Die Revolution von 1918/19 in Bayern

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Universität Regensburg
Institut für Geschichte
Lehrstuhl für Bayerische Landesgeschichte
WS 2007/2008
Dr. Georg Köglmeier
Übung zu Staatsexamensthemen aus der Bayerischen Geschichte
Referentinnen: Katharina Wittig, Julia Lindner
31.01.2008
Die Revolution 1918/1919 in Bayern: Ursachen, Verlauf, Folgen
(H 1996 n.v., F 1993 v., H 2005 n.v.)
A. Einleitung
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Definition: Revolution
Bayerische Revolution keine durchgehende, sondern Folge von vier Revolutionen
(Zentrum München)
Im November 1918 in ganz Deutschland revolutionäre Umstürze
Nach vier Jahren Krieg und sich abzeichnender Niederlage herrschte Kriegsmüdigkeit
Revolution in Bayern kein singuläres Ereignis in Europa
→ 7. November 1918 als Jahrestag von Lenins Oktoberrevolution
08.11.1918: Ausrufung des „Freistaates Bayern“
Bayerischer König war der erste Monarch in Deutschland, der seinen Thron verlor
Gewaltsames Ende der vierten Revolution führte dazu, dass man das gesamte
Revolutionsgeschehen als radikal einstufte
B. Die Revolution 1918/1919 in Bayern: Ursachen, Verlauf, Folgen
1. Ursachen der Revolution in Bayern
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Unzufriedenheit mit dem politischen System:
o Konstitutionelle Monarchie: Exekutive ohne Kontrolle durch Kammern, König
vereinigte alle Staatsgewalten, Souverän im Staate, Abhängigkeit vom
Parlament bei der Gesetzgebung und Steuerbewilligung
o Zweikammersystem: Beide Kammern konnten sich gegenseitig blockieren
1. Kammer: ausschließlich Adelige
2. Kammer: mit Zensuswahlrecht (ca. 1/3 der männlichen Bevölkerung
wahlberechtigt)
Ansehensverlust der bayerischen Monarchie: Abdankung Ludwigs I., Entmündigung
Ludwigs II., lange Prinzregentenzeit bis zu ihrem Ende 1913, mangelnde bayerische
Eigenständigkeit gegen preußischen Obrigkeitsstaat
Verspätete Reformversuche:
o 1917 Antrag der SPD im LT zu Reformen (Parlamentarisierung und
Demokratisierung) abgelehnt
o 02.11.1918: „Abkommen zwischen Regierung und Landtagsparteien“:
parlamentarische Monarchie (Reform der 1. Kammer, Verhältniswahlrecht,
Regierungsumbildung mit SPD, Zentrum und Demokraten). Gescheitert, da
Revolution bereits vor Beschluss der Reichsrätekammer ausgebrochen
Kriegsmüdigkeit gepaart mit Preußenhass und Autoritätsverlust der Regierung
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2. Verlauf
2.1 Die erste Revolution unter Kurt Eisner (07./08.11.1918)
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Vorgeschichte: Eingeständnis der Niederlage durch OHL im September 1918
Aufstand der Matrosen in Kiel am 03.11.1918
→ Ausbreitung der Revolution in ganz Deutschland
Am Umsturz beteiligt:
o Hauptpersonen: Kurt Eisner, Erhard Auer
o Gruppen: USPD (Unabhängige Sozialdemokratische Partei), MSPD
(Mehrheitssozialdemokraten)
Kurt Eisner:
o 1867 als Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie in Berlin geboren
o Journalist
o 1897 wegen Majestätsbeleidigung für 9 Monate in Untersuchungshaft
→ Abneigung gegen preußischen Staat
o Bereits 1914 von der alleinigen Kriegsschuld Deutschlands überzeugt
o Schloss sich bei Spaltung der SPD der USPD an, die im Gegensatz zur MSPD
die Kriegspolitik der Regierung bekämpfte
o Führende Rolle in der Münchner USPD, aber niemals Vorsitzender
o 1918 maßgeblich an Organisation des Januarstreiks in München beteiligt
o Beabsichtigte damals bereits Revolution
o Mit anderen Streikführern wegen Landesverrats verhaftet; kam in
Untersuchungshaft
o Wurde von der USPD als Kandidat für Ersatzwahlen für ein Reichstagsmandat
nominiert und kam deshalb frei
o Nutzte Wahlkampf zur Propagierung der Revolution für den Frieden
o Regierung geht nur halbherzig gegen Umsturzpläne vor
07.11.1918: Friedensdemonstrationen auf der Münchner Theresienwiese, organisiert
von MSPD, USPD und Gewerkschaften. 20.000- 40.000 Teilnehmer
Mehrere Redner, ca. 20-25, u. a. Eisner und Auer
Mehrheit zog nach Abschluss unter Führung Auers durch die Stadt zum Friedensengel
Kleiner Teil (ca. 1500) zog unter Eisner und Ludwig Gandorfer mit einer Gruppe von
Soldaten mit roten Fahnen zu den Kasernen
Revolutionäre Aktionen: Kasernen werden gestürmt, Revolutionäre bemächtigen sich
zahlreicher Waffen, Munition und Kraftfahrzeugen; vereinzelt Plünderungen und
Zerstörungen
Um 21 Uhr alle Kasernen in Hand der Revolutionäre → Umsturz im Wesentlichen
vollzogen
Übertritt der Münchner Garnison auf Seite der Revolutionäre
o → Verlust des letzten Mittels zur Ausübung staatlicher Gewalt von Seiten des
alten Regimes der Hauptstadt
Erster Schritt der Revolution war Soldatenmeuterei
Im entscheidenden Augenblick versagten staatliche Sicherheitsvorkehrungen (u. a.
Spitzelwesen)
König Ludwig III. verließ München (kehrte nicht mehr nach München zurück →
faktische Aufgabe der Herrschaft)
Räte spielten tragende Rolle nach Kasernensturm, um revolutionäre Bewegung zu
konsolidieren
Wahl von Soldaten- und Arbeiterrat → Vorsitz: Eisner
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Räte organisierten weiteren Verlauf: Besetzung öffentlicher Gebäude
In der Revolutionsnacht Besetzung des Kriegsministeriums und Polizeipräsidiums
Zugang zum Landtagsgebäude: Eisner eröffnete konstituierende Versammlung der
Arbeiter-, Soldaten- und Bauernräte
Sollten zunächst Übergangsparlament bilden, das später durch Nationalversammlung
ersetzt werden sollte
Strebte parlamentarisches System an
Proklamierte Republik Bayern, in der kein Platz für Monarchen sei
Unblutiger Verlauf des Umsturzes, da kaum staatliche Gegenwehr
Versammlung im Franziskaner- Bierkeller und Mathäserbräu
08.11.1918: Ausrufung des „Freistaates Bayern“; Bildung einer provisorischen
Regierung → weitere Konsolidierung
Eisner wurde Ministerpräsident und Außenminister
Zusammensetzung der Regierung:
o MSPD, die nicht am Umsturz beteiligt war, stellte vier der acht Minister
o USPD stellte nur zwei Minister
o Zwei weitere Minister waren parteilos
Regierung blieb bis Februar 1919 unverändert im Amt ( Art revolutionäre Diktatur)
12. Januar.1919: erste Wahlen in der Republik Bayern nach dem Verhältniswahlrecht
(auch Frauen waren wahlberechtigt)
Wahlausgang ungünstig für Parteien, die Revolution getragen hatten: BP 35%, MSPD
33%, USPD 3% → Sieg der bürgerlichen Parteien, Verlierer USPD
» Revolution beseitigte bisherige Staatsform (Monarchie) und dessen oberste Spitze (König)
führte aber keinen Strukturwandel herbei
» König erkannte am 13.11.1918 neue Situation an und legte Regierung nieder
» Beamte wurden vom Beamteneid durch den König entbunden → von
Revolutionsregierung als „Thronverzicht“ angesehen
2.2 Die zweite Revolution: Zentralrat und Aktionsausschuss gewählt (21.01.1919)
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21.02.1919: Landtagseröffnung
Sollte Übergang zur parlamentarischen Demokratie markieren
Überschattet von zwei Attentaten
o 1. Attentat auf Kurt Eisner, der auf dem Weg zum Landtag war, um dort seinen
Rücktritt zu erklären. Auf dem Weg von Anton Graf Arco erschossen
o 2. Attentat: Als Rache für den Mord an Eisner wurde Auer im Landtag von
einem revolutionären Arbeiterrat (Alois Lindner) erstochen; zwei weitere
Abgeordnete starben → LT löste sich auf
→ Machtvakuum: weder provisorische Regierung, noch Landtag handlungsfähig
→Räte übernahmen die Macht
→Belagerungszustand über München
o landesweit ausgebautes System aus Arbeite-, Soldaten- und Bauernräten
o seit 21.02.1919 zwei Gremien: 1. Zentralrat: Oberstes Gremium (12Personen)
2. Aktionsausschuss (ca. 30 Mitglieder)
Übernahme der Regierungsgewalt beschränkte sich auf Staatsspitze; noch keine
Räterepublik
25.02.1919: Kongress der bayerischen Räte in München, durch Zentralrat einberufen:
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o Gegen Räterepublik, für parlamentarische Demokratie
o Wiedereinberufung des LT befürwortet
01.03. 1919: Rätekongress bildete neue Regierung; Vorsitz: Martin Segitz
17./18.03.1919: Landtag
o wählte MP Johannes Hoffmann (linker MSPD- Flügel)
o Regierung aus MSPD, USPD und Bauernbund von bürgerlichen Parteien
toleriert
o Ermächtigungsgesetz: wichtige Vollmachten für die Regierung
o Notverfassung: „Vorläufiges Staatsgrundgesetz des Freistaates Bayern“
 MP sollte vom LT gewählt werden
 Regierung vom Vertrauen des LT abhängig und diesem gegenüber
verantwortlich
→parlamentarische Demokratie formell und verfassungsmäßig hergestellt
Gegensätzliche Tendenzen:
o Übergang zur pluralistischen und repräsentativen parlamentarischen
Demokratie blockiert
o Neben dem Zentralrat, als Inhaber der Macht nun auch vom LT gewählte
Regierung
o Gemäßigte Linke geschwächt, u. a. auch durch Verlust der zwei
Führungspersönlichkeiten Eisner und Auer
2.3. Dritte Revolution („Scheinräterepublik“)
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Ursachen:
o Schlechte wirtschaftliche Lage (viele Arbeitslose
o Ideologische Gründe einer radikalen Minderheit
04.04.1919: Beratung von Regierung, Räten und Gewerkschaften darüber in München
 kein Beschluss; Ablehnung durch die KPD (Masse müsste entscheiden)
06./07.04.1919: Ausrufung der Räterepublik durch „revolutionären Zentralrat“
o Auflösung des Landtags erklärt
o Ministerium sei zurückgetreten
o Alle Gewalt bei Räten und Kontrolle durch Räte
o Rat der Volksbeauftragten (blieb bedeutungslos)
o Oberstes Gremium: Revolutionärer Zentralrat
Flucht der Regierung Hoffmann nach Bamberg
Räterepublik zwischen zwei Stühlen
o KPD nicht dabei  „Scheinräterepublik“
o Regierung Hoffmann nicht zurückgetreten, sperrte Lebensmittelzufuhr für
München, sammelte Truppen für militärische Niederschlagung (bayerische und
württembergische Freikorps, sowie Reichstruppen  „Weiße Truppen)
=> chaotisch, dauerte nur 6 Tage Ende am 13.4.1919 „Palmsonntagsputsch“
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2.4. Vierte Revolution: Kommunistische Räterepublik (13. – 27.04.1919)
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Kommunisten ergriffen Macht
Versammlung der Münchner Betriebs- und Soldatenräte im Hofbräuhaus: wählte
KPD-Führer an Spitze der neuen Räterepublik (Leviné); 15gliedriger
Aktionsausschuss und fünfköpfigen Vollzugsrat
Versammlung im Hofbräuhaus blieb bestehen  Hofbräuhausparlament (1200 – 4000
Personen; fast täglich tagend)
Radikale Entscheidungen
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Forcierte Ausbau der Roten Armee
Bürger hatten Waffen abzugeben, bei Drohung von Erschießungen
Hausdurchsuchungen nach gehamsterten Lebensmitteln
30 Personen als Geiseln verhaftet
Generalstreik und Presseverbot
 Regierung Hoffmann entschließt sich zu militärischer Lösung
 wirbt für Bildung von Freikorps (Freikorps „Oberland“, „Bodensee“, „Regensburg“)
 Kämpfe folgen Fall Augsburgs
 Spannungen zwischen kommunistischer Gruppe und USPD-Gruppe wuchsen
 Vertrauensfrage Levinés  Rücktritt der kommunistischen Führung am 27.4.1919
2.5. Ende der Revolution: Weiße Truppen erobern München (02.05.1919) Gegenrevolution
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Weiße Truppen schließen am 01.05. den Ring um München Einmarsch in München
(brutales Vorgehen)
Kämpfe um München: ca. 500 Tote, darunter auch viele Zivilisten; insgesamt nur 38
Freikorpssoldaten.
Über 2000 Anhänger der Räterepublik von Standgerichten zum Tode oder zu
Haftstrafen verurteilt
Leviné wurde hingerichtet, Landauer brutal ermordet, Mühsahm und Toller zu Haft
verurteilt; Max Levien gelang die Flucht
Aufhebung des Standrechts am 01.08.
Unterzeichnung der „Bamberger Verfassung“ am 14.08. (Parlamentarische
Demokratie: Volkssouveränität, Landtag im Mittelpunkt, Minister u. Regierung von
Landtag bestellt und diesem verantwortlich)  Rätegedanke kam nur in
wirtschaftlichen und sozialen Aufgaben zum Ausdruck („berufsständische
Vertretung“)
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3. Folgen
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rechtsextreme Hetze (vergiftetes politisches Verhältnis)
Versäumnisse der Revolution (ausgebliebene Demokratisierung der monarchistischen
Justiz und Verwaltung) schweres Erbe für die Demokratie in der Zeit der Weimarer
Republik; begünstigten den Aufstieg der Nationalsozialisten
politische Einseitigkeit der Justiz (rechts motivierte Verbrecher milder bestraft)
Bayern Sammelbecken rechtsradikaler Kreise
C. Fazit
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Entwicklung von konstitutioneller Monarchie zur repräsentativ –parlamentarischen
Republik in Bayern revolutionär
Weder Monarchie, noch Rätesystem konnten sich durchsetzen  monarchische
Strömungen blieben erhalten, aber nicht mehr ernsthaftes Thema
Trauma bei Bevölkerung blieb
Die „Ordnungszelle Bayern“ war über Jahre hinaus ein Hort der Reaktion, in dem sich
antidemokratisch, rechtsextrem und antisemitisch gesinnte Kreise unbehelligt
entwickeln konnten Folge der Revolution
Literatur:
Hartmann, P.-C.: Bayerns Weg in die Gegenwart, Vom Stammesherzogtum bis zum Freistaat heute, München
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2004.
Köglmeier, G.: „Das Ende der Monarchie und die Revolution von 1918/19“, in: Bonk, S./Schmid, P. (Hg.),
Königreich Bayern. Facetten bayerischer Geschichte 1806 – 1919, Regensburg 2005, S. 175 – 198.
Spindler, M., Kraus, A., Schmid, A. (Hrsg.): Handbuch der bayerischen Geschichte, Bd. 4/I, München 22003.
Treml, M.: Geschichte des modernen Bayern, Königreich und Freistaat, München 1994.
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