Autor unbekannt Folkwangschule für Gestaltung, Abteilung Architektur Essen-Werden, WS 1969/70 Völkerkundliche Studie Die MARIND ANIM - Neuguinea Untersuchung der typischen Behausung einer naturvölkischen Kultur heutiger Zeit Abb. 1: Pfahlbau in Baikar Siehe earth.google.de Inhaltsverzeichnis I. Gegebenheiten des Umsystems (Link > Umsystem II. Die Marind-anim III. Geschichte und Kultur IV. Beschreibung des Objektsystems (Link > Objektsystem) Literaturnachweis Abb. 1: Karte der Insel I. Gegebenheiten des Umsystems Geographie Neuguinea ist mit 785 000 qkm die größte Insel der Erde und liegt nördlich von Australien. Neuguinea und Australien sind durch die Torresstrasse und die Arafurasee voneinander getrennt. Südlich vom steil abstürzenden bis 5050 m hohen Zentralgebirge breiten sich eine weite Ebene und flachwellige Landschaft aus. Nördlich von der Geelvink-Bai bis zum Huongolf ist eine Senke. An der Nordküste entlang verlaufen das Torricelli- und FinisterreGebirge und im Osten das Saruwaged-Massiv. Dipul, Fly River, Mamberano, Sepik, Ramu und Markham sind die Flüsse, die Neuguinea durchfließen. Das Klima ist feucht-tropisch Die Gebirge sind bis 2000 m Höhe mit tropischem Regenwald bedeckt, weiter hinauf werden die von Grasflächen und schließlich von Geröllfeldern bedeckt. Klima Das Klima in den Sümpfen ist eine Hölle von Dunst, drückender Hitze, Moskitos und Malaria. In den Bergen ist es meist schlammig und naß. Das ganze -Jahr hindurch regnet es tagtäglich in diesem oder jenem Teil des Gebirges. Das Land zählt zu den regenreichsten Gebieten der Erde. Wenn die heißen, feuchten Wolken von der Küste auf die kühlen Berge auftreffen kondensieren sie und geben das Wasser wieder ab. In einigen exponierten Lagen der Berge beginnt es ungefähr um drei Uhr nachmittags an wenigstens hundert Tagen im Jahr zu regnen. Die Tagestemperatur ist angenehm, aber nachts kann es in jenen Gebirgsregionen einer -Höhe zwischen 2000 m und 3000 m eisig kalt sein. Die ergiebigen Regenfälle verursachen Sturzbäche in den tiefen Schluchten, und diese tragen dazu bei, daß ein großer Teil des Terrains unpassierbar ist. Tierwelt Zu den wenigen Säugetierarten, die in Neuguinea beheimatet sind, gehören das Wildschwein, die Braunbären und das Känguruh. Die Vogelwelt hingegen ist artenreicher. Man findet dort den Kasuar, Paradiesvogel, Leierschwanz, die Krontaube, das Nashornvogel und den Papagei. Bevölkerung Neuguinea wird von rund 2‚5 Millionen Menschen bewohnt, die alle dunkelhäutig und wollhaarig sind., Trotzdem gehören sie einer einheitlichen Rasse an. Neben einem breitgesichtigen und breitnasigen Typus, der dem Melanesier ähnelt, gibt es einen zweiten Typus mit schmälerem Gesicht und Hakennase, der besonders im Gebiet zwischen dem Dygul und dem Flyfluß, aber auch an der Astrolabebai vorkommt. Die Leute dieses Typus sind gewöhnlich verhältnismäßig groß und hager, doch tritt er auch bei kleinwüchsigen Leuten, wie denen des Binnenlandes nördlich vom Kap König Wilhelm, auf. Meistens sind die verschiedenen Rassen bereits sehr stark miteinander vermischt, so dass in vielen Dörfern Menschen verschiedensten Aussehens nebeneinander leben. Dazu kommt im äußersten Westen von Neuguinea noch eine starke Beimischung von indonesischen Einwanderern, auf einigen Inseln der Torresstraße eine Mischung mit Australiern und vermutlich auch noch die heute kaum erkennbare, der Tasmaniern nahestehende Rasse, von der sich auch in Melanesien noch Spuren finden. Außerdem leben auf Neuguinea noch Pygmäen. Abgesehen von Pygmäen auf der Mormaribyinsel nahe der Ostspitze von Neuguinea gehören zu ihnen: die Kamaweka am östlichen Knick der Grenze von Papua und dem australischen Mandatsgebiet, die Pygmäen des Sattelberges und von Kap König Wilhelm (beides im Finschhafengebiet), vom Gogol und Ramufluß vom Sepiksteppengebiet, vom Torricelligebirge, die Botem im Sternengebirge im niederländischen Inselteil und westlich von ihnen in den Hochgebirgen die Goliathbergpygmäen, die Pesechem und die Tapirobergpygmäen. Die kleinsten von ihnen sind die Tapirobergpygmäen mit 144,9 cm Körperhöhe. Auch die übrigen überschreiten nicht 150 cm. Ihnen stehen manchmal nur ihre um ein weniges größere Nachbarn nahe, z.B. die Pesechem, die Bewohner des Diká-Panará-Gebietes, mit denen die Pesechem auch sprachlich verwandt sind. Eine scharfe Grenze zwischen Pygmäen und der übrigen Bevölkerungsteilen von Neuguinea besteht weder der Rasse noch der Kultur und der Sprache nach. Die Pygmäen bilden keine eigene Rasse, sondern sind kleinwüchsige Abarten ihrer Nachbarn, von deren Kultur sich die ihre nur durch eine gewisse Armut unterscheidet. So unterscheiden sich die Botem von ihren größeren, aber nicht sehr hoch-wüchsigen Nachbarn am oberen Digul nur durch des Fehlen von Speer, Schild, geflochtenem Panzer und Schmuck reicherer Art, durch ihre bessere Schießkunst mit Pfeil und Bogen und dadurch, daß ihre Frauen nicht naturfarbene sondern schwarz oder rotgefärbte Faserröcke tragen. Die Küstenbewohner eines Teils von Neuguinea sind zugewanderte Melanesier, die auch melanesische Sprachen sprechen. Wenn auch der überwiegende Teil von ihnen nichts mit dem hakennasigen Typus zu tun hat, so sind doch die Grenzen zwischen Sprachen, Rassen und Kulturen nicht mehr dieselben wie früher zur Einwanderungszeit. Sprachen Melanesische Sprachen werden gesprochen im östlichen Australisch-Neuguinea an den Küsten des Mekeo- und Zentraldistriktes, der Collingwoodbai, auf den Nachbarinseln im Osten (Trobriand- und d’Entrecastreaux-Gruppe), im ehemals deutschen Teil (dem jetzigen Mandatsgebiets Neuguinea) und mit Unterbrechungen an der Küste des Mandatsgebietes. Den ostindonesischen Sprachen (Süd-Ha1mehera) stehen die Küstensprachen im Westteil der Geelvinkbai, auf den Papua Inseln und von der Argunibai bis zur Etnabai nahe. Alle übrigen Sprachen mit Ausnahme der den südlichen Inseln der Torresstraße gesprochene australischen Sprachen sind sogenannte Papuasprachen. Während die melanesischen Sprachen untereinander nach Wortschatz und vollständig verschieden, und nur in der Grammatik zeigen sich einige Übereinstimmungen. Auch außerhalb Neuguineas gehören einige Sprachen zu den Papuasprachen, so die Sprache der Baining auf Neupommern, und die der von Buin auf Bougainville, den Salomoninseln. Handel Im allgemeinen zeigt sich die melanesisch sprechende Küstenbevölkerung auf Neuguinea seetüchtiger und überhaupt unternehmungslustiger als die des Binnenlandes. Im südlichen Australisch-Neuguinea sind die Leute von Motu und Mailu Händler und Seefahrer, die mit Fahrzeugen aus zwei vereinigten und. überhöhten Einbäumen an den Küsten entlang segeln und ihre selbstgemachten Tontöpfe und Armringe, ihre Schweine, Hunde und Muscheln gegen Lebensmittel und andere Dinge einzutauschen suchen. An den Küsten Neuguineas betreiben die Bewohner von Tami und den Siassiinseln am Huongolf, die Bili-Bilileute an der Astrolabebai und die Bewohner der Inseln bei Aitape entsprechende Handelsfahrten, ‘benutzen dazu aber Boote mit einem Ausleger. Im niederländischen Teil, wo im Norden Boote mit 2 Auslegern üblich sind, sind die Leute der Insel Biak in der Geelvinkbai überall Wanderhandwerker an der Nordküste. Auf den großen Strömen, dem Sepik, Ramu, Purari, Bamu, Flyfluß, Bian, Bigul, Eilanden- und Lorentzfluß, Bamberano usw. geht dagegen der Verkehr in Einbäumen vor sich und beschränkt sich auf den friedlichen oder kriegerischen Besuch nicht allzuweit entfernter Dörfer ohne ausgesprochene Handelsabsichten. Das aber auch unter den papuanisch sprechenden Eingeborenen Unternehmungslust vorhanden ist, beweisen die kopfjagenden Marid-anim im Süden von Niederländisch-Neuguinea, die sich bis an den oberen Digul und in das Gebiet zwischen Torresstrasse und Flymündung ausdehnen. Politik Im Westen Neuguineas macht sich starker Einfluß von Indonesien her bemerkbar, der von Tidore, dessen Sultane jeher die Herrschaft über Niederländisch-Neuguinea beanspruchten, von Halmahera und von den Kaufleuten de Seranaut-, Gorong- und Watubelainseln ausgeht. Die Ostgrenze dieses Einflußgebietes liegt etwa am Ostende der Geelvinkbai im Norden und bei der Tritonbai, doch waren die Stämme des Binnenlandes fremden Einfluß weniger ausgesetzt. Hauptsächlich äußert sich der indonesische Einfluß im Dasein einer mohammedanischen Mischbevölkerung in den größeren Küstendörfern und von mohammedanischen Eingeborenen, im Aufkommen neuer Handwerkszweige wie Mattennäherei und Flechterei nach Molukkenart, der Schmiedekunst auf Biak, der Weberei nach Sangirart östlich der Mamberanomündung und der noch älteren Schnitzkunst, deren Hockerfiguren solchen der Kleinen Sundainseln fast gleich sind, noch mehr eher in dem Vorkommen von indonesischen Einfuhrwaren wie Töpfen und Plankenbooten von den Keiinseln, Buschmessern von Watubela, Schilden von Halmahera usw. Südlich des Mac Cluer Golfes ist der Einfluß der Keiinseln so stark, daß er sich selbst auf die Heiratssitten erstreckt hat, vor allem auf die Art der Zahlung des Brautgeldes. Besiedelung In diesen Gebiet wohnen auch diejenigen Eingeborenen die Kapau, die Anspruch darauf machen, die eigentlichen Papua zu sein, und von diesem malaiischen Namen für sie stammt die heute für alle Eingeborenen Neuguineas, besonders aber für die mit nicht melanesischen Sprachen üblich gewordene Bezeichnung. Westlich der Tritonbai beginnt allmählich ein immer weiter werdendes sumpfiges Gebiet, das sich bis zum Papuagolf erstreckt und im Verein mit der Flachheit der Küste und der ablehnenden Haltung der Eingeborenen lange jeden Einfluß der Indonesier und anderer Fremder verhindert hat Wenn auch Nachrichten über die Eingeborenen des Gebietes des Lorentz- und Eilandenflusses und des Mimikagebietes vorliegen, so sind bisher doch die Eingeborenen des Gebietes zwischen Digul und Flyfluß allein besser bekannt geworden. Trotz großer Sprachverschiedenheiten gehören die Stämme dieses Gebietes, die Marind anim, Jabga, Je-nan, Kanum-irebe, Gambadi, Semariji, Keraki, Wiram usw. zu denen auch die der benachbarten Frederik-Hendrik-Inseln gehören, zu einer ziemlich einheitlichen Gruppe, die nach ihren Überlieferungen vom Flyfluß bis an die Digulmündung und wohl auch darüber hinaus gewandert sind. Sie alle sind hakennasige große Leute, bei denen die Männer an das Haar angeknotete Bastzöpfe in großer Zahl tragen. Als Nahrung dient ihnen das Mark der Sagopalme, das auch sonst an den Küsten und in den Flussebenen von Neuguinea die Hauptnahrung neben Kokosnüssen bildet und nur ihrer ältesten Wanderschicht unbekannt ist, die heute im Westen der Frederik-Hendrik-Insel sitzt. Auf dieser Insel werden bienenkorbförmige sonst aber rechteckige Häuser und zum Teil nur einfache Schutzdächer als Behausung errichtet Die Siedlungen, die auf der Insel auf künstlichen Wurten zwischen Kanälen im Sumpf angelegt sind, beruhen auf der Zugehörigkeit der Einwohner zu bestimmten Siedlungsgruppen und bei den meisten Stämmen auch auf ihrer Zugehörigkeit zu Totemgruppen. Bei den Marind-anim leiten die wichtigsten Totemgruppen ihre Herkunft von Dämonen ab, die die Kokos- und Sagopalme, das Schwein, den Riesenstorch, den Seeadler, das Krokodil, den Kesuar, den Bambus und den daraus hergestellten Schießbogen usw. verkörpern. Diese Dämonen, die die Urahnen und zugleich die Kulturbringer sind, und ihre Geschichte schildern bei den Aufnahmefeiern junger Leute in die Geheimbünde Eingeweihte, die verkleidet als die Dämonen auftreten. In einigen Geheimbünden wird die Dämonenstimme durch das Brummen eines an der Schnur herumgewirbelten Schwirrholzes und durch den Ton von Bambusflöten nachgeahmt, und nun sollen die jüngeren Leute angeblich von einem Dämon verschlungen und als Eingeweihte und Erwachsene wieder ausgeschieden werden. Ähnliche Sitten und Vorstellungen finden sich auch bei anderen Gruppen im Osten Neuguineas. II. Die Marind-anim Die Behausungen der Marind-anim sind sehr primitiv eingerichtet und dienen nur als gewärmte Schlafplätze für die Nacht. Morgens, nach einer Mahlzeit von Süßkartoffeln und Gemüse, begeben sich Frauen und Kinder zu den Rodungspf1anzungen wo sie den ganzen Tag hindurch arbeiten und dann den Tagesbedarf an Gemüse nach Hause tragen. Die Männer sitzen meist alle in einem großen Kreis auf dem Dorfplatz und führen eine Art Klubleben mit Ausnahme der Tage, da dringliche Angelegenheiten wie Jagd oder Bäume fällen dieses behagliche Dasein stören. Doch verfertigen sie während dieser Konversationsstunden Waffen oder Fanggeräte. Die warme Hauptmahlzeit wird in den Kochgruben bereitet, wenn die Frauen am Nachmittag die nötigen Ingredienzien dazu heimgetragen haben, Während des Tages begnügen sich die Männer mit kalten Resten der süßen Kartoffeln vom Vortage, die sie in einem einen Netz bei sich tragen. Außerdem erfrischen sie sich mit Zuckerrohrstücken. Auf Jagdausflügen tragen sie gerne, zusammen mit Speer und Bogen, ein langes Stück Zuckerrohr auf der einen Schu1ter. Hin und wieder brechen sie ein Stück davon ab Um die holzige, harte Fiberhülle abzuschälen, brauchen sie nicht wie wir verweichlichten Weißen ein kräftiges Messer. Sie besorgen das mit den Zähnen, während sie den wohlschmeckenden und Energie verleihenden Saft des Marks schlürfen. Dieses Verfahren hat zwei Vorteile: es wirkt wie eine natürliche Zahnbürste und ist zugleich eine ausgezeichnete Massage des Zahnfleisches. Vielleicht ist das, zusammen mit der vorwiegend pflanzlichen Ernährung, die Ursache der blendendweißen, gesunden Zähne der Eingeborenen. In diesem Gemeinwesen sind den Frauen drei harte Lebensaufgaben zugeteilt See sind Landarbeiter, Hausmutter und Lasttiere Der Mann ist nur Krieger und Drohne. Es ist ein groteskes Bild, eine Familie auf der Wanderung zu sehen. Voran geht in splendider Isolation der Familienvater, farbenfreudig ausstaffiert, federnd elastisch in Gang und Haltung. Er trägt nur einige leichte Waffen und ähnelt einem prachtvollen Hahn, was der wehende Schmuck seines Hinterteiles noch unterstreicht. Nach ihm mühen sich die Frauen, schmutzig, ohne Schmuck, ihren Riesenlasten von Hackfrüchten und Kleinkindern in den Rückennetzen fast erliegend. Auch schon größere Kinder sitzen oft noch der ganzen Bürde obenauf, zur Abwechslung manchmal sogar noch kleine Hunde, die in jahrzehntelangem Tauschhandel von der Küste bis ins Landesinnere gedrungen sind. Diese Tiere sollen sich nämlich wenig bewegen, um die Festfreude irgendeiner Familienfeier durch ein größtmögliches Schlachtgewicht erhöhen zu helfen. Die Dorfgemeinde übt oft auch eine Art sozialer Fürsorge aus. Den Familien eines gefallenen Kriegers wird nämlich aus der gemeinsamen Herde des Dorfes eine Anzahl Schweine zugeteilt. Doch haben sie ihre eigenen Ansichten über den Grad der Bedürftigkeit. Je mehr Ansehen ein Mann genoß, je vermögender er war desto mehr Schweine bekommt seine Familie. Das ist nach Anschauung der Wilden vollkommen logisch. In den Hütten der Reicheren kann man auch eine Art „Bankfach“ sehen, in dem Muscheln und zusammengelegte Stoffstücke, sogenannte „Lapp-Lapp“ befinden. Sie spielen die Rolle von Geldscheinen. Mit ihnen wird ein lebhaftes Bankgeschäft betrieben. Wenn zum Beispiel ein armer Jüngling in der Verwandtschaft für einen Brautkauf sammelt und die Summe, die er zusammen bringt, dem geizigen künftigen Schwiegervater nicht genügt, so gewährt mitunter ein Krösus der Verwandtschaft dem Freier ein Darlehen in Form von einem oder mehreren Tuchstücken. Das Darlehen wird allmählich zurückgezahlt, doch ist das ein äußerst dehnbarer Begriff, denn Zeit ist hier nicht Geld, und Zinsen sind etwas Unbekanntes. Der Vorgang ist so, daß der junge Mann das Lapp-Lapp dem Verleiher zurückgibt, wenn er - meist durch die Landarbeit der neugekauften Frau und ihr Säugen von kleinen Schweinen dem Schwiegervater die vegetabilen oder tierischen Waren geben konnte, die zur Kaufsumme noch fehlten. Dann bekommt der Schwiegersohn die Tuchstücke wieder und kann sie an den ursprünglichen Besitzer weiter geben. Verläßt die Frau den Mann während ihrer Arbeit zur Sanierung der Familienwirtschaft oder ist sie ihm sogar untreu, so beschleunigt das die Rückzahlung. Denn dann muß der Schwiegervater Buße erlegen. Wenn man diese Hintergründe der Sitten kennt, so versteht man schon die harte Strafe, mit der in solchen Fällen ein Vater seine undankbare Tochter bestraft Die alten Leute einer Dorfgemeinschaft, Männer wie Frauen, werden sehr gut betreut. Die jüngere Generation einer Familie setzt ihre Ehre darein, dass ihre alten Verwandten es gut haben. Sie genießen ein sorgenfreies Dasein und die jungen Leute behandeln sie mit Achtung. Die Wilden haben einen sehr großen Sinn für Verwandtschaft, und es ist ihnen eine liebe Pflicht, dafür zu sorgen, daß die Familienä1testen keinerlei Mangel leiden. Je weiter man in die Berge dringt, desto öfter stößt man auf Männer und Frauen, die einen oder mehrere verstümmelte Finger haben. Das hängt mit den Begräbnisstätten zusammen. Wenn jemand stirbt, so wartet man mit dem Begräbnis, bis die ganze Familie benachrichtigt ist und sich versammelt hat. Dies kann unter Umständen mehrere Wochen dauern. Bis dahin muß die Leiche aufbewahrt werden, was oft so geschieht, daß sie zum Dach hinauf gehißt wird, wo sie unter starkem Rauch liegt. Wenn schließlich die Verwandten alle beisammen sind, werden die Anstalten zum Begräbnis getroffen. Es gilt als höchster Ausdruck der Trauer für einen nahen Verwandten, sich eine Fingerspitze abzuhacken, die man dem Toten mit ins Grab legt. Bei älteren Männern und Frauen sieht man deshalb oft solche Verstümmelungen, besonders der Ringfinger und der kleinen Finger. Zum Begräbnis gehört auch immer ein größerer Schweinebratenschmaus, um das Gedächtnis des Toten zu ehren. In manchen Gegenden verzehrt man auch etwas vom Fleisch des Toten, doch meistens nur Herz und Leber. Die einzigen Heilmethoden von Wunden, welche die Marind-anim kennen, sind das Auflegen gewisser Blätter, von denen sie behaupten, daß sie eine heilende Wirkung ausüben und das Schröpfen gegen Fieberkrankheiten, Kopfweh und ähnliches. Sie öffnen eine Ader und saugen mit einer Art Rohr dem Kranken Blut aus. Kleidung und Waffen der Marind-anim Als Waffen dienen den Marind-anim hauptsächlich Bogen und Pfeile und Keulen mit durchlochten Steinknäufen und für die Schweinejagd auch Speere und Speerschleudern sowie Fanggabeln. Die Männertracht besteht aus einer Seeschneckenschale oder einem Stück Kokosnußschale zum Bedecken der Vorhaut des hochgezogenen Gliedes, aus einem Schweifgürtel, zwei schräg über der Brust getragenen Bändern, Brustgehängen verschiedener Art, Halsketten, Arm- und Beinringen, Ohrringen aus Kasuarfederkielen und Nasenpflöcken. Dazu kommt bei festlichen Gelegenheiten noch Kopfschmuck aus Kasuar- oder Paradiesvogelfedern. Die Tracht der Frauen besteht aus einem buntgefärbten Baströckchen und Ohrgehängen. Die Handwerksgeräte bestehen aus Knochennadeln, Eberhauern, Rochenstacheln, Muschelsplittern, Bambusmessern und Steinbeilen, für die man die Steine aus dem Gebiet des oberen Digul holen muß. III. Geschichte und Kultur Der Sepik ist Neuguineas längster Strom; er mißt von der Quelle bis zur Mündung rund 1200 km und entwässert ein riesiges Land. Schon im Jahr 1616 haben holländische Seefahrer und zwar Le Maire und Schouten das Vorhandensein eines großen Flusses in der Nähe der von ihnen entdeckten Insel Manam vermutet, da dort das Meerwasser bis weit hinaus trübe war. Der erste Europäer aber, der den Sepik gesichtet und von der Mündung weg rund 50 km weit hinaus befahren hat, war der Deutsche Dr. Otto Finsch, der damals, 1885, den großen Strom Kaiserin-Augusta-Fluß nannte und berichtete, daß er für kleine Dampfer schiffbar sei. Schon ein Jahr später fuhr der Administrator Admiral von Schleinitz auf einem Boot mit Namen „Ottilie“ vierhundert Kilometer weit den Sepik hinauf, und ihm folgten auf dem Fuße allerlei abenteuerliche Gestalten, die für Europas Damenhüte auf Paradiesvogel- und Reiherfedern aus waren, und mit so ansehnlichem „Erfolg“, dass heute des weite, dünn besiede1te Sumpfland im Vergleich zu einer unverdorbenen afrikanischen Flußlandschaft überaus arm an Vogelleben erscheint. Bereits zu Anfang des Jahrhunderts errichtete die Neuguinea-Kompanie im Mündungsgebiet Handelsstationen, welche für die Eingeborenen all die üblichen Folgen brachten. Im Jahre 1909 gelangte die erste kleine ethnographische Sammlung aus dem Gebiet der Marind-anim nach Europa. 191o legte eine gemischte holländisch-deutsche Kommission die Grenze ungefähr beim 141° Längenkreis fest. Diese Leute fuhren weiter den Sepik hinauf als vorher andere, und sie trafen Steinzeitmenschen, die nie zuvor dem weißen Mann begegnet waren. Der bereits erwähnte Admiral von Schleinitz entdeckte in der Nähe der Sepikmündung einen anderen großen Strom den er nach seinem Schiffsnamen „Ottilie-Fluß“ nannte. Es war der heutige Ramu-River. Seit den Publikationen der großen deutschen Expeditionen in den Jahren 1912/13 ist die Sepikkunst wenigstens den Fachleuten bekannt. Mit den auf die Megalithleute folgenden Einwanderungswellen ge1angten nach und nach alle Elemente der überaus reichen Sepikkultur ins Land: Sehr früh war jedenfalls der Krokodilkult bekannt, der dann mit den Initiationsriten verknüpft wurde. Er war und ist auch heute noch von sehr großer Bedeutung und bildet eigentlich den Mittelpunkt des Rituals. Das spiegelt eigentlich sich auch in der Kunst der Marind-anim wider. Der Einfluß des Krokodils in der Schnitz- und Malkunst des engeren Sepikgebietes ist von großer Bedeutung. Zu nennen sind vor allem die Kanuschnäbel, die in den meisten Fällen als Kopf eines Krokodils (zuweilen freilich auch als Kopf eines Schweines oder mit einem am Steven sitzenden Vogel) gestaltet werden. Auch Kombinationen von Tier- und Menschenfiguren kommen vor. Die auf solche Weise verzierten Boote erinnern an Formen der Gogodara im Gebiet der Fly-Mündung, wo jedes Kanu an seinem Vordersteven den Kopf eines Totemtieres und eines der gleichen Gruppe angehörenden Clanvaters aufweist. Es ist nicht ausgeschlossen, daß wir es am Sepik mit etwas ähnlichem zu tun haben. Weiterhin begegnet man Darstellungen des Krokodils auf den sanduhrförmigen Trommeln, deren Griff nicht selten in Form eines solchen Tieres gestaltet ist, und dann auch auf den großen Schlitzund Wassertrommeln. Diese letztgenannten bestehen aus einem beiderseits offenen, zuweilen sanduhrförmigen oder aber zylindrischen Rohr, das anläßlich der Initiationsriten senkrecht ins Wasser gestoßen wird und so ein glucksendes Geräusch hervorbringt, das als Schrei des „Geisterkrokodils“ ausgelegt wird. Abb. 3: „Geisterkrokodil“ Auch an den Figurenhaken, den Zieransätzen der sakralen Flöten und Kalkbüchsen aus Bambus, an den Hockern und Nackenstützen auf den Holzschüsseln, den Kalkkalebassen und vielen anderen Objekten treten uns Darstellungen des Krokodils in reicher Fülle entgegen. Es ist tatsächlich die am häufigsten dargestellte Tierart des ganzen unteren und mittleren Sepikgebietes. Tatsächlich gibt es kaum ein Gerät, eine Waffe, einen Gebrauchsgegenstand, der nicht zum mindesten irgendwie verziert, meistens aber mit feinstem Kunstsinn gestaltet wird. Etwas Derartiges kannten die Nachbarn im Osten und Norden nicht. Diese zeichnen sich vielmehr durch größte Kulturarmut aus, und alle ihre Geräte sind schlicht und unverziert. Auch im Hausbau zeigen sich die Unterschiede. Während die Wohnhäuser des unteren und mittleren Sepikgebietes eine ungemein solide und kunstvolle Konstruktion aufweisen und immer auf einem hohen Pfahlwerk errichtet werden, und, die Tambaranhäuser wahre Paläste darstellen, bestehen zum Beispiel die Hütten der Abelam in der Regel bloß aus zwei steilen, bis zur Erde herabreichenden und mit Sagolaub gedeckten Dächern. Neben Krokodil und Schlange spielt bei den Marind-anim als Kunstmotiv der Vogel eine bedeutende Rolle. Fast immer finden wir Vogeldarstellungen den menschlichen Figuren beigestellt. Sie schließen meist paarweise an den Körper, den Kopf und die Beine an, und es handelt sich auch um den Jahrvogel mit langem bogenförmigen Schnabel. Im engeren Sepikgebiet begegnen wir Vogeldarstellungen vor allem auf den Trommeln, den Griffen der Speerschleudern, den Tarostampfern, den Zieransätzen der Kalkbüchsen, Flöten und Figurenhaken. Von weiteren, dem Tierreich entnommenen Kunstmotiven ist sodann der Fisch zu nennen. Da sind wiederum in erster Linie die Figurenhaken zu erwähnen, bei denen die meist aus zwei, oftmals aber auch aus drei, vier oder mehr Haken bestehenden Aufhängevorrichtungen den Kopfteil eines Fisches, vor allem des Wels, entspricht, wobei die mit Stacheln bewehrten Kiemen-, Rücken- und (seltener) Bauchflossen die Haken selbst bildet. Aber auch der Sägehai ist häufig dargestellt. Manchmal besitzt der ganze Haken die Form eines Fisches. Heute, wo Statuen und Masken im Sepikgebiet bald verschwunden sind, bilden die Figurenhaken neben einigen anderen profanen Objekten sozusagen noch die einzigen Gegenstände, die an den einstmaligen Kunstsinn der Eingeborenen erinnern. Sie wurden früher in allen Größen und Ausführungsformen hergestellt. Abb. 4: Statue Neben einfachen schlichten Haken findet man kompliziert gestaltete, prachtvolle Stücke, die oft mehr ästhetische Bedeutung besitzen und weniger als Gebrauchsgegenstände dienen. Dies gilt vor allem die kunstvollen, durchbrochen gearbeiteten und oft große Ausmaße aufweisende Zierbretter, die in ihrem unteren Teil ein Paar ausgesparte Zacken zum Aufhängen von Gegenständen aufweisen. Damit die Ratten nicht zu den Haken und den an ihnen aufgehängten Gegenständen gelangen können, wird darüber häufig ein kreisrundes Brett angebracht, das auf der unteren Seite bunt bemalt ist. Von den bekannten Kult- und Figurenstühlen weiß man heute mit Sicherheit, dass sie niemals zum Sitzen bestimmt waren, sondern rein kultische Bedeutung haben. Beabsichtigte man in früheren Zeiten auf die Kopfjagd auszugehen, trachtete man ein Dorf zu Überfallen, eine bestimmte Person aus dem Wege zu schaffen oder einen Racheakt auszuführen, so gab man erst vor dem Stuhl stehend das Vorhaben kund und schlug dabei, gewissermaßen zur Bekräftigung mit Dracanenzweigen oder Kokosblattfiedern auf die Sitzfläche. Solche Stühle befanden sich früher in jedem Tambaranhaus, meist in mehreren Exemplaren, da ein jeder Clan sein eigenes Stück besaß. Sie sind auch heute noch nicht gänzlich verschwunden, werden sogar gelegentlich noch angefertigt, aber sie haben natürlich nicht mehr die Bedeutung von einst. Zu den bedeutendsten Kunstobjekten gehören die Masken. Die geflochtenen Formen stellen sehr wahrscheinlich den ältesten Typ dar, der im ganzen südlichen Teil der Insel und bei manchen isoliert gebliebenen Stämmen, zum Beispiel der Abelam vorherrscht. Der Sepikbezirk zeichnet sich durch einen Reichtum an Maskenformen aus, wie er sonst auf der Insel auch nur annähernd erreicht wird. Manche Maskengattungen werden teilweise, oder ganz mit Schalen von Nassaschnecken, von denen die Spitze abgebrochen wurde, besetzt und erlangen dadurch einen besonderen Wert. Von einem einheitlichen Stil kann im unteren und mittleren Sepikgebiet keine Rede sein. Immer wieder gewinnt man den Eindruck, daß sich hier ganz verschiedene Stilarten, die nach und nach Eingang fanden, sich überlagert und miteinander vermischt haben. Die menschlichen Figuren haben sehr verschiedene Bedeutung. Zum Teil fertigt man sie zur Erinnerung an die Verstorbenen an‚ wobei aber durchaus nicht etwa ein möglichst getreues Abbild des Toten angestrebt wird. Man gewinnt im Gegenteil den Eindruck, daß gerade hier der Künstler ihrer Phantasie freien Lauf gelassen haben. Im Gebiet der Marind-anim wird dabei der Rüsselnasentypus bevorzugt, während man in den anderen Gebieten den normal gestalteten Figuren den Vorzug gibt. Die Rüsselnasen sind ganz verschieden gestaltet, und ihre Länge variiert erheblich. Manchmal schließen sie so besonders bei gewissen langgestreckten Ziermasken an das Kinn an, oder aber sie reichen sogar bis zum Nabel, zu den Genitalien oder zu den Füßen. Oftmals ist es auch nicht die Nase, die rüssel- oder schnabelförmig verlängert wird, sondern die Oberlippe oder auch die ganze Mundpartie. Der Rüssel kann auch als Schlange oder Eidechse gestaltet sein oder am Ende mit ‘einem tierischen Kopf oder einem Vogel abschließen. Man schmückt zum Beispiel die Yamsknollen, die bei einem bestimmten Fest auf dem Dorfplatz ausgestellt und ausgetauscht werden, mit Masen. In den animistischen Vorstellungen der Marind-anim spielt die Pflanze eine bedeutende Rolle, und besonders mit dem Yams, der dem Menschen auf geheimnisvolle Art verwandt, ja gleichgesetzt ist, wird eineigenartiger Kult getrieben. Yams ist niemals bloß Nahrungsmittel wie etwa die Banane, die Süßkartoffel oder der Taro; er wird ganz anders behandelt und deshalb versteht man eher das Vorhandensein dieser Masken. Am Tage des Yamsfestes schmücken sich die Menschen alle auf die übliche Weise: Sie bemalen ihre Gesichter, stecken Federn oder Blumen in die Haare, befestigen den leichten, schillernd gefärbten Kopfputz am Hinterhaupt, stülpen so viele Schneckenringe als sie nur besitzen, über die Oberarme, hängen sich Muschelringe oder Perlmutterschilder vor die Brust und beginnen am frühen Morgen, familienweise ihren Yams auf dem Dorfplatz aufzuschichten. Es ist ein Renommierfest, denn es handelt sich nicht bloß darum, sich als guten Gärtner auszuweisen; große Knollen geerntet zu haben bedeutet viel mehr. Es ist wirklich eine Prestigeangelegenheit, Riesenknollen vorweisen zu können, denn sie sind Symbol für Kraft und Gesundheit des Mannes, Symbol für für Männlichkeit. . Nur wer imstande ist, harte Arbeit zu leisten, wer Ausdauer auch in den magischen Zeremonien besitzt und sich nicht scheut, nächtelang seinen Garten vor Dieben, Wildsäuen und anderem Gesindel zu schützen, wird von den Ahnen damit belohnt, daß er mächtige, große Yamsknollen, jedenfalls größere als der schwächliche Nachbar ernten kann, die er nun am Fest jedem sichtbar ausstellt. Offenbar soll der Yams auch die sexuelle Stärke seines Besitzers symbolisieren. So wird nun der ganze Dorfplatz mit den einzelnen Yamshaufen angefüllt, und viele der ausgestellten Knollen tragen frisch bemalte Masken und umgehängte Muschelringe, oder man schnitzt ihnen Gesichter ein und schmückt sie mit den üblichen Hauben aus Kasuarfedern und eingesteckten roten und grünen Papageienflügeln oder zarten Büscheln des königlichen aller Vögel, des Paradiesvogels. Die Frauen halten sich eher im Hintergrund. Die Männer aber hocken unter flachen Schattendächern, die man für das Fest errichtet und mit bunten, langen Blattfasern geschmückt hat. Nun geht einer der Männer nach dem andern zu seinem Yams, mit dem er sich blutverwandt fühlt und fast identifiziert, so daß man wohl begreift, das er ihn nicht selber verspeisen darf, und beginnt ihn auszurufen, dessen Kraft zu rühmen, die Größe einzelner Knollen zu zeigen; er nimmt den Mund so voll wie er es in seiner Phantasie nur zu tun vermag, und jedermann horcht schweigend zu und ist überaus gespannt, wer ihn nun bekommen soll. Jedenfalls keine aus dem gleichen Clan, keiner, der unter dem gleichen Totemvogel steht. Am Höhepunkt seiner Rede schreit er die Namen desjenigen, dem er nun den Yams „schenkt“. Er wird ihn in einem anderen Jahr zurückerhalten, und weil er gleich viel erwartet, wird im Verlaufe des Tages um jeden Haufen herum ein Ring aus geschmeidigen daumendicken Rotangstämmen geschlungen: das Maß für die Größe des Haufens, der nun weitergegeben wird. Diese Ringe findet man überall in den Dörfern an den Vorderfronten der Tambaranhäuser, in einzelnen Fällen auch an Wohnhütten aufgehängt. Der Yamskult ist ein eindrucksvolles Beispiel für den bei Naturvölkern weitverbreiteten Pflanzen- und Fruchtbarkeitskult, der sehr ausgesprochen magische Grundlagen hat. Noch einmal zusammengefaßt einige seiner Elemente: Nur die Männer (niemals die Frauen, welche doch zur Hauptsache die Gartenarbeiten besorgen) dürfen den Yams pflanzen, und sie verwenden dazu - und nur für diesen Zweck, nie für eine andere Pflanze - schön geschmückte Setzhölzer und verbinden damit eine Zeremonie. Zum Schutze der Pflanzen werden, die Ahnen, Sonne und Mond aufgerufen. Der Mensch ist dem Yams verwandt, der männlichen Geschlechts ist, und einzelne wohlgeratene Knollen werden als Inkarnation des Geistes eines Verstorbenen betrachtet. Früher durften die Frauen zu einer gewissen Zeit die Gärten nicht betreten, und man kennt Zeremonien, um das Pflanzenland vom schlechten Einfluß der Anwesenheit von Frauen in einer späteren Wachstumsphase des Yams zu reinigen. Die Frauen dürfen auch heute noch nicht die Speicher gehen, in denen Yams aufbewahrt wird. „Toter“, also nicht mehr keimfähiger Yams wird gleich behandelt wie der verstorbene Mensch und mit demselben Kult bedacht. Und niemals dürfen der Bauer und seine Familie diejenigen Knollen essen, die sie in ihren Gärten geerntet haben, selber essen; ein zeremonieller Austausch mit Nachbarn, die nicht im gleichen Clan sind, ist notwendig. Das gleiche gilt übrigens auch für die Schweine, die mit dem Menschen viel enger verbunden sind, als es sich für ein Haustier schickt, so daß verständlich wird, wie weit weg unter Umständen die Tiere für das Yamsfest hergeholt werden müssen. Das Fest dauert Tage an; und während all dieser Zeit reißen das Verzehren des Fleisches, das Schmausen von Früchten und gekochten Gemüsesuppen und der immer wilder werdende Singsang und all die Freuden des Tanzes nicht ab. IV. Beschreibung des Objektsystems Die Marind-anim leben in Pfahlbauten. Meistens sind es stattliche Häuser, die auf dicken Pfosten zwei bis drei Meter über dem Boden errichtet werden. Diese umständliche Bauweise dient einerseits dem Schutzbedürfnis gegen feindliche Angriffe, andererseits ist sie notwendig, um sich gegen die alljährlichen Hochwasser zu sichern. Abb.2: Pfahlbauten-Haus In der Regel sind die Pfähle so hoch, daß man aufrecht unter dem Wohnraum stehen kann. Kein fremder Einfluß aus dem Zeitalter des Stahls und. Eisens hat sich zwischen die einheimischen Bauelemente, Sagopalmeblätter und schlanke Baumstämme gedrängt. Die vordere Außentreppe ist eine breite, schwankende Leiter, an zwei Außenpfosten festgebunden. Der Fußboden ist zwei bis drei Meter über der Erde mit Spanischem Rohr an Strebepfosten befestigt. Mit Spanischem Rohr ist auch jedes einzelne Palmblatt an das Dachgerüst gebunden. Die Wände des Wohnraums bestehen aus Mittelrippen von Palmblättern, von der Natur genialerweise so geformt, daß sie sich nahezu vollkommen ineinander verzargen. Jalousien aus dem gleichen Material, mit biegsamem Spanischen Rohr zusammengezogen, können nach Belieben vor den Fenstern hinuntergelassen werden Das Dach besteht aus Sagopalmblattern, die man doppelt aufeinander gelegt hat; jedes einzelne ist ein langer Streifen, unten lose, oben ganz fest. Bei Wind rascheln die Blätter und schlagen aufeinander wie die bewegte Seiten einer Zeitung. Den Fußboden bildet ein Rost aus Stangen, der schmale Streifen aus gespaltenem Palmholz trägt, die fünf bis sieben Zentimeter voneinander entfernt befestigt sind, so daß der Boden an ein Schachbrett erinnert. Der Fußboden ist so dünn und federnd, daß man das Gefühl hat, über ein Netzwerk aus elastischen Bändern zu gehen. Daher ist es unmöglich irgendwelche Möbel aufzustellen. Abb. 3: Hüttenkonstruktion Als Bett dient den Marind-anim ein „Moskitonetz“. Aus sehr eng geflochtenen Schilfmatten bauen sie mitten im Wohnraum niedere, tunnelartige, beidseitig verschlossene Behausungen, in die hinein sie zur Schlafenszeit kriechen. Literaturnachweis Bernatzik, H.A. (Hrsg.): Neue große Völkerkunde Köln 1968 Bjerre, Jens: Wildes Neuguinea Graz und Stuttgart 1964 Gardi, René: Tambaran Orrel-Füssli Verlag Zürich 1956 Wirz, Paul: Die Marind-amin von Holländisch-Süd-Neuguinea Hamburgische Universität Abhandlungen aus dem Gebiet der Auslandskunde Band 10 Hamburg 1922