Mammutjagd Es ist Sommer. Hell scheint die Sonne auf eine weite Landschaft mit Mooren, feuchten Wiesenflächen und niedrigen Birkenwäldern. In der Ferne glänzt das Eis der Gletscher, die von den Alpen bis in das Flachland hineinreichen. Doch die Eismassen sind auf dem Rückzug. Das Wetter ist in den vergangenen Jahrhunderten beständig wärmer geworden. Der Frostboden taut auf und wird sumpfig. Die Kuppen der Hügel sind jedoch trocken, denn das Schmelzwasser fließt von den Bodenerhöhungen ab und bildet in den Senken flache Seen. Riesige Schutthalden, die aus Geröll und Felsen bestehen, durchziehen die Landschaft. Es sind die Moränen der Gletscher. In den Eismassen waren die Steine eingefroren oder wurden vom sich nach vorne schiebenden Rand der Gletscher aus dem Gebirge in die Ebenen transportiert. Als es wärmer wurde und das Eis schmolz, blieb der Schutt im Flachland liegen und bildete lang gestreckte Hügel, die langsam mit Pflanzen zuwuchsen. Thymian, Gelber Alpenmohn, Hahnenfuß, Enzian, Wiesenraute, niedrige Weiden und Birken gedeihen in dem Land am Rande der Gletscher. Es ist nicht sehr kalt. Die Temperatur der Luft beträgt fünf bis zehn Grad Celsius, und in windgeschützten, sonnigen Mulden wird es noch viel wärmer. Auf dem trockenen, sonnigen Kamm einer Moräne liegen sechs Männer und schauen auf die weite Tundralandschaft hinaus. Sie haben die wärmenden Ren- und Wolfsfelle, mit denen sie sich an kalten Tagen und nachts einhüllen, abgelegt und tragen nur kurze Fellschurze um die Hüften. Jeder Mann hat ein schweres Steinbeil, messerähnliche Klingen aus Stein und mehrere Jagdspeere neben sich liegen. Ihre Spitzen bestehen aus Feuerstein oder aus Obsidian, einem scharfen, glasähnlichen Gestein, und sind mit Lederstreifen an den Holzschäften befestigt. Die sechs Männer sind der Jagdtrupp einer Cro-MagnonMenschensippe. Sie warten auf ihr Jagdwild. Aus Erfahrung wissen sie, dass um diese Jahreszeit Mammutherden von den sumpfigen Ebenen auf das Gebirge zuwandern. Dort ist es kälter. Die zottigen Eiszeitelefanten sind so stark an kaltes Klima angepasst, dass ihnen die Erwärmung der Ebenen während des Sommers unangenehm ist. Darum weichen sie im Frühjahr an den Rand der Gletscher aus und wandern erst im Herbst in die Niederungen zurück. Die Mammutjäger kennen die Wege, die „Wechsel“ der Tiere. Sie wissen, dass die zottigen Elefanten nur ungern die Geröllhalden der Gletschermoränen übersteigen, sondern lieber in den Durchbrüchen laufen, die von Schmelzwasserflüssen in die lang gezogenen Hügel gerissen wurden. In einem solchen Durchbruch haben die Männer gemeinsam mit den Frauen und Kindern ihrer Sippe eine Fallgrube gegraben, Sobald im Frühjahr der Boden ausreichend tief aufgetaut war, haben sie in tagelanger Arbeit mit Steinbeilen, Steinklingen und Grabstöcken Erde und Steine gelockert und auf die umliegenden Hügel getragen. Die so ausgehobene Grube wurde mit Birkenstämmen abgedeckt, auf die dann Zwergsträucher, Weidenzweige, Moos, Flechten und Erde gelegt wurden. Schließlich haben die Jäger sogar Mammutkot gesucht, herbeigetragen und auf ihre Falle verstreut, um den Geruch der Menschen zu überdecken. Danach haben Frauen und Kinder sich in das entfernte Lager zurückgezogen, Mammutjagd 1 während die Männer auf einem trockenen Hügel in der Nähe des Mammutwechsels lagern. Ihr Jagdlager besteht nur aus einer Feuerstelle und einigen niedrigen, aus Weidenzweigen geflochtenen Windschirmen. Geduldig warten die Jäger auf ihre Beutetiere. Drei Wochen sind seit dem Bau der Fanggrube bereits vergangen, und die Abdeckung sackt schon etwas nach unten. Wenn die Mammute nicht bald kommen, wird die Jagd ein Misserfolg. Dann müssen die Männer mühsam viele Rentiere jagen, um genug Fleisch für den langen Winter zu erbeuten. Plötzlich zeigt einer der Jäger mit der Hand auf die Ebene hinaus. Er hat eine Mammutherde entdeckt! Die riesigen, rotbraun behaarten Tiere kommen nur langsam näher. Immer wieder bleiben sie stehen, reißen mit den Rüsseln Pflanzen aus und verzehren sie. Es sind mehrere weibliche Tiere bei der Herde, von denen jedes ein Junges hat. Diese Jungtiere haben zartes, schmackhaftes Fleisch und sind daher eine besonders begehrte Beute, doch sie sind schwer zu jagen. Die erwachsenen Tiere verteidigen sie erbittert, und die Jägergruppe ist zu klein, um die Mammutherde direkt angreifen zu können. Einem großen Jagdtrupp kann es gelingen, die Tiere mit brennenden Zweigen und Geschrei so zu verwirren, dass die Jäger einige der Mammutjungen treffen können. Die sechs Männer dagegen müssen hoffen, dass einer der behaarten Elefanten in ihre Grube fällt. Langsam nähert sich die Herde dem Durchbruch in der Moräne. Die Tiere schöpfen keinen Verdacht. Seit dem Bau der Grube haben Regen und Wind den Geruch der Menschen beseitigt. Hintereinander trotten die mächtigen Tiere auf ihrem Wechsel entlang. Jetzt hat das alte, an der Spitze der Herde laufende weibliche Tier die Grube fast erreicht. Die Jäger auf dem Hügel halten den Atem an. Ihre Falle füllt natürlich nicht die ganze Breite des Durchganges aus. Zwar haben die Männer versucht, durch herabgerollte Felsen den Wechsel zu verengen; trotzdem könnten die Elefanten noch ungefährdet die Falle umgehen. Tatsächlich! Das Leittier schreitet am Grubenrand vorbei! Da die anderen Tiere in seiner Spur folgen, muss die Jagd misslingen! Da springt der älteste der Jäger auf, schwenkt seinen Fellumhang über dem Kopf und rennt schreiend auf die Mammute zu, Die anderen Jäger folgen seinem Beispiel. Da löst sich die Marschordnung der Rüsseltiere auf. Sie trompeten erregt und drängen sich eng aneinander. Die letzten Tiere suchen Anschluss an die Herde und laufen nebeneinander nach vorne. Dabei verlassen sie den schmalen Wechsel des Leittieres. Ein Bulle läuft über die Abdeckung der Grube und bricht in die Falle ein. Sein schrilles Trompeten hallt gellend zwischen den Geröllhängen. Die anderen Mammute umdrängen ihn aufgeregt und stampfen dabei den Grubenrand ein, Durch die nachrutschenden Erdmassen wird das gefangene Tier noch stärker eingeengt. Seine mächtigen Vorderbeine sind angewinkelt und treten noch auf die Oberfläche der Erde, doch der Bulle kann seinen Hinterkörper nicht hochstemmen, Andere Herdenmitglieder zerren mit den Rüsseln an seinen Stoßzähnen oder halten seinen Rüssel umschlungen. Mit ihrer Hilfe könnte der Bulle sich doch noch aus der Grube herausarbeiten! Aber die Jäger haben inzwischen Feuer entfacht und werfen brennendes Gebüsch zwischen die Tiere. Einige Mammute greifen die Menschen immer wieder an, doch da die Männer schnell fliehen, geben die Tiere bald die Verfolgung auf und kehren zur Herde zurück. Schließlich geraten die Eiszeitelefanten in Panik. Sie stampfen davon und lassen Ihren gefangenen Artgenossen Mammutjagd 2 zurück. Die Mammutjäger können nun dicht an den fast bewegungsunfähigen Bullen herangehen. Aus kurzer Entfernung werfen sie ihm schwere, scharfkantige Felsen gegen den Schädel und schleudern ihm ihre Jagdspeere in den Körper. Die Bewegungen des mächtigen Tieres werden immer unsicherer und langsamer. Bald lässt das Mammut den Kopf auf den Grubenrand sinken, Sein bisher heftig umhergreifender Rüssel liegt still. Der zottige Elefant ist tot. Ein junger Jäger eilt in das Lager der Sippe, um Frauen und Kinder zu holen. Die Menschen verwerten ihr großes Beutetier vollständig. Das Fleisch wird in der Sonne und im Rauch der Feuer getrocknet, Stoßzähne und Knochen werden zu Werkzeugen und Schmuckgegenständen verarbeitet, die Sehnen werden als starke Bindfäden benutzt und Stücke des zottigen Felles dienen als Schlafunterlagen oder als Abdeckung für die Sommerhütten. Die Sippe der Mammutjäger wird den nächsten Winter gut überleben! (Wilfried Beuerle) Mammutjagd 3