Die Schweizer Parteipresse

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Seminar: Politische Parteien im Wandel
Institut für Politikwissenschaft, Universität Bern, Sommersemester 2001
Die Schweizer Parteipresse im Wandel der Zeit
von Philippe Piatti
Inhalt:
1.
Einleitung
2.
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S. 1
Massenmedien und Parteien
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S. 2
3.
Die Geburt der Parteipresse
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S. 3
4.
Die parteiliche Presse .
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S. 5
4.1
Die freisinnige Presse .
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S. 5
4.2
Die katholisch-konservative Presse
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S. 6
4.3
Die übrige bürgerliche Presse
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S. 6
4.4
Die linksgrüne und alternative Presse
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S. 7
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S. 7
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5.
Die parteiunabhängige Presse .
6.
Parteiblätter ohne Chance in der Schweiz
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S. 8
7.
Medien der Parteien – Situation heute .
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S. 9
8.
Literatur
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S. 10
1.
Einleitung
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Politik findet im ständigen Informationsfluss zwischen Gesellschaft und politischen
Entscheidungsträgern statt. Letztere versuchen, über die politische Kommunikation in
der Öffentlichkeit Verständnis sowie Unterstützung für ihre Absichten und
Handlungen zu gewinnen. In der Gesellschaft selbst formieren sich Meinungen und
Forderungen, die auf grössere Verbreitung und Wirkung in der Öffentlichkeit
drängen. Hier liegt eine zentrale Funktion der Medien – sie tragen Bedeutsames zur
Konstituierung einer politischen Öffentlichkeit und zur politischen Meinungsbildung
bei.1
1
Linder, Wolf, Schweizerische Demokratie, Institutionen – Prozesse – Perspektiven, Bern 1999, S. 76.
1
2.
Massenmedien und Parteien
Massenmedien haben in politischen Umbruchszeiten stets eine wichtige Rolle inne
gehabt – sei es bei der Reformation, dem Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg, der
Französischen Revolution oder der Wende in Osteuropa 1989. Parteien schufen und
nutzten sie für ihre Zwecke, sie dienten vorab als Propagandainstrumente.2
Sowohl Parteien als auch Medien übernehmen gleichartige politische Funktionen:
Artikulationsfunktion, Selektionsfunktion, Integrationsfunktion, Meinungsbildungsfunktion, Kritik- und Kontrollfunktion. Dabei bestehen oft enge personelle
Verflechtungen zwischen Medien und Parteien. Massenmedien dienen auch als
Instrumente von Parteien – in Diktaturen wie in Demokratien. In den meisten
Mediensystemen gibt es parteiliche und parteiunabhängige Medien. Dabei gilt die
Faustregel: Je westlicher, desto früher die Ablösung der Parteibindungen: In
England, Frankreich und den USA folgte der Wechsel von der Parteipresse zur
überparteilichen Massenpresse bereits im 19. Jahrhundert. In Deutschland
lizensierten die Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg nur Medien, die frei von
Parteibindungen waren. In Österreich, Italien sowie der Schweiz folgte der Übergang
zu den Forumsmedien zwischen 1968 und 1994.3
Die Medienwissenschaft unterschiedet zwischen Parteipresse und unparteilicher
Presse
(Modell
von
Prodomos
Dagtoglou4).
Zur
Parteipresse
werden
parteigebundene5, parteiverbundene6 sowie parteigerichtete7 Zeitungen gezählt. Die
unparteiliche Presse umfasst überparteiliche8, allparteiliche9 und parteifremde10
Blätter.11
2
Blum, Roger, Strukturen und Probleme des schweizerischen Mediensystems, Vorlesungsskript Wintersemester
1996/97, Bern 1996, S. 62.
3
Ebd., S. 63.
4
Dagtoglou, Prodomos, Die Parteipresse – Ihr verfassungsrechtlicher und politischer Standort, Berlin 1967.
5
Organe von Parteien, zum Beispiel der Zürcher Bote.
6
Abhängig von Parteien, sei es in finanzieller oder personeller Hinsicht, früher Tagwacht.
7
Gleiche Gesinnung wie die Partei, ideelle Bindung, zum Beispiel die Neue Zürcher Zeitung.
8
Unabhängig, nicht an eine Partei angelehnt, eigenes Urteil, zum Beispiel der Tages-Anzeiger.
9
Freies Forum für alle Parteien, kein eigenes Urteil, zum Beispiel der Baslerstab.
10
Apolitisches Verhalten, zum Beispiel Fachzeitschriften oder Publikumszeitschriften wie die Glückspost.
11
Hosang, Balz Christian, Parteien und Presse, Die Beziehungen zwischen den politischen Parteien und der
politischen Presse, Bern 1974, S. 41f.
2
3.
Die Geburt der Parteipresse
Das 19. Jahrhundert war fast durchgehend geprägt durch Gesinnungs- und
Meinungspresse, gekoppelt mit Parteipositionen. Zuerst waren es Comité-Zeitungen
– ausgehend von Gesinnungsgruppen –, später Organe von Parteien. Die
aufstrebenden
Liberalen
gründeten
als
erste
Zeitungen,
gefolgt
von
den
Konservativen. Die Sozialisten begannen nach 1850 ebenfalls, Anhänger um
Zeitungen zu scharen. Nach 1870 (I. Vaticanum) erschienen auch zunehmend
katholische politische Presseerzeugnisse. In England und Nordamerika hatte das
Zeitalter der Gesinnungspresse bereits im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts
begonnen und war in der Entwicklung dem europäischen Kontinent voraus.12
Das Grundmuster der politischen Kommunikation in der Schweiz war im 19. und 20.
Jahrhundert durch den Aussenpluralismus bestimmt – die Zeitungen waren
Parteiblätter, und aus dem Konzert der liberalen, radikalen, konservativen,
demokratischen und sozialistischen Stimmen ergab sich der öffentliche Diskurs. 13 In
der Schweiz lassen sich im Verhältnis zwischen Massenmedien und Parteien vier
Etappen unterscheiden:
1.
In der ersten Phase fungierten die Medien als Organisatoren der Parteien. Die
Anhänger einer Partei waren identisch mit den Abonnenten einer Zeitung –
wer das Blatt las, gehörte dazu. Zu dieser Zeit existierten noch keine
Mitgliederkarteien. Die Zeitungen hatten die Funktion zu organisieren und zu
mobilisieren.
Noch
Ende
des
19.
Jahrhunderts
bezeichnete
man
beispielsweise im Kanton Baselland die Rechtsfreisinnigen als „Lüdinpartei“,
benannt nach der Familie Lüdin, der Besitzerin der Basellandschaftlichen
Zeitung.14 Dieses Modell findet Anwendung für die Frühparteien der
Regeneration (1830-1848), des jungen Bundesstaats (1848-1863) und der
demokratischen Bewegung (1863-1874).15 Es ist die Zeit der vielen
12
Blum, Roger, Mediengeschichte, Entstehung, Entwicklung und Funktionswandel der Medien,
Vorlesungsskript Wintersemester 1999/2000, Bern 1999, S. 71.
13
Blum, Roger, Berlusconis Modell – Parallelen in der Schweiz?, in: Imhof, Kurt und Peter Schulz (Hrsg.),
Politisches Raisonnement in der Informationsgesellschaft, Zürich 1996, S. 203.
14
Ebd.
15
Blum, Roger, Strukturen und Probleme des schweizerischen Mediensystems, Vorlesungsskript Wintersemester
1996/97, Bern 1996, S. 65.
3
Zeitungsgründungen: Nach den liberalen folgten radikale, konservative,
demokratische, sozialdemokratische und katholische Zeitungen. Zwischen
1827 und 1858 gab es insgesamt 492 Zeitungsgründungen, aber bloss 30
Prozent davon überlebten. Viele noch heute erscheinende Blätter stammen
aus jener Zeit: Journal de Genève (1826), St. Galler Tagblatt (1839) oder Der
Bund (1850). Es gab eine sehr enge Verbindung zwischen Zeitungen und
Volksrechten: Je mehr direkte Demokratie dem Volk zugestanden wurde,
umso nötiger wurden Zeitungen, welche die politischen Geschäfte öffentlich
besprachen. Zeitungen produzierten aber auch mehr direkte Demokratie durch
Forderungen im Interesse des Volkes.16
2.
In der zweiten Phase waren die Zeitungen verlängerte Arme der Parteien; sie
wurden zu Organen der Parteien. Diese waren nun organisiert und brauchten
einen Lautsprecher für ihre Mobilisation und Propaganda. Dieses Modell war
zwischen 1888 bis 1968 gültig. Am längsten hielten Parteien der zuerst
ghettoisierten politischen Minderheiten (Arbeiter/SP sowie Katholiken/CVP) an
diesem Modell fest.17 Erst die Herausbildung eigentlicher Mitgliederparteien18
machte die Zeitungen also zu Organen oder zumindest zu Tribünen. 19
3.
Die Medien emanzipieren sich in der dritten Phase von den Parteien. Diese
Entwicklung beginnt mit dem Aufkommen der sogenannten Generalanzeigern
Ende des 19. Jahrhunderts und setzt sich fort mit dem Radio und dem
Fernsehen, die allesamt als überparteilich-neutrale Medien starten. Ab den
1960er-Jahren lösen sich Parteizeitungen von ihren Bindungen – am
spätesten setzt die Ablösung im Kanton Tessin ein.20
4.
In der vierten und letzten Etappe bilden sich Ansätze zu Medienparteien im
Sinne Berlusconis heraus. Einzelne Medien treten demnach wie Parteien auf,
16
Blum, Roger, Mediengeschichte, Entstehung, Entwicklung und Funktionswandel der Medien,
Vorlesungsskript Wintersemester 1999/2000, Bern 1999, S. 72f.
17
Blum, Roger, Strukturen und Probleme des schweizerischen Mediensystems, Vorlesungsskript Wintersemester
1996/97, Bern 1996, S. 65.
18
Sozialdemokraten 1888, Liberaldemokraten 1893, Freisinnige 1894, Christdemokraten 1894/1912, Bauern
1917/1937.
19
Blum, Roger, Berlusconis Modell – Parallelen in der Schweiz?, in: Imhof, Kurt und Peter Schulz (Hrsg.),
Politisches Raisonnement in der Informationsgesellschaft, Zürich 1996, S. 203.
20
Blum, Roger, Strukturen und Probleme des schweizerischen Mediensystems, Vorlesungsskript Wintersemester
1996/97, Bern 1996, S. 65.
4
wie zum Beispiel der Beobachter oder einige Medien in der Westschweiz.
Weiter intervenieren einzelne Wirtschaftsführer mit Hilfe von Medien in die
Politik (Duttweiler/Migros oder Schweri/Denner). Solche Tendenzen setzten in
den 1940er-Jahren ein, sie verstärken sich dann ab den 1990er-Jahren,
werden aber nicht dominant.21
4.
Die parteiliche Presse
4.1
Die freisinnige Presse
Seit der Regeneration und dem frühen Bundesstaat hatte jeder regenerierte und
liberal regierte Kanton eine führende freisinnige Zeitung: Neue Zürcher Zeitung
(Zürich),
Der
Bund
(Bern),
Glarner
Nachrichten
(Glarus),
National-Zeitung
(Baselstadt), Basellandschaftliche Zeitung (Baselland), Schaffhauser Nachrichten
(Schaffhausen), Appenzeller Zeitung (Appenzell), St. Galler Tagblatt (St. Gallen), Der
freie Rätier (Graubünden), Aargauer Tagblatt (Aargau), Thurgauer Zeitung
(Thurgau), Il Dovere (Tessin), La Nouvelle Revue de Lausanne (Waadtland), Le
Démocrate
(Jura).
Im
frühen
20.
Jahrhundert
herrschte
eine
freisinnige
Medienvormacht: Radikale, liberale oder demokratische Zeitungen kontrollierten
neben den Kantonshauptstädten auch die Meinungsbildung in Subzentren, Tälern
und Dörfern. 1896 stellten freisinnige Blätter 54 Prozent der Gesamtauflage, 1931
noch 51 Prozent. Seit 1968 begannen sich viele zu öffnen und wurden
Forumszeitungen; 1996 bekannten sich nur noch 14 Blätter22 zum Freisinn. Auch die
Ideologie des Zentrums wurde durch Zeitungen, die vor allem in der Westschweiz
zuhause sind, vertreten.23
21
Blum, Roger, Strukturen und Probleme des schweizerischen Mediensystems, Vorlesungsskript Wintersemester
1996/97, Bern 1996, S. 65.
22
Neue Zürcher Zeitung, Zürcher Oberländer, Zürichsee-Zeitung, Anzeiger des Bezirks Horgen, Der
Murtenbieter, Appenzeller Zeitung, Anzeige-Blatt für Gais, Der Rheintaler, Toggenburger Nachrichten,
Geschäftsblatt, Nouvelle Revue, Feuille d’avis du District de Payerne – Le Démocrate, Confédéré, Vita Nuova.
23
Blum, Roger, Strukturen und Probleme des schweizerischen Mediensystems, Vorlesungsskript Wintersemester
1996/97, Bern 1996, S. 66f.
5
4.2
Die katholisch-konservative Presse
Die Hochburgen der katholischen Konservativen waren im jungen Bundesstadt die
ehemaligen Sonderbundskantone, dort dominierten konservative Zeitungen die
Presselandschaft. Während dem Kulturkampf kamen dann auch Blätter in der
katholischen Diaspora hinzu. Bis in die 1980er-Jahren gab es in sämtlichen
Kantonen mit einen respektablen Anteil an Katholiken eine katholische, der CVP
nahestehenden
zahlenmässig
Zeitung.
Diese
bescheidenen
Presseerzeignisse
parteipolitisch
blieben
engagierten
Zeitungen
Zirkels
und
eines
einer
kirchentreuen Klientel. In katholischen Stammlanden wurden indes die Ressourcen
knapp, so dass es zu Zeitungsfusionen mit politischen Gegnern kam. 1996
bezeichneten sich noch 26 Blätter24 als der CVP nahe stehend.25
4.3
Die übrige bürgerliche Presse
Ungefähr 50 Zeitungen26 (vorwiegend solche, die sich früher als freisinnig,
demokratisch,
liberaldemokratisch,
katholisch-konservativ
oder
BGB-nahe
bezeichnet hatten) kennzeichnen sich nun als „bürgerlich“ oder „bürgerlich liberal“,
„unabhängig bürgerlich“, „bürgerlich neutral“ oder „fortschrittlich bürgerlich“. Sie
zählen sich zur bürgerlichen Meinungspresse, ohne sich dabei explizit auf eine
bestimmte Partei festzulegen.27
24
Willisauer Bote, Entlebucher Anzeiger, Anzeiger vom Rottal, Urner Wochenblatt, Einsiedler Anzeiger, Freier
Schweizer, La Liberté, Freiburger Nachrichten, Appenzeller Volksfreund, Die Ostschweiz, Rorschacher Zeitung,
Sarganserländer, Rheintalische Volkszeitung, Alttoggenburger, Neues Wiler Tagblatt, Il San Bernardino, Die
Botschaft, Der Freischütz, Thurgauer Volkszeitung, Bischofszeller Nachrichten, Giornale del Popolo, Popolo e
Libertà, Nouvelliste, Walliser Bote, Le Courrier.
25
Blum, Roger, Strukturen und Probleme des schweizerischen Mediensystems, Vorlesungsskript Wintersemester
1996/97, Bern 1996, S. 69f.
26
u.a.: Bieler Tagblatt, Oltner Tagblatt, Basellandschaftliche Zeitung, St. Galler Tagblatt.
27
Blum, Roger, Strukturen und Probleme des schweizerischen Mediensystems, Vorlesungsskript Wintersemester
1996/97, Bern 1996, S. 71.
6
4.4
Die linksgrüne und alternative Presse
Seit den 60er-Jahren des 19. Jahrhunderts existierte in der Schweiz eine
Linkspresse – die demokratischen und grütlianischen Zeitungen. Bis zum Zweiten
Weltkrieg war die sozialistische Linke in allen industrialisierten und städtischen
Kantonen mit einer Tageszeitung präsent. Die Werktätigen zogen aber den zu dieser
Zeit aufkommenden Generalanzeiger den Parteiblättern vor. Die Generalanzeiger
stellten sich nicht mehr in den Dienst einer Partei, sondern beschränkten sich darauf,
die Leserschaft zu informieren (Lokales, Sport, Unterhaltung). Vor allem waren diese
Zeitungen aber billiger als traditionelle Parteiblätter.28 Heute gibt es nur noch eine
Hand voll Zeitungen, mit mehrheitlich bescheidener Auflage. Die linke und alternative
Presse wird hierzulande stark durch Zeitschriften geprägt, zudem herrscht eine
starke Verknüpfung zwischen linker Politik und Lobby-Zeitschriften.29
5.
Parteiunabhängige Presse
Bei der parteiunabhängigen Presse wird zwischen fünf Gruppen unterschieden: die
Quereinsteiger, die Volkstümlichen, die Fusionierten, die Anpasser-Zeitungen und
die Liberalen.
1.
Die Quereinsteiger: In diese Kategorie fallen die oben erwähnten Generalanzeiger. Diese hatten nie Verbindung mit einer Partei. Bei ihrer politischen
Ausrichtung stützen sie sich auf eine eigene publizistische Grundhaltung und
gehören daher auch zur Meinungspresse.30
2.
Die Volkstümlichen: Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Boulevardzeitungen
als sogenannte „popular papers“ und Strassenverkaufszeitungen lanciert. Mit
einer politischen Partei waren sie nie verbunden, in der Regel tendieren sie
zum Populismus.31
28
Blum, Roger, Der schwarze und der rote Hase: Parteiblätter ohne Chance in der Schweiz, in: Schweizer
Monatshefte, Heft 1/1993, S. 36.
29
Blum, Roger, Strukturen und Probleme des schweizerischen Mediensystems, Vorlesungsskript Wintersemester
1996/97, Bern 1996, S. 72.
30
Beispiele: Tages-Anzeiger, Luzerner Neuste Nachrichten, Tribune de Genève, 24heures.
31
Beispiele: Blick, Sonntagsblick, Le Matin.
7
3.
Die Fusionierten: Ab den 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts entstanden
Fusionsprodukte aus politisch gegensätzlich ausgerichteten Zeitungen, so
dass sie sich nun überparteilich-gemässigt an einen Kurs der Mitte halten
müssen.32
4.
Die Anpasser-Zeitungen: Diese standen früher einer Partei nahe, bezeichnen
sich aber nun als „überparteilich“ oder „neutral“. Sie verstehen sich demnach
als Forum für alle Gruppierungen, sie haben sich der Zeitströmung angepasst.
Solche Zeitungen haben sich auf ein breites Publikum ausgerichtet und sind
vor allem in der Westschweiz verankert.
5.
Die Liberalen: Zeitungen, die vor Jahren freisinnig waren, bezeichnen sich
heute als „liberal“ oder „unabhängig liberal“. Sie stützen sich noch immer auf
den Liberalismus, haben sich aber allen politischen Gruppen geöffnet und
verstehen sich als Forumszeitungen.33
6.
Parteiblätter ohne Chance in der Schweiz
Anfangs 1990er-Jahren verschwanden viele katholische und linke Tageszeitungen
der Schweiz von der Bildfläche: Das Vaterland in Luzern, Popolo e Libertà in Lugano,
das Aargauer Volksblatt in Baden, die Nordschweiz in Basel sowie die Basler AZ. Die
Chancenlosigkeit der linken und katholischen Zeitungen war strukturell bedingt,
gewissermassen systemimmanent. Sie hat historische Wurzeln; ein paar Thesen
sollen dies erläutern:
Erste
These:
Reformation
und
Regeneration
überliessen
dem
politischen
Katholizismus fast ausschliesslich Land- und Randgebiete.
Zweite These: Am Ende des 19. Jahrhunderts blieben die Zeitungen neuer
politischen Gruppierungen Insiderorgane.
32
33
Beispiele: Berner Zeitung, Neue Luzerner Zeitung, Basler Zeitung, La Regione.
Beispiele: Der Bund, Landbote, Schaffhauser Nachrichten, Thurgauer Zeitung, Weltwoche.
8
Dritte These: Die freisinnige Vormacht im Bundesstaat war von Anfang an auch eine
Medienvormacht.
Vierte These: Die Presse der Arbeiterbewegung war von Anfang an zur
Randständigkeit verurteilt.
Fünfte These: Für die Abhängigen und Unterprivilegierten war der Nutzen einer
linken Stimmabgabe grösser als der Nutzen eines linken Zeitungsabonnements.
Sechste These: Je wichtiger für die Zeitungen das Inserateaufkommen wurde, um so
nachteiliger war die Verankerung der christlich-demokratischen Presse in einem
ländlichen Stammgebiet mit einem beschränkt konsumorientierten Publikum.
Siebte These: Die Linkspresse eignet sich a priori schlecht als Werbeträger.34
7.
Medien der Parteien – Situation heute
Die Mittel und Anforderungen der parteiinternen wie auch der öffentlichen
Kommunikation haben sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert und die
politischen Parteien vor eine doppelte Herausforderung gestellt. Zum einen ist – wie
bereits erwähnt – die Parteipresse beinahe gänzlich verschwunden, zum anderen
zwingen neue Kommunikationstechnologien und die verstärkte Mediatisierung der
Politik die Parteien, ihre Kommunikation nach innen und nach aussen anzupassen
und zu intensivieren. Seit den 1970er-Jahren hat die Zahl der parteieigenen
Publikationen stark zugenommen. Die traditionellen beziehungsweise älteren
Parteien waren aufgrund des Niedergangs der Parteipresse gezwungen, neue
Kommunikationskanäle
zu
Mitgliedern
und
Sympathisanten
zu
benutzen.
Entsprechend richteten diese Parteien, häufig erst mehrere Jahrzehnte nach ihrer
Gründung, eigene Parteipublikationen ein. Jüngere Parteien hatten sich bereits
innerhalb eines gewandelten Mediensystems zu behaupten – sie hatten gar nicht die
Möglichkeit, auf eine parteinahe Presse zurückgreifen zu können und führten
deshalb parteieigene Publikationsorgane ein. Dies führte zu einem raschen Anstieg
der Publikationsorgane ab 1970.35
34
Blum, Roger, Der schwarze und der rote Hase, Parteiblätter ohne Chance in der Schweiz, in: Schweizer
Monatshefte, heft 171993, S. 33f.
9
Neben den Publikationsorganen hat eine Partei mit den Pressediensten und
Internetauftritten weitere Möglichkeiten, sich Gehör zu verschaffen. Auf Letztere wird
im nachfolgenden kurz eingegangen. Die politischen Akteure haben die Möglichkeit,
sich via Internet zu äussern – alle wichtigen Parteien36 haben sich auf dem Internet
eine Plattform geschaffen. Es besteht also eine dichte Vernetzung zwischen
politischen Akteuren und der Bevölkerung, beide Seiten haben die Möglichkeit zu
schnellen und direkten Feedbacks. Aber: Nur 0,5 Prozent aller deutschen
Homepages haben einen politischen Inhalt (Tendenz der Entpolitisierung: InternetBenutzer suchen im Internet vor allem das unterhaltende Element).37
8.

Literatur
Blum, Roger, Berlusconis Modell – Parallelen in der Schweiz?, in: Imhof, Kurt und
Peter Schulz (Hrsg.), Politisches Raisonnement in der Informationsgesellschaft,
Zürich 1996.

Blum, Roger, Der schwarze und der rote Hase: Parteiblätter ohne Chance in der
Schweiz, in: Schweizer Monatshefte, Heft 1/1993.

Blum, Roger, Mediengeschichte, Entstehung, Entwicklung und Funktionswandel
der Medien, Vorlesungsskript Wintersemester 1999/2000, Bern 1999.

Blum,
Roger,
Politische
Kommunikation,
Grundlagen
und
Prozesse,
Vorlesungsskript Sommersemester 2000, Bern 2000.

Blum, Roger, Strukturen und Probleme des schweizerischen Mediensystems,
Vorlesungsskript Wintersemester 1996/97, Bern 1996.
Ladner, Andreas/Brändle Michael, Parteien im Wandel, Schlussbericht des Nationalfonds-Projekts „Die
Schweizer Parteiorganisationen im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts“, Projekt-Nr. 12-41891.94, Universität
Bern, Institut für Politikwissenschaft, Bern 1999, S. 276.
36
Homepages der Bundesrats-Parteien: www.sp-ps.ch, www.fdp.ch, www.cvp.ch, www.svp.ch
37
Blum, Roger, Politische Kommunikation, Grundlagen und Prozesse, Vorlesungsskript Sommersemester 2000,
Bern 2000, S. 45f.
35
10

Dagtoglou, Prodomos, Die Parteipresse – Ihr verfassungsrechtlicher und
politischer Standort, Berlin 1967.

Hosang, Balz Christian, Parteien und Presse, Die Beziehungen zwischen den
politischen Parteien und der politischen Presse, Bern 1974.

Ladner, Andreas/Brändle Michael, Parteien im Wandel, Schlussbericht des
Nationalfonds-Projekts „Die Schweizer Parteiorganisationen im letzten Drittel des
20. Jahrhunderts“, Projekt-Nr. 12-41891.94, Universität Bern, Institut für
Politikwissenschaft, Bern 1999.

Wolf,
Linder,
Schweizerische
Demokratie,
Perspektiven, Bern 1999.
11
Institutionen
–
Prozesse
–
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