Ahimsa Referat - WordPress.com

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Arabella UNGER Dipl. Päd.
E-Mail: [email protected]
AHIṀSĀ ALS LEBENSSCHUTZ FÜR MENSCH,TIER, PFLANZE IN INDIEN
Referat vom 15.12. 2013, Vegetarierbund Tübingen
Ich beginne mit einer Zeitungsmeldung aus dem Jahre 1981: Morarji Desai, damals indischer
Premierminister, hatte von seiner Vorgängerin Indira Gandhi die Last der Verantwortung für
einen möglichen Einsatz der ersten indischen Atombombe geerbt. Er spürte aber noch eine
weitere Verantwortung: als ihm ein Begrüßungskranz mit einer seidenen Girlande umgehängt
werden sollte, sagte er zum Geber: „Diese Girlande ist nach der Tötung von Seidenraupen
entstanden…Sie kommt von einem toten Seidenwurm, den du nicht hättest umbringen
sollen“1.
Man sieht an diesem Beispiel die Unteilbarkeit des Mitgefühls für das Leben anderer. Davon
wurde die indische Kultur seit Jahrtausenden geprägt. Dass man darin grundsätzlich alles
Leben – wenn auch mit Abstufungen – einschließt, prägte diese Tradition. Erst die
Abweichung von diesem Denken, vor allem im Westen, erzeugte in unserer Sprache den
Begriff des Tierschutzes2, wo es eigentlich um Lebensschutz gehen sollte. Daher der Titel
meines Referats: „Ahimsa als umfassender Lebensschutz“.
Desai war Schüler Mahatma Gandhis. Wenn wir heute von Ahimsa reden, wird dies meist
diesem in Verbindung gebracht, aber der Begriff ist wesentlich älter.
Daher ein kurzer Blick auf die Geschichte Indiens:
Diese gliedert sich in 4 große Perioden
- die Einwanderung der Arier und die Begründung der vedischen Religion mit späterer
Erweiterung zum Hinduismus und die Entstehung asketischer Bewegungen
(ca. 1750 v.Chr. – ca. 1100 n.Chr.);
- die muslimische Herrschaft (ca. 1100 – 1757);
- die britische Herrschaft (1757-1947);
- die Unabhängigkeit (seit 1947).
Vor fast 4000 Jahren besiedelten die aus Russland über Persien eingewanderten Arier den
größten Teil Nordindiens. Ihre Gesellschaft gründete sich auf die Religion der Veden (Bücher
des heiligen Wissens).
1
Frankfurter Allgemeine Zeitung (24.9. 1977); Desai gab indirekt auch den Anstoß dazu, dass sich die
indische Seidenindustrie schon seit Jahren um Produktionsverfahren bemüht, die das Leben der Seidenraupen
erhalten. Über den neuesten Stand, vgl. http://wormsplit.com/peacesilk.htm (23.07. 2010). Andere Beispiele für
innovative technologische Umsetzungen von gewaltfreiem Denken finden sich bei Chapple (Bibliogr. Angaben
am Schluss), 42 f. (alle Übersetzungen aus diesem Werk stammen von mir).
2
Theodor Heuss hat dies kurz auf den Punkt gebracht: „Eine der blamabelsten Angelegenheiten der
menschlichen Entwicklung ist, dass das Wort ‚Tierschutz’ überhaupt geschaffen werden musste“, vgl.
Tierversuchsgegner Berlin und Brandenburg e.V. (Hg): Tier und Mensch. Betrachtung einer Beziehung. Berlin,
7.Aufl. 2007, 73.
1
Die Religion prägte die Gesellschaft. In ihr hatte jeder seine Aufgabe: es gab Brahmanen,
Krieger, Gewerbetreibende und Bedienstete sowie diejenigen, die außerhalb der Gesellschaft
standen und Arbeiten erledigen mussten, die den anderen verboten war, z.B. Leder zu gerben.
Unter den obigen Gruppen hatten die Brahmanen als Priester und Lehrer das größte
Ansehen. Sie mussten auch das Opfer für die Götter vollziehen. In der Gesellschaft maß man
das Vermögen, von dem man ein Opfer gab, nach der Anzahl des Viehs, das man besaß.
Daher wurden auch Tiere geopfert. Die Brahmanen entwickelten das Opferritual zu einer Art
von Geheimwissenschaft, die nur sie beherrschten.
In den Veden gab es bereits den Gedanken der Seelenwanderung, d.h. dass die Seele sich
nach dem Tod in anderen Lebewesen verkörpert. Später wurden mit Hilfe des Prinzips des
Karman (Tatvergeltung)3 die Gesetze definiert, unter denen man, je nach der Menge des
angesammelten guten oder schlechten Karman, eine Wiedergeburt in höherer und niedriger
Qualität als die gegenwärtige Geburt erlangen konnte.
Das Wort Ahimsa (Nicht-Verletzung) gab es bereits zu dieser Zeit, doch wurde es im
Rahmen des Opfers so interpretiert, dass der Priester bei der Tiertötung für Opferzwecke die
Seele des Tieres nicht verletzen dürfe, damit es wiedergeboren werden könne. Diese
Konstruktion musste, auf ihre Logik hin überprüft, auf die Dauer Widersprüche hervorrufen.
Das folgende Beispiel aus etwas späterer Zeit mag dies verdeutlichen: es lässt – imaginär das Opfertier selbst zu Wort kommen:
„In… [einer Götterversammlung], wo das Verhalten eines Brahmana [Brahmane] in
Pataliputra4 erörtert wird, kamen zwei Götter in Gestalt einer Ziege bzw. des Besitzers einer
Ziege zusammen. Genau zu dieser Zeit sah ein Lehrer [andere Bezeichnung für Brahmane],
der sich in den Veden und Vedangas [Hilfswissenschaften zu den Veden] gut auskannte, die
Ziege und fragte ihren Besitzer, ob er sie verkaufen wolle. Der Lehrer willigte ein und bat
einen seiner Schüler, die Ziege in sein Haus zu führen. Als der Lehrer dabei war, die
Ziege…[als Opfer] zu töten, sprach das Tier mit menschlicher Stimme- ‚O Brahmana, wozu
diese große Mühe?’ Der Brahmana fürchtete sich, war überrascht und sagte – ‚Damit du den
Himmel erlangen mögest’. Die Ziege antwortete: ‚Andere arme Kreaturen wurden von dir
verspeist5 unter dem Vorwand, sie Göttern und Manen [Vorfahren] zu opfern, aber dieses
Fleisch wird nur deine Zähne zerbrechen. Ich begehre nicht, mich des Himmels zu erfreuen.
Ich bat dich nicht darum. Ich bin zufrieden mit Stroh. Wenn du bei den Opferhandlungen
Kreaturen in der Absicht getötet hast, dass sie in den Himmel kommen, warum opferst du
nicht Mutter, Vater, Sohn und Freunde?“.6
3
Michaels, Axel: Der Hinduismus. Geschichte und Gegenwart. München, Sonderausgabe 1998, 18.
Pataliputra (heute Patna) war die Hauptstadt von Magadha (heute Bihar) und das Zentrum der Kritik an
den Brahmanen. In Magadha entstanden sowohl der Jinismus als auch der Buddhismus, vgl.
http://www.wikipedia/org/wiki/Magadha (05.08. 2010).
5
Dies spielt auf den Teil des Opfers an, bei dem tierisches Fleisch, meist als Opferküchlein gebacken,
von der Mahlsgemeinschaft der Opfernden verzehrt wurde, vgl. Spencer, Colin: The heretic’s feast: a history of
Vegetarianism. Hanover, 1996, 74; der Verzehr des Opferfleisches war für die Mahlsgemeinschaft – unter
Einschluss des Brahmanen – Pflicht, vgl. Schmidt, Hanns-Peter: „The Origin of Ahimsa“, in: Mélanges
d’indianisme a la mémoire de Louis Renou. Paris, 1968, 628 (unter Hinweis auf Manusmriti 5,31-44).
6
Vgl. Walli, Koshelya: The conception of Ahimsa in Indian thought: according to Sanskrit sources
(Bharata Manisha research series 3) Varanasi, 1974, 140 (Meine Übersetzung).
4
2
Obige Kritik wäre ohne die Upanischaden (eine Art Geheimlehre) gar nicht möglich gewesen.
Schon dort wurde die Meinung vertreten, dass der Schöpfergott Brahma eine Welt geschaffen
habe, in der alles Leben untereinander verbunden sei. Im einzelnen Selbst müssten sich
Weltseele (brahman) und Einzelseele (atman) vereinigen. Und es könne nicht sein, dass das
eine Selbst durch die Verletzung des anderen Selbst die Erlösung – das Nicht-mehrwiedergeboren-werden – erreichen könne. Da beide den Atman in sich tragen, würde man
sich dadurch auch selbst verletzen.
Die Kritik radikalisierte sich noch mehr. Ihre Vertreter waren die Asketen7: sie lehnten die
Autorität der Veden und das Tieropfer ab. Sie übten sich (Askese kommt von Übung) in
Verzicht auf alles, was der Erlösung im Wege steht. Ihre Wahrhaftigkeit in Denken und
Handeln zog viele Menschen an. Denn sie kannten – anders als die vedische Gesellschaft –
keine Standesunterschiede. Später entstanden daraus Buddhismus und Jinismus.
Zum Jinismus (in älteren Schriften auch: Jainismus)8:
Er entstand um 500 v.Chr. und ist noch heute die Religion, die am stärksten die
Unantastbarkeit alles Lebens vertritt.
Wie sehen die Jainas (Anhänger des Jinismus) den Kosmos?
Es gibt Wesen, die (abgestuft nach Sinnen) Leben haben und solche, die dies nicht haben.
Beispielsweise haben:
Einen Sinn (Berührung): die Seelen des Wasser, Feuers, der Luft, Erde und Pflanzen9;
Zwei Sinne (Berührung, Geschmack): der Wurm;
Drei Sinne (Berührung, Geschmack, Geruch): die Ameisen;
Vier Sinne (Berührung, Geschmack, Geruch, Sehen): die Hummeln;
Fünf Sinne (Berührung, Geschmack, Geruch, Sehen, Gehör): der Mensch.
Für den Jaina-Mönch (eingeschränkt auch für den Laien) gelten fünf Gelübde. Ich zähle sie in
der Reihenfolge auf:
1. Ahimsa (Nicht-Verletzen), 2. Nicht-Lügen, 3. Nicht-Stehlen, 4. Nicht-Unkeuschsein 5.
Nicht-Anhaftung (= Verzicht auf alles, was die Erlösung behindert)10.
Gelübde 2-5 gelten jeweils für bestimmte Gebiete, Ahimsa aber ist in seiner Allgemeinheit
das höchste Gelübde.
Was fällt für den Jaina darunter?
Man darf anderes Leben weder in Gedanke, Wort und Tat verletzen.
Das heißt: man darf gegenüber einem anderen keine bösen Gedanken haben, nicht schlecht
über ihn reden und ihn auch körperlich nicht schädigen bzw. auch nicht zulassen oder gar
veranlassen, dass andere ihn schädigen.
7
Der Begriff mit dem ursprünglichen altgriechischen Sinn askein (üben) sollte von dem peiorativen
Verständnis befreit werden, der er ihm im Laufe der Zeit beigelegt wurde.
8
Ich verweise für das Folgende allgemein auf die konzise Darstellung von Chapple.
9
Darauf ruht die Theorie vom belebten Kosmos. Auch sei hier auf den wohl erstmals geäußerten
Gedanken der Pflanzenseele hingewiesen; vgl. zu Letzterem Ingensiep, Hans Werner: Geschichte der
Pflanzenseele. Philosophische und biologische Entwürfe von der Antike bis zur Gegenwart. Stuttgart, 2001.
10
Der Begriff beinhaltet eine Geisteshaltung des Freiseins von den Einflüssen der Umwelt und hat in
Nuancen in Jinismus und Buddhismus auch unterschiedliche Ausprägungen erfahren. Für westliche Denker wie
Albert Schweitzer liegt hier wahrscheinlich das größte Problem, weil diese aktives Engagement für das Leben
einfordern.
3
Diese Einstellung bezieht sich aber nicht nur auf bestehendes, sondern schon auf entstehendes
Leben. Es ist darauf zu achten, dass dieses nicht an seiner Entfaltung gehindert wird.
Jede Verletzung der Gebote erzeugt schlechtes Karman, am meisten die Übertretung des
Ahimsa-Gebots.
Um Ahimsa richtig befolgen zu können, muss man zuerst fragen, was gegenüber einem
anderen Himsa (Verletzen) bedeutet, nämlich die Einschränkung von dessen Lebenskraft.
Dann weiß man, was man tun oder unterlassen muss, um dies zu verhindern.
Man muss Ahimsa im Geist und in der Praxis einüben und immer wieder einüben und stets
erneut festigen. Dabei helfen Meditation und Yoga. .
Elementar wirkt sich Ahimsa schon bei der Ernährung aus. Diese ist bei den Jainas
vegetarisch, nach heutiger Definition vegan11, dass heißt, es wird auf alle tierischen Produkte
(auch Milch, Eier, Honig) verzichtet und auch sonst im Lebensstil wird darauf geachtet,
möglichst wenig Ressourcen, und schon gar nicht tierische zu verbrauchen; z.B. trägt man
keine Lederschuhe.
Der Mönch, der ja seine Nahrung als Almosengabe vom frommen Laien erhält, muss den
Inhalt seiner Opferschale überprüfen, ob sie Klein-Lebewesen enthält, damit er diese nicht
unabsichtlich vernichtet.
Dies ist ständig zu beachten: Beim Gehen, Sich-Niedersetzen und Einatmen. Sie kennen
wahrscheinlich aus den Medien das Mundtuch des Jaina-Mönchs und seinem Staubwedel, um
den Boden zu untersuchen, den er betritt.
Man darf aber Ahimsa aber nicht nur unter dem Gesichtspunkt sehen, welches Tun zu
vermeiden ist. Nein, es setzt eine Vielzahl positiver Energien frei. Es schafft ein Bewusstsein
dafür, aktiv Leben zu schützen und zu fördern. So haben die Jainas viele Einrichtungen
geschaffen, um Alte und Kranke auf ihrem letzten Weg zu betreuen, und nicht zuletzt auch
Tierkrankenhäuser und Tiersasyle.
Ich komme zum Buddhismus. Er ist ungefähr gleichzeitig wie der Jinismus entstanden.
Anders als dieser ist er heute in der ganzen Welt verbreitet. Es gibt viele unterschiedliche
Richtungen.
Die wichtigsten sind: Hinayana12 (kleineres Fahrzeug), Mahayana13 (größeres Fahrzeug),
Vajrayana14 (diamantenes Fahrzeug) und Zen-Buddhismus15. Für uns sind die ersten beiden
interessant.
Auch im Buddhismus steht Ahimsa in den Gelübden für den Mönch an erster Stelle.
In der ursprünglichen Richtung (Hinayana) ging es mehr um die Erlösung des einzelnen.
Anders als im Jinismus, wo die Askese in Form der sich selbst auferlegten Einschränkungen
sehr stark ist, glaubte Buddha an eine stärkere Ausgewogenheit zwischen Askese und guten
11
Zum Begriff vgl. http://www.de.wikipedia.org/wiki/Veganismus (01.08. 2010). Die dort dargestellte
Praxis der indischen Religionen ist ergänzungsbedürftig.
12
Heute in Südostasien verbreitet.
13
Über Ostasien hinaus weltweit verbreitet.
14
In Tibet verbreitet.
15
Über China nach Japan gewandert.
4
Handlungen16. So meinte er z.B., dass Mönche die Nahrung in ihren Opferschalen auch dann
nicht zurückweisen sollten, wenn sie möglicherweise Fleisch enthalte: denn das würde den
Geber, der sich ja dadurch Verdienste erwirbt, beleidigen.
Die spätere Mahayana-Richtung verbreitete sich über Indien hinaus. Nach ihr kann der
einzelne die Erlösung in Form der Buddhaschaft (bodhisattva) nur dann erlangen, wenn er
anderen zu deren Erlösung verhilft. Daher kommt nun neben Ahimsa der Gedanke des tätigen
Mitgefühls (karuna) immer stärker zur Geltung. Es steigert sich die eigene Identifikation mit
den Leidenden, die nicht selten emphatische Ausdrücke annimmt, wie z.B., keine Ameise
leiden sehen zu können. Auch nimmt der Vegetarismus jetzt eine wesentlich stärkere Stellung
und wird fast obligatorisch (Chapple, 27 ff.).
Einige dieser Elemente zeigten sich schon vorher in der Praxis des buddhistischen Kaisers
Ashoka: für seinen Staat stellte er Gesetze zur Förderung dieses aktiven Mitgefühls auf und
ließ sie auf Steinsäulen einmeißeln. Auch gab es in seinem Staat Tierasyle und
Tierkrankenhäuser. Ashoka kümmerte sich auch um die moralische Erziehung des Volkes und
überzeugte sich vor Ort von deren Stand (Chapple, 24 ff.).
In der buddhistischen (moralischen) Erziehung der Kinder spielen die Geschichten aus dem
früheren Leben Buddhas vor seiner Erleuchtung (Jatakas) eine bedeutende Rolle. Hier
kommen oft Tiere vor und nicht selten beschämen sie den Menschen durch ihr altruistisches,
für den andern sich aufopferndes Verhalten.
Der Buddhismus hat auch die chinesische Volkskultur stark beeinflusst. Ein Zeugnis davon
liegt uns in den von Raghu Vira gesammelten Gedichten zum Ahimsa-Gedanken vor. Diese
schildern eindrucksvoll die Leiden der Tiere in kindgemäßer Sprache, sollen aber auch zu
eigenem Nachdenken anregen17.
Für Letzteres sei ein Beispiel zitiert, das Gedicht „Zu Hilfe“:
„Eine Krabbe hat ihre Beine verloren.
Zwei Krabben kommen ihr zu Hilfe,
Und tragen sie auf ihrem starken mitfühlenden Rücken.
Diese winzig kleinen Kreaturen besitzen den Sinn
Für Liebe und Mitgefühl.
Warum nimmt der Mensch davon keine Notiz?“18
Albert Schweitzer hat das chinesische Denken gegenüber der Kreatur eingehend untersucht
und auf das Buch Kan-Ying-Pien (Buch von den Taten und der Vergeltung) hingewiesen. Er
sieht darin ein Zeugnis ursprünglicher, volkstümlicher chinesischer Mitleidsethik – auch
gegenüber Tieren19.
16
Der sog. Mittlere Pfad.
Vgl. Vira, Raghu: Chinese Poems and Pictures of Ahimsa.Nagpur, 1954, als Neuausgabe von Chandra,
Lokesh: Vibrations of Ahimsa in China (Sata-Pitaka Series, 276). New Delhi, 1981.
18
Zitat nach Chapple, 38. Dieser weist auch darauf hin, dass es nach heutiger biologischer Forschung
nicht mehr grundsätzlich auszuschließen ist, dass Tiere in weitem Umfang dieselben Gefühlserfahrungen
machen wie Menschen, vgl. Griffin, Donald: Animal Thinking. Cambridge,Mass., 1984.
19
Vgl. Albert Schweitzer: Geschichte des chinesischen Denkens (Werke aus dem Nachlass), hg. v.
Bernard Kaempf und Johann Zürcher. München, 2002, 162-166 und ders: Kultur und Ethik in den
Weltreligionen (Werke aus dem Nachlass), hg. v. Ulrich Körtner und Johann Zürcher. München, 2001, 185-187.
17
5
Reste buddhistischer Tierethik haben sich bis heute in der chinesischen und japanischen
Volkstradition erhalten. Einmal jährlich finden symbolische Tierbefreiungsaktionen statt
(Chapple, 29-36 passim).
Dennoch ist der Geist der Gewaltfreiheit oft nur oberflächlich präsent. Das sieht man z.B.
an Japan. Der Imperialismus in der Zeit des Zweiten Weltkrieges und auch schon vorher bei
der grausamen Invasion Chinas sei hier erwähnt20. Auch die Haltung zum Walfang zeigt
einen erschreckenden Mangel an Sensibilität für die Rechte anderen Lebens. GreenpeaceAktivisten, die sich für Wale engagieren, werden vor japanischen Gerichten die elementarsten
Menschenrechte verweigert21.
Doch zurück zu Indien:
Die alte vedische Religion hatte die Einflüsse von Jinismus und Buddhismus aufgenommen
und sich zum Hinduismus, wie wir ihn heute kennen, weiter entwickelt.
Zwei Beispiele seien genannt: die Krishna-Legende, die eng der Kuh-Verehrung verbunden
ist, und das Denken von Shankara.
Im heutigen Hinduismus kennen wir neben vielen untergeordneten Gottheiten zwei
Hauptgötter, Vishnu (Welterhalter) und Shiva (Welterneuerer)22.
Vishnu inkarnierte sich in verschiedenen Formen (avatars). Eine der wichtigsten war
Krishna. Durch ihn, der uns als Kuhhirte (gopi) überliefert ist, ist die Verehrung der Kuh zum
grundlegenden Bestandteil hinduistischer (Volks-) Frömmigkeit geworden23. Für den
gläubigen Hindu – und in dieser Tradition stehen Gandhi und der anfangs genannte Desai –
ist die Kuh die Mutter aller Dinge: sie liefert Nahrung (Milch, Butter), Dünger, Medizin
(Urin), Behausung (Dung als Baumaterial) und ist Arbeitskraft24.
Auf der intellektuellen Ebene steht Shankara. Er hatte sich intensiv mit den Upanischaden
auseinandergesetzt und entwickelte daraus die monistische Lehre, die die Welt auf ein Prinzip
zurückverfolgt: Advaita (Nicht-Zweiheit) als Streben nach der Einheit der Seele mit dem
Brahman25. Erlöst werden kann der Mensch danach nur durch die Erlangung dieser Einheit.
In der Zeit nach Shankara ist unter Ramanuja in Südindien die Bhakti-Bewegung entstanden.
„Bhakti“ ist die liebende Hingabe der Seele an Gott ohne Rücksicht auf äußere Rituale26.
Diese Bewegung wird wichtig werden für die spätere Religionskritik im Sinne einer
20
Rabindranath Tagore hatte den Mut, dies vor japanischem Publikum auszusprechen und den Geist
Buddhas für die Gewaltfreiheit einzufordern, vgl. seinen Brief an Yone Noguchi v. 1.9. 1938, in: Dutta, Krishna/
Robinson, Andrew (Hgg): Selected Letters of Rabindranath Tagore (University of Cambridge Oriental
publications 53). Cambridge, 1997, 497 ff. (zum größten Teil im Internet unter:
http://www.books,google.de/books isbn=0521590183... (15.08. 2010).
21
Vgl. http://www.greenpeace.or.jp/index_en_html (01.08. 2010).
22
Shiva wird auch das Rubrum „Weltvernichter“ zugeordnet. Da nach hinduistischem Verständnis die
alte Welt vernichtet werden muss, um eine neue entstehen zu lassen, habe ich den neutraleren Begriff
„Erneuerer“ gewählt. Das hinduistische Denken hält trotz der Hervorhebung von Vishnu und Shiva am
Dreigestirn (trimurti) der Götter Brahma-Vishnu-Shiva (Schöpfer-Erhalter-Erneuerer) fest, um die Kontinuität zu
betonen , vgl. Michaels (Anm. 3), 228 Abb. 11; ebd. (222-250) auch die konzise Darstellung des
Götterpantheons.
23
Vgl. Michaels (Anm. 3), 233f.
24
Vgl. http://www.de.wikipedia.org/wiki/Heilige_Kuh (02.08. 2010).
25
Vgl. http://www.wikipedia.org/wiki/Vedanta (02.08. 2010).
26
Vgl. http://www.wikipedia.org/wiki/Bhakti (02.08. 2010). Diese Bewegung ist erst im 13. Jahrhundert
n. Chr. nach Nordindien gewandert.
6
spirituellen Erneuerung. Sie wird auch Tieropfer verurteilen. Außerdem wird in weiten Teilen
des Hinduismus der Vegetarismus obligatorisch werden.
Der sich durch Shankara regenerierende Hinduismus empfing für seine Ethik auch
Anregungen aus der einheimischen südindischen (dravidischen) Kultur. So ist z.B. in den von
Thiruvalluvar in tamilischer Sprache verfassten Thirukkural auch der Gedanke der Tierethik
eingegangen27.
Die muslimischen Moghul-Kaiser regierten – der Buddhismus war ja weitgehend aus Indien
verschwunden – ein mehrheitlich hinduistisch28 geprägtes Reich. In diesem hatten sich neben
den beiden Hauptgöttern auch verschiedene regional und lokal verehrte Götter verbreitet, bei
denen es vereinzelte, bei der Verehrung der Göttin Kali aber häufigere und besonders blutige
Tieropfer gab29. Auch bei den Muslimen gab es ja das jährliche Opferfest mit der rituellen
Tierschlachtung in Form des Schächtens. In beiden spielte – und spielt leider bis heute - der
Ritus die beherrschende Rolle30.
Für die Herrscher war es nicht leicht, diese unterschiedlichen Strömungen unter Kontrolle zu
halten.
Einer der bedeutendsten, Kaiser Akbar, versuchte durch die Schaffung einer von ihm
erdachten Religion, die Elemente der anderen in sich aufnahm, einen einheitlichen Glauben
stiften: die Din-i-Ilahi-Religion. Sie hat sich aber nicht durchgesetzt31. An Akbars Hof waren
alle (religiösen) Kommunitäten vertreten. Auch entwickelte sich gegenüber ihnen eine große
Toleranz. So kam Akbar z.B. auch den Jainas entgegen und verbot zu gewissen Zeiten
gänzlich Tierschlachtungen.
Aber schon kurze Zeit vor Akbar gab es – als Frucht des Gedankens der Vereinigung mit Gott
– eine Annäherung zwischen muslimischem und hinduistischem Denken. Kabir war einer
dieser Vorläufer, der auch zu umfassendem Mitgefühl gegenüber der Kreatur aufrief32.
Aus dieser Tradition ist unter Guru Nanak der Sikhismus als besondere Form der
Vermischung hinduistischer und islamischer Elemente entstanden. Auch in dieser Religion,
die besonders den Gemeinschaftsgedanken pflegt, spielt Ahimsa teilweise eine bedeutendere
Rolle als man gemeinhin annimmt, wenn es auch nicht ausdrücklich dominant ist.
Geschichtlich mag das mit den vielen Verfolgungen zu erklären sein, denen die Sikhs oft
ausgesetzt waren33.
27
Vgl. http://www.en.wikipedia.org/wiki/Tirukkural (03.08. 2010). Albert Schweitzer schätzte dieses
Werk besonders als Zeugnis der „tätigen Liebe“ in der „indischen Volksethik“, vgl. Schweitzer,Albert:
Gesammelte Werke in fünf Bänden. 5 Bde. München, 1974. Bd. 2, 607.
28
Zur Heterogenität des Begriffs „Hinduismus“, vgl. Michaels (Anm.3),36.
29
Zur Frage, warum die Kali-Verehrung in dieser Form möglich ist, vgl. - unter Hinweis auf die Vielfalt
der Heilswege in der Sicht von Hindus - Michaels (Anm. 3), 41; Tagore hat in seinem literarischen Werk diese –
vor allem in seiner Heimat Bengalen vorherrschende - Praxis mehrfach kritisiert (vgl. meine entstehende
Dissertation über Tagore).
30
Eine Religionskritik, die nach dem Wesen des Glaubens fragt, müsste dies kritisch in den Blick
nehmen. Es gibt in beiden Fällen Ansätze dazu.
31
Vgl. http://en.wikipedia.org/Din-i-Ilahi und http://www.diniilahi.com , jeweils (02.08. 2010).
32
Vgl. http://de.wikipedia/org/wiki/Kabir (02.08. 2010).
33
Vgl. http://de.wikipedia/org/wiki/Sikhismius (02.08. 2010). Bezüglich Ahimsa vgl. Sanehi, Swaran
Singh: „Vegetarismus im Sikhismus“, in: Brockhaus, Wilhelm (Hg): Das Recht der Tiere in der Zivilisation.
Einführung in Naturwissenschaft, Philosophie und Einzelfragen des Vegetarismus. München, 1975, 247-250;
zum Vergleich Jinismus-Buddhismus bezüglich Ahimsa:
http://www.en.wikipedia.org/wiki/Jainism_and_Sikhism (12-08. 2010).
7
Ganz am Rande sei erwähnt, dass die wenigen in Indien ansässigen Anhänger der alten
persischen Zarathustra-Religion, die sog. Parsis, sich schon immer durch tätige
Nächstenliebe gegenüber allen Kreaturen ausgezeichnet haben34.
Die schon genannte Bhakti-Bewegung trug ebenfalls dazu bei, dass teilweise auch im
Shivaismus der Ahimsa-Gedanke Fuß fasste. Es entstand unter Basavanna die Bewegung der
Lingayats (auch „Virashaivas“ genannt). Diese sich geographisch stark auf den heutigen Staat
Karnatka konzentrierende Richtung lehnt das sog. Kastenprinzip ab und vertritt die Gleichheit
der Gläubigen. Unter fünf Verhaltensgesetzen (panchacharas) der Gemeinschaft fordert das
vierte (bhrityachara) eine demütige Haltung gegenüber allen Kreaturen. In Konsequenz
dessen wird auch das Tieropfer abgelehnt und der Vegetarismus ist obligatorisch35.
Am Ende der Moghul-Herrschaft und zu Beginn der britischen Regierung waren Reformen
unausweichlich. Alte Rituale degenerierten zum Teil, wie die Frühverheiratung , oder andere
wie das Sati (das Selbstopfer der Witwen) war den Briten und der unter britischem Einfluss
aufwachsenden neuen indischen Mittelklasse schwer zu vermitteln. Eine Besinnung auf die
Essenz im Glauben setzte ein. So ist in der geistigen Auseinandersetzung mit den Briten ist
vor allem in Bengalen die Neo-Advaita-Bewegung (auch Neuhinduismus genannt)
entstanden. Unter Rückgriff auf die Upanischaden versuchte man im Kontakt mit westlichen
Gedanken Reformen, so z.B. die Verehrung eines Gottes mit wenig äußerem Ritual wie im
Brahmo Samaj36, der auch christliche Gedanken aufnahm, sowie Neuerungen auf
gesellschaftlicher Ebene. Teilweise hatte man selbst die Notwendigkeit dazu erkannt,
teilweise wurde dies durch die Briten verursacht.
Zwar gab es unter den Briten in Indien nicht wenige, die sich um ein Verständnis indischer
Kultur bemühten, dennoch blieb – bedingt auch den durch den damals in London
vorherrschenden Utilitarismus (Nützlichkeitsgedanke) – ein gewisser Graben. Die mangelnde
Einfühlung der Briten in indische Kultur lässt sich am besten am Beispiel des SepoyAufstandes der indischen Söldner in der britischen Armee demonstrieren37: die Briten hatten
als Schmiermittel für die Kolben ihrer neuen Gewehre statt pflanzlicher Fette Rindertalg und
Schweineschmalz verwendet und brachten damit sowohl Hindus wie Muslime gegen sich auf.
Auch war durch die Einführung der Kuhschlachtung durch die Briten für die Versorgung der
eigenen Bevölkerung für Hindus eine Sensibilitätsgrenze verletzt. Ahimsa war dadurch
herausgefordert und die sich nun entwickelnde Auseinandersetzung resultierte in einer
formalen Tierschutzgesetzgebung in manchen Territorien38.
34
Vgl. http://www.de.wikipedia/org/wiki/Zoroastrismus sowie http://www.de.wikipedia/org/wiki/Avesta
,jeweils (02.08. 2010). In der Heiligen Schrift (Avesta) gibt es einige tierfreundliche Stellen, z.B. die sog. StierGatha (Yasna 30, 3-6): (Quelle: eine nicht mehr identifizierbare Rundfunksendung); zur tierfreundlichen Haltung
der Parsis, vgl. Lodrick, Deryck: Sacred Cows, Sacred Places. Origins and Survivals of Animal Homes in India.
Berkeley u.a., 1981; 92,144, 157.
35
Vgl. http://www.en.wikipedia/org/wiki/Lingayatism sowie
http://www.vsna.org/chicago/convention_site/toppage 3.htm (jeweils 12.08. 2010). Eine detaillierte Forschung,
insbesondere über die (vermutete) Beeinflussung durch den Jinismus, gibt es erst in Ansätzen.
36
Vgl. http://www.de.wikipedia/org/wiki/Brahmo_Samaj (02.08. 2010). Die Forschung über die dortige
Tierethik ist noch ein Desiderat.
37
Vgl.. http://www.de/wikipedia/org/.../Indischer_Aufstand_von_1857 (02.08. 2010).
38
Vgl. Dharampal/Mukundar,T.M.: The British Origin of Cow-Slaughter in India: with some documents
on the anti-kine-killing movement, 1880-1894. Mussoorie, 2002. Wie aus (Gandhi, Maneka/Husain,
O./Ranjwani,R. (Hgg): Animal Laws of India. Delhi, 1996) ersichtlich, entstand diese Gesetzgebung erst im 19.
Jahrhundert.
8
Vorher war der Umgang mit Tieren im Hinduismus Bestandteil des Dharma, der religiösen
Ordnung, und wurde durch funktionale Erziehung – das heißt, durch die Teilnahme an der
Praxis - tradiert39, und Ahimsa wurde als der höchste Dharma angesehen40
Mahatma Gandhi, der auch unter dem Einfluss von Jainas aufwuchs, empfand diese
aufgezwungene fremde Einflussnahme auf indische Traditionen als brennende Wunde.
Er selbst – lebenslang Vegetarier – gab Ahimsa einen neuen Stellenwert. Ihm ging es primär
um das Ergreifen und Festhalten der von ihm erkannten Wahrheit als Lebensform, die er als
Folge der Fremdherrschaft als bedroht ansah41.
Ahimsa wurde nun ein gesellschaftlich-politisches Mittel als geistige Haltung im
gewaltfreien Widerstand für die Wiedergewinnung dieser Lebensform in Selbstbestimmung
(swaraj).
Dazu bedurfte es der Einheit unter den verschiedenen indischen Religionen und
Gruppierungen in gegenseitigem Respekt voreinander42. So kam es auf der gesellschaftlichen
Ebene zum sog. Community-Ahimsa43. Dafür hatte schon Rabindranath Tagore in seinem
literarischen Werk vorgearbeitet. Die von ihm stammende heutige indische Nationalhymne
drückt diesen Gedanken der Verbundenheit sehr gut aus, insbesondere in der zweiten Strophe.
Ich komme zum unabhängigen Indien von heute.
Das Land hat außenpolitisch das Erbe der Gewaltfreiheit – außer bei der Besetzung Goas –
befolgt, ist aber wirtschaftlich einen anderen Weg gegangen als den von Gandhi empfohlenen,
nämlich einheimisches Gewerbe zu fördern44. Man glaubte an eine industrielle Entwicklung
nach westlichem Muster. Die Folgen sind heute evident: ein unermesslicher Raubbau an der
Natur durch Projekte wie der Narmada-Staudamm45 zur Energiegewinnung - und das, wo das
Recht auf Wasser heute immer wichtiger wird – sowie Abholzungen von riesigen Wäldern,
beides durch ausländische Investoren verursacht. Sie übten durch wirtschaftlichen Druck auf
Regierung und Bevölkerung eine strukturelle Gewalt aus.
Die Einheimischen der Urbevölkerung, die sog. Adivasis – meist Anhänger von
Naturreligionen –zeigten Solidarität und wollten ihr Land nicht verkaufen. Die Frauen, als
39
Vgl.Michaels (Anm. 3), 31.
So heißt es bereits im Mahabharata XIII 125,25: „Ahimsa ist das Dharma. Es ist die höchste Reinheit.
Es ist ebenso die höchste Wahrheit, aus der jedes Dharma hervorgeht“. Zitat Chapple, 18.
41
Vgl. Jürgenmeyer, Clemens: „Satyagraha-Das Festhalten an der Wahrheit als Lebensform. Individuelle
Heilssuche und gesellschaftliches Handeln bei M.K. Gandhi“, als Internet-Quelle: http://www.archiv.ub.uniheidelberg.de/savifadok/volltexte/.../1107/ . Zum Zusammenhang von Gewaltfreiheit und Wirtschaftsethik bei
Gandhi und die Wiederaufnahme von Teilen dieser Ideen in der modernen westlichen Ökonomie, z.B. bei
Schumacher, vgl. Chapple, 53-57. Auch sei auf Lepold Kohr verwiesen, vgl.
http://www.de.wikipedia.org/wiki/Leopold_Kohr (05.08. 2010).
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Insbesondere zwischen Hindus und Muslimen kam es – und kommt es leider immer wieder - zu
gewaltsamen Auseinandersetzungen.
43
Dies bedeutet, dass die Kommunitäten miteinander im Geist von Ahimsa umgehen und sich mindestens
die gegenseitige Unverletzlichkeit garantieren. De Forderung nach einer solchen Haltung beinhaltet aber darüber
hinaus positiv die Vision einer Gesellschaft, in der die Kommunitäten sich nicht als Konkurrenten oder gar
Feinde sehen, sondern das Anderssein des anderen als eigene Bereicherung empfinden; so z.B. die Sicht von
Tagore.
44
Dies hätte Ressourcen geschont.
45
Vgl. http://www.indien-netzwerk.de/navigation/.../narmada.html (02.08. 2010). Vgl. auch Chapple, 61.
40
9
geborene Schützerinnen des Lebens, wurden gesellschaftlich aktiv, bildeten eine
Menschenkette um die Bäume herum und umarmten diese symbolisch, um sie zu retten46.
Aus neuerer Zeit ist der Widerstand der Bauern gegen das Monopol der Lizenzen für das
Saatgut durch die Firma Monsanto und der diesbezügliche Kampf von Vandana Shiva zu
erwähnen47.
Es ist zu hoffen, dass die indische Regierung in ihrer Bemühung um behutsame
Modernisierung dieses Bürgerengagement produktiv aufnimmt und auch im Zeitalter der
Globalisierung das ökologische Erbe des Landes zu hüten weiß.
Durch die Verstädterung hat sich auch das Verhältnis zum Tier verändert. Das Leben ist
anonymer geworden. Man nimmt mehr und mehr westliche Lebensgewohnheiten an, auch in
Ernährungsfragen. Zwar ist, im Vergleich zu anderen Staaten, der Vegetarismus in Indien
immer noch sehr stark, aber er ist prozentual auf dem Rückmarsch48. Daher wird die
Erziehung zu Ahimsa wichtiger denn je. Dies geschieht am besten durch das Beispiel der
Erwachsenen. Auch wenn das Kind diese Orientierung zeitweise aus dem Auge verlieren
mag, kann es sie später durch die Rückerinnerung wieder gewinnen.
Wir sehen: Indien steckt voller Probleme. Dennoch gibt es Hoffnung, z.B. im erwähnten
aktiven Engagement für die Umwelt. Dann auch durch die Tatsache, dass der AhimsaGedanke schon seit einiger Zeit im Westen angekommen ist, und das nicht nur als formale
Bezeichnung für das Training der Gewaltfreiheit bei Strafgefangenen.
Es haben sich z.B. westliche buddhistische Tierschutzinitiativen gebildet49 (Chapple, 46).Und
auch die Gaia-Theorie, die der Erde selbst Leben zuschreibt, ist von der Kosmologie des
Jinismus, die auch Mineralien als mit Leben versehen betrachtet, beeinflusst (Chapple,68 f.)50.
Auch der einfache und Ressourcen schonende Lebensstil im Westen hat Anregungen von der
der jinistischen, von Acharya Tulsi gegründeten Anuvrat-Bewegung erfahren51.
Der Gedanke, dass alles Leben miteinander verbunden ist, ist natürlich nicht nur auf die
Upanischaden beschränkt. Man findet ihn auch in vielen Naturreligionen, unter anderem auch
unter den Indianern in den USA, am besten ausgedrückt in der Rede des Häuptlings Seattle52.
Wir kennen die indianische Weisheit: „Erst wenn der letzte Baum gefällt, der letzte Fisch
gefangen ist…, werdet ihr erkennen, dass man Geld nicht essen kann“53.
Zum Thema Essen noch dies: Die Wissenschaft hat eindeutig die Wechselwirkung von
Fleischverbrauch und Welternährung sowie Wasserknappheit und Klimawandel
46
Vgl. http://www.wikipedia/org/wiki/Chipko-Bewegung (02.08. 2010).
Vgl. http://www.de.wikipedia.org/wiki/Vandana_Shiva (05.08. 2010).
48
Zur besonderen Bedeutung des Vegetarismus als fundamentaler Bestandteil der Identität eines ethischreligiös geprägten Lebensvollzugs, vgl. Syed, Renate: „’Das heilige Essen, das Heilige essen’. Religiöse
Aspekte des Speiseverhaltens im Hinduismus“, in: Schmidt-Leukel, Perry (Hg): Die Religionen und das Essen.
München, 2002, 171-190. Die besondere Moralisierung des Speiseverhaltens zeigt sich im Westen auch im
Pythageoräismus, wenn man dort z.B. von „unschuldigem Essen“ spricht.
49
Vgl. http://www.buddhanetz.org/projekte/tiere.htm (02.08. 2010).
50
Vgl. http://www.de.wikipedia.org/wiki/Gaia-Hypothese (03.08. 2010).
51
Vgl. http://www.en.wikipedia.org/wiki/Acharya_Tulsi (03.08. 2010).
52
Vgl. http://www.de.wikipedia/org/wiki/Seattle_(Häuptling) (02.08. 2010). Wenn auch die Historizität
dieser Rede umstritten ist, so ist ihr Inhalt ein eindrucksvolles Dokument der gegenseitigen Abhängigkeit
innerhalb der Natur.
53
Vgl. http://www.de/wikipedia.org/wiki/Weissagung_der_Cree (02.08. 2010).
47
1
0
nachgewiesen54. Je weniger wir Fleisch essen, desto mehr Boden kann für
Nahrungsmittelanbau genutzt werden.
Ich komme zum Schluss:
Ich habe ein Panorama der Bezugspunkte des Ahimsa-Gedankens ausgebreitet.
Ich hoffe, Sie durch die vielen Einzelheiten – was in dieser Kürze unvermeidlich ist – nicht
verwirrt zu haben. Sie haben mit den Texten im Netz die Möglichkeit, einzelnes zu vertiefen
und für Rückfragen stehe ich im Anschluss und auch später immer zur Verfügung.
Der Religionsphilosoph Romano Guardini hat schon vor 50 Jahren eine neue Kultur der
Askese gefordert, nicht als Verzicht, sondern als Übung für die Realisierung dessen, was wir
als Sinn unseres Lebens erkannt haben55.
Diesen Sinn können wir nur denkend nur erfahren, wenn wir uns aus dem Spinnennetz, das
die indische Göttin Maya um uns ziehen will, befreien. Sie will uns einreden, dass unser
Selbst und die Außenwelt um uns herum getrennt seien56. Stoßen wir diesen Kokon durch und
gewinnen wir das höhere Wissen der Verbundenheit zwischen unserem Selbst und dem
anderen Selbst (wieder) und begreifen wir – oder besser noch mit Gandhi „ergreifen“ wir –
diese Wahrheit im Handeln. Befreien wir auch andere wie die anfangs erwähnte Seidenraupe
aus ihrem Kokon! Damit haben wir uns auch Selbst befreit.
Weiterführende Literatur:
Chapple, Christopher Key: Nonviolence to animals, earth and self in Asian traditions.Albany,
1993.
54
55
56
Vgl. Anm. Quelle zu Anm. 7, ebenso Quelle zu Anm. 41.
Vgl. http://www.gruenewaldverlag.de/gedanken-ueber-moderne-askese-p-91.html (02.08. 2010).
Vgl. http://www.de.wikipedia.org/wiki/Maya_(Religion) (02.08. 2010).
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