DIE „ANTINAZIS“ VERBOT DER NPD WISSENSCHAFTLICH UNTERMAUERN Im „18. Brumaire des Louis Bonaparte“ behauptet Karl Marx, dass „alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen“ sich „zweimal ereignen“: „das eine Mal als große Tragödie, das andere Mal als lumpige Farce“. Mit dieser Weisheit knüpft der Meister an Hegel an. Die große Tragödie in der jüngsten deutschen Geschichte war der Nationalsozialismus. Aus der hochentwickelten politischen Kultur der Weimarer Republik war ein Regime der Willkür, des Staatsterrors und des Völkermords hervorgegangen. Nach der Befreiung trugen die Gründerväter der Bundesrepublik Sorge dafür, dass sich ähnliches nicht wiederhole. Im Grundgesetz wurden die Kompetenzen des Staatsoberhauptes Bundespräsident gegenüber dem Weimarer Reichspräsidenten gestutzt. Die Rechte des Parlamentes wurden gestärkt. Der Kanzler sollte die Richtlinien der Politik bestimmen. Das Wirken der politischen Parteien wurde in der Verfassung als „Parteienprivileg“ verankert. Über alles sollte ein neues Verfassungsorgan – das Bundesverfassungsgericht – richten können: der „Hüter der Verfassung“. Die neue Demokratie funktionierte. Sie brachte den Bürgern Wohlstand und Sicherheit. Die Tragödie wiederholte sich nicht, weil es der ersten Bundesregierung unter Konrad Adenauer in den fünfziger Jahren gelang, dem Verfassungsgericht nachzuweisen, dass die damalige Partei SRP neonazistisch war und weil das Verbot auf dem Fuße folgte. Die Tragödie wiederholte sich auch deshalb nicht, weil die Volkspartei CDU/CSU mit ihrer Politik in den sechziger Jahren der erstarkenden NPD das Wasser abgrub. Die verschiedenen rechtsextremen Parteien wurden klein gehalten, denn über ihnen hing einerseits das Damoklesschwert des Parteienverbots und andererseits begrenzten die handelnden politischen Parteien durch ihre jeweilige Politik die Chancen der Rechten. In den neunziger Jahren und im neuen Jahrhundert blieb das nun vereinte Deutschland ebenfalls weit entfernt von einer Wiederholung der Tragödie – auch dank des guten Regelwerkes im Grundgesetz. Während Rechtsextreme in anderen europäischen Ländern in nationale Parlamente einzogen, schafften es weder die „Republikaner“ noch die DVU noch die NPD in den Bundestag. Aber hochgespielt wurden die Rechtsparteien jetzt schon. Das hatte damit zu tun, dass es in Rostock, Hoyerswerda, in Solingen und andernorts zu schlimmen Ausschreitungen aus rechten Szenen kam, während zugleich Rechtsparteien aus Protest immer wieder einmal in Landtage gewählt wurden. Dass das politische Gewicht der Rechtsparteien höher eingeschätzt 1 wurde als zuvor, hing auch damit zusammen, dass sich die Rechten des Themas Arbeitslosigkeit bemächtigten und die etablierte Politik für jeden erkennbar einfach keine Arbeitskräfte schaffen konnte. Aus Hilflosigkeit heraus wurden in dieser Lage Funktionäre vor allem der DVU und der NPD jetzt als „Nazis“ oder „Neonazis“ tituliert. Welch eine Verniedlichung der Terrororganisationen NSDAP, GeStaPo oder SS war das! Welch eine Missachtung ihrer Opfer, millionenfacher Toter darunter, steckte dahinter, dass grölende Glatzköpfe und phrasendreschende Landtagsabgeordnete von heute mit den Himmlers, Heydrichs und Goebbels gleichgesetzt wurden. Wie grundverschieden, ja gegensätzlich, sind doch die Rahmenbedingungen der Bundesrepublik und des verbrecherischen NS-Staates. Zwar ist es nicht das persönliche Verdienst von NPD- oder DVU-Funktionären, dass sie keine „Nazis“ sind, aber die Zeit und die Gesellschaft erlauben es ihnen glücklicherweise einfach nicht. Das unhistorische Aufblasen heutiger Rechtsextremer zu „Nazis“ oder zu „Neonazis“ ermöglicht es jedoch gegenwärtigen politisch Korrekten, sich als „Antinazis“ hinzustellen – im Unterschied zu 1933 ganz ohne Gefahr. Viele von ihnen sind so selbstgerecht, dass sie glauben, sie hätten sich auch 1933 dem Terror entgegen gestemmt. Dabei kann und muss keiner von ihnen den Beweis antreten, dass er ein Otto Wels oder ein von Stauffenberg gewesen wäre. Niemand der Nachgeborenen sollte sich sicher sein, ob und wie er 1933 und danach Courage gezeigt hätte. Die Heutigen können froh sein, dass die Bundesrepublik ihnen diese Probe erspart. Die Rituale der gegenwärtig gefühlten „Antinazis“ - die es aber gar nicht gibt, weil es zum Glück auch keine Nazis gibt – tragen die Züge einer Farce. Die „Antinazis“ von heute wissen, dass die NPD immer noch eine politische Partei ist, die unter dem Schutz des Artikels 21 des Grundgesetzes steht. Dass diese NPD verboten worden wäre, haben die eigenen Parteien vieler „Antinazis“: die CDU/CSU, SPD und Grünen vermasselt, indem sie einen Verbotsantrag nach Karlsruhe schickten, der auf Aussagen eingeschleuster staatlicher „V-Männer“ beruhte statt auf Analysen kundiger Wissenschaftler. Die NPD ist – leider - weiter eine zugelassene Partei, und das ignorieren eingebildet politisch Korrekte unserer Tage. Sie verweigern den missliebigen Rechten Räume und erheben sich über das Bundesverfassungsgericht und das im Grundgesetz verankerte Parteienprivileg. Sie tun das, weil sie wissen, dass Gerichte ihre Weigerungen aufheben, denn die Justiz achtet den Rechtsstaat. So haben die Verweigerer ein gutes Gewissen, sehen sich gar als couragiert und verlassen sich darauf, dass genügend Polizeibeamte ihre Knochen hinhalten werden, falls es zu Gewalt kommen sollte. 2 Einige der neuen „Antinazis“ sind so schlau, dass sie zu Veranstaltungen Rechtsextremer „Gegendemonstrationen“ anmelden. Dann proklamieren sie, das gefährde die Sicherheitslage und deswegen müssten die Veranstaltungen untersagt werden. Auch damit kommen sie bei Gericht nicht durch. Wieder andere begeben sich in moralisch höhere Regionen und drücken ihre gute Gesinnung aus, indem sie den „braunen Dreck“ wegfegen, nachdem irgendwo eine Veranstaltung Rechtsradikaler stattgefunden hat. Schöne Demokraten sind das: Sie fuchteln gegen die Rechten und wissen, dass sie damit nichts erreichen außer Selbstgerechtigkeit. Dabei heißt Demokratie, dass man sich politisch und argumentativ auch mit ihren Gegnern auseinander setzt. Wer die Rechte der Demokratie nicht verwirkt hat, muss sie auch wahrnehmen können, und es ist nicht in das Belieben einzelner gestellt, diese Rechte zu gewähren oder nicht. Bürger können sich das Recht auf Freiheit nicht gegenseitig absprechen; so etwas würde am Ende zur Unfreiheit aller führen. „Verbieten“ kann im Falle von Parteien eben nur das Bundesverfassungsgericht. In der Tat ist die NPD eine Partei, über die das Gericht verhandeln sollte. Die NPD will ja die Straße, die Parlamente und die Köpfe erobern: für rechtsextremes Gedankengut. Dem sollte die Basis entzogen werden - nicht als „antinazistische“ Farce, sondern entsprechend dem Grundgesetz mit einer soliden Anklage, die sozial- und rechtswissenschaftlich begründet ist. Regierung, Parlament und Länder haben die Verantwortung: Sie können eine so fundierte Klage nach Karlsruhe schicken. Das zu tun, ist die Pflicht von Amtsträgern, die sich nüchtern als verantwortliche Demokraten und nicht pathetisch als aus der Zeit gefallene „Antinazis“ verhalten. „Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand.“ Wer jedoch dem Wirken rechtsextremer Parteien wirklich Einhalt gebieten will, sollte das Risiko eines Verfahrens in Karlsruhe nicht scheuen. Die Demokratie hierzulande braucht ohnehin mehr Risikobereitschaft. Denn das letzte Wort haben eben ausschließlich die Bundesrichter. JÜRGEN DITTBERNER 3