11. Deutscher Kongress für Präventive Zahnheilkunde Würzburg, 25.-26. Oktober 2002 Erosionen – Abrasionen – Putzdefekte Neue Herausforderungen an das Praxisteam Zusammenfassung von Prof. Dr. Johannes Einwag ________________________________________________________ Die Erfolge der zahnmedizinischen Prophylaxe in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten in Deutschland und vielen anderen Ländern können sich sehen lassen: So sind Karies, Gingivitis und Parodontitis auf dem Rückzug! Das Bewusstsein der Bevölkerung um den Nutzen regelmäßiger häuslicher und professioneller präventiver Maßnahmen sowohl für die Mund- als auch für die Allgemeingesundheit wächst stetig. Ästhetische Aspekte rücken – angesichts des Rückgangs funktioneller Probleme - immer mehr in den Vordergrund und ergänzen den Wunsch des Patienten nach einer Gesunderhaltung seines Gebisses. „So weit, so gut“, könnte man angesichts dieser Entwicklung sagen. „Alles in bester Ordnung“, oder ? Ganz offensichtlich nicht! Parallel zum Rückgang der genannten bakteriell bedingten Erkrankungen ist eine deutliche Zunahme nicht-bakteriell bedingter Hart- und Weichgewebsschäden in der Mundhöhle zu beobachten. Die Ursachen dieser Erkrankungen - wie z.B. Erosionen, Abrasionen, keilförmige Defekte, Hypoplasien und Rezessionen - hängen dabei ganz offensichtlich meist mit den 28/02 Z 1 präventiven Strategien zusammen, die zur Vermeidung von Karies, Gingivitis und Parodontitis seit Jahrzehnten propagiert werden : Ernährungslenkung, Intensivierung der Mundhygiene, Fluoridierung. Mehrere Fragen drängen sich auf: - Ersetzen wir also mit unserer traditionellen Prophylaxe nur eine Erkrankungsursache durch eine andere? Das Ergebnis für den Patienten ist ja ähnlich, nämlich die Zerstörung der Zahnhartsubstanz und Schädigung des Zahnhalteapparates. - Brauchen wir eine andere Prophylaxe? Offensichtlich können unsere üblichen Prophylaxemaßnahmen auch Schaden anrichten, oder - Brauchen wir eine Prophylaxe der Prophylaxemaßnahmen? - Welche Möglichkeiten der Therapie sind vorhanden? Ist das klassische Therapieangebot ausreichend oder benötigen wir spezielle Konzepte? Der 11. Kongress für Präventive Zahnheilkunde widmet sich erstmals und umfassend dieser Thematik. Eine weitere Neuerung ist, dass Zahnärztinnen/Zahnärzte einerseits, ProphylaxeassistentInnen, Zahnmedizinische FachhelferInnen und DentalhygienikerInnen andererseits, sowohl in gemeinsamen als auch in parallelen Veranstaltungen fortgebildet werden – entsprechend der Aufgabenverteilung in einem modernen zahnärztlichen Praxisteam. Zu „Ursachen und Ätiologie nicht kariöser Hartsubstanzdefekte“ referiert Prof. Dr. Thomas Attin, 28/02 Z 2 Göttingen. Er weist u.a. auf das komplexe Zusammenspiel zwischen Säureangriffen und mechanischer Belastung hin: Zunächst erfolgt durch Säureangriffe eine Erweichung der Zahnoberfläche. Diese erweichte Schicht wird dann bei abrasiver, mechanischer Belastung (z.B. Zähnebürsten, Nahrungszerkleinerung) verstärkt abgetragen. Dieser Vorgang kann schließlich zur Exposition des Dentins oder gar der Pulpa führen. Die Ursachen für derartige Säureexpositionen sind vielfältig endogene oder/und exogene Faktoren sind beteiligt. Häufige Zufuhr säurehaltiger Nahrung, berufliche Exposition oder Erbrechen (z.B. im Rahmen einer Bulimie) sind die bekanntesten Faktoren. Prof. Dr. Adrian Lussi aus Bern wird die Problematik im Detail besprechen und „Aktuelle Erkenntnisse zur Prävention von Erosionen“ vermitteln. Das klinische Erscheinungsbild der Erosionen, die speziellen Risikofaktoren für deren Entstehung, besonders aber die Möglichkeiten der Prävention sind Schwerpunkt seiner Ausführungen. „Wenn die Zahnbürste zur Waffe wird – neue Bürste, neue Technik?“ – Dieser auf den ersten Blick provokante Titel ist für viele Betroffene tägliche traurige Realität. Die Bemühungen, regelmäßige Mundhygienemaßnahmen zum Allgemeingut der Bevölkerung werden zu lassen, haben über viele Jahre hin eine Banalität verdrängt : Alles, was wirkt, hat bekanntermaßen auch Nebenwirkungen. Auch bei Zahnbürste, Zahnseide und Interdentalbürstchen gibt es ein „Zuviel des Guten“. Insbesondere zu hoher Putzdruck und falsche Putztechnik führen zu unerwünschten, irreversiblen Nebenwirkungen an Zahnhartsubstanzen (z.B. keilförmigen Defekten) und 28/02 Z 3 Weichgeweben (z.B. Rezessionen). Dr. Rainer Seemann aus Berlin wird sich mit diesen Aspekten der mechanischen Schäden auseinandersetzen und mögliche Konsequenzen für die angewandte Prävention diskutieren. Wo gehobelt wird, fallen Späne – dies gilt selbstverständlich auch für die Zähne. Durch Funktion und Parafunktion werden die Zahnhartsubstanzen einer kontinuierlichen Abnutzung unterworfen. Während die beim Kauen und Schlucken auftretenden physiologischen Zahnkontakte sowie die nahrungsbedingte Abrasion für den Zahnhartsubstanzverlust kaum eine Bedeutung besitzen, kommt im Rahmen parafunktioneller Aktivitäten dem Bruxismus eine herausragende Rolle zu: Anhaltendes Knirschen führt zum okklusalen Abrieb. Inwieweit Pressen in exzentrischer Kieferposition oder nichtaxiale Belastungen zur Entstehung keilförmiger Defekte beitragen, wird nach wie vor kontrovers diskutiert. Interessant in diesem Zusammenhang ist auch die Tatsache, dass Bruxismus in historischen Populationen offensichtlich eine mindestens ebenso große Rolle spielte wie in unseren Tagen, keilförmige Defekte an historischen Zahnfunden allerdings nicht beobachtet werden. Priv.-Doz. Dr. Jens Christoph Türp, Freiburg, und Prof. Dr. Kurt Alt, Mainz, werden diese und weitere interessante Aspekte im Rahmen ihrer Ausführungen zum Thema „Die Auswirkung der Kieferfunktion auf die Zahnhartsubstanzen“ präsentieren. Die Tatsache, dass im Rahmen fortschreitenden Substanzverlustes an Hart- und Weichgeweben vermehrt „Überempfindlichkeiten im Bereich der Zahnhälse“ zu beobachten sind, wird einem immer größeren Teil der Bevölkerung täglich schmerzhaft bewusst und führt zu einer 28/02 Z 4 teilweise einschneidenden Reduktion der Lebensqualität. Dr. Wolfgang Buchalla, Göttingen, erläutert die Ursachen dieser Überempfindlichkeiten, zeigt Möglichkeiten der Prophylaxe auf und diskutiert die Erfolgsaussichten insbesondere der verschiedenen non-invasiven Therapiekonzepte. Falls diese nicht zum Aufhalten der Hart- und Weichgewebsverluste führen, kommen – häufig kombiniert – Therapieverfahren aus der Zahnerhaltung, der zahnärztlichen Prothetik und der Parodontologie zum Tragen. Prof. Dr. Bernd Haller, Ulm, behandelt die Thematik „Adhäsive Restaurationen für nicht kariöse Zahnhartsubstanzdefekte“. Ausgehend von der Tatsache, dass bei diesen Defekten in der Regel keine makromechanische Verankerung der Füllung vorliegt, weist er darauf hin, dass der Füllungsretention durch Haftung des Füllungsmaterials an Schmelz und Dentin eine besondere Bedeutung zukommt. Die Dentinhaftung habe sich zwischenzeitlich fest etabliert und der restaurativen Therapie zahlreiche neue Möglichkeiten eröffnet. Hauptvorteile seien neben der verbesserten Retention die Stabilisierung von Zahnhartsubstanz und Restauration sowie die Versiegelung des Dentins - Eigenschaften, die diese Technik gerade auch für die Anwendung bei nicht kariösen Zahnhartsubstanzdefekten prädestinieren. Für den Langzeiterfolg spielen Werkstoffauswahl und Verarbeitung eine wesentliche Rolle – entsprechende Hilfestellungen für die tägliche Praxis werden gegeben. Die Notwendigkeit, nicht nur verloren gegangene Zahnhartsubstanz einfach zu ersetzen, sondern das unter therapeutischen und prospektiven Gesichtspunkten sinnvollste Material zu wählen, betont auch Prof. Dr. Peter Pospiech, 28/02 Z 5 Homburg, bei seinen „Überlegungen zur prothetischen Therapie“ von Erosionen, Abrasionen und Putzdefekten. Er weist insbesondere darauf hin, dass Faktoren, die zuvor den Verlust des Zahnschmelzes bewirkten, natürlich auch die künstlichen Materialien schädigen können und daher ein rein therapeutisches Betreuungs-konzept ohne begleitende kausal ansetzende Maßnahmen auf Dauer nicht erfolgreich sein kann: „Neben dem reinen Ersatz der Zahnhartsubstanz spielt die Ernährungslenkung und das Prophylaxeverhalten der Patienten eine wesentliche Rolle“. Die richtige Diagnose der im Einzelfall vorliegenden Ursachen und Erkrankungen als Voraussetzung für die indizierten begleitenden Prophylaxemaßnahmen ist angesichts der Komplexität des Themas gerade in der Anfangsphase der Hartsubstanzveränderung vielfach nur schwer möglich, wie Frau Dr. Rengin Attin, Göttingen, in ihrem Vortrag „Erosion, Abrasion, Initialläsion – Wie lautet die Diagnose? Wie wird therapiert ?“ schildert. Diskutiert werden u.a. folgende Fragestellungen: Wann kommt eine Veränderung der Putztechnik zum Tragen, wann ist Ernährungslenkung angezeigt, wo kommen Fluoride oder gar antibakterielle Substanzen zum Einsatz? Am ehesten – wegen der Eindeutigkeit der Diagnose – möglich ist die Beantwortung dieser Fragen beim Vorliegen parodontaler Rezessionen. Frau Priv.-Doz. Dr. Petra RatkaKrüger, Freiburg, behandelt in ihrem Beitrag „Hart- und Weichgewebsdefekte am Zahn – Parodontale Betreuungs- und Behandlungsmöglichkeiten“ das ganze Spektrum der in Frage kommenden präventiven und therapeutischen Strategien bis hin zur plastischen Parodontalchirurgie, die das Ziel hat, die 28/02 Z 6 exponierte Wurzeloberfläche zu decken und den harmonischen Verlauf des Zahnfleischrandes wiederherzustellen. Abgerundet werden die Ausführungen, die zum Teil für das ganze Praxisteam, zum Teil als Parallelveranstaltung für Zahnärztinnen/Zahnärzte und Mitarbeiter stattfinden, durch einen Workshop zum Thema „Bleaching“. Hier sollen, speziell für Prophylaxe-AssistentInnen, Zahnmedizinische FachhelferInnen und Dental-HygienikerInnen, aktuell auf dem Dentalmarkt erhältliche „Bleich–Verfahren“ unter besonderer Berücksichtigung des praktischen Vorgehens Schritt für Schritt vorgestellt werden. Dr. Christian Hannig, Göttingen, und ZMF Renate Seeger, Stuttgart, geben zunächst eine Einführung in die Thematik und werden anschließend Fragen aus dem Auditorium zu Theorie und Praxis beantworten. Mit dem 11. Kongress für Präventive Zahnheilkunde wird Neuland betreten - erstmalig widmet sich ein Kongress in Deutschland ausschließlich der Thematik der non-kariogenen Zahnhartsubstanzdefekte. Aus diesem Grund wird abschließend eine „Synopse“ (in Stichworten) als Antwort auf die eingangs genannten Fragen vorgestellt, die die für die Praxis relevanten, aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Ätiologie, Diagnostik, Prävention und Therapie der nonkariogenen Zahnhartsubstanzdefekte zusammenfasst. Prof. Dr. Thomas Attin, Göttingen, wird diese Synopse erarbeiten und den Teilnehmern als Entscheidungshilfe für die tägliche Praxis zur Verfügung stellen. 212 Zeilen à 60 Anschläge 28/02 Z 7