„Ecstasy“ (MDMA): Pharmakologie, Toxikologie und Behandlung der akuten Intoxikation (Zeitschrift: „Der Notarzt“, Juni 2004) MDMA = 3,4-Methylendioxymethamphetamin) Historie: In den 70er und 80er Jahren in Kalifornien in zahlreichen MDMA-assistierten Psychotherapiesitzungen legal therapeutisch eingesetzt. Auch in der Schweiz wurden zwischen 1988 und 1993 so genannte „psycholytische“ Therapien durchgeführt. Seit 1985 ist in Amerika jeglicher Konsum verboten und die medizinische Nutzung streng reglementiert. Seit den 80er-Jahren enorme Verbreitung als Freizeit- und Partydroge „Ecstasy“ eng an die sog. „Raveszene“ gebunden. Typischer Ecstasykonsument: Zwischen 20 und 30 Jahre alt, männlich, pflegt unter der Woche einen normalen Lebensstil und besucht am Wochenende Partys. Drogenmischkonsum ist üblich (v.a. Alkohol und Cannabis). „Experimentierer“ und „Abuser“ sind zu unterscheiden: Experimentierer konsumieren über einen limitierten Zeitraum (Lebzeitenkonsum < 30 Tabl.), maximal einmal wöchentlich und im Mittel in einer Dosierung von einer halben bis zu einer Tablette pro Anlass. Abuser konsumieren Ecstasy fast täglich, in multiplen Dosen und über Jahre. Was enthalten Ecstasytabletten ? Meistens MDMA in variabler Menge (im Mittel 80 mg). Je nach Gegend finden sich jedoch andere Entaktogene wie MDE (2,4-Methylendioxymethylamphetamin), MBDB (Methylbenzodioxolbutanamin) und MDA (Methylendioxyamphetamin) oder andere psychoaktive Substanzen wie Amphetamin, Methamphetamin („Ice“), Paramethoxyamphetamin (PMA, „death“), 4-Brom-2,5-dimethoxyphenylethylamin (2C-B, „Bromo“, „Nexus“), Koffein, Ephedrin etc. Beurteilung der Intoxikation erschwert ! Was sind Entaktogene ? Von Fachleuten wird empfohlen, MDMA nicht mehr zu den Stimulanzien sondern zu einer eigenen Klasse, den Entaktogenen, zusammen mit ähnlich wirkenden Substanzen einzuteilen. „Entaktogene“ wirken weniger aktivierend als Stimulanzien und weniger psychotogen als Halluzinogene. Sie vermitteln ihre psychoaktive Wirkung vor allem über die Freisetzung von Serotonin. Neben MDMA werden auch MDA („love drug“), MDE („Eve“) und MBDB („Eden“) gezählt. Als „entaktogen“ wird ein subjektiv angenehmer psychotroper Effekt mit einem Gefühl der Nähe zu anderen Menschen, Entspannung, Glücksgefühlen und kommunikativer Offenheit beschrieben. Im Gegensatz dazu wirken Stimulanzien vor allem aktivierend und Halluzinogene primär halluzinogen und anxiogen. 1 Mit Ecstasy assoziierte Partydrogen PMA (Paramethoxyamphetamin) Hat in USA, Australien und kürzlich auch erstmalig in Europa zu Todesfällen geführt. PMA wirkt verzögert und stärker. Durch verzögerte Wirkung besteht die Gefahr der Einnahme weiterer Dosen. Führt sehr häufig (mehr als MDMA) zu Hyperthermien, komatösen Zuständen, Krampfanfällen und kardialen Arrhythmien. Auch schwere Hypoglykämien und Hyperkaliämien wurden beschrieben. MDE und MBDB MDMA-ähnliche psychotrope Wirkungen. MDE in Deutschland relativ stark verbreitet, MDBD hat nur geringe Bedeutung. 2C-B Hat vor allem halluzinogene Wirkung. „Liquid ecstasy“ (γ-Hydroxybuttersäure, GHB) GHB hat mit MDMA keine pharmakologische Verwandtschaft. Es ist eine zentralnervös sedierende Substanz mit Ähnlichkeit zum Neurotransmitter γ-Aminobuttersäure (GABA). In geringer Dosierung wirkt GHB euphorisierend und enthemmend. Intoxikation führt zu Schwindel, Erbrechen, Somnolenz und plötzlichem Koma mit Kreislauf- und Atemdepression. Neuropharmakologie von MDMA Chemische Verwandtschaft zum Stimulans d-Amphetamin und zum Halluzinogen Mescalin. Im ZNS setzt MDMA primär Serotonin und in geringem Ausmaß auch Dopamin und Noradrenalin aus präsynaptischen Neuronenendigungen frei und hemmt die Wiederaufnahme dieser Neurotransmitter. Es besteht auch eine geringe Affinität zu serotonergen, adrenergen α2-, muskarinartigen M1und zu Histamin-H1-Rezeptoren. Neurotoxikologie von Ecstasy Als mögliche klinische Korrelate eines Serotoninmangels bei chronischen Ecstasykonsumenten werden Schlafstörungen, Depressionen, Angst, erhöhte Impulsivität und Störungen der Aufmerksamkeit sowie des episodischen und des Arbeitsgedächtnisses genannt. Pharmakokinetik von MDMA und pharmakologische Interaktionen Maximale Plasmakonzentrationen 2-4 Stunden nach Einnahme erreicht. Eliminationshalbwertszeit liegt bei 8-9 Stunden. Cave: Ecstasyintoxikationen bei AIDS-Patienten Bei Behandlung mit Ritonavir wurden massiv erhöhte MDMA-Konzentrationen festgestellt (CYP2D6-Inhibition). Cave: Relevantes Interaktionspotential von MDMA und Alkohol Plasmakonzentration von MDMA nach Alkoholkonsum steigt. MDMA hebt die durch Alkohol induzierte Sedation auf. Psychomotorische Defizite durch Alkohol werden aber nicht aufgehoben ( Straßenverkehr !) 2 Akute psychotrope Wirkung von MDMA Beginn der psychoaktiven Wirkung nach 30-60 Minuten Wirkungsmaximum innerhalb von 75-120 Minuten Wirkungsdauer ca. 3-5 Stunden Einzeldosis (1,3-1,8mg/kg) bewirkt Glücksgefühle, Euphorie, Entspannung, ein Gefühl von Sorgenfreiheit, eine verstärkte Extraversion und eine erhöhte Kommunikationsbereitschaft. Es tritt eine moderate Derealisierung und Depersonalisierung auf. Taktile, akustische und visuelle Wahrnehmung und auch das Raum- und Zeitgefühl werden leicht verändert. Farben werden intensiver wahrgenommen, Klänge erscheinen näher oder ferner. Zunahme dieser Symptome bei höherer Dosierung. Frauen empfinden bei gleicher Dosis stärkere psychoaktive Wirkung als Männer. Akute (A) und subakute (B) unerwünschte Wirkungen von MDMA A : Konzentrationsstörungen (59%), Kieferverspannung (58%), Appetitmangel (54%), trockener Mund (53%), Gleichgewichtsstörungen (49%), Schwindel (38%), Palpitationen (35%), Unruhe (34%), Schwitzen (31%), Zittern (23%), Nausea (15%), Angst (11%) B : Müdigkeit (41%), Appetitmangel (39%), trockener Mund (34%), Kopfschmerzen (27%), Schlaflosigkeit (24%), Energiemangel (24%), Kieferverspannung (20), Grübeln (18%) 1 bis 3 Tage nach Einnahme „mid-week-blues“ Bei Frauen fanden sich im Vergleich zu Männern auch gehäuft akute und subakute unerwünschte Wirkungen. Lebensbedrohliche Komplikationen nach Ecstasykonsum In der Regel liegen unspezifische und relativ harmlose Nebenwirkungen vor (zumindest aus notfallmedizinischer Sicht). Häufige Notfallkonsultationen waren verbunden mit Schwäche, Schwindel, Unwohlsein, Übelkeit, Erbrechen, synkopale Reaktionen, Palpitationen, Unruhe und Panik. Neben einer Mydriasis und einer Hyperventilation fand sich bei 19% der Fälle eine Körpertemperatur über 37,1°C und in 4% eine Dehydratation. Es sind jedoch auch in einer Vielzahl von Fallberichten schwere Komplikationen und Todesfälle im Zusammenhang mit Ecstasyintoxikationen beschrieben worden. Kardiovaskuläre und zerebrale Komplikationen Eine Dosis MDMA (1,5mg/kg) führt bereits ohne zusätzlich körperliche Aktivität zu einem Blutdruckanstieg auf 150/90mmHG im Mittel, bei ca. 10% jedoch schon zu Blutdruckwerten von systolisch über 180mmHg. Herzfrequenz steigt im Mittel auf 80-100/min. In Verbindung mit Tanzen traten dann typische Komplikationen des hypertensiven Notfalls auf wie zerebrale Krampfanfälle, Hirnblutungen, Aortendissektion, akutes Koronarsyndrom, Kammerflimmern oder Retinablutungen. Hyperthermie, Rhabdomyolyse, akutes Nierenversagen und disseminierte intravasale Gerinnung (DIC) Hyperthermie von 39-41°C gehört mit den kardiovaskulären Reaktionen zu den am häufigsten beschriebenen Notfallkomplikationen. Mortalität bis zu 40% ! 3 Der Hyperthermie geht in der Regel stundenlanges Tanzen in warmer Umgebung ohne adäquate Flüssigkeitszufuhr voraus. Ohne diese körperliche Aktivität führt MDMA nach kontrollierten Studien allenfalls zu einer geringen Erhöhung der Körpertemperatur. Beim hyperthermen Notfall ist das Ausmaß der Hyperthermie ein Prädiktor für die Schwere des Verlaufs. Bei einer Körpertemperatur von über 41°C ist mit einem fatalen Verlauf zu rechnen. Hierbei typische Komplikationen sind eine Rhabdomyolyse mit konsekutiver Niereninsuffizienz und eine DIC mit Multiorganversagen. Hyponatriämie Über eine SIADH (inadäquate Sekretion von antidiuretischem Hormon) bei erhöhter Flüssigkeitsaufnahme kann bereits bei geringer Dosierung von MDMA eine hypervolämische hypotone Hyponatriämie entstehen. Laborchemisch : Hyponatriämie, niedrige Serumosmolarität, relativ erhöhte Urinosmolarität Symptome : Innerhalb 3-12 Stunden Erbrechen, Verwirrtheit oder Krampfanfälle möglich, seltene Komplikation Entstehung eines Hirnödems Leberversagen Ecstasykonsum kann Ursache einer toxischen Hepatitis sein ! Tage bis Wochen hinterher Auftreten von Übelkeit, Oberbauchschmerzen und Ikterus. Von leichten Hepatitiden bis zum fulminanten Leberversagen alles möglich. Pathomechanismus unbekannt. Pneumologische Komplikationen Entstehung eines harmlosen spontanen Pneumomediastinum. Ursache : vermutlich körperliche Anstrengung beim Tanzen, Valsalvamanöver und Erbrechen Psychiatrische Komplikationen Schwere psychotische Episoden und affektive Störungen wie Depersonalisierung, Derealisierung, Wahnvorstellungen und Halluzinationen bei regelmäßigem Ecstasykonsum sind beschrieben. Nicht selten persistieren diese Störungen. In zweiter Linie werden ecstasyinduzierte Angststörungen genannt (i.d.R. mit gutem Verlauf). In einem Drittel der dokumentierten Fälle findet sich eine persönliche oder familiäre Belastung mit psychiatrischen Erkrankungen, so dass die Annahme besteht, dass Ecstasy als unspezifischer Trigger den Beginn einer psychiatrischen Erkrankung auslösen kann. Möglicherweise Ausdruck einer chronischen Schädigung des Serotoninsystems sind Schlafstörungen, Depressivität, Ängstlichkeit, Impulsivität, emotionale Labilität und kognitive Störungen. Diagnostik Augenmerk auf Atmung (Erbrochenes, Atemdepression, Atemfrequenz) und Zirkulation (Herzfrequenz, Blutdruck, Volumenstatus). Glasgow-Coma-Scale, Pupillengröße, fokale Ausfälle Ausschluss eines Harnverhaltes DD : Stimulanzien und Entaktogene bewirken eine Sympathikusaktivierung mit Hypertonie, Tachykardie, trockenem Mund und Mydriasis. Meist liegt bei bewusstseinsklaren Patienten eher eine euphorische Stimmungslage, eine Logorrhoe und ein agitierter Zustand vor. Atem- und Kreislaufdepression lässt eher an eine Intoxikation mit Opiaten, Alkohol 4 oder GHB („liquid ecstasy“) denken. Kardiales Monitoring, Pulsoxymetrie und Temperaturmessungen für mind. 12 Stunden Bewusstseinsminderung, Verwirrtheit oder Erbrechen im Verlauf sind Hinweise auf eine ecstasyinduzierte Hyponatriämie. Eine Hyponatriämie muss rasch von einer Hyperthermie abgegrenzt werden, denn die weitere Behandlung ist unterschiedlich. Bei Bewusstseinsstörungen oder neurologischen Ausfällen Schädel – CT Laboruntersuchen : Kreatinin, Natrium, Kalium, Blutzucker, Leberenzyme, Kreatinkinase, Blutbild, BGA, Myoglobin i.U., Alkoholgehalt im Blut, D-Dimere (DIC) ggf. Herzenzyme, EKG-Kontrollen und ggf. Röntgen-Thorax (Pneumomediastinum) Drogenscreening im Urin dient zunächst dem Überblick über die konsumierten Suchtmittelklassen. Danach muss eine weitere Differenzierung erfolgen. Therapie Es gibt kein spezifisches Antidot, daher ist die Behandlung supportiv und symptomatisch. primäre Dekontamination mit Aktivkohle, wenn die Drogeneinnahme weniger als eine Stunde zuvor erfolgte Behandlung der Angst und Agitation, hierbei sollten neben dem beruhigenden Gespräch vor allem Benzodiazepine verwendet werden. CAVE : Keine Neuroleptika ! Sie bergen die Gefahr der Entwicklung einer malignen Hyperthermie. Haloperidol senkt zudem die Krampfschwelle und die kombinierte Gabe von Haloperidol und MDMA bewirkt einen anxiogenen Effekt. Behandlung der Hypertonie z.B. mit Calciumantagonisten, Urapidil, Phentolamin, Nitraten oder Clonidin. Keine β-Blocker wegen der Gefahr einer nicht antagonisierten Aktivierung von α-Rezeptoren Nur bei Ausschluss einer Kokaineinnahme kann eine ecstasyassoziierte Tachykardie oder Hypertonie mit β-Blockern behandelt werden. Behandlung der Hyperthermie (> 38°C) Im Vordergrund steht eine rasche Rehydrierung oral oder mit NaCl 0,9%, um die Thermoregulierung zu erleichtern. Bei Persistieren der Hyperthermie oder bei Temperaturen > 41°C wird zusätzlich aktiv gekühlt. Bei Nichterfolg zusätzlich Relaxation und Beatmung. Nutzen von Dantrolene ist umstritten. Behandlung mit Benzodiazepinen bei Krampfanfällen und Exzitation. Achten auf eine begleitende Rhabdomyolyse, beginnende DIC und Nierenversagen Behandlung einer symptomatischen Hyponatriämie Im Gegensatz zur Hyperthermie ist Flüssigkeitsrestriktion angezeigt, da in den meisten Fällen eine hypervoläme Hyponatriämie vorliegt. Gabe von NaCl 0,9% erst sekundär. Beim Nachweis eines Hirnödems Gabe von Mannitol oder Schleifendiuretika Prophylaxe bei Ecstasyeinnahme: Trinken von elektrolythaltigen Getränken 5 Prophylaxe Die Wahrnehmung der Gefährlichkeit von Ecstasy ist in den letzten Jahren gestiegen. Heute beurteilt die Mehrheit der Jugendlichen den Konsum von Ecstasy als gefährlich. Trotzdem sind differenzierte Informationen über die Komplikationen und die möglichen Langzeitschäden des Ecstasykonsums mit dem Ziel der Risikoreduktion weiterhin nötig. Autor : M.E. Liechti, Zürich 6