ERIKA WEINZIERL ZUR VERLEIHUNG DES EHRENPREISES 2008 DES PRESSECLUBS CONCORDIA, Wien, 5.5.2009 Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Professor Weinzierl! Liebe Erika! Es ist mir eine besondere Ehre und Freude, aus Anlass der Verleihung des Ehrenpreises 2008 des Presseclubs Concordia an Frau Prof. Erika Weinzierl einige Gedanken der Würdigung verlieren zu dürfen. Das ist in der kurzen Zeit nicht leicht, da die Geehrte seit langem nicht nur eine berühmte Historikerin, sondern auch eine der herausragendsten Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens ist. Unzählig sind ihre Publikationen (Autorin von 7 Büchern, Herausgeberin von 30 Büchern und Verfasserin von rund 250 Aufsätzen, speziell Begründerin und langjährige Hrsg. der noch immer existierenden Zeitschrift „Zeitgeschichte“). Nicht weniger beeindruckend ist die Liste Ihrer bisherigen Ehrungen und Würdigungen, die sie alle im offiziellen Lebenslauf (im Internet) nachlesen können und auch sollen. Ich erwähne hier nur: 1985 das Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst I.Kl., 1988 den Österreichischen Staatspreis für Kulturpublizistik (den später auch Ihr heute anwesender Sohn Ulrich erhielt – offenbar liegt das erfolgreiche Schreiben in der Familie), 1994 Wissenschaftspreis und 2000 Volksbildungspreis der Stadt Wien, 1995 Bruno Kreisky Preis für das politische Buch (Sonderpreis für das Lebenswerk), 1996 die Samuel Bloch Medaille der Aktion gegen den Antisemitismus, oder 2003 den renommierten Donauland-Sachbuchpreis „danubius“ für ihr Lebenswerk. Ihr beeindruckendes Schaffen entspricht besonders überzeugend den Zielsetzungen des Presseclubs Concordia, nämlich dem Eintreten für Pressefreiheit, Menschenrechte, Gleichberechtigung und dem Auftreten gegen jede Art von Diskriminierung, wobei die Reihe der bisher Ausgezeichneten die Besonderheit und Bedeutung dieses Preises eindrucksvoll dokumentiert: z.B. Vaclav Havel, Kardinal König, George Tabori, Leon Zelman, Oscar Bronner … Zu jeder dieser großen Figuren ließen sich leicht und gut persönliche und geistige Bezüge als Beleg für eine gemeinsame Sache im Dienste der Humanität herstellen. Ich kann und will hier nicht dieses außergewöhnliche Leben und Werk von Erika Weinzierl im Sinne einer oft beschriebenen Chronologie referieren, möchte aber doch auf einige bezeichnende Stationen und Themen Ihres Lebens eingehen, die mehr oder weniger die heutige Preisverleihung exemplarisch einbetten: 2 - Pressefreiheit: Kampf gg. Zensur und Monopol - Menschenrechte: Einsatz für Ost-Dissidenten vor 1989, Friedensbewegung - Gleichberechtigung: Frauenemanzipation - Anti-Diskriminierung: Kampf gg. Antisemitismus Als Historikerin hat Erika Weinzierl immer persönlich Stellung bezogen und die Frage der Gerechtigkeit und Toleranz in der Gesellschaft und Zeitgeschichte in den Vordergrund gestellt: Seien es die politischen Verstrickungen der geistigen und politischen Eliten in den Faschismus und NS (ich selbst habe noch die Salzburger Antrittsvorlesung über „Universität und Politik“ in guter Erinnerung, die mich persönlich zu weiterer einschlägiger Forschung in der Wissenschaftsgeschichte bis hin zur Gründung des Instituts Wiener Kreis im Jahre 1991 inspirierte), oder die antidemokratischen Strömungen seit Beginn der Ersten Republik, die den Weg für den nachfolgenden apokalyptischen Krieg mit der Schoah, der Massenvernichtung und Massenvertreibung des europäischen Judentums ebneten. Das Schicksal der jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger mit der hässlichen Fratze des latenten und offenen Antisemitismus stand daher immer im Zentrum ihrer Forschung, Lehre und öffentlichen Meinungsäußerung – ohne auf andere diskriminierte Minderheiten und gesellschaftlichen Randgruppen zu vergessen. (Kinder, Frauen, Homosexuelle, Roma und Sinti …). Sie wurde deshalb 2x vom Hauptausschuß des NR zum Kuratoriumsmitglied des Allgemeinen Entschädigungsfonds für Opfer des NS und Restitutionsmaßnahmen bestellt. Darüber hinaus hat Erika Weinzierl das komplementäre Phänomen des österreichischen Widerstands sowie der erzwungenen Emigration, des Exils und der kaum erfolgten Remigration immer wieder thematisiert. Der von ihr mit herausgegebene Band „Vertreibung und Neubeginn. Israelische Bürger österreichischer Herkunft“ (1992) stellt einen direkten Beitrag zu diesem sehr spät erforschten Gegenstandsbereich dar. Im Rahmen des von ihr begründeten „Ludwig Boltzmann-Instituts für Geschichte der Gesellschaftswissenschaften“ (später: „Geschichte und Gesellschaft“) hatte ich z.B. bereits Ende der 1980er Jahre die einmalige Chance, gemeinsam das Projekt der „Vertriebene Vernunft. Emigration und Exil österreichischer Wissenschaft“ realisieren zu können. Es ist also ihr Verdienst, übrigens immer in enger Kooperation mit dem DÖW bezüglich des marginalisierten Widerstands, sowohl den Holocaust als auch die Emigration als Forschungsgegenstand und Thema der politischen Kultur mit etabliert, und die nachfolgende Gründung einer Österreichischen Gesellschaft für Exilforschung (ÖGE) unterstützt zu haben. Ich darf Dir (als Dir nachfolgender Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirates) versichern: wir sind dabei, dieses Erbe weiterhin gut zu pflegen – auch wenn dieses Feld sicherlich nicht zu den geliebten Kindern der Kultur- und Wissenschaftsförderung zählt. 3 Weiters ist Erika Weinzierl regelmäßig als streitbare Person der Öffentlichkeit in Erscheinung getreten: sei es in der Causa Waldheim seit den 1980er Jahren oder nach der politischen Wende 2000 als vehemente Kritikerin einer Koalition, die einen folgenreichen Tabubruch in der österreichischen Innenpolitik vollzog: hier finden wir das durchgehende Motiv des Eintretens gegen jede Form des Deutschnationalismus und NS als Provokation für den demokratischen Rechtsstaat und für eine pluralistische Zivilgesellschaft vor dem Hintergrund eines stärker werdenden, mit Fremdenfeindlichkeit gepaarten Rechtspopulismus. Dazu gehört sicherlich auch die Skepsis gegenüber einer europaweit einzigartigen Monopolisierung in der österreichischen Medienlandschaft. Es ging hier der Geehrten einerseits um die defizitäre so genannte „Vergangenheitsbewältigung“ im Zeichen der Opferthese in der Zweiten Republik, andererseits um die Gefährdung einer politischen Kultur im „kurzen zwanzigsten Jahrhundert“ der Extreme und in einem neuen gemeinsamen Haus Europa. Ich denke, der Titel eines ihrer Bahn brechenden Bücher kann als mahnendes Resumé all dieser Aktivitäten betrachtet werden: „Zu wenig Gerechte. Österreicher und Judenverfolgung 1938-1945“ (1969, 4.Aufl. 1997). Erika Weinziel ist - als eine der wenigen Professorinnen - darüber hinaus die symbolische Personifikation für die Vision einer erfolgreichen „weiblichen Wissenschaft“ in der männerdominierten akademischen Welt. Sie hat gerade deshalb immer wieder auf die Marginalisierung und Diskriminierung von Frauen im Laufe der Geschichte aufmerksam gemacht und hat als eine der ersten mit Ihrem Buch „Emanzipation? Österreichische Frauen im 20. Jahrhundert“ (1975) auf die verschüttete Historiografie sowie auf die prekäre – noch immer vorhandene - Ungleichheit hingewiesen. Nicht zuletzt dokumentiert die Herausgabe eines Buches über die antinazistische Irene Harand zugleich den vergessenen weiblichen Widerstand. Der nach ihr benannte, im Jahre 2002 gestiftete „Erika Weinzierl Preis für Frauen und geschlechterspezifische Arbeiten“ an der Universität Salzburg wird ein bleibendes Signal für die künftige Forschung und Wissenschaftspolitik darstellen. Das problematische Verhältnis von Kirche und Staat, Religion und Wissenschaft im zeitgeschichtlichen Kontext begleitete Erika Weinzierls Leben bis heute: Besonders als langjährige Leiterin des Instituts für kirchliche Zeitgeschichte des Internationalen Forschungszentrums am Salzburger Mönchsberg hat sie sehr früh den christlichen Antisemitismus erforscht (ausgehend von der die Tabu brechenden Veröffentlichung „Österreichs Katholiken und der NS 1918-1933“ in Otto Mauers Zeitschrift „Wort und Wahrheit“ 1963ff.) sowie die fatale Rolle der Kirche im NS kritisch beleuchtet – was ihr nicht nur Freunde in der Amtskirche und in der katholischen Publizistik einbrachte. Sie hat zudem immer die Errungenschaften des Zweiten Vatikanums und Ihre damit verbundene Wertschätzung Kardinal Königs als eines Brückenbauers zwischen antagonistischen gesellschaftlichen und religiösen Kräften zum Ausdruck 4 gebracht: „Ecclesia Semper Reformanda“ war der passende Titel der Festschrift zu ihrem 60. Geburtstag mit ihren innovativen gesammelten Beiträgen zur österreichischen Kirchengeschichte im 19. und 20. Jahrhundert.(1985). An den Universitäten in Salzburg und Wien hat Erika Weinzierl als Ordinaria für österreichische Geschichte bzw. Zeitgeschichte von 1969 bis 1995 das akademische Leben, zugleich das öffentliche Interesse an der jüngsten Vergangenheit maßgeblich geprägt. Ich hatte das Glück, ihre Forschung und Lehre viele Jahre als Student begleiten zu können – und es war für mich eine große Ehre und Freude, dies auch als Wissenschaftler gemeinsam am Wiener Institut für Zeitgeschichte fortsetzen zu dürfen, wo nach einem Generationenwechsel in Deinem Sinne weitergearbeitet wird. An der Wiener Universität hat Erika Weinzierl von 1979-1995 als Lehrstuhlinhaberin der Zeitgeschichte gewirkt, wohin sie zu ihre geistigen und beruflichen Wurzeln zurückkehrte: dort begann ihre akademische Laufbahn mit dem Studium der Geschichte und Kunstgeschichte von 1945-1948 sowie danach als Historikerin am Institut für Österreichische Geschichtsforschung. Damals hat sie ihren Mann Peter geheiratet, der viele Jahre als Ordinarius für Physik an der Wiener Universität tätig war. Ihre beiden Söhne Michael und Ulrich haben hier studiert und Michael hat hauptberuflich bis zu seinem unerwartet frühen Ableben das wissenschaftliche Leben als Professor am Institut für Geschichte bereichert. Danach ist Erika Weinzierl 1969 an die Universität in Salzburg berufen worden, bis sie als Nachfolgerin des legendären Ludwig Jedlicka 1979-1995 als ordentliche Professorin für neuere und neueste Geschichte am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien das gesamte Fach und sein Umfeld von den Medien, über der Schule bis zur Erwachsenenbildung prägte. Liebe Erika, ich möchte hier im Kreise Deiner Freunde und Bewunderer keine akademische Laudatio halten und Eulen in die Concordia tragen: Deine Verdienste um die österreichische ZG sind hinlänglich bekannt und mehrmals in der Öffentlichkeit und an den Universitäten gewürdigt worden. Daher nur eine kurze eine persönliche Reminiszenz: Du hast mehrere Jahrzehnte das Fach Zeitgeschichte in Lehre und Forschung wesentlich verkörpert und nachhaltig beeinflusst, in der Scientific Community und in der breiten Öffentlichkeit. Das wurde von der Zunft nicht immer voll gewürdigt, aber die Reaktionen darauf haben Dir letztlich Recht gegeben. Das Sprichwort „Viel Feind, viel Ehr“ würde ich daher so auslegen, dass sowohl die Kritik als auch die Kritiker Dir zur Ehre gereichen. Die öffentlichen Kontroversen waren natürlich kein Zufall (ich erinnere mich nur an die Auseinandersetzungen zum „Siegfriedskopf“ im Arkadenhof des Hauptgebäudes am Ring, den wir inzwischen neu gestalten konnten): es war auch eine Folge Deines gewichtigen Engagements gegen den Geist von gestern und für Gerechtigkeit, Emanzipation und die noch immer 5 unterentwickelte demokratische Kultur in unserem Lande. Und es war Deine Bereitschaft nicht minder wichtig, auch zu aktuellen gesellschaftlichen Missständen und Fehlentwicklungen Stellung zu beziehen und die politische Verantwortung für Menschenrechte und Toleranz im Bewusstsein der katastrophalen eigenen Geschichte einzufordern. Deine kritische Stimme hat erfreulicherweise nicht an Bedeutung verloren (hierzulande und im Ausland). Das kompromisslose Auftreten gegen Unterdrückung, Rassismus, Rechtspopulismus und revisionistische Tendenzen in der Geschichtsschreibung und Politik machen Dich zu einer unentbehrlichen Mahnerin und authentischen Aufklärerin (was auch in Deinem langjährigen Engagement in der Gesellschaft für politische Aufklärung zum Ausdruck kam). All dies sei erwähnt, weil es nicht selbstverständlich im CV einer anerkannten Wissenschaftlerin ist, deren Bücher zu den Standardwerken der österreichischen Zeitgeschichte zählen: es sind die Publikationen zur Geschichte der Ersten und Zweiten Republik, der NS-Zeit, aber auch durch viele weitere Beiträge – wie z.B. die kritischen Forschungen zur kirchlichen Zeitgeschichte, Justiz und Zeitgeschichte (als Ergebnis von vielen Tagungen), nicht zuletzt (weil es u.a. mein eigener Arbeitsbereich wurde) zur österreichischen Wissenschaftsgeschichte. Ich könnte hier noch viel Lobenswertes anführen, aber ich möchte mit einigen persönlichen Bemerkungen zum Menschen Erika Weinzierl enden, um die Veranstaltung nicht über Gebühr mit meinen Ausführungen zu strapazieren: Unsere Lebenswege kreuzten sich seit meiner Salzburger Studentenzeit in der legendären Kast-Villa oder am Mönchsberg mehrmals und verliefen zuletzt auch parallel. Rückblickend möchte ich sagen: ich habe nur nur angenehme Erinnerungen, was im Wissenschaftsbetrieb wohl eine Ausnahme darstellt. Die Gründe dafür liegen in Deiner überzeugenden Menschlichkeit und wissenschaftlichen Exzellenz. Ich bin mehrmals kritisch gefragt worden, ob es so etwas wie eine „Weinzierl-Schule“ gibt und ich habe dies nach längerem Nachdenken verneint. Es gibt keine klassische wissenschaftliche „Schule“ oder ein Forschungsprogramm, wenn man Deine zahlreichen Studierenden, SchülerInnen und von Dir kommenden erfolgreichen ForscherInnen überblickt. Natürlich spiegeln sich wesentliche Themen Deiner eigenen Arbeit auch in deren Schaffen, aber das wäre wohl nicht hinreichend. Ich denke, es ist auch das geistige Klima, verbunden mit Anregung und Toleranz, das die Qualität Deines Wirkens ausmacht. Überhaupt scheint mir für den wissenschaftlichen Betrieb allgemein eine Balance von Vertrauen, Freundschaft und Wettbewerb (trust and competion) entscheidend für Kreativität und Erfolg. 6 Liebe Erika, Du wurdest in einer Deiner Festschriften als „Mutter Courage der Zeitgeschichte“ (Ernst Hanisch) gewürdigt: die Charakterisierung stimmt, auch wenn die Figur nach meiner Kenntnis des Brechtschen Werkes nicht typisch ist. Aber die Bezeichnung macht schon Sinn: Offenheit, Pluralismus und Dialog, gepaart mit Widerstand gegen jede Unmenschlichkeit sind nicht nur mit Forschung und Lehre vereinbar, sondern sollten Merkmale jeder Form von Arbeit sein. Wir bewundern alle, wie Du Deinen arbeitsreichen Weg gegangen bist, solange es Dir möglich war (zuletzt in der „Liechtenstein-Kommission“), obwohl Du in den letzten Jahren schwere Schicksalsschläge hinnehmen musstest. Heute freuen wir uns über die Verleihung des Concordia-Preises 2008 für dein Lebenswerk, auf das Du bereits jetzt stolz zurückblicken kannst. Ich danke den Mitgliedern der Jury für Ihre ausgezeichnete Wahl und gratuliere Dir, liebe Erika, zu dieser Auszeichnung – verbunden mit dem Wunsch, dass Du noch lange Deine gewichtige Stimme für Gerechtigkeit und Menschlichkeit in unserer Gesellschaft erheben mögest - ganz im Sinne des von Dir geschätzten Aufklärers Sigmund Freud (Beginn am Gedenkstein im Sigmund Freud Park): „ Die Stimme des Intellekts ist leise, aber sie ruht nicht, ehe sie sich Gehör verschafft hat. Am Ende, nach unzählig oft wiederholten Abweisungen, findet sie es doch. Dies ist einer der wenigen Punkte, in denen man für die Zukunft der Menschheit optimistisch sein darf … „ (GW 1927, XIV:377). Nochmals Gratulation, alles Liebe und viel Gesundheit auf Deinem weiteren Lebensweg. Wien, 5.5.2009 © Univ.Prof.Mag.Dr. Friedrich Stadler (Professor für History and Philosophy of Science) Universität Wien, Institut für Zeitgeschichte und Institut für Philosophie Institut Wiener Kreis [email protected]