Das Herz in der Kunst und in der Kunstgeschichte DIA - Höhlenzeichnung Fern und unbestimmt wie die Umrisse dieser Höhlenzeichnung kommt aus grauer Vorzeit das erste Bild des Herzens vor unser Auge. Das Herz als Organ und als Symbol. Das Elefantenherz aus der Höhle von Pindal, von dem ich Ihnen hier ein Dia zeige, ist das erstaunlichste Herz, das jemals ein Elefant oder ein anderes Lebewesen gehabt hat. Es gleicht einem Pfefferkuchenherzen - oder eher noch durch seine rosarote Farbe den Herzen auf amourösen Postkarten von l900. Diese Farbe haben nämlich nicht die Höhlenmenschen vor looooo Jahren gemalt, sondern sie stammt von einem Höhlenforscher und hochbegabten Gelehrten, der Anfang des 2o. Jahrhunderts die Höhlenmalereien von Pindar entdeckt hat, dem Abbe Breuil, der dem Elefanten das Herz mit Rötelkreide auf die Brust gesetzt hat. Und diese Zeichnung ist in unzählige Bücher über prähistorische Kunst übergegangen. Ich möchte auf diese Weise gleich zu Anfang klar machen, dass Kunst und Kunstgeschichte das Organ und das Symbol des Herzens zu allen Zeiten auf ihre Weise aufgegriffen und ihrer jeweiligen Sichtweise untergeordnet haben. Das Herz als Organ und Symbol wurde dem- entsprechend unterschiedlich interpretiert. Richard Lewinsohn, der Autor einer vor 5o Jahren erschienenen Weltgeschichte des Herzens, hat den Höhlenforscher, den Abbe Breuil persönlich getroffen und aus seinem Munde erfahren, was ein weniger geübter Betrachter nicht erkennen kann, Breuil erläuterte: „ Ich habe einen breiten roter Fleck an der Stelle gemalt, wo das Herz sein sollte „. Wir müssen uns vorstellen, dass der Forscher wochenlang auf dem Boden der niedrigen Grotten liegen musste, um bei Kerzenlicht Bleistiftskizzen zu machen, die er dann außerhalb der Grotte mit Pastellstiften nachfärbte. Das war die Grundlage seiner berühmten Aquarelle, die das Musee d´homme in Paris als kunsthistorischen und künstlerischen Schatz bis heute hütet. Für Forscher, Künstler und Kunsthistoriker stellt sich die Frage, welche Funktionen und Eigenschaften die primitiven Menschen dem Herzen zugeschrieben haben. Sicher ist, dass das Herz schon sehr früh mehr war als ein bloßes Körperorgan. Die meisten primitiven Völker mit ihrer Neigung zur Magie, Mystik und Symbolik, insbesondere die Jäger hatten e i n e Vokabel für das Herz. Manche gebrauchten das gleiche Wort für das Herz und für den Magen. Manche Indianer im Matto Grosso hatten z w e i verschiedene Worte: eines fürs eigene Herz und ein zweites für das Herz anderer, was darauf schließen lässt, dass sie dem Herzen eine besondere Bedeutung zulegten. So auch die Eingeborenen von Haiti, deren Wodu-Kult mit magischen Beschwörungen das Herz einbezieht. Ich beziehe mich noch einmal auf die sehr detaillierten Ausführungen von Richard Levinsohn, der feststellt, dass alle Riten, die bei den Naturvölkern mit dem Herz zusammenhingen, dem Bereich des Kannibalismus zuzuordnen sind. Mitten in der Brust liegt da ein großes Organ, von dem man nicht recht weiß, welche Funktion es zu erfüllen hat. Es ist härter als alle anderen inneren Organe. Man braucht ein gehöriges Steinmesser, um es zu zerschneiden. Es ist ein widerspenstiges Organ. Aber der Widerstand ist ein Beweis seiner Kraft, und diese Kraft muss man sich einverleiben. Denn: Was selbst kräftig ist, verleiht auch Kraft. Diese Kraft ist übertragbar von Mensch zu Mensch, von Tier zu Mensch. Wer das Herz eines Feindes verschlingt, wird seine Kraft verdoppeln und stärker sein als alle seine Gegner. So war das Herz-Essen ein Mittel zur Ertüchtigung der Jugend, damit sie „beherzte“ gute Krieger wurden. Als Champions des Herzkannibalismus galten früher die Aschanti-Neger der Goldküste Westafrikas. Sie hatten für die Herzmahlzeiten einen besonderen Ritus entwickelt. Der Medizinmann schnitt kunstfertig das Herz aus der Brust des Kriegsgefangenen, mischte es mit Blut und Kräutern und reichte es allen, die noch keinen Gegner umgebracht hatten. Herz-Esser gab es nicht nur in Afrika und nicht nur bei den Sioux-Indianern, sondern auch die Vorfahren europäischer Völker stärkten sich auf diese Weise. Siegfried - in der germanischen Edda-Saga - verspeist das Herz des Drachen Fafnir und lernt auf diese Weise die Sprache der Vögel verstehen. Zusammenfassend kann man sagen: Das Herz der Naturvölker ist im Grunde ein wildes Organ, das man nicht aufpeitschen darf, ohne dass einem selbst oder einem anderen ein Übel zustößt. Die Menschen, die bei den Naturvölkern als besonders beherzt galten, sind eigentlich diejenigen, die wir herzlos nennen. Wo es bei den Primitiven so etwas wie eine „Philosophie des Herzens“ gab, unterschied sie sich kaum von der des Kampfes ums Dasein. Dia: Mexikanisches Herzopfer Das Herausreißen von Menschenherzen zu religiösen Zwecken blieb den sogenannten Hochkulturen vorbehalten. Meister dieses schauerlichen Ritus waren die Azteken. Die aztekische Prozedur des Herzopfers hat seinerzeit sogar die abgebrühten Spanier erschreckt, als sie l519 nach Mexiko kamen. Junge Männer wurden auf den Altar gelegt. Dann schnitt der Priester ihnen mit einem Steinmesser die Brust auf und riss ihnen das Herz heraus. Nachdem die Zeremonie zu Ende war, wurden die blutigen Herzen in eine Opferschale gelegt. Auf diesem Dia sehen Sie den zum Opfertod bestimmten Gefangenen mit gebundenen Armen und mit dem vollständigen gestreiften Opferdekor bemalt. Ein priesterliches Messer schneidet die Brust auf. Das Blut spritzt in alle Richtungen. Dia : Mictecacinatl Die rituellen Menschopfer waren natürlich alles andere als primitive Morde. Sie dienten vielmehr der Erhaltung der göttlichen Weltordnung. Die grausame Todesgöttin Mictecatinatl forderte regelmäßig ihren Tribut und verschlang die Menschenopfer, wie auf dieser Darstellung aus Yucatan zu sehen ist. Oben rechts die Hieroglyphe: Herzopfer. DIA : Opferszene Mexiko Bei dieser Darstellung auf dem Relief der klassischen Maja-Kultur verwandelt sich das Herz des Geopferten in einen kostbaren Federstrauß. Hier deutet sich also ein Zusammenhang von Opfer und Verwandlung an. Was den Sitz der Lebenskraft anbetrifft – und demnach auch die Möglichkeit, aus der Beschaffenheit der Organe Weissagungen zu machen - so stand in Mesopotamien die Leber an erster Stelle. Das Herz - so sagten die Babylonier – reagiert zu stark auf äußere Einflüsse – es klopft, es flattert, ist unbeständig und beeinflussbar. Die Leber hingegen diese große, blutvolle, pralle Masse, die unbeweglich in der Leibeshöhle von Menschen und Tieren lag - die Leber war nicht nur in Mesopotamien, sondern auch in den meisten andern Ländern und Kontinenten als Sitz des Lebens am meisten geschätzt. Es gab da allerdings eine Ausnahme: Ägypten. Dia : Totengericht Für die Ägypter war das Herz nicht, wie für die Naturvölker, Sitz von Kraft. Und es war auch nicht, so für uns heute, symbolisch der Sitz der Gefühle, sondern das Herz war für die Ägypter der Ort der Vernunft, des Denkens, des Überlegens. Ein „herzloser“ Mensch war für die Ägypter ein törichter Mensch, ein Tor. Dementsprechend wurde beim Totengericht das Herz des Verstorbenen gewogen. Auf dieser bekannten Darstellung auf einem Totenbuch-Papyrus sehen wir links den Toten und seine Gattin und auf der linken Waagschale sein Herz. Auf der Waagschale rechts sehen wir das Symbol des Maàt, an dem alles gemessen wird. Es ist eine Feder. Wägemeister ist der schakalköpfige Anubis. Wiegt das Herz des Verstorbenen weniger als die Feder der Wahrheit auf der rechten Waagschale, so kann der Verstorbene zum Gott Osiris in die Unterwelt geleitet werden. Wiegt das Herz allerdings schwerer als das Maat, so wird der Verstorbene von dem bereits lauernden Ungeheuer verschlungen. Dia : Doppelherzorden Der Doppelherzorden aus Gold und Silber, der hier – auf einer ägyptischen Grabmalerei – gerade einem Bürgermeister verliehen wird, ist daher die größte Auszeichnung gewesen, die ein Pharao verlieh für Verstand und für Umsicht in der Politik und in der Kriegsführung. Dia: Eva mit Lebkuchenherz Bei uns zulande werden Herz-Anhänger aus ganz anderen Motiven verschenkt, nämlich um ein Gefühl von Liebe und Freundschaft, also eine Herzensbindung auszudrücken. Und diese gleichsam magisch zu schützen und zu festigen. Solche Herzen an Ketten sind aus Gold, Silber und Edelsteinen. Oder wie hier, auf dem Münchner Oktoberfest, aus Lebkuchen. Dia: Postkarte Herz von heute Wir kommen damit zu der interessanten Frage, ab wann denn eigentlich in unseren Lebensräumen das Herz die symbolische Bedeutung von Liebe und Liebesgefühlen zugesprochen bekommen hat. Wie zum Beispiel hier auf einer jener unzähligen Postkarten, die wir heute auf den Ständern von Schreibwaren- und Souvenirläden sehen können. Es war im 9. Jahrhundert, dass ein elsässischer Mönch, Otfried von Weißenburg, der Verfasser eines Evangelienbuches, vom Herz nicht nur im altbiblischen Sinne als Sitz von Frömmigkeit spricht. Und zwar in der Totenklage der Maria Magdalena am Grabe Christi. Das Herz wird hier zum ersten Mal als Kosename gebraucht, für Christus. Es handelt sich nicht um das Herz Jesu, das später im katholischen Kult eine so große Bedeutung erlangt hat, sondern um das Herz der Frau, die ihn beweint, um das Herz, das Maria Magdalena an Christus verloren hat. Zum ersten Mal findet sich in diesem Evangelienbuch des Otfried von Weißenburg der fatale Reim „Herz und Schmerz“, der von da an so oft wiederholt wird, dass Dichter von Rang sich schließlich scheuen, ihn anzuwenden. Gedanklich jedoch bleibt dieser Gleichklang für immer bestehen. Liebeskummer ist eines der großen Themen der Weltliteratur. Zwei Drittel aller Lyrik und die Hälfte aller Dramen und Romane wären nie geschrieben worden, wenn das Herz den Menschen keinen Schmerz bereiten würde. DIA: Herzformen / Fabrikmarken Indem man sie von nun an Herz nannte, war die Liebe im Mittelalter weniger anstößig geworden, man konnte ungenierter darüber sprechen. Das war für die Liebenden und für die Minnesänger gewiss ein Gewinn. Aber im Übrigen war die neue Symbolik nicht sehr glücklich, weil sie zu unklar, zu verschwommen war. Was war das Herz? Was wusste man davon? Was ging darin vor? Schließlich war es doch kein leeres Wort sondern etwas, was jeder Mensch in der Brust hatte. Das Herz hatte in der Literatur einen hohen Rang, in der bildlichen Darstellung und vor allem in der bildenden Kunst jedoch scheinen die Klöster gegen die Verweltlichung des Herzens protestiert zu haben. Erst im 14. Jahrhundert wurde der Bann gebrochen, und zwar vom Handwerk. Die bildliche Darstellung des Herzens in der westlichen Welt begann als Firmenzeichen, als Fabrikmarke. Alle diese Herzformen haben eine ausgesprochene Blattform. Da die Künstler, die die Wasserzeichen für die Handwerksbetriebe erfanden nur vage Vorstellungen davon hatten, wie ein menschliches Herz aussieht, holten sie sich ihre Inspiration aus dem Pflanzenreich. Möglicherweise in Anlehnung an die Ornamente und Zierleisten mit Herzblättern, die in Ephesus, Athen und Delphi und später auch im römischen, italienischen Raum gefunden wurden. Was ist charakteristisch an der Form des Herzens? Die Kerbe/ die Mulde/ der Einschnitt/ Die Bucht. Man kann fragen: Was kommt daraus hervor? Was geht in die Kerbe hinein? Aus der Mitte des Herzens kommt die Flamme wie aus einem Krater. Die Mulde wird zu einer Art vulkanischer Öffnung. Ist der Rand wie ein Wulst geformt, erscheint die Öffnung wie eine Körperwunde. Verfestigt sich der Rand gleichsam keramisch, so wird aus dem Krater eine Vase, in die man Rosen, Zweige, Lilien hineinstecken kann. DIA: Liebeszauber Zurück zum Herz als Symbol für Liebe, Liebeskummer und die diversen Spielchen, die zwischen Frau und Mann ablaufen. Auf diesem Ölbild eines niederrheinischen Meisters aus dem Jahre 1470 mit dem Titel „Liebeszauber“ aus dem Museum der Bildenden Künste in Leipzig hat eine sehr verführerische nackte Dame das Herz des Verehrers in ein Holzgefäß gelegt und ist gerade dabei, es mit ihrem Schleier und magischen Ritualen einzuspinnen und zu verzaubern. Hinten in der halboffenen Tür steht der Mann, um dessen Herz es sozusagen schon geschehen ist. DIA: Frau Minne von Meister Caspar um 1479 Auf dem kolorierten Holzschnitt eines Meisters namens Caspar aus dem Jahr 1479 mit dem Titel DIE MACHT DER VENUS werden die Liebesleiden, welche „Frau Minne“ bereit hat, herz-symbolisch zusammengestellt, uns zwar unter Verwendung von Folterwerkzeugen. Auf diesem Holzschnitt wird den Frauen geradezu ein Lehrkurs erteilt, wie sie die Herzen der Männer malträtieren können. Herzen des Geliebten kann man durchbohren, man kann sie auch zersägen, zerstückeln, verbrennen, zermalmen und dergleichen mehr. Sie sehen auf diesem Holzschnitt Das durchbohrte Herz, das eingequetschte Herz das gepresste, das gespaltene, das aufgespießte, das verbrennende, das getretene Herz. In Frankreich und in Flandern des 14. Jahrhunderts hatten Elfenbeinschnitzer das durchbohrte Herz als Symbol für die sinnliche Liebe eingeführt, höchstwahrscheinlich nach der Schreckensperiode der Pest, also um die Zeit, als die Kunst sich verbürgerlichte und einen stark erotischen Charakter annahm. Die Darstellung des durchbohrten Herzens ist im Wesentlichen immer die gleiche: Ein Mann kniet vor einer Frau nieder und hält ihr sein Herz entgegen, das die Dame meistens sehr kühl, von oben mit einem langen Pfeil senkrecht durchbohrt. Die Symbole der Herzverletzungen ähneln übrigens durchaus denen, die ich im Rahmen meiner kunsttherapeutischen Tätigkeit bei Patienten und Patientinnen beobachtet habe, die unter akuten oder chronischen Beziehungskrisen litten, Trauer und Kränkungen, Schmerz, Verlust und Stress DIA: Herz mit Stacheldraht Dazu ein kurzer Exkurs in die kunsttherapeutische Praxis. Ein paar Herzbilder, die die seelischen Nöte der Maler und Malerinnen dramatisch zum Ausdruck bringen, ohne Kommentar. Die Bilder sprechen für sich. DIAs: Herzen aus der Kunst-Therapie Als letztes sehen wir, wie ein Patient rückblickend - in drei Phasen - sein einstmals von Angst – einem Tier – besetztes Herz darstellt. Und den Prozess der Heilung. DIA: Amor nimmt das Herz Diese Miniatur aus dem „ Livre du coeur amours espris“ des Rene von Anjou aus dem 15.Jahrhundert illustriert ein Gedicht; in dem erzählt wird, dass eines Nachts, als der König halb schlafend, halb wachend im Bett lag, der geflügelte Amor ans Bett trat und ihm das Herz aus der Brust nahm, um es „Vif desir“ zu geben. Eigentlich ist es das von Amor dem König aus der Brust genommene Herz, das auf Abenteuer ausgeht. Amor übergibt es dem Boten, der es der leidenschaftlich geliebten Frau überbringen soll. Dieser Bote, der Dritte im königlichen Schlafgemach ist das „heiße Verlangen“, die Personifikation der Leidenschaft. DIA: Amor vergrößert Der tragische Ausdruck im Gesicht aller Beteiligten weist auf den Ernst der Liebeskrankheit hin DIA: Allegorien: Caritas Die Überreichung des Herzens scheint ein Motiv weltlichen Ursprungs zu sein. Wir finden es auch in der religiösen Kunst, z.B. bei der Personifikation der Caritas auf dem berühmten Fresko von Giotto in der Arenakapelle in Padua aus dem 13. Jahrhundert Eine jugendliche Frau steht auf Geldsäcken. Irdischen Reichtum verachtet sie so sehr, dass sie ihn mit Füßen tritt. Das Herz, das sie dem oben rechts als Halbfigur erscheinenden Herrn entgegenhebt ist ein Symbol , genau so wie die Fruchtschale und die Geldsäcke. Es erfüllt - wie bei vielen anderen Skulpturen und wie bei manchen Heiligen - die Funktion eines Attributes. Dia: Neid Noch deutlicher wird die allegorische, also symbolische Bedeutung des Herzens als Attribut auf diesem Relief von Peter Flötner im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg. Dargestellt ist die Allegorie des Neides. Der Neid verschlingt sein eigenes Herz. Der Hund schaut zu, als ob ihm eine Beute entgangen wäre. DIA: Herz Jesu Und nun verlassen wir die allegorischen Herz-Darstellungen von Mitleid und Neid und wenden uns dem Herz Jesu zu, einer in der Kunst unseres christlichen Kulturraums weit verbreiteten Symbolik. DIA: Herz Jesu - Leiden Wir erkennen, dass auf diesem Holzschnitt aus dem 15. Jahrhundert - Das liebende, leidende, verwundete und eucharistische Herz Jesu - die Herzverletzungen Christi auf ganz ähnliche Weise dargestellt sind wie weltlichen Liebesleiden der Frau Minne die wir vorhin auf dem Holzschnitt gesehen haben. Das Herz oben links ist von Liebespfeil durchbohrt. Das Herz oben rechts ist ein Dornenkronenherz und weist auf die Leiden am Kreuz hin. Das Herz unten links ist von einer Lanze durchstochen sowie von Nägeln, die auf die Passion hinweisen. Schließlich das Herz unten rechts im Bild. Aus der Wunde dieses Herzens fällt eine Hostie heraus. Eine weitere Hostie schwebt zwischen den Flügeln, die dieses Herz tragen. Auch in der christlichen Religion scheint also – symbolisch – erst das Herzopfer, also das Überwinden und Überschreiten des Leiblichen, Sinnlichen und Emotionalen, das Betreten des geistig-religiösen oder göttlichen Raumes zu ermöglichen. DIA: Tarot Hinter dem Symbol des Stiches ins Herz - des durchbohrten Herzens scheint ein uraltes Wissen um das Wesen des geistigen Wegs zu stehen, der sich fast immer nach einer schmerzlichen Herzenserfahrung auftut. Hier die Karte drei Schwerter aus dem Tarot, dessen Ursprung sich, wie Sie wissen, bis in die Zeit der Alten Ägypter und unter Umständen noch weiter zurückverfolgen lässt. DIA: Herz Jesu Hier noch einmal eine Herz-Jesu-Büste aus späterer Zeit, aus dem 18. Jahrhundert, zu sehen in der Pfarrkirche von Tegernsee. Der Herz-Jesu-Kult ist in der katholischen Kirche so verbreitet und hat in der christlichen Kunst so viele Spuren hinterlassen, dass ich kurz auf seine Entstehung eingehen möchte. Am 27. Dezember l673 hatte die französische Nonne Marguerite-Marie Alacoque vom Orden der Heimsuchung Mariä eine Vision. Jesus erschien ihr. „Er ließ mich“, so berichtet sie, „sehr lange auf seiner göttlichen Brust ruhen, wo er mir die Wunder seiner Liebe enthüllte und die unerklärlichen Geheimnisse seines heiligen Herzens. Er verlangte von mir mein Herz. Er zündete es an seinem Herzen an und setzte es, noch lodernd, dort ein, wo er es genommen hatte. Dann verschloss er die Wunde, aber ein brennender Schmerz blieb zurück“. Die Nonne berichtete, dass Jesus sie auserwählt habe, ihre Vision den Menschen mitzuteilen, damit diese das göttliche Herz in Gestalt eines „Herzens von Fleisch“ – „coeur de chair“ – verehren sollten. Ein Jesuitenpater, Claude de la Colombiere regte die Nonne zur Aufzeichnung ihrer Visionen an. Von dieser mystischen Erkenntnis einer – vielleicht neurotisch verzückten, exaltierten, halluzinierenden - Nonne nimmt die Verehrung des Herzen Jesu, aus der ein Weltkult werden sollte, seinen Anfang. Wenn gleich das brennende Herz als Symbol der unermesslichen Liebe bis ins Mittelalter zurückreicht, ist erst dieser Nonne gelungen, was vor ihr vielen anderen bedeutenden Männern und Frauen nicht gelungen ist: eine weltweite und nun schon dreihundert Jahre dauernde Bewegung angefacht zu haben. Liebe und Leid sind die Kennzeichen dieses neuen Kultbildes. Das lodernde, zugleich aber wunde, blutende Herz soll den Gläubigen die Leidensgeschichte des Heilands und ihre eigenen Sünden ins Gedächtnis rufen. DIA: Herz-Jesu –Bildchen Wichtig für die Ausbreitung des Kults, der nach langen vergeblichen Anläufen der Jesuiten auch vom Vatikan sanktioniert und dann sogar gefördert wurde sind die kleinen Herz-Jesu-Bilder. Die Bedenken des Vatikans richteten sich auf die mögliche Umgehung der kirchlichen Instanz. Wenn die Menschen und Gott - gleichsam von Herz zu Herz - so leicht zusammenfinden, wozu brauchte man dann noch die Kirche und die Fürsprache der Heiligen? Würden durch den Kult Abweichungen vom rechten Glauben entstehen? Die Anerkennung des Herz-Jesu-Kultes wurde immer mehr zu einer politischen Frage, zumal nach dem Siebenjährigen Krieg die protestantischen Mächte Preußens und Englands gestärkt waren, was zu einer Schwächung der katholischen Kirche geführt hatte. 1765 wurde endlich der Herz-Jesu-Kult vom Vatikan zugelassen - mit der Begründung: weil er schon bestand und auf der ganzen Welt verbreitet war. Später gestattete die katholische Kirche - zusätzlich zu den Herz-Mariä-Festen - sogar gewisse Festtage zur Verehrung des Herzen Jesu. Und auf dem Montmartre wurde im Jahr 1914 die Kirche „Sacre Coeur“ eingeweiht. Ein Tempel zur Verehrung des Heiligen Herzens. Gestaltet von Architektur und Kunst. DIA: Anatomie, Leichensektion / Fast parallel zu all diesen mystischen Einbindungen des Herz-Organs und auch zeitlich gleich mit den mexikanischen Herzopfern (!) läuft im arabischen und europäischen Raum die Forschung auf dem Gebiet der Anatomie. Sie sehen hier die Darstellung einer Sektion des Körpers und der Eingeweide aus einem Liber Quodliberatius aus dem Jahre 1524 DIA: Figur einer Fünfbilderserie Die Anfänge der medizinischen Abbildungen führen uns nach Alexandrien. In dieser Stadt wurde schon um 3oo vor Christus zum ersten Mal Anatomie an der menschlichen Leiche gelehrt. Die auf Alexandria zurückgeführten Fünfbilderserien bestanden aus je fünf hockenden Ganzfiguren, die je ein Organsystem darstellten. Auf dieser Abbildung sehen Sie eine Figur aus einer solchen 5-Bilder- Serie, auf der das Herz und der Kreislauf – wie ich meine auf kunstfertige und künstlerische Weise - dargestellt sind. DIA: Leonardo : Das menschliche Herz, Zeichnung von Leonardo da Vinci, die sich in Windsor befindet Eine Geschichte der medizinischen Abbildung kann an Leonardo nicht vorbeigehen. Er ist als Künstler ihr größter Meister. Hier sehen Sie eine Zeichnung zum Thema: das menschliche Herz von Leonardo da Vinci, die sich in Windsor befindet. Leonardo hat die menschliche Anatomie selbst an Leichen studiert. Als er merkte, dass die Lehrbücher und seine eigenen Befunde nicht immer übereinstimmten, vollzog sich bei ihm genau dasselbe, was ein halbes Jahrhundert später in VESAL vorging. Er beschloss, selbst ein Lehrbuch zu schreiben. War später bei Vesal (1543) die Anatomie in erster Linie als Basis der Chirurgie gemeint, so erscheint die Anatomie bei Leonardo als Basis einer Anthropologie. Den Abbildungen – Kunstwerken – hatte er von Anfang an die führende Rolle zugedacht. „Schlage dir den Gedanken aus dem Kopf“, sagt Leonardo, „die Gestalt des Menschen in allen Ansichten ihrer Gliederung mit W o r t e n wiedergeben zu können. Denn je eingehender du sie beschreibst, desto mehr wirst du den Geist des Lebens verwirren, und desto mehr wirst du ihm die Erkenntnis dessen entziehen, was du beschrieben hast. Deshalb ist es notwendig, sowohl zu zeichnen als auch zu beschreiben. . Und einige Jahre später lesen wir: „Ich rate dir, bemühe dich nicht mit Worten, wenn du nicht zu Blinden sprichst.“ DIA: Leonardo: „Großer Adermann“ Leonardo hatte sich im Laufe der Jahrzehnte eine Fülle von graphischtechnischen Kunstgriffen angeeignet und zum Teil selbst erdacht, bediente sich der Unterschraffur, benutzte farbiges Papier und manchmal auch – wie hier beim „großen Adermann“ den Pinsel, um dem Betrachter die dritte Dimension spürbar zu machen. Die Folge: Als Betrachter haben wir nicht das Gefühl, Leichenteile zu sehen, sondern eine geradezu visionär belebte Körperlichkeit. Leonardo war nicht nur Graphiker und Anatom, er war auch Ingenieur und Architekt. Er war dies alles zugleich. Der menschliche Organismus und die Organe werden hier vom Ingenieur wie eine Maschine untersucht, die man analysieren und auseinandernehmen kann. Der L´homme machine des De la Matrie ist ebenso vorweggenommen wie das analytische Denken der Naturforscher des Barock. Die anatomischen Abbildungen Leonardos blieben über zweihundert Jahre unter Verschluss. Mehrere moderne Lehrbuchautoren haben sich später von den anatomischen Zeichnungen Leonardos anregen lassen. DIA: DIE ANATOMEN Die medizinische Abbildung hat ihrerseits wieder die Malerei beeinflusst. Hier sehen Sie noch ein Ölgemälde des niederländischen Malers Jurr Pool: „Die Anatomen C. Boekelman und Jan Six“ aus dem Jahre 1699, das im Museum Boernhaave in Leiden zu besichtigen ist. Die linke Figur demonstriert dem Betrachter das blutrote Herzpräparat, während die Figur rechts im Bild ein Sezierbesteck in der Hand hält. Meine Damen und Herren, ich würde gerne bei der Entwicklung der Anatomie als Kunst verweilen, überspringe aber aus Zeitgründen vieles Interessante und zeige Ihnen nun anatomische Kunstwerke, die wir im Museum La Specula in Florenz bewundern können. DIAs : La Specula Als ich vor einigen Jahren zum ersten Mal in dem Museum La Specula in Florenz die Organ- Präparate aus Wachs betrachtete, die dort seit zweihundert Jahren in Glaskästen aufbewahrt werden, war ich – und waren alle, die mit mir waren, nicht nur überrascht , nicht nur begeistert von der Schönheit der Präparate, sondern voll Staunen angesichts des Wunders Mensch. Ich habe in früheren Zeiten viele Monate in Seziersälen verbracht und auch meine Doktorarbeit habe ich vor über fünfzig Jahren auf einem Gebiet der Pathologie geschrieben, war es also gewöhnt, eröffnete Leichen zu sehen. Hier aber begegneten uns nicht nur wissenschaftlich exakte Anschauungsobjekte, sondern Kunsthandwerk, Kunst und eine große Ehrfurcht vor der inneren Organisation und Beschaffenheit des menschlichen Organismus. Die Besonderheit dieser Kunstwerke, die ursprünglich zu Lehrzwecken für die Medizinstudenten angefertigt wurden, später aber zu bestimmten Tageszeiten für jedermann zu besichtigen waren, wurden damals in Europa zum Gesprächsthema. und der österreichische Kaiser bestellte sie in Florenz und gab ein Vermögen aus, um seinerseits auch solche Präparate zu besitzen und seinem Volk zum Studium und zur Erbauung offerieren zu können. In einem Museum in Wien werden sie seit kurzem gezeigt. Die plastinierten und arrangierten Leichenteile des Doktor von Hagen, von denen in den letzten zwei Jahren immer wieder zu hören ist und die ich gestern in der Ausstellung „Körperwelten“ in München besichtigt habe, sind verglichen mit diesen liebevoll gestalteten Kunstwerken kühl kalkulierte Scheinkunst, allerdings hervorragendes didaktisches Anschauungsmaterial. Statt dessen möchte ich voll Dankbarkeit meines ersten Lehrers in Anatomie gedenken, Herr Professor Bauer, der aus der freien Hand die anatomischen Gegebenheiten des menschlichen Körpers an die Tafel malte und auch kolorierte - wahre Kunstwerke - , die jedes Mal nach der Vorlesung wieder von der Tafel ausgelöscht wurden. So auch das Herz. Das war im Jahr l943. Dia: Kanope Wie Sie wissen, wurde in früheren Jahrhunderten verstorbenen Reichen und Königen eine besondere Ehre zuteil, ihre Organe, besonders das Herz, wurde aus der Leiche herausgeschnitten und separat bestattet. Auf diese Weise entwickelte sich schon im alten Ägypten eine Kunst um diese Organ- Bestattungs-Behälter, die sogenannten Kanopen. Sie sehen auf diesem Bild die Kanopen des Anpuhotep, die bei Saqqara in Nordägypten gefunden wurden und ca 4000 Jahre alt sind. Sie sind etwa 34 cm hoch und haben einen Durchmesser von 11 cm. Sie sehen die typischen Tonoder Steinurnen, worin man seit dem Alten Reich die bei der Einbalsamierung aus dem Körper entfernten Eingeweide aufzubewahren pflegte. Anfänglich verschloss man die Urnen mit dicken, gewölbten Pfropfen, doch bald wurden sie - wie in diesem Fall - mit menschlichen Köpfen gekrönt. Dia: Herzbehälter - Herzdenkmal Die Behälter, in denen die königlichen Herzen zum Beispiel der Habsburger bestattet wurden, waren ihrerseits Kunstwerke, von denen ich hier nur eines zeigen möchte. In der Abteikirche von Saint Denis findet sich dieser Herzbehälter, eine Art Herzdenkmal. Dia: Grabmal Karl des Fünften Paris Louvre. Hier sehen Sie eine Abbildung des Grabmals Karls des Fünften im Louvre, in Paris. Die getrennte Bestattung der königlichen Leiche einerseits, des Herzens andererseits, hat als mos regius, als königlicher Brauch, begonnen und war den königlichen Familien vorbehalten. Der Brauch war mit allerhand abstoßenden Akten verbunden. Der Leichnam von Barbarossa zum Beispiel wurde in Stücke geschnitten und gekocht. Das Herz und die Eingeweide wurden dann – ähnlich wie Reliquien - an verschiedenen heiligen Stätten beigesetzt. Schon im 12. Jahrhundert war de Brauch nicht mehr auf Könige beschränkt Dia: Donatello : Das Herz des Reichen Der italienische Bildhauer Donatello, Hauptmeister der Frührenaissance in der Bildhauerei und der Schöpfer einer neuen, von mittelalterlicher Gebundenheit befreiten Kunst, schuf Anfang des 15. Jahrhunderts dieses bekannte Relief mit dem Titel „Das Herz des Reichen“. Dieses Relief vom Hochaltar des Santo in Padua zeigt den Eingriff, bei dem das Herz des Reichen aus der Leiche entnommen wird um dann gesondert bestattet zu werden. DIA: Votivbild Auch in der Votivmalerei erscheint das Herz als ein dem Körper entnommenes Organ, rot und prall. Das leibliche Herz ist in unserem Kulturkreis zum selbstverständlichsten Symbol für das Lebendigsein des Menschen geworden. Diese Tafel aus dem Jahr 1746 – „Eine Kranke vertraut ihr Herz Maria an“ - die sich im Bayerischen Nationalmuseum in München befindet, erinnert an die Darstellung der amourösen Herz-Übergabe-Szene, die wir vorher gesehen haben. Wir dürfen davon ausgehen, dass die Mutter Maria mit dem ihr anvertrauten Herzen sorgsam umgeht. Dia: Votivbild Dass auch Soldaten vertrauensvoll ihr Herz Maria anvertraut haben zeigt diese Votivtafel aus dem 18. Jahrhundert, die aus Südtirol stammt und so wie die vorherige im Bayerischen Nationalmuseum in München zu sehen ist. DIA: Schwarze Madonna von Chartres Übrigens wird in der christlichen Kunst nicht nur das Herz Jesu, sondern auch das Herz von Maria dargestellt und verehrt. Besonders an speziellen katholischen Wallfahrtsstätten. Zum Beispiel hier. In der Kathedrale von Chartres gibt es diese „Notre Dame au Pilier“ (Gottesmutter am Pfeiler) aus dem 16. Jahrhundert, Die Gottesmutter hält ihr Herz wie einen Reichsapfel in ihrer rechten Hand. Außerdem ist ihr gekröntes Haupt von strahlenförmig aneinander gefügten silbernen Votivherzen umgeben. DIA: Spielkarten Unerschöpflich ist die Darstellung des Herzens auf .Spielkarten Hier sehen wir ein deutsches Kartenspiel mit Federzeichnungen aus dem deutschen Spielkartenmuseum in Bielefeld. DIA : Scherenschnitt Almaufzug Und unerschöpflich ist auch die Darstellung des Herzens in der Volkskunst, auf Backmodeln, auf Stickereien, Amuletten und zum Beispiel hier auf einem Scherenschnitt von Louis Saugy, einem Schweizer Künstler vom Anfang des letzten Jahrhunderts. Auf dem Scherenschnitt ist ein Almaufzug dargestellt Das Herz oben in der Mitte mit fein ziselierten Details und Szenen aus dem bäuerlichen Leben ist transparent. ------------------------------------------Von diesem durchsichtigen stilisierten Herzen möchte ich überleiten zu einer chinesischen Herz-Darstellung, die das Herz ebenfalls durchsichtig und schematisch darstellt. DIA: China Das Herz im alten China ist im Gegensatz zu den geschlossenen Organen, die wir zu sehen bekommen haben, ebenfalls ein sehr transparentes, offenes Gebilde und wird dementsprechend in Verbindung dargestellt – wie hier in Verbindung mit dem Auge. Wir sehen hier eine Darstellung des inneren Menschen nach der Vorstellung der Taoisten. Die Taoisten sagen: Die Herzkunst besteht darin, dass das Herz - sich jeder Aktivität enthaltend - die Öffnungen in Ordnung hält. Das Herz betätigt nicht die neun Öffnungen, die neun Öffnungen sind in Ordnung. Wie beim Staat fügen sich auch im Leiblichen alle Glieder und Teile in die sogenannte Große Bahn das Tao, der sie durch das Herz angeschlossen sind und in die das Ganze eingebettet ist. Diese chinesische Tafel scheint mir eine gute Überleitung zu sein zur modernen Kunst, in der – im Rahmen der revolutionären Umwälzung des Kunstbegriffes tradierte Formen und Symbole, so auch das Symbol des Herzens, aus seiner prallen, knallroten Form herauskatapultiert und in einen neuen ästhetischen Kontext gestellt wird. Achten Sie noch einmal auf die Verbindung von Herz und Auge auf dieser altchinesischen Tafel DIA: HAP Grieshaber, Herzauge 1937 …. Und betrachten Sie nun dieses als Herzauge bezeichnete Bild von HAP Grieshaber, das im Jahr1937 entstanden ist und als Gewissenssymbol verstanden werden darf. Wir sehen eine schwarze eher männlich anmutende Gestalt, aus deren Kopf blumige rote und weiße Gebilde herauswachsen, Mischungen von Emotionen und Gedanken, welche ihre Wurzel weiter unten zu haben scheinen, an der Stelle, wo die Innen-Schau, die Herz-Schau stattfindet, die ehrliche Auseinandersetzung mit sich selbst. DIA: Christine Schlegel Auf diesem Öl-Gemälde der Künstlerin Christine Schlegel aus dem Jahr 1991 ist das Herz des dargestellten Mannes schwarz und auf der falschen Körper-Seite dargestellt, sozusagen nicht am rechten Fleck. Auch bei der Betrachtung dieses Bildes denken wir an Gewissensnöte, maskierte Gefühle, Ehrgeiz und Schuld Dia: Frida Kahlo Ich zeige Ihnen im Folgenden einige Werke von Frauen sowie einige Werke von männlichen Künstlern. Mir fiel auf, dass die Herzdarstellungen im künstlerischen Werk sowohl von Frauen als auch von Männern den Lebens- u n d auch den Leidensaspekt hervorheben. Als erstes zeige ich Ihnen das erschütternde Gemälde der bekannten mexikanischen Malerin Frida Kahlo, einer zeitlebens Schwerkranken, aus dem Jahr 1939, das sich im Museo de Arte Moderno in Mexiko befindet. „Die zwei Fridas“ - so der Titel des Gemäldes - sitzen, Zwillingen gleich, spiegelbildlich nebeneinander, nur in ihren Gewändern unterscheiden sie sich. Beide tragen ihre Herzen außen. Zwei Verbindungen gibt es zwischen den beiden Frauen. Einmal die Hände. Und dann winden sich auf eine medizinische Art Schläuche über und unter den Kleidern von Schlagader zu Schlagader. Die festlich gekleidete linke Frida klemmt mit einer fast nicht wahrnehmbaren Geste ein Ende des Schlauches ab, wie um im letzten Augenblick den Blutverlust zu stoppen. Trotzdem tropft aus dem Ende des Ader-Schlauches Blut und läuft - wie in einem Schalenbrunnen - in zwei Stufen über die Falten ihres Kleides, dessen Saum mit Blumen besetzt ist. Die rechte Frida wirkt kräftiger, muskulöser. Das Bild schockiert durch die Art und Weise, wie technisch-medizinische Sachverhalte einbezogen werden. Frida Kahlo malt aus Not. Sie braucht eine Bildsprache für ihre Leiden. Nach einem schweren Unfall in ihrer frühen Jugend kann sie nur in einem Streckverband leben. Als Künstlerin deutet sie das Organische nicht gleich ins Symbolische um, d.h. sie lenkt nicht ab von der nackten und brutalen Wirklichkeit ihres Leidens. Trotz ihrer schweren Krankheit hält Frida Kahlo fest an ihrem Anspruch auf Glück, Sexualität und Schönheit. Und an ihrem Anspruch, als Künstlerin zu schaffen und zu leben. DIA: Else Lasker –Schüler Auch diese Herz-Darstellung stammt von einer Frau, nämlich von der Dichterin Else Lasker-Schüler. Diese Zeichnung beeindruckt mich besonders, weil ich über die Liebesbeziehung zwischen ihr und Gottfried Benn gelesen habe und weil diese Zeichnung, die aus ihrer Auto-Biographie mit dem Titel „Mein Herz“ stammt, sehr deutlich macht, was eine liebende Frau durchmacht, wenn sie ihr Herz an einen bedeutenden, seine kreative Einsamkeit kultivierenden, narzisstischen Künstler hängt. DIA: Niki de S. Phalle , SÄULE MIT HERZEN Wenn man als Besucher den Garten der Niki de S. Phalle in der Toskana betritt, ist man geblendet von den strahlenden Farben und Spiegeln, mit denen sie ihre Skulpturen ausgestattet hat. Innen und außen. Und immer wieder begegnet einem in diesem Garten das Symbol des Herzens. Hier sehen Sie eine mit Herzen übersäte Säule aus dem Hof der Skulptur des Herrschers. Diese Herzen sollen unter anderem erinnern an all die - meist italienischen Mitarbeiter, die der Künstlerin in den 7oer und 8o er Jahren bei der Gestaltung des Tarot-Gartens geholfen, also ihre Ideen ausgeführt haben. Diese Kunsthandwerker sind auf anderen Säulen auch namentlich aufgeführt. DIA: Niki de S. Phalle: Herz im Spiegelsaal Steht man als Besucher in dem Spiegelsaal der Herrscherin, einem Raum, den Niki de S. Phalle jahrelang selbst bewohnt hat, so spiegelt sich das zwischen den Spiegeln angebrachte Herz hundertfach, so als ob der Betrachter den vielen Facetten seines eigenen Herzens und der Herzlichkeit nicht entrinnen kann. DIA: Niki de S. Phalle: Elefantenherz Vielleicht erinnern Sie sich noch an das Herz des Höhlenelefanten, mit dem ich dieses Referat eingeleitet habe? Hier sehen Sie eine zeitgenössische Version. Dekorativ, humorvoll und lebendig – eine poppige, erheiternde künstlerische Gestaltung der Niki de S. Phalle. DIA : Birgit Dieker Hier zeige ich Ihnen eine extreme Variante der modernen Herz-Kunst. Das linke Objekt aus Adidas-Trainigsjacken mit dem Titel: „Trimm dich“, aus dem Jahr 2000, wurde von der Künstlerin Birgit Dieker in Berlin gestaltet. Rechts sehen wir einen Turnschuh in Herzform mit dem Titel „Cardio“. Der Turnschuh in Herzform, aus Leder, ist fast einen halben Meter hoch und wird so zum Klotz am Bein. Dieses rechte Kunstwerk entstand 2002, ebenfalls in Berlin. Der Hintergedanke der Künstlerin ist sicher ein Protest gegen den modernen Sportfanatismus. DIA : A. R. Penck Von einem Maler der ehemaligen DDR, - A. R. Penck, - stammt dieses Bild ohne Titel, auf dem er eine Freundesgruppe abbildet. Von Rembrandt und van Gogh beeinflusst, stand das Frühwerk des Malers im Banne des Expressionismus. Auf diesem gespenstisch und gleichzeitig ironisch und humorvoll anmutende Bild einer Freundesgruppe sind - von links nach rechts - Jürgen Böttcher, der Liedermacher Wolf Biermann, dann - klein und gnomenhafter - er selbst und schließlich ganz rechts sein DDR -Malerkollege Georg Baselitz - als Nachtgespenst -dargestellt. Über das schwarze Herz im Körper des Verwachsenen kann ich nur spekulieren. A.R. Penck war ein Pseudonym dieses Malers, der eigentlich Ralf Winkler hieß. Er wurde von der Kulturbürokratie der DDR schikaniert und schlug sich als Briefträger, Heizer und Nachtwächter durch. Auf diesem frühen Bild aus dem Jahr l965 deutet sich etwas von den Strichmännchen an, die später zu einer Art Markenzeichen für seine Bilder werden, und ihm den Ruf eines modernen Höhlenmalers eingetragen haben. Auch sein Pseudonym ist nicht willkürlich gewählt, sondern A. R. Plenck ist der Name eines Eiszeitforschers, der von 1858 –l949 gelebt hat. Vorrangige Beachtung finden auf diesem Bild die männlichen Genitalien und das Herz. Das Herz von Georg Baselitz – rechts – ist pastellfarben. Das Herz des Malers selbst ist schwarz. Eine Analyse dieser unterschiedlichen Farbgebung im Sinne der Deutung ist mir nicht möglich, da ich dazu einen ausführlichen Kommentar des Malers und Hinweise auf die Entstehungsgeschichte dieses Ölgemäldes bräuchte, das übrigens in Köln im Museum Ludwig zu sehen ist. Die nahezu reflexartige Zusammenhang des Herzens mit den Genitalien bei den beiden rechten Figuren, - den Malern Penck und Baselitz -, bei gleichzeitiger Vernachlässigung der anderen Organe ist möglicherweise ein Hinweis auf den Sitz der Kreativität, von der Salvadore Dali sagt: sie sitze in den Eiern. DIA: Siegfried Anzinger: Herztöter Ich komme nun zum Abschluss meines Referates und möchte noch mal hervorheben, dass das Herz - wenn es in einem Kunstwerk auftaucht - zu allen Zeiten entweder ornamental, dekorativ, oder narrativ im Sinne eines Symbols auftaucht. Als Beispiel für den narrativen Aspekt der Herzdarstellung zeige ich Ihnen hier noch mal ein Akryl-Gemälde von Siegfried Anzinger aus dem Jahr 1982 mit dem Titel: Herztöter. Das Motiv dieses großformatige Bildes - 2,00 Meter mal 3,40 - ruft die Erinnerung wach an das Symbol des durchstochenen Herzens aus der Zeit des Mittelalters. Es schaut so aus, als ob es in Freundschaft und Liebe so etwas gäbe wie Täter und Opfer. DIA: Edvard Munch , Das Mädchen und das Herz Zu diesem Gedanken passt als zweites Beispiel diese Radierung mit dem Titel „Das Mädchen und das Herz“ von Edvard Munch aus dem Jahr 1896. Als Betrachter hat man das Gefühl, das Mädchen presse aus dem Herzen, das es zwischen seinen Händen hält, das letzte Blut heraus. Und man fragt sich: Ist das Mädchen Opfer der Liebe? Blutet das Herz des Mädchens aus? Oder zerquetscht das Mädchen das Herz des Geliebten? Wer ist Täter? Wer ist Opfer? Auf solche Fragen gibt es keine einfachen Antworten, denn Freundschaft und Liebe geschehen uns und gestalten sich in sehr komplexen zwischenmenschlichen und geistigen Feldern. DIA: Paul Klee , Das Herz als primäre Form . Als Beispiel für die meines Erachtens gelungenste künstlerische Überschreitung dieses narrativen Aspektes in der Malerei - und gleichzeitig als Beispiel für das künstlerische Transzendieren der emotionalen oder analytischen Deutungsebene möchte ich Ihnen zum Abschluss zwei Bilder vorstellen. Zunächst diese Zeichnung von Paul Klee Mit dem Titel: Das Herz als primäre Form aus dem Jahr l939. Diese, alle Ebenen übergreifende Herz-Figur, in der der Künstler Paul Klee Linien, Viereck, Dreieck, Kreis und Herz miteinander in eine elementare Beziehung setzt, bewertet nicht und lässt alle Betrachtungsebenen offen. Dieses Herz aller Dinge hat uns Paul Klee in seiner unendlichen Naturgeschichte hinterlassen. DIA: Ernst Wilhelm Nay: Takte Und schließlich das letzte Bild zum Thema „Das Herz“ in der Kunst. Ernst Wilhelm Nay, der Maler dieses großformatigen Ölbildes - aus dem Jahr l954 - hat die dekorative, deskriptive und narrative Ebene vollkommen verlassen. Bei der Betrachtung seines Bildes aus dem Jahr 1954 - mit dem Titel „Takte“ - spüren wir Herzschlag und Puls, Rhythmus und Musik, etwas, was jeder von uns in diesem Moment an sich selbst wahrnehmen kann. Das Leben. --------------------------------------------Literatur zum Thema DAS HERZ IN DER KUNST Referat Dr. Gisela Schmeer / Evangelische Akademie / 9. März 2003 / Rothenburg ob der Tauber Mario Bucci (1969): ANATOMIA COME ARTE, EDIZIONI D ` ARTE IL FIORINO, Firenze, unter Einbeziehung einiger Objekte aus dem Museum LA SPECULA in Florenz Lewinsohn, Richard ( Morus) ( l959 ): Eine Weltgeschichte des Herzens, Rowohlt Verlag, Hamburg Herrlinger, Robert (l967): Geschichte der medizinischen Abbildungen, I Antike bis um 1600, Heinz Moos Verlag, München Putscher, Marlene (l972): Geschichte der medizinischen Abbildungen, II 1600 bis Gegenwart, Heinz Moos Verlag, München Ruhrberg / Schneckenburger / Fricke / Honnef (l998): Kunst des 20. Jahrhunderts, Benedikt Taschen Verlag, Köln Theopold, Wilhelm ( l978): Votivmalerei und Medizin, Karl Thiemig Verlag, München Dr. Karl Thomae GmbH (l966 – l969): Das Herz. Eine Monographie in Einzeldarstellungen, Biberach an der Riss Isabel Alcantara und Sandra Egnolff (2001): Frida Kahlo und Diego Rivera, Prestel Verlag, München Begleitbuch zur Ausstellung „HERZ“ vom 5. Oktober l995 – 31. März l996 (l995) im Deutschen Hygiene Museum in Dresden, Verlag der Kunst, Dresden, Basel -