„Rote und weiße Ästhetik in der restaurativen Zahnheilkunde“ Ein Fallbericht Aussehen und Ausstrahlung werden heute als wesentlicher Faktor der sozialen Kompetenz eines Menschen angesehen. Zusammenhänge mit privatem und beruflichem Erfolg sind offensichtlich und nachgewiesen. Zähne werden als integraler Bestandteil eines ästhetischen und harmonischen Gesichtsausdruckes empfunden. Gesunde und schöne Zähne strahlen Vitalität, Durchsetzungsvermögen, Sympathie und auch Erotik aus. Wen wundert es, daß gerade dieser Gesichtspunkt beim Patienten zunehmend in den Mittelpunkt seines Interesses tritt. Vergangen sind die Zeiten, in denen ein Patient sich lediglich mit Schmerztherapie und der Wiederherstellung der Kaufunktion abspeisen ließ. Das ist für íhn selbstverständlich geworden. Vergangen sind die Zeiten, in denen ein Patient eine Krone oder eine Füllung von seinem Zahnarzt angefertigt haben wollte. Das ist nur das Mittel zum Zweck. Ihn interessiert auch nicht, wie viele Mikrometer Randspalt mit welcher Technik erreicht werden können. Ein Höchstmaß an Präzision ist für ihn selbstverständlich. Das wahre Anliegen unserer Patienten ist nicht die Frontzahnkrone, es ist der Wunsch, wieder unbeschwert Lachen zu können, es ist der Wunsch nach Schönheit und gesellschaftlicher Akzeptanz. Was liegt also näher, als diese Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen? Und bereitet es nicht die höchste fachliche Befriedigung, bei Eingliedern der Restauration das glückliche Lächeln eines Patienten in den Spiegel zu beobachten? Aber wie kann man subjektives Empfinden für Ästhetik bei jeden einzelnen Patienten objektivieren? Nur wer erfolgreich kommuniziert, kann Deckung zwischen eigenen Vorstellungen und Wünschen des Patienten erreichen. Dies ist um so wichtiger, wenn multidisziplinäres Vorgehen indiziert ist. Hier müssen die Ziele des Patienten, Parodontologen, Kieferorthopäden, Zahntechnikers und des restaurativen Behandlers abgestimmt werden. Der großzügige Umgang mit kommunikativen Medien (Imaging, Modellanalyse, Wax-up, Ästhetikschablonen, direkte diagnostische Kompositveneers, etc.) dient neben der Wissensvermittlung therapeutischer Grenzen für den Patienten auch der eigenen Planungssicherheit. Die zahnärztliche Restauration muß in den vorgegebenen Gesichtsrahmen eingefügt werden. Bipupilarlinie, Nase, Gesichtsassymetrien, Lippenlänge, etc. sind für den Zahnarzt nicht beeinflußbar. Verständlicherweise gilt es in solchen Fällen die Grenzen der Möglichkeiten zu beachten, und vor allem diese allen Beteiligten zu vermitteln. Dennoch ist das Repertoire, ein harmonisches, symmetrisches und gefälliges Lächeln zu erzielen, immens. Zahnfehlstellungen lassen sich nahezu beliebig durch kieferorthopädische oder kieferorthopädischchirurgische Maßnahmen korrigieren, Rezessionen lassen sich decken, atrophierte Kieferkämme lassen sich augmentieren, durch geschicktes Weichgewebsmanagement kann papillenähnliches Gewebe oft erzeugt werden. Der vorliegende Fallbericht soll die Komplexität der Planung, die Erfordernisse der Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen der Zahnheilkunde und das technische Vorgehen aufzeigen. Eine 18 -jährige Frau verlor durch einen Reitunfall den Zahn 12,15, 41 und nach dem OP-Bericht der erstversorgenden Zahnklinik die buccale Knochenlamelle an den Zähnen 13 und 11. Infolgedessen kam es zu einer extremen Resorption des Kieferkammes regio 12 und zu einer Rezession an 13. 13 und 14 mußten endodontisch behandelt werden. Ohne Fallplanung wurde die Lücke regio 41 kieferorthopädisch geschlossen und die Zähne im Oberkiefer der im Unterkiefer geschaffenen Situation angepaßt. Dia 1 zeigt die Situation zum Zeitpunkt der prothetischen Beratung. Die klinische Untersuchung und die Modellanalyse zeigten folgende Befunde: Die Lücke an 12 betrug 4,1 mm bei einem 7,0 mm breiten 22. Wegen des Lückenschlusses im Unterkiefer wurden die Zähne im 4. Quadranten nach mesial bewegt. Die Adaptation des 1. Quadranten an diese Situation bewirkte die zu schmale Lücke regio 12, den unsymmetrischen, spitzen Kieferbogen regio 12 bis 15 und die daraus resultierende ungenügende Lippenunterstützung. In dieser Situation konnte eine korrekte Mittellinie, eine in Breite, Form und Position symmetrische und harmonische Oberkieferfront nur durch eine erneute, und diesmal zielgerichtete kieferorthopädische Behandlung erreicht werden. Dia 2 und 3 zeigt die klinische Situation nach der zweiten kieferorthopädischen Behandlung. Die Patientin lehnte eine implantatgetragene Versorgung ab und entschied sich, zumal 13 und 14 devital waren, für eine Extensionsbrücke. Die Problematik aus dem Weichgewebsdefekt fällt geradezu ins Auge. Primär aus ästhetischen aber auch aus parodontalhygienischen Gründen verbietet sich ein Ersatz des Weichgewebes durch gingivafarbene Keramik. Es ist offensichtlich, daß plastisch-parodontalchirurgische Maßnahmen zur Weichgewebsrekonstruktion erforderlich werden. Eine gründliche Analyse der Situation ist Voraussetzung für eine Prognose des Behandlungsergebnisses. Die horizontale Komponente des Kieferkammdefektes regio 12 beträgt 5 mm, die vertikale 3 mm. Es liegt also ein mittelschwerer Kammdefekt Grad AB entsprechend der Klassifikation nach Allen vor. Die Rezession an 13 ist auf die befestigte Gingiva beschränkt, jedoch ist die Papille mesial 13 komplett verloren gegangen. Das entspricht per definitionem einer Rezession der Klasse 3 nach Miller. Eine vollständige Deckung der Rezession sollte also nach der einschlägigen Literatur nicht möglich sein. Da jedoch röntgenologisch und per Sondierung geklärt werden konnte, daß das knöcherne Attachment mesial 13 noch vollständig erhalten war, muß man die Situation als Miller-Klasse 1 werten und kann deshalb eine günstige Prognose für die Rezessionsdeckung abgeben. Die Papille distal 21 kann rekonstruiert werden, wenn es gelingt, den Kieferkamm vertikal aufzubauen. Der Kieferkammdefekt regio 12 kann in horizontaler Richtung leicht durch ein Bindegewebstransplantat aufgebaut werden. Erst nach dieser Lagebeurteilung kann eine verantwortungsvolle Beratung des Patienten über Risiken und Chancen erfolgen. Die Herausforderung dieses Falles war die Aufgabe, gleichzeitig eine Deckung der Rezession an 13 und auch 11, eine Regeneration des Kieferkammes regio 12 in horizontaler Richtung, aber auch in vertikaler Richtung zu erreichen. Muß der Kieferkamm knöchern oder mit Weichgewebe augmentiert werden? Da die „knöcherne Papille“ an 13 mesial erhalten geblieben ist, kann eine sicherere und für den Patienten komfortablere Weichgewebstechnik gewählt werden (Seibert). Rollappentechniken (Abrams) scheiden aus, da gleichzeitig die Rezessionen gedeckt werden sollen. Da der Kieferkamm auch vertikal aufgebaut werden soll, ist die erfolgversprechendste Technik ein subepitheliales Bindegewebstransplantat mit einer koronalen Lappenverschiebung (Langer). Da Gewebsfarbe und Tektur so erhalten bleiben, ist das gleichzeitig die in Hinblick auf die Ästhetik schönste Lösung. Mikrochirurgische Techniken verkürzen die Wundheilung, erhöhen den Patientenkomfort und die Behandlungssicherheit (Shanelec). Dia 4 zeigt die postoperative Situation. Nach einem vertikalen Entlastungsschnitt distal 13 und der Präparation eines Spaltlappens konnte ein dickes Bindegewebstransplantat aus dem Tuberbereich in den Kammdefekt eingebracht werden. Ein zweites 1,5 mm dickes Bindegewebstransplantat aus der Region 23-26 wurde von 11 distal bis zu 13 distal darüber plaziert und der Lappen an 11 etwas, jedoch an 13 deutlich koronal bis leicht über die Schmelz-Zement-Grenze der betreffenden Zähne verschoben . Es handelte sich also um eine Kombination aus Schwenk- und koronal verschobenem Lappen. Das mikrochirurgische Vorgehen ermöglicht bereits 4 Wochen post operationem das in Dia 5 sichtbare Ergebnis. Nach weiteren 8 Wochen der Gewebsreifung kann nun mit einem kugelförmigen Diamanten die Ponticbasis präpariert werden und mit geeigneten Provisorien definitiv ausgeformt werden und gleichzeitig die Papillen regeneriert werden (Gaberthüel, Grunder). Bei dieser Weichgewebskonditionierung (Dia 6) muß darauf geachtet werden, daß die Provisorien so modifiziert werden, daß mehr lateraler als apikaler Druck erzeugt wird, um einen Verlust der augmentierten Höhe zu vermeiden. Ist der Abstand des Aproximalkontaktes 13/12 der definitiven Restauration kleiner als 5 mm zum Knochen (Dia 7), so kann erwartet werden, daß die regenerierte Papille stabil bleibt (Tarnow). Zahnverlust, Weich- und Hartgewebsdefekte können das Lebensgefühl eines Menschen signifikant beeinträchtigen. Planbare und prognostizierbare ästhetische Rekonstruktionen sind nach adäquater Diagnostik und Abwägung des Einsatzes der zur Verfügung stehenden Techniken sehr wohl möglich. Und das ist genau das, was unsere Patienten wirklich von uns wollen und auch bereit sind zu honorieren. Und sind wir ehrlich, ist es nicht gerade die Herausforderung, derartige Fälle zu lösen, die uns trotz des derzeitigen politischen Umfeldes die Freude an unserem Beruf erhält? Diabeschriftungen: Dia 1: Dia 2: Dia 3: Dia 4: Dia 5: Dia 6: Dia 7: Ausgangssituation mit ungenügender Ausformung des Zahnbogens und zu kleiner Lücke an 12 Situation nach KFO von buccal Horizontaler Kammdefekt Nach der Naht erscheint der Lappen rosa und vital Zustand nach 4 Wochen Weichgewebskonditionierung Das Endergebnis Literaturverzeichnis Abrams L. Augmentation of the deformed residual edentulous ridge for fixed prosthesis. Compendium 1980: 1: 205-214 Allen EP, et al. Improved technique for localized ridge Augmentation. J Periodontol 1985: 56: 195-199 Goldstein RE. Esthetics in dentistry. Philadelphia. J.B. Lippincott Co., 1976