1 Siegbert Alber, Generalanwalt am Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften DIE AUSWIRKUNGEN DER EUROPÄISCHEN INTEGRATION AUF DAS MIGRATIONSGESCHEHEN ENTWICKLUNGSLINIEN EINES EUROPÄISCHEN AUSLÄNDERRECHTS UND DIE Herr Ministerpräsident und Herr Landtagspräsident, meine Damen und Herren Abgeordneten, Herr Oberbürgermeister, Herr Peters, Frau Rudnick und Herr Nemes, liebe in- und ausländische Mitbürger, verehrte Damen, meine Herren, in der Freitagsbeilage einer deutschen Zeitung wird immer ein Fragebogen publiziert; in dem Prominente u.a. darüber befragt werden, wo sie gerne leben möchten? Natürlich nennen Abgeordnete immer den Ort ihres Wahlkreises, auch wenn es sich dabei um eine sehr trostlose Gegend handelt. Einige Mutige schreiben Toscana hinein, weil dort der Liter Wein und nicht das Benzin 5 DM kostet. Ich würde angeben, in Córdoba zur Zeit der Kalifen. Denn das war eine hohe Zeit sowohl der abendländischen wie auch der islamischen und jüdischen Kultur, mit einer unwahrscheinlichen und unbeschreiblichen Toleranz. Katholische Erzbischöfe kämpften als Feldherren im Heer des Kalifen gegen die katholischen Spanier - katholische Bischöfe sind auch heute zu einigem fähig -; jüdische Bürger waren in höchsten Staatsstellungen, die Wissenschaften blühten. Dies war eine Sternstunde der Kultur verbunden mit einer Toleranz, wie wir sie nie mehr erreicht haben; leider ist es tausend Jahre her. Vielleicht können wir mit der Europäischen Union wieder einiges davon zurückgewinnen. Ob Europa im Umgang mit anderen Völkern die Lösung ist oder Lösungen hat, das wage ich noch zu bezweifeln, aber immerhin ist Europa in gewisser Weise ein Modell. Zunächst einmal ein Modell, weil es die Mentalitäten der Bürger ändern wird. Gott sei Dank. Die Europäer werden aufgeschlossen, weltaufgeschlossen. Und es ist ja auch bezeichnend, dass gerade die, die mit ausländerfeindlichen Parolen umherziehen, auch die größten Europagegner sind. Ich sage es an dieser Stelle ganz bewusst, gerade weil ich mich - europäisch orientiert - als ein guter Deutscher fühle. Wer heute nur national denkt, ich wiederhole das Wort „nur“, der denkt inzwischen nur noch provinziell. Und wer heute meint, man solle „aus Europa wieder aussteigen“ - gerade im Zusammenhang mit der EURO-Debatte wird dies mitunter gefordert -, der wird nicht nur sehr viel Vertrauen verspielen, das wir inzwischen gewonnen haben, sondern der wird bald zwischen allen 2 Stühlen sitzen. Das mag zwar der Lieblingssitzplatz von Kaiser Wilhelm II gewesen sein, aber unserer ist er gewiss nicht. Europa ist eine Wiederentdeckung Ist Europa eine Neuschöpfung? Ich glaube nicht. Der erste Präsident der Kommission, Prof. Hallstein, hatte Recht, als er einmal sagte, Europa sei gar keine Neuschöpfung, sondern Wiederentdeckung. In der Tat, denn dieses Europa lebte ja schon als Einheit, als Kultureinheit, als Werteeinheit. Im Mittelalter hat kein einziger Pilger, der nach Santiago oder Rom zog, einen Pass gebraucht. Professoren und Studenten aus allen europäischen Ländern lehrten und lernten in Bologna, in Paris und anderswo. Wenn wir nach Würzburg gehen oder in andere unserer schönen Städte, sehen wir, wie viele ausländische Baumeister und Künstler unsere Schlösser und Kirchen gebaut und ausgeschmückt haben. Kein einziger ist damals gefragt worden: „Ja hast du eigentlich Architektur studiert und wo ist dein Diplom, das erst einmal anerkannt werden muss?“ Prinz Eugen von Savoyen, gebürtiger Franzose, von Haus aus Italiener, war Oberbefehlshaber der deutschen Reichsarmee. Das wäre heute unvorstellbar. Graf Montgélas, aus einer französischen Familie stammend, war Minister in Bayern. Ein deutscher evangelischer Pfarrer, Reinhardt, war Außenminister der Französischen Republik. Dies alles wäre heute undenkbar. Nach einer Städtepartnerschaftsfeier kam einmal einer zu mir und sagte: “ich habe jetzt einen Freund in unserer Partnerstadt, wir würden ganz gerne für ein Jahr unseren Arbeitsplatz tauschen.“. Dummerweise waren sie beide im öffentlichen Dienst. “Wir würden auch unsere Wohnungen tauschen, sodass es da keine Probleme gäbe.“ Ob sie noch mehr tauschen wollten, habe ich vorsichtshalber nicht gefragt. Aber als ich mich erkundigte, wie man das machen könnte, bekam ich zur Antwort: „Ja, um Gottes willen, wenn der krank wird, was ist dann mit der Beihilfe; wie verrechnen wir die Auslandszeit mit der Rente und überhaupt, wo kämen wir denn da hin?“. In der Tat, wo kämen wir hin, wenn keiner den Weg ginge zu sehen, wo man hinkäme, wenn man ginge. Wir müssen wieder das ganze Europa entdecken, die Teilhabe an den Werten, an den Kulturen der anderen, das ist doch der Reichtum, der Europa auszeichnet und das ist ein Faszinosum für sich. Und insofern wäre es falsch, wenn wir die Europäische Gemeinschaft nur als eine Wirtschafts- oder Währungsunion sehen würden. Sie ist im Augenblick sicher ökonomisch 3 kopflastig, aber sie wurde nicht wegen der Wirtschaft gegründet. Europa wurde zur Versöhnung der Völker als eine Friedensgemeinschaft geschaffen. Das ist das Größte, was wir in unserer Geschichte je erreicht haben: der Friede ist sicher, die Versöhnung ist erreicht. Und auf diesem guten Fundament weiterzubauen, das wird gewiss auch sehr viele andere Probleme lösen, u.a. die großen Probleme, die wir mit der Migration und mit den Asyl- und Einwanderungszahlen haben. Dabei muss ich aber auch sagen, es gab im Grunde in der ganzen Zeit unserer Geschichte Völkerwanderungen. Wir Germanen sind ja auch nicht ursprünglich hier ansässig gewesen, sondern eingewandert. Wenn es in den letzten fünfhundert Jahren keine Völkerwanderungen mit Verdrängungseffekten gab, dann nur, weil wir einige große Einwanderungsländer hatten, wie die Vereinigten Staaten, Kanada oder Australien. Oder auch weil die technischen verkehrsmäßigen Möglichkeiten so nicht vorhanden waren. Heute weiß man, wie und dass die Bevölkerungszahlen explodieren werden, auch wenn sich die Tendenzen jetzt etwas abzuschwächen scheinen. Dennoch werden bald 10 Milliarden Menschen auf dieser Erde leben. Es hat früher z.B. von Christi Geburt bis zum Jahre 1500 gedauert, also 1.500 Jahre, bis sich die Weltbevölkerung verdoppelt hat. Heute verdoppelt sie sich alle dreißig Jahre und in den Ländern der dritten Welt sogar innerhalb von zwanzig Jahren. Nur Deutschland ist eigentlich ein sterbendes Land, weil bei uns außer dem katholischen Pfarrer kaum noch einer heiraten will. Aber das wäre ein anderes Thema, zu dem ich heute nichts sagen will. Wenn man weiß, dass weltweit jährlich 80 Millionen Jugendliche in ein arbeitsfähiges Alter kommen, dass über 100 Millionen weltweit jährlich in Ballungsräume strömen, dass der Hochkommissar für Flüchtlinge der Vereinten Nationen immer noch sagen muss, es gibt 15 Millionen Flüchtlinge, wenn einige vorhersagen, dass wir durch die Veränderung des Klimas und durch kommende Umweltkatastrophen Migrationswellen von 500 Mio. Menschen erleben werden, dann weiß man, was auf uns zukommen wird. Deshalb ist es wichtig, hier rechtzeitig und vor allem auf europäischer Ebene einige Lösungsansätze zu finden, auf die ich später noch zu sprechen kommen werde. Was nun Deutschland anbelangt, so leben bei uns etwa 7 Millionen nichtdeutsche Mitbürger. Dies entspricht einem Bevölkerungsanteil von rund 9 %. Wir liegen damit unter den europäischen Staaten an der Spitze, wenn ich von Luxemburg einmal absehe, das über 33 % Ausländer in seiner Bevölkerung hat. Auf Deutschland folgt Belgien mit 8,5 %, dann Frankreich mit 6,5 %, Österreich mit etwa 6%, Niederlande mit 4 %. Spanien, Irland, Portugal, Griechenland kann man mit einem Ausländeranteil von 0,5 bis etwa 1 % hierbei 4 übergehen. Diese Zahlen sind oft Anlass zu Polemiken und zur Verbreitung von Vorurteilen. Das beste Mittel gegen Fremdenfeindlichkeit jedoch ist eine gute Informations- und Aufklärungskampagne. Es wird behauptet, obwohl der Ausländeranteil an der Bevölkerung nur 9 % betrage, liege er bei den Arbeitslosen bei 20 %, bei den Sozialhilfeempfängern bei 25 % und bei den Straftätern sogar noch weit darüber. Diese Zahlen sind Gift, denn man muss sie relativieren. Sie mögen abstrakt stimmen, aber ich muss natürlich berücksichtigen, dass sehr viele Ausländer vor allem Asylbewerber, auf Grund der deutschen Rechtslage bei uns gar nicht arbeiten dürfen. Dies wirkt sich natürlich im Prozentsatz der Arbeitslosigkeit aus und schlägt sich auch im Prozentsatz der Sozialhilfeempfänger nieder. Wenn ich die Zahlen entsprechend bereinige, sind die Relationen lange nicht mehr so erschreckend. Für die Kriminalität gilt im Grunde ähnliches, denn es gibt Deliktgruppen, die nur Ausländer begehen können, wie z.B. Passvergehen und Verstöße gegen das Ausländerrecht. Dann muss ich auch bedenken, dass die Altersstruktur der ausländischen Mitbürger eine andere ist. Es fehlen unter ihnen ja überwiegend die Kleinkinder und meistens auch die sehr Alten, also gerade die Gruppen, in denen die Kriminalitätsrate naturbedingt niedriger ist. Genau die Altersgruppe ist zahlenmäßig stark vertreten, die auch unter den Deutschen den Hauptteil an der Kriminalität stellt. Und dann muss ich auch berücksichtigen, dass sich unter den ausländischen Straftätern auch sehr viele befinden, die nicht als Mitbürger bei uns leben, sondern reisende Täter sind. Wenn ich diese Tabelle vervollständige, muss ich natürlich auch die deutschen Straftäter, die im Ausland ihren „Arbeitsplatz“ haben, genauso mit in die Statistik einfließen lassen. Die bereinigten Zahlen geben keinen Anlass zu sagen, Ausländer sind vermehrt kriminell und deshalb für uns nicht tolerierbar. Wenn wir die bereinigten normalen Ausländerzahlen nehmen, dann entspricht die nicht-deutsche Bevölkerung in ihren Tugenden und Sünden mehr oder weniger der einheimischen Durchschnittsbevölkerung. Von daher können wir sie gut integrieren. Migrationsfaktoren Warum kommen Ausländer zu uns? Werden sie in ihren Heimatländern verfolgt, oder suchen sie bei uns bessere Lebensbedingungen oder wollen sie primär an unserer Kultur teilhaben? Um die Gründe für die Migration besser ermitteln zu können, ist es zweckmäßig, erst einmal zu klären, warum die europäischen Mitbürger zu uns kommen, denen nach EU-Recht schon die Freizügigkeit 5 zusteht. Eines der Kriterien der Gemeinschaft ist ja die Freizügigkeit, d.h. es sind im Grunde die vier berühmten Freizügigkeiten, die als Fundament des Binnenmarktes gelten. Es sind die Freizügigkeiten der Waren, der Dienstleistungen, des Kapitals und wenn auch noch in beschränktem Umfang - der Arbeit, also der Menschen. Obwohl die Gemeinschaftsbürger ja bereits die Freizügigkeit haben, nehmen sie sie weit weniger in Anspruch als die Bürger von Nicht-EU-Staaten. Von den rund 7 Millionen in Deutschland lebenden Ausländern stammen etwa 2 Millionen aus europäischen Mitgliedsstaaten der Gemeinschaft. Wenn wir diese 2 Millionen wiederum nach ihren Herkunftsländern analysieren, so stellt man fest, dass rund 80 % aus Spanien, Portugal, Italien und Griechenland stammen; eben aus Gebieten, in denen die wirtschaftliche Struktur nicht so entwickelt ist, dass sie dort Arbeit finden. Es leben weniger als 100 000 Franzosen in Deutschland, obwohl ja die deutsche Philosophie mit ihrem Esprit für sie so anziehend ist - ich meine dies spöttisch ; trotzdem kommen sie nicht. Es leben weniger als 100 000 Engländer in Deutschland, obwohl ich hier Verständnis dafür hätte, wenn sie wegen der englischen Küche zu uns auswanderten. Also diejenigen, die unmittelbar an uns grenzen und in etwa die gleichen wirtschaftlichen, sozialen und soziologischen Verhältnisse haben, machen vom Recht der Freizügigkeit gar nicht so sehr Gebrauch. Daraus können wir ableiten, dass es in der Tat primär wirtschaftliche Gründe sind, die zu den Migrationswellen führen. Und man würde sich selber betrügen, wenn man ausgehend vom Asylrecht, nur politische Verfolgung für die Migration unterstellen würde. Ich habe volles Verständnis für Menschen, die aus wirtschaftlichen Gründen in ein anderes Land wollen, und mir tun die meisten in der Seele leid, insbesondere wenn man sieht, was für Risiken sie auf sich nehmen, wie oft sie ihr Leben gefährden, wie sie von Schlepperbanden missbraucht werden und wie sie tausende von Kilometern in eine ganz andere und anderssprachige Umwelt ziehen. Wenn ich das vergleiche mit manchen Deutschen, die es als unzumutbar ablehnen, wenn man ihnen einen Arbeitsplatz in 15 km Entfernung anbietet, dann sieht man, was für Welten und Unterschiede in der Denkweise und im Lebenswillen sich hier auftun. Das erste was also europäisch in Angriff genommen werden muss, ist deshalb eine verbesserte wirtschaftliche Kooperation mit den Ländern, aus denen die meisten stammen, die zu uns kommen, damit sich die Lebensverhältnisse in diesen Ländern ändern und so verbessern, dass niemand gezwungen wird, wegzuziehen. Wer stattdessen nur das Asylrecht für politisch Verfolgte 6 reformieren will, verkennt die tatsächlichen Verhältnisse und Notwendigkeiten. Wer die Wirklichkeit ehrlich erfasst, muss die wirtschaftlichen Gründe anerkennen und entsprechende Lösungen suchen. Es bringt nicht viel, an der Genfer Flüchtlingskonvention „herumzudrehen“ oder am Dubliner Abkommen und die Rechtsgründe für ein Asyl zu vermehren. Es gibt bislang nur in der deutschen Verfassung einen Asylanspruch und auch den nur für politisch Verfolgte, ohne das definiert wäre, wer als politisch Verfolgter gilt. Unter die Genfer Flüchtlingskonvention fallen die Personen, die wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten Sozialgruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung verfolgt werden. Das trifft sicher auf die allermeisten Emigranten nicht zu. Und deshalb werden von den gestellten Asylanträgen im Grunde auch weniger als 10 % anerkannt. Wegen der Nichtanerkennung geht zwar die Zahl der gestellten Asylanträge inzwischen zurück, doch leider steigt dafür die Zahl der illegal Einwandernden rapide an. Wer also nur über Gesetzeskosmetik der Genfer Flüchtlingskonvention nachdenkt und ein Anspruchsrecht auf Asyl zu begründen sucht, der wird die eigentlichen Probleme, die vor uns liegen, nicht lösen können. Das Gleiche gilt auch für Artikel 33 der Genfer Konvention. Hier heißt es ja nur, dass die Staaten übereinkommen, keinen Flüchtling zurückzuschicken und in Gebiete auszuweisen, in denen er aus den genannten Gründen verfolgt wird. Die Genfer Flüchtlingskonvention, das ist zumindest unter Juristen unstrittig, gibt also kein Recht auf Asyl, sondern nur ein Recht im Asyl. Aber selbst wenn es ein Recht auf Asyl gäbe, wären die Gruppen, die eigentlich auswandern wollen, nicht betroffen. Insofern müssen wir davon wegkommen, nur diese Konvention ändern zu wollen. Das Gleiche gilt auch für das Dubliner Abkommen. Wir haben auf europäischer Gemeinschaftsebene - wenn ich vom Schengener Abkommen einmal absehe nur das Dubliner Abkommen. Aber auch dieses gibt im Grunde keinen Anspruch auf Asyl, sondern erwähnt nur die Staaten, die für die Prüfung eines Asylantrags zuerst zuständig sind, damit nicht wie früher ein so genanntes „Asylshopping“ eintritt, das bedeutet, dass einige Emigranten in viele Länder einreisen und dort einen Asylantrag stellen in der Hoffnung, irgendwo einmal Asyl zu bekommen. Das Dubliner Abkommen dient auch dazu, dass der “Refugee in orbit“ nicht mehr möglich ist, das ist der Flüchtling, der hin und her geschoben und dessen Anliegen von niemandem geprüft wird. Insofern regelt das Dubliner Abkommen nur die Zuständigkeiten für die Prüfung eines Antrages. Das Schengener Abkommen befasst sich mit entsprechenden Kontrollen an den Außengrenzen und enthält eine Drittstaatenklausel der so genannten sicheren Länder. Dies alles 7 zeigt, dass auch mit einer Erweiterung und Verbesserung dieser Abkommen die eigentlichen Probleme der Migrationswellen, die wirtschaftlichen Ursprungs sind, nicht gelöst werden können. Mit dem kommenden Amsterdamer Vertrag wird ein weiterer Schritt nach vorne getan werden. In Artikel B vierter Spiegelstrich werden Maßnahmen in Bezug auf das Asyl und die Einwanderung erstmals als Ziele der Union anerkannt. In einem eigenen Titel III a „Visa, Asyl, Einwanderung und andere Probleme betreffend den freien Personenverkehr“ wird dieser Bereich in den Artikeln 73 i bis 73 q eine eigenständige europäische Politik. Dabei sollen insbesondere nach Artikel 73 k Ziffern 1 a bis d in Übereinstimmung mit dem Genfer Abkommen Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist, Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern, Mindestnormen für die Anerkennung als Flüchtling und Mindestnormen für die Verfahren zur Zuerkennung oder Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft beschlossen werden. Ferner sind Maßnahmen für Flüchtlinge und vertriebene Personen vorgesehen und zwar Mindestnormen für den vorübergehenden Schutz, wenn diese Personen nicht in ihre Herkunftsländer zurückkehren können. Ganz wichtig ist die vorgesehene Förderung einer ausgewogenen Verteilung der Belastungen auf die Mitgliedstaaten, also die Verteilung der Belastungen, die mit der Aufnahme von Flüchtlingen und vertriebenen Personen verbunden sind (Artikel 73 k Ziffer 2 b). Die Ziffer 3 des gleichen Artikels sieht weitere einwanderungspolitische Maßnahmen vor und zwar insbesondere solche, die die illegale Einwanderung und die Rückführung solcher Personen betreffen. Nach Ziffer 4 sollen auch Maßnahmen zur Festlegung der Rechte und der Bedingungen geregelt werden, aufgrund derer sich Staatsangehörige dritter Länder, die sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhalten, in anderen Mitgliedstaaten aufhalten dürfen. Im gleichen Absatz heißt es allerdings auch, dass die Mitgliedstaaten nicht daran gehindert sein sollen, in den betreffenden Bereichen andere innerstaatliche Bestimmungen beizubehalten oder einzuführen, sofern diese mit dem Vertrag vereinbar sind. Es wird sich dann in der Zukunft zeigen, wie sich diese an sich positiven Rechtsgrundlagen in der Praxis auswirken werden. Noch ist der Amsterdamer Vertrag nicht in allen Ländern ratifiziert; man kann jedoch davon ausgehen, dass 8 der Ratifizierungsprozess bis zum Frühjahr 1999 abgeschlossen sein wird, sodass dieser Vertragsteil dann in Kraft treten kann. Wenn man also damit rechnen kann, dass der Amsterdamer Vertrag in etwa einem halben Jahr in Kraft sein wird, so gilt aus heutiger Sicht dennoch „nur“ der Maastrichter Vertrag. Um die durch und mit Amsterdam kommenden Verbesserungen richtig würdigen und einordnen zu können, empfehlen sich einige europarechtliche Vorbemerkungen. Der Maastrichter und der Amsterdamer Vertrag sind Erweiterungen der - auch „Römischen Verträge“ genannten Gründungsverträge der Europäischen Gemeinschaften. Diese Städtebezeichnungen rühren daher, dass die Ratspräsidentschaft alle halbe Jahre wechselt, und am Schluss einer Ratspräsidentschaft ein Europäischer Gipfel stattfindet. Wenn auf einem solchen Gipfel der Vertrag geändert oder ergänzt wird, wird üblicherweise diese Vertragsänderung mit der Stadt bezeichnet, in der gerade der jeweilige Gipfel stattfand. Rechtliches Fundament der Gemeinschaft sind die drei Verträge, die die Montanunion - also die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) -, die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und Euratom betreffen. Diese drei Gemeinschaften wurden inzwischen durch Fusion zusammengeschlossen; zwar wurden noch nicht die Verträge zusammengefasst, wohl aber die Organe zusammengelegt. Deshalb sprechen wir auch heute von den Europäischen Gemeinschaften. Wenn man in der Einzelform von der Europäischen Gemeinschaft spricht, meint man eigentlich nur die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft. Mit dem Maastrichter Vertrag sind durch die Hinzufügung zweier weiterer Vertragsteile die Europäischen Gemeinschaften zur Europäischen Union ausgeweitet worden. Der Maastrichter Vertrag ist deshalb ein so genannter Drei-Säulen-Vertrag. Die erste Säule betrifft die bereits bestehenden Europäischen Gemeinschaften, deren Politik sich dadurch auszeichnet, dass sie eine integrierte, also eine europäische Politik ist. Das heißt, dass Verordnungen, die im Bereich dieser Säule beschlossen werden ohne Wenn und Aber in allen Mitgliedstaaten gelten. Hier hat kein nationales Parlament mehr die Möglichkeit, auch nur noch ein Komma zu ändern. Das ist eine klassische integrierte Politik. Die zweite, durch Maastricht hinzugekommene Säule nennt sich Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik oder abgekürzt GASP. Aus dem Wort „gemeinsam“ kann man ableiten, dass es sich noch nicht um eine vollintegrierte europäische Politik handelt, sondern eben nur um eine gemeinsame. Und dieses sehr schwache Instrumentarium im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik erklärt auch, warum Europa sich so schwer tut 9 auf dem Kosovo und in Bosnien, wo das klägliche Versagen unseren Mitgliedsstaaten anzulasten ist und nicht der Europäischen Union, denn eine europäische Politik gibt es in diesem Bereich eben noch nicht. Die dritte durch Maastricht hinzugekommene Säule ist noch abgeschwächter. Sie heißt deshalb auch nur „Zwischenstaatliche Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Rechts und der inneren Sicherheit“. Alle drei Säulen zusammen bilden heute die Europäische Union; die erste Säule allein bilden die Europäischen Gemeinschaften, unter denen sich wiederum die Europäische Gemeinschaft in der Form der Wirtschaftsgemeinschaft hervorhebt. Asyl- und Einwanderungspolitik wird europäisiert Zur bisherigen dritten Säule der intergouvernementalen Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Rechts und der inneren Sicherheit gehört bislang auch die Asyl- und Einwanderungspolitik. Dieses sehr wichtige, aber auch sehr schwierige Gebiet ist in Amsterdam in die erste Säule übertragen worden und wird dadurch eine europäische, integrierte Politik, sobald der Amsterdamer Vertrag ratifiziert sein wird. Er ist in neun Ländern bereits angenommen, in Frankreich ist noch eine Verfassungsänderung nötig, in Portugal wollte man eine Volksbefragung durchführen, hat aber die Fragen so dumm gestellt, dass das dortige Verfassungsgericht den Volksentscheid für unzulässig erklärt hat. Man kann also davon ausgehen, dass im Frühjahr 1999 der Amsterdamer Vertrag in allen Ländern ratifiziert sein wird; einen Monat nach Hinterlegung der letzten Urkunde tritt er dann in Kraft. Dass gerade die Visa-, Asyl- und Einwanderungspolitik eine europäische Politik werden wird, ist das eigentlich Überraschende und Positive am Amsterdamer Vertrag. Diese rechtliche und verfahrensmäßige Verbesserung kann nicht genug gewürdigt werden. Trotz dieser guten Zukunftsaspekte, was die Schaffung wenigstens der Rechtsgrundlagen angeht, ist es eigentlich heute noch zu früh, bereits Grundzüge einer europäischen Asyl- und Einwanderungspolitik aufzuzeigen, wie es auch zu früh ist, eine entsprechende deutsche Politik darzulegen, denn über die Ergebnisse der betreffenden Enquete-Kommission wird ja erst kommenden Dienstag abgestimmt, weil man diesen Teil aus dem Bundestagswahlkampf heraushalten will. Aber da ja einige Abgeordnete bekanntlich gerne plaudern, sind wesentliche Vorschläge bereits in der Presse veröffentlicht worden, u.a. die geplante Gewährung der deutschen Staatsbürgerschaft für in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern. Ich halte das persönlich für eine gute Sache, wobei ich allerdings gegen eine doppelte Staatsangehörigkeit gewisse 10 Bedenken habe, weil diese wiederum eine Privilegierung bedeutet, wie die jetzige Nichtgewährung eigentlich zu einer Diskriminierung führt. Ich persönlich würde eher das Modell einer zumindest zeitweise ruhenden (zweiten) Staatsangehörigkeit befürworten, was allerdings verfassungsrechtlich nicht leicht zu verwirklichen sein wird. Aber solange jemand in Deutschland lebt, sollte er (nur) die deutsche Staatsangehörigkeit haben; wenn er nachher wieder zurück in sein Heimatland will, kann er oder sollte er seine ursprüngliche Staatsangehörigkeit wieder erwerben bzw. aktivieren können. Eine gleichzeitige doppelte Staatsangehörigkeit beinhaltet nämlich auch erhebliche Risiken und kann Loyalitätskonflikte zur Folge haben. Was nun am kommenden Dienstag von deutscher Seite beschlossen wird, kann im Augenblick nicht vorausgesehen werden. Diese Enquete-Kommission setzt sich aus 12 Wissenschaftlern und 12 Abgeordneten zusammen, und die Vorschläge, die diese unterbreiten, muss dann die Regierung oder das Parlament aufgreifen und als einen Gesetzesentwurf einbringen. Was nun die zwischenstaatliche Ebene anbelangt, so zeichnet sich in allen Ländern eine Verschärfung der Abschiebepraxis für illegale Einwanderer ab. Selbst die Königin der Niederlande hat am 15. September in ihrer Thronrede für ihre Regierung angekündigt, dass Illegale künftig das Land sofort verlassen müssten und dass die Asylverfahren verkürzt würden. Allerdings hat sie andererseits auch gesagt, dass darauf hingewirkt werden müsse, die Integration zu erleichtern. Hier stimme ich dem Ministerpräsidenten Dr. Vogel voll zu, der auch meinte, dass die Integration das Ziel derer sein müsse, die Verantwortung tragen für die, die hierher gekommen sind aber auch der Wunsch derer, die ständig hier bleiben wollen. An dieser Stelle sei auch nochmals an unsere eigene Verantwortung erinnert und daran, dass es ja wir Deutsche waren, die die ersten Gastarbeiter ins Land gerufen haben. Ich kann mich noch gut an das Foto erinnern, dass den einmillionste Gastarbeiter zeigte, der groß gefeiert wurde und einen Motorroller geschenkt bekam. Zuerst waren wir es, die die ausländischen Mitbürger aus unseren eigenen wirtschaftlichen Interessen ins Land gerufen haben. Und wenn heute einige sagen, wir bräuchten diese ausländischen Mitbürger, damit diese unsere deutschen Renten sichern, dann ist dies nur die Fortsetzung dieses nicht gerade edlen Gedankens. Natürlich nehmen die Deutschen bevölkerungsmässig ab. Aber ich sage an dieser Stelle auch, ein Volk, das aus lauter Bequemlichkeit und Luxus keine Kinder mehr haben will; ein solches Volk sollte in der Tat aussterben und sollte nicht über ausländische Mitbürger versuchen, noch wenigstens die Renten zu retten. Ich gebe zu, dies ist meine eigene private Meinung, die nicht unbedingt mehrheitsfähig ist. 11 Das Asylrecht für politisch Verfolgte wird nicht geändert und verschlechtert werden, aber ich habe ja mehrfach schon betont, dass Anspruch auf Asyl allenfalls für etwa 10 % derer, die hierher kommen wollen, die Probleme löst, denn nur etwa 10 % sind klassische Asylbewerber, also politisch Verfolgte. Ich glaube aber nicht, dass auf zwischenstaatlicher und auch nicht auf europäischer Ebene - selbst nach Amsterdam nicht - eine große Bereitschaft besteht, die Gründe für Asyl zu erweitern und wirtschaftliche Aspekte einzubeziehen. Wohl haben die niederländischen Bischöfe vorgeschlagen, dass auch wirtschaftliche Not unter den Gewaltbegriff fallen sollte. Aber so wie ich die 15 nationalen Staaten kenne, glaube ich kaum, dass auch nur einer bereit ist, den Asylbegriff als solches zu erweitern. Das österreichische Strategiepapier Auf europäischer Ebene wird inzwischen ein Ratspapier zur Migration diskutiert. (Es handelt sich um das „Strategiepapier zur Migrations- und Asylpolitik“, 9809/2/98 REV 2 des Rates der Europäischen Union.) Die österreichische Ratspräsidentschaft war ja sehr ehrgeizig. Sie hat im Juli ein Papier vorgelegt, das auf 42 Seiten in 134 Ziffern und einem Operationsplan mit über 50 Positionen viele Vorschläge unterbreitet. Vielleicht auch wegen dieser Fülle ist der zuständige österreichische Minister Schlögl prompt aufgelaufen, um es einmal so salopp auszudrücken, allerdings im Grunde nur wegen einer einzigen Formulierung, die zwar missverständlich, jedoch unter Juristen eigentlich gar nicht strittig ist. So entstand der falsche Eindruck, der Minister wolle die Genfer Flüchtlingskonvention ändern. Er hat nämlich gesagt, dass es früher überhaupt keinen Rechtsanspruch auf Asyl gegeben habe und dass man hierauf wieder zurückkommen sollte. Einen Anspruch auf Asyl gibt es rechtlich auch heute in der Tat nicht; nur in der deutschen Verfassung ist ein solcher vorgesehen. Wohl aber hat sich aus der Praxis, so wie die Genfer Flüchtlingskonvention angewandt wird, nämlich durch dieses Abschiebeverbot, das so genannte NonRefoulment, wie es fachlich heißt, eine Quasi-Asylgewährung ergeben. Der Ratspräsident hat nun vorgeschlagen, wieder zur ursprünglichen Praxis zurückzukommen und nur im Einzelfall Asyl zu gewähren. Dies sollten die jeweiligen Staaten auch von sich aus selber entscheiden können. Diese Bemerkung hat zu einem großen Aufschrei geführt, sodass das Papier im Moment zurückgezogen ist. Jetzt sind die Mitgliedstaaten aufgefordert, hierzu Stellung zu beziehen. Aber man wird davon ausgehen können, dass das sehr 12 ehrgeizige Ziel, nämlich auf dem Gipfel in Wien im Dezember 1998 dieses Papier zu verabschieden, eigentlich nicht mehr zu verwirklichen sein wird. Dies ist insofern auch nicht so schlimm, denn im Dezember müsste es noch auf der Basis des Maastrichter Vertrages beschlossen werden. Im kommenden Frühjahr, also während der nächsten - der deutschen - Ratspräsidentschaft, kann es unter den Amsterdamer Bedingungen geschehen, sodass das dann Beschlossene eine integrierte, verbindliche europäische Politik werden würde. Insgesamt sind die Gedanken, die in dem österreichischen Papier geäußert werden, eigentlich schon überprüfens- und überdenkenswert. Auf europäischer Ebene wird das Thema seit dem Jahr 1991 eigentlich als ein eigenständiges Fachthema behandelt. Die Europäische Gemeinschaft hat ja ursprünglich nur mit sieben bis acht Themengebieten angefangen; inzwischen haben wir Aufgaben aus über 20 Gebieten, und wie gesagt, nach Amsterdam wird u.a. Asyl- und Einwanderungspolitik ein weiterer eigenständiger Politikbereich. Es gibt ein früheres Kommissionspapier aus dem Jahr 1994 mit dem Titel „Zuwanderungs- und Asylpolitik“ [COM (94) 23 vom 23.2.94]. Das Papier listet auf 47 Seiten die Probleme auf, enthält 40 Seiten Tabellen und schließt mit einem Umsetzungsprogramm von 37 Ziffern ab. Das Dokument ist also mehr als eine Analyse zu betrachten mit einem guten Zahlenmaterial. Auch ist alles aufgelistet, was man tun sollte. Aber es steht leider nichts drin, was man tun wird. Insofern ist dieses Papier trotz des guten Inhalts mehr oder weniger nur als Grundlage für Doktorarbeiten geeignet. Das nun von Österreich vorgelegte Papier ist besser, weil hier sehr konkrete Vorschläge gemacht werden. Da nun - wegen der erwähnten Rückstellung des Papiers - noch nicht feststeht, welche Punkte später ernstlich beraten werden, ist es müßig und auch wegen der Kürze der Zeit nicht möglich, auf Einzelheiten einzugehen. Deshalb möchte ich nur einige grundsätzliche und entscheidende Anregungen des Papiers ansprechen. Unter anderem wird endlich definiert, wer Flüchtling ist. Losgelöst vom Asyl wird gesagt, wem man die Einwanderung gewähren soll. Ein Vergleich mit den Vereinigten Staaten zeigt allerdings, dass auch die Forderung, die im Papier enthalten ist, Einwanderungsquoten und Kontingente festzulegen, nicht unbedingt der Weisheit letzter Schluss ist. Denn in den Vereinigten Staaten und ebenso in Kanada und in Australien gibt es drei Einwanderungskontingente. Das Hauptkontingent betrifft die Familienzusammenführung. Es umfasst in den Vereinigten Staaten etwa Dreiviertel der Einwanderer, in Kanada und Australien jeweils etwa Zweidrittel. Und nur der verbleibende kleinere Rest wird dann nach humanitären Gesichtspunkten auf die 13 anderen Einwanderer verteilt, nämlich auf Flüchtlinge und auf eine „independent immigration“. Das sind Quoten, die verteilt werdenanhand des nationalen Interesses - auf bestimmte Berufsgruppen und bestimmte Altersgruppen, die nach einem Punktesystem gewichtet werden. Das heißt, für die eigentlich Verfolgten und für die, die am schlimmsten dran sind, ist das Kontingent mit am kleinsten. Insofern ist die Forderung nach Einwanderungsquoten eigentlich nicht die Lösung der Probleme, denn von den vom Schicksal am ärgsten Betroffenen können die meisten auch keinen entsprechenden Beruf vorweisen. Demzufolge würden sie unter keine dieser Quoten fallen. Aber gerade die humanitären Aspekte müssen wir stärker gewichten. Was das Verfahren anbelangt, so ist in Brüssel der so genannte K 4-Ausschuss zuständig. K4 ist die alte Artikel-Bezeichnung aus dem Maastrichter Vertrag. Der K4-Ausschuss setzt sich aus hohen Beamten zusammen, die in drei Lenkungsgruppen arbeiten. Die Lenkungsgruppe 1 befasst sich mit Einwanderung und Asyl. Sie gliedert sich in acht Arbeitsgruppen, nämlich in Rückführung, Visa, Außengrenzen, gefälschte Dokumente, Asyl und dann „Sirea“ und „Sirephi“ (letzteres sind Informations- und Reflexionsgruppen) und Euro-DAG (das ist die Gruppe, die sich mit den Fingerabdrücken befasst). Nur die letztere hat am vergangenen Mittwoch getagt, weil wie gesagt, das österreichische Papier augenblicklich nicht zur Debatte steht. Bei allen illegal Eingewanderten sollen die Fingerabdrücke gespeichert werden, um wiederholte Einreisen zu unterbinden. Deutschland wollte, dass dies auch für bereits hier lebende Illegale gilt. Einige Länder sperren sich gegen diesen Wunsch; Griechenland ist insgesamt gegen alle Vorschläge. Hier sieht man, dass auf diesem Gebiet noch vieles zu tun ist. Wenn nun Amsterdam in Kraft sein wird und damit die Europäische Union zuständig wird, heißt das aber noch lange nicht, dass es dann zügig vorangehen wird. Denn in den ersten fünf Jahren nach Inkrafttreten des Vertragsteils müssen alle Maßnahmen einstimmig beschlossen werden. Und nach diesen fünf Jahren wird der Rat wiederum erst einstimmig darüber befinden, welche Maßnahmen man künftig nicht mehr einstimmig beschließen muss. Also hier sind noch einige institutionelle und verfahrensmäßige Klippen zu umschiffen, die beachtlich sind. Zurzeit laufen Schengen-Verhandlungen über die Verschärfung der Außengrenzkontrollen. Hier hatte Deutschland vorgeschlagen, dass an den europäischen Außengrenzen auch Verbindungsbeamte aus anderen Ländern eingesetzt werden können. Dies wurde von den anderen Ländern jedoch abgelehnt, die wohl aus Souveränitätsgründen keine ausländischen Polizisten oder Grenzbeamte dulden wollen. Beschlossen wurde vor etwa 14 Tagen nur die Einführung so genannter Dokumentenbeauftragter. Die können dann in 14 ausländischen Reisebüros sitzen - sie haben Erfahrungen mit gefälschten Papieren -, um hier schon im Vorfeld zu steuern und zu sieben. Außerdem werden Haftungsgründe für Fluggesellschaften geschaffen, wenn sie Illegale transportieren. Aber man sieht bereits durch diese Konzentrierung auf die Illegalen, dass sich damit das menschliche Problem nicht lösen lässt. Hier hat nun das österreichische Papier vorsichtig einige Gedanken geäußert, die wir in der Praxis doch etwas näher untersuchen sollten. Wir befassen uns ja bisher immer nur mit den so genannten „Pull-Faktoren“. Das sind die Faktoren, die die Menschen anziehen: Bessere wirtschaftliche Verhältnisse, Arbeitsgründe, Sicherheit. Aber wir müssen uns immer mehr mit den „Push-Faktoren“ befassen. Das sind die Gründe, die die Menschen zwingen, von zu Hause wegzugehen. Die wichtigsten sind natürlich die entsprechenden politischen Umstände, wie beispielsweise auf dem Kosovo. Wenn wir natürlich niemals den Mut haben, dort auch militärisch zu intervenieren, sondern uns nur darauf beschränken, schön gedruckte Protestbriefe zu verschicken und wenn wir immer nur den moralischen Zeigefinger heben, sonst aber nichts tun, brauchen wir uns nicht zu wundern, dass sich Mord und Verfolgung fortsetzen. Deshalb plädiere ich persönlich für eine offensive Außen- und Sicherheitspolitik. Außerdem sollten auch wirtschaftliche und politische Sanktionen gegen die Länder verhängt werden, die so menschenverachtend mit ihren Bürgern umgehen. Doch in der Praxis sieht dies leider anders aus; wir haben ja gesehen, wie sich die europäischen Länder am vergangenen Dienstag schwer taten, das Start- und Landeverbot für die jugoslawische Fluggesellschaft durchzusetzen. England hat sich auf Altverträge aus dem Jahr 1959 berufen und gemeint, dass die immer noch gelten würden, da Großbritannien ja erst 1973 der Europäischen Gemeinschaft beigetreten sei. Griechenland wollte gleich gar nichts davon wissen. Also wenn wir nicht einmal so etwas schaffen, dann ist klar, dass wir auch die Migrationsprobleme nicht lösen können. Nötig sind also entsprechende Interventionen und Sanktionen gegenüber den Ländern, die die Menschenrechte so missachten, dass viele zur Flucht aus ihren Ländern gezwungen werden. Wenn wir das nicht erreichen, können wir alle anderen rechtlichen Aspekte vergessen. Zweitens, auch das schlägt Österreich vor, müssen wir die Entwicklungshilfe wieder verstärken und zwar durch gezieltere Maßnahmen. Wir müssen die Arbeit zu den Menschen bringen und dürfen nicht die Menschen zu den Arbeitsplätzen holen. Das hat kurzfristig natürlich auch negative Auswirkungen auf uns und 15 unsere eigenen Arbeitsplätze, aber langfristig gesehen bringt es mehr Vorteile, denn gerade ein Land wie Deutschland, das auf den Export angewiesen ist, muss doch ein Interesse daran haben, dass es immer mehr Länder gibt, die wirtschaftlich stark sind und für uns wichtige Handelspartner und Kunden werden können. Also eine entsprechende Neuorientierung der Entwicklungspolitik gehört dazu. Ein dritter Punkt, der steht nicht im österreichischen Papier, er gehört aber zu diesem Thema und war zudem mein Spezialgebiet im Europäischen Parlament: Wir brauchen neben der Charta für Menschenrechte vor allem eine Charta der Volksgruppen. Erst wenn - losgelöst vom Selbstbestimmungsrecht der Völker allen ethnischen Gruppen eine vollwertige Autonomie in ihren Heimatländern gewährt wird, lösen sich auch die interethnischen Konflikte, die heute im Grunde das politische Weltbild prägen. Doch selbst ein Bürgerkrieg ist - auch nach der Genfer Flüchtlingskonvention - kein dauernder Asylgrund. Dies zeigt doch die Tiefe der ganzen Tragödie auf. Humanitäre Aufnahmegründe Wir müssen dann weitere Bereiche einbeziehen, nämlich solche Fälle, die „nur“ humanitäre Aspekte haben. Und auch hier gewisse Einwanderungsquoten gewähren. Ich denke hierbei an den Fall der nigerianischen Asylbewerberin in Belgien, die letzte Woche bei der Abschiebung so tragisch zu Tode kam, weil sie - die mit einem Kissen ruhig gestellt werden sollte - im Polizeigriff erstickte. Die 20-jährige hatte als Grund der Einreise angegeben, dass sie mit einem etwa 60-jährigen hätte verheiratet werden sollen, der schon mehrere Frauen hatte. Dies ist natürlich ein Fall, der unter keinen einzigen der anerkannten Asylgründe fällt, und trotzdem ist er nachvollziehbar. Wir müssen also bereit sein, die Gründe, die zu einer humanitären Aufnahme führen können, auszuweiten und zu präzisieren. Das wird im österreichischem Papier auch vorgeschlagen. Solche Einzelfälle lassen sich leichter lösen, wenn man die Vorschlagsliste nicht noch mit anderen Wünschen überfrachtet. Einige Länder wollen natürlich noch progressiver sein und möchten auch den Nachzug von nicht ehelichen und besonders auch von gleichgeschlechtlichen Lebenspartnern erlauben. Darüber kann man reden. Nur sollte man bedenken, dass die Gewährung einer Aufenthaltserlaubnis in einem EU-Land normalerweise die Freizügigkeit mit einschließt, sich in die anderen Länder zu begeben und gegebenenfalls dort auch eine Arbeit aufzunehmen und einen Beruf auszuüben. Das Gleiche gilt auch für die Nicht-EU-Bürger, die gleichzeitig die (doppelte) Staatsangehörigkeit eines 16 Mitgliedslandes erhalten. Dies könnte Abwehrreaktionen in den anderen Staaten hervorrufen, die dann genau zum Gegenteil des Gewollten führen könnten. Man sollte also den Forderungskatalog nicht überdehnen. Deshalb ist der österreichische Vorschlag gut, endlich einmal klar zu definieren, was eigentlich unter Familienangehörigen zu verstehen ist. In der Kürze der Zeit kann ich nicht alle 50 Einzelpunkte des österreichischen Vorschlags auflisten aber die Erwähnung einiger weniger zeigt, dass die Europäische Gemeinschaft das Thema und Problemgebiet der Migration sehr ernst nimmt, weil es inzwischen als ein globales und nicht mehr als ein deutsches erkannt wird. Natürlich ist die Ausgangslage in den einzelnen Ländern verschieden, weil die Zahlen sehr unterschiedlich sind. Es gab ja Zeiten, in denen in Deutschland jährlich bis zu 400.000 Personen Asyl beantragt haben, während es zur gleichen Zeit in Irland weniger als 100 und in Portugal noch weniger waren. Da war natürlich die Bereitschaft der Anderen nicht all zu groß, das Thema zu europäisieren. Umgekehrt ist dieses Gebiet das einzige, bei dem die Deutschen Interesse daran haben, es zu europäisieren, um die Asylbewerber zu verteilen, nach dem englischen Wort „burdensharing“ (Verteilung der Lasten), wobei die Engländer sagen, es sei zwar ein englisches Wort, aber eine deutsche Utopie. Ob es also gelingen wird, die Einwanderer wirklich auf alle europäischen Länder anteilsmäßig zu verteilen, dies wiederum ist ein anderes politisches Problem, das zu lösen noch vor uns liegt. Der Amsterdamer Vertrag weicht diesem Problem wenigstens nicht aus. Insgesamt kann man sagen: Die Europäische Union, und das war nicht zu erwarten bei der Ausarbeitung des Amsterdamer Vertrages, wird gerade die Asyl-, Einwanderungs- und Migrationspolitik europäisieren und damit voranbringen. Das ist in der Tat eine sehr, sehr gute Ausgangsbasis für die weitere rechtliche Ausgestaltung und auch für die Einbeziehung des Europäischen Gerichtshofes zur Rechtsprechung auch auf diesem Gebiet. Abschließend will ich nochmals auf einige allgemeine Gedanken zur Europapolitik zurückkommen, die jedoch gut zum Thema passen. An diesen allgemeinen Grundsätzen kann man dann auch ersehen, dass es gerade aus menschlichen Gründen so wichtig ist, das Thema der Migration europäisch zu lösen. Im Augenblick wird ja die Europäische Gemeinschaft - wie schon eingangs gesagt fast nur mit Wirtschaft und Währung gleichgesetzt. Es wird aber vergessen, dass wir für den Bürger genauso viel tun. Es gibt nicht nur eine Unionsbürgerschaft, die ausgeweitet wird, sondern gerade der Europäische Gerichtshof hat in vielen Urteilen klar festgelegt, dass die Europäische Gemeinschaft primär für den Menschen da ist und nicht für die Wirtschaft. In der ursprünglichen Präambel 17 des Vertrags heißt es ja, dass die Grundlagen geschaffen werden sollen einen immer engeren Zusammenschluss der Völker Europas; wohlgemerkt: Völker und nicht etwa der Staaten. Daraus folgt, dass der Mensch Vordergrund steht, und deshalb gehört auch das Gebiet der Einwanderung, die Menschlichkeit besonders betrifft, natürlich zu den besonderen Aufgaben Europapolitik. für der im das der Wir wollen keinen kulturellen Einheitsbrei Nun kommen die ewigen Kritiker und sagen, was ihr da macht, führt doch letztlich nur zu einer Gleichmacherei, die die nationale Vielfalt außer Acht lässt oder einebnet. Doch genau das Gegenteil ist richtig. Wir wollen keinen „Einheitsbrei“, wir wollen kein zweites Amerika aus Europa machen. Niemand denkt daran, dass englische Essen zur Pflicht zu machen bis nach Sizilien. Das Schöne an Europa ist ja, dass es so viele Verschiedenheiten gibt, an denen wir teilhaben können. Viele Deutsche kochen ja auch schon mit Knoblauch, dafür wäre man früher noch vor ein Strafgericht geladen worden. Als ich in Paris studierte, in den Fünfzigerjahren, gab es noch keinen einzigen deutschen Lebensmittelladen dort; heute gibt es sogar ein spezielles deutsches Käsegeschäft in Paris. Vor 20 Jahren wäre der Betreiber dafür nicht vors Strafgericht, sondern sogar vor ein Kriegsgericht gestellt worden. Aber die Entwicklung zeigt doch, dass wir auf dem besten Wege sind, an den Kulturen, an den Werten der anderen wieder voll teilzuhaben. Niemand will - wie gesagt - einen Einheitsbrei. Wir haben früher sicher zu viel harmonisiert, und harmonisieren heißt ja nun wirklich vereinheitlichen. Harmonisieren ist jedoch schwer. Wir haben beispielsweise für die Harmonisierung der Architektenrichtlinie 17 Jahre gebraucht. Deshalb, ausgehend von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes, heißt die heutige Formel auch Deregulierung. Deregulierung bedeutet die gegenseitige Anerkennung, also die Anerkennung auch der nationalen Unterschiede. Nur wenn diese Unterschiede so groß werden, dass sie zu Hemmnissen oder zu Wettbewerbsverzerrungen führen, wird noch harmonisiert. Ich habe es im Rechtsausschuss, dessen Vorsitzender ich zwischenzeitlich auch war, erlebt, wie schwer man sich mit Harmonisierungen tut, wenn man bedenkt, wie verschieden die Einstellung zum Recht in den einzelnen Ländern sein kann und was für Folgen dies für das tägliche Leben haben kann. In England ist alles erlaubt, was nicht ausdrücklich verboten ist. In Deutschland ist umgekehrt alles verboten, was nicht ausdrücklich erlaubt ist. Und in der früheren DDR war ja alles verboten, 18 selbst das, was erlaubt war. In Italien wiederum ist alles erlaubt, selbst das, was verboten ist. Also jetzt harmonisieren Sie mal nationale Gesetze mit solchen verschiedenen Denkweisen! Die Vielheit in Europa wird also erhalten bleiben, wird sogar gewünscht und insofern ist Europa, wie ich eingangs sagte, wenn nicht die Lösung auch für die Migrationsprobleme, so aber doch - durch die Pluralität - ein Modell für die Lösung. Und ich sage auch, wie wollte man denn aus den vielen verschiedenen Nationalitäten einen Einheitseuropäer machen, wo die Menschen doch so unterschiedlich reagieren. Wie reagiert beispielsweise ein Ehemann in den einzelnen Mitgliedstaaten, wenn er seine Frau in flagranti mit dem Liebhaber überrascht? Also der Italiener erschießt seine Frau; der stolze Spanier erschießt den Nebenbuhler. Der sowieso vom Weltschmerz geplagte Deutsche erschießt sich selbst. Der Franzose geht gleich wieder zurück zu seiner Freundin; der Ire geht erst zum Kühlschrank und holt sich eine Flasche Whisky, und der Engländer zieht sich diskret zurück, solange ihm der andere noch nicht offiziell vorgestellt worden ist. Man sieht, niemand würde es schaffen, einen Einheitseuropäer zu produzieren und das will auch niemand. Das Schöne an Europa ist die Vielheit, und nur die Pluralität ist auch in der Lage, die Integration der nichteuropäischen Mitbürger, die aus bitterster Not zu uns kommen, zu gewährleisten. Denn ich sagte eingangs, Motiv zur Schaffung Europas ist nicht der wirtschaftliche Fortschritt, ist auch nicht die Währungsstabilität, sondern ist die Versöhnung der Völker. Und gerade das ist die Traumchance unserer Geschichte. Dadurch leben wir in der längsten Friedensepoche, in der wir je gelebt haben. Ich würde mir wünschen, dass der Friede auch in den Schulbüchern einen größeren und eigenen Stellenwert fände. In den Schulbüchern lesen wir immer noch vom 30-jährigen Krieg, vom siebenjährigen Krieg, vom 100-jährigen Krieg. Aber wir lesen nie: 20-jähriger Friede, 50-jähriger Friede, obwohl das wichtiger wäre. In keinem Schulbuch der Geschichte wird der altrömische Kaiser Antoninus Pius erwähnt, obwohl er nach Augustus am längsten regierte, nämlich fast 25 Jahre. Wir erfahren vieles über Severus, Titus, Vespasian und all die anderen. Als ich einmal einen Professor der Geschichte fragte, warum denn Antoninus Pius nicht erwähnt werde, meinte er nur: „Der hat ja keinen Krieg geführt, unter dessen Regierungszeit ist ja nichts passiert.“ Wenn also 25 Jahre lang keine Frau um ihren Mann trauert, kein Kind fragt, wo ist mein Vater, keine Mutter um ihren Sohn weint, dann sagt ein Historiker dazu nur: “Da ist ja nichts passiert.“ Meine Damen und Herren, dies sind doch eigentlich die schönsten Zeiten, in 19 denen nichts passiert. Aber leider sind die Zeitungen voll mit schrecklichen Überschriften: Kosovo, Bosnien, Umweltkatastrophen usw. anderen Deshalb meine ich, wir müssen nicht nur rechtliche, nicht nur politische Lösungen finden, sondern wir müssen menschliche Lösungen finden, denn wenn wir einmal am Tage des letzten Gerichts vor unserem Schöpfer stehen, wird er nicht fragen, wie- viel Geld hast Du verdient, was hast Du erreicht, wie viele Orden hast Du bekommen? Sondern er wird uns fragen, was hast Du für den Nächsten getan? Was wir für den Nächsten erreichen wollen, was wir mit Europa für unsere Bürger erreichen wollen, ist am besten in der Europahymne gesagt. Eigentlich haben wir ja noch keine eigene, wir behelfen uns mit Beethovens 9. Sinfonie und der Schiller‘schen Ode an die Freude. Aber besser könnte man es nicht sagen, worum es letztlich in Europa geht: „Alle Menschen werden Brüder.“ Aus gutem Grunde ist dies die Ode an die Freude. Und zu unseren Brüdern gehören auch und gerade die, die zunächst als Fremde und vor allem mehr noch jene, die in bitterster Not zu uns gekommen sind.