Die Erlösungslehre der Jaina - Legenden, Parabeln, Erzählungen. Aus dem Sanskrit und Prakrit übersetzt und herausgegeben von Adelheid Mette. Berlin: Verlag der Weltreligionen im Insel-Verlag Berlin 2010, 452 S., Abb. (mit Kommentar, Stellenkommentar und Glossar) --- ISBN: 978-3-458-70023-4 Der Jainismus gehört in Deutschland zu denjenigen Religionen, die neben den Spezialisten nur wenig kennen dürften, und doch ist sie eine bedeutende Ausprägung indisch-spiritueller Traditionen. Die Indologin und Tibetologin Adelheid Mette von der Universität München hat nun den beeindrucken Versuch unternommen, im Rahmen des Verlags der Weltreligionen, eine Auswahl der Originalquellen zur Erlösungslehre der Jaina vorzustellen und mit einem ausführlichem Kommentar zu versehen. Diesen sollte man vielleicht zuerst lesen, denn hier wird die Begrifflichkeit, die monastische Lebensweise der Mönche, Nonnen und Laien, die verschiedenen Glaubensrichtungen bis zur Moderne, Kultformen und Rituale sowie Weltbild und Lehre der Jaina beschrieben. Übersicht: Bei den aus dem Original übersetzten Quellen wird zuerst (I.) die Legende der bedeutendsten historisch fassbaren den Persönlichkeit, den Wanderasketen Mahavira, vorgestellt, ergänzt durch Texte zu Körper und Seele sowie zwei Parabeln. Dann kommen überwiegend weisheitlich orientierte Erzähltexte, die sich mit dem Wesen der Seele und dem Kreislauf der Wiedergeburten befassen (II.). Dem folgen (Parabel-)Beispiele über die Chancen und Gefahren des Erlösungsweges zwischen Gier, Erweckung und Askese (III.). Was bisher stark unter monastischen Aspekten gesehen wurde, bezieht sich im Weiteren auf die Frömmigkeit der Laien mit entsprechenden Argumentationshilfen, z.B. gegen Nihilisten) sowie Anweisungen für Übungen und Wirkungen der Askese (IV.). Der Weg hin zur Vollendung wird schließlich wiederum durch Erzählung und poetisch formulierte Weisheitssprüche beschrieben (V.). Bedeutung von Parabeln und Weisheitstexten: Die zahlreichen Parabeln haben fast durchweg eine Existenz orientierende Ausdeutung wie z.B. die Parabel von den beiden Straßen: „Der Karawanenführer im Gleichnis, das ist der Wunschedelstein der Dreiwelt, der von Göttern und Dämonen verehrte Jina. Das Verkünden der Einladung zur Reise aber ist die Predigt, gekennzeichnet dadurch, dass sie Anstöße gibt, aber auch unterhält, das Empfinden erregt, aber auch beruhigt. Die Handelsreisenden sind die Seelenwesen (jiva), die in die Stadt der Ewigen Ruhe aufgebrochen sind und darum die Wildnis des Wesenskreislaufes durchqueren müssen. Die Wildnis wiederum ist der Wesenskreislauf (samsara), in dem es die Wiedergeburten als Höllenwesen, Tier, Mensch und Gott gibt. Der gerade Weg ist die asketische Lebensform des Laienanhängers; auch dessen Frucht sollte jedoch am Ende die asketische Lebensform sein“ (S. 129). Die Lehre: Aus den Gleichnissen und Anleitungen schält sich insgesamt heraus, wie stark der Jainismus aus der Beseeltheit aller organischen Materie seine spirituelle Kraft zieht. Die unvergänglichen Einzelseelen verkörpern sich unterschiedlich im Wesenskreislauf, werden dadurch zu Individuen, bis sie jenseits davon zur Vollendung gelangen. Dazu verhelfen besonders Vergebungsbereitschaft, Gewaltlosigkeit (Ahimsa) und Askese geprägt ist, Elemente, auf die auch Gandhi bewusst zurückgriff. Ethische Mitte ist darum der Satz: „Ich verzeihe allen Lebewesen, mögen alle Lebewesen mir vergeben, alle Seelen sind meine Freunde, in mir existiert keine Feindseligkeit“. Weil alle, auch Tier und Pflanzen eine Seele haben und gehören zusammen. So ist jegliche Form der Gewalt auch Gewalt gegen sich selbst.“ Zur Geschichte: Der im 6. Jahrhundert v. Chr. geborene Mahavari (Sanskrit = großer Held) spielt im kosmischen Zyklus als der 24. „Furtbereiter“ (Sanskrit: Tirtankara) eine bedeutende Rolle innerhalb des kosmischen Zeitzyklus, der durch die 24 Tirtankaras geprägt wird. Mahavira gilt auch als „Unbesiegbarer“ (Sanskrit = Jaina / Jina). Nach einer Zeit als Familienvater wurde er ein streng asketisch lebender Mönch und schließlich ein „Allwissender“, der den Zustand der Seligkeit jenseits von Geburt und Tod erlangte. Die ethischen Konsequenzen daraus heißen: Rechte Erkenntnis, rechtes Wissen, rechte Lebensweise mit Ahimsa im Mittelpunkt – im Blick auf alle Wesen. Dazu gehört auch ein strenger Vegetarismus. Die Unterschiede im Religionsverständnis drücken sich durch die zwei Gruppen innerhalb der Jains aus: Digambaras (die Luft Gekleideten) und die Schwetambaras (die in Weiß Gekleideten). Man sagt, dass Mahavira zu seiner Zeit etwa 50.000 Mönche und Nonnen und etwa 500.000 Laien als Anhänger hatte. Heute kann man in Indien wohl von etwa 5 Millionen Jainas ausgehen. Ergebnis: Das vorgelegte Buch wirkt fast wie ein Grundlagenwerk, um die Ideenwelt des Jainismus zu verstehen. Es erschließt sich den LeserInnen insgesamt dadurch, dass zum einen die Gleichnisse/Parabeln und Weisheitstexte erste Orientierung bieten. Durch die Hintergrundinformationen in den gut verständlichen grundsätzlichen Kommentaren sowie den Detailauslegungen durch die Autorin wird das Wesen dieser aus dem Hinduismus kommenden und etwa gleichzeitig mit dem Buddhismus entstandenen Religion durchsichtiger. Natürlich braucht der/die nicht-fachkundige Leser/in immer wieder auch das Glossar. Überhaupt: Das Buch setzt aber auch bei dem/der Leser/in die Bereitschaft voraus, sich den Hintergründen und Besonderheiten dieser asketisch geprägten Religion aufgeschlossen zu nähern. Jaina-Adressen (Nordamerika und Deutschland) zur weiteren Vertiefung: http://www.jaina.org/ --http://www.jainworld.com/ --- http://www.jain-germany.de Reinhard Kirste, Rz-Jaina, 30.01.11