Geschichtliche Entwicklung der Pharmazie Die Pharmazie nimmt in

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Geschichtliche Entwicklung der Pharmazie
Die Pharmazie nimmt in der Wissenschaft eine Mittelstellung zwischen Medizin, Chemie und
Botanik ein.
Sie hat jeder von diesen Wissenschaften etwas zu geben und von jeder etwas zu empfangen.
Das spiegelt sich sehr deutlich in ihrer geschichtlichen Entwicklung wider und wird
besonders deutlich sichtbar am Ausgang des Mittelalters, wo die Chemie mit der Medizin in
engere Berührung kommt. Die Chemie hat, wie jede Wissenschaft, ihren Ausgang von
Bedürfnissen des praktischen Lebens genommen und ist diesen besonders lange verhaftet
geblieben. Der Drang nach Erkenntnis der Zusammenhänge der Dinge und der Vorgänge in
der Welt, der heute den Wissenschaftlern zu stets erneutem Vorwärtsdringen in seinen
Forschungen treibt, ist eigentlich erst sehr spät gekommen. Zwei Wurzeln verankern noch
heute die Chemie fest im praktischen Leben: Trennung und Veredlung der Rohstoffe – früher
fast ausschliesslich Verarbeitung von Erzen auf Metalle – und Gewinnung von Heilmitteln.
Dieser Dualismus in der praktischen Zielsetzung kommt nun gerade im Reformationszeitalter
zum Ausdruck und kann zu dieser Zeit durch zwei Forscherpersönlichkeiten repräsentiert
werden:
Georg Agricola (1494-1555) fördert, obwohl eigentlich Arzt, die metallurgische Technik,
wobei er die mittelalterliche Alchemie, die in erster Linie Gold zu machen bestrebt war, zu
vielseitigeren und edleren Zielen weist.
Paracelsus (1493-1541) richtet, von seinen in Tiroler Bergwerken gewonnenen chemischen
Kenntnissen ausgehend, sein Augenmerk auf die Heilkraft von Stoffen, und zwar besonders
auch mineralischen neben den vegetabilischen, die man bis dahin vorzugsweise anwandte.
So steht er am Anfang des Jahrhunderts der Iatrochemie, in dem zum ersten Mal im
Abendlande Chemie und Medizin in enge Berührung miteinander kamen. Damit ist jene Zeit
auch als die Wiege der modernen pharmazeutischen Chemie anzusehen; etwa hundert
Jahre nach Paracelsus beginnen Apotheker wertvolle chemische Entdeckungen in ihren
Apotheken zu machen.
Die Linie der Entwicklung der Chemie und damit auch der pharmazeutischen Chemie aus
der Wurzel der Heilkunde beginnt freilich nicht mit Paracelsus, sondern lässt sich weit ins
Altertum zurückverfolgen. Nur waren die Kenntnisse der Alten um die Pharmazie infolge
des einseitigen Strebens der Alchimisten weitgehend in Vergessenheit geraten, und
Paracelsus hat bewusst nicht an sie angeknüpft. Heute erkennen wir rückblickend diesen
Bruch mit der Vergangenheit als künstlich; wir achten die Erkenntnisse des Altertums, was
sich schon darin kundtut, dass wir von Galenik und galenischen Präparaten in Erinnerung
an den um 180 n. Chr. lebenden Arzt Galenus sprechen, der alle damals bekannten
Bereitungsvorschriften pharmazeutischer Präparate gesammelt hat. Wohl können wir die
Geschichte der Pharmazie als Entwicklung des Apothekerwesens in Deutschland erst von
etwa 1450, in Frankreich von 1400 an datieren, ungeachtet von Vorläufern, zu denen z.B. die
1233 in Wetzlar errichtete Apotheke gehört. Wenn wir aber die wissenschaftliche Seite ins
Auge fassen, müssen wir bei der Geschichte der Pharmazie mit dem Altertum beginnen, in
dem es bereits eine Heilmittelkunde gab.
Beim Zurückverfolgen der geschichtlichen Linie ist für uns die Kultur des Mittelmeerraumes
bis nach Iran hinein massgebend. Kulturen, die sich ganz unabhängig von ihr entwickelt
haben, konnten wegen ihrer Abgeschlossenheit erst sehr spät etwas für unsere Kenntnisse
der Heilmittel bedeuten; die Übernahme von Heilmitteln aus ihnen ist daher ohne engere
Verbindung mit ihnen rein sachlich erfolgt. Von solchen Kulturkreisen sind vor allem die
chinesische Kultur und die indianischen Kulturen, besonders die Südamerikas, zu nennen.
In China lässt sich der Gebrauch von Arzneimitteln bis 3000 v. Chr. zurückverfolgen; von
dem seit jenen ältesten Zeiten geschätzten Strauch Ephedra vulgaris oder Meerträubchen,
chinesisch Ma Huang, werden wir später beim Alkaloid Ephedrin wieder hören, dessen
therapeutische Bedeutung erst neuerdings, seit 1928, wieder richtig gewürdigt worden ist.
Unter anderem geht der Gebrauch des Rhabarbers und des Camphers auf Erfahrungen
zurück, die man zuerst in China gemacht hat; ferner waren die Wirkungen des Mutterkorns,
von Arsen- und Quecksilberpräparaten den Chinesen bekannt, wenn auch nicht gerade in
jenen ältesten Zeiten. Das Alter der Arzneikenntnissen der indianischen Kulturen, die uns
seit der Entdeckung Amerikas mit einer Menge wertvollster Arzneistoffe bekannt gemacht
haben – es sei nur an das Chinin als Fieber- und Malariamittel, an das Cocain als
Lokalanästhetikum, an das neuerdings in der Therapie Verwendung findende Curare
genannte Pfeilgift der Indianer erinnert – ist schwer abzuschätzen. Eine Geschichte darüber
lässt sich deshalb ebenso wenig schreiben wie über die sich auch uralten Giftkenntnisse
afrikanischer Eingeborener, deren aus Strophanthusarten gewonnene Pfeilgifte als
Herzmittel grosse Bedeutung erlangt haben. Deshalb wollen wir hier im Einzelnen nur die
Entwicklung der Kunde von den Heilmitteln im mittelmeerländischen und europäischen
Raum verfolgen. Dabei wird sich zeigen, wie bemerkenswert eng diese mit der
Kulturgeschichte zusammenhängt. Eine gewisse Schwierigkeit bereitet dabei der Umstand,
dass genauso wie bei den chemischen Kenntnissen auch bei den Heilmitteln viel
Geheimhaltung geübt wurde, besonders von Seiten der Priesterschaften der alten Völker.
Über die recht umfassenden Kenntnisse der alten Ägypter gibt der Papyrus Ebers Auskunft,
der um 1540 v. Chr. unter Amenophenis I. bald nach Beginn des Neuen Reiches, doch noch
in der Sprache des mittleren Reiches (etwa 1900-1700 v. Chr.) verfasst ist, aber auch viel
ältere, bis in das Alte Reich, das bis gegen 3000 zurückzuverfolgende Erfahrungen in der
Heilkunde zusammengestellt enthält. Er vereint medizinische und pharmazeutische
Kenntnisse; hier wie auch sonst zeigt sich, dass in älteren Zeiten die Geschichte der
Pharmazie von der Medizin zu trennen ist. Gegen 700 Drogen, Balsame, Salben, Linimente
werden aufgeführt. Weiteres erfahren wir aus Papyri, die in der Blütezeit des Neuen Reiches,
kurz vor und während der Regierung des berühmten Ramses II. um 1300 verfasst sind. Die
Ägypter kennen als Arzneipflanzen Efeu, Lilie, Beifuss, Meerzwiebel, Wegerich, Anis, Safran,
Salbei, Majoran, Minze, Rizinus, Aloe, Lotus, teilweise auch aus anderen Ländern
eingeführte Drogen. Als Anwendungs- und Bereitungsarten kennt man Salben, darunter
auch solche mit Bleiverbindungen, Pillen, Arzneitränke, Breiumschläge, Klistiere. Als Träger
bzw. Lösungsmittel sind Fett, Schmalz, Olivenöl, Öl der Behennuss, Milch, Wein, eine Art
Bier und Essig im Gebrauch. Freilich finden sich auch phantastisch anmutende, auf
Aberglauben zurückzuführende Bereitungsvorschriften für Arzneien.
Das Wort Pharmazie stammt aus dem Ägyptischen; Thot, der ibisköpfige, ägyptische Gott
der Heilkunde, ist auf einer Inschrift als “Ph-ar-maki“ bezeichnet, d.h. “Verleiher der
Sicherheit“. Daraus ist im Griechischen “Heilmittel“ geworden.
Die Griechen übernahmen nicht nur dieses Wort, sondern auch viel von der Heilkunst der
Ägypter, ohne aber bei ihrer Neigung zu spekulativem Denken zunächst wesentlich Neues
hinzuzufügen. Anders stand es bei den Israeliten, die von ihrem Aufenthalt in Ägypten her
die Kenntnis der dort gebräuchlichen Heilmittel mitnahmen, deren Zahl aber noch durch in
Palästina und Syrien heimische Pflanzenprodukte wie Myrrhe, Weihrauch, pflanzliche Harze
und Balsame bereicherten. Sie kamen später durch die babylonische Gefangenschaft in
Berührung mit den uralten, grossenteils sumerischen Kenntnissen der Chaldäer, von denen
uns aber im Einzelnen wenig überliefert ist, da hier keine Dokumente vom Umfange des
Papyrus Ebers erhalten geblieben sind. Das zur Zeit der ersten Verschleppung der Israeliten
(722) herrschende Volk, die Assyrer, hat nichts zu seiner Entwicklung der Heilkunde
beigetragen, wie es auch sonst überhaupt sich kaum kulturschöpferisch betätigt hat. Es
wurden freilich von alters her, aus mystischen Vorstellungen religiöser Art heraus, in jenen
Landen auch zahlreiche magische Zaubertränke, mit Dattelwein bereitet, als Heilmittel
angesehen; sie sind aber von so eigenartiger Zusammensetzung gewesen, dass sie den
Namen Heilmittel nicht zu Recht führen können.
Ferner glaubte man, Krankheiten mit Amuletten und Talismanen begegnen zu können, ein
Aberglaube, der auch anderswo, aber nicht in so starkem Masse verbreitet war wie in
Babylonien und Assyrien, wo Talismane neben geheimnisvollen religiösen Zeremonien,
welche die Dämonen vertreiben sollten, eine grössere Rolle spielten als die wahren
Heilmittel. Überhaupt war in jener Zeit bei allen Völkern ein starker Einfluss der Religion in
der Medizin wie bei der Art der Anwendung von Heilmitteln vorhanden. Das gilt ebenfalls für
die Inder, in deren Religionsurkunden, den Veden, auch die ums Jahr 1500 v. Chr.
gebräuchlichen Heilmittel und Heilverfahren geschildert sind, darunter auch die heilig
gehaltene Somapflanze, die mit dem Ma Huang der Chinesen identifiziert wird, was aber bei
der ungenauen Beschreibung in den alten Texten recht fraglich erscheint. Im übrigen findet
sich aber keine weitere Verwandtschaft der indischen Pharmazie mit der chinesischen,
sondern vielmehr mit der ägyptisch-hebräischen. Bemerkenswert ist in einer ums Jahr 1000
v. Chr. verfassten Aufzählung des Susata die verhältnismässig grosse Zahl anorganischer
Stoffe wie Salpeter, Borax, Alaun, Kupfer- und Quecksilbersalze, die sich dort neben
zahlreichen Pflanzen und pflanzlichen Produkten aus der üppigen Vegetation des Landes,
z.B. Zimt, Nelken, Ingwer, Pfeffer, Benoeharz, Sandelholzöl, Rizinus, Zucker, und einer
Reihe von Giften finden; freilich werden auch verschiedene Ausscheidungen von Tieren,
denen wir keine Heilkraft zusprechen können, aufgeführt. Die Änderung, welche die
altindischen religiösen Vorstellungen durch den ums Jahr 600 v. Chr. zur Herrschaft
gelangenden Buddhismus erfuhren, hat keinen nennenswerten Einfluss auf die Entwicklung
der indischen Pharmazie genommen, was vielleicht damit zusammenhängt, dass auf die
Dauer der Buddhismus in Indien sich nicht halten konnte.
Auch bei den Iraniern, von denen erst die Meder, dann die Perser die Nachfolge der Assyrer
und Babylonier um 600 und 550 antraten, sind die ersten Vorschriften über Heilverfahren
und die Bereitung von Heilmitteln in einem religiösen Buch Avesta zu finden, das die Religion
des Zarathustra enthält. Erwähnt werden darin unter anderem Opium, Knoblauchsaft, der
knoblauchartig riechende Asant, Asa foetida, ein Gummiharz, das aus Verletzungen, der,
ihres Stengels beraubten Wurzeln, von asiatischen Ferulaarten gewonnen wird; ferner
Galbanum, ein anderes, würzig riechendes Gummiharz von nordpersischen und in
Wüstengegenden wachsenden Ferulaarten, das heute nur noch zur Bereitung einiger
Pflaster gebraucht wird, und Salböle verschiedener Art. Als Extraktionsmittel zur Bereitung
von heilsamen Tränken diente ausser Wein hauptsächlich Harn von Menschen und Tieren;
ob man dabei unbewusst gelegentlich die Heilkraft von in ihm enthaltenen Hormonen genutzt
hat? Ein Austausch aller im ägyptisch-mittelmeerländisch-iranisch-indischen Kulturraum
gewonnenen Kenntnisse erfolgte nach der Gründung des grosspersischen Reiches durch
Cyrus, wozu auch die Befreiung der Juden aus der babylonischen Gefangenschaft ihr Teil
beigetragen hat. Die Kenntnis der verschiedenen Behandlungsarten von Drogen, wie
Mazeration, die Bereitung von Extrakten, Infusen und Dekokten wird nunmehr Gemeingut
aller Heilkundigen. Damit lösen sich gleichzeitig Heilkunde und Pharmazie weitgehend von
der Religion; sie bleiben nicht mehr im wesentlichen Eigentum einer Priesterkaste, die sich in
Tempeln und Heiligtümern übt. Es bricht damit nun eine Zeit ihrer geistigen Durchdringung
an, die unter dem Einfluss der Philosophie steht. Die philosophische Betrachtungsweise hat
ihren Ursprung in der hellenischen Kultur. Zunächst trug sie aber, wie bereits erwähnt, bei
ihrer dem Praktischen und Handwerklichen abgewandten Einstellung für Medizin und
Pharmazie keine Früchte. Aber schliesslich gelangte der griechische Geist von den
geistreichen, aber im Grunde genommen doch unfruchtbaren Spekulationen über den
Ursprung der Welt, über die Urelemente und ähnliches dazu, auch wirklich fassbare
Probleme anzugreifen, wie das Studium des menschlichen Körpers, das über dessen
Krankheiten schliesslich zu den Heilmitteln hinführt.
Freilich handelte es sich dabei am Anfang hauptsächlich nur um eine Fixierung älterer, meist
von den Ägyptern übernommener Kenntnisse, so bei Pythagoras um 530 v. Chr., der in der
griechischen Kolonistenstadt Kroton, an der Südküste Italiens gelegen wirkte. Pythagoras
stellt hygienische und therapeutische Vorschriften zusammen und preist beispielsweise die
Meerzwiebel, den Senf, die Melde. Wenn auch weiterhin die Spekulationen griechischer
Philosophen, wie Empedokles mit seiner Lehre von den vier Elementen und Demokrit mit
seiner Vorstellung von den Atomen, zu keiner neuen Entdeckung auf dem Gebiet der
Heilkunde führten, so tragen doch ihre Schulen, die sie gründen, zur Verbreitung der
vorhandenen medizinischen und pharmazeutischen Kenntnisse bei. Auf diese Weise wurde
auch der berühmteste Arzt des Altertums, Hippokrates von der ionischen Insel Kos (460-377
v. Chr.), Zeitgenosse von Sokrates und Plato, hiermit bekannt. Er gründete die berühmte
medizinische Schule von Knidos. Sein Einfluss auf medizinischem und pharmazeutischem
Gebiet ist, von Unterbrechungen abgesehen, bis ins 17. Jahrhundert hinein zu spüren.
Hippokrates bringt gegenüber den Philosophen einen neuen Aspekt in die wissenschaftliche
Auffassung der Heilkunde hinein, nämlich die starke Betonung der Erfahrung. Dieser
Standpunkt zeigt sich darin, dass er zahlreiche Heilpflanzen und die Bereitung der Pharmaka,
allerdings im Wesentlichen nur qualitativ, genau beschreibt und medizinische
Beobachtungen anschaulich wiedergibt. Er benutzt dabei nicht nur die Erfahrungen seiner
Vorgänger, sondern fügt auch viele neue, eigene hinzu. Bei der systematischen Ordnung
seiner mannigfaltigen Beobachtungen kann er sich allerdings nicht freimachen von den
damaligen philosophischen Grundlagen der Erkenntnislehre. So teilt er beispielsweise die
Heilmittel nach den vier Elementen des Empedokles, Feuer, Wasser, Luft und Erde. Das
sind die substantiierten Eigenschaften heiss, feucht, kühl und trocken. Darüber hinaus spielt
die mystische Vierzahl, losgelöst von dieser Elementvorstellung, eine Rolle bei den
Vorstellungen über die Körpersäfte im Menschen. Diese theoretischen Grundlagen des
hippokratischen Systems, die sich nicht organisch aus den pharmazeutisch-medizinischen
Beobachtungen herleiten, sind in späteren Zeiten überbetont worden und daher der
Entwicklung der wissenschaftlichen Betrachtungsweise hinderlich gewesen; sie sollen uns
hier nicht weiter beschäftigen. Dagegen sei aus dem Erfahrungsschatz, den man zur Zeit
des Hippokrates besass, eine Anzahl von Heilmitteln und von ihren Bereitungsarten als
Beispiele angeführt.
An Arzneipflanzen und Drogen sind bekannt: Weisse Nieswurz oder Germer, Rhizoma
Veratri albi – irrtümlich auch als Rhizoma Hellebori albi bezeichnet –, Haselwurz,
Meerzwiebel, Sellerie, Petersilie, Zwiebeln, Knoblauch, Schnittlauch, Fenchel,
Tausendgüldenkraut, Bilsenkraut, Belladonna, Opium, Wermut, Alaunwurzel, Granatbaum,
Rizinus, Koloquinten, die letzteren, schon den Israeliten bekannt und im Buche der Könige
erwähnt, ausser als starkes Abführmittel auch zur Bekämpfung von Ungeziefer verwendet
wurden.
Als Bereitungsarten von Medikamenten kennt und beschreibt Hippokrates als flüssige und
halbflüssige Heiltränke; Dekokte, Infuse oder Aufgüsse, Extrakte, Mixturen,
Aufschwemmungen in Säften = Lecksäfte, Mazerationen in Wein, Gummiharze mit Öl, Essig
und besonders Honig, aber noch keine Sirupe; diese sind erst eine Erfindung der Araber
1000 Jahre später.
Als feste, herabzuschluckende Heilmittel, speziell Pillen, werden angegebene Harze, Pulver,
Extrakte mit festem Honig gemischt in verschiedenen Formen, z.B. in Pillen und Pastillen;
ferner werden gebraucht den heutigen Suppositorien ähnliche Zäpfchen. Als äusserlich
anzuwendende Heilmittelformen sind bekannt Salben, Umschläge mit Leinöl oder Harzen,
woher das Wort Pflaster kommt; Pflaster im heutigen Sinne hat man aber damals noch nicht
gekannt. Zur Desinfektion von Räumen wurden Räucherungen ausgeführt; zur Desinfektion
von zu üppig wucherndem Narbengewebe, bei Granulationen, diente eine aus Alaun, Essig,
Honig, Soda und Galle bereitete Lösung, in der im wesentlichen die essigsaure Tonerde
wirksam ist.
Zur Zeit, da die Römer ihre Herrschaft in den Mittelmeerländern ausdehnten, wurden diese
Kenntnisse zunächst in der Hauptsache nur bewahrt. Einige neue Beiträge kamen einerseits
aus dem von den Ptolemäern beherrschten Ägypten von der alexandrinischen Schule,
andererseits aus Kleinasien, wo einige Fürsten in den dortigen Kleinstaaten des ehemaligen
Sleukidenreiches die Heilkunde zu fördern suchten. Von diesen seien genannt Attalos III.
von Pergamon (reg. 139-133 v. Chr.), der die Wirkungen von Bilsenkraut, Belladonna und
Eisenhut eingehender studieren liess, und Mithridates VI. Eupator (132-63 v. Chr.) König von
Pontus, auf den die Bereitung einer vielgebrauchten Latwerge, eines 54 Bestandteile
enthaltenden Antidotum oder Therikas zurückgeht, das gegen Vergiftungen aller Art wirksam
sein sollte. Ferner ist Mithridates bekannt durch seine an Tieren und an sich selbst
durchgeführten Versuche über die Gewöhnung an Gift, auf Grund derer er eine nach ihm
Mithridat genannte Vorschrift gegen Giftwirkungen verfasst hat. Die Römer haben die
Heilkunde kaum weiter entwickelt; sie verwerteten lange Zeit hindurch nicht einmal die Mittel,
welche in anderen Ländern bekannt waren, sondern blieben bei ihren Zwiebeln, Knoblauch
und Kohl. Insbesondere der alte Cato (um 200 v. Chr.) wehrte sich gegen das Eindringen
von Medizinen und Medizinern aus dem Auslande, auf die Dauer vergeblich. Was nun an
Kenntnissen nach Rom aus Griechenland und Alexandria hereindrang, wurde angewandt
oder gar von gewinnsüchtigen Personen zur Bereitung phantastischer Liebestränke
verwertet, in denen unter anderem Alaunwurzel, Stechapfel, Spanische Käfer, Haschisch,
Morcheln, Lärchenschwamm eine Rolle spielten. Es dauerte deshalb gut anderthalb
Jahrhunderte, bis in Rom die Heilkunde in vernünftige Bahnen gelenkt wurde. Von den zur
Zeit des Augustus und bald danach wirkenden Ärzten und von ihren Schriften über die
Heilkunde seien folgende genannt:
Celsus verfasste um das Jahr 25 n. Chr. ein Werk “De re medica“. In diesem gibt er ärztliche
und pharmazeutische Vorschriften und erwähnt dabei, dass eine Spezialisierung sich
anbahne, indem es Ärzte gäbe, die ihre Hauptaufgabe in der Heilung von Kranken sähen wie
Ärzte, die sich hauptsächlich mit der Herstellung von Heilmitteln beschäftigen.
Es ist dies die erste Andeutung einer Trennung von Medizin und Pharmazie
Frei von Absonderlichkeiten ist die bedeutendste Schrift der Arzneikunde im 1. Jahrhundert
n. Chr. von Dioskorides aus Anarzabos in der kleinasiatischen Landschaft Cilicia (40-90 n.
Chr.). Sie zählt Arzneimittel aus mehr als 600 Pflanzenarten, ferner Mittel aus dem Mineralund Tierreich auf. Ausser schon vor und bei Hippokrates und seiner Schule zu findenden
Mittel erscheinen als Heilmittel pflanzlicher Herkunft Aloe, Farnkraut, Sandbeere, Zimt,
Ammoniakgummi; letzteres ist ein Harz einer in Afrika heimischen Ferulaart, deren Namen
sich von einem Fundort in der Nähe des Tempels des Jupiter Ammon herleitet. Unter den
mineralischen Mitteln sind Quecksilber, Zinkoxyd, Antimonsulfid, Bleiweiss, Kupfersulfat,
Kalkwasser aufgezählt; bei den tierischen Mitteln finden sich Wollfett und Lab – aber auch
Wanzen gegen Wechselfieber und Schweiss! Die Beschreibungen des Dioskorides sind
genauer als die seines Zeitgenossen Plinius des Älteren (20-79 n. Chr.), der in seiner
Historia naturalis nur eine Naturbeschreibung geben wollte und deswegen die oft in Verse
gefassten Anpreisungen von Heilmitteln durch die sie verschreibenden Ärzte verspottete.
Die Schrift des Dioskorides war jahrhundertelang im Gebrauch.
Noch nachhaltiger ist die Wirkung der Werke des ein Jahrhundert nach ihm lebenden
Galenus (131-201 n. Chr.) gewesen, der wie Dioskorides aus Kleinasien und zwar aus
Pergamon stammte, aber in Rom wirkte. Sein Lebenswerk ist das vollkommenste, was die
Antike auf dem Gebiet der Heilkunde unter besonderer Berücksichtigung der Herstellung von
Heilmitteln zustande gebracht hat.
Galenus knüpft an Hippokrates an, von dessen Erfahrungen inzwischen doch manches in
Vergessenheit geraten war, insbesondere auch in der Art und Weise, wie er sein System in
die von ihm beschriebenen Heilmittel zu bringen versucht. In seinen Beschreibungen geht er,
ganz abgesehen von der in zwischen vermehrten Zahl der Mittel, in einem wesentlichen
Punkt über Hippokrates hinaus. Er gibt bei der Darstellung der Präparate die nötigen
Mengen der verschiedenen Stoffen an, auf die Hippokrates wenig oder gar keinen Wert legt.
Damit ist auch der erste Schritt zu einer Dosierung der Arzneimittel getan. Öfters finden sich
Hinweise auf die Ähnlichkeit der Wirkung verschiedener Stoffe, wodurch es dem Arzt
ermöglicht wird, für ein gerade nicht vorrätiges Mittel ein Ersatzmittel zu verordnen. Eine
besondere Schrift ist einer mit einfachsten Mitteln durchzuführenden Harnanalyse gewidmet,
die durch Prüfung des Harns auf Dichte, Geschmack – saure, alkalische Reaktion, Zucker! –
Trübung und deren Art, Farbe – Gallenfarbstoffe, Blut – vorzunehmen ist. In anderen
Schriften sind beschriebene Infuse, Dekokte, Pillen, Pastillen, erweichende Umschläge,
Pflaster, Salben mit Harzen, Gummiarten und Schmalz. Das System der Ordnung lehnt sich
an das von Hippokrates geschaffene an und leidet damit an dem gleichen Fehler wie dieses:
Es ist nicht aus den Beobachtungen an den Heilmittteln hergeleitet, ein Unterfangen, das bei
dem damaligen Stande der Wissenschaft unmöglich gewesen wäre. So wird wieder der
Versuch einer philosophischen Durchdringung gemacht, indem der Stoff nach den vier
Elementen des Empedokles und Aristoteles unter groben sinnlichen Vergleichen qualitativ
eingeteilt und die Qualitäten heiss (Feuer) – feucht (Wasser) – kühl (Luft) – trocken (Erde)
teilweise sogar halbquantitativ festzulegen versucht werden. So ist der Pfeffer wegen seines
brennenden Geschmacks ein “heisses“ Medikament der 4. Stufe, das Opium dagegen ein
“kaltes“ Medikament.
Ein Gesichtspunkt, der bei Galenus besonders hervorgekehrt erscheint, ist die an sich schon
ältere Vorstellung von Gift und Gegengift (Antidot), die nach dem Prinzip “contraria
contraribus curantur“ zu einer Art System ausgebaut wird. Dieses Prinzip wurde später,
besonders im Mittelalter, das im allgemeinen nicht imstande war, eigene wissenschaftliche
Ideen zu entwickeln, zum Dogma erhoben, und hiernach wurden alle Heilwirkungen in ein
willkürliches System gepresst. So weit zu gehen, war aber keineswegs die Absicht von
Galenus gewesen, denn es finden sich bei ihm, verhältnismässig selten, auch Beispiele, die
diesem Prinzip geradewegs zuwiderlaufen, indem bei ihnen “similia similibus curantur“ für die
Heilung von Krankheiten gilt. Jene Überspitzung des Kontraritätsprinzips hat am Ausgang
des Mittelalters zu einer Verkennung der Leistung von Galenus geführt, besonders bei
Paracelsus, bei dem sie sich zu einer direkten Bekämpfung seiner Werke gesteigert hat.
Trotzdem kann Galenus, der am Ausgang der antiken Heilkunde für diese eine nochmalige,
späte Blütezeit bedeutet, als Vater der Pharmazie betrachtet werden.
Nach ihm nennt man daher auch heute noch die mit Drogen und ihrer Verarbeitung sich
beschäftigende pharmazeutisch-chemische Technik Galenik und spricht von galenischen
Präparaten.
Bald nach dem Tode von Galenus setzt ein Schlimmer Verfall der Heilkunde, insbesondere
in Rom, ein, gleichzeitig mit dem sittlichen Verfall der römischen Kaiser und der Moral des
Volkes. Die Ärzte kümmern sich, entgegen der eindringlichen Mahnung Galens, nicht mehr
um die Heilmittel, so dass sich zu früh und zu einseitig die Medizin von der Pharmazie trennt
unter Vernachlässigung der letzteren. Die Folge ist ein Herunterkommen des Ärztestandes;
zweifelhafte Heilkünstler und Kräuterweiber finden mit mystischen Kuren Anklang beim
Publikum.
Nach der Christianisierung unter Konstantin I. nach 325 werden die Kenntnisse des
Altertums in Italien nur in wenigen Klöstern von Mönchen bewahrt. Unter diesen zeichnete
sich später besonders der Orden der Benediktiner aus, der von dem 529 von Benedikt von
Nursja gegründeten Kloster Monte Cassino seinen Ausgang nahm. An diese Tradition
knüpften im frühen Mittelalter die Klöster anderer Länder an, wo die Mönche in ihren
Klostergärten Heilkräuter anpflanzten, so in Frankreich zur Zeit Karls des Grossen. Erst
allmählich wurde man hier mit der Entwicklung bekannt, welche die Heilkunde inzwischen im
Orient durchgemacht hatte, besonders durch den in Karthago geborenen Constantinus
Africanus, der sich ums Jahr 1080 nach Monte Cassino zurückzog. Im oströmischen Reich
genossen Medizin und Pharmazie von vornherein bessere Pflege als in Westrom, zumal sie
sich verschiedentlich der Förderung durch die oströmischen Kaiser zu erfreuen hatten. So
wurde unter der kurzen Regierung des Julian Apostata, der von Konstantinopel aus noch
beide Reiche beherrschte, durch Oribasios ein grosses, 70 Bände umfassendes
Kompendium der Medizin verfasst; von diesem kompilatorischen Werk ist aber nur wenig zu
uns gekommen. Ungefähr 200 Jahre später liessen, die im Jahre 303 unter Diokletian
hingerichteten christlichen Schutzpatrone Cosmas und Damian eine Kirche errichten, wo die
Kranken Heilung suchten wie früher im Tempel des Aeskulap. Aber eigentlich Neues wird in
diesen Jahrhunderten, deren unschöpferischer Charakter sich in der Neigung zu kompilieren
widerspiegelt, auch hier nicht geschaffen, im Gegenteil, durch die Heiligenverehrung wird der
wissenschaftlichen Heilkunde der Todesstoss versetzt.
Der einzige Ort, wo in der damaligen Zeit eine Weiterentwicklung zu spüren ist, ist die
alexandrinische Schule, wo unter anderen der aus Pontus am Schwarzen Meer stammende
Alexander von Tralles lehrte. Er führte eine sachgemässe Behandlung mit den schon früher
benutzten spanischen Käfern, den Canthariden, ein, ferner gab er Anweisungen für den
richtigen Gebrauch des Rhabarbers, nutzte das Gift der Herbstzeitlose, das Colchicin, und
warnte vor dem Missbrauch des Opiums. Die oben erwähnte Heiligenverehrung eines
Cosmas und Damian, die Hand in Hand mit der Unterdrückung der griechischen heidnischen
Wissenschaft durch Justinian I. ging, bedeutet einen Rückfall in die alten Zeiten der
religiösen Periode der Heilkunde. Durch übereifrige Priester, die eine Heilung von
Krankheiten durch Bete, Händeauflegen und Berührung von Reliquien herbeigeführt wissen
wollten und Heilversuche mit Arzneien als frevelhaft ansahen, kommt es in Kleinasien zu
einer völligen Abkehr von der wissenschaftlichen Medizin und Pharmazie. Einzig und allein
die christliche Sekte der Nestorianer, die als Häretiker im Gegensatz zu der im Orient sonst
herrschenden Richtung der Monophysiten standen und deshalb nach Persien abwanderten,
pflegte die alte Tradition. Dadurch erfüllte diese verhältnismässig kleine Sekte eine grosse
Aufgabe: Durch die Übersiedlung nach Persien kam sie dort zu einem Austausch mit den
Erfahrungen der indischen Medizin; neue Drogen, neue Heilmittel und ihre Bereitungsarten
wurden ihr bekannt. Die im Sinne Galens ausgeführte Herstellung von Medikamenten führte
zu einer zwar nicht vollständigen, aber doch schärferen und jetzt gesunden Abgrenzung der
Gebiete Medizin und Pharmazie, wovon der um 850 entstandene Codex Grabbadin Zeugnis
ablegt, den man als erste Pharmakopöe bezeichnen kann. Die Entstehung dieses Codex fällt
nun bereits in eine Zeit, als Persien von den Arabern unterworfen war. Die Araber fanden
dort den von den Nestorianern gehüteten und durch die Kenntnisse der Inder vermehrten
Schatz vor, den sie sich aneigneten. Bei ihren bis über Spanien hinaus dringenden
Eroberungszügen wurden diese Kenntnisse sowie die der alexandrinischen Schule verbreitet.
Die weitreichenden Handelsbeziehungen vermittelten die Kenntnis von bis dahin nicht oder
nur wenig bekannten Stoffen und Drogen wie Campher, Safran, Moschus, Porree,
Sennesblätter und Tamarinden. Darüber hinaus trug die Araberzeit auch noch Eigenes bei,
wenn auch meistens durch Gelehrte, die nicht aus dem kriegerischen arabischen Volke
stammten. Das Verfahren der Destillation, deren Geräte zuerst Zosimos ums Jahre 430
näher beschrieben hatte, wird weiter entwickelt, Essigsäure und destilliertes Wasser werden
gewonnen, der Alkohol wegen unzureichender Kühlverfahren noch nicht, erst wesentlich
später, und zwar vermutlich im 11. Jahrhundert in Italien. Zwar ist das Wort Alkohol, wie die
Silbe Al verrät, arabischen Ursprungs – wie auch das Wort Alchemie, das gebildet wurde,
weil chemische Kenntnisse über das arabische Spanien hinweg nach Mitteleuropa
gelangten – ; es ist aber nicht von den Arabern auf die damals noch unbekannte, heute
Alkohol genannte Flüssigkeit bezogen worden. Eigentlich bedeutet es nämlich eine sehr
feine Schminke und ist erst von Paracelsus in übertragenem Sinne als etwas sehr Feines für
den Weingeist gebraucht worden. Dagegen leitet sich der Name der erst von den Aarabern
eingeführten und bei ihren sehr beliebten Arzneiform der Sirup unmittelbar von einem
arabischen Worte “shirab“ für den indischen Rohrzucker her; auch das im Mittelalter und
noch viel später gebrauchte Wort “Elixier“ stammt aus dem Arabischen. Als weitere
Bereitungsformen von Arzneimittel haben die Araber die zum innerlichen Gebrauch
bestimmte breiartige oder teigige Form der Arzneimittelzubereitung eingeführt, die man
Latwergen, electuraria, genannt hat; sie wird heute kaum mehr angewendet.
Im Zusammenhang mit der Bereitung der Heilmittel stösst man auf chemische Umsetzungen
und gelangt dabei zur genaueren, aber vielfach noch recht unzureichenden Kenntnis
verschiedener anorganischer Verbindungen wie Sublimat, Quecksilberoxyd, Silbernitrat,
Salpetersäure, Salzsäure und Schwefelsäure (aus Alaun). Mit der Ausübung der zu deren
Herstellung erforderlichen chemischen Operationen kommt es zu einer Unterscheidung
zwischen chemischer und galenischer Pharmazie. Letztere treibt gerade bei den Arabern
üppig wuchernde Blüten, was späterhin zu einer Diskreditierung des grossen Galen geführt
hat, indem nämlich, ähnlich wie im Theriak, viel zu viele Drogen in teilweise wenig sinnvoller
Weise in den galenischen Präparaten kombiniert wurden.
Die Arzneivorschriften – Drogen sammeln, aufbewahren, Medikamentenbereitungen – der
Araber hat der berühmte Ibn Sina, genannt Avicenna (980-1037), ein Perser, bei Buchara in
Turkestan geboren, in seinem Kanon der Medizin gesammelt; von ihm stammt die Idee,
Pillen in dünne Silber- oder Goldblättchen eingehüllt zu verordnen. Obwohl bei ihm
Pharmazie und Medizin noch verbunden erscheinen, beginnt sich in dieser Zeit doch schon
deutlich eine Trennung des Berufs eines Pharmazeuten von dem eines Mediziners
abzuzeichnen. Diese Tatsache kommt auch darin zum Ausdruck, dass den Arabern die
Errichtung der ersten “Apotheke“ im Jahre 745 zugeschrieben wird, wenn es sich dabei auch
eigentlich nicht um eine solche im heutigen Sinne, sondern eher um einen Drogenbazar
gehandelt hat.
Viel eher kommt die Bezeichnung Apotheke dem besonderen Raum zu, der keine hundert
Jahre später, 830, für die Bereitung von Arzneien als Armatorium pigmentorum beim Bau
des Klosters St. Gallen bestimmt wird. In diesem stellte ein eigens mit dieser Tätigkeit
betrauter Mönch, der allerdings auch noch als ärztlicher Betreuer der übrigen Mönche
bestimmt war, die Arzneien her.
So ging auch in den Klöstern die Entwicklung in derselben Richtung wie bei den Arabern,
obwohl sie sich lange Zeit gegen das Eindringen des arabischen Einflusses wehrten. Das gilt
auch für die von Karl dem Grossen im 9. Jahrhundert gegründete hohe Schule von Salerno
bis ins 11. Jahrhundert hinein, wo dann, nicht zum wenigsten infolge der Übersetzertätigkeit
des Constantinus Africanus, arabisches und griechisches Gedankengut eindrangen und zu
einer Blütezeit Salernos führten. Anfangs wurden lediglich Rezepte und Heilanweisungen in
einem Antidotarium Nicolai zusammengestellt, dann aber in der Blütezeit von Matthäus
Platearius verfasste weiter um 1150 eine alphabetisch geordnete Arzneimittellehre, die in
alle Hauptsprachen Europas übersetzt und jahrhunderte lang gebraucht wurde.
In einem gewissen Gegensatz zu Salerno steht die etwas später zu einer Hochblüte gelangte
südfranzösische Schule von Montpellier, eine jüdische Gründung. Sie war von vornherein
arabischen Einflüssen aufgeschlossen und legte lange Zeit hindurch ihrem Unterricht die
Werke des Avicenna und aus Spanien kommende Schriften zugrunde. Auch andere
arabische Schriften wurden dort in Übersetzungen als Nachschlagewerke benutzt, zum
Beispiel De re medica von Johannes Mesue dem Älteren Jahja Ben Massawaih – Jutâmâ ibn
Mâsawaiki (777-857) aus Damaskus (um 830), der stark von den Nestorianern beeinflusst
war, Schriften von Abu Mansur Muffawak (um 975), von Al Razi oder Rhazes (um 900) ein
Perser wie Ibn Sina, von Jahjaibn Serapi oder Serapion dem Älteren (um 900), und De
medicamentis simplicibus von Ibn Sarfjun oder Serapion dem Jüngeren (um 1050).
Bis weit hinein ins Mittelalter, bis gegen 1450 dienten diese und nocheinige andere
Übersetzungen aus dem Arabischen, die von Spanien her aus Sevilla und Cordoba kamen,
in den Apotheken als fast alleinige Nachschlagewerke.
In Deutschland begannen schon bald nach 1100 durch das Werk Physica der Äbtissin
Hildegard von Bingen (1099-1179) mittelhochdeutsche Drogennamen die in den oben
genannten Werken gebrauchten lateinischen zu verdrängen: Wermuda = Wermut für Herba
Absinthii; Blutwurz = heute Tormentillwurzel für Potentilla tormentilla, die durch ihren
Gerbsäuregehalt wirkt und daher heute die aus Brasilien und Peru stammende stark
gerbsäurehaltige Ratanhiawurzel als Adstringens und Tonikum ersetzen kann; Nelchin =
(Gewürz)-Nelken für Flores caryophylli; Scherling = Schierling für Conium; Bilse =
Bilsenkraut für Hyoscyamus; Lubestuckel = Liebstöckel für Ligusticum = Lubisticum =
Levisticum officinale als Diureticum; Garbe = Fructus Carvi (Kümmel), Zijtvar = Zitwerwurzel
für Rhizoma Zedoariae, die, als dem Ingwer verwandt, als bitteres Aromaticum benutzt wird
(einer anderen Zingiberacee, der Gelbwurz, Curcuma tinctoria, entstammt der
Cucumafarbstoff). Eine wirkliche wissenschaftliche Weiterentwicklung der Pharmazie blieb
aber nach der ersten Befruchtung der Pharmazie durch die Chemie bei den Arabern
ungefähr ein halbes Jahrtausend lang fast ganz aus. Das Streben der Alchemisten, den
Stein der Weisen zu entdecken oder Gold zu machen, vermittelte zwar einige neue
chemischen Kenntnisse, die aber zusammenhanglos blieben und in keine Beziehung zur
Pharmazie gesetzt wurden. Dagegen vollzog sich innerhalb des Zeitraumes zwischen 1000
und 1500 langsam die Scheidung des Ärztestandes vom Apotheker und damit die
Entstehung eines Apothekerstandes, die in der Gründung verschiedener Apotheken und
Verleihung von Privilegien zum Ausdruck kommt. Einen sichtbaren Schritt vorwärts auf
diesem Wege bedeutet die Medizinalverordnung Kaiser Friedrichs II., die im Jahre 1240 von
Salerno aus erlassen wurde, denn sie sieht eine Trennung des Apothekerberufs vom
ärztlichen Beruf vor. Freilich wurde sie in der Praxis nicht sogleich durchgeführt, auch im
unteritalienischen Reichsteil und in Sizilien nicht, wofür sie eigentlich gedacht war, da nach
dem Tode Friedrichs sich dort die Ordnung schaffende Hohenstaufenherrschaft nicht mehr
lang hielt. Auch für Deutschland ist die Bedeutung dieses Erlasses meist überschätzt worden,
denn hier verband nur selten ein Arzt seine Tätigkeit mit der des Apothekers. Die
Entwicklung ging hier vielmehr vom kaufmännischen Beruf des Spezerei- und
Arzneimittelhandels zur Selbstbereitung der Arzneimittel in den besonderen Beruf des
Apothekers über, der sich damit vom Drogen- und Kräuterhändler trennte. So ist es zu
verstehen, dass schon vor jener Verordnung Friedrichs II. einige Apotheken im deutschen
Reiche entstanden waren, so bereits 1135 in Prag, 1220 in Wetzlar; es folgten 1248
Schweidnitz, 1264 Konstanz, 1268 die Hirschapotheke in Strassburg. Inwieweit es sich dabei
um richtige Apotheken mit Herstellung und Vertrieb von Heilmitteln gehandelt hat, ist freilich
meist fraglich, da man damals mit dem Wort “Apotheke“ schlechthin allgemein eine
Warenniederlage bezeichnete; so dürfte es sich in Wetzlar wahrscheinlich nur um eine
solche gehandelt haben, während die Hirschapotheke in Strassburg schon damals eine Art
Apotheke im heutigen Sinne gewesen ist.
Das älteste bekannte Apothekerprivileg wurde 1303 für die Stadt Prenzlau vom Markgrafen
von Brandenburg und der Lausitz verliehen. Die erste eigentliche Medizinalordnung ist der
Basler Apothekerei aus der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts; es folgte dann erst 1340 Breslau
mit einer weiteren. Im 14. und 15. Jahrhundert brachten dann verschiedene Städte eine
Apothekenordnung heraus. Aus der Erstarrung, in welche die arabische Medizin und
Pharmazie im Mittelalter geraten war, aus der scholastischen und dogmatisch am Alten
haftenden Denkweise in diesen Disziplinen, aus religiös-mystischen Vorstellungen führte das
Zeitalter des Humanismus und der Reformation heraus. Insbesondere wies auf dem Gebiete
der Chemie und Pharmazie die viel umstrittene Gestalt des Paracelsus (1493-1541) neue
Wege, wenn gleich auch dieser bei dem Versuch, verbindende Ideen zwischen den
Erscheinungen herzustellen, im religiös-mystischen Denken und äusserlichen
Analogiebetrachtungen stecken blieb. Aber in der experimentellen Heilkunde brachte er
zumal durch seine Kuren mit Stoffen aus dem Mineralreich Neues, um seine Auffassung,
dass die Aufgabe der Chemie nicht sei, Gold zu machen, sondern durch Auffindung neuer
Heilmittel den Menschen zu helfen, stellte diese noch nicht selbständig gewordene
Wissenschaft in den Dienst der Medizin. Sein Verdammungsurteil, das er gegen die bis
dahin als unantastbar geltenden Schriften der Alten mit Ausnahme der hippokratischen
Schriften aussprach, war zwar ungerecht, da es weit über das Ziel hinausschoss, aber es
räumte für die kommenden Generationen mit dem Autoritätsglauben und veralteten
schemenhaften Vorstellungen wie denen von den vier Körpersäften bei Hippokrates und
Galenus und dem theoretischen System des letzteren auf, so dass für eigenes,
selbständiges Denken die Bahn frei wurde.
In dem nach ihm kommenden Zeitalter der latrochemie wurde nun die Pharmazie stark von
der chemischen Seite aus befruchtet, zumal auch in Deutschland. Es kommt von nun an
immer häufiger vor, dass chemische Arbeiten in Apotheken gemacht werden, wobei eine
Abkehr von den alchemistischen Zielen unverkennbar ist, wenn auch vielfach die chemische
Verfahrenstechnik der Alchemisten übernommen wird. Solche chemische Forschung führte
den Apotheker allmählich immer weiter von der Medizin weg, doch waren immer noch
Apotheker mit beachtlichen medizinischen Kenntnissen nicht selten. Vollzog sich dieses
Auseinanderleben zweier Berufsstände, des Apothekers und des Arztes, im Grossen und
Ganzen organisch, so ging die Abgrenzung des Apothekerstandes gegen den Stand der
Drogisten zumal in Frankreich zur Zeit des Paracelsus nicht ohne Reibung und Kämpfe vor
sich. Es hängt dies damit zusammen, dass bei der ständischen Gliederung der Gewerbe, die
zu Beginn der Neuzeit im Vordergrund stand, der Apotheker zum Kaufmannsstand gehörte,
in dem sich auch Drogisten, Kerzenfabrikanten, Brühenbereiter und Fettkocher als
verwandte Berufe befanden. In Frankreich wurde es nötig, durch königliche Erlasse (1514
und 1554) streng zwischen Apothekern und Drogisten zu unterscheiden. In Deutschland
vollzog sich die gleiche Entwicklung langsamer und in ruhigeren Bahnen.
So beginnt sich der Apothekerstand als besonderer Berufsstand seit Beginn der Neuzeit
immer deutlicher abzuzeichnen. Seine Eingliederung in diesen verlangt eine Tätigkeit, die
der eines Kaufmannes verwandt ist. Von diesem und speziell einem Drogisten unterscheidet
er sich durch seine praktische Tätigkeit im Apothekerlaboratorium, die ihn, entsprechend der
Entwicklung der Pharmazie nach der chemischen Seite wie nach der galenischen Seite
nebst der Drogenkunde teils zu einem Chemiker, teils zu einem Botaniker stempelt.
Diese Dreiheit im Wesen des Apothekers ist auch heute noch vorhanden. Die Beschäftigung
mit zwei wichtigen Zweigen der Naturwissenschaft brachte es mit sich, dass sich der
Apotheker neben seinen praktischen Aufgaben in der Apotheke wissenschaftlichen
Untersuchungen zuwandte, zumal sich die Chemie den Rang eines selbständigen Zweiges
der Naturwissenschaft errungen hatte und nicht mehr lediglich als Diener der Heilkunde
erschien.
Diese wissenschaftlich/chemische Arbeit des Apothekers tritt im 18. und 19. Jahrhundert
stark in Erscheinung; ihre Bedeutung für die chemische Wissenschaft möge nur durch den
Namen eines Carl Wilhelm Scheele und eines Friedrich Wilhelm Sertürner und durch die
Tatsache belegt werden, das verschiedene berühmte Chemiker des 19. Jahrhunderts aus
dem Apothekerstande hervorgegangen sind, zumal in Deutschland. Aber auch die Botanik
hat in den Apotheken ihre Pflege gefunden, zahlreiche Apotheker waren ausgezeichnete
Pflanzenkenner, und so mancher von ihnen zeichnete sich auch durch wissenschaftliche
Leistungen in der Botanik aus.
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