Transkript zum Video-Interview „Vier Fragen an Fritz Stern“ Das Interview mit Fritz Stern führte Christoph Bartmann am 14. November 2014 in New York. Herr Stern, was ist Ihre persönliche Erinnerung an den 9. November 1989? Soweit ich mich erinnern kann, war ich im Begriff einen langen Artikel für die New York Review of Books fertig zu schreiben und zu korrigieren, mit dem Titel „The Common House of Europe“. Das war eine Idee oder ein Slogan von Gorbatschow. Und der Sinn des Artikels war, Ihr könnt die Vereinigten Staaten nicht auslassen. Wir gehören zu diesem gemeinsamen Haus. Und ich glaube in dem Moment wo ich beinah fertig war, kommt jemand ins Büro und sagt, die Mauer ist gefallen. Ich glaube das konnte ich noch hinzufügen irgendwie. Aber ansonsten muss ich Ihnen sagen, ich meine das ganze Jahr oder zu mindestens vom 9. Oktober an, war man doch auf die DDR sozusagen konzentriert. Nicht nur auf die DDR sondern auf den Ostblock überhaupt. Und das war eine der aufregendsten Zeiten die es gab. Der Mauerfall selber war natürlich ein Höhepunkt. Aber ich würde sagen der 9. Oktober in Leipzig, den kann man nicht auslassen, Alexanderplatz Anfang November auch nicht. Aber das Symbol des Mauerfalls war enorm, gar keine Frage. Was waren die Auswirkungen des Mauerfalls und der Wiedervereinigung auf das deutsch amerikanische Verhältnis? Ich würde sagen erstmal hat es den Zusammenhalt zwischen Amerika und Deutschland also zwischen Amerika und der Bundesrepublik damals noch verstärkt, denn die Vereinigten Staaten haben sich ja da sehr positiv für die Wiedervereinigung ausgesprochen. Und auch ich meine die ganze Politik Amerikas war ja basierte auf der Hoffnung, irgendwann mal wird diese Mauer fallen und zwar nicht wie Reagan angedeutet hat das man sie sozusagen von außen einen Befehl geben sollte, „Tear down“, „Zerstört sie“ sondern irgendwann mal würde es innerhalb des Ostblocks dazu kommen. Und ich bin und ich war und bin ein großer Bewunderer von Gorbatschow. Und Gorbi hat mit Recht eine große Resonanz gehabt. Die Deutschen waren, in den Worten von Walter Momper, das ‚glücklichste Volk der Erde‘. Wie lange traf das zu, wenn überhaupt? Mit allen Respekt für Herrn Momper, ich kann mir nicht vorstellen, dass die Deutschen jeh sich als das glücklichste Volk, dafür neigen sie zu sehr zum Weltschmerz und das passt nicht zu Ihnen. Das sie im Moment möglicherweise tatsächlich beglückt waren, das mag stimmen, aber dann kam doch sehr bald die Auseinandersetzung, was machen wir jetzt, in welcher Form von Wiedervereinigung und ich muss sagen, dass ich damals fürchtete das die Ostdeutschen nicht genügend gewürdigt werden denn was die geschafft haben in Leipzig und in anderen (Städten) war enorm. Genauso wie ich sagen würde die Hauptrolle in der Selbstbefreiung Osteuropas haben die Polen gespielt vor denen ich auch ungeheure Hochachtung habe und das Glück hatte mit Geremek dem späteren polnischen Außenminister und Michnik befreundet zu sein. Also hab das alles verfolgt so war der 9. November in dem Sinne zwar ein Höhepunkt aber es war eine Zeit der gesteigerten Höhepunkte. Doch leider sehr sehr verschieden. Das geeinigte Deutschland, das vereinigte Deutschland dem geht’s gut würde ich sagen, Polen geht’s recht gut, auf der anderen Seite, Ungarn ist in einer pre, vorfaschistischen Zeit, das kann man nur mit dem größten Besorgnis verfolgen und dann die Krise in der Ukraine. Also ich würde sagen, von dem Glücksfall von dem 9. November sind wir jetzt in eine Krisenzeit gekommen, deren Ablauf ich nicht sehe wie lange das dauert. _____________________________________________________________________________________________________ Copyright © Goethe-Institut USA Alle Rechte vorbehalten 1 www.goethe.de/USA Geht in diesem Jahr, mit dem Konflikt in der Ukraine, eine Epoche zu Ende, die 1989 begonnen hat? Wissen sie dieser Versuch immer alles so einzuordnen und eine Epoche hat angefangen, eine Epoche hat aufgehört – der historische Prozess geht vor sich. Gibt’s manchmal ganz besondere Punkte wo man sagen kann, jetzt hat sich was tief verändert. Das war sicher der Fall 89 ich bin nicht so überzeugt das es heute ein Ende, nein ich meine das die also wenn man auf Europa sieht, dann würde ich sagen dass es im Ganzen das atlantische Verhältnis, das atlantische Bündnis nicht mehr so fest geankert ist, wie es 89 war und Amerika ist nicht mehr dasselbe was es damals war und die Stimmung auch in Deutschland gegenüber Amerika hat sich leider Gottes verschlechtert und das kann man nur bedauern. _____________________________________________________________________________________________________ Copyright © Goethe-Institut USA Alle Rechte vorbehalten 2 www.goethe.de/USA