und Osteuropas, hat sich das zwischenzeitlich etwas erlahmte Interesse an der politischen Kulturforschung revitalisiert. Hierzu führten die Fragen nach der (zukünftigen) Stabilität gerade junger Demokratien, der Bedeutung der Bevölkerung im Rahmen des institutional engineering und das gestiegene Interesse an differenzierteren Analysen demokratischer Systeme. Mithin kann man sagen, dass die frühere Krisenwissenschaft4 zu einer wichtigen Ergänzung der generellen Bestimmung der Demokratie in einem Land und damit auch der vergleichenden Politikwissenschaft geworden ist. Diese neue Relevanz zeigt sich auch in der Responsivität anderer Zugänge auf die politische Kulturforschung. So integriert mittlerweile der Neo-Institutionalismus kulturelle Aspekte genauso wie Varianten der Rational Choice-Theorie dies tun. Im Folgenden will ich nun eine – notwendigerweise kurze – Übersicht der Entwicklung der politischen Kulturforschung geben und anschließend diese Überlegungen mit der sich neu ausdifferenzierenden Demokratieforschung5 verbinden.6 3 4 5 Leider bleibt Diamond (1999) genaue Größenordnungen schuldig. In der Regel sollte die Zahl der aktiven Befürworter die der Systemgegner übersteigen und bei zumindest ca. 70 Prozent der Bürger eine neutrale Haltung zum politischen System bestehen. Krisenwissenschaft deswegen, weil gerade in Übergangszeiten und bei Systemzusammenbrüchen ein Rückgriff auf die politische Kulturforschung erfolgte. Sind Systeme stabil, wird der politischen Kultur zumeist wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Hier handelt es sich wohl um den Bereich der Politikwissenschaft, der die größten Zuwachsraten an Forschern auf sich vereint. Dies drückt sich auch in der Etablierung eines eigenständigen „Arbeitskreises Demokratieforschung“ im Rahmen der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft aus. Politische Kultur und Demokratieforschung 3 2. Die Anfänge Als Ausgangspunkt einer analytischen Untersuchung des Phänomens „politische Kultur“ kann die 1959 von Gabriel Almond und Sidney Verba (1963) durchgeführte Untersuchung der politischen Kulturen von fünf Nachkriegsstaaten (USA, Großbritannien, Italien, Bundesrepublik Deutschland und Mexiko) gelten. In der „Civic Culture“-Studie wurde aus einer Verbindung theoretischer Überlegungen, historisch-konfigurativen Begründungen sowie Umfrageergebnissen eine Grundtypisierung von „politischen Kulturen“ herausgearbeitet. Diese Typisierung resultierte aus der Konfiguration der Rollenstrukturen von Bürgern und Herrschenden im Verhältnis zur politischen Struktur. Almond und Verbas zentrale Frage war die nach der Stabilität eines politischen Systems, welche sie aus dem Verhältnis von Struktur und Kultur ableiteten (vgl. S. Pickel/G. Pickel 2006: 66-69). Als politische Kultur verstanden sie die gesammelten auf das politische System ausgerichteten Einstellungen und Wertorientierungen der Bürger eines Landes, welche die Folge historischer Prozesse und kollektiv ähnlicher individueller Sozialisation darstellen. Aus der Trägheit der beiden aufgeführten Prozesse lässt sich – so Almond und Verba (1963, 1980) – auf eine Dauerhaftigkeit der politischen Kultur schließen. Almond und Verba differenzieren dabei die politischen Überzeugungen in vier grundsätzliche Zielbereiche: (1) Den ersten Bezugspunkt bildet die Empfindung des Egos oder Selbstbildes (des einzelnen Bürgers) innerhalb des politischen Systems. Es reflektiert seine eigenen politischen Überzeugungen, wie zum Beispiel politisches Interesse oder politisches Wissen. Diese Einstellungen entwickeln sich zuerst relativ unabhängig vom politischen System eines Landes und weisen – im Gegensatz zu den drei weiteren Orientierungen – als Zielpunkt kein konkretes politisches Objekt auf. (2) Ein für die Demokratieforschung zentraler Orientierungspunkt sind die Einstellungen gegenüber den strukturellen Systemcharakteristika, also dem politischen System selbst. In ihnen wird eine Gesamtbewertung der herrschenden Ordnung vorgenommen, die einen relativ pauschalen Charakter annimmt. Die Orientierungen beziehen sich auf die politischen Strukturbedingungen (z. B. die Demokratie als Regierungsform, die politischen Institutionen an sich) und sind teilweise etwas unpräzise, was ihr konkretes Ziel angeht. (3) Beide Überzeugungskomplexe werden begleitet von der Bewertung der Beziehungen zwischen Ego und dem politischen System. Dies sind einerseits die Orientierungen gegenüber den Inputmöglichkeiten des Bürgers in den politischen Prozess und andererseits (4) die Orientierungen gegenüber dem Output eines politischen Systems. Die Inputbewertung bezieht sich vornehmlich auf die Bewertung der Teilhabe des Bürgers am politischen Leben und seine Möglichkeit, in einer Demokratie etwas (Konstruktives) bewirken zu können. Dabei sind die Orientierungen nicht auf die eigenen Aktivitäten, sondern auf die vorhandenen Strukturen für das Einbringen von Input ausgerichtet. Die Outputbewertung beinhaltet die Evaluation der Leistungsfähigkeit der politischen Autoritäten und des politischen Regimes. Dies betrifft politische Entscheidungen verschiedenster Färbung und Resultate unterschiedlicher Policy-Prozesse. Konkrete Ergebnisse der Politik des Systems werden wahrgenommen (kognitive Dimension), es besteht eine Haltung dazu (affektive Dimension) und sie werden bewertet (evaluative Dimension). Entsprechende Orientierungen können auch bei einer größeren Distanz zum politischen System an sich ausgebildet werden. Zu allen politischen Objekten können sowohl 6 Eine ausführliche Darstellung der politischen Kulturforschung und der neueren Ansätze der Demokratieforschung bzw. Demokratiemessung findet sich in dem Lehrbuch von S. Pickel/G. Pickel (2006). 4 Gert Pickel kognitive, affektive als auch evaluative Orientierungen eingenommen werden. Mit der kognitiven Komponente wird das Wissen der Bürger über bestimmte Zusammenhänge des jeweiligen Objektbereichs angesprochen, affektive Orientierungsmuster beschreiben Gefühle und evaluative Bewertungen umfassen die Bewertungen der Objekte. Die Verteilung der Orientierungsformen in der Bevölkerung hinsichtlich der politischen Objekte definiert im Folgenden die vorherrschende politische Kultur eines Landes (siehe Tabelle 1). Mit der Verbindung zwischen den individuellen Orientierungen der Bürger (Kognitionen, Evaluationen und affektive Orientierungen) und politischen Objekten (System, Ego, Output, Input) wird der Übergang von der Ebene der individuellen Einstellungen zur Abbildung politischer Kultur auf der Länderebene, also der Aggregatebene, vollzogen. Aussagen über die politische Kultur sind grundsätzlich Aussagen über Länder bzw. Regionen und nicht über die einzelnen Individuen. Die Beurteilung der Einstellungen der einzelnen Bürger erfolgt als Information über Denken und Verhalten der Bürger als Kollektiv. Dies schließt nicht aus, dass auch individuelle Orientierungen für die politische Kulturforschung von Interesse sind, sie werden innerhalb der Länder mit Blick auf spezifische Beziehungsmuster zu anderen Einstellungen oder sozialen Umfeldbedingungen untersucht.7 Tabelle 1: Dimensionen politischer Überzeugungen Zielbereiche oder Objekte politischer Orientierungen Cognition (kognitive Dimension) Affect (affektive Dimension) Evaluation (bewertende Dimension) Typen politischer Kultur Parochial Culture Subject Culture Participant Culture Anm.: System as General Object Input Objects Output Objects Self as Object (Ego) 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 0 1 1 0 0 1 0 1 1 0 0 1 Der Wert 1 bedeutet das Vorhandensein dieser Orientierung in der betrachteten politischen Kultur; 0 bedeutet ein Fehlen dieser Orientierung in einer politischen Kultur. Quelle: Eigene Kombination nach Almond/Verba (1963: 16f.). Aus den unterschiedlichen Kombinationen von Orientierungsformen und Zielobjekten ergeben sich unterschiedliche Typen von politischen Kulturen (vgl. Almond/Verba 1963: 16f.; siehe Tabelle 1). Die Beziehung zwischen Bürgern und Staat ist in der Parochial Culture durch wechselseitige „Nichteinmischung“ geprägt. Der Bürger ist an Politik generell uninteressiert, politisch kenntnisarm, inaktiv und besetzt keine politischen Rollen. Er stellt keine Erwartungen an das politische System und führt die Vorhaben der Regierung aus, ohne groß darüber nachzudenken. Beispiel sind Stammesund Feudalkulturen mit uneingeschränkter göttlich gegebener Autorität der Herrschenden. In der Subject Culture beurteilt der Bürger sowohl die Leistungen der herrschenden Eliten (Output) als auch das politische System als Gesamtheit. Sich selbst sieht er aber nicht als politischen Akteur und betrachtet die politischen Prozesse aus einer eher unpolitischen Distanz. Obwohl er politisch kompetent sein kann, zeichnet sich der Bürger durch Passivität aus, was zur deutschen Bezeichnung dieses Typs als „Untertanenkultur“ führte. Ein Beispiel hierfür stellt das deutsche Kaiserreich dar. In der Participant Culture besitzen 7 Der Grundgedanke hinter solchen Analysen ist die Isolation der Gründe für die Ausprägung der individuellen Haltungen. Politische Kultur und Demokratieforschung 5 die Bürger ein grundlegendes politisches Wissen, nehmen an der Entwicklung des Systems teil und bringen sich dort (konstruktiv) ein. Diese Typen politischer Kultur sind allerdings theoretisch konstruierte Idealtypen, deren Auftreten in dieser Form in der Realität eher unwahrscheinlich ist. Sie werden durch vier Typen „of systematically mixed political cultures“ (Almond/Verba 1963: 23) ergänzt: Der Parochial-Subject Culture, der Subject-Participant Culture der Parochial-Participant Culture und der Civic Culture (S. Pickel/G. Pickel 2006: 63-65). In letzterer finden sich starke partizipative Orientierungen, ein positives Einstellungsgefüge hinsichtlich der Strukturen des politischen Systems und der politischen Prozesse, aber interessanterweise auch Elemente der Untertanenkultur. Anders als vielleicht erwartet, wird nicht die Participant Culture, sondern der Mischtyp der Civic Culture als Abbild demokratischer Systeme angenommen. Die nicht-partizipativen Elemente der politischen Kultur sollen die Regierbarkeit eines politischen Systems durch eine zumindest grundlegende Akzeptanz und Folgsamkeit hinsichtlich der Entscheidungen der Herrschenden gewährleisten. Diese Staatsbürgerkultur ist aus Sicht von Almond und Verba ein normatives Leitbild für sich entwickelnde politische Systeme. Wenig überraschend sind starke Ähnlichkeiten zur amerikanischen Demokratie zu erkennen, was gelegentlich als Kulturdeterminismus dieses Ansatzes angesehen wird. In den Überlegungen Almonds und Verbas wird der Kongruenz von politischer Kultur und politischer Struktur die entscheidende Bedeutung für die Stabilität des politischen Systems eingeräumt. Insbesondere diese Kongruenz schafft eine Verbundenheit (allegiance) der Bürger mit dem System und stützt dadurch die Stabilität des politischen Systems. Davon zu unterscheiden sind die das politische System destabilisierenden Einstellungsmuster Apathie (apathy) und Entfremdung (alienation) (vgl. Almond/Verba 1963: 22, 493-500), welche eine Instabilität des politischen Systems begünstigen (Tabelle 2). Alle drei Formen sind wieder als idealtypische Beziehungen zu verstehen, die in den Bezugsstrukturen zu den einzelnen Orientierungsdimensionen variieren können. So ist es realistisch, dass es Bevölkerungsgruppen gibt, die gleichzeitig kein tieferes Wissen über politische Prozesse besitzen, aber doch Antisystemneigungen ausgebildet haben. Gerade solch eine Personengruppe ist für das politische System gefährlich. Tabelle 2: Kongruenz und Inkongruenz von Kultur und Struktur Form der Kongruenz System as General Object Input Objects Output Objects Self as Object (Ego) Systemzustand Allegiance +1+1+1 +1+1+1 +1+1+1 +1+1+1 Stabilität Apathy +1 0 0 +1 0 0 +1 0 0 +1 0 0 Alienation +1-1-1 +1-1-1 +1-1-1 +1-1-1 Instabilität Anm.: Einzelne Orientierungen gegenüber den politischen Objekten: +1 = positive Haltung; 0 = keine Beziehung; -1 = negative Haltung. Die drei Werte pro Zelle beziehen sich auf die drei Dimensionen aus Tabelle 1: 1. Wert = kognitive Beziehung; 2. Wert = affektive Beziehung; 3. Wert = evaluative Beziehung. Quelle: Eigene Kombination nach Almond/Verba 1963 (S. Pickel/G. Pickel 2006: 67). Die so erzeugte Verbindung zwischen psychologischen Elementen der Individualebene und der Makroperspektive wurde in der Folgezeit, insbesondere in den Arbeit Seymour M. Lipsets (1959, 1981) ausgebaut. Lipset versucht stärker als Almond/Verba die konkreten Rahmenbedingungen der systemischen Stabilität zu erfassen. Dabei rückt er verstärkt die ökonomische Leistungsfähigkeit des politischen Systems in den Vordergrund und versucht die Bevölkerungseinstellungen hinsichtlich ihrer Bedeutung für das System zu differenzieren. Kernpunkt seiner Überlegungen ist das Zusammenspiel von Legitimität und 6 Gert Pickel Effektivitätsbewertung8 auf der Makroebene. Legitimität stellt dabei eine grundsätzliche Überzeugung von der Rechtmäßigkeit des vorherrschenden politischen Systems dar. Sie bezieht sich nicht auf konkrete Handlungen des Systems, welche die Bewertungsgrundlage der Effektivitätsbeurteilung darstellen, sondern verkörpert eine diffuse, meist über längere Zeit akkumulierte Haltung der Individuen gegenüber dem politischen System.9 Anders als die von kurzfristigen Schwankungen betroffene Effektivitätsbeurteilung ist die Legitimität über die Zeit relativ stabil und nur langsamen Wandlungen unterworfen. Gesellschaften lassen sich nun nach Lipsets Meinung entsprechend der Verteilung von Effektivitätsbeurteilung und Legitimität in eine Typologie einordnen, die Auskunft über die zukünftige Stabilität des politischen Systems geben kann (siehe Abbildung 1). Abbildung 1: Ländertypologisierung nach Seymour M. Lipset Effektivität + - + A B - C D Legitimität Quelle: Lipset 1981: 68. Dabei entstehen vier Konstellationen, die einen unterschiedlichen Stabilitätsgrad aufweisen. Politische Systeme, die sich in der mit A bezeichneten Box befinden, werden durchgehend als die stabilsten angesehen. Sie sind tief in den Bevölkerungen verankert und ihre Leistungen werden als effektiv bewertet – hier gibt es keinen Grund für die Bürger, das politische System in Frage zu stellen. Aus Sicht der Bürger ineffektive und illegitime Regime finden sich in der Box D. Sie sind aufgrund ihrer fehlenden Verankerung in der Bevölkerung instabil und stehen (permanent) vor dem Zusammenbruch oder wandeln sich stetig. In Krisenzeiten kann kein Eintreten der Bürger für diese Systeme erwartet werden. Box C beinhaltet zwar effektive, aber (noch) nicht als legitim angesehene politische Systeme. Sie leben von ihrer (oft ökonomischen) Leistungsfähigkeit. Kommt es in diesen Systemen zu wirtschaftlichen und politischen Krisen, so ist ihr Überleben nicht gesichert, da sie keinen grundsätzlichen Halt in der Bevölkerung besitzen. Sie funktionieren zwar, sind aber hochgradig instabil. Die geringste Veränderung in der kurzfristig angelegten Effektivität kann zu ihrem Zusammenbruch führen. Systeme des Typs C können auch – betrachtet man es in zeitlicher Perspektive – ein Übergangsstadium hin zu Typ A darstellen. So wird zum Beispiel die Ausbildung von politischer Legitimität in der Folge der ökonomischen Erfolge des deutschen Systems der Nachkriegszeit als typisches Beispiel für eine solche Entwicklung angeführt. Politische Systeme der Box B befinden sich zwar gerade in einer Effektivitätskrise, können aber auf einen bestehenden Legitimitätsvorschuss zurückgreifen. Erst wenn die Effektivitätskrise länger anhält, kommt es zu einer generellen Gefährdung des politischen Systems. In Demokratien wäre eine typische Reaktion auf Effektivitätskrisen der Austausch 8 9 Bei Lipset wird einfacher von Effektivität gesprochen. Er geht davon aus, dass die Effektivitätsbeurteilungen der Bürger in der Regel mit der Effektivität der politischen Regime korrespondieren. An dieser Stelle schließt Lipset an die Überlegungen zur längerfristigen Prägung der Bürger in der Sozialisationsphase bei Almond und Verba an. Auch zur diffusen politischen Unterstützung bei David Easton sind Parallelen erkennbar. Politische Kultur und Demokratieforschung 7 des politischen Personals durch Abwahl der Regierung. Erst wenn sich dies nicht als eine erfolgreiche Strategie gegen die negativ bewertete Leistungsfähigkeit des politischen Systems erweist, entstehen tiefer gehende Probleme auf der Ebene der generellen politischen Ordnung eines Systems – es entsteht eine Legitimitätskrise des politischen Systems (vgl. Watanuki/Crozier/Huntington 1975; Pharr/Putnam 2000). Diese wirkt sich dann auf Dauer destabilisierend auf das politische System aus. Aufgrund der vorliegenden (dynamisch angelegten) Typologisierung können somit nicht nur Aussagen zur Stabilität von politischen Systemen getroffen, sondern auch Prozesse zunehmender oder abnehmender Stabilität erfasst werden. Es finden sich dabei seltener direkte Übergänge zwischen A und D, sondern eher Entwicklungen, in denen Länder unterschiedliche Phasen durchlaufen: so zum Beispiel D => C => A (ein instabiles System wird ökonomisch erfolgreich und kann sich durch dauerhaften Erfolg Legitimität sichern) oder A => B => D (ein früher stabiles System bleibt über lange Zeit ineffektiv und bricht schlussendlich zusammen).10 Diese Prozesse sind dabei in jeder Stufe und zu jeder Zeit reversibel, benötigen aber einen gewissen zeitlichen Spielraum. Einen anderen Fokus setzte David Easton (1965, 1975). Er konzentrierte sich auf die Systematisierung der Zielpunkte der politischen Einstellungen der Bürger und die Form der Beziehung zwischen den Bürgern und diesen Objekten. Auch für ihn ist der Grad der Stabilität des politischen Systems – die er als Persistenz bezeichnet – zentral. Er bezeichnet in seinen Überlegungen die Beziehung zwischen Bürger und politischem System als politische Unterstützung (political support). Der Begriff der (politischen) Unterstützung wird als eine Einstellung verstanden, mit der sich eine Person bewertend gegenüber einem (politischen) Objekt orientiert.11 Wie bei dem Begriff „politische Kultur“ erfolgt auch durch die Begriffswahl „politische Unterstützung“ keine normative Stellungnahme, alle Objekte können nach Easton positiv oder negativ unterstützt werden. Es handelt sich also um einen analytischen Begriff. Für den Erhalt der Persistenz eines politischen Systems ist allerdings eine überwiegend positive politische Unterstützung vonnöten. Diese entsteht zumeist, wenn Forderungen der Bürger an das System (demands) erfüllt werden.12 Abbildung 2: Das Konzept politischer Unterstützung nach Easton Unterstützungsobjekte Politische Gemeinschaft diffus Identifikation mit der politischen Gemeinschaft Quelle der Unterstützung spezifisch Politisches Regime Politische Autoritäten RegimeLegitimität AutoritätenLegitimität RegimeVertrauen AutoritätenVertrauen Zufriedenheit mit den alltäglichen Outputs Quelle: Fuchs 1989: 18. 10 11 12 Für die Entwicklung in Osteuropa nach 1989 kann spekuliert werden, ob es sich um einen Ausgangspunkt des Typs B (Legitimität ohne Effektivität) handelt, der von seinem Legitimitätsvorschuss lebt (vgl. Pickel 2008). Damit wird nochmals die Unterscheidung zwischen den, die politische Kultur konstituierenden, Einstellungen (hier politische Unterstützung) und dem Verhalten einer Person betont. Im Rahmen des von Easton (1965) vorgeschlagenen Input-Output-Modells der politischen Systemlehre reagiert das politische System auf die Forderungen (demands) der Bürger mit politischen Entscheidungen und erhält im Gegenzug für diese deren Unterstützung (support). 8 Gert Pickel Easton (1965: 171-225) sieht drei zentrale Objekte des politischen Systems: Die politische Gemeinschaft umfasst die Mitglieder eines politischen Systems und ihre grundlegenden Wertmuster. Gemeinschaftssinn und eine übergreifende Objektzuordnung (wie z. B. die Nation und die in ihr lebenden Personen) sind die Grundlage dieser Komponente der politischen Ordnung, die sich in Zugehörigkeitsgefühl zu dem Kollektiv und einer gegenseitigen Loyalität der Gemeinschaftsmitglieder äußert (vgl. Easton 1975; Fuchs 1989; Westle 1989). Das politische Regime verweist auf die grundlegende Struktur des Institutionensystems, also die Institutionen an sich. Die hier aufzuspürenden Orientierungen beziehen sich auf die Rollen (z. B. die Position des Bundespräsidenten im politischen System) und nicht die konkreten Rollenträger (die Person des Bundespräsidenten). Letztere werden unter dem Objekt der politischen Herrschaftsträger beurteilt. Den Inhabern politischer Autoritätsrollen wird politische Unterstützung hauptsächlich durch die Akzeptanz der von ihnen getroffenen Entscheidungen seitens der Bürger zuteil. Die Orientierungen resultieren aus unterschiedlichen Quellen. Eine Quelle ist die Zufriedenheit mit den Outputs des politischen Systems bzw. mit den Autoritäten, die diese Outputs produzieren. Nach Easton ist diese Quelle das wichtigste Element der spezifischen Unterstützung (specific support). Sie bezieht sich auf die politischen Herrschaftsträger und resultiert aus der Wahrnehmung und Bewertung der Leistungsfähigkeit der politischen Herrschaftsträger durch die Bürger. Diese Form der Unterstützung ist mit der Effektivitätsbewertung bei Lipset vergleichbar. Davon zu unterscheiden ist die diffuse Unterstützung (diffuse support), welche eine Zustimmung zu den Objekten um ihrer selbst willen verkörpert. Hier besteht eine grundlegende Akzeptanz – vergleichbar der Legitimität bei Lipset. Easton unterteilt die diffuse Unterstützung zusätzlich noch in Legitimität und Vertrauen. Legitimität ist ein Produkt der von den Bürgern gesehenen Übereinstimmung der eigenen Werte und Vorstellungen vom politischen System und dem politischen Leben mit den Unterstützungsobjekten, während das Vertrauen die Hoffnung auf eine „Gemeinwohlorientiertheit“ dieser Objekte oder der sie tragenden Personen beinhaltet. Vertrauen speist sich bei Easton maßgeblich aus Sozialisation und generalisierten OutputErfahrungen. 3. Kritik am Konzept der politischen Kulturforschung In der Folgezeit wurde sowohl spezifische Kritik an den konkreten Konzepten als auch ein allgemeines konzeptionelles Unbehagen an den grundsätzlichen Annahmen der politischen Kulturforschung geäußert. So blieb aus Sicht der Kritiker in allen Modellen die Frage nach den Quellen der diffusen politischen Unterstützung bzw. Legitimität und die Erklärung der Stärke der Verankerung der politischen Unterstützung in der Bevölkerung nur rudimentär und oberflächlich beantwortet, da der Schwerpunkt der Analyse politischer Kulturen eher auf der Identifikation der Orientierungen als auf deren Genese lag. Am Fehlen klarer kausaler Erklärungsmuster politischer Kultur machten vor allem Rational ChoiceTheoretiker ihre Kritik fest. So ergebe sich politisches Verhalten eher aus Nutzen-KostenAbwägungen als aus ansozialisierten politischen Überzeugungen. Zudem verwiesen sie darauf, dass seitens der politischen Kulturforschung nie bewiesen wurde, dass die Einstellungen der Bürger für sie auch handlungsrelevant sind. Die Problematik der kausalen Wirkungsweise von politischer Kultur und Unterstützung wurde auch seitens institutioneller Ansätze aufgeworfen: Es sei plausibler, dass die politische Kultur eher eine abhängige Variable der strukturellen Entwicklung sei als eine die letztgenannte determinierende (siehe auch Berg-Schlosser 2004: 10f.). Zumindest auf Teile dieser Kritik Politische Kultur und Demokratieforschung 9 wurde reagiert: So arbeitete Dieter Fuchs (2002) im Rahmen seiner Weiterentwicklungen des Ansatzes der politischen Unterstützung deren Kausalstruktur heraus und verwies auf die wechselseitige Beeinflussbarkeit von Struktur und Kultur. Ganz allgemein wurde die Unspezifität des Ansatzes bemängelt, fänden sich doch verschiedene Konzepte der politischen Kulturforschung, aber keine klare Festlegung, was unter politischer Kultur zu verstehen sei. Eine Festlegung des Konzeptes der politischen Kultur, sei teilweise wie „einen Pudding an die Wand zu nageln“ schrieb noch 1983 Max Kaase. Genauso wie der pauschale Vorwurf, die Ergebnisse der politischen Kulturforschung unterlägen mit ihren Aussagen auf der Makroebene dem individualistischen Fehlschluss13 (Peters 1998), erscheint dieser Vorwurf heute allerdings nicht mehr sonderlich konstruktiv noch trifft er die Weiterentwicklungen und Ausformulierungen des Ansatzes. Gerade die Überlegungen von Easton (1975) und Lipset (1981) sowie später daran anschließende Reformulierungen des Ansatzes zeigen doch eine recht konkrete Zuweisung, wo politische Kultur zu suchen und zu identifizieren ist. Auch konkrete Kritik an einzelnen Ansätzen wurde laut. So erwies sich die von Easton eingeführte Trennung diffuser und spezifischer Unterstützung in der Realität als nicht durchweg trennscharf, da sich empirisch keine eindeutigen benchmarks zwischen beiden Formen der politischen Unterstützung fanden. Nicht zuletzt die Schwierigkeit, voneinander unterscheidbare Fragen zu formulieren, erwies sich hier als Material für die Skeptiker. Von Seiten der Vertreter der politischen Kulturforschung wurde allerdings zu recht darauf verwiesen, dass die Realität so vielschichtig sei, dass man einen gewissen fließenden Übergang zwischen diffuser und spezifischer Unterstützung in Kauf nehmen müsse, dabei aber trotzdem zwei unterschiedliche Einstellungsdimensionen feststellen könne (vgl. Mishler/Pollack 2003; Pickel 2008). Entsprechend erfolgte die Erweiterung des Eastonschen Ansatzes durch eine dritte Dimension (diffus-spezifische Unterstützung) (vgl. Fuchs 1989; Westle 1989). Ebenfalls häufig wird die starke Anlehnung der politischen Kulturforschung an die Systemtheorie und die Erfassung der politischen Kultur über das Instrument der Umfrageforschung kritisiert. An dem zweiten Punkt setzen kulturalistische Kritiken an (vgl. Schwelling 2001; Wildavsky/Ellis/Thompson 1997), die eine solch „verengende“ Deutung von Kultur ablehnen. Der Vorwurf ist: Insbesondere symbolische Elemente und historische Entwicklungslinien werden in den bisherigen Ansätzen der politischen Kulturforschung nicht angemessen berücksichtigt (vgl. Rohe 1990, 1996: 9f.). Die Konzentration auf die Einstellungen der Bürger verstelle eher den Blick auf die Lebenswelt derselbigen als dass es diesen öffne.14 Dieser Verweis auf die Verengung des Kulturbegriffs ist in der Tat ein schlagkräftiges Argument, denn diese ist nicht zu leugnen. Allerdings handeln sich die weiter gefassten Konzepte der Bestimmung politischer Kultur(en) erhebliche Umsetzungsprobleme in der Praxis ein. Die Breite des Ansatzes verhindert zum einen klare Feststellungen eines Zustandes, zum anderen kann die Bandbreite der Elemente der politischen Kultur technisch gar nicht erfasst werden. So liegen bislang nur wenige und 13 14 Der individualistische Fehlschluss verweist auf den Fehler, den man begeht, wenn man zu Unrecht von Zusammenhängen auf der Individualebene auf Zusammenhänge auf der Aggregatebene schließt. Leider vermeng Peters in seiner Kritik die theoretische Aussage der politischen Kulturforschung mit deren empirischer Umsetzung und verfehlt dabei sein Ziel. Besonders hervorzuheben ist der Ansatz von Karl Rohe, der durch eine „politische Deutungskultur“ die symbolischen Elemente genauso in die politische Kulturforschung zu integrieren versucht wie Handlungsmuster (Soziokultur) und eine historische sowie dynamische Perspektive (siehe ausführlicher S. Pickel/G. Pickel 2006: 123-128). Dabei lehnt er den Zugang der Umfrageforschung nicht ab, sondern sieht diesen nur als einen Zugang der Erforschung politischer Kultur unter mehreren. 10 Gert Pickel keine wirklich komparativ angelegten (über Einzelländer hinausgehenden) systematischen Analysen mit einem solch breiteren Kulturbegriff vor. Vor diesen Erfahrungen scheint es eher angebracht, eine bewusste – und auch reflektierte – Verengung des politischen Kulturbegriffes beizubehalten. Sie benötigt allerdings weitere Verfeinerungen und Ausarbeitungen. Hier scheint der Schritt der politischen Kulturforschung hin zu einer stärkeren Erforschung demokratischer politischer Kulturen eine richtige Richtung einzuschlagen. 4. Aktuelle Entwicklungen – Politische Kulturforschung als Demokratieforschung Anknüpfend an Überlegungen zur Legitimitätskrise westlicher Demokratien (vgl. Watanuki/Crozier/Huntington 1975; Pharr/Putnam 2000) erfuhr die politische Kulturforschung eine Wiederbelebung. Ab 1980 setzte auch in Deutschland eine breitere Rezeption15 ihrer Überlegungen ein (vgl. Gabriel 1986; Fuchs 1989; Westle 1989), die verstärkt die politische Kulturforschung als explizit für Demokratien geeignet ansah. Parallel konnte eine Renaissance der politischen Kulturforschung in der Begeleitung der Umbruchsprozesse in Osteuropa ab 1989 beobachtet werden. Nicht nur dass sich die Zahl der zu erforschenden Länder wesentlich vergrößerte, nun war es auch möglich die Umbruchsprozesse politischer Systeme mit den für die politische Kulturforschung notwendigen Instrumentarien der Umfrageforschung zu begleiten. Neben diesen quasi „technischen“ Gründen beförderte auch die theoretische Erkenntnis, dass Einstellungen Strukturen verändern können, eine steigende Neugier nach diesen kulturellen Determinanten der Politik – und dies insbesondere als Indikatoren der Prognose der Stabilität der jungen demokratischen Systeme. Entsprechend zeigt sich eine stetige Entwicklung der politischen Kulturforschung hin zu einer auf das Objekt Demokratie ausgerichteten Forschungsrichtung (vgl. Fuchs 2002). Diese Entwicklung zu einer „kulturellen Demokratieforschung“ ist insofern konsequent, als dass solche Tendenzen bereits implizit in den frühen Arbeiten Almond/Verbas (1963), Eastons (1965) und Lipsets (1959, 1981) aufzufinden waren. So berücksichtigen diese (für die politische Kulturforschung grundlegenden) Konzepte Beziehungen zwischen Struktur und Kultur, die eigentlich fast nur für demokratische oder teildemokratische Systeme sinnvoll zu bestimmen sind.16 Zum Zweiten ist bei der Konzentration auf Demokratien das normative Grundgerüst, zu dem sich die Bürger bekennen können, klar zu erkennen. Anders als in autoritären politischen Systemen finden sich allgemeingültige Grundprinzipien (Freiheit, Gerechtigkeit, Kontrolle, Partizipation, Wettbewerb), an denen sich das demokratische System auszurichten hat (z. B. durch Festschreibung in der Verfassung). Der Blick auf die Werteebene von Demokratien ist nun ein wesentlicher Vorteil zum Beispiel gegenüber den Arbeiten Eastons, der eher unklar auf die politische Gemeinschaft Bezug nimmt. Nicht 15 16 Hierfür kommt der Auseinandersetzung mit den Wirtschaftskrisen der 1970er und 1980er Jahre eine bedeutende Rolle zu, denn trotz erheblicher Zweifel der Bürger an der Leistungsfähigkeit des politischen Systems kam es zu keinen Anzeichen einer massiven Gefährdung der Demokratie. Diese Entwicklung stützte die Gültigkeit der These, dass eine bestehende diffuse politische Unterstützung oder Legitimität ein politisches System gegenüber kurzfristigen Unzufriedenheiten mit den Leistungen der Regierenden absichert und so zu dessen Stabilität beiträgt. Wobei es sich zweifelsohne um eine Folge des Leitmodells der ersten politischen Kulturforschung – das amerikanische politische System – handeln dürfte. Politische Kultur und Demokratieforschung 11 umsonst findet sich eine entsprechende Aufnahme dieser Überlegungen in der neueren Literatur (vgl. Fuchs 2002; S. Pickel/G. Pickel 2006), wo nun geprüft werden kann, inwieweit die Prinzipien der Demokratie in den Bevölkerungen verankert sind. Ein weiteres Argument für diesen Entwicklungsprozess liegt in der Anfälligkeit des wichtigsten methodischen Instrumentes der politischen Kulturforschung – der Umfrageforschung. Diese erweist sich als nur begrenzt in autokratischen Systemen einsetzbar (vgl. Pickel 2008). So unterliegt sie dort ganz besonders den Effekten der sozialen Erwünschtheit, die nur schwer durch den Forscher zu kontrollieren sind. Die für die Aussagen über die politische Kultur einer Gesellschaft notwendigen Ergebnisse sind folglich nur für politische Systeme mit größeren demokratischen Anteilen sinnvoll verwendbar. Hier kann allerdings durch die Erfassung grundlegender Wertorientierungen zur Demokratie ein erheblicher Erkenntnisgewinn gegenüber den früheren Erfassungsversuchen politischer Kultur erzielt werden. Erfolgte bei der Frage nach der Demokratiezufriedenheit „im Land“ eine Vermengung von spezifischen und diffusen Unterstützungselementen, zielen Fragen nach der „Demokratie als dem angemessensten Regierungssystem“ oder nach der „Zustimmung zur Idee der Demokratie“ zusammen mit der Kontrollfrage nach der Ablehnung anti-demokratischer Regimealternativen (Militär, Sozialismus, Diktatur, Monarchie) wesentlich stärker auf die diffuse Unterstützung bzw. Legitimität des demokratischen Systems. Fuchs differenziert nun nicht nur zwischen den normativen Prinzipien (Wertemuster) der Demokratie, deren implementierter (Institutionen-)Struktur und der Performanzebene der implementierten Demokratie, er setzt diese drei Unterstützungsobjekte zusätzlich in ein hierarchisches Verhältnis zueinander (siehe Abbildung 3). Dies ermöglicht die Herausarbeitung zeitlicher Abläufe, was die Chance auf Aussagen zur Genese politischer Unterstützung eröffnet. Eine positive politische Unterstützung auf der obersten Hierarchieebene der Werte beeinflusst die Beurteilung der Struktur und der Leistungen der demokratischen Institutionen. Umgekehrt wirkt aber – und dies deckt sich mit den Überlegungen Eastons, Lipsets und Almond/Verbas – die gesammelte Perzeption des Outputs des politischen Systems über längere Zeit wieder auf die langsam verlaufende Ausbildung der Wertebene zurück. Abbildung 3: Einstellungsebenenmodell eines demokratischen Systems nach Dieter Fuchs Ebenen Einstellungskonstrukte Kultur Bindung an demokratische Werte Systemische Konsequenzen ↔ ↓↑ Struktur Unterstützung des demokratischen Regimes im eigenen Land Prozess Persistenz eines demokratischen Systems im eigenen Land ↓↑ ↔ Persistenz des Typs des demokratischen Regimes im eigenen Land ↓↑ ↓↑ Unterstützung politischer Entscheidungsträger ↔ Wieder- und Abwahl politischer Entscheidungsträger Quelle: Fuchs 2002: 37. Zudem stellt Fuchs (2002: 36f.) den Konstrukten der Einstellungen konkrete Zielebenen auf der Ebene der politischen Struktur gegenüber (siehe Abbildung 3). Aufgrund dieser Festlegung erreicht er eine eindeutige Trennung zwischen Einstellungskonstrukten und Systemkonstrukten (bzw. systemischen Konsequenzen), was ihm die Möglichkeit eröffnet, konkrete Kriterien für die Einhaltung oder Nichteinhaltung demokratischer Prinzipien zu 12 Gert Pickel bestimmen und damit ein Grundproblem der politischen Kulturforschung anzugehen. Zudem erhält er Hinweise auf die kausale Struktur des politischen Unterstützungsmodells. Die über die Sozialisation und Internalisierung vermittelten Einstellungen wirken über Prädispositionen auf politisches Handeln, welches in der Folge zur Konsolidierung (Stabilität bzw. Persistenz) oder Erosion (Instabilität) eines demokratischen Regimes beiträgt (vgl. Fuchs 2002: 32-34). Das politische Regime wirkt durch die Setzung von strukturellen constraints auf das Handeln der Bürger und durch Einflüsse im Erziehungssystem auf die Sozialisation des Einzelnen zurück. Zusätzlich unterliegen die Personen Erfahrungen mit der Alltagsperformanz des Systems und mit den institutionellen Mechanismen (vgl. S. Pickel/G. Pickel 2006: 112-118). Zuletzt berücksichtigt er noch die Relevanz unterschiedlicher Demokratiekonzepte. Er geht davon aus, dass es nicht ein einziges Verständniskonzept von Demokratie gibt, sondern zumindest vier: (1) das libertäre, (2) das republikanische, (3) das sozialistische und (4) das liberale Demokratiemodell. Die meisten Untersuchungen der politischen Kulturforschung gehen implizit von der Existenz des liberalen Demokratiemodells aus. Dies ist nicht unbedingt gerechtfertigt. Gerade in Osteuropa besteht zum Beispiel die Möglichkeit, dass zumindest Teile eines sozialistischen Demokratiemodells von Relevanz sind (vgl. Fuchs 2002: 40-43). Die damit verbundenen Wertorientierungen resultieren nun in anderen Forderungen der Bürger an das demokratische System als dies seitens der Anhänger eines liberalen Demokratiemodells der Fall wäre. Es kann bei einem Aufeinandertreffen einer liberalen Demokratie auf der institutionellen Ebene und einem sozialistischen Demokratiemodell zu Unzufriedenheiten mit der Form der Demokratie kommen, aber nicht mit der Demokratie selbst. Teile solcher Inkongruenzen können in Ostdeutschland beobachtet werden.17 Mit seinem gestuften Vorgehen gelingt Fuchs die Verbindung der empirisch orientierten politischen Kulturforschung mit den theoretischen Überlegungen der Demokratietheorie. Er etabliert die politischen Überzeugungen quasi als Spiegelbild der rein systemischen Prozesse des politischen Systems. Damit legt er eine theoretische Konzeption vor, die sich, oft noch weniger explizit, in der empirischen Forschung zur politischen Kultur der letzten Jahre deutlich verbreitet hat. Stehen doch immer wieder Einstellungen zur Demokratie oder deren Institutionen und Träger im Fokus der Untersuchungen. Diese gezielte Verbindung von demokratischer politischer Kultur und demokratischer politischer Struktur sowie der Einbezug demokratietheoretischer Überlegungen stellt das aktuelle Entwicklungsbild der politischen Kulturforschung dar. 5. Demokratiemessung und politische Kulturforschung Nun ist anzumerken, dass die auf Demokratie bezogene politische Kulturforschung nicht mit Demokratieforschung an sich zu verwechseln ist. Sie stellt nur eine Komponente dieses breiter gefächerten Forschungsspektrums dar – und zwar jene, die sich mit der Stabilität demokratischer Systeme beschäftigt. Dies lässt alle institutionellen Auseinandersetzungen mit demokratischen Systemen erst einmal außen vor oder sieht sie zumindest nur als Gegenpart für die eigentlich interessierende Thematik der politischen Kultur. Ein substantielles Gebiet der Demokratieforschung, welches sich stärker der Frage nach der 17 Über die Entwicklung der politischen Kultur in Ostdeutschland hat sich eine breite und kontroverse Debatte entfaltet, die als exemplarisch für unterschiedliche Deutungen und Zusammenhänge von politischen Einstellungen gelten kann (siehe Pickel/Pickel/Walz 1998). Politische Kultur und Demokratieforschung 13 institutionellen Ausgestaltung der Demokratie widmet, ist die Demokratiemessung. Sie setzt sich explizit mit der Bestimmung demokratischer Qualität in politischen Systemen auseinander (vgl. Dahl 1971). Aufgrund ihrer Ausrichtung auf die Strukturebene bildet sie quasi einen Gegenpart zur auf Demokratien ausgerichteten politischen Kulturforschung. Ihre Ansatzpunkte sind institutionelle Verankerungen demokratischer Prinzipien (PolityIV-Index) sowie deren Umsetzung in die Verfassungsrealität (Freedom-House-Index). Aufgrund der Limitierung des vorliegenden Aufsatzes kann hier nicht näher auf diesen Bereich eingegangen werden. Es sei nur gesagt, dass für die Demokratiemessung (vgl. Lauth 2004; Lauth/Pickel/Welzel 2000; S. Pickel/G. Pickel 2006: 151-248) die Frage „wie demokratisch ist ein politisches Regime“ bedeutsam ist, während die politische Kulturforschung die Stabilität dieser Systeme betrachtet. In der Demokratiemessung wird auf die Umsetzung zentraler Prinzipien der Demokratie in einem oder mehreren Ländern im Vergleich geachtet. Diese Prinzipien sind Freiheit, Partizipation, Kontrolle, Rechtsstaatlichkeit – und mit Einschränkungen: Gleichheit und Wettbewerb. Die praktische Erfassung der Umsetzung dieser Prinzipien erfolgt zumeist über die Einschätzung seitens Experten inner- und außerhalb der Untersuchungsländer, auf deren Basis überwiegend quantifizierte Indizes erstellt werden.18 Dabei unterscheiden sich die erstellten Indizes hinsichtlich der ausgewählten Prinzipien, auf welche sie ihren Schwerpunkt legen. Zentrale Feststellungen dieses Forschungszweiges sind einerseits die stetige Zunahme der Zahl demokratischer Systeme in den letzten Jahrzehnten und andererseits eine in vielen jungen Demokratien auffindbare Instabilität. Das heißt, es finden sich auch politische Systeme, die sich vom Zustand Demokratie wieder in ein autoritäres oder teilautoritäres System verändern (Russland, Weißrussland). Gerade die letzte Erkenntnis spricht für das Fortbestehen der Fragestellungen der politischen Kulturforschung, rückt hier doch wieder das Interesse an der Stabilität der untersuchten politischen Systeme in den Vordergrund der Überlegungen. Aber auch die Ausbildung von „defekten Demokratien“ oder „hybriden Regimen“ – also Systemen, die Merkmale von Demokratien mit Merkmalen von autokratischen Systemen vereinen – wird seitens der Demokratiemessung konstatiert und herausgearbeitet. Gerade die Zusammenführung von Demokratiemessung und politischer Kulturforschung dürfe ein fruchtbares Feld zukünftiger Analysen darstellen, da Zusammenhänge zwischen demokratischer Qualität und Stabilität zu vermuten sind. 6. Fazit – einiges Grundsätzliches Fasst man die vorherigen, notwendigerweise rudimentären, Überlegungen zusammen, so wird die steigende Bedeutung der auf Demokratie ausgerichteten politischen Kulturforschung erkennbar. Gerade neuere Analysen, zum Beispiel zur Humanentwicklung (vgl. z. B. Welzel 2002), zeigen die Relevanz der politischen Kultur oder deren Elemente für die Entwicklung von Demokratien auf. Ob diese Zugänge nun im Kontext der Modernisierungstheorie (vgl. Inglehart 1990; Inglehart/Welzel 2005) stehen oder breitere kulturelle Prägungen wie zum Beispiel Religion aufnehmen 19 (vgl. Huntington 1996; auch Inglehart/Welzel 2005) – die Bedeutung des kulturellen Faktors für die Richtung und den Erfolg von Demokratisierungsprozessen scheint immens. Es ist nicht abzustreiten, dass „Culture Matters“ (Harrison/Huntington 2000; Wildavsky/Ellis/Thompson 1987). 18 19 Diese sollen helfen, die Chance der Vergleichbarkeit unterschiedlicher Länder und das Ziel höchstmöglicher Intersubjektivität zu wahren. Zum Beispiel im Sinne eines „Kampfes der Kulturen“ (Huntington 1996). 14 Gert Pickel Da diese Fragen verstärkt in das Interesse der wissenschaftlichen Forschung rücken, ist die Entwicklung der politischen Kulturforschung zu einer „kulturellen Demokratieforschung“ fast zwangsläufig. 20 Hinzu kommt, dass sich noch ein weites Feld der Erforschung politischer Kulturen jenseits Amerikas und Europas eröffnet, welches bislang noch relativ wenig empirischer Prüfung unterzogen wurde. 21 So sind Auskünfte über die kulturellen Verankerungen politischer Prozesse in Asien und Afrika bislang kaum präsent. Da gerade dort aber die nächsten Wellen der Demokratisierung zu erwarten oder bereits im Laufen sind, ist ein hohes Interesse an solchen Informationen vorhanden, legen sie doch einen Grundstein für Erfolg oder Misserfolg der Demokratisierung. Entsprechend sind Entwicklungen in diese Richtung zu erwarten. Trotz der vorliegenden empirischen Ergebnisse ist eine zentrale Frage der Politikwissenschaft, die bis heute eine anhaltende Auseinandersetzung mit sich gebracht hat, weiterhin nicht entschieden – die nach dem Vorrang der Kultur vor der Struktur. Umstritten ist, ob zuerst die politische Struktur etabliert wird (im Sinne einer Einführung eines demokratischen Institutionensystems) und dann die politische Kultur sich zwangsläufig daran ausrichtet, wie es seitens institutionalistischer Ansätze 22 angenommen wird. Oder bilden sich erst Elemente einer demokratischen politischen Kultur aus, die dann eine demokratische politische Struktur nahezu erzwingen? Hierfür werden detaillierte Analysen zeitlicher Abläufe notwendig sein, die insbesondere Informationen über die politische Kultur zum Beginn von Umbruchsprozessen bereitstellen. Doch selbst dann dürfte eine endgültige Entscheidung schwer fallen. Kaum zu bestreiten dürfte allerdings sein, dass Institutionalisierungsprozesse ohne kulturelle Sensibilität nur von begrenztem Nutzen sein dürften. Ob kulturelle Elemente der Institutionalisierung dabei vorausgehen oder nachfolgen, ist da zweitrangig. Die Klärung dieser Frage könnte Klarheit über die Leistungsfähigkeit der politischen Kulturforschung hinsichtlich ihrer Aussagen über die zukünftige Stabilität demokratischer Systeme erbringen. Dies ist auch als das erklärte Ziel der politischen Kulturforschung anzusehen. Nicht die Abbildung aktueller Stabilität, die aus der bloßen Existenz eines bestimmten Systemtyps abzulesen ist, sondern ihre Prognosefähigkeit, immerhin ein zentrales Anliegen aller wissenschaftlicher Forschung, macht die politische Kulturforschung so reizvoll. Dabei erweist sie sich besonders wichtig in Krisensituationen, was ihr gelegentlich die Einordnung als Krisenwissenschaft eingebracht hat. Gerade dann besteht ein verstärktes Interesse an Aussagen über die Entwicklung der politischen Systeme in der nahen Zukunft. Vor diesem Hintergrund erscheint eine (analytische) Beschäftigung mit der politischen Kultur für die Politikwissenschaft höchst aufschlussreich. Dabei gilt es einige Missverständnisse, die in der Profession vorherrschen, zu überwinden. So liegt das Ziel der politischen Kulturforschung in Aussagen über die Makroebene (Gesellschaften) und nicht die Individualebene (Personen). Die Einstellungen der Bürger zum politischen System sind 20 21 22 Dabei besitzt die politische Kulturforschung gleichzeitig ein großes Potential für die vergleichende Politikwissenschaft als auch für die politische Soziologie. So besteht die Möglichkeit, neben den Makroanalysen auch Individualzusammenhänge herauszuarbeiten, die Hinweise auf Kausalstrukturen innerhalb von unterschiedlichsten Einheiten (Kulturen, Ländern, Regionen, Bundesländern) geben können. Erst in den letzten Jahren haben sich mit dem Aufbau des Afrikabarometers oder des Asienbarometers Möglichkeiten für die nähere Betrachtung der dortigen politischen Kulturen ergeben. Neuere neo-institutionalistische Ansätze integrieren mittlerweile Elemente der politischen Kulturforschung. Allerdings sehen auch sie eher die Institutionen als leitend an. Politische Kultur und Demokratieforschung 15 als kollektive Haltungen (eben politische Kultur) interessant. 23 Individuelle Entscheidungen, oder gar individuelles Handeln, sind für die politische Kulturforschung nicht von größerem Interesse. Auch sind aggregierte Einstellungsdaten nicht weniger verlässlich als – zumeist ebenfalls aggregierte – Strukturdaten. Sie besitzen aber dabei die Vorzüge, einerseits problemlos auf die Individualebene disaggregierbar zu sein, andererseits die Haltungen der Bürger direkt – und nicht über den Umweg von außen betrachteten Handelns – zu erfassen. Damit ist es auch möglich, Unterschiede innerhalb von sozialen Gruppen zu bestimmen und der Differenziertheit politischer Kulturen gerecht zu werden. Es ist außerdem wichtig festzuhalten, dass das Grundkonzept der politischen Kulturforschung analytisch-systematisch angelegt ist. Nur so kann es für eine wissenschaftliche Analyse von Nutzen sein. Normative Annahmen, wie zum Beispiel eine wertende Bevorzugung positiver politischer Unterstützung des Systems, sollen möglichst vermieden werden. So geht es in der politischen Kulturforschung nicht darum zu beurteilen, ob bestimmte Äußerungen oder Verhaltensweisen von Politikern und Parteien gegen eine imaginäre (und üblicherweise undefinierte) „politische Kultur“ verstoßen (was immer dies in der Sprache der Medien bedeuten mag). Vielmehr geht es darum, das für den Systemerhalt bedeutsame Verhältnis zwischen den Bürgern und dem Staat oder dem politischen Institutionensystem intersubjektiv zu erforschen. 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